Gundolfs Bibliothek

Der Herr der Ringe – Gulda, der Troll – online

 

Ab 6 Jahre

 

Disclaimer: Alle Charaktere, Orte und sonstige Begriffe, soweit sie im Roman oder in der Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“ erscheinen, gehören nicht mir, sondern sind geistiges Eigentum von J. R. R. Tolkien bzw. Peter Jackson, Fran Walsh und Philippa Boyens. Ich leihe sie mir aus und verdiene hiermit kein Geld.

 Alles andere ist meins.

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König Elessars vornehmste Aufgabe seit seiner Krönung ist die friedliche Wiedervereinigung der Völker Mittelerdes – natürlich außer dem Umstand, den Frieden wiederherzustellen, den Sauron einst brach und hintertrieb. Dass mein geliebter König es mit der Aussöhnung und Vereinigung wirklich ernst meint, drückt sich nicht nur darin aus, dass eine seiner Töchter einen Prinzen aus Harad geheiratet hat (freiwillig, wohlgemerkt – und glücklich sind sie auch! Und mein König liebt es, mit seinen Enkeln zu spielen; meine Königin übrigens auch!). Zuweilen klopfen auch Gestalten an das Stadttor von Minas Tirith, vor denen vor noch nicht all zu langer Zeit jeder Hobbit, Mensch oder Elb augenblicklich Reißaus genommen hätte.

 Einer von letzterer Sorte ist Gulda. Gulda ist ein Troll. Ja, du hast richtig gelesen: Ein Troll! Zu Zeiten des Zweiten und Dritten Zeitalters gehörten die Trolle zu Saurons Unwesen. Inzwischen bin ich etwas klüger, was jedenfalls diesen Troll betrifft. Ich bin ein Hobbit – drei mal drei Fuß hoch und breit. Ein Troll ist ungefähr vierzehn Fuß lang! Mehr als doppelt so lang wie mein ohnehin schon hochgewachsener König oder Prinz Legolas. Nun stellt euch vor, ein Hobbit wie ich steht einem Troll gegenüber! Die berühmten Hobbits der Ringgemeinschaft oder Bilbo Beutlin haben fürchterliche Geschichten von Trollen erzählt. Ich verweise insoweit auf das Rote Buch der Westmark und Bilbo Beutlins Erzählung „Hin und wieder zurück“, um Wiederholungen zu sparen.

 Als ich Gulda zum ersten Mal sah, war ich gerade zwei Jahre Schreiber in König Elessars Diensten – und wäre vor Schreck bald in Ohnmacht gefallen. Doch ich wurde ganz schnell eines Besseren belehrt und das war so:

 

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Bekanntermaßen schufen die Zwerge, die unter Führung Gimli Glóinssohns seit dem Ringkrieg in Aglarond wohnen, den Glitzernden Grotten hinter Helms Klamm, aus Mithril das neue Stadttor von Minas Tirith. Das alte Tor hatte ja der Hexenkönig während der Belagerung von Minas Tirith zerstört. Dieses Tor wird in stählernen Angeln gehalten, die wie das Tor neu geschaffen wurden. Doch die Mauern, in denen die Angeln verankert sind, die sind alt, sehr alt, denn die Mauern waren bei der Zerstörung des Tors nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, jedenfalls nicht äußerlich erkennbar. So wurde seinerzeit nur das Tor selbst ersetzt. Das war vor gut hundert Jahren, gleich nach dem Ende des Ringkriegs.

 Nun, Frost und Hitze von hundert Jahren hatten der damals nicht sichtbar angeschlagenen Mauer nun doch den Rest gegeben. Und was soll ich Euch sagen? Eines schönen Tages im Jahr 100 V.Z. gab es des Mittags einen fürchterlichen Krach und der nördliche Torflügel des Haupttores von Minas Tirith hatte Schlagseite! Das heißt – nicht nur Schlagseite; die oberen beiden Angeln waren buchstäblich ohne Feindeinwirkung aus dem Mauerwerk gebrochen, die beiden unteren Angeln waren völlig verdreht. Zum Glück hatte es keine Toten oder Verletzten gegeben, aber die Situation als solche war übel genug. (Dass das Tor überhaupt aus der Mauer fallen konnte, war zudem eine Folge des Friedens unter König Elessar. Seit er nämlich König ist, bleibt das Stadttor von Minas Tirith von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang sperrangelweit offen und wird nur während der Dunkelheit überhaupt geschlossen.) Nun aber ließ sich der nördliche Torflügel gar nicht mehr bewegen und bedurfte ebenso dringend der Reparatur wie die geborstene Mauer selbst.

 Schon die Wiederherstellung der Mauer war angesichts der Größe der verwendeten Steine für die Menschen hier kein leichtes Unterfangen. Beim Tor war es schier unmöglich, es nur in eine vertretbare Position zu bringen. Mithril ist ein unglaublich hartes und widerstandsfähiges Material, wenngleich es doch viel leichter ist als Eisen oder Stahl. Doch ein Stadttor von gut zwanzig Fuß Höhe stellt doch vor arge Probleme, wenn man es aufrichten muss. Aglarond ist weit und in Minas Tirith gab es keine geeigneten Geräte, um das Stadttor wieder zu richten.

 König Elessar sandte Boten zu Gimli Glóinssohn, kaum dass er von dem Schaden erfahren hatte und bat um umgehende Instandsetzung durch erfahrene Zwerge. Aber es war klar, dass die Zwerge frühestens zwei Wochen später zur Stelle sein konnten. So lange konnte das Tor aber nicht schräg in den Angeln hängen bleiben. Also ließ der König das offen stehende Tor trotz der friedlichen Zeiten gut bewachen und forderte mich am nächsten Morgen auf, mein Pony zu satteln und mit ihm zum Klempner zu reiten, wie er sagte. Ich war gespannt, wer außer den Zwergen von Aglarond ein zwanzig Fuß hohes und zehn Fuß breites Stadttor wieder aufrichten konnte.

 Wir ritten also bei Sonnenaufgang des folgenden Tages zu zweit (nein, er hat wirklich keine Leibgarde mitgenommen, trotz gewisser, böser Erfahrungen einige Jahre nach seiner Krönung!) nach Osten in Richtung Schattengebirge, überquerten den Anduin in Osgiliath und erreichten gegen Mittag Minas Morgul – oder das, was davon noch übrig war. Nach dem Ringkrieg hatte Elessar ja die vollständige Zerstörung des einst vom Hexenkönig und seinen Nazgûl beherrschten Ortes angeordnet. Die unheimliche Ruinenstadt trieb mir einen frösteligen Schauer nach dem anderen über den Rücken, aber meinen König schien das alles unberührt zu lassen. Als wir mitten in der Stadt standen, rief Elessar:

„Gulda! Wo steckst du?“

Ich hörte ein Trampeln, als ob die Erde bebte – und dann tauchte dieser Troll auf!

„Aah! Ein Troll! Rettet Euch!“, schrie ich auf.

„Unnötig“, grinste Elessar. „ Wegen Gulda sind wir ja hier. Hallo, Gulda!“

„Oh, du bist es, Aragorn! Wo brennt’s denn?“, fragte Gulda. Es klang etwas kehlig, aber doch klar verständlich. Dann fiel sein Blick auf mich und ich wäre am liebsten im Erdboden verschwunden.

„Hoppla, was bist du denn für einer?“, fragte der Troll und beugte sich zu mir herunter.

„Das ist mein Schreiber, Gulda. Er heißt Maggaraf und ist ein Hobbit. Maggaraf, das ist Gulda. Er ist ein Höhlentroll.“

„Guten Tag, Herr Troll“, piepste ich. Gulda lachte dröhnend.

„Hallo, Herr Hobbit! Sag’ einfach Gulda zu mir“, kicherte er und wandte sich dann wieder an Elessar:

„Was kann ich für dich tun, Aragorn?“

„Das Stadttor von Minas Tirith hängt schief. Könntest du es notdürftig richten, bis die Zwerge es richtig reparieren?“

„Klar. Komme gleich.“

Der Troll drehte sich um, verschwand kurz und kam dann mit einem großen Fellüberwurf bekleidet wieder zurück.

„Ich geh’ nicht gern unordentlich angezogen in die Stadt“, sagte Gulda zu mir gewandt. Ich nickte nur.

„Und? Wie kommst du voran, Gulda?“, fragte der König. Es klang sehr interessiert.

„Den Turm hab’ ich fast fertig. Du wirst sehen: Bald steht hier kein Stein mehr auf dem anderen“, erwiderte Gulda mit einem kehligen Kichern.

„Äh, Herr, was macht Gulda denn in Minas Morgul?“ erkundigte ich mich. Elessar lächelte freundlich.

„Gulda reißt Minas Morgul ab. Diese Mauern sind in gut tausend Jahren so mit Saurons Schwärze durchsetzt, dass Menschen hier nicht mehr leben können. Deshalb wird es abgetragen. Lange Zeit haben unsere Arbeiter das versucht, aber die meisten sind davon nur krank geworden. Selbst Elben haben mit dem Schwarzen Anhauch zu kämpfen, der hier immer noch die Welt verpestet. Da habe ich Gulda um Hilfe gebeten“, erklärte mein König. Gulda grinste breit, wie es nur ein Troll kann.

„Ist mir ein Vergnügen, Aragorn. Genauso gern habe ich das Morannon, das Schwarze Tor auseinander genommen“, sagte er.

„Und warum macht dir das Freude, Gulda?“ fragte ich. Der riesige Kopf des Trolls wandte sich mir zu. Er hatte im Verhältnis zur Größe des Kopfes sehr kleine Augen, was ihn nicht gerade zu einer Schönheit machte. Die schuppige, grüne Haut erinnerte mich eher an die Drachen aus den Märchen meiner Kindheit im Auenland als an ein zweibeiniges Wesen.

„Ist meine Art, Saurons Schwärze loszuwerden. Lange hat er mich geknechtet. Die meisten von meinem Volk sind leider so stumpfsinnig, dass sie nicht einmal gemerkt haben, wie der alte Maia uns beschis… äh, entschuldige, betrogen hat. Wenn Aragorn nicht gewesen wäre, wär’s mit mir aber auch nicht weit her“, erwiderte Gulda.

„Oh, was habt Ihr gemacht, Herr?“, fragte ich. Elessar schüttelte unwillig den Kopf und trieb sein Pferd an.

„Lass’ dir das am besten von Gulda erzählen, Maggaraf“, wehrte er ab. Gulda lachte schallend.

„Echt Aragorn! Frag’ ihn nie, was er leistet, Maggaraf! Er tut immer so, als wäre er ein wandelnder Fehler, aber denk’ dir nichts dabei“, kicherte der Troll.

„Du redest von meinem König!“, erlaubte ich mir eine Zurechtweisung. Gulda lachte noch lauter, so dass ich schon Befürchtungen hatte, es würde sich gleiche eine Steinlawine aus den Bergen lösen.

„Hahaha! Unser König, lieber Maggaraf! Ich habe ihm Treue geschworen – nur schon viel früher als alle anderen.“

„So?“, hakte ich, nun mutig geworden, nach. Gulda sah mich an, kniff ein Auge zu und hielt mein Pony am Schweif fest.

„He? Was soll das?“, gurgelte ich, meinen Übermut prompt bereuend.

„Was hältst du davon, wenn ich dich und deinen vierbeinigen Untersatz trage? Herr Aragorn hat’s eilig, wie ich sehe.“

Ehe ich dazu etwas sagen konnte, hatte Gulda mich in seinen Nacken befördert und mein Pony unter den Arm geklemmt. Mit langen Sätzen rannte er hinter Elessar her, der seinen rohirrischen Hengst – ein Nachkomme seines großartigen Brego übrigens – laufen ließ.

„Stehst du in Diensten des Königs, Gulda?“, fragte ich und hatte Glück, mir dabei nicht die Zunge abzubeißen, so wie der Troll rannte und eben in diesem Moment über den Pelennor-Graben sprang.

„Nicht direkt, nicht so wie du, mein Freund. Aber wenn Aragorn mich um Hilfe bittet, sage ich nicht nein.“

„Bist du sein Freund?“

„Ja, das bin ich – oh je, das hängt ja wirklich völlig schief!“, entfuhr es dem Troll, als er das Stadttor erblickte. „Entschuldige, ich muss dich jetzt absetzen, Herr Hobbit“, sagte er dann, setzte mein Pony ab, das sich einmal kräftig schüttelte und setzte mich dann einfach in den Sattel, so wie die Kinder es mit ihren Puppen tun. Mit meinen drei Fuß Größe war ich für den Troll auch kaum mehr als eine Puppe. Gulda stapfte auf das Tor zu.

 Ich habe Bilder gesehen, die die Belagerung von Minas Tirith im Jahr 3019 D.Z. darstellen. Auf einem dieser Bilder ist ein Troll zu sehen – ähnlich wie Gulda – der eine der grausigen Belagerungsmaschinen gegen das Tor donnert. Und jetzt sah ich, wie dieser Troll, ein Freund meines Königs, den schiefen Torflügel hochhob, als wäre er nicht schwerer als einer der Folianten in unserer Bibliothek. Gulda winkte einem menschlichen Arbeiter und wies ihn an, das unterste Scharnier mit starken Stricken festzubinden. Das oberste Scharnier drehte er wieder halbwegs in die richtige Lage und ließ auch das festbinden, nachdem er mit einer Hand die losen Steine wieder in die richtige Position geschoben hatte – Steine, wohlgemerkt, die zehn Menschen nicht bewegen konnten! Dann schob er den Torflügel in die geschlossene Stellung und ließ ihn von beiden Seiten fest verkeilen. Nun konnte dieser Torflügel zwar nicht mehr geöffnet werden, aber das Tor war wieder zu benutzen und konnte auch wieder verschlossen werden.

„Gib mir Bescheid, wenn die Zwerge zum Reparieren kommen, damit ich ihnen das Tor halte“, sagte Gulda dann mit einem zufriedenen Grunzen zu Elessar.

„Danke für deine Hilfe, Gulda. Bleibst du noch zum Abendessen?“

Gulda lachte dröhnend.

„Wenn du zum Essen draußen bleiben willst, gern. In deine königliche Halle passe ich nun mal nicht hinein!“

Elessar lächelte, dass sein kurzgeschorener Bart sich sträubte.

„Kein Problem. Ich habe schon lange nicht mehr gepicknickt“, lachte er.

 Bald darauf waren Königin Arwen und die Kinder ebenfalls draußen auf dem Pelennor und speisten gemeinsam mit dem Troll Gulda unter freiem Himmel. Gilwen, Elessars jüngste Tochter, mag Gulda besonders gern. Sie war damals noch ein kleines Mädchen und war von „Onkel“ Gulda einfach nicht wegzubringen. Sie sitzt heute noch am liebsten in Guldas Nacken – und Gulda mag das ebenfalls, wie ich seit jenem Tag weiß. Als Gulda sich dann am Abend buchstäblich „trollte“, hatten Elessar und Arwen große Mühe, die Tränen ihrer kleinen Tochter zu trocknen. Weil Gilwen den Troll so belagerte, hatte ich leider keine Gelegenheit, mir von ihm erzählen zu lassen, woher er Elessar kannte und weshalb sie so gute Freunde waren.

 Diese Gelegenheit ergab sich zwei Wochen später, als Elessar mich bat, Gulda über die bevorstehende Ankunft der Zwerge in Kenntnis zu setzen. Ich traf ihn schon in Osgiliath, denn Gulda hatte ein gutes Gedächtnis und hatte den voraussichtlichen Reparaturtermin nicht vergessen.

„Hallo, Herr Gulda!“, rief ich schon von weitem, damit er mich nicht versehentlich platt trat.

„Ah, Herr Maggaraf!“ erwiderte der Troll und machte eine artige Verbeugung. „Mae govannen, Maggaraf o Periannath![1]“ grüßte er dann in vollendetem Sindarin.

Mae govannen, Gulda o Torogrim![2]” erwiderte ich und machte zu Pony meinen Kratzfuß. Gulda lachte schallend.

„Ihr Halblinge seid schon ein nettes Völkchen“, kicherte er.

„Kennst du das Auenland?“, fragte ich.

„Wie sollte ich? Aragorn hat bestimmt, dass außer euch niemand das Auenland betreten darf – es sei denn, ihr selbst lasst den Fremden als Besucher ein. Als Aragorn noch als Waldläufer das Auenland bewachte, traute sich von uns Trollen keiner in die Nähe von Bree, schon gar nicht darüber hinaus.“

Ich stutzte. Mein König hatte mir durchaus von Ärger mit Trollen im Alten Wald erzählt.

„So?“, fragte ich.

„Nun, das hatte auch praktische Gründe. Sieh mal, wir Höhlentrolle lebten damals hauptsächlich im Nebelgebirge. Vom Nebelgebirge bis nach Bree ist es weit – mehrere Tagesreisen. Wir vertrugen ja keine Sonne. In einer Nacht hätten wir es gar nicht bis dorthin geschafft“, erklärte der Troll. Mir wurde plötzlich klar, dass es heller Vormittag war – und dass Licht diesem Troll offensichtlich nichts anhaben konnte.

„Äh, Gulda, warum kannst du dich denn bei Tageslicht bewegen, wenn ihr Trolle kein Licht vertragt?“

Gulda sah mich einen Moment lang an.

„Sieh mal, genau das ist der Grund, weshalb ich Aragorns Freund bin. Er hat mich nämlich von diesem Fluch befreit.“

„Und wie kam es dazu?“, fragte ich in meiner hobbitischen Neugier.

„Also, das war so …“

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Es war ein Herbsttag im Jahr 3001 D.Z. gewesen. Das Wetter im Nebelgebirge machte dem Namen seiner Berge alle Ehre und halbdunkel war es auch. Gulda suchte vor einem Platzregen Schutz und kam in eine Höhle, die er nur ungern betrat. Vor dieser Höhle nämlich erinnerten ihn drei versteinerte Trolle (jene drei, die Bilbo Beutlin und die Zwerge hatten verspeisen wollen) an den Fluch der Dunkelheit. Ein Höhlentroll, der mit natürlichem Sonnenlicht in Berührung kam, versteinerte unweigerlich. Doch an diesem Herbstabend musste er schnell unterschlüpfen, um von den Regenmassen nicht weggespült zu werden. Umso erschrockener war der Troll, dass die Höhle bereits besetzt war – auch noch durch einen Menschen! Gulda hatte vor Menschen Angst, weil die ohne lange zu fragen sofort mit Schwertern oder gar Bogen auf ihn losgingen. Mensch und Troll sahen sich verstört an, der Mensch zog schon sein Schwert – und dann kam das Erdbeben, ein unverkennbarer Vorbote der wachsenden Finsternis aus dem Osten. Ein Erdstoß erschütterte die Höhle und brachte Teile der Decke zum Einsturz. Große Felsbrocken stürzten herab und begruben den Menschen unter sich. Der Mensch hatte zwar nur Schrammen abbekommen, aber die Felsbrocken klemmten ihn ein, so dass er sich kaum noch bewegen konnte. Gulda hockte sich vor den Steintrümmern hin und begutachtete den Menschen, der verzweifelt mit den für ihn viel zu schweren Trümmerbrocken rang. Noch ein Nachbeben – und ein weiterer Trümmerbrocken fiel aus der Höhlendecke. Er hätte den Menschen erschlagen, hätte der Troll ihn nicht vorher gefangen.

„Keine Chance“, murmelte der Mensch schließlich resigniert. „Die sind einfach zu schwer.“

„Und wenn du mich um Hilfe bittest?“, bot der Troll an. Der Mensch glaubte, nicht richtig gehört zu haben.

„Wie?“, fragt er.

Bitte heißt das“, korrigierte der Troll kühl. „Du bittest nicht gern um Hilfe, was?“

„Es wäre nett von dir, wenn du mir helfen würdest“, erwiderte der Mensch.

„Klingt schon besser“, sagte Gulda und nahm die Steine weg, die den Menschen am Boden festnagelten.

„Ich danke dir, Troll“, sagte der Mensch und es klang ehrlich. „Hast du auch einen Namen?“, erkundigte er sich dann.

„Ich bin Gulda. Ich bin ein Höhlentroll. Und wer und was bist du?“

„Ich bin Aragorn und ich bin ein Mensch“, stellte der andere sich vor.

„Aha. Und was suchst du in meiner Höhle?“, fragte Gulda weiter.

„Ich wollte hier schlafen“, antwortete Aragorn.

„Sieh an! In meiner Höhle?“, bemerkte der Troll.

„Dein Name stand nicht an der Tür“, entgegnete Aragorn. „Schon oft habe ich hier genächtigt, aber dich habe ich hier noch nie gesehen.“

„Dann meinst du, es sei deine Höhle?“

„Sie gehört mir nicht. Ich habe kein Zuhause. Ich lebe im Wald“, versetzte der Mensch.

„Dann bist du einer der Waldläufer“, stellte Gulda fest. Aragorn nickte.

„Ihr Waldläufer seid mir ein bisschen schnell mit dem Schwert! Deinen Brüdern bin ich heute nur knapp entwischt. Sag’ mir einen Grund, warum ich dich nicht verspeisen sollte!“, grollte Gulda.

„Dann hättest du mich besser unter dem Steinhaufen gelassen!“, erwiderte Aragorn und griff nach seinem Schwert. Gulda hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf.

„Lass’ es, Dúnadan. Wenn du keinen Grund weißt, weshalb ich dich nicht fressen sollte, dann will ich ihn dir sagen: Ich mag zum Beispiel kein Menschenfleisch“, sagte er. „Ich habe dir geholfen, Mensch. Bist du bereit, auch mir zu helfen?“, fragte Gulda, der vor dem, der Mittelerde knechtete, noch mehr Angst hatte als vor dem Menschen, der ihm mit seinem Bidenhander durchaus gefährlich werden konnte. Aragorn nahm die Hand wieder vom Schwert. In den Augen dieses Trolls fehlte etwas, was er sonst an den Trollen Mittelerdes kannte: Der unauslöschliche Hass auf Menschen, Elben, Zwerge und sonstige Vertreter der Freien Völker Mittelerdes.

„Du hast mir das Leben gerettet, Gulda. Dafür schulde ich dir Dank. Was möchtest du, das ich für dich tue?“, erwiderte Aragorn und riskierte es, sich auf einen Stein gegenüber dem Troll hinzusetzen.

„Hilf mir, dass ich von Sauron freikomme“, bat Gulda.

„Wenn du mir sagst, wie er dich fesselt, will ich sehen, ob ich diese Fessel lösen kann“, versprach Aragorn.

„Man sagt, es gäbe bei den Menschen große Heiler. Und einen soll es geben, der allein in seinen Händen Heilkraft hat. Kennst du ihn?“, fragte der Troll und setzte sich auf einen anderen Stein.

„Diese Heilkunst kann Krankheiten und Wunden heilen. Aber ich wüsste nicht, wie sie die Fessel eines Maia sprengen sollte“, wunderte sich Aragorn.

„Wenn du jemanden kennst, der heilen kann, dann bring’ mich zu ihm oder bring’ ihn her. Gulda ist nicht undankbar.“

„Vielleicht kenne ich jemanden, der das kann. Aber sag’ mir, worin deine Krankheit besteht, wenn wir diese Fessel einmal so nennen wollen.“

Gulda stütze den mächtigen Kopf in die Hände.

„Ich bin an die Nacht gefesselt. Berührt mich die Sonne, werde ich zu Stein. Das war nicht immer so. Früher konnte ich auch die helle Sonne genießen – wie alle Trolle. Aber dann kam die Dunkelheit, als Morgoth uns betörte und uns seinem Diener Sauron als Unterdiener gab. Ich habe mich lange gewehrt, aber Sauron merkte, dass ich unwillig war. Ich habe sogar schon im Thangorodrim geschmachtet! Ach, das ist schon so lange her! Schon so lange bin ich ein Wesen der Nacht, aber ich mag die Dunkelheit nicht“, seufzte der Troll. Sein Blick fiel auf den Ring, den Aragorn am linken Zeigefinger trug.

„Oh, ich habe nie erwartet, diesen Ring jemals wieder zu sehen“, sagte er verblüfft.

„Du kennst ihn?“

„Ja. Einst gehörte er Finrod Felagund, der mich die Sprachen der Menschen und der Elben lehrte. Finrod schenkte ihn Barahir, einem Menschen und Elbenfreund und von Barahir erbte ihn sein Sohn Beren, der Morgoth die Silmarilli nehmen wollte. Fast wär’s ihm gelungen. Bist du ein Nachfahre Barahirs?“

Aragorn nickte.

„Über viele Generationen der Menschen. Du musst sehr alt sein, wenn du Beren noch höchstpersönlich gekannt hast.“

„Eigentlich kannte ich Finrod Felagund, der für Beren sein Leben gab. Ich konnte den Wolf leider nicht bändigen, der den armen Finrod verschlang“, erklärte Gulda.

„Du sprichst also elbisch. Kannst du Sindarin?“

„Finrod lehrte mich die hochelbische Sprache. Ihr nennt sie wohl Quenya. Aber bei den Sindar habe ich gelauscht und etwas von ihrer Sprache gelernt.“

„Was heißt: Tolo dan nan galad?“, fragte Aragorn.

„Komm zurück zum Licht“, antwortete Gulda. Aragorn lächelte.

Dartho sí ned i gaew, Gulda.[3] Ich bin gleich wieder zurück.“

„Was hast du vor, Herr Mensch?“, fragte Gulda besorgt.

„Ich möchte etwas von einer heilenden Pflanze holen, die hier in der Nähe wächst“, antwortete der Dúnadan.

„Wie nennst du diese Pflanze?“

„Athelas – auch Königskraut.“

„Nie gehört. Wie sieht sie aus?“

„Oh, sie blüht mit kleinen, weißen Blüten, die sechs Blütenblätter haben. Sie hat längliche, glatte Blätter, die sehr aromatisch riechen, wenn man sie reibt.“

„Und wogegen hilft diese Pflanze?“

„Gegen viele Krankheiten – auch gegen den Schwarzen Anhauch oder das Morgulfieber“, erwiderte der Waldläufer.

„Und du holst nicht deine Dúnedain?“, fragte der Troll misstrauisch.

„Gulda, du hast mir deine Geschichte erzählt. Ich glaube sie dir. Du kennst meinen Ring. Wenn du Finrod vertraut hast, wenn du Barahir und Beren vertraut hast, die meine Vorfahren waren, dann vertrau’ auch mir – so wie ich dir vertrauen will.“

 Es dauerte nicht lange, bis Aragorn mit einem Büschel Athelas-Blätter zurückkehrte. Er rieb einige Blätter und ließ den Troll sich hinlegen, rieb dessen Schläfen mit dem Athelas ein.

„Gulda, im Aragorn, Arathornion, hîl en Isildur. Telin le thaed. Lasto beth nîn: Tolo dan nan galad![4]

Gulda fühlte eine Frische wie nie zuvor in seinem langen Trollleben. Als Aragorn ihn berührte, hatte er das Gefühl, als ob ein dunkles Tuch von ihm genommen wurde. Er sehnte den Morgen herbei. Schließlich ging die Sonne strahlend hell auf. Gulda riskierte es, vorsichtig den kleinen Finger in den Sonnenstrahl zu strecken, der in den Höhleneingang fiel. Der Finger blieb Fleisch und wurde nicht zu Stein. Noch zögernd wagte er sich immer weiter in das helle Licht des Morgens vor – und er wurde nicht zu Stein! Lauthals jubelnd tanzte der Troll vor der Höhle und einem ebenso freundlich wie bescheiden lächelnden Menschen.

„Dúnadan, wie kann ich dir das je vergelten?“, fragte er, als er sich endlich beruhigt hatte.

„Für meinen Teil hast du das bereits getan. Ich hätte das Erdbeben heute Nacht ohne dein Eingreifen nicht überlebt“, wehrte Aragorn ab.

„Aber das waren doch nur klitzekleine Steinchen, die ich weggeräumt habe!“, widersprach der Troll. „Du hast so viel mehr für mich getan.“

Doch Aragorn schüttelte den Kopf.

„Lass’ es gut sein, Gulda.“

„Doch, du hast noch etwas gut bei mir“, beharrte der Troll.

„Nun, vielleicht ergibt sich einmal die Gelegenheit“, lächelte der Dúnadan. Vorerst trennten sich ihre Wege wieder, aber Troll und Mensch hatten jeweils einen Freund gefunden.

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Gulda kam mit mir nach Minas Tirith und stellte sich als Torhalter in den Dienst der Zwerge. Die geschickten Schmiedemeister von Aglarond hatten das beschädigte Tor auch in wenigen Stunden wieder hergerichtet. Gulda mauerte noch die Angeln wieder richtig ein, dann war seine Tätigkeit bei der Reparatur beendet. Doch ich konnte Gulda nicht gehen lassen, ohne ihm noch eine bohrende Frage zu stellen, die sich mir in den vergangenen Tagen häufiger gestellt hatte: Warum war er im Ringkrieg schlicht untergetaucht? Nie zuvor hatte es Hinweise darauf gegeben, dass ein Troll etwas anderes sein konnte, als ein Feind der Freien Völker Mittelerdes – jedenfalls für mich unerfahrenen Hobbit-Schreiber. Die Bauleute in Minas Tirith kannten den hilfsbereiten Troll offensichtlich schon länger, ebenso die königliche Familie.

„Weshalb ich nicht bei den Ringgefährten war?“, fragte Gulda zurück. „Ganz einfach: Ich habe darüber keine Nachricht erhalten. Aragorn konnte nicht genau wissen, was Gandalf bezweckte, als der ihn bat, in Bree auf den Ringträger zu warten. Und als er die Hobbits …“

Gulda stockte und sah mich dann an.

„Hoppla, da hätte ich aber wissen müssen, was du für einer bist! Aragorn hat mir doch schon oft von euch kleinen Leuten erzählt.“

„Wir fallen halt nicht gern auf. Außerdem übersieht man uns leicht, was uns auch gar nicht so unrecht ist“, erwiderte ich. Gulda lachte wieder in seiner röhrenden Art.

„Ja, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, dass Aragorn ja selbst nicht wusste, was da auf ihn zukam. Als ich Meister Elrond traf und ihn fragte, ob er wisse, wo Aragorn sei, den ich schon mehr als ein Jahr nicht mehr in Eriador gesehen hatte, erzählte er mir von der Ringfahrt und dass sie gut ausgegangen war. Hihihi, ich bin sogar zur Hochzeit zu spät gekommen. Aber das auch nur, weil ich schon lange unterwegs war, um Aragorn zu suchen und seine Einladung zu spät bekam. Als ich dann hörte, was alles auf der Ringfahrt passiert war, habe ich ihm gesagt, dass das mit mir im Verein bestimmt nicht geschehen wäre. Aragorn konnte mir nur Recht geben, aber das war’s halt schon geschehen.“

„Oh, du kennst auch Meister Elrond“?

„Oh ja, Meister Elrond, seine Söhne Elladan und Elrohir und natürlich seine schöne Tochter, unsere Königin.“

„Und seit wann kennst du die?“, bohrte ich weiter.

„Einige Wochen, nachdem Aragorn mich vom Fluch der Nacht befreit hatte, sind sie mir begegnet …“

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 In Bruchtal wurden Vorbereitungen für ein großes Hochzeitsfest getroffen. Eboriel, ein Waldelb aus dem Düsterwald – korrekter: Eboriel der Jüngere, ein Sohn von jenem Eboriel, der zu Legolas’ Truppe gehörte, die des Statthalters neues Geschirr eskortierte und dabei fiel (siehe „Gefährliche Fracht nach Minas Tirith“) – heiratete Gilsell, eine Elbin aus Elronds Haus. Elrond hatte zur Feier auch Elben aus dem Düsterwald und aus Lórien eingeladen, wo beide Hochzeiter Verwandte hatten. Elrond wusste, dass die Elben aus Lothlórien über den Caradhras-Pass kommen würden und hatte seine Söhne in Kenntnis der steten Gefahr dort mit dem Schutz des Passes beauftragt. Auch nach Aragorn hatte er geschickt, denn der Dúnadan kannte Eboriel und Gilsell gut und war mit beiden befreundet. Der Waldläufer hatte Elronds Nachricht in der Gegend von Annúminas erhalten und sich auch gleich auf den weiten Weg gemacht. Leider hatte Elronds Bote Aragorn erst spät gefunden, weshalb er die Einladung fast zu spät erhielt. Obendrein war Aragorn zu jener Zeit nicht beritten, weil ihm sein Pferd bei einem Kampf mit Orks erschlagen worden war und er noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich in Rohan ein neues Pferd zu suchen. Bei der Wetterspitze hatte er dann Gulda getroffen.

„Du hast es eilig, mein Freund“, bemerkte der Troll.

„Ja, ich bin zu einem Fest eingeladen und etwas spät dran“, erwiderte der abgehetzt wirkende Waldläufer.

„Wohin willst du?“

„Nach Bruchtal.“

„Soll ich dich mitnehmen? Ich bin auf dem Weg in die nette, kleine Höhle unterhalb von Bruchtal.“

Aragorn hatte nichts dagegen, weil er es ohne Pferd bis zum eigentlichen Termin nicht mehr schaffen konnte. Gulda beförderte ihn in seinen Nacken und rannte los, als wäre Sauron persönlich hinter ihm her. Am Bruinen, der Lautwasser, deren andere Seite schon zu Bruchtal gehörte, stoppte Gulda so unvermittelt, dass Aragorn ins Rutschen geriet und Gulda ihn nur knapp festhalten konnte.

Torog!“, hörte Aragorn einen hellen Warnruf in elbischer Sprache.

Im Aragorn o Dúnedain!“, rief er. „Gulda o Torogrim no mellon nîn![5]

Völlig verblüffte Elben aus dem Düsterwald unter Führung von Legolas zeigten sich.

„Bitte, steckt die Pfeile wieder weg!“, bat Aragorn, als er vier gespannte Bogen auf sich und den Troll gerichtet sah.

„Ich seh’ nicht recht!“, wunderte sich Legolas. „Du und ein Troll? Ich habe Halluzinationen, oder?“

„Hast du nicht, Legolas. Gulda, setz’ mich bitte ab.“

Der Troll nahm den Dúnadan aus seinem Nacken und stellte ihn auf die Füße.

„Das ist Gulda. Gulda, das ist mein Freund Legolas aus dem Düsterwald. Er ist Thranduils Sohn.“

Gulda verbeugte sich höflich.

Mae govannen, Legolas Thranduilion!“, grüßte er. Legolas klappte die Kinnlade herunter.

„Ein Troll der spricht, noch dazu meine Sprache? Bist du ein verzauberter Elb?“

„Nein, Herr Legolas, ich bin ein Höhlentroll, den dein Freund Aragorn vom Fluch der Nacht befreien konnte.“

Legolas musterte den Troll eingehend.

„Trolle kenne ich nur als große Gefahr“, wandte der Elb ein.

„Mir sind Elben auch nur als Gefahr bekannt, Herr Legolas. Doch du siehst, es gibt mindestens einen Troll, der sich bemüht, mit den Freien Völkern Mittelerdes auszukommen“, erwiderte Gulda. Legolas steckte seinen Pfeil wieder in den Köcher und bedeuteten seinen Begleitern, das ebenfalls zu tun.

„Mein Vater erzählte mir vor langer Zeit die Legende von einem aufsässigen Troll, der es wagte, Morgoth zu trotzen“, sagte er.

„Das ist keine Legende, denn du siehst ihn vor dir. Morgoth lochte mich im Thangorodrim ein. Ich saß dort zur gleichen Zeit wie Finrod Felagund und Beren. Wäre ich etwas schneller gewesen, hätte ich den Wolf wohl noch erwischt, der Finrod verschlang.“

„Was ist mit den Silmarilli geschehen?“, fragte Legolas.

„Die hatte Morgoth in seiner eisernen Krone. Einen schnitt Beren ihm heraus, zwei blieben darin. Carcharoth biss Beren die Hand mit dem Silmaril darin ab“, erklärte Gulda. Legolas war zufrieden und verbeugte sich.

„Gulda, ich wünschte, es gäbe mehr Trolle wie dich. Vergib mir, dass wir dich bedroht haben.“

Gulda erwiderte die höfliche Verbeugung.

Ú-moe edaved, Legolas[6]“ sagte er.

 In diesem Moment kamen Glorfindel und Elrond mit einigen Begleitern hinzu und erstarrten vor Schreck.

„Aragorn – ein Troll!“, entfuhr es Elrond.

„Ja, Meister Elrond. Das ist Gulda, vielleicht der einzige Troll, der es je gewagt hat, sich Morgoth zu widersetzen. Dank Eurer Anleitung konnte ich ihn vom Fluch der Nacht befreien.“

„Menschen machen Fehler, Aragorn“, warnte Elrond eingedenk der Unterlassungssünde Isildurs.

„Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Doch mach’ dir die Mühe, Gulda etwas näher kennen zu lernen. Dann urteile neu, ob du ihn für einen Feind hältst“, erwiderte Aragorn. Elrond sah den grünschuppigen Troll eine Weile an.

Mae govannen, Elrond Earendilion![7]“, grüßte der Troll.

„Elbereth Gilthoniel!“, entfuhr es Elrond. „Wer hat dich meine Sprache gelehrt?“

„Finrod Felagund war so freundlich, Herr Elrond“, entgegnete der Troll.

„Finrod? Bist du …?“

„… der Troll, der es wagte, sich mit Morgoth persönlich anzulegen? Genau der bin ich.“

Elrond lächelte.

„Wie sagte meine Schwiegermutter einst so treffend: Geschichte wurde Legende, Legende wurde Mythos, weil kaum noch jemand lebt, der sich erinnert.“

 Ein völlig aufgelöster, erschöpfter Elb stolperte über die Bruinenfurt.

„Meister Elrond! Rasch! Am Pass hat es ein Unglück gegeben!“, keuchte er. Aragorn und Legolas fingen den strauchelnden Elben gerade noch auf. Es war Haldir, der mit den Elben aus Lórien erwartet wurde. Elrond zuckte herum.

„Was ist geschehen?“, fragte er erschrocken.

„Eine Steinlawine hat den Pass verschüttet. Die Reisegesellschaft mit Gilsells Verwandten steckt fest. Es hat auch Verletzte gegeben!“, hustete Haldir. Dann sah er den Troll.

„O Elbereth Gilthoniel! Meister: ein Troll!“

Haldir, sonst nicht gerade schreckhaft, fiel schlicht in Ohnmacht.

„Steinlawine? Komm, Gulda, es gibt Arbeit!“, rief Aragorn. Zum blanken Staunen der Elben sprang er dem Troll in den Nacken wie auf ein Pferd und wies Gulda den Weg zum Caradhras-Pass. Glorfindel, Elronds Söhne und Legolas kamen mit den langen Sätzen des Trolls kaum mit.

 Dort am Pass – etwa auf der Höhe, auf der die Ringgefährten später aufgeben mussten, weil Saruman Lawinen aus Stein und Eis regnen ließ – hatte eine Felslawine die schmale Passstraße völlig verschüttet. Gulda sah den Steinhaufen und fing schon an, die Brocken aus dem Weg zu räumen. Aragorn sah hinab in die tiefe Schlucht neben der Straße. Als seine scharfen Augen niemanden im Tal fanden, der gefährdet werden konnte, warf der Troll auf Aragorns Zeichen die Felsbrocken in die Schlucht hinunter. Zwei Stunden später hatte Gulda den Weg freigelegt und drei tote und vier verletzte Elben bergen können. Während Aragorn sich schon um die Verletzten bemühte, zerriss ein spitzer Schrei die klare Bergluft. Die Kutsche, die hinter dem Steinwall gestanden hatte, geriet ins Rutschen. Gulda griff blitzschnell zu und bekam gerade noch die Deichsel zu fassen und konnte die

Kutsche vorerst festhalten. Doch das Pferd, das hinten an der Kutsche angebunden war, geriet bei dem Anblick des grünhäutigen Trolls in Panik und zerrte mit aller Kraft verzweifelt an dem kräftigen Strick aus grauem Elbenseil in die andere Richtung – nur weg von diesem Monster! Das Tier zerrte derart, dass Gulda die Deichsel langsam, aber sicher entglitt. Aragorn erkannte die Gefahr, warf ein Seil über einen aus dem Fels ragenden Baum, zog es straff und schwang sich über die Kutsche hinweg auf die andere Seite, kam neben dem Pferd auf und griff beherzt in das Halfter und mühte sich redlich, das panische Tier zu beruhigen. Nur langsam kam das Pferd zur Ruhe. Immerhin konnte Gulda dadurch die Deichsel festhalten und die Kalesche stabilisieren.

 Inzwischen waren auch die Elben den Pass heraufgekommen. Elben sind leichtfüßige Wesen, aber die Sorge um die Verwandten und Freunde, die auf dem Pass in Gefahr waren, strengte die Bruchtaler Elben doch mehr als gewöhnlich an. Allein Legolas keuchte nicht. Der flinke, behände Waldelb hatte seine Bruchtaler Brüder hinter sich gelassen und band jetzt Gulda die Langzügel der von den Felsen erschlagenen Pferde um, damit der Troll die Kutsche wegziehen konnte. Aragorn, Legolas, Elladan und Elrohir nahmen jeweils einen verletzten Elben huckepack und trugen sie vorsichtig den Passweg hinunter.

 Elrond, der inzwischen wieder zu sich gekommene Haldir und die übrigen Elben, die am Fuß des Passweges zurückgeblieben waren, empfingen die Rettungsmannschaft mit hellem Jubel.

„Gulda, die Elben Bruchtals und Lóriens stehen in deiner Schuld“, erklärte Elrond. „Wenn du möchtest, bist du uns ein willkommener Gast in Bruchtal“, lud er den Troll dann ein. Gulda kratzte sich verlegen.

„Wenn ich denn in dein Haus passe, Meister Elrond …“ sagte er.

***************************************************************************

„Und?“ fragte ich. „Hast du hineingepasst?“

Gulda lachte dröhnend.

„Nein, nicht mal, wenn Meister Gandalf mich kleingezaubert hätte, wäre ich da ‘reingegangen. Dafür war es dann eine fröhliche Hochzeit unter freiem Himmel. Und, so wie ich gehört habe, war es die fröhlichste Hochzeit, die Bruchtal je gesehen hat. Und dann war ich zum unpassenden Zeitpunkt nicht da, als Meister Elrond mich zu seinem Rat rufen ließ. Ich hätte ihnen schon den Pass freigehalten, den Ringgefährten“, brummte der Troll.

Ja, manches wäre vielleicht anders verlaufen, wäre Gulda einer der Ringgefährten gewesen, aber da fehlte er – wohl nicht nur zu seinem eigenen Leidwesen …

Ende

[1] Sindarin: Willkommen, Maggaraf von den Halblingen

[2] Sindarin: Willkommen, Gulda vom Volk der Trolle

[3] Sindarin: Bleib hier in der Höhle, Gulda.“

[4] Sindarin: Ich bin Aragorn, Arathorns Sohn, Erbe des Isildur. Ich komme, um dir zu helfen. Höre auf meine Stimme: Komm zurück zum Licht!

[5] Sindarin: Ich bin Aragorn von den Dúnedain! Gulda vom Volk der Trolle ist mein Freund!

[6] Sindarin: Es ist nichts zu verzeihen, Legolas.

[7] Sindarin: Willkommen, Elrond, Earendils Sohn!

Kommentare:

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Gundula
info@becksys.de
79.229.213.126
Als Antwort auf Maethnibenis.

Hallo, Maethnibenis,

willkommen auf meiner Webseite und vielen Dank für die Anerkennung!

Schön, dass dir nicht nur die Geschichte gefällt, sondern auch die farbliche Absetzung der einzelnen Szenen.

LG

Gundula

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Maethnibenis
GW.Wessel@t-online.de
79.229.213.126
Eine wirklich nette Geschichte, die einen Troll mal anders präsentiert. Gute Idee!

Der Text ist hier auch deutlich besser zu lesen, als auf Fanfiktion.de, wo ich ihn schon mal gefunden habe. Besonders die unterschiedlichen Farben, die die Erzählebenen verdeutlichen, finde ich klasse!

Mach weiter so!

LG

Maethnibenis

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