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Der Major und der Marshal – Bodyguards – online

Updated: 20. Februar 2019

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Ab 12 Jahre

 

Prolog

Im September 1865 war in den USA der Schlachtenlärm des Bürgerkrieges verhallt, die allerletzten Landtruppen der geschlagenen Konföderierten Staaten hatten sich ergeben. Der Süden lag besiegt am Boden, weitgehend zerstört und verwüstet.

Allein ein einsames konföderiertes Kaperschiff, die Alabama, war vom Zusammenbruch der Konföderation und dem daraus resultierenden Kriegsende noch nicht informiert und brachte weiterhin Schiffe der Vereinigten Staaten auf – ein Einzelfall. Die Südstaatler waren durch die totale Niederlage viel zu geschockt, um nach den grausamen Verlusten an Menschenleben und den rüden Verwüstungen an landwirtschaftlichen Flächen durch Unionstruppen noch an eine Fortführung des Kampfes für ihre Unabhängigkeit zu denken. Zur Niederlage kam noch der materielle Verlust hinzu, denn die Weißen im Süden verloren zu einem guten Teil dreifach: Erstens hatte man ihnen durch die Sklavenbefreiung praktisch ihr Vermögen enteignet. Schließlich waren die schwarzen Sklaven nichts anderes als eine Kapitalanlage, buchstäblich arbeitendes Geld. Zweitens sollten sie für dieselbe Arbeit, die ihnen die Sklaven vor dem Krieg kostenlos gemacht hatten, nun zusätzlich bezahlen. Und drittens waren viele Plantagen und Stadthäuser zerstört, so dass für deren Instandsetzung hohe Summen investiert werden mussten, die ob der übrigen Vermögensverluste nicht ohne weiteres aufgebracht werden konnten.

Unklar blieb in den ersten Monaten nach dem Krieg, ob der Norden den Süden für den vom Zaun gebrochenen Streit noch weiter bluten lassen wollte. Wohl stammte Präsident Johnson selbst aus Tennessee, hatte aber die Sezession seines Heimatstaates und der anderen zehn Südstaaten immer scharf verurteilt. Außerdem stammte er aus bescheidenen Verhältnissen, was ihn nach Ansicht vieler Südstaatler für überzogene Neidreaktionen geradezu prädestinierte. Im Kongress war durch die Wahl eine komfortable Mehrheit für die radikalen Republikaner entstanden, die grobe Maßnahmen in den besiegten Staaten vehement befürworteten. Nach dem Willen vieler Kongressabgeordneter sollten Truppen der nun wiederhergestellten Union die elf abtrünnigen Staaten besetzen, um jede Regung von Widerstand gegen die neuen, unionstreuen Regierungen im Keim zu ersticken.

Zur Überraschung der geschlagenen Südstaaten erfüllte Johnson die lautstarken Forderungen nach harten Repressionen in der ehemaligen Konföderation aber nicht, sondern hielt sich an die noch von Präsident Lincoln geplante Versöhnungspolitik. In seiner Antrittsrede vom 4. März 1865 hatte Lincoln Gerechtigkeit für alle und Versöhnung der Kriegsgegner als seine künftige Politik umrissen und seinem Nachfolger als Erbe hinterlassen. Johnson interpretierte die Rede auf seine eigene Weise und beschränkte die Verfolgung der Konföderierten auf deren politische Köpfe und Leute, die mehr als zwanzigtausend Dollar ihr eigen nannten – wobei auch nicht ganz klar war, ob diese Summe für Vermögen vor oder nach dem Krieg galt, was durchaus ein himmelweiter Unterschied sein konnte. Wiederholt hatten Abgeordnete in der sitzungsfreien Zeit nach dem Krieg darauf hingewiesen, dass mit dem ersten Zusammentreten des Kongresses ein anderer Wind wehen würde – und dass sich dann auch der Präsident warm anziehen müsse. Der aber versuchte, bis zur ersten Sitzung am 4. Dezember 1865 Fakten zu schaffen, die nicht einfach rückgängig zu machen waren; jedenfalls nicht, ohne die Gefahr eines Wiederaufflammens des Krieges heraufzubeschwören – trotz aller Ressentiments gegen neues Blutvergießen auf beiden Seiten.

Die Folgen, die sein Handeln für sich selbst und auch für die Südstaaten haben konnte, ignorierte der Präsident. Stur wie ein Maulesel folgte er dem eingeschlagenen Pfad, auf keine Warnung und keinen Rat hörend. Ob seine Entscheidungen aber wirklich Bestand haben würden, das war nicht zu übersehen, weder für die wütend zeternden Kongressabgeordneten, die einstweilen nichts tun konnten, noch für die unter dem Damoklesschwert totaler Enteignung stehenden Südstaatler, schon gar nicht für den Präsidenten selbst.

Nachdem der Krieg nun beendet war, wurden aber nicht nur die Soldaten der besiegten Konföderation nicht mehr benötigt. Auch die größten Teile der Unionsarmee wurden aufgelöst und die Leute heimgeschickt. Für diejenigen, für die der Krieg die Chance zu schneller Karriere gewesen war, begann die große Lebenskrise, als sie feststellen mussten, dass ihre Generalsränge nur so genannte Brevet-Ränge waren, zeitlich begrenzte Dienstgrade, die nur für die Zeit der Existenz der von ihnen befehligten Freiwilligenverbände galten. Einer von denen, auf die dies zutraf, war Major-General George Armstrong Custer, ein Akademiekamerad von Robert Bennett, ebenfalls gerade sechsundzwanzig Jahre alt. Wie fast alle viel zu schnell beförderten Offiziere stutzte man ihn zurück. Custer fand sich als Lieutenant-Colonel in der verbliebenen Restarmee wieder – und hatte damit seine Probleme

Anderen, vor allem älteren Offizieren, die reguläre Truppen kommandiert hatten, bot man an, mit einem höheren Rang in Pension zu gehen oder mit einem niedrigeren Dienstgrad zu bleiben. Unter diese Regelung fielen Brigadier-General Frederick Bennett und Colonel Richard Craig. Frederick Bennett überlegte nicht lange. Er war neunundfünfzig Jahre alt, hatte ein lahmes Bein und fand, dass er sich lange genug mit Indianern und anderem Gesindel herumgeärgert hatte. Sein erster Diensttag als Major-General war denn auch sein letzter. Richard Craig hatte seine Armeezugehörigkeit ohnehin nur für die Zeit des Krieges als notwendig angesehen und nahm mit einiger Freude den Stern des Brigadier-Generals als pauschale Auszeichnung für seine Dienste entgegen.

Mit der Pensionierung von Richard Craig und Frederick Bennett und der Auflösung der zur Brigade gehörenden Freiwilligenverbände stellte sich zum einen in der 7th US-Cavalry nicht nur die Kommandeursfrage, sondern eher die Existenzfrage der Brigade selbst. Kriegsminister Stanton beantwortete sie auf die einfachste Weise: Er löste Brigade Bennett mitsamt der 7th US-Cavalry auf und erfüllte damit gleich eine von den Kongressabgeordneten diskutierte Sparmaßnahme.

Am 16. September 1865 verabschiedete der Präsident die Brigade Bennett in deren Heimatfort Donelson. Die Soldaten erhielten ihren ehrenvollen Abschied, alle bekamen die Medaille der Army of the Potomac. Ein letztes Mal paradierte die Truppe vor Präsident und Kriegsminister.

Robert Bennett, als Major des Stabes und Adjutant des Präsidenten anwesend, konnte seine Tränen genauso wenig unterdrücken wie seine Kameraden. Es war für sie alle ein trauriger Moment, als die Regimentsfahnen feierlich eingerollt wurden, um nie mehr unter freiem Himmel zu flattern – und das ausgerechnet an dem Tag, der für die 7th US-Cavalry so etwas wie ein Regimentsfeiertag war.

Genau drei Jahre zuvor war die 7th US-Cavalry zum Tagesgespräch der gesamten Army of the Potomac geworden, als es der C-Schwadron in der Schlacht am Antietam gelungen war, durch raffinierte Schutzbauten den linken Flügel der Armee zu stabilisieren und ein ganzes Infanteriebataillon durch die bloße Aushilfe von zwanzig Mann von eiligem Rückzug abzuhalten. Viele Männer waren damals gefallen, noch mehr verwundet worden, manche – wie Robert Bennett und Thomas Craig – hatten nur knapp überlebt. Schon zum damaligen Zeitpunkt hatte der Armeechef Frederick Bennett die Weisung erteilen wollen, das arg dezimierte Regiment, mindestens aber die praktisch nicht mehr existente C-Schwadron aufzulösen. Frederick hatte sich geweigert, das Regiment samt der C-Schwadron erhalten und wieder aufgefüllt und zu einer der erfolgreichsten und besten Einheiten der Armee gemacht. Nun existierte es nicht mehr.

In diesem, für sie alle einschneidenden Moment, konnten die recht hartgesottenen Männer der 7th US-Cavalry die Reaktion der Südstaatler begreifen, die vor knapp einem halben Jahr so geweint hatten.

 

Kapitel 1

Familienangelegenheiten

Im Gegensatz zu seinen früheren Kameraden hatte Robert einigermaßen planbare Zukunftsaussichten, wenn seine Aufgabe auch sehr direkt mit dem Amt des Präsidenten verknüpft war. Im Augenblick dachte er allerdings nicht daran, dass er seinen Job schon bald wieder verlieren könnte, nämlich dann, wenn Johnson bei den nächsten Wahlen gegen einen anderen Kandidaten verlieren würde – oder wenn der Kongress mit der Drohung durchkommen sollte, ihn nach einem Impeachment-Verfahren abzusetzen. Im Moment war Robert eher mit familiären Dingen beschäftigt. Susan erwartete ihr erstes Kind, und der berechnete Geburtstermin stand unmittelbar bevor. Der Spätsommer war heiß in diesem Jahr und Susan litt unter der Hitze. Ihre Mutter und ihre Tante waren nach Washington gekommen, um die junge Frau zu unterstützen und spazierten täglich mit ihr am Potomac entlang, wo es etwas frischer war als in der Stadt selbst.

Einige Tage später, es war der 25. September, rutschte Robert bei einem Arbeitstee des Präsidenten unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

„Sie sind geistesabwesend und unruhig, Major!“, rügte Präsident Johnson. „Sitzen Sie endlich still!“

Robert schrak zusammen.

„Entschuldigung, Mr. President. Ich mache mir nur Sorgen um meine Frau. Es ging ihr heute Morgen nicht sehr gut.“

Johnson sah Robert eine Weile an.

„Ich verstehe zwar, dass Sie in Sorge sind, aber nehmen Sie sich jetzt bitte zusammen, Major Bennett!“

Robert wusste, dass Johnson keine Disziplinlosigkeiten duldete. Wegen der Auflösung seines alten Regiments hatte es auch gewisse Missstimmung zwischen dem Präsidenten und seinem Adjutanten gegeben, doch waren solche Meinungsverschiedenheiten in der Regel von kurzer Dauer. Zum jetzigen Zeitpunkt störten sie allerdings.

„Ich werd’s versuchen, Mr. President“, versprach Robert mit dem Anflug eines Seufzens nervös und mühte sich, stillzusitzen. Es gelang ihm halbwegs, dafür wurden seine Fingernägel kürzer.

Schließlich hatte er die ihm unendlich lang erscheinende Konferenz überstanden und stürmte, gleich nachdem Johnson die Sitzung für beendet erklärt hatte, aus dem Raum. Minister Stanton sah ihm über den Brillenrand nach.

„Erstaunlich, wie nervös ein sonst so abgebrühter Soldat sein kann, wenn seine Frau ein Kind bekommt.“

General Grant, der Armeechef, paffte an seiner Zigarre.

„Ist mir genauso gegangen, als mein Sohn geboren wurde. Ich bin wie ein Löwe im Käfig herumgelaufen. Kennen Sie eigentlich Mrs. Bennett?“, fragte er Stanton. Der Minister schüttelte den Kopf.

„Schade, Mr. Stanton, da haben Sie was verpasst. Major Bennetts Frau ist ein echter Engel, außerdem mehr als nur hübsch – sogar im schwangeren Zustand. Wenn der Krieg noch etwas länger gewesen wäre, hätte ich Mrs. Bennett als nächsten Sanitätsoffizier* in den Stab geholt. Das Mädchen ist einfach einmalig. Wenn sich ein Mann um so eine Frau keine Sorgen macht, dann ist er aus Stein.“

 

Robert stürmte in seine Wohnung und wurde gleich von seinem Vater abgefangen.

„Halt, mein Junge!“, kommandierte er und hielt seinen Sohn am Ärmel fest.

„He, was soll das?“

„Komm, bleib’ hier. Die Geburt hat begonnen. Du störst jetzt nur“, erwiderte Frederick.

„Dad, lass mich zu meiner Frau!“, forderte Robert knurrend.

„Kommt nicht in Frage!“, versetzte der General a. D. „Ich habe von deiner Schwiegermutter den strikten Befehl, dich da nicht ‘rein zu lassen. Ich bin immer noch so viel Soldat, dass ich solche Befehle befolge. Du kannst Susan doch nicht helfen.“

„Ich habe ihr die Suppe eingebrockt!“, widersprach Robert. „Schließlich habe ich das Kind gezeugt!“

Frederick grinste, dass sich der sauber gestutzte weiße Bart sträubte.

„Komm, mein Sohn, häng’ den verdammten Säbel aus, zieh’ dir was Bequemes an und bleib’ hier im Wohnzimmer. Deine Frau hat Hilfe durch ihre Mutter und ihre Tante.“

„Ich wünschte, Lucas würde noch leben. Mir wäre sehr viel wohler, wenn er hier wäre und sich um Susan kümmern könnte“, seufzte Robert.

„Vielleicht ist dir entgangen, dass Louisa Craig Hebamme ist – trotz der Tatsache, dass sie Nonne ist. Und ‘ne Hebamme ist jetzt eher gefragt als ein Arzt.“

Robert schnaubte, aber er hängte den Säbel aus, zog den Uniformrock aus und nahm die beengende Schleife ab. Zunächst setzte er sich auch in einen der Sessel im Wohnzimmer, von dem das Schlafzimmer direkt abging, aber lange hielt er es im Sitzen nicht aus. Er stand auf und begann, unruhig auf und ab zu gehen. Weder sein Vater noch sein inzwischen hinzugekommener Schwiegervater konnten ihn beruhigen.

Louisa Craig kam aus dem Schlafzimmer.

„Setz’ dich endlich hin!“, kommandierte sie. „Du machst deine Frau ganz nervös, so wie du hier herum tigerst.“

„Das soll sie mir selber sagen!“, entgegnete Robert gereizt und wollte an der Nonne vorbei, aber sie stoppte ihn.

„Nein, du gehst da nicht ‘rein. Du bist ihr mit deiner Nervosität keine Hilfe. Das regt sie unnötig auf.“

Robert wollte etwas einwenden, aber Louisa schüttelte nur den Kopf.

„Junge, Junge, mich würdest du Nervösling beim Kinderkriegen jedenfalls völlig aus dem Konzept bringen!“

„In die Verlegenheit dürftest du kaum kommen!“, versetzte Robert bissig.

„Vielleicht wollte ich nicht mit einem solchen Nervenbündel wie dir behaftet sein?“, grinste Louisa.

„Ich hab’ ‘ne andere Geschichte gehört, weshalb du in den Orden eingetreten bist, aber …“

Robert kam nicht weiter, denn Susan schrie laut auf. Er wollte an Louisa vorbei, aber sie verstellte ihm hartnäckig den Weg, sein Vater und sein Schwiegervater hielten ihn mit einiger Gewalt fest.

„Lasst mich zu meiner Frau, verdammt!“, rief er und wehrte sich, kam aber nicht los. Einen Moment war Stille, dann krähte ein Baby.

So sehr sich die Geschwister Craig und Roberts Vater auch mühten, er war nicht mehr zu halten und brach ins Schlafzimmer durch.

„Susan!“, schrie er. Gwendolyn Craig drehte sich erschrocken um, das Baby in Tüchern verpackt auf dem Arm.

„Pscht, schrei nicht so. Sie ist gerade eingeschlafen“, warnte sie leise. Robert wurde bleich.

„Was? Ist … ist sie …?“, stotterte er.

„Nein, sie ist nur sehr erschöpft.“

„Sind … sind beide gesund?“

Gwendolyn lächelte und überreichte ihm das Bündel.

„Ja, das sind sie. Hier, Vater, nimm deinen Sohn.“

Er nahm ihr die dicken Steckkissen ab und sah seinen Sohn an. Der Kleine hatte dunkle Locken und war von der Geburtsanstrengung puterrot. Robert streichelte das winzige Gesichtchen sanft mit dem Zeigefinger und küsste den Kleinen. Das Baby hörte auf zu schreien und schlug die zugekniffenen Äuglein auf, lachte seinen Vater an. Robert sah genauer hin, soweit es der Tränenschleier erlaubte und bemerkte, dass sein Sohn sanfte braune Augen hatte.

Mit dem Kind im Arm setzte er sich an Susans Bett. Sie spürte die leichte Erschütterung und wachte auf.

„Robert!“, flüsterte sie matt. Er beugte sich über sie, küsste sie und strich ihr zärtlich durch das schweißverklebte Haar.

„Ihr habt es geschafft, Schatz. Herzlichen Glückwunsch, Mom“, sagte er. „Wie geht es dir, Liebling?“

„Es war anstrengend, ich bin völlig fertig; aber sonst geht’s mir besser als heute Morgen.“

Robert hob das Steckkissen etwas an, damit Susan ihr Kind sehen konnte.

„Sieh mal – dein Sohn“, lächelte er. Susan versuchte, sein Lächeln zu erwidern.

„Falsch. Unser Sohn“, erwiderte sie schwach.

„Und wie soll euer Sohn heißen?“, erkundigte sich Richard von der Tür.

„Christopher!“, erwiderte Susan zwar matt, aber entschlossen. Ihre Eltern, Tante und Schwiegervater sahen sie verblüfft an.

„Wie kommst du auf den Namen?“, fragte Gwendolyn.

„Es ist Roberts zweiter Name, der mir immer sehr gut gefallen hat. Außerdem hieß Großvater Craig so. Und als zweiten Namen hätte ich gern Lucas“, begründete Susan.

„Christopher Lucas Bennett! Klingt gut. Genauso wird er getauft, mein Schatz“, versprach Robert und küsste seine Frau noch einmal.

„Komm jetzt, Susan sollte jetzt schlafen“, mahnte Gwendolyn ihren Schwiegersohn.

„Ma, Susan ist mir nicht von der Seite gewichen, als es mir schlecht ging. Und ich werde hier nicht weggehen!“, protestierte er.

„Lass nur, Schatz. Das ist schon Frauenarbeit. Geh’ nur. Für dich war’s bestimmt aufregender als für mich.“

Aber Robert ließ sich nicht einfach fortschicken. Gemeinsam mit seiner Schwiegermutter blieb er bei Susan und Klein-Christopher. Vollends verblüfft war Gwendolyn aber, als Robert sie bat, ihm zu zeigen, wie man ein Baby richtig trockenlegt.

„Na schön, ich zeig’s dir“, seufzte Gwendolyn, als Robert nicht locker ließ. „Aber ich garantiere dir, dass das nichts für dich ist, großer Krieger“, warnte sie.

„Wie soll ich das jetzt verstehen?“

„Bobby – Berufssoldaten und Kinderwickeln, das passt nicht zusammen. Ich hab’ meine Erfahrungen.“

Robert lächelte.

„Ma, ich werde mich nicht vor der Verantwortung drücken, indem ich meine Tätigkeit in Sachen Kinder aufs Zeugen beschränke. Ich habe mir oft gewünscht, mein Vater hätte mehr Zeit mit uns Kindern verbracht. Jetzt habe ich die Gelegenheit, es bei meinen Kindern besser zu machen.“

„Lobenswerter Vorsatz, mein Junge. Fast jeder junge Ehemann hat ihn – aber kaum einer erfüllt ihn.“

„Kann sein. Aber deshalb werfe ich nicht von vornherein die Flinte ins Korn.“

In den folgenden Monaten war Christopher eigentlich nur zum Trinken bei seiner Mutter, wenn sein Vater dienstfrei hatte. Sofern er vom Dienst kam und der Kleine nicht gerade schlief, hatte Robert Christopher auch schon auf dem Arm. Susan sah mit Freude, wie ernst es ihrem Mann mit seiner Familie war.

„Robert, versprichst du mir etwas?“

„Und was, mein Liebling?“, erkundigte er sich, als er Christopher in Susans Arme legte, damit das Baby sich der Mutterbrust bedienen konnte.

„Dränge ihn nie, Soldat zu werden.“

„Nein, das werde ich nicht tun“, versprach Robert. „Aber mich hat auch niemand gedrängt. Ich wollte es einfach.“

„Du hast mir einmal gesagt, du hättest eigentlich nichts anderes gekannt, als Soldaten. Christopher wird nicht unter Soldaten aufwachsen, oder?“, fragte Susan besorgt.

„Dazu müssten wir in ein Fort im Westen gehen. Das bedeutet Krieg mit den Indianern – und da spiele ich nicht mit. Insofern besteht kaum die Gefahr, dass Chrissie in einer reinen Militärgesellschaft groß wird. Aber ich werde ihn auch nicht daran hindern, wenn er von sich aus Soldat werden will.“

„Wenn er den Wunsch äußert, wirst du dann ehrlich zu ihm sein oder wirst du auch die heroischen Märchen erzählen, die mein Vater von sich gegeben hat?“

„Wie ehrlich kann man mit einem Abstand von zehn oder fünfzehn Jahren sein, Sue?“, fragte Robert. „Der Mensch neigt dazu, vergangene Dinge durch die rosarote Brille der Vergangenheit zu sehen und manches zu verklären, was dazu eigentlich nicht geeignet ist. Wenn unser Sohn mich heute fragen würde, wie das ist, wenn man Soldat ist und kämpft, dann würde ich ihm heute eine harschere Antwort geben können als in zehn oder fünfzehn Jahren“, räumte Robert ein. „Ich will versuchen, es wie mein Vater zu machen. Er war so ehrlich, dass er mir die Gefahren und Unannehmlichkeiten meines Berufes nicht verschwiegen hat. Sie waren auch zu deutlich sichtbar bei ihm – das kann bei mir kaum anders sein, sollte unser Sohn mich mal im Sommer beim Holzhacken sehen. Meine Narben sind dann recht deutlich sichtbar. Da werde ich wohl nicht von Lagerfeuerromantik schwärmen können, wenn klar ersichtlich ist, dass der Job nicht ganz ungefährlich ist und auch sehr schmerzhaft sein kann. Und solche Leute, wie ich sie als Zug, später als Schwadron hatte, die findet man auf dieser Welt kein zweites Mal. Da brauche ich ihm den Mund nicht wässerig zu machen. Ich versprech’s dir: Ich werde Christopher nicht drängen, Soldat zu werden.“

Fern von Washington, im virginischen Mayboro, lebte Martin Moore ebenfalls in einer nervenanspannenden Situation. Diese beruhte allerdings weniger auf dem freudigen Ereignis einer Geburt als eher auf der wachsenden Ablehnung seiner Nachbarn. Martin hatte nur wenige Stunden nach der Kapitulation der Army of Northern Virginia den Treueid auf die Union geschworen und war von General Sheridan zum US Marshal ernannt worden. Diese Ernennung war ursprünglich zu dem Zweck erfolgt, dass Martin und seine Leute auf dem Boden des Gesetzes Jagd auf Partisanen machen konnte, doch war dieser Grund bald entfallen, weil Robert und seine Männer eben diese Partisanen zu fassen bekommen und vernichtet hatten. Martin war – im Gegensatz zu vielen seiner früheren Untergebenen – Marshal geblieben und war als solcher in Mayboro nun für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich. Seine Nachbarn sahen in seiner Tätigkeit für die US-Behörden Verrat an der Sache des Südens, die sie trotz des verlorenen Krieges nicht aufgegeben hatten. Die nachgiebige Haltung Präsident Johnsons, der in den besiegten Südstaaten eher ortsansässige US Marshals installiert hatte, wurde von den hartnäckigen Rebellen als Schwäche des Präsidenten und Kollaboration der als Marshals tätigen Südstaatler interpretiert.

„Martin, was ist mit dir los?“, fragt Cindy besorgt. Martin stellte das Whiskyglas wieder weg, das er sich gerade aus dem Schrank genommen hatte.

„Ach, es ist zum Bäume ausreißen! Es gibt doch wirklich nichts, was mir nicht ins Gegenteil verkehrt wird. Heute hat mir Vater doch wahrhaftig Vorwürfe gemacht, ich wäre ein Stiefelputzer der Yankees! Und weißt du warum?“, wetterte Martin. Cindy schüttelte den Kopf.

„Weil er heute einen Brief vom Innenminister bekommen hat, dass ihm seine Tabakfabrik nicht weggenommen wird. Ich fasse es nicht!“

„Wie kann er sich darüber aufregen?“

„Frag’ mich was Leichteres!“, schnaubte Martin.

„Soll ich mal mit ihm reden?“

„Wenn du meinst, dass es Sinn hat …“, zuckte Martin mit den Schultern. „Ich fürchte nur, mein alter Herr leidet schon unter Altersstarrsinn.“

Cindy Moore suchte ihren Schwiegervater auf.

„Paps, ich hab’ gerade gehört, dass du die Fabrik behalten kannst …“, setzte sie an, als Chester Moore auch schon zornrot aus dem Sessel sprang.

„Scher’ dich weg!“, fuhr er Cindy an, die erschrocken in der Tür stehenblieb. „Ich will, verdammt noch mal, keine Almosen von den Yankees!“

„Ich versteh’ nicht ganz. Erklär’ mir bitte, was du meinst.“

„Hier, den Wisch meine ich!“, fluchte Chester Moore. „Da schreibt mir dieser verdammte Blaubauchminister, ich dürfte meine Fabrik behalten! Als ob er das Recht hätte, sie mir wegzunehmen!“

„Freut es dich nicht, dass hier alles beim Alten bleibt?“

„Ich will keine Gnade von den Yankees! Ich will ein freies Virginia mit einer souveränen Regierung! Aber nein, mein Herr Sohn meint, er müsste bei den Yankees betteln gehen und ihnen in den Hintern kriechen! US Marshal! Ha! Biedert sich an! Hat den Süden verraten, der Bandit!“

Cindy seufzte.

„Martin hat schon Recht. Das muss Altersstarrsinn sein“, versetzte sie.

„Raus!“, brüllte Chester Moore sie an. Schulterzuckend verließ sie die Tabakfabrik. Es fiel ihr nicht einmal auf, dass ein paar Arbeiter verfaulte Tabakblätter hinter ihr herwarfen.

„Jetzt habe ich begriffen, was Robert gemeint hat, als er dich warnte, den Marshalstern anzunehmen“, seufzte Cindy, als sie nach Hause kam. Martin zupfte ihr ein halbes Tabakblatt aus der Mantelpelerine.

„Ja, er hatte Recht – und ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich in meinem Heimatort als US Marshal keine Chance habe. Ich sehe hier keine Zukunft mehr für uns. Wir sollten fortgehen. Nach Westen, nach Kalifornien oder so“, schlug Martin vor.

„Das ist so fürchterlich weit weg, Darling“, gab Cindy zu bedenken. „Können wir’s nicht erst mal näher dran probieren? Ich meine in Maryland, Delaware oder West-Virginia?“

Martin zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Ich fürchte, dass ich in den ehemaligen Randstaaten oder im absolut unionsergebenen West-Virginia als Ex-Konföderierter kein Bein an den Boden bekäme. Die westlichen Staaten – Nevada, Oregon oder Kalifornien – wären für einen Neuanfang besser, weil dort die Herkunft keine Rolle spielt.“

Cindy sah ihn eine Weile an. Martin wirkte mutlos und niedergeschlagen. Es war ein Zustand, den sie an ihrem Mann nicht kannte. Selbst in der Endphase des Bürgerkrieges hatte Martin immer noch optimistisch in die Zukunft gesehen, hatte sich auf die Zeit nach dem Krieg gefreut und Pläne gemacht. Aber was der verlorene Krieg gegen die Yankees nicht vermocht hatte, richteten nun Missbilligung und Verachtung seiner Nachbarn an, die in der neuen Zeit nichts Positives sahen – und großenteils wohl auch nicht sehen wollten. Wenn Martin wieder ein normales Leben führen wollte – ob mit polizeilichen Aufgaben betraut oder nicht – dann musste er möglichst weit von Mayboro fort, am besten noch aus Virginia weg, das sah Cindy ein. Sie seufzte.

„Du hast wahrscheinlich Recht“, sagte sie leise und lehnte sich wieder an ihn.

Schon am nächsten Tag zog Martin die ersten Erkundigungen über Nevada ein. Wenn er in seinem Job als US Marshal weiterhin tätig sein wollte, schien ihm das der geeignete Ort. In Nevada wurde Silber gefördert – und wo Edelmetall ist, sind Langfinger und andere Strolche nicht weit. Polizisten konnte man dort gewiss gebrauchen.

 

 

Kapitel 2

Geburt einer Ausgeburt

Während Martin schon in regem Briefwechsel mit dem Sheriff von Lyon County stand, zu dessen Revier auch die Minenstadt Silver City gehörte, erfuhr Präsident Johnson in Washington vom Entstehen eines seltsamen Geheimbundes in Tennessee. In einer eiskalten Dezembernacht des Jahres 1865 waren erstmals Gestalten in fast bodenlangen weißen, mit allerlei geheimnisvollen Zeichen verzierten Gewändern erschienen, die ihre Gesichter mit hohen, spitzen, weißen Kappenmasken tarnten, sich White Knights nannten und Jagd auf Schwarze, Nordstaatler und Scalawags, angebliche Yankee-Kollaborateure, machten. Es war die Geburtsstunde des Ku-Klux-Klans, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, für den gedemütigten Süden Rache an Yankees und „Niggern“ zu nehmen. Den Schwarzen sollte gezeigt werden, dass die Weißen nach wie vor die Herren im Hause waren, den Nordstaatlern sollte der Aufenthalt im Süden vergrault werden. Die Bezeichnung Ku-Klux-Klan beruhte auf dem griechischen Wort kyklos für Kreis, das Wort Klan war zudem eine Anspielung auf die schottisch-irische Herkunft der Gründer, das abweichend von der sonstigen Schreibweise mit „K“ geschrieben wurde, um eine Einheitlichkeit der Buchstabenfolge herzustellen.

Die neuen Regierungen in den Südstaaten sahen das Auftreten des Klans mit gemischten Gefühlen. Einerseits waren sie Südstaatler, traten aber nicht für eine Verselbstständigung der ehemals konföderierten Staaten ein, hatten der Union aus Überzeugung Treue geschworen. William Brownlow, der Gouverneur von Tennessee, auf dessen Territorium die Klansmen ihr Unwesen begannen, war einerseits für ein militärisches Vorgehen gegen diese Leute, die für ihn schlicht Banditen waren. Dennoch wollte er nicht gleich nach Bundestruppen rufen, sondern die Angelegenheit gleichsam „innersüdstaatlich“ lösen. Brownlow hatte sich wie Johnson während der Sezession der elf Südstaaten immer dafür eingesetzt, dass Tennessee Unionsstaat blieb und war – wie Johnson – auch maßgeblich daran beteiligt, dass Tennessee der erste der abtrünnigen Staaten war, der wieder in die Union aufgenommen wurde. Johnson und Brownlow hatten sich vor der Sezession heftig bekämpft, war Brownlow doch Republikaner und Johnson Demokrat. Unter Brownlows Regierung hatte Tennessee den 14. Zusatzartikel der Verfassung ratifiziert, der die Sklaverei abschaffte und war als erster der abtrünnigen Staaten am 18. Juli 1866 wieder in die Union aufgenommen worden. Brownlow fürchtete, das Vertrauen, das Johnson gerade in seinen Heimatstaat gesetzt hatte, könnte beim Einsatz von Bundestruppen gegen die Terroristen Schaden nehmen. So bat er im April 1867 den Attorney General*, der den Präsidenten in Rechtsfragen beriet, um den Einsatz von US Marshals, die tunlichst aus dem Süden sein sollten, nachdem alle polizeilichen Lösungen innerhalb Tennessees nichts gefruchtet hatten.

Henry Stanbery, der Attorney General, erhielt das Schreiben des neuen Gouverneurs von Tennessee mit eben dieser Bitte. Im Grundsatz war Stanbery geneigt, die Forderung zu erfüllen, weil er sich gut vorstellen konnte, dass die Befürchtungen des Gouverneurs durchaus zutreffend sein konnten. Für die Erfüllung dieser Aufgabe genügten aber nicht nur einige wenige Männer. Es brauchte – so die Kalkulation des Gouverneurs – wenigstens hundert Männer. Vorschläge dazu, wer in diesen Job berufen werden sollte, machte der Gouverneur allerdings nicht. Der Attorney General selbst kannte nicht sehr viele noch im Dienst befindliche US Marshals aus Tennessee oder einem anderen Südstaat, mochte er auch deren Dienstherr sein. Sämtliche ehemaligen Bundesbeamten und Soldaten der Bundestruppen, die direkt aus dem Bundesdienst in den der konföderierten Staaten gewechselt hatten, blieben von neuen Beamtenposten ausgeschlossen. Die Anfrage des Attorney General bei der zuständigen Abteilung seiner Behörde ergab, dass es sicher einige Zeit dauern werde, bis man die entsprechenden Listen gesichtet habe – so etwa einen Monat.

Stanbery wollte den Gouverneur nicht derart lange warten lassen und ließ sich beim Präsidenten melden. Johnson war aus Tennessee; vielleicht kannte er noch mehr im Dienst befindliche US Marshals aus diesem Staat. Der Präsident besprach sich gerade mit seinem Adjutanten, als Henry Stanbery eintrat.

„Guten Morgen, Mr. President“, grüßte er.

„Guten Morgen, Mr. Stanbery“, erwiderten Präsident und Adjutant den Gruß.

„Mr. President, ich habe gerade einen Brief vom Gouverneur des Staates Tennessee erhalten. In Tennessee ist eine Art Geheimbund aufgetaucht, der sich Ku-Klux-Klan nennt, der es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, Schwarze und Nordstaatler zu vertreiben. Nach seinen Informationen hüllen diese Burschen sich in weiße Kapuzengewänder, damit man sie nicht erkennt. Es hat schon diverse Tote gegeben, die örtlichen Polizeien kommen mit dem Problem nicht zurande – wobei der Gouverneur durchaus auch den Verdacht hat, dass mancher Polizist mit denen unter einer Decke steckt. Er sieht sich veranlasst, gegen das Problem etwas zu unternehmen, da es auch die neuen staatlichen Ordnungen in den ehemaligen konföderierten Staaten bedroht. Er bittet mich um Hilfe.“

„Dann sollten wir am besten Bundestruppen schicken“, empfahl Robert vorlaut. Der Attorney General schüttelte den Kopf.

„Genau das will der Gouverneur auf keinen Fall. Tennessee ist der erste Staat, der wieder Unionsstaat geworden ist. Wenn jetzt aber diese Banditen den Ruf des Staates schädigen, könnte die Bundesregierung das wieder rückgängig machen – so die Sorge des Gouverneurs. Der Gouverneur befürchtet dasselbe, wenn Bundestruppen die Ordnung wiederherstellen müssen. Er möchte deshalb keine Bundestruppen einsetzen, sondern hätte gern eine schlagkräftige Truppe von US Marshals, möchte aber welche aus dem Süden haben, die als unionstreu zu bezeichnen sind. Und mit einem oder zweien wird er kaum auskommen, fürchtet er. Diese Einschätzung teile ich. Nun, Mr. President, ich kenne leider kaum jemanden aus dem Staat Tennessee, der heute US Marshal ist, und meine Mitarbeiter werden sehr lange brauchen, bis sie die Listen durchforstet haben. Wissen Sie vielleicht von solchen Leuten oder von sonst jemandem, die solche kennen könnten?“

„Mr. Stanbery, sicher kenne ich einige Leute aus Tennessee, die US Marshals sind. Aber wäre es wirklich angebracht, ausgerechnet Männer aus Tennessee mit so einer Aufgabe zu betrauen? Wäre es nicht besser, jemanden von außerhalb zu beauftragen?“, fragte Johnson. „Das Problem ist nur: Außerhalb von Tennessee ist mir kein aktiver US Marshal bekannt, der aus dem Süden ist“, setzte er dann hinzu.

Sein Blick fiel auf seinen jungen Adjutanten, der offensichtlich angestrengt nachdachte.

„Wissen Sie jemanden, Major Bennett?“

„Nun, wenn der Gouverneur Männer aus dem Süden haben will, weil es einfach eine Tatsache ist, dass Südstaatler zur Bockigkeit neigen, sofern sie feststellen, dass ihr Gegenüber aus dem Norden ist, wüsste ich etwa hundert Mann“, sagte Robert. Attorney General und Präsident sahen ihn verblüfft an.

„Und wen, bitte?“, erkundigte sich Johnson.

„Die B-Schwadron der 9th Virginia Cavalry. Der ganze Haufen ist auf die Union eingeschworen und zu US Marshals ernannt worden. Ursprünglich geschah das mal zu dem Zweck, Partisanen zu jagen, die das Kriegsende nicht akzeptieren wollten, was dann nicht mehr erforderlich war. Was ich nur nicht weiß, ist, ob die Männer noch alle in Virginia sind oder ob sie inzwischen über die gesamten Staaten verteilt sind.“

„Konföderierte?“

„Ja, Sir. Bis zum letzten Schuss des Krieges. Aber sie haben den Treueid geleistet und wurden in den Bundesdienst übernommen.“

„Mr. Bennett, das geht nicht gut, fürchte ich. Gegen Partisanen zu kämpfen, die auch die eigenen Frauen und Kinder angegriffen haben, ist sicher etwas anderes, als Leuten Feuer unter dem Allerwertesten zu machen, die im Prinzip die eigenen Ziele nach wie vor vertreten – und die ausschließlich gegen Neger und Yankees vorgehen“, warnte der Präsident.

„Nun, Sir, auch im Norden sind üble Rassisten zu Hause. Es wäre also nicht zwangsläufig passend, jemanden aus dem Norden dorthin zu entsenden. Captain Moore und seinen Leuten würde ich vertrauen. Ich habe schon mit ihnen gearbeitet.“

„Auch, wenn es um Schwarze ging?“, hakte Johnson nach.

„Nein“, musste Robert zugeben. „Dennoch glaube ich nicht, dass sie sich einem präsidialen Auftrag widersetzen würden, der ihnen befiehlt, Schwarze vor diesen Irren zu schützen.“

„Haben Sie Kontakt zu den Leuten?“, fragte der Minister.

„Ich habe Captain Moores Adresse.“

„Schreiben Sie an Captain Moore, ob er und seine Leute bereit wären, diese Aufgabe zu übernehmen. Wenn es sich um ehemalige Konföderierte handelt, sollten sie das freiwillig und nicht auf Befehl tun. Nur dann wäre ich mir sicher, dass sie einen wirksamen Schutz für Nordstaatler und Neger darstellen“, wies Johnson seinen Adjutanten an. „Und … wenn sie das tun, dann sollten Sie ihnen ein wenig auf die Finger schauen, Major.“

„Ja, Sir“, bestätigte Robert. Noch am selben Tag schrieb er an Martin.

 

An Martin Moores Haustür klopfte es. Martin öffnete. Der Postbote stand davor.

„Post für dich, Scalawag!“, giftete der Mann. „Hätte ich nicht gebracht, aber ich hoffe, es ist ein Brief aus der Hölle mit dem Teufel persönlich drin!“

Er warf Martin den Brief vor die Füße. Das war zu viel für den duldsamen Martin. Er griff sich den Postboten und verpasste ihm rechts und links Ohrfeigen.

„Das nur für die saufreche Begrüßung, Sam Holbrook!“, fauchte er ihn an. „Wenn ich geahnt hätte, wie du mir neuerdings die Post bringst, dann hätte ich es mir verkniffen, dich zwei Monate vor Kriegsende aus dem Sumpf zu ziehen, du undankbarer Sack!“

„Heute würde ich lieber verrecken, als mich von einem Scalawag retten zu lassen!“, zischte Holbrook.

„Und mir das dann auch noch anhängen wollen, ja? Geh’ mir aus den Augen, bevor ich dir den Hals umdrehe. Und verbreite im Dorf, dass es mir jetzt langt. Wir gehen weg, wenn’s sein muss, bis nach Europa! Ihr seid nicht mehr die, für die ich vier Jahre lang mein Leben riskiert habe!“

„Schätze, es wird ein Freudenfest im Dorf geben, wenn ihr Yankeebrut endlich weg seid!“

Martin packte mit der Linken noch einmal fester zu, holte mit der Rechten aus und boxte Sam mit aller Gewalt und Wut in den Unterleib. Sam krümmte sich und bekam gleich noch einen Pferdekuss auf die Nase, die prompt brach. Aufjaulend und blutüberströmt stolperte der Postbote die kleine Freitreppe vor Moores Haus hinunter, als Martin ihn umdrehte und ihm noch einen herzhaften Fußtritt in den Hintern versetzte.

„Wenn du es je wieder wagen solltest, mich einen Yankee zu nennen, reiße ich dir die Därme ‘raus! Im Gegensatz zu dir habe ich bis zum allerletzten Schuss meinen Kopf für die Konföderation hingehalten und bin nicht wie du getürmt, du feige Sau! Du bist desertiert, du Lump! Leider gab es keine Einheitsführung mehr, die bereit gewesen wäre, dir dafür die passende Strafe zu geben. Verschwinde endlich von meinem Hof!“

Sam rappelte sich mühsam auf. Vor Tränen konnte er nicht mehr richtig sehen, der Schmerz in seiner Nase und in seinen Innereien, war zu stark, um Martin noch einmal anzugreifen.

Moore schlug die Tür so heftig zu, dass einige Putzbrocken aus der Füllung fielen. Zornbebend stapfte Martin ins Wohnzimmer und riss das Kuvert auf. Innerlich seufzte er, als er die Handschrift Robert Bennetts erkannte. Wenigstens einer, der ihn nicht zwischen alle Stühle setzte. Martin setzte sich an seinen Sekretär und las das Schreiben seines Freundes mit immer größerem Interesse. Robert bot ihm an, auf den Geheimbund des Ku-Klux-Klans Jagd zu machen. Martins Wut auf die Unverbesserlichen im Süden war so groß, dass er keinen Augenblick zögerte, dieses Angebot anzunehmen.

„Geschenk des Himmels!“, fuhr er frohlockend von seinem Schreibsessel auf. „Cindy! Bobby hat meine Umzugsgedanken erraten und bietet mir einen Job an! Wir packen sofort unseren Krempel zusammen und fahren nach Washington!“

 

Sam Holbrook war blutend nach Hause gewankt, hatte völlig vergessen, seine restliche Post auszutragen.

„Ich mach’ den Kerl fertig! Ich werde ihm sämtliche Knochen brechen! Ich hänge ihn an seinen Därmen an den nächsten Baum!“, fluchte er auf dem Weg laut. Es fanden sich Leute, die ihm zuhörten, die sich an seiner Rache beteiligen wollten – nahezu die gesamte männliche Einwohnerschaft von Mayboro. Da alle ins Dorf hineinströmten, um Sam Holbrooks Gejammer zu bestätigen, bemerkte niemand in Mayboro, dass Familie Martin Moore und der ihnen treu ergebene Diener George ihre Siebensachen in zwei Wagen packten und zum Bahnhof Winchester davonfuhr. Die Moores nahmen nur das Nötigste mit, wollten den Rest ihrer Möbel später nachkommen lassen, wenn klar war, wo sie ihr endgültiges Domizil aufschlagen wollten. Aber als der zweite Wagen um die letzte Ecke bog, packte Cindy das dunkle Gefühl, dass sie von dem zurückgebliebenen Mobiliar nicht mehr viel sehen würde …

Wie Recht sie mit dem ungewissen Gefühl hatte, merkte sie etwa eine Stunde später, als der Zug Winchester verließ und in Richtung Baltimore fuhr. Über Mayboro, an dessen Ortsrand ihr Haus stand, lag eine tiefschwarze Qualmwolke. Mit blankem Entsetzen in den Augen stieß sie Martin an und zeigte wortlos auf die Rauchwolke. Martin sah sie und nickte mit grenzenloser Enttäuschung im Gesicht. Beide ahnten, dass dort ihr Haus und der Rest ihrer Habe in Flammen stand, angezündet von den Bewohnern Mayboros, vermutlich angeführt von Sam Holbrook oder gar Chester Moore persönlich.

„Und für diese Menschen habe ich gekämpft? Für die wollte ich die Unabhängigkeit erstreiten? Dafür habe ich mit einem so guten Freund wie Robert auf Leben und Tod gefochten? Cindy, ich muss bekloppt gewesen sein!“

„Du hast es nicht ahnen können, Martin“, erwiderte Cindy. Sie legte ihre Hand beruhigend auf seinen Arm, brach dann aber selbst in Tränen aus.

„Warum tun die das?“, schluchzte sie.

„Weil sie dümmer sind als Bohnenstroh und mindestens so gemeingefährlich wie Yancey Morrows. Aber ein Gutes hat es: Wir sind jetzt wirklich frei zu gehen, wohin immer wir wollen. Wir werden einen Platz für uns und unsere Kinder finden, wo wir leben können, ohne dass man mir die jüngere Vergangenheit zum Vorwurf macht. Und mit der Konföderation bin ich restlos fertig!“, grollte Martin.

 

 

Kapitel 3

Ein neuer Auftrag

In Baltimore stieg die Familie Moore in den Zug nach Washington um. Martin hatte noch so viel Zeit, dass er Robert ein Telegramm schicken konnte, mit dem er ihre Ankunft ankündigte. Am Abend erreichte der Zug Washington, Martin brachte seine Familie in einem einigermaßen preisgünstigen Hotel unter und ließ sich zum Weißen Haus fahren. Wachtposten hielten den ihnen Unbekannten auf.

„Halt, Sir!“, rief der höherrangige Posten, ein Sergeant, Martin an. „Besuchszeiten sind nur tagsüber.“

„Sergeant, ich möchte gern mit Major Bennett sprechen“, erwiderte Martin. „Der Major erwartet mich.“

„Major Bennett hat nicht hinterlassen, dass er heute Abend noch Besuch erwartet“, wehrte der Sergeant ab.

„Dann haben Sie bitte die Freundlichkeit, ihm mitzuteilen, dass Captain Martin Moore vor der Tür steht!“, versetzte Martin.

„Von welcher Einheit bitte?“, hakte der Posten nach.

„7th US-Cavalry“, log Martin ungeniert.

„Ach, ein ehemaliger Kamerad“, grinste der Posten. „Hank, gib auf den Herrn bitte Acht. Ich sage dem Major Bescheid.“

Der Sergeant verschwand im Gebäude. Schnell hatte er den Butler gefunden.

„Mr. Barton, ist der Major noch in seinem Büro?“

„Ich habe ihm eben gerade Kaffee gebracht. Warum?“, erkundigte sich Barton.

„Er hat Besuch. Ein Captain Martin Moore, angeblich von der 7th US-Cavalry, ist draußen. Behauptet, der Major erwartet ihn. Sollen wir den ‘reinlassen?“

„Warten Sie, Sergeant Brooks. Ich frage ihn.“

Robert hatte sich in eine Akte vertieft, die sich mit der raschen Wiedereingliederung der ehemaligen konföderierten Staaten in die Union befasste. Johnson verfolgte dieses Ziel nach wie vor und wollte von seinem Adjutanten eine Einschätzung der militärischen Lage haben. Als es klopfte, rief er den Besucher nur widerwillig herein.

„Oh, Barton, Sie sind es“, sagte er dann, als der Butler den Kopf hereinsteckte.

„Entschuldigen Sie die Störung, Sir. Sergeant Brooks meldete mir eben, es sei ein Besucher vor dem Haus, der sich nicht abweisen lässt. Er nennt sich Captain Martin Moore und behauptet, Sie würden ihn erwarten.“

„Ja, stimmt. Allerdings habe ich ihn nicht noch heute Abend erwartet“, erwiderte Robert verblüfft. Er sprang auf und lief so eilig nach unten, dass Barton erschrocken zur Seite hüpfte und erst dann hinterher lief. Sergeant Brooks nahm erschrocken Haltung an, als er den Major heranstürmen sah.

„Sir! Sollen wir ihn verhaften, Sir?“, stieß er im typischen Marines-Untergebenenton hervor.

„Nein, Sergeant. Lassen Sie ihn ‘rein!“, rief Robert.

„Sir! Ja, Sir!“, bellte Brooks, kam aber nicht dazu, die Haustür zu öffnen, weil Robert das bereits tat.

Martin wurde unwohl, als der streng aussehende Marineinfanterie-Sergeant ihn mit dem noch finsterer dreinblickenden Private vor der Tür allein ließ. Noch unwohler wurde ihm, als es auf dem Flur des Weißen Hauses laut wurde und anscheinend Befehle gerufen wurden. Er zog sich schon vorsichtig zur Auffahrt von der Pennsylvania Avenue zurück, als die Tür schon aufgerissen wurde.

Verdammt! Zu spät!’, durchzuckte es Moore.

„Martin!“, rief eine ihm bekannte Stimme.

„Puuh!“, seufzte Martin erleichtert, als er Robert erkannte. „Jetzt hab’ ich schon Schiss gekriegt.“

Die Freunde umarmten sich herzlich.

„Warum? Haben Sergeant Brooks und Private Sterzler dich verrollt?“, fragte Robert scherzhaft.

„Nein, aber so finster angesehen. Ich hatte ernsthaft Angst, die holen Verstärkung, um mich abzutransportieren.“

„Du bist hier in Washington und nicht in Fort Payne!“, erinnerte Robert lachend. „Komm ‘rein. Herzlich willkommen im Weißen Haus!“

„So eine Begrüßung geht ‘runter wie Öl. Ich bin das gar nicht mehr gewöhnt“, seufzte Martin, als sich die Tür hinter ihnen schloss und sie die Treppe hinaufgingen.

„Nanu, ich denke, du wohnst in Mayboro?“, wunderte sich Robert.

„Eben drum. Im Übrigen: Wohnte, denn ich glaube nicht, dass wir jemals zurückkönnen.“

Robert blieb mitten auf der Treppe stehen.

„Wie bitte?“, fragte er.

„Du hattest vollkommen Recht, als du mich gewarnt hast, US Marshal zu werden. Für einen ehemaligen Konföderierten ist es völlig unmöglich, als Mitarbeiter der Bundesregierung im Süden tätig zu sein. Nicht nur ich, auch Cindy und unsere Kinder sind schlimm angefeindet worden. Vor allem von meinem lieben Herrn Papa. Ich war nur noch sauer, dass ich für diese Idioten vier Jahre lang mein Leben riskiert habe – und nun bin ich endgültig fertig mit der Konföderation! Ich möchte es ihnen nur noch heimzahlen.“

„Dann ist es fraglich, ob du für den Job wirklich geeignet bist, denn Johnson und der Attorney General wollten Leute aus dem Süden haben, um gegen den Ku-Klux-Klan vorzugehen“, bemerkte Robert. Martin schüttelte den Kopf.

„Dass ich aus dem Süden bin, ist wohl kaum zu bestreiten. Diese Voraussetzung erfülle ich also. Und ich schwöre heilige Eide, dass ich mit den Kerlen abrechnen werde! Das sind nämlich die gleichen Typen, die nach unserer Abreise mit größter Wahrscheinlichkeit unser Haus angesteckt haben. Wir haben die Wolke noch gesehen.“

Robert zog seine Uhr aus der Tasche.

„Grad’ halb acht. Der Präsident wird bestimmt noch in der Bibliothek sein. Komm, ich stelle dich Johnson vor.“

Sie machten auf der Treppe kehrt und gingen zurück in die kleine Empfangshalle, von wo ein Flur zur Bibliothek im östlichen Teil des Weißen Hauses führte. Robert klopfte, hörte die Aufforderung seines Dienstherrn, einzutreten und öffnete die Tür.

„Guten Abend, Mr. President. Ich bitte um Entschuldigung für die Störung zu dieser Zeit. Darf ich Ihnen US Marshal Martin Moore aus Virginia vorstellen?“

Johnson legte das Buch weg, in dem er gerade gelesen hatte und sah Martin eine Weile schweigend an.

„Guten Abend, Mr. Moore. Willkommen in Washington und im Weißen Haus“, sagte er dann und erhob sich. Martin verbeugte sich höflich.

„Guten Abend, Mr. President.“

„Major Bennett sagte mir, Sie hätten während des Krieges für die Rebellen gekämpft.“

„Es ist nicht zu leugnen, Sir, dass ich Offizier der Konföderation war“, bestätigte Martin mit belegter Stimme.

„Major Bennett sagte mir auch, dass Sie als bekehrt gelten dürfen. Ist das so korrekt?“

„Ja, Sir“, erwiderte Martin. „Seit zwei Tagen stimmt das absolut hundertprozentig“, setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, bereute seine Bemerkung aber schon beinahe, als Johnson fragend eine Braue hochzog.

„Nun, Sir, vor zwei Tagen haben meine Frau und ich unsere Kinder und was wir an Möbeln und persönlicher Habe mitnehmen konnten, in zwei Wagen gepackt, weil wir es in Mayboro vor Anfeindungen nicht mehr ausgehalten haben. Wir müssen annehmen, dass unser Haus mitsamt unserer restlichen Habe von unseren lieben Nachbarn niedergebrannt wurde. Schon beim letzten Besuch unseres Postboten vor zwei Tagen habe ich erkennen müssen, dass ich für die falschen Leute meinen Kopf hingehalten habe. Mit denen bin ich fertig, Sir!“, grollte Martin bitter.

„Bereuen Sie Ihr Engagement für den Süden?“, hakte Johnson nach. Martin war anzusehen, dass er innerlich gespalten war.

„Auf die Gefahr, dass Sie mich jetzt hinauswerfen, Mr. President: nicht grundsätzlich. Ich denke, ich muss es aus der jeweiligen Zeit und dem jeweiligen Wissen heraus betrachten. Mit dem Wissen und dem Blickwinkel vom April 1861 würde ich es sicher wieder tun. Jetzt sind weitere sechs Jahre vergangen. Und mit dem Wissen und der Ansicht des April 1867 bereue ich kaum etwas mehr, als seinerzeit eine graue Uniform getragen zu haben. Ich habe mein Leben für Menschen riskiert, die mich heute als Feind ansehen, nur weil ich anerkannt habe, dass der Süden den Krieg verloren hat, weil ich als Bundesmarshal Gesetze vertrete, die in ihrem Wortlaut um keinen Buchstaben anders sind als vergleichbare Gesetze der Konföderation. Sie wollen sie einfach nur deshalb nicht akzeptieren, weil sie von einem Parlament in Washington und nicht in Richmond erlassen werden. Das wiederum kann ich nicht akzeptieren und distanziere mich daher von der Konföderation und den Menschen, die sie ausgemacht haben und es immer noch wollen.“

Johnson nickte.

„Es gibt also immer noch Separatisten im Süden?“, fragte er nach, doch es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Sicher, Mr. President.“

„Was glauben Sie, Mr. Moore: Wären diese Leute bereit, den Krieg wieder aufflammen zu lassen?“

„Der größte Teil von ihnen ist durch die rabiate Niederlage und die herben Zerstörungen im Süden zu sehr geschockt, um das gleiche noch einmal erleben zu wollen. Die meisten haben sicher eingesehen, dass die Südstaaten allein gegen den sehr viel stärker industrialisierten Norden keine Chance haben. Aber es gibt sicher genug Verrückte, die sich auch mit den Besatzungstruppen anlegen würden. Kommen bei entsprechenden Kämpfen Südstaatler ums Leben, werden sie vermutlich noch als Märtyrer der Konföderation gelten“, erklärte Martin.

„Hat Major Bennett Sie schon über das Unwesen des Ku-Klux-Klans informiert?“

„Wir hatten noch nicht viel Gelegenheit, länger miteinander zu sprechen, aber er hat mich in groben Zügen brieflich in Kenntnis gesetzt.“

„Was halten Sie von denen?“

„Feige Hunde, die sich nur vermummt trauen, ihre Opfer zu attackieren. Gehören hinter Schloss und Riegel“, versetzte Martin.

„Sie sind also einverstanden, gegen den Klan vorzugehen?“

„Ja, Sir“, bestätigte Moore knapp.

„Major Bennett sagte mir, Ihre frühere Einheit wäre geschlossen zu US Marshals ernannt worden. Können Sie die Leute zusammenbekommen, um massiv gegen den Klan zu agieren?“

Martin bekam einen verlegenen Gesichtsausdruck.

„Ich muss zugeben, Sir, das hat einige Haken. Zum einen ist die Einheit nicht zusammengeblieben, sondern wurde im Zuge der Auflösung der konföderierten Armee ebenfalls getrennt. Die Männer sind über die gesamten Vereinigten Staaten verteilt, die meisten sind nach Westen gegangen, wo sie nach wie vor als US Marshals arbeiten. Ich weiß nur nicht wo. Einige haben den Stern wieder abgegeben und haben andere Arbeit gefunden.“

„Könnten Sie überhaupt noch jemanden dazu holen, um eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen?“, fragte der Präsident, deutlich ernüchtert.

„Im Moment wüsste ich nur zwei, die in der Nähe sind. Allerdings muss man sich in Sachen Ku-Klux-Klan im Klaren sein: Mit Masse kann man die nicht erdrücken. Ich denke, als US Marshal kann ich gegen diese Leute Ermittlungen führen und Beweise sammeln, die letztlich zu Verhaftungen führen werden. Wichtig ist dabei, dass die Verhafteten dann aus ihren Heimatstaaten fortgebracht werden, damit eventuelle Befreiungsaktionen durch Gesinnungsgenossen, die noch frei und unerkannt sind, unmöglich werden.“

„Ich hatte gehofft, Sie würden schnell mit diesem Pack aufräumen können“, seufzte Johnson mit unüberhörbarer Enttäuschung in der Stimme.

„Es tut mir Leid, wenn ich Ihre Erwartungen enttäusche, Mr. President. Aber das sind keine gewöhnlichen Kriminellen, die offen auftreten. Sie maskieren sich, kennen sich angeblich nicht einmal untereinander, womit sie verhindern wollen, dass gefangene Mitglieder ihrer Gesellschaft andere verraten können. Es wird sehr schwierig werden, mit diesem Problem fertig zu werden. Und schnell wird es sicher auch nicht gehen.“

Johnson ließ sich in den Lesesessel fallen.

„Vielleicht hätte ich auf Sie hören sollen, Major, und doch gleich Bundestruppen schicken sollen“, seufzte er.

„Die Option steht uns immer noch offen, Sir. Aber zunächst sollten wir einen juristisch einwandfreien Weg gehen und den Brüdern mit handfesten Beweisen kommen, nach denen sie verurteilt werden“, erwiderte Robert.

„Nun, Sie waren doch dafür, Bundestruppen zu entsenden“, erinnerte Johnson.

„Stimmt. Das war meine erste Reaktion. Nach der Argumentation, die der Gouverneur vorgetragen hat, halte ich die von Marshal Moore angeregte Vorgehensweise für taktisch besser, Mr. President.“

„Halten Sie es für denkbar, dass ein oder zwei Männer mehr erreichen können, als ein ganzes Bataillon?“

„Unter Umständen ja. Ein Bataillon – zum Beispiel – einzusetzen, hat nur dann einen Sinn, wenn man die Brüder en masse abgreifen kann, also wenn eine Versammlung auffliegt. Dazu muss das fragliche Bataillon aber genaue Befehle bekommen. Die dafür notwendigen Informationen beschafft am besten ein Einzelner“, erklärte Robert.

„Marshal, wenn Ihnen noch Männer einfallen, die Ihnen helfen könnten, dem Ku-Klux-Klan den Garaus zu machen, holen Sie sie dazu, ernennen Sie vertrauenswürdige Personen zu Deputies; tun Sie, was Sie können. Major Bennett wird Sie unterstützen. Beginnen Sie möglichst bald mit Ihrer neuen Aufgabe. Leicht ist sie nicht.“

 

 

Kapitel 4

Sorgen

Robert und Martin verließen die Bibliothek.

„Komm erst mal mit zu mir. Susan wird sich sicher freuen, dich zu sehen“, lud Robert ein.

„Sag nur, du wohnst im Weißen Haus?“

„Bringt der Job mit sich“, grinste Robert. Sie stiegen die Treppen hinauf. Im Erdgeschoss und im ersten Stock befanden sich die Repräsentationsräume sowie Küche und Bibliothek, im zweiten Stock wohnte die Präsidentenfamilie, im dritten Obergeschoss waren die Wohnungen der Bediensteten, wo auch Robert mit seiner Familie lebte. Er klopfte an die Wohnungstür. Susan öffnete.

„Hallo, Schatz“, begrüßte sie ihren Mann und gab ihm einen Kuss. „Oh, Martin, du auch? Herzlich willkommen.“

Die Männer traten ein, Martin gab Susan einen formvollendeten Handkuss.

„Immer noch der Gentleman aus dem Süden“, lachte Susan auf. „Kommt doch durch“, lud sie ein und schloss die Wohnungstür. Martin sah den kleinen Jungen an, den Susan auf dem Arm hatte.

„Und wer bist du, junger Mann?“, fragte er.

„Das ist Christopher“, erklärte Robert lächelnd. „Chrissie, das ist Onkel Martin“, stellte er seinem Sohn den Freund vor. Christopher sah Martin mit schief gelegtem Köpfchen an, lächelte, drehte sich verlegen weg, schielte aber schnell wieder hin und winkte vorsichtig. Martin streichelte dem Kind liebevoll über das dunkle Haar.

„Gott, ist der süß! Susan, verzeih mir, aber euer kleiner Christopher ist komplett der Vater.“

Susan sah ihren Sohn einen Moment an.

„Manchmal befürchte ich es“, seufzte sie. Robert sah sie verwirrt an.

„Wie soll ich das jetzt verstehen?“, fragte er. Susan küsste ihn sanft auf die Wange, er nahm ihr Christopher ab. Der Kleine umarmte seinen Vater fest und jauchzte fröhlich.

„Hallo, mein Spatz“, begrüßte Robert den Jungen, der ihn anstrahlte und sich fest an ihn kuschelte.

„Bob, ich könnte mir keinen liebevolleren Vater und aufmerksameren Ehemann vorstellen als dich. Aber du hast zuweilen tollkühne Anwandlungen. Und wohin die führen, weiß ich nur zu gut, mein Liebling“, sagte Susan. „Mir wäre nicht wohl dabei, wenn Chrissie eines Tages Soldat werden würde“, setzte sie hinzu. Martin lächelte freundlich.

„Sei ehrlich, Susan, könntest du dir Robert in einem zivilen Beruf vorstellen?“, fragte er.

„Och, ‘ne Anwaltsrobe stünde ihm auch nicht schlechter als die Uniform“, gab Susan ebenso lächelnd zurück. Roberts Gesichtsausdruck verhärtete sich leicht. Er war versucht, Susan jetzt zu sagen, dass sie das durchaus hätte haben können. Schließlich hatte er sie ausdrücklich mitentscheiden lassen, ob er den Adjutantenposten bei Johnson annehmen sollte oder ob er doch Anwalt bei Philip und Onkel Benjamin werden sollte. Nur, weil sie einverstanden gewesen war, hatte er diesen Job überhaupt angenommen. Mit einiger Mühe entschied er sich gegen die Versuchung, um Susan nicht vor einem Außenstehenden eine Szene zu machen und grinste.

„Lass das nicht deinen Schwiegervater hören“, sagte er schließlich. Susan sah ihn einen Moment an.

„Martin, du hast Recht:“, gab sie zu. „Robert ist von Geburt an Soldat.“

Dann wandte sie sich wieder an ihren Mann:

„Du hast etwas vor. Ich sehe es an deiner Nasenspitze, Bobby. Lass mich nicht im Unklaren: Ist es gefährlich?“, fragte sie.

„Es wäre unehrlich, wenn ich nein sagte“, erklärte er ernst.

„War was anderes zu erwarten?“, seufzte Susan resigniert. „Wann fährst du?“

Robert sah Martin an, der schweigend nickte, als Zeichen, dass er mit jedem Termin einverstanden sei, den sein Freund nennen würde.

„Wir wollen die Sache möglichst bald hinter uns haben. Ich hatte an nächste Woche gedacht.“

„Warum nicht morgen?“, fragte Susan spitz. Es war ein Tonfall, den Robert von seiner Frau überhaupt nicht kannte. Er war völlig verwirrt.

„Ich bringe Martin nur in sein Hotel. Bin gleich wieder da“, sagte er und nickte Martin zu.

„Wiedersehen, Susan. Das nächste Mal bringe ich Cindy und die Kinder mit, wenn es dir recht ist“, verabschiedete sich Martin mit einem Handkuss.

„Gern, Martin – wenn du mir nur nicht wieder meinen Mann entführst.“

Bennett und Moore verließen das Weiße Haus und gingen zum nicht weit entfernten Hotel.

„Was hat sie?“, fragte Martin verblüfft.

„Angst“, erwiderte Robert lakonisch. „Ich kann’s ihr nicht mal verdenken. Immerhin legen wir uns mit einem Geheimbund an, vergiss das nicht. Das ist was anderes als die verdammten Partisanen, die man wenigstens noch erkennen konnte.“

„Meint sie das ernst mit morgen?“

„Sie will es hinter sich haben. Sie unterstellt, dass ich umso schneller zurück bin, je früher ich mich auf die Socken mache. Vielleicht hat sie sogar Recht damit“, seufzte Robert.

„Also: wann?“

„Wir müssen noch ein paar Vorbereitungen treffen, brauchen noch einige Informationen, Proviant und ein bisschen Ausrüstung. In zwei oder drei Tagen, wenn nichts dazwischenkommt.“

Als Robert zurückkam, fand er Susan weinend in ihrem Sessel. Sie schien ihn nicht einmal zu bemerken. Er hockte sich neben sie und streichelte zärtlich ihre Wange.

„Bitte sag mir, was du hast, mein Schatz“, bat er.

„Ach, du … du hast doch nur Abenteuer im Kopf!“, schalt sie schluchzend. „Ruhe kannst du einfach nicht vertragen!“

„Das stimmt nicht, und das weißt du“, erwiderte er sanft. „Susan, ich bin jetzt mehr als zwei Jahre zu Hause. Ich habe mich um die Sache nicht gerissen. Johnson hat mich ausdrücklich damit beauftragt. Eigentlich hätte ich schon im Sommer vor zwei Jahren nach Tennessee reisen sollen, zwar nicht wegen des Klan-Unwesens, sondern wegen anderer Dinge. Damals habe ich den Präsidenten darum gebeten, jemand anderen zu schicken, weil ich dich nicht ausgerechnet mitten in der ersten Schwangerschaft allein lassen wollte. Aber diesmal …“

„Es gibt hunderte von anderen Majors, die Martin bestimmt genauso gut unterstützen können wie du. Warum ausgerechnet du?“

„Erstens, weil Johnson mir vertraut. Ich habe für Martins Loyalität gebürgt. Und zweitens, weil Martin und ich uns ebenso blind verstehen wie dein Bruder Tom und ich. Die Sache ist viel zu riskant, als dass Martin mit jemandem arbeiten sollte, den er nicht genau kennt.“

„Du … du sollst auf ihn aufpassen?“

„Genau genommen, ja. Johnson ist gegenüber ehemaligen Angehörigen der konföderierten Armee noch immer etwas skeptisch.“

„Das teile ich. Robert: Ihr habt gegeneinander gekämpft!“, erinnerte Susan eindringlich.

„Ja, streite ich nicht ab. Aber wir haben auch miteinander gegen Morrows’ Partisanen gekämpft. Martin ist ein guter Freund von mir, auch wenn wir uns am Antietam nichts geschenkt haben und uns beinahe gegenseitig versenkt hätten. Aber das ist jetzt schon wieder fünf Jahre her, Martin ist seit Kriegsende US Marshal und hat in dieser Zeit loyal zur US-Regierung gestanden, egal, wo man ihn eingesetzt hat. Hab’ Vertrauen zu ihm – und zu mir.“

„Robert, wenn ich die Zeitungsberichte nicht völlig falsch verstanden habe, tragen die Klansmen ihre Kutten nur, wenn sie ihre Überfälle starten – nicht am Tage, nicht öffentlich – und schon gar nicht so, dass man erkennen kann, wer sich in der Robe verbirgt. Ihr wisst nicht, wonach ihr suchen müsst. Aber sie werden wissen, wer ihr Gegner ist, spätestens, wenn ihr zu erkennen gegeben habt, was ihr vorhabt“, warnte die junge Frau.

„Das stimmt“, gab Robert zu. „Das ist uns durchaus bewusst. Wir wissen, dass wir diesen Geheimbund alleine nicht beseitigen können. Unsere Absicht ist es zunächst, die Brüder aufzuspüren, ihre Treffpunkte und Unterschlupfe zu eruieren; wenn es geht, die tatsächlichen Personen mit den Geheimbündlern in Verbindung bringen, um eine Grundlage für eine juristisch einwandfreie Verurteilung zu bekommen. Die sollen nicht auch noch als Märtyrer für den Süden durchgehen!“

„Aber wie wollt ihr an sie herankommen?“, hakte Susan nach und schluchzte noch einmal herzhaft.

„Ich gebe zu, dass das im Moment die Unbekannte in unseren Überlegungen ist. Wir wissen noch nicht genau, wie wir das Vertrauen dieser Lumpen erschleichen können, ohne sie misstrauisch zu machen. Aber wir werden nicht unvorsichtig sein. Bitte glaub’ mir das.“

„Wenn du denkst, dass du mich damit beruhigst, liegst du schief!“, versetzte Susan und schnäuzte sich. „Und das ausgerechnet jetzt!“

„Verrätst du mir, was so besonderes an der gegenwärtigen Zeit ist? Habe ich einen Geburtstag oder einen Hochzeitstermin verschwitzt?“, fragte Robert.

„Nein, es ist nur … ach, es ist nicht so wichtig.“

„Nein, nichts ist unwichtig, wenn es um dich oder unser Kind geht. Also, was ist?“

Susan sah ihn einen langen Moment an.

„Robert, ich erwarte unser zweites Kind!“

„Oh, ver… Oh, Gott, warum hast du mir das noch nicht gesagt?“

„Ich weiß es erst seit heute. Dr. Wilkins hat es mir heute Mittag bestätigt, was ich seit zwei Wochen nur vermutet habe. Hätte es etwas geändert?“

„Vielleicht hätte ich Johnson noch einmal überreden können, jemand anderen zu schicken, aber jetzt kann ich nicht mehr zurückrudern, nachdem ich zugesagt habe. Wann ist Termin?“

„November.“

„Bis dahin haben wir das erledigt“, versprach Robert, obwohl er sehr genau wusste, dass er diesmal keine Einhaltung seines Versprechens garantieren konnte.

„Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst, Liebling“, mahnte Susan und strich ihm über die Wange. „Und das kannst du nicht halten“, ergänzte sie dann. „Ihr werdet Monate, wenn nicht Jahre dazu brauchen.“

„So lange lasse ich dich nicht allein, das kommt nicht in Frage …“

Susan lächelte gedrückt.

„Du hast einen Befehl bekommen und du wirst dich nicht widersetzen. Du kannst es schon aus disziplinrechtlichen Gründen nicht. Und ich werde nicht von dir verlangen, dich mit deinem – unserem – Arbeitgeber richtig zu erzürnen“, erwiderte Susan. „Es … es tut mir Leid, Bob. Ich hätte dich nicht so überfallen sollen …“

Robert umarmte sie und küsste sie voller Liebe.

„Ist schon gut. Mir tut es nur Leid, dass ich dir Grund gegeben habe, Sorgen zu haben. Was meinst du – wird’s diesmal ein Mädchen?“

„Ich weiß es noch nicht. Aber bei der Masse von Jungen, die speziell in unseren Familien üblich sind, ist es nicht sehr wahrscheinlich.“ Sie machte eine kurze Pause. „Robert“, sagte sie dann langsam, „egal, was es wird – Mädchen oder Junge – ich möchte nicht, dass es ohne Vater aufwachsen muss.“

„Das wird es nicht. Das kann ich dir versprechen. Wenn Martin und ich merken, dass der Klan eine oder zwei Nummern zu groß für uns beide ist, werden wir eher zugeben, dass wir keine Chance haben, als dass wir uns unnütz umbringen lassen.“

Roberts Versprechen beruhigte Susan wieder, aber ob er es wirklich halten konnte, zweifelte sie in diesem Falle ernsthaft an.

 

 

Kapitel 5

Misstrauen

Die Vorbereitungen nahmen doch mehr Zeit in Anspruch, als Robert und Martin ursprünglich angenommen hatten. Drei Wochen nachdem Präsident Johnson ihnen den Auftrag erteilt hatte, trafen Bennett und Moore in Dover/Tennessee ein. Robert seufzte, als er auf den Bahnsteig trat. Martin sah ihn an.

„Was ist?“, fragte er.

„Ach, Martin, wenn du wüsstest, was ich alles mit diesem Ort verbinde!“, erwiderte Robert. „Ich bin zwar nicht aus Tennessee, aber ich habe mich nur an wenigen Orten so wohl gefühlt, wie hier.“

„Aha. Warum?“

Robert kam nicht zum Antworten. Der Bahnhofsvorsteher winkte ihm.

„Hallo, Major Bennett! Wieder im Lande?“, rief er quer über den ganzen Bahnsteig.

„Oh, verdammt, der kennt dich ja!“, stieß Martin erschrocken hervor.

„Hallo, Mr. Barthold!“, grüßte Robert zurück. „Was machen die Kleinen?“

Barthold kam auf Sie zu.

„Gott sei Dank, dass Sie wieder hier sind, Major. Wollen Sie hier aufräumen?“, fragte er leise, als er die beiden Reisenden erreicht hatte.

„Was meinen Sie, Mr. Barthold?“, fragte Robert harmlos.

„Diese Typen, die sich White Knights nennen. Weiße Ritter! Pah! Dass ich nicht lache! Die alten Rittersleut’ haben Frauen und Kinder geschützt und verteidigt, deren Leben geschont. Aber die? Die bringen jeden um, der nicht von hier ist oder der ‘n Nigger ist. Ich kann diese schwarzen Affen nicht ausstehen, aber es ist unfair, Frauen und Kinder umzulegen!“

„Haben Sie sich an das hiesige Truppenkommando gewandt?“, erkundigte sich Martin. Der Bahnhofsvorsteher sah ihn mit unverhohlenem Misstrauen von oben bis unten an.

„Das war ‘n virginischer Zungenschlag, wenn ich mich nicht irre“, mutmaßte Barthold. „Verrenken Sie sich nicht. Scalawags erzähl’ ich nichts!“, schnappte er ein.

„Und warum erzählen Sie’s dann ausgerechnet einem ausgewiesenen Yankee wie mir, Mr. Barthold?“, hakte Robert nach.

Sie kenne ich, Major. Ich weiß, dass unter Ihrer Yankee-Uniform immer ein anständiges Herz geschlagen hat. Aber den da, den kenne ich nicht“, versetzte Barthold und sah Martin recht feindselig an.

„Mr. Barthold, dieser Gentleman hat bis zum letzten Augenblick bei Appomattox Courthouse mit seinem Leben für die Konföderation gestritten. Und wenn Sie ihn noch einmal Scalawag nennen, haben Sie Ihren Mützenschirm unter dem Kinn, verstanden?“, entgegnete Robert entschieden. Barthold sah Martin durchdringend an. Wenn Bennett sich mit diesem Mann abgab, konnte er eigentlich kein übler Bursche sein. Er kam Barthold auch ein wenig bekannt vor, aber der Bahnhofsvorsteher konnte den Mann nicht einordnen.

„Hmm“, brummte er schließlich, „irgendwie kommen Sie mir bekannt vor. Sie war’n mal hier, muss so im Herbst ‘63 gewesen sein, oder?“

„Stimmt“, bestätigte Martin. „Und wenn Sie noch ein bisschen in Ihrem famosen Gedächtnis graben, dann müssten Sie mich darin in einer grauen Uniform finden. Mein Name ist Moore. Martin Moore“

Barthold wurde rot bis unter die Haarspitzen, als er sich Martin in der Uniform der konföderierten Kavallerie vorstellte und ihn plötzlich wiedererkannte.

„Äh, sorry, Sir.“

„Schon gut. Mr. Barthold, können Sie uns irgendetwas über diese Leute sagen?“, hakte Martin nach. Barthold sah sich vorsichtig um.

„Nicht gerade mitten auf dem Bahnsteig“, raunte er. „Kommen Sie heute Abend zu mir.“

Robert nickte.

„Gut. Wo finden wir ein Zimmer? Das Haus von Dr. Craig ist ja verkauft.“

Barthold grinste.

„Das wird das geringste Problem sein. Charlotte Conover hat nach Cashs Tod eine Pension aufgemacht.“

„Beherbergt sie auch Yankees?“

„Wenn nicht alle, dann mindestens Sie, Major“, erwiderte Barthold.

„Wir sind so gegen sechs bei Ihnen“, sagte Robert. Barthold nickte.

 

Martin und Robert gingen in Richtung des alten Hauses von Dr. Craig. Conovers Haus war fast genau gegenüber. Wer immer Robert wiedererkannte, grüßte ihn freundlich.

„Gott im Himmel, Philip hatte Recht: Mit dir in einem einflussreichen politischen Amt hätten wir uns nicht bekriegt“, murmelte Martin.

„Mach’ dir da keine Illusionen. Wir hätten. Die Menschen hier haben meine Leute und mich nur in guter Erinnerung, weil wir ihnen geholfen haben. Außerdem sind das hier keine Fanatiker – solche Typen wie der selige Mr. Edmund Ruffin, der unbedingt selbst den ersten Kanonenschuss auf Fort Sumter abgeben wollte, wie ich gerüchteweise gehört habe, oder unser Thaddeus Stevens, der Feuer und Schwefel spuckt, wenn er einen Südstaatler nur wittert. Ginge es nach dem Giftzwerg, säßen drei Viertel der Einwohner von Dover im Knast – nur weil sie Südstaatler sind.“

„Kann es sein, dass du Mr. Stevens nicht magst?“, grinste Martin.

„Genau das! Wenn ich schon die verkniffene Visage sehe, mit der der auf meinen Dienstherrn losgeht, könnte ich einen cholerischen Anfall bekommen.“

Bei Charlotte Conover öffnete ihnen ein junger Schwarzer.

„Willkommen, Sirs“, lud der junge Mann sie ins Haus. Robert Seitenblick bemerkte Martins augenblickliche Reserviertheit.

„Ich bin Toby, Missus Charlottes Hausdiener. Wollen Sie bitte eintreten?“

„Danke, Mr. Toby“, erwiderte Robert freundlich.

„Oh, Sir – Toby ist mein Vorname, nicht mein Familienname“, korrigierte der Schwarze mit einem blitzenden Lächeln.

„Und wie ist Ihr Familienname?“

„Weiß nicht. Hab’ keinen“, kam es im breitesten Mississippi-Slang. „Toby reicht mir völlig. Treten Sie doch in den Salon ein, Sirs. Missus Charlotte wird gleich hier sein“, lud er dann wieder im formvollendeten Butler-Englisch ein – sah man von dem Slang-Ausdruck Missus ab – und verschwand nahezu lautlos.

Wenige Minuten später kam Charlotte Conover die Treppe herunter. Sie war schon gleich nach Cashs Tod grau geworden, aber jetzt war ihr kunstvoll zum Knoten gestecktes Haar vollständig weiß geworden.

„Mr. Bennett! Mr. Moore! Schön, dass Sie hier vorbeikommen“, rief sie und eilte den jungen Männern entgegen.

„Mrs. Conover“, verbeugten sie sich beide, gaben der älteren Dame einen formvollendeten Handkuss.

„Richtige Kavaliere!“, freute sie sich. „Zugegeben, mein seliger Cash hat mich einfach geknuddelt, wenn er heimkam, aber Sie beide könnten schließlich meine Söhne sein. Bleiben Sie länger?“

„Ja, und wir wissen noch nicht genau wie lange“, antwortete Robert. „Hätten Sie ein Zimmer für uns?“

„Für euch ist hier immer was frei; Ehrensache, Jungs“, lächelte sie mütterlich.

„Es könnte nicht ganz ungefährlich sein, uns ein Zimmer zu vermieten“, warnte Martin.

„Sie kommen wegen der White Knights, oder?“, mutmaßte Charlotte. Robert und Martin nickten im Takt.

„Dann seid ihr hier richtig.“

„Sagen Sie, Ma’am: Toby – ist der hier angestellt?“, fragte Martin.

„Klar. Ohne Lohn arbeiten die Schwarzen doch nicht mehr. Aber Toby gehört fast zur Familie. Er ist der Sohn der einzigen Sklaven, die Cash je besessen hat. Seine Mutter Miriam hat mir schon als jungverheiratete Frau im Haushalt geholfen, sein Vater Zebidiah war Cashs Maschinist. Zeb und Miriam sind beim Yankeeüberfall auf Dover verschwunden, aber Toby blieb bei mir. Cash und ich haben ihn großgezogen. Er ist nach der Sklavenenteignung bei mir geblieben. Seinetwegen habe ich schon Ärger mit den Behörden gehabt, aber das hat sich eingerenkt, weil Toby erklärt hat, dass er bleiben will.“

„Sind seine Eltern damals geflohen?“, fragte Martin weiter.

„Miriam und Zeb? Niemals! Toby war erst vierzehn. Den hätte Miriam nie freiwillig verlassen. Nein, ich glaube, sie sind von den Yankees umgebracht worden, weil sie verhindern wollten, dass sie zu uns zurückkehrten.“

Robert hob zweifelnd eine Augenbraue.

„Ich weiß, Sie können’s kaum glauben. Aber bevor Ihr Haufen hier aufgekreuzt ist, waren hier richtig fiese Yankees. Fragen Sie mich heute nicht, von welchem Regiment die waren. Ich hab’s aus meinem Gedächtnis gestrichen, nachdem Sie und Ihre Leute uns so geholfen haben. Wir haben ja zeitweise nicht glauben können, dass ihr ernsthaft Yankees wart.“

Sie machte eine einladende Handbewegung.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Zimmer.“

Mrs. Conover hatte schöne, ruhige Einzelzimmer für die jungen Männer, die sie nicht ohne Stolz präsentierte.

„Und außerdem …“, sagte sie und zog mit einer nahezu theatralischen Geste die Gardine beiseite, „… können Sie von hier fast ganz Dover überblicken, wenn Sie die White Knights beobachten wollen ohne selbst gesehen werden zu können.“

Bennett und Moore nickten. Zwar war ganz Dover doch etwas übertrieben, aber da Conovers Haus an der Ecke eines großen Platzes lag und sich beide Zimmer übereinander an der Ecke befanden und mit Erkern versehen waren, waren mindestens vier Straßenzüge weit einsehbar.

„In der Tat, einen besseren Blick über die hauptsächlichen Straßen von Dover könnte man nicht haben“, bestätigte Robert. „Eine Frage noch, der Vollständigkeit halber, Ma’am.“

Charlotte nickte.

„Eigentlich mehr eine Randbemerkung, wenn Sie erlauben, Mrs. Conover. Nach dem, was wir wissen, wollen die Ku-Kluxer das erreichen, was eine regelrechte Regierung der Konföderation und der offen auftretenden Armee der konföderierten Staaten nicht gelungen ist: die Abtrennung der seinerzeit in Sezession befindlichen Staaten und deren endgültigen Unabhängigkeit von den USA. Cash – Gott hab’ ihn selig – war konföderierter Soldat, und er schien mir überzeugt zu sein, dass dieser Weg der richtige ist. Würde Cash noch leben – hätte er sich den Brüdern angeschlossen?“

Charlottes Blick wurde dunkel vor Zorn.

„Mr. Bennett, ich weiß, dass Cash und Sie trotz politischer Differenzen, trotz der Tatsache, dass er Sie nach Ihrer Gefangennahme bewacht hat wie die Nationalbank und Sie eigentlich gern beschimpft hat, wirklich gute Freunde waren. Das hat Cash mir jedenfalls so gesagt. Sie müssten ihn eigentlich so gut kennen gelernt haben, dass Sie wissen müssen, dass Cash diese Methode nie gebilligt hätte. Wenn Sie nicht so ein liebenswürdiger Mensch wären, würde ich Sie jetzt hochkant hinauswerfen, weil Sie Cashs Andenken derart in den Schmutz ziehen, Major Bennett!“, fuhr sie Robert an.

„Ma’am, nichts liegt mir ferner, als Cashs Andenken zu beschmutzen …“

„Dann erwähnen Sie seinen Namen nie wieder in diesem Zusammenhang!“, unterbrach Charlotte Robert grollend. Er lächelte charmant.

„Gerade, weil Cash ein so guter Freund von mir war, der auch über jeden Zweifel erhaben ist, musste ich die Frage so stellen, Mrs. Conover. Cash wird mir das verzeihen; denn dort, wo er jetzt ist, weiß er, was ich von ihm denke. Es ging mir im Wesentlichen darum, bestimmte Personen gleich aussortieren zu können bei der Frage, ob sie eventuell mit den Klansmen sympathisieren.“

„Sie hätten Cash also nicht von sich aus in diesem bösen Verdacht gehabt?“

„Nie! Dafür kannte ich ihn zu gut – und mochte ihn zu sehr“, bekräftigte Bennett.

„Es tut mir Leid, Major Bennett. Ich hätte es gerade bei Ihnen besser wissen müssen“, bat Charlotte beschämt um Entschuldigung. „Also, ganz in Ruhe: Ich kann Ihnen versichern, dass Cash sich diesen Banditen nie und nimmer angeschlossen hätte. Sie sind etwa vergleichbar mit den Black-Legs, jedenfalls von den Methoden her. Nur, dass sie so verkleidet sind, dass sie sich gegenseitig nicht erkennen können.“

Robert und Martin sahen sich an. Bei beiden blitzte eine Idee auf.

„Ich seh’s dir an: Du denkst das gleiche, das ich denke“, sagte Martin. „Danke, Mrs. Charlotte. Wir werden uns einstweilen einrichten und dann unser weiteres Vorgehen planen.“ Eilig notierte er sich etwas und steckte den Zettel ein. Robert sah zur Uhr.

„Es ist gleich sechs. Wir wollten zu Mr. Barthold“, erinnerte er.

„Dann sollten wir gehen“, erwiderte Martin. „Bis wann können wir ins Haus, Mrs. Charlotte?“

„Ich gebe Ihnen Schlüssel mit“, antwortete Mrs. Conover.

 

Einige Minuten später gingen die Freunde zu Mr. Barthold, der sie gleich ins Hinterzimmer lotste.

„Danke, dass Sie noch gekommen sind, Gentlemen.“

„Was wissen Sie über die so genannten White Knights?“, fragte Robert ohne Umschweife.

„Erstens: Es sind feige Drecksäcke, die sich nicht trauen ihr Gesicht zu zeigen. Zweitens: Sie benehmen sich ähnlich wie die Black-Legs. Sie tauchen auf und verschwinden wieder. Kein Mensch weiß, woher sie kommen und wohin sie wieder verschwinden. Drittens: Sie werden Probleme haben, jedem Einzelnen dieser Lumpen die Beteiligung an den Verbrechen nachzuweisen, weil sie eben vermummt auftreten. Und in Tennessee muss jedem die direkte Beteiligung an einer kriminellen Handlung nachgewiesen werden. An Letzterem wird es vermutlich scheitern, dass mit dem Pack wirklich abgerechnet werden kann.“

„Das deckt sich in etwa unseren bisherigen Informationen“, gab Martin zurück. „Glauben Sie, dass es in Dover selbst Sympathisanten geben könnte?“

„Klar.“

„Hätten Sie jemanden konkret im Verdacht?“

„Mal angenommen, ich nenne Namen – würden Sie denjenigen gleich kassieren und ihm sagen, von wem Sie den Namen haben?“

„Ein Verdacht ist kein Haftgrund, Mr. Barthold. Um jemanden verhaften zu können, brauchen wir einen richterlichen Haftbefehl. Und den Namen eines Informanten geben wir nicht preis“, erklärte Martin.

„Sie würden das also erst überprüfen?“, hakte Barthold nochmals nach.

„Sicher. Ohne Ermittlungen und Beweise bekommen wir keinen Haftbefehl“, stellte Martin klar.

„Der junge Holbrook zum Beispiel. Der tönt immer noch ziemlich laut, herum, dass er für eine erneute Loslösung Tennessees von der Union ist – wo wir doch im Dezember erst wieder Unionsstaat geworden sind!“

„Wo lässt der so was los?“

„In Marys Kneipe zum Beispiel. Aber ich würde mich an Ihrer Stelle dort nicht sehen lassen. Yankees sind dort nicht gern gesehen und Leute, die man für Scalawags halten könnte, erst recht nicht“, warnte Barthold. Martin grinste.

„Wenn Sie’s nicht gerade an eine von Dovers vielen Kirchenglocken hängen, dass ich US Marshal bin, kann ich’s riskieren, dort mal ein Bier zu trinken“, gab er dann zurück.

„Na schön. Sie müssen’s wissen, Marshal. Aber ich hab’ Sie gewarnt. Einen von den Brüdern habe ich erkannt. Sagt Ihnen der Name Grover Heywords was?“

„Allerdings!“, schnaufte Robert.

„Der wohnt neuerdings im wieder aufgebauten Mason Creek, kommt aber häufig nach Dover. Der ist meistens der Wortführer der Klansmen, wenn sie irgendwen hoppnehmen.“

„Gibt es gefährdete Personen?“, erkundigte sich Robert.

„Na, Sie zuerst, Major. Dann die Rohrmanns, eine aus Deutschland eingewanderte Familie. Mr. Rohrmann ist ausgewiesener Abolitionist. Die Leute haben vorher in Pennsylvania gewohnt, echte Yankees. Dann die Vincentis, auch Leute, die aus dem Norden zugewandert sind; ein Geschäftsmann mit Namen Silverman, auch aus dem Norden. Carpet Bagger ersten Ranges. Dann noch Familie Carpenter, Quäker aus Pennsylvania und Vic Habershaw, unser neuer Müller; kommt ebenfalls aus dem Norden. Die alle haben Parzellen einer enteigneten Großfarm von der Regierung gekauft. Man hört, dass Heywords mit dem früheren Eigentümer, Charles Rowland, verwandt sein soll“, erwiderte Barthold. Er sah Robert eine Weile an. „Ein Tipp noch, Major: Heywords war Morrows’ rechte Hand. Er kennt sämtliche Unterschlupfe, die die Black-Leg-Bande je gehabt hat. Da das recht verschwiegene Ecken sind, vermute ich, dass die Brüder sich dort treffen.“

„Danke für den Hinweis, Mr. Barthold. Wo wohnen diese Leute genau?“

„Rowlands früheres Farmland ist ein paar Meilen südlich der Stadt. Gar nicht zu verfehlen, weil die Zäune noch so neu sind.“

„Danke, Mr. Barthold.“

Robert und Martin verließen das Haus des Bahnhofsvorstehers und ritten zunächst zu Rohrmanns Farm.

Carl Rohrmann war ein junger Mann von knapp dreißig Jahren. Er und seine Frau Adele waren erst kurz vor Kriegsausbruch als jungverheiratetes Paar in die USA eingewandert. Zunächst hatten sie sich in Pennsylvania niedergelassen, in der Nähe von Sharpsburg. Nachdem der Krieg mit der Schlacht am Antietam bis auf ihr Land gekommen war und nicht unerhebliche Zerstörungen und einige tausend Gräber hinterlassen hatte, hatten die Rohrmanns die Gegend wieder verlassen wollen. Die Rohrmanns waren aus Liebe zur Freiheit in die Neue Welt gekommen. Das hieß jedoch nicht, dass sie die deutsche Mentalität völlig abgelegt hatten. Zu dieser Mentalität gehört es, seinen Besitz mit einer deutlich erkennbaren und schlecht überschreitbaren Grenze zu markieren – in der Regel mit einem Zaun. Carl Rohrmann hatte seine große Farm, einschließlich der Viehweide mit einem massiven Zaun aus rohen, knapp einen Yard hohen Pfählen und rabiatem Stacheldraht versehen. Zugang gewährte nur ein großer Torbogen eine Viertelmeile südlich des Haupthauses. Rohrmann hatte sein Tagewerk beendet und hatte sich gerade auf seine Veranda gesetzt, als er zwei Reiter bemerkte, die das Farmtor passierten. Nach diversen Überfällen durch Klansmen war Carl Rohrmann überaus misstrauisch gegenüber Fremden geworden. Zu diesem Misstrauen gehörte es, dass er stets ein geladenes Gewehr in seiner Griffweite hatte.

„Adele! Bring’ die Kinder in Sicherheit!“, befahl Carl, als er die Reiter kommen sah. Er hörte, dass seine Frau und die Magd die fünf Kinder beim Namen riefen und in den Dachboden expedierten. Der Farmer nahm sein Gewehr, prüfte kurz die Ladung und vergewisserte sich, dass er nur noch abzudrücken brauchte. Das Gewehr, eine Winchester, schussbereit im Arm, erwartete er die Ankömmlinge vor seiner Veranda.

„Wer sind Sie und was wollen Sie?“, fragte er die Reiter mit unüberhörbar deutschem Akzent.

„Guten Abend, Mr. Rohrmann. Mein Name ist Martin Moore. Ich bin US Marshal“, stellte Martin sich vor und wies auf Robert. „Das ist Major Robert Bennett von der US-Cavalry. Wir sind hier, um nachzusehen, ob Sie und Ihre Familie noch am Leben sind, weil Sie als gutes Ziel für gewisse Verbrecher gelten; schließlich kommen Sie aus dem Norden“, erklärte Martin.

„Wie Sie sehen, ist hier alles in Ordnung, Mr. Moore. Dass wir hier nicht ungefährlich leben, haben wir durchaus schon gemerkt. Aber da waren Sie oder die Kavallerie komischerweise nicht hier! Wir verteidigen uns selbst. Gott sei Dank lebe ich endlich in einem freien Land, in dem man nicht mehr auf die so genannte Obrigkeit als Schutz für Haus und Hof angewiesen ist. Denn die staatliche Macht ist meist sehr weit weg, wenn hier jemand angegriffen wird“, versetzte Rohrmann eisig.

„Wann wurden Sie zuletzt angegriffen, Mr. Rohrmann?“, erkundigte sich Robert.

„Wenn Sie nicht mal das wissen, kann ich keinen Vorteil darin sehen, Sie hier auf meinem Land zu dulden! Verschwinden Sie! Ich brauche keine Ordnungsmacht, die uninformiert ist und zu spät kommt!“, fauchte der Farmer.

„Sagen Sie, Mr. Rohrmann, kann die Polizei in dem deutschen Krümelstaat, den Sie verlassen haben, hellsehen? Oder wie kommen Sie darauf, dass wir es hier vorhersehen müssen, wann Sie überfallen werden?“, fragte Robert, der sich schon zur Ruhe zwingen musste.

„Wenn Sie mich als gefährdet betrachten, weiß ich nicht, warum noch keine Polizei hier gewesen ist, um mich und meine Familie zu schützen! Hauen Sie ab!“

„Mr. Rohrmann, der Gouverneur dieses Staates hat beim Präsidenten der Vereinigten Staaten interveniert, weil hier ein yankeefeindlicher Geheimbund sein Unwesen treibt und er es mit den – sagen wir – normalen Mitteln der Polizeiarbeit nicht mehr schafft, der Lage Herr zu werden. Der Präsident hat Mr. Bennett und mich beauftragt, die Ermittlungen aufzunehmen. Die Ordnungsmacht ist hier vielleicht nicht so hellseherisch wie in Ihrer Heimat, aber das heißt nicht, dass sie nicht vorhanden wäre und den Bürgern dieses Landes nicht hilft“, resümierte Martin und zog die Uhr aus der Tasche. „Mr. Bennett und ich sind vor knapp vier Stunden in Dover angekommen und wir wissen seit ungefähr eineinhalb Stunden, dass es hier eine Einwandererfamilie namens Rohrmann gibt, die ein potenzielles Ziel der Klansmen ist. Eine Stunde benötigt man, um zu Pferd von Dover hierher zu kommen. Wenn Sie der Ansicht sind, dass eine halbe Stunde Verzögerung eine Missachtung Ihrer Person und Ihrer Rechte sind, finde ich das ziemlich unverschämt!“, fuhr er den Mann an.

„Auf meinem Land redet keiner mit mir in diesem Ton! Machen Sie, dass Sie hier wegkommen! Ich brauche Sie nicht! Nicht mehr! Wir haben uns so oft selbst geholfen, dass wir euch Brüder nicht mehr benötigen! Runter von meinem Land! Und lasst euch hier nie wieder blicken!“, schrie Rohrmann wütend.

„Mr. Rohrmann, wir gehen, wie Sie es wünschen“, erwiderte Robert mit weiter erzwungener Ruhe. „Aber ich werde dem Präsidenten, dessen Adjutant ich bin, mitteilen, dass Sie ausdrücklich jede Auskunft zu Überfällen verweigert haben und ebenso ausdrücklich auf Schutz verzichten. Und ich mache Sie auf noch etwas aufmerksam: Selbstjustiz ist hier genauso verboten wie in Ihrem Heimatland!“

„Ich habe das Recht, jeden zu erschießen, der mein Land ohne meine Erlaubnis betritt. Dieses Recht nehme ich in Anspruch – ohne Ansehen der Person! Und wenn Sie jetzt nicht augenblicklich verschwinden, werden Sie merken, dass ich das sehr ernst meine!“, drohte der zornige Farmer.

„Ich bedaure Ihre Sturheit, Mr. Rohrmann, die einfach an Dummheit grenzt. Wie gesagt: Ich werde es dem Präsidenten melden. Leben Sie wohl!“

„Runter von meinem Land!“, brüllte Rohrmann und feuerte in die Luft. Robert und Martin wendeten ihre Pferde und ritten fort, ohne sich noch einmal umzusehen.

Als sie das Tor wieder hinter sich hatten, hielt Robert Rover wieder an.

„Das gibt’s doch gar nicht! So blöd kann man doch gar nicht sein!“, schnaufte er.

„Oh, doch!“, gab Martin zurück. „Glaub’ mir, ich hab’ einschlägige Erfahrungen. Nur, weil hier jeder eine Waffe tragen darf, meinen eine ganze Menge Leute, es gelte nur, was sie selbst für richtig halten. Wenn der mit seinem Nachbarn Streit um Wasserrechte bekäme, hätten wir hier den schönsten Weidekrieg, sag’ ich dir.“

„Verrätst du mir bitte, wie die Polizei in Gestalt von euch US Marshals eigentlich dem Gesetz Geltung verschafft?“

„Mühsam, sehr mühsam, kann ich dir sagen“, seufzte Moore. „Leider hat der Hornochse Recht, wenn er sagt, dass er jeden Eindringling auf seinem Land erschießen kann. Privateigentum ist nun mal nach der Verfassung unverletzlich und der Bürger hat das Recht, sein Eigentum zu verteidigen – auch mit Waffengewalt.“

„Aha. Und wie sollen wir unseren Auftrag erfüllen?“

„Möglichst außerhalb von Privatgrundstücken“, erwiderte Martin, abermals deutlich seufzend. Es blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als die möglichen Schlupflöcher der Klansmen abzuklappern.

 

 

Kapitel 6

Genossen im Ungeiste

Zwei Wochen später hatten der Major und der Marshal sämtliche ihnen bekannten Treffpunkte der Black-Legs inspiziert, aber sie hatten nicht einmal den Schatten eines Ku-Kluxers entdecken können. Martin schrieb seinen Tagesrapport, der mit drei Wörtern erledigt war: Keine besonderen Vorkommnisse.

„Ich versteh’ das nicht! Bevor Johnson uns hierher geschickt hat, tobten hier jeden zweiten Tag die Ku-Kluxer offen durch die Stadt. Das hat sich Mr. Green doch nicht aus den Fingern gesogen!“, seufzte er.

„Natürlich nicht“, erwiderte Robert. Er zuckte mit den Schultern und hakte die Daumen in den Hosenbund. „Aber unsere Ankunft hat sich herum geschwiegen. Die Ku-Kluxer sind erst einmal abgetaucht, weil sie nicht wissen, was sie von uns halten sollen, was hinter uns steht. Es ist wohl auch nicht von der Hand zu weisen, dass ihnen jemand Tipps gibt, wo wir uns gerade aufhalten.“

„Du meinst, jemand, dem wir sagen, wo wir sind, gibt das brühwarm an die Brüder weiter?“, mutmaßte Martin.

„So ähnlich. Ist gut möglich, dass der- oder diejenige dazu auch gepresst wird. Aber ich hab’ da ‘ne Idee.“

„Und?“

Robert bedeutete Martin zu schweigen und nahm seine Landkarte zur Hand. Sie hatten zwar die gesamte Gegend erfolglos untersucht, aber die Cumberland-Höhle ließ Robert trotzdem nicht los. Er deutete auf die Höhle. Martin schüttelte entschieden den Kopf. Nach seiner Überzeugung war dort überhaupt nichts. Robert deutete mit den Fingern an zu sprechen und wies dann auf Mason Creek. Martin sah ihn einen Moment verständnislos an, dann begriff er, dass Robert die Ku-Kluxer auf eine falsche Fährte locken wollte, indem er laut verkündete, dass sie Mason Creek einen Besuch abstatten wollten, sich tatsächlich aber an der Höhle auf die Lauer legen wollten. Schwer zu verbinden waren die beiden Wege nicht, da die Straße nach Mason Creek bis zu einem sehr dichten Waldstück mit dem Weg zur Cumberland-Höhle identisch war. Dort würden Sie abbiegen, sich vielleicht noch einen Tag im Wald aufhalten und dann zur Höhle reiten. Martin nickte.

„Guten Morgen, Jungs“, begrüßte Mrs. Conover die jungen Männer am nächsten Tag am Frühstückstisch. „Was habt ihr heute vor?“

„Ich denke, wir werden nach Mason Creek reiten und mal unserem Freund Heywords auf den Zahn fühlen“, erwiderte Robert mit einem charmanten Lächeln. Charlotte Conover verschwand, um den Kaffee zu holen.

„Du glaubst doch nicht, dass …“, flüsterte Martin verblüfft, als die ältere Dame durch die Tür ging.

„Nein, natürlich nicht. Ich möchte sicher sein, dass wirklich nur wir …“

Robert brach den Satz ab, als Zack, einer der beiden weißen Hausburschen, mit einer großen Gießkanne kam, um die Zimmerpflanzen zu wässern.

„Guten Morgen, Sirs“, begrüßte er die Hotelgäste.

„Morgen, Zack“, erwiderten Robert und Martin.

„Hast du Heywords’ genaue Adresse in Mason Creek?“, fragte Robert dann Martin.

„Ja, Nummer 15 in der Baker Road.“

Als sie zwei Stunden später wegritten, bemühten sie sich, langsam zu reiten, um auf der festen Straße möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Mitten im Wald machte die Straße eine scharfe Kurve, die eventuellen Verfolgern die Sicht stark einschränkte. Die beiden Männer lenkten ihre Pferde ins Dickicht, Robert verwischte die wenigen Spuren, die sie zu hinterlassen drohten. Dann warteten sie eine ganze Stunde, aber es war niemand hinter ihnen. Schließlich ritten sie – wie ziellos – einige Stunden durch den Wald. Gelegentlich maulte Martin über Roberts miserablen Orientierungssinn. Als es dunkel wurde, wollte Martin Feuer machen, aber Robert verneinte.

„Wir müssen nicht so auf uns aufmerksam machen“, warnte er. Martin grinste und machte ein Verschwiegenheitszeichen. Dann stopfte er Reisig unter seine Satteldecke, nachdem er auf einer größeren Lichtung einen Steinkreis zurechtgelegt und diese Feuerstelle mit trockenem Holz belegt hatte. Robert begriff. Falls die Ku-Kluxer sich tatsächlich in dieser Nacht treffen sollten, war es denkbar, dass einige von ihnen an dem Lagerfeuer vorbeikamen – und vielleicht unliebsame Zeugen ihrer Anwesenheit beseitigen wollten. Wenn Robert und Martin sich dann im Gebüsch außerhalb des Lagerfeuers versteckten, konnten sie eventuell jemanden abgreifen, der zu der Bande gehörte.

„Du, ich bin ein Depp!“, bekannte Robert. „Schade um den Hut!“, seufzte er dann, als er seinen Hut zu guter Letzt auf die Reisigpuppe legte. Martin zündete das gut gedämmte Feuer an, Robert legte noch einige Reiser als ‚Alarmklingeln’ hinter ihre Standorte, falls jemand von hinten an sie herankam. Dann tauchten sie in den Büschen unter und warteten.

Der Vollmond ging auf und zog eine knappe Stunde über den Nachthimmel, als nicht weit vom Feuer entfernt zwei spitze, weiße Kappen auftauchten und plötzlich in der Bewegung innehielten.

„Hey, was ist das?“, fragte der eine halblaut. „Wer treibt sich hier zu der Zeit herum?“

„Wenn die uns bemerken, sind wir geliefert!“, raunte der andere. „Komm, leise! Wir erledigen sie gleich!“

Die beiden weißgewandeten Gestalten erschienen auf der Lichtung.

„Das sind doch die beiden Schnüffler!“, platzte einer heraus. Die beiden Gestalten sahen sich im flackernden Licht des Feuers an, dann schossen sie auf die angeblichen Schläfer, was die Läufe ihre Winchesters hergaben.

„Die haben genug, Zack!“, sagte schließlich einer von beiden. „Die schnüffeln nicht mehr hinter uns her. Aber was wollten die eigentlich hier? Die haben doch gesagt, sie wollten nach Mason Creek?“

„Is’ doch wurscht! Hauptsache, sie sind hin!“, versetzte der andere. Er stapfte vor und lupfte den schwarzen Hut mit der Armeekordel.

„Ja, verdammt noch …“

„Bleib ganz ruhig, Kleiner!“, zischte eine Stimme hinter ihm. Der Ku-Kluxer blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen, als er einen kalten Revolverlauf im Nacken spürte und das Knacken des Hahns hörte. „Nimm die Pfoten hoch, aber schön langsam – und dann nimm diese Maskerade ab!“, befahl die Stimme. In den Ohren des überrumpelten Ku-Kluxers klang sie metallisch kalt. Gehorsam hob er die Hände und nahm langsam die Kapuze ab. Als er im ersten Impuls nach dem, der ihn gestellt hatte, schlagen wollte, spürte er einen dumpfen Schmerz am Kopf und ging zu Boden. Robert Bennett hatte keinen Augenblick gezögert, ihn niederzuschlagen. Der zweite, ebenso überraschte Ku-Kluxer unterließ jeden Widerstand. Martin nahm ihm die Kapuze ab und riss ihn grob herum.

„Schätze, das reicht für ein paar Sonntage hinter schwedischen Gardinen – aber Pfingstsonntage, mein Junge!“, knurrte er. „Im Namen des Gesetzes: Sie sind verhaftet! Alles, was Sie von jetzt an sagen, kann gegen Sie verwendet werden!“, sprach er die vorgeschriebene Festnahmeformel.

„Schau an! Zack Berner und Calvin Scarton!“, bemerkte Robert, der die beiden Banditen als Charlotte Conovers weiße Hausburschen identifizierte. „Was führt euch mitten in der Nacht her?“, fragte er. Zack Berner, dem Martin Handfesseln anlegte, schaltete auf stur.

„Ich sag’ dazu nichts! Kann mir ja nur in die Bude regnen!“, versetzte er bockig.

„Zack, weißt du, was ein Kronzeuge ist?“, fragte Martin.

„Nee, keine Ahnung!“, grunzte Berner.

„Das ist jemand, der den Karren in den Dreck gefahren hat und um da ‘raus zu kommen tunlichst die Wahrheit sagen sollte, wer ihn angestiftet hat, so dusselig zu sein“, erklärte der Marshal. „Wenn du uns hilfst, den Ku-Klux-Klan hier auszuheben, kommst du billiger weg, als wenn du für den versuchten Mord an zwei Gesetzeshütern hängst!“

„Wir … wir sind keine Ku-Kluxer!“, behauptete Zack.

„Aha. Und was ist das hier?“, fragte Martin und hielt ihm die Kapuze vor die Nase.

„Na, ja: Maskerade eben!“

„Na schön. Dann lautet die Anklage eben: Versuchter Mord in zwei Fällen – für dich und für Calvin! Und bilde dir nicht ein, dass man dich für einen Märtyrer des Südens halten wird“, resümierte Martin süffisant. Robert belebte inzwischen den zweiten Ku-Kluxer wieder. Als der zu sich kam, fand er sich gefesselt wieder.

„He, was soll das?“, maulte er benommen.

„Wenn du mir eine plausible Antwort darauf geben kannst, weshalb du dieses Gewehr ratzeputz auf meine Satteldecke leer geschossen hast, lasse ich vielleicht mit mir reden, dich nicht gleich windelweich zu hauen!“, versetzte Robert. Calvin Scarton sah auf und blickte in die Mündung eines Revolvers Marke Colt, Kaliber .45, geladen und entsichert.

„Oh, Scheiße!“, fluchte Calvin halblaut.

„Fluchen ist keine Antwort, Calvin!“, entgegnete Robert kalt. Calvin fröstelte es bei dem Blick in ein Paar vor Wut obsidianschwarze Augen, die mindestens so kalt waren wie das Gestein hier in den Bergen.

„Das war Zufall.“

„Dass du deine Kanone leer geschossen hast, war Zufall? Verarschen kann ich mich alleine, Calvin!“

„Dass wir auf euch gestoßen sind, das war Zufall“, präzisierte Calvin. „Wir hatten Angst, entdeckt zu werden“, gab er dann zu.

„Und deshalb schießt man auf schlafende Leute?“

„Aber das waren doch Puppen!“, wehrte sich Zack.

„Das habt ihr auch gerade gemerkt!“, knurrte Martin. „Wohin wolltet ihr?“

„Das werde ich dir auch gerade sagen, Scalawag!“

„Zack, du kannst wählen: Singen oder baumeln!“, stellte Moore klar.

„Ach, leck uns doch …!“, zischte Calvin.

„Calvin – du hast sage und schreibe sechzehn Kugeln in diese Puppe da geballert! Ich garantiere dir, dass du es sechzehn Mal bereuen wirst, es getan zu haben, und ich bedaure, dass noch ein Richter Mitspracherecht dabei hat! Aber wenn du etwas kooperativer bist, könnte es sein, dass nicht nur ich etwas milder gestimmt bin, sondern der Richter auch!“, erwiderte Robert. Sie schwiegen dennoch eisern, zitterten aber wie Espenlaub.

„Ihr zittert, als ob ihr Sumpffieber habt!“, bemerkte Martin grinsend. Calvin wollte gerade ansetzen, als ihn der andere zur Ordnung rief:

„Halt’s Maul! Wenn du was sagst, geht’s uns schlecht!“

„Und wenn ihr nicht freiwillig was sagt, könnte es euch noch viel schlechter gehen!“, drohte Bennett mit finsterer Miene.

„Ich sag’ nur noch was mit’m Anwalt!“, versetzte Zack. Robert sah Martin an.

„Findest du’s auch so lustig, wenn sich Leute auf das Recht berufen, die es den ganzen Tag und abends mit Beleuchtung mit Füßen treten?“

Martin war versucht, Robert über die Rechte von Verhafteten aufzuklären. Andererseits hatte er – speziell bei diesen beiden, die unzweifelhaft versucht hatten, ihn und Robert zu töten – keine allzu große Lust dazu. Es ging letztlich auch nicht um gerichtsverwertbare Beweise, sondern um den Treffpunkt der Klansmen.

„Hör mal, du Grünschnabel:“, sagte Robert und packte Zack grob am Kragen. „Ich habe schon während des Krieges gegen deine Sorte gekämpft, und an eurer notorischen Feigheit hat sich nichts geändert. Ich habe nicht für fünf Cent Hemmungen, euch beide mit eurer eigenen Kost zu füttern! Hier ist weit und breit kein Rechtsanwalt oder Richter, der euch wohlgesonnen ist. Also, Bursche, wenn den Morgen halbwegs gesund erleben willst, dann sagst du besser, was du weißt, so wenig Grips auch zwischen deinen Ohren sein mag! Hast du verstanden?“

Zack war sich nicht sicher, ob der Mann mit den zornschwarzen Augen nicht doch ernst meinte, was er sagte. Er wollte lieber nicht ausprobieren, wie es sich anfühlte, wenn der zuschlug. Seine Faust hatte jedenfalls einen eisenharten Griff und sah auch nicht gerade weich aus. Zack entschloss sich, auszupacken.

„Ist ja gut! Ich sag’ ja alles!“, beschwor er Robert.

„Fang’ an zu singen!“, knurrte der.

„Also, unser Treffpunkt heute ist die Cumberland-Höhle. Owl, der hiesige Chef, hat uns alle dort zusammengerufen. Es geht vielleicht um einen Überfall auf die Vincentis, Yanks aus Oregon oder so. Aber wenn wir dahingehen, müssen wir immer mit den Kutten bekleidet sein. Keiner kennt den anderen. Wir kennen uns alle nur mit den Codenamen, die Owl uns gegeben hat.“

„Aha, Und wer bist du?“

Zack druckste einen Moment, weil er sein Totemtier nicht gerade schmeichelhaft fand.

„Gopher“, sagte er schließlich.

„Und du, Calvin?“, wandte Robert sich an den anderen.

„Weasel“, erwiderte der maulend.

„Damit kennen wir schon mal zwei und können sie auch zuordnen“, brummte Martin und notierte sich Decknamen und echte Namen in sein Notizbuch.

„Wann trefft ihr euch heute?“, fragte er dann weiter.

„Um elf Uhr“, antwortete Calvin. Martin sah auf die Uhr.

„Das ist in einer Stunde. Schaffen wir das noch?“

„Wenn wir die Abkürzung nehmen, ja“, gab Robert zurück. Martin nickte.

„Ihr bleibt schön brav hier. Und damit ihr nicht in Versuchung geratet, euch davonzuschleichen, werden wir euch hier verknoten“, sagte der Marshal. Er zerrte Zack so heftig und plötzlich zu dem nächstgelegenen Baum, dass der gar nicht dazu kam, sich zu wehren. Ehe Zack es sich versah, hatte Martin ihn mit den Handschellen an den Baum gefesselt. Robert knüpfte Calvin auf die gleiche Art fest, dann knebelten sie ihre Gefangenen.

Eilig sattelten die Freunde ihre Pferde und machten sich auf den Weg zur Cumberland-Höhle.

„Lass uns über den Bergrücken reiten“, sagte Robert, als sie sicher außerhalb der Hörweite der beiden festgesetzte Ku-Kluxer waren.

„Du weißt, welche Tageszeit und welche Lichtverhältnisse wir haben?“, erkundigte Martin sich vorsichtig.

„Ja, ich weiß, dass es dunkel ist“, erwiderte Robert grinsend. „Komm, vertrau’ mir.“

Sie ritten eine Weile durch die Nacht und dann war Martin klar, weshalb Robert diesen Weg riskieren konnte: Der Vollmond leuchtete den Weg über den Bergrücken aus. Dennoch hielten sie sich im Schatten der den Weg säumenden Bäume. Robert sah gut im Mondlicht und führte den nicht ganz so gut sehenden Martin.

„Wie machst du das bloß?“, fragte Moore flüsternd.

„Ich habe so viele Möhren gefuttert, dass es für den Rest meines Lebens reicht. Auch’n Tipp von Zwei Schlangen.“

„Erzähl’ mir nicht, die Roten kennen auch Mohrrüben!“, widersprach Martin.

„Sie haben sie bei den weißen Siedlern kennen gelernt und schnell gemerkt, dass Möhrchen gut für die Augen sind“, gab Robert grinsend zurück.

Der Weg über den Bergrücken war – wie von Robert erwartet – nicht bewacht. Unbemerkt erreichten sie ein kleines Plateau oberhalb des landseitigen Höhlenzugangs. Im Schein vieler Fackeln sahen Martin und Robert etwa fünfzig weißbemäntelte Kapuzenmänner stehen. Außer den Augen ließen die Kutten und hohen Kapuzen nichts frei. Auf den Kutten waren Zeichen aufgenäht, die augenscheinlich den Codenamen entsprachen, denn der, der Owl genannt wurde, hatte auch eine Eule auf seiner Kutte.

„Bis dahin haben die Früchtchen ja die Wahrheit gesagt“, brummte Robert, als sie sich auf dem Plateau in Horchstellung begaben.

„Gopher und Weasel fehlen noch, Owl“, rief unten einer, der Sterne auf der Kutte hatte. Owl zog seine Uhr aus der Tasche.

„Wenn sie jetzt noch immer nicht da sind, haben sie sich bei der Dunkelheit bestimmt verlaufen“, mutmaßte Owl. „Wir fangen ohne sie an“, entschied er dann. „Brüder: Morgen Abend wird das brennende Kreuz die Farm von John Vincenti beleuchten und demonstrieren, dass wir die Herren von Tennessee sind! Morgen, bei Einbruch der Dunkelheit, greifen wir die Farm an. Star übernimmt mit Goose, Eagle, Ball und Sword das Haupttor. Horse, Wolf und Dog die Rückseite des Hauses. Cock und Fox mit Triangle und Moose die Viehställe, Elk, Arrow und Crown die Scheune, Oven, Roof und Rope die Front des Hauses; Cross hat wie immer mit Hangman und Feather für das Kreuz im Hof zu sorgen – und alle anderen geben Deckung. Wer sich wehrt, wird erschossen; wer sich nicht wehrt, wird gehängt! Hangman: Du sorgst bitte auch noch für deine guten Stricke. Ich möchte keine Ausfälle erleben!“

Alle Aufgerufenen bestätigten die Aufträge, die Owl ihnen gegeben hatte.

„Lang lebe Dixieland!“, rief Owl noch, bremste den aufkommenden Sturm der Begeisterung dann aber mit einer Handbewegung ab. „Verschwindet jetzt“, löste er die Versammlung dann auf.

„Na, das hört sich ja zauberhaft an!“, schnaufte Martin leise.

„Wenn wir die Jungs vom Fort alarmieren, greifen wir den ganzen Haufen ab“, brummte Robert. Eilig schlichen die Freunde sich davon, nahmen auf dem Rückweg die beiden schon gefangenen Ku-Kluxer mit und ritten mit ihren Gefangenen durch bis nach Fort Donelson.

 

 

Kapitel 7

Nachbarschaft

Im Morgengrauen erreichten die zwei Gesetzeshüter mit ihren Gefangenen das Fort. Donelson war nach dem Krieg zunächst aufgegeben worden, war dann aber im Zuge der Besetzung der abtrünnigen Staaten neu belegt worden. Die Soldaten unterstanden den jeweiligen Gouverneuren. Da Tennessee seit Dezember 1866 wieder als Staat in die Union aufgenommen worden war, hatte der Gouverneur auch wieder Männer aus Tennessee in den Forts seines Staates. Sie alle hatten der Union Treue geschworen. Verrat oder Komplizenschaft mit den Ku-Kluxern war von dieser Seite nicht zu erwarten – bei den örtlichen Polizeien, die nicht unbedingt durch den unionstreuen Gouverneur installiert waren, war das nicht so sicher.

Der Torposten rief die beiden in Zivil gekleideten Reiter an und befahl ihnen, stehen zu bleiben.

„Wer sind Sie und was wollen Sie?“, rief er hinunter.

„Ich bin Major Robert Bennett im Sonderauftrag des Präsidenten Johnson. US Marshal Moore und ich haben heute Nacht zwei Mitglieder des Ku-Klux-Klan dingfest gemacht. Ich möchte zu Lieutenant-Colonel Stark.“

„Moment, Sir!“

Wenig später öffnete die Wache das Tor und Bennett und Moore ritten ein. Robert lenkte Rover gleich zum Kommandantenhaus. Lieutenant-Colonel Earl Stark trat heraus und musterte die Reiter eingehend. Robert salutierte.

„Major Robert Bennett, Stab des Präsidenten, Sir. Ich bin mit US Marshal Moore im Sonderauftrag des Präsidenten wegen Ermittlungen gegen den Ku-Klux-Klan hier. Zwei von den Burschen haben wir heute Nacht schon einfangen können.“

Stark sah Bennett eine Weile zweifelnd an. Der Mann auf dem hübschen Rappen trug nichts, was auf eine Uniform hinwies, sah man von der gold und schwarz geflochtenen Kordel mit den goldfarbenen Eicheln an seinem schwarzen Stetson ab. Weder die hellbraune Baumwollhose noch die ähnlich getönte Lederjacke waren Uniformteile, das offene Holster aus braunem Leder mit dem Revolver ebenfalls nicht. Allenfalls das dunkelblaue Hemd mit dem Plastron hatte gewisse Ähnlichkeit mit Sonderbekleidungsstücken der Army.

„Bevor ich Sie als Soldaten akzeptiere, bitte ich um Ihren Ausweis, Sir.“

Robert war sich bewusst, nicht sehr militärisch auszusehen. Sein Räuberzivil war für die Wildnis der Berge Tennessees allerdings besser geeignet als die übliche Uniform. Er zog seinen Ausweis und ließ ihn von Stark prüfen.

„Gute Arbeit, Major Bennett“, lobte Stark schließlich, als er sich überzeugt hatte, einen Offizier vor sich zu haben. Er winkte der Wache, die die Gefangenen in Empfang nahmen und zum Arrestblock brachten. Lieutenant-Colonel Stark bat Bennett und Moore in sein Amtszimmer.

„Sir, ich bitte Sie, die beiden einzulochen, bis ein Richter eine Jury ausgelost und einen Verhandlungstermin angesetzt hat“, bat Robert, nachdem sie sich gesetzt hatten.

„Ich kann mir denken, dass Sie die nicht gern in der Stadt lassen wollen. Die Früchtchen sind hier erst einmal gut aufgehoben.“

„Danke, Sir. Für heute Abend brauchen wir Verstärkung. Wir haben heute Nacht erfahren, dass die Farm der Vincentis heute bei Einbruch der Dunkelheit überfallen werden soll. Es dürften so etwa fünfzig Mann sein, die Budenzauber mit Hängeparty veranstalten wollen.“

„Ich nehme an, Sie haben eine Vollmacht vom Gouverneur, dass Sie Truppen in Anspruch nehmen können?“, fragte Stark.

„Nicht vom Gouverneur, Sir, aber vom Präsidenten“, erwiderte Robert und überreichte Stark eine entsprechende Anweisung des Präsidenten, die für alle Bundestruppen galt.

„Major, meine Truppe ist keine Bundestruppe. Ihre Vollmacht gilt nur für US-Truppen, nicht für Truppen des Staates Tennessee. Ohne die Genehmigung des Gouverneurs kann ich Ihnen keine Männer zur Verfügung stellen“, gab Stark zurück und reichte Robert die Vollmacht.

„Marshal Moore und ich sind hier, weil der Gouverneur von Tennessee den Präsidenten darum gebeten hat, Sir. Nach meinem Kenntnisstand sollte uns jegliche Unterstützung durch die örtlichen Behörden gegeben werden. Das schließt staatseigene Truppen ein, Sir.“

„Leider hat man vergessen, mich davon zu unterrichten, Major. Sie werden verstehen, dass ich ohne Genehmigung des mir vorgesetzten Gouverneurs keine Truppen geben kann.“

„Dann bitte ich Sie, an den Gouverneur zu telegrafieren und sich von dort bestätigen zu lassen, dass wir Truppen in Anspruch nehmen können.“

„Das will ich gern tun, Major – nur zu allem Unglück ist der Gouverneur nicht da. Ich kann ihn nicht erreichen“, entgegnete Stark.

„Sir, Sie sind für die Sicherheit der Bürger dieses Staates verantwortlich, oder?“, versuchte Robert es auf andere Weise.

„Ja, natürlich“, bestätigte der Lieutenant-Colonel.

„Die Vincentis sind ganz konkret gefährdet. Ebenso wie die Rohrmanns, die schon einige Male überfallen worden sind. Was hindert Sie daran, wenigstens eine Patrouille zu der Farm zu schicken, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist und für Schutz zu sorgen, wenn das nicht der Fall ist?“, erkundigte sich Robert.

„Major, jeder, der nicht im Krieg für die Konföderation gekämpft hat oder – falls es sich um Frauen und Kinder handelt – mit einem solchen Veteranen nicht verwandt oder verheiratet ist, gilt in dieser Gegend als Yankee oder als Scalawag und ist damit mindestens potenziell in Gefahr, von diesen Banditen angegriffen zu werden. Ich habe hier ein kleines Regiment, das knapp zur Hälfte aufgefüllt ist. Ich kann nicht jedem, der entsprechend gefährdet ist, zwanzig Soldaten ums Haus postieren“, erklärte Stark seufzend.

„Richtig. Aber hier geht es um eine wirklich konkrete Gefährdung. Wir haben den Plan mithören können“, schaltete Martin sich ein.

„Wir hatten schon mal diverse sehr konkrete Hinweise, dass bestimmte Leute überfallen werden sollten. Also haben wir Schutztruppen gestellt. Und dann wurden nicht die angeblich Bedrohten angegriffen, sondern ganz andere, auch noch so weit weg, dass wir nicht einmal mehr eingreifen konnten. Wir sind ziemlich gebrannte Kinder, was das betrifft. Da Sie beide mir zudem nicht persönlich bekannt sind, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich ohne die Genehmigung des Gouverneurs nichts unternehme.“

Robert und Martin sahen sich an und nickten sich verstehend zu.

„Nein, wir nehmen es Ihnen nicht übel, Sir – aber die Leute, die heute Nacht ungebetenen Besuch bekommen werden, die werden es Ihnen wahrscheinlich krumm nehmen“, seufzte Robert. „Ich sehe ein, dass wir im Moment bei Ihnen nichts erreichen. Dennoch bitte ich Sie, sich mit der Kanzlei des Gouverneurs in Verbindung zu setzen. Man wird Ihnen von dort bestätigen, wer wir sind, was unsere Aufgabe und unsere Befugnisse sind. Wir werden einstweilen versuchen, den Vincentis auf andere Art zu helfen. Guten Tag, Sir.“

Robert nahm seinen Hut und stand auf, Martin ebenfalls.

„Es tut mir Leid, dass ich nicht mehr für Sie tun kann, Gentlemen.“

Der Major und der Marshal nickten nur und verließen dann die Kommandantur.

„Zu meiner Zeit war Fort Donelson ein Posten, auf den sich die Bevölkerung der Gegend verlassen konnte“, knurrte Robert, als sie das Tor passierten und die Wache es hinter ihnen wieder schloss.

„Wir sollten zunächst zu den Vincentis reiten und sie wenigstens warnen“, schlug Martin vor.

„Gern. Mir wäre es aber noch lieber, wenn wir andere Farmer hier dazu bringen könnten, ihren Nachbarn zu helfen.“

„Selbstjustiz?“, keuchte Martin erschrocken.

„Nein, Nothilfe, Selbstverteidigung, mein Freund“, grinste Bennett. „Nimm doch mal an, ich hätte eine Ranch, du wärst bei mir zu Gast und meine Ranch wird angegriffen – von Ku-Kluxern zum Beispiel. Erstens schießen die sowieso auf alles, was sich bewegt und hängen, was stehen- oder liegen bleibt; folglich wäre dein Leben auch in Gefahr, wenn du schweigend daneben stehst und zweitens würdest du mir als mein Freund doch bestimmt in so einer Situation helfen, oder nicht?“

„Stimmt“, räumte Martin ein. „Meinst du, dass die Vincentis unter den sonstigen Farmern hier solche Freunde haben?“

„Wenn nicht, wird es Zeit, dass sich die Nachbarschaft hier deutlich verbessert“, versetzte Robert und trieb Rover an.

Zwei Stunden später trabten sie durch das Tor der Farm von John Vincenti. Der Farmer war beim Holzhacken, als er die beiden Reiter kommen sah. Vincenti wischte sich den Schweiß ab, blinzelte den Männern entgegen und behielt vorsichtshalber die große Holzaxt in der Hand. Er war ein Mann mittleren Alters, etwa fünfdreiviertel Fuß groß, sehnig und muskulös. In den nackenlangen braunen Haaren zeigten sich erste graue Strähnen, ebenso in dem kurz gehaltenen Vollbart. Graugrüne Augen musterten die Reiter eingehend.

„Wohin des Weges?“, fragte er.

„Zu Ihnen, wenn Sie John Vincenti sind“, erwiderte Martin. „Ich bin US Marshal Martin Moore, das ist Major Robert Bennett von der US-Cavalry.“

„Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?“

„Wir kommen, um etwas für Sie zu tun, Mr. Vincenti“, sagte Robert. „Wir hatten heute Nacht das zweifelhafte Vergnügen mit anhören zu müssen, dass die Ku-Kluxer für heute bei Einbruch der Dunkelheit einen Überfall auf Ihre Farm planen.“

„Sind Sie bewaffnet, Sirs?“

„Ja“

„Nur mit Ihren Revolvern oder haben Sie noch mehr zu bieten?“

„Gewehre haben wir auch.“

„Munition?“

„Einige hundert Schuss haben wir jeder bei uns.“

„Meine Frau, mein Sohn und ich haben ebenfalls Gewehre und ‘ne Menge Munition. Haben Sie ‘ne Ahnung, wie viele uns auf den Pelz rücken wollen?“

„Wenn wir richtig gezählt haben und alle mitmischen, dürften es etwa fünfzig werden“, erklärte Martin.

„Tja, Gentlemen, dann suchen Sie sich schon mal den schönsten Ast aus. Er sollte stabil sein, damit er nicht vorzeitig unter Ihrem Gewicht bricht. Sie werden ‘ne Weile dran baumeln – wie meine Familie und ich auch. Vielleicht vergewaltigen sie auch meine Frau noch, bevor sie sie aufknüpfen. Mit fünf Leuten haben wir gegen fünfzig Ku-Kluxer wohl keine ausrechenbare Chance“, versetzte Vincenti bitter.

„Wie gut schießen Sie, Mr. Vincenti?“

Der Farmer grinste.

„Sagen Ihnen Berdan’s Sharpshooters was?“

Martin und Robert sahen sich an. Colonel Hiram Berdan hatte während des Krieges zwei Regimenter aufgestellt, die den Südstaatlern als professionelle Heckenschützen erhebliche Verluste beigebracht hatten. Die Männer waren meist Jäger, Trapper oder Waldläufer gewesen, bevor sie zur Army gekommen waren. Ein Scharfschütze, der bei einem dieser Regimenter gewesen war, schoss auch auf der maximalen Entfernung seiner Waffe nicht daneben, das war bekannt. Robert war selbst ein guter Schütze, aber mit einem Scharfschützen aus Berdans Truppe konnte er nach eigener Überzeugung nicht mithalten.

„Nun, Mr. Vincenti, Sie werden wissen, wie gut Sie treffen“, seufzte Robert. „Wie stehen Sie zu Ihren Nachbarn?“

„Wie meinen Sie das, Major?“

„Nun, hat es Sinn, dort um Unterstützung zu bitten oder kommt es zur Keilerei um Wasserrechte, wenn wir Ihre Nachbarn dazu holen?“

„Sagen wir es so: Meine Nachbarn sind sehr unterschiedlich“, seufzte Vincenti, schlug die Axt in den Hauklotz und zog sich sein Hemd wieder über. „Ich habe das Land hier von der Regierung gekauft; es ist einem reichen Sklavenhalter enteignet worden und in sechs Parzellen aufgeteilt worden. Diese sechs Parzellen haben Leute aus den Nordstaaten erworben.

Chuck Silverman ist das, was man einen typischen Carpet Bagger nennt: Er kam hier an mit nichts als einer Reisetasche voller Dollars, von denen keiner genau wusste, ob er sie überhaupt legal erworben hat. Silverman benimmt sich wie die Axt im Wald, wenn es um die hier ansässigen Leute geht. Er hat mit Walt Connor, einem ausgewiesenen Südstaatler, der der Enteignung aber mangels zu großen Reichtums entgangen ist, einen Wasserkrieg angefangen.

Meine Parzelle liegt zwischen den beiden Farmen von Silverman und Connor. Beide wollen mein Land, denn der Fluss, um den sie sich streiten, fließt mitten durch meine Äcker.

Dann sind da die Rohrmanns, deutsche Eigenbrötler, die auf jeden schießen, der sich nur dem Weidetor nähert. Ich habe da einschlägige Erfahrungen – buchstäblich, denn ich hatte eine Kugel im Arm, als ich mich ganz zu Anfang mal verlaufen habe und auf Rohrmanns Land geraten bin. Danach hat Rohrmann seine – wie nennt er das doch gleich? Ach ja: Heimstatt – rundum mit Stacheldraht gesichert und hat Schilder aufgestellt: Betreten verboten und so weiter. Er flucht über die mangelnde Solidarität, aber ist auch nicht bereit, welche zu geben.

Dann sind da die Carpenters, Quäker aus Pennsylvania. Denen werden Sie nicht für Geld und gute Worte eine Waffe in die Hand geben.

Dann ist da noch Victor Habershaw, ein Müller, der nebenbei auch noch Getreide anbaut und einen geradezu unverschämten Mahlzins fordert.

Und schließlich hat Emilio Gonzales, ein Mexikaner, ein Häppchen Land erwischt. Gonzales ist im Norden Mexikos ein Großgrundbesitzer, der die Parzelle hier über einen Strohmann aus dem Norden gekauft hat. Gonzales möchte hier Pferde züchten und bedrängt ständig alle anderen Käufer der Parzellen, ihm ihr Land zu verkaufen – natürlich unter dem schon sehr niedrigen Kaufpreis, den die Regierung dafür gefordert hat. Ich glaube nicht, dass einer von denen bereit wäre, uns hier zu helfen.“

„Sind Sie schon mal überfallen worden?“, fragte Martin.

„Bedroht, aber nicht überfallen.“

„Hat einer ihrer Nachbarn Sie schon mal um Hilfe gebeten?“

„Nein. Ich wüsste auch nicht, warum ich einem von denen helfen sollte“, versetzte Vincenti.

„Haben Sie schon mal jemanden aus der Nachbarschaft um Hilfe gebeten?“

„Ja, die Carpenters. Die haben mit Hinweis auf ihren Glauben abgelehnt. Gonzales wollte mir nur helfen, wenn ich ihm dafür mein Land überlassen hätte. Silverman machte Hilfe ebenfalls davon abhängig, dass ich ihm mindestens den Teil meines Landes abtrete, durch den der Fluss fließt. Sie sehen, Hilfe gibt’s hier nur gegen Bares oder Erfüllung recht grober Forderungen“, erwiderte Vincenti.

„Bevor diese Nachbarschaft sich ändert, fließt der Tennessee rückwärts“, seufzte Martin.

„Dann bleiben also nur Sie drei und wir zwei“, konstatierte Robert.

„Dieser Connor …“, warf Martin ein, „hasst er Nordstaatler?“

„Was heißt hassen, Mr. Moore? Er mag uns nicht, soviel ist sicher.“

„Er wäre unter keinen Umständen bereit, Ihnen zu helfen?“

„Wenn ich ihm Land abtrete vielleicht. Ich gestehe, nachdem er mich aufgefordert hat, ihm Land zu verkaufen und ich mich geweigert habe, gehe ich ihm lieber aus dem Weg. Ich habe es seither nicht mehr versucht.“

„Na schön, dann versuch ich’s mal“, versetzte Martin.

„Ich glaube nicht, dass er einem Yankee einen Gefallen tun wird“, zweifelte Vincenti.

„Nein, einem Yankee nicht, Mr. Vincenti. Aber mir vielleicht“, erwiderte Martin lächelnd. „Robert, sieh dir doch schon mal die Verteidigungsmöglichkeiten an, fangt an, das Anwesen zu sichern. Ich reite zu Connor und werde versuchen, ihn zur Hilfe zu überreden“, sagte er dann. Robert nickte. Martin stieg auf und ritt eilig davon.

„Glauben Sie ernsthaft, dass der Marshal etwas erreicht?“, fragte der Farmer.

„Mr. Vincenti, ich glaube, ich sollte Ihnen sagen, dass Marshal Moore während des Krieges unser beider Gegner war.“

Vincenti prallte zurück.

„Wie bitte? Der … ein … Re… Rebell? Das glaub’ ich nicht!“, entfuhr es dem entsetzten Farmer.

„Glauben Sie’s mir ruhig. Ich kenne Marshal Moore schon über zehn Jahre, Mr. Vincenti. Und ich habe am Antietam mit ihm recht heftig gefochten. Wir haben uns wirklich nichts geschenkt. Aber ich verdanke ihm auch mein Leben. Ohne ihn wäre ich aus konföderierter Gefangenschaft wohl kaum nach Hause gekommen.“

Vincenti seufzte tief auf.

„Kommen Sie. Ich zeige Ihnen unsere Möglichkeiten“, sagte er dann.

Das Haus der Vincentis war ein massives Steinhaus, das auch Tonschindeln als Dachpfannen hatte. Es war zweistöckig, mit fast quadratischem Grundriss und hatte an drei Seiten je vier Fenster. An der vierten Seite war der Stall direkt an das Haupthaus angebaut. Etwa zwanzig Yards vom Haus entfernt stand die einzeln stehende Scheune, die komplett aus Holz gebaut war.

„Was ist in der Scheune, Mr. Vincenti?“, fragte Robert.

„Heu und Stroh für das Vieh.“

„Ersetzbar?“

„Warum?“

„Wäre ich der Angreifer, würde ich die Scheune niederbrennen. Erstens schüchtert das schön ein, wenn so ein Heuschober in hellen Flammen steht und zweitens gibt es wunderbares Licht. Es wäre jedenfalls nicht ungefährlich, wenn sich jemand in der Scheune verbarrikadieren würde.“

„Ist schwer zu verteidigen. Ist klar. Kommen Sie, ich zeig’ Ihnen noch was.“

Vincenti führte Robert auf den Dachboden. Neben dem Schornstein führte ein Dachfenster auf das Dach. Um den Schornstein herum lief eine knapp einen halben Yard breite, brusthohe Umrandung, ähnlich einen Wehrgang in einem Fort.

„Von diesem Krähennest aus hat man rundum freies Schussfeld“, erklärte Vincenti.

„Ja, außer der äußeren Stallwand. Da ist’n toter Winkel.“

„Ich weiß, ließ sich aber nicht anders machen. Nur müssen die Brüder da erst mal hinkommen“, gab Vincenti zurück.

„Dann müssen wir die Seite ein bisschen sichern“, grinste Robert. Er und John Vincenti kletterten wieder herunter und machten sich dann daran, die Farm so großflächig wie möglich zu sichern.

 

 

Kapitel 8

Zureden

Martin Moore erreichte inzwischen die Farm von Walt Connor. Einer von Connors Farmgehilfen brachte den Marshal zu seinem Chef. Connor blickte verblüfft auf den Mann, den sein Mitarbeiter zu ihm brachte.

„Martin Moore! Das ist ‘ne Überraschung!“, freute er sich. „Was machst du hier?“

„Tag, Walt. Ich bin dienstlich hier“, erwiderte Martin und schüttelte Connors freundlich dargebotene Hand.

„Du bist immer noch Marshal, wie ich sehe“, bemerkte Connor.

„Ja. Wie ich sehe, hast du deinen Marshalstern wieder abgegeben, Walt. Aber ich könnte deine kollegiale Hilfe gebrauchen.“

„Setz’ dich, Martin; ‘n Whisky?“, bot Connor an.

„Nein, danke. Ich hab’ heute noch nicht mal gefrühstückt und die ganze Nacht nicht geschlafen“, erwiderte Martin und unterdrückte nur mühsam ein Gähnen.

„Holla, warum das?“

„Walt – bevor ich alles ausbreite, muss ich erst etwas geklärt haben. Du bist Südstaatler, warst Mark Ashleys Lieutenant. Du hast bis zum bitteren Ende für den Süden gekämpft, und du bist Grundbesitzer“, stellte Martin fest.

„Stimmt“, bestätigte Connor.

„Was hältst du von der Union?“

„Wie bitte?“

„Ich habe dich gefragt, was du von der Union hältst“, wiederholte Moore.

„Du weißt doch, dass ich den Eid auf die Verfassung geleistet habe“, versetzte Connor.

„Im Ernst? Oder um Schlimmerem zu entgehen, Walt?“, bohrte der Marshal. Connor seufzte.

„Du hattest keine Mühe, mich damals zu überzeugen und ich habe es im Ernst getan, als ich den Eid auf die Verfassung der Union geschworen habe.“

„Gut. Du hast gewisse Nachbarn, die aus dem Norden sind. Was hältst du von denen?“

„Yankees. Carpet Bagger. Kleinkariert. Unpassend für diese Gegend“, grunzte Connor.

„Was hältst du von den White Knights?“

Connor bekam eine Ahnung, auf was Martin hinaus wollte. Er wurde bleich.

„Gott im Himmel! Leg dich nicht mit denen an!“, warnte er. „Die sind schlimmer als die Black-Legs!“

„Soviel ich weiß, bist du von den Black-Legs mal überfallen worden, oder?“

„Ja“, bestätigte Walt. „Dank der Yanks im Fort Donelson bin ich aus Payne wieder ‘rausgekommen. Aber dafür haben mich dann die Yanks schmoren lassen.“

„Warst du in Fort Payne, als dort ein Yankeeoffizier ausgekniffen ist?“

„Meinst du den, den Morrows und seine Hundesöhne einmal wieder eingefangen und so fürchterlich mit Sklavenpeitsche und Viehbrandstempel malträtiert haben?“, erkundigte sich der Farmer.

„Genau den.“

„Ich hab’ nicht vergessen, dass er und seine Leute es waren, die uns aus Payne ‘rausgeholt haben. Und ich weiß auch, dass er sich das mit uns Dixies anders vorgestellt hat. Sein Colonel hat uns fast verschimmeln lassen, nicht der Captain Bennett“, erwiderte Connor.

„Captain Bennett ist inzwischen Major und der Adjutant des Präsidenten. Er und ich sollen den Klanbrüdern Feuer unterm Hintern machen.“

„Aha“, bemerkte Connor ohne besonderes Interesse.

„Walt: Diese Hundesöhne sind schlimmer als die Black-Legs, du sagst es selbst. Du hast selbst unter den Black-Legs gelitten, ebenso wie Robert. Heute Nacht wollen die Klansmen einen deiner Yankee-Nachbarn hochnehmen. Robert ist bereits dort. Die Vincentis sind zu dritt; kommen Robert und ich dazu, sind wir zu fünft. Wir wissen, dass die Brüder mit etwa fünfzig Mann auflaufen werden. Wir brauchen deine Hilfe, Walt.“

Connor seufzte.

„Martin, diese Brüder waren der Grund, weshalb ich den Stern wieder abgegeben habe. Du hast Recht, sie terrorisieren alle, die sie nicht für linientreue Rebellen halten. Ich bin auch schon bedroht worden. Bennett und du, ihr werdet irgendwann wieder weggehen. Der Klan wird wiederkommen“, warnte er.

„Mag sein. Aber wenn ihr euch gegenseitig unterstützt, werden diese feigen Socken merken, dass sie hier keine Chance haben“, erwiderte Moore. Connor dachte einen Moment nach.

„Die Nachbarschaft ist nicht die beste“, wandte Connor ein. „Ich glaube nicht, dass einer von meinen Yankee-Nachbarn bereit wäre, mir in einer ähnlichen Situation zu helfen“, gab er zu bedenken.

„Zugegeben. Gerade Mr. Vincenti hat uns erzählt, dass hier in der Gegend Hilfe in der Regel an eine Gegenleistung gekoppelt wird. So in der Art: Ich helfe dir, wenn ich die Hälfte deines Landes kriege …“

Connor sprang auf.

„Das ist doch …“

„Ich sagte: In der Art – das war kein wörtliches Zitat, Walt“, grinste Martin. „Du kannst den Anfang machen, diesen komischen Teufelskreis zu durchbrechen: Hilf Vincenti heute Nacht. Dann wird er eine Hilfe später nicht verweigern können, wenn du in ähnliche Gefahr gerätst. Es ist dann nur eine Frage des Signals, Walt.“

Connor wanderte eine Weile unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab, erwog Vor- und Nachteile dessen, was Martin ihm gerade vorgeschlagen hatte.

„Okay“, sagte er schließlich, „ich bin dabei.“

„Deine Leute?“

„Ich denke, da würden einige mitmachen.“

„Gut. Vielleicht könnt ihr den Klansmen in den Rücken fallen, wenn sie die Farm attackieren“, schlug Martin vor.

„Hoffentlich klappt das besser, als bei der Partisanenjagd“, grinste Connor.

„Klar – diesmal sind’s ja Südstaatler, die von hinten kommen“, erwiderte Moore mit einem breiten Lächeln.

„Gut. Sag Vincenti, dass wir kommen. Hast du noch das Recht, Deputies zu ernennen?“

„Ja.“

„Dann ernenn’ mich bitte wieder zum Deputy, damit mir nicht irgendein Yankee die Geschichte später als Selbstjustiz auslegt.“

Als Martin Moore von Walt Connors Farm fortritt, hatte er zwölf Deputies ernannt und auf Bibel und Verfassung schwören lassen. Siebzehn gegen fünfzig stand es damit! Immer noch ein unmögliches Verhältnis, wenn es wirklich zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen würde. Doch würden die Ku-Kluxer es wirklich auf so einen massiven Kampf ankommen lassen oder würden sie sich nicht doch zurückziehen, um es bei besserer Gelegenheit neu zu versuchen, wenn sie ernsthaften Widerstand erfuhren?

 

 

Kapitel 9

Kampf um die Vincenti-Farm

Robert Bennett und John Vincenti hatten währenddessen die Fenster im Erdgeschoss so mit Sandsäcken verbarrikadiert, dass es von außen nicht sichtbar war. Zwar würde es die Scheiben kosten, wenn die Angreifer auf die Fenster schießen würden, aber das war das kleinere Übel im Vergleich zu dem, was passieren würde, wenn dort gar keine Sicherung vorgenommen würde. Außerdem sollten die Klansmen die Falle nicht bemerken. Im Obergeschoss hatten die beiden Männer ebenfalls Sandsäcke vorbereitet. Die Ku-Kluxer würden eine ganz fürchterliche Überraschung erleben.

Als Martin von Connor zur Vincenti-Farm zurückkehrte, hatte er den Eindruck, als hätte Robert noch keinerlei Maßnahmen zur Verteidigung ergriffen. Kopfschüttelnd stieg Martin vom Pferd, als er einen Draht bemerkte, der etwa in Wadenhöhe um das Haus lief – in einer Entfernung, die ein Einsteigen, ja sogar ein unmittelbares Bewerfen des Hauses mit Sprengstoff fast ausschloss. Martin wurde vorsichtiger. Bei Tageslicht waren die Stolperdrähte einigermaßen sichtbar, wenn man sich darauf konzentrierte. So kam der Marshal zum Haupthaus, ohne sich in den Fallen zu verfangen. Karen Vincenti öffnete ihm, als er klopfte.

„Guter Gott! Die Farm ist ja eine Festung!“, entfuhr es ihm, als er die gut getarnten Verbarrikadierungen im Inneren bemerkte. Was immer brennbar war, war möglichst weit von den Fenstern weggenommen – ausgenommen die Gardinen und Stores, um nach außen hin eine völlig unvorbereitete Farm zu zeigen.

„Ihr Freund und mein Mann haben ihre militärische Erfahrung genutzt, Marshal“, lächelte Mrs. Vincenti.

„Mr. Connor wird noch aushelfen. Ich habe mit ihm ausgemacht, dass er den Klansmen in den Rücken fällt“, erklärte Martin. „Wo ist Robert?“

„Er hat sich schlafen gelegt, Marshal. Sie sollten das auch tun. Wie Mr. Bennett sagte, haben Sie beide die letzte Nacht ja nicht geschlafen.“

Martin nickte und ließ sich von Karen Vincenti das Zimmer zeigen, wo die Vincentis ihre Gäste untergebracht hatten.

Robert schlief auf einem Strohsack. Hemd und Hose hatte er ausgezogen, weil die Decke völlig ausreichte. Als Martin sich auf den Strohsack in der anderen Zimmerecke legte, drehte Robert sich gerade um auf den Bauch. Das bizarre Narbenmuster auf seinem Rücken zeichnete sich im Licht des Nachmittages deutlich ab. Zwar wusste Martin um die schmerzhaften Wunden, deren Folgen diese Narben waren, aber er hatte noch nie das vollständige Ausmaß gesehen. Wenn er sich vorstellte, dass alle diese Narben zum gleichen Zeitpunkt offene Wunden gewesen waren … Martin schauderte es. Wie hatte sein Freund das überhaupt überlebt?

Langsam wurde es dunkel. Im Haus der Vincentis war noch alles still, weil sich auch die Familie vorsorglich schlafen gelegt hatte, um in der bevorstehenden Nacht frisch zu sein. Im Westen verblasste der letzte Lichtschein, als Robert aus dem tiefen Schlaf erwachte. Es wurde Zeit aufzustehen. Im Schein einer nur niedrig brennenden Petroleumlampe zog er sich an und weckte dann Martin, der nur schwer in die Wirklichkeit zurückfand. Er sah zu Robert hinüber, der die Ladung seiner Waffen prüfte und seinen Patronengurt bestückte. Seit zwei Tagen war der junge Major nicht mehr rasiert. Ein dunkler Stoppelbart umrahmte sein ebenmäßiges, sonnengebräuntes Gesicht und gab ihm ein verwegenes Aussehen. Martin fuhr sich prüfend um das eigene Kinn. Er sah offenbar kaum anders aus.

„Ist fast wie damals in der Cumberland-Höhle, als wir auf Yancey und seine Kumpane gewartet haben“, bemerkte Robert mit einem fast wölfischen Grinsen.

„Aussehen tust du fast so – nur dass du heute voll einsatzfähig bist und dass du nicht ausbrechen musst, um Verstärkung zu holen. Walt Connor hat Hilfe zugesagt“, erwiderte Martin.

„Gut. Vincenti geht aufs Dach und hat weitgehend freies Schussfeld rundum. Du nimmst das Fenster hier, ich nehme mir das nebenan vor. Mrs. Vincenti und ihr Sohn übernehmen das andere Nachbarzimmer“, erklärte Robert die Einteilung. Martin nickte.

„Was sind das für Drähte im Hof?“, fragte er dann.

„Stolperfallen, damit sie uns gar nicht erst ans Haus kommen. Außerdem haben John und ich kleine, fiese Sprengfallen gelegt.“

„So was wie am Antietam?“

„Genau das!“, erwiderte Robert. Martin sah die eiskalte Entschlossenheit in Roberts Blick. Meist war ein freundliches Leuchten in seinen Augen, aber jetzt schien die sonst haselnussbraune Iris aus der steinharten Schale von Paranüssen zu bestehen. Die steile Falte zwischen den Augen verhieß ebenfalls nichts Gutes.

„Mir tun die Klansmen schon fast Leid. Die wissen gar nicht, mit wem sie sich angelegt haben!“, seufzte der Marshal. Ein metallisches Geräusch zeigte, dass Bennett seine Winchester durchgeladen hatte.

„Weißt du“, sagte Robert dann langsam, „mein Vater hat mir mal gesagt, dass ich gegenüber den Partisanen die gleiche Politik verfolge, wie er gegenüber den Indianern. Ich muss zugeben, dass er Recht hat. Und deshalb werde ich heute Nacht nicht schießen, um jemanden kampfunfähig zu machen, wenn ich ihn tödlich treffen kann. Ich habe durchaus vor, diese Banditen ins Jenseits zu befördern!“

Das war keine leere Drohung, das war eine Ankündigung. Martin wusste um die Schießkünste seines Freundes.

„Ich hoffe, du wirst nicht auch noch auf Verwundete schießen.“

„Kommt drauf an“, erwiderte Bennett. „Wer sich ergibt hat sicher bessere Chancen als jemand, der meint, er müsse auch noch verwundet auf einen von uns schießen. Letzterer hat Pech gehabt.“

Damit stand Robert auf, wandte sich seiner Stellung zu und wartete.

Der Fackelzug der Ku-Kluxer war nicht zu übersehen. Die Männer in den weißen Kutten machten sich nicht die Mühe, sich zu tarnen oder heimlich an das gewählte Ziel heranzugehen. In der Regel verbreitete schon ihr Aufzug mit Fackeln und Kapuzen Angst und Schrecken. Hinter den Maskenkapuzen erkannte sie ja niemand. Und bisher hatten sie auch noch nirgendwo ernsthaften Widerstand erhalten. Bei einem Verhältnis von fast zwanzig zu eins war das auch kein allzu großes Wunder. Die Ku-Kluxer kamen in dieser Nacht nicht, um jemanden zu verjagen, sie kamen, um zu töten. Oft genug hatten sie Vincenti gewarnt, ihn bedroht. Er hatte nicht weichen wollen. Heute Nacht würden er und seine Familie die Quittung für seine Sturheit bekommen. Hangman hatte seine Stricke bereit, um mögliche Überlebende der Angegriffenen an Ort und Stelle aufzuhängen. Cross und Feather schleppten das große Kreuz, das als brennende Visitenkarte nach dem Überfall jeden abschrecken sollte, dem Klan Widerstand zu leisten. Drei Leichen, die im Licht des brennenden Kreuzes baumelten – das würde schon für die nötige Angst der noch verbleibenden Yankees und Scalawags sorgen. Der Zug teilte sich auf ein Handzeichen von Owl in zwei Hälften. Die eine Gruppe umging die Farm in südlicher Richtung, die andere marschierte schnurstracks auf das Hauptgebäude zu.

„Sie kommen“, sagte Vincenti. Er nickte Robert zu, der sein Nicken erwiderte. John Vincenti stieg in sein Krähennest hinauf, Robert bezog seinen Posten am vorderen Fenster. In dem Nicken der beiden Männer stand die unausgesprochene Vereinbarung, in dieser Nacht ebenso gezielt zu schießen, wie sie es im Krieg getan hatten. John war berufsmäßiger Scharfschütze, und von Robert hatte es in seiner Einheit stets geheißen, dass es keinen besseren Schützen gab als ihn. Sie wollten den in deutlich sichtbarer Überzahl kommenden Klansmen keine Chance geben, das Haus zu stürmen, um die Bewohner im Nahkampf zu überwältigen. Robert sah hinaus auf den Hofplatz, der jetzt von den vielen Fackeln der Klansmen erhellt wurde. Einen Moment noch hatte er Gewissensbisse, gezielt tödlich zu schießen, aber als er die Stricke in Hangmans Hand sah und an das Gerücht dachte, Grover Heywords – jener Heywords, der seinerzeit Yancey Morrows willigster Handlanger gewesen war, als der Robert ausgepeitscht und gebrandmarkt hatte – sei nun eine führende Figur des Klans, verstummten die letzten Mahnungen christlicher Vergebung in Bennett. Da war mindestens noch eine Rechnung offen, denn Heywords war der Vernichtung der Gruppe Morrows entgangen, hatte seine Strafe noch nicht bekommen. Heute Nacht sollte er sie haben …

„John Vincenti! Komm heraus!“, rief Owl vor dem Haupthaus.

„Wenn ich komme – was passiert dann?“, fragte Vincenti von oben. Der Schornstein lag im Dunkeln, die Klansmen konnten ihn nicht sehen, wohl aber hören.

„Wir haben dir oft genug gesagt, dass du mit deiner Brut hier verschwinden sollst, Vincenti! Wir wollen hier keine Yankees! Du hast nicht gehört – und jetzt ist unsere Geduld am Ende! Du wirst hängen – samt deiner Familie!“

„Ihr wollt einen Jungen von sechzehn Jahren hängen? Ihr wollt eine Frau hängen? Ihr seid nichts als Abschaum; ihr seid keine Gentlemen, was ihr Südstaatler ja immer von euch behauptet. Ihr seid einfach feige Banditen!“, rief Vincenti vom Dach. „Aber wenn ihr uns hängen wollt, dann müsst ihr uns erst einmal haben. Los, kommt, und holt uns, wenn ihr könnt!“

„Verdammt, wo ist der Kerl?“, grollte Owl, der den gut getarnten Mann zwar zu Recht auf dem Dach vermutete, ihn aber nicht entdecken konnte. „Stellt endlich das Kreuz auf und macht mehr Licht!“

Robert spürte, dass er nicht mehr alleine war. Er zuckte herum und erkannte gerade noch, dass es Martin war, der hinter ihm stand. Langsam ließ er den Hahn des Revolvers zurückgleiten, damit sich kein Schuss löste. Martin sah ihn erschrocken an.

„Großer Gott! Das Ding steckte doch eben noch im Holster!“, entfuhr es ihm.

„Was machst du hier? Dein Platz ist nebenan!“, zischte Robert, ohne auf Martins Bemerkung einzugehen

„Es sind zu viele. Ich helfe hier erst mal aus. Mein Fenster ist gesichert“, beruhigte Martin ihn. Robert schnaufte. Wozu ein Schlachtplan, wenn er nicht eingehalten wurde?

„Wenn nicht, dann geht’s uns schlecht! Im Nahkampf machen die uns platt!“, warnte der Major.

„Vertrau mir“, lächelte Martin.

Eine Explosion erschütterte die Nacht, als eine Stichflamme aus der Scheune schoss, die in hellen Flammen stand. Erschrocken prallten die Klansmen zurück, die von hinten gegen das Haupthaus vorgingen.

„Ich warne euch! Die Farm ist vermint! Verschwindet, solange ihr noch Zeit habt!“, schrie Vincenti.

Obwohl Owl Vincenti nicht sah und trotz der nicht von seinen Leuten ausgelösten Explosion ging er weiter davon aus, leichtes Spiel mit einem Mann, einer Frau und einem halbwüchsigen Jungen zu haben.

„Los, schießt, was die Läufe hergeben, Jungs! Macht sie alle!“, befahl der Anführer. Ohne genau zu sehen, worauf sie eigentlich schossen, eröffneten die im Hof befindlichen Klansmen das Feuer. Scheiben klirrten, als die Kugeln sie durchschlugen und von den Sandsäcken dahinter gebremst wurden.

Robert hob sein Gewehr und erwiderte das Feuer der vorderen Klansmen tödlich gezielt. Fünf Schüsse, vier Mann sanken tot zu Boden, der Fünfte schrie schwer verwundet vor Schmerzen. Unbeeindruckt davon stürmten die nächsten auf Befehl des Anführers vor, verhedderten sich in den Stolperdrähten und wurden von Robert und Martin so mit Schüssen eingedeckt, dass sie sich wieder zurückziehen mussten, weitere vier Tote zurücklassend.

Vincenti nahm sich die Horde vor, die weiterhin von hinten an das Haus heranzukommen versuchte. Eine weitere Sprengfalle explodierte, riss drei Ku-Kluxer in den Tod und verwundete weitere sechs. Die Klansmen hinten sahen zwar das Mündungsfeuer auf dem Dach, schossen auch in Vincentis Richtung, aber der hatte sein Krähennest so mit Sandsäcken verstärkt, dass die ohnehin nur aufs Geratewohl abgegebenen Schüsse wirkungslos blieben. Mit ihren Fackeln standen die Klansmen mitten im Büchsenlicht und waren für John Vincenti lebende Zielscheiben, die er nicht verfehlen konnte.

Owl versuchte es nun von der Stallseite, doch auch dort wurde das Feuer massiv erwidert. Karen Vincenti und auch der junge Mark verteidigten ihr Leben ebenso verbissen wie der Vater auf dem Dach und die beiden Gesetzeshüter vorne. Auch an dieser Seite starben vier Klansmen, sieben waren kampfunfähig verwundet und schrien um Hilfe.

Die Ku-Kluxer zogen sich zunächst zurück. Martin hielt Robert davon ab, auch auf die Zurückweichenden zu schießen.

„Nein“, sagte er mahnend, „sie weichen zurück. Lass es!“

Widerstrebend senkte Bennett das schon erhobene Gewehr.

„Die sind gleich wieder da“, erwiderte er. „Die fragen sich im Moment, wie viele wir eigentlich sind. Sie werden bald nachgezählt haben.“

Owl hatte inzwischen nachgerechnet. Er hatte die Hälfte seiner Leute schon verloren, aber aufgeben kam für ihn nicht infrage. Es bestand die Gefahr, dass einige der Verwundeten doch zu viel wussten und den Rest der Gruppe auffliegen lassen konnten. Das Risiko war dem Anführer zu hoch. Er befahl den Angriff von allen Seiten gleichzeitig. Die Klansmen stürmten vor und verfingen sich erneut in Stolper- und Sprengfallen, im gezielten Feuer der Verteidiger der Farm. Robert musste nachladen, was Martin daran hinderte, seinen eigentlichen Platz aufzusuchen. Owl rappelte sich gerade wieder auf, nachdem er über einen der vielen Stolperdrähte gefallen war und zielte auf das Fenster im ersten Stock, von wo das heftigste Gegenfeuer kam. Zu seinem Pech hatte Robert fertig geladen und war wieder schussbereit. Der Major zielte sorgfältig, traf Owl genau zwischen die Augen und tötete ihn auf der Stelle. Ebenso erging es Hangman, den Vincenti vom Dach erschoss und Star, der Martins Kugel zum Opfer fiel.

Der komplette Ausfall der Führungsriege verunsicherte die verbliebenen Klansmen nun doch. Sie zogen sich wieder zurück in Richtung der brennenden Scheune. Diesmal feuerte auch Martin noch hinter den Zurückweichenden her. Robert stellte sein Fernvisier auf und zielte auf eines der Sprengstoffdepots, die er und Vincenti um die Farm verteilt hatten. Entsetzt sprangen die Klansmen vor der vernichtenden Explosion beiseite – in Richtung der brennenden Scheune, deren wabernde Hitze sie wieder zurücktrieb. Jetzt wichen sie zur Farm hin zurück, verwirrt und jetzt auch verängstigt.

Martin sah die Chance, die Männer zum Aufgeben zu bewegen. Er legte sein Gewehr weg, stand auf und legte die Hände an den Mund.

„Geben Sie auf! Es hat keinen Zweck! Die Farm ist zu gut gesichert. Sie haben keine Chance! Geben Sie auf und wir garantieren Ihnen ein faires Verfahren vor einem ordentlichen Gericht mit neutralen Geschworenen!“, rief er laut.

„Shit! Ein Marshal!“, fluchte einer der Klansmen. „Der weiß eindeutig zu viel! Legt ihn um!“, brüllte er dann und schoss sofort. Bevor Robert Martin in Deckung reißen konnte, sackte der getroffen zusammen und schrie auf.

„Was ist mit dir?“, fragte Robert besorgt.

„Treffer in der Brust!“, japste Moore. Er presste eine Hand auf den rechten Brustbereich. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Unten wurde es noch lauter, als die Klansmen ihre Chance in der Feuerpause nutzten und wieder vorstürmten. Robert ließ Martin vorsichtig zu Boden, warf sich wieder hinter seine Sandsäcke und schoss schnell und gezielt auf die Angreifer. Die völlig überraschten Ku-Kluxer hatten wieder schlimme Verluste, weil der wütende Robert jetzt keinerlei Pardon mehr kannte und Vincenti ebenfalls tödlich genau zielte. Sieben der zehn Angreifer vor dem Haus blieben tot auf dem Platz. Die überlebenden drei Mann zogen sich wieder zurück.

„Sie ziehen sich wieder zurück!“, rief Vincenti von oben.

„Wie viele sind’s noch?“, fragte Robert

„Schätze zehn bis fünfzehn“, kam es vom Dach zurück.

„Martin, von wo kommt Connor?“

„Von … hinten“, ächzte Martin.

Der Hauptangriff der Klansmen hatte sich gegen die Front des Hauses gerichtet, dort, wo das Licht am besten war. Fünf der Angreifer hatten nach Owls Befehl, von allen Seiten anzugreifen bemerkt, dass die Stallseite des Hauses völlig ruhig geblieben war. Sie arbeiteten sich über die Stolperdrähte an diese Seite heran, die zu verteidigen eigentlich Martins Aufgabe gewesen wäre, hätte er nicht von sich aus an der Front ausgeholfen. John Vincenti konnte die Ku-Kluxer vom Dach aus nicht wahrnehmen, weil sie es inzwischen geschafft hatten, in den toten Winkel des Krähennestes zu kommen.

Unten im Haus klirrten Scheiben. Die Angreifer drangen durch die Sandsackbarrieren in das Haus ein und stürmten sofort in das Obergeschoss.

„Vorsicht!“, warnte Martin, als der erste über den Treppenabsatz kam. Robert ließ sich fallen, zog noch im Fallen den Revolver und schoss auf den Eindringling. Mit einem Schmerzensschrei stolperte der Ku-Kluxer rückwärts und riss den nachfolgenden Mann gleich noch mit. Robert sprang wieder auf die Füße, packte seine Winchester und rannte in den Flur zur Treppe. Der dritte Mann, der noch unten war, bemerkte Robert und schoss. Die Kugel traf Robert in die linke Schulter, der das Gewehr fallen ließ. Aber mit der rechten Hand konnte er den Colt fassen und feuerte nach unten. Der Ku-Kluxer wurde vom Einschlag der Kugel nach hinten gerissen und fiel rücklings über einen umgestürzten Stuhl. Die verbleibenden Eindringlinge merkten, dass ihre Chancen trotz der offensichtlichen Verwundung des Majors nicht zu ihrem Besten standen und wollten fliehen. Sie kamen nicht weit, weil Robert sie ohne jede Rücksicht niederschoss. Selbst vor Schmerz stöhnend, stieß er die Waffen der Banditen weg und verpasste einem, der aufstehen wollte, einen so brutalen Tritt in die Weichteile, dass der Mann augenblicklich ohnmächtig war. Zwei der Ku-Kluxer hatten sich beim Sturz von der Treppe das Genick gebrochen und waren tot, die anderen drei lebten, waren aber kampfunfähig verwundet.

 

 

Kapitel 10

Erwachen

Die letzten acht Ku-Kluxer, die angesichts des aussichtslosen Kampfes fliehen wollten, standen plötzlich vor Deputy Marshal Walt Connor und fünf weiteren Männern, die Martin zu Deputies ernannt und eingeschworen hatte. Völlig geschockt hoben die Kapuzenmänner die Hände. Das Desaster für den Ku-Klux-Klan war komplett. Nicht nur, dass sechsundzwanzig von ihnen tot und sechzehn mehr oder weniger schwer verwundet waren, nein, man hatte sie gefangen genommen, konnte ihnen Tat und Mitgliedschaft im Ku-Klux-Klan zweifelsfrei nachweisen.

„Jetzt ist’s genug, Boys!“, rief Connor. „Im Namen des Gesetzes: Ihr seid verhaftet.“

„Elender Scalawag!“, fluchte einer der Weißbemäntelten. Er hatte keine Gelegenheit mehr, die unbedachten Worte zu bereuen. Walt Connor erschoss ihn.

„Noch jemand, der dumme Bemerkungen machen will?“, fragte der Farmer die wenigen verbliebenen Klansmen. Sie schwiegen erschrocken. Die Deputies trieben die Gefangenen auf die Farm der Vincentis zurück. Der Hof glich einem Schlachtfeld, war übersät mit Toten und Verwundeten. Als Connor mit seinen Deputies dort ankam, standen auch Carl Rohrmann, sein Bruder und dessen ältester Sohn mit schussbereiten Gewehren in Vincentis Hof, um dort auszuhelfen. Die verbliebenen Ku-Kluxer waren beeindruckt von der Solidarität unter den sonst so zerstrittenen Nachbarn. Jedem der Gefangenen wurde klar, dass die Yankees doch besser zusammenhielten, als sie lange Zeit geglaubt hatten. Und noch deutlicher war, dass nicht jeder, der für den Süden gekämpft hatte, ihre Methoden billigte.

John Vincenti kam aus seinem Krähennest herunter, während seine Frau sich schon um die Verwundungen von Martin und Robert kümmerte.

„Sie haben Glück gehabt, Marshal. Es ist ein Streifschuss“, sagte sie und verband Martins Brustverletzung.

„Ich werd’ nie ‘n Stratege“, seufzte Martin, als die Farmersfrau Robert die Schulter untersuchte.

„Die Kugel steckt noch drin, Major. Ich kann sie nicht entfernen. Sie brauchen einen Arzt.“

Robert verzog schmerzvoll das Gesicht und stöhnte unterdrückt, als Karen Vincenti ihm einen Verband anlegte, um die Blutung zu stillen.

„In Donelson ist ein Truppenarzt. Der wird die Kugel schon ‘rauspulen“, ächzte er. „Legen Sie ihn einfach nur still, damit ich ihn nicht bewegen kann.“

Mrs. Vincenti nickte, legte seinen linken Arm in eine Schlinge, befestigte auch die linke Hand fest am Körper und half dem Major, sich wieder anzuziehen.

„Wie sieht’s insgesamt aus, Mr. Vincenti?“, fragte Martin. Der Farmer grinste über das ganze Gesicht.

„Der Ku-Klux-Klan hat eine böse Niederlage hinnehmen müssen, Marshal. Von den fünfzig Mann, die hier aufgetaucht sind, sind siebenundzwanzig tot, sechzehn verwundet und sieben mit ziemlich bleichen Gesichtern Gefangene. Entwischt ist keiner, wie mir Mr. Connor sagte. Und ich habe etwas gelernt, Marshal: Das, was bis vor zwei Jahren galt, gilt nicht mehr unbedingt. Sie, Mr. Connor und seine Männer haben meine Hochachtung, weil Sie gegen Ihre eigenen Leute vorgegangen sind. Major Bennett, Sie wären eine Zierde des Scharfschützenregiments von Colonel Berdan gewesen. Ich habe noch keinen, der nicht bei Berdans Haufen war, so präzise schießen sehen. Ich glaube, ich habe Sie sehr unterschätzt.“

Robert bedankte sich bei Karen Vincenti für die Notversorgung und wandte sich dann an ihren Mann:

„Das, Mr. Vincenti, ist auch anderen schon so gegangen. Aber jetzt bin ich neugierig, wer eigentlich unter den Kutten steckt.“

Unter den Toten fand sich der junge Holbrook, den Mr. Barthold schon im Verdacht gehabt hatte, mit dem Ku-Klux-Klan etwas zu tun zu haben. Unter den unverletzten Gefangenen fanden sich Charles Rowland, der Vorbesitzer der unter den Nordstaatlern aufgeteilten Plantage und auch Grover Heywords, Yancey Morrows ehemaliger Spießgeselle. Robert musste sich sehr beherrschen, den Mann nicht auf der Stelle zu erschießen.

„Du elende Ratte lebst also leider noch!“, fauchte er. „Aber diesmal hängst du, Grover, und wenn ich dich persönlich aufknüpfe. Ich habe nicht vergessen, wer Morrows so willig assistiert hat, als der mir das Fell gegerbt und mir sein Brandzeichen verpasst hat.“

Bevor Heywords sich ducken konnte, hatte Robert ihm einen so fürchterlichen Schwinger mit der gesunden Rechten verabreicht, dass Heywords der Länge nach in den Staub flog und benommen liegen blieb. Die anderen Ku-Kluxer rückten näher zusammen, fürchteten, ebenfalls noch Schläge zu bekommen. Martin stoppte Robert, der noch hinter Heywords herwollte.

„Das reicht, Major! Die sind jetzt ein Fall für das Gericht.“

„Ja, Sir!“, knurrte Robert, aber er ließ von den gefangenen Klansmen ab.

Am Mittag waren die verwundeten Gefangenen sowie Robert und Martin im Lazarett von Fort Donelson. Während bei Martin nur ein Verbandwechsel nötig war, musste der Arzt Robert die Kugel unter Vollnarkose aus der Schulter operieren. Lieutenant-Colonel Stark besuchte den Major, als der am Abend wieder zu sich kam.

„Wie geht es Ihnen, Major Bennett?“, erkundigte er sich.

„Die Kugel ist ‘raus, der Arm ist noch dran – aber ich habe höllische Schmerzen, das dürfen Sie mir glauben. Kommen die Banditen alle durch?“

„Dr. Watson, unser Stabsarzt, meint, dass alle überleben werden. Aber die meisten werden einige Zeit hier verbringen müssen.“

„Bewachen Sie sie gut, das sind gemeingefährliche Lumpen!“, erwiderte Robert.

„Das werden wir tun. Und ich werde den Gouverneur bitten, meine Truppe deutlich aufzustocken, damit die aus dem Norden zugereisten Leute hier nicht beim nächsten Mal wieder auf die Hilfe von nur zwei Mann angewiesen sind. Übrigens, Mr. Green vom Clarksville Advertiser war schon hier. Er hat einen Bericht über den Kampf um die Vincenti-Farm geschrieben und sagte mir, Sie hätten vor ungefähr zwei Jahren schon mal so unter Banditen aufgeräumt.“

„Stimmt, aber da hatte ich ein ganzes Bataillon zur Verfügung. Damals haben wir die Hurensöhne in der Cumberland-Höhle ausgeräuchert. Der Chef, Yancey Morrows, ist dabei in die Schlucht gestürzt und umgekommen. Wir hatten gehofft, dass der Spuk damit vorbei wäre, aber die damaligen Überlebenden sind offenbar nicht geheilt worden, wie man an Mr. Heywords sieht.“

„Nun, diesmal wird’s wohl kein Pardon mehr geben, Major. Diesmal werden die Burschen hängen, schätze ich.“

„Hoffentlich, Sir, hoffentlich“, murmelte Robert.

Nicht nur der Clarksville Advertiser von Isaac Green berichtete von der wilden Schlacht um die Farm der Vincentis. Auch die Washington Post berichtete recht umfangreich über die herbe Niederlage der Geheimbündler. Fast alle, die sich für Fachleute für diesen Geheimbund hielten, vertraten die Ansicht, dass der Ku-Klux-Klan endgültig am Ende war. Noch andere Experten rieten dem Präsidenten, seinen Adjutanten schleunigst zurück zu holen, bevor der richtig in die Mühlen der Presse geriet.

Johnson folgte dem Rat und beorderte Robert und nach dem Erscheinen der ersten Berichte zurück. Er wies auch Marshal Moore an, nach Washington zurückzukehren, da sich das Problem Ku-Klux-Klan offenbar erledigt hatte. Beide traten nur widerwillig die Heimreise an. Robert vor allem deshalb, weil er Susan nicht verwundet unter die Augen treten wollte. Doch das Telegramm, das er von ihr bekam, verdeutlichte, dass sie bereits von seiner und Martins Verwundung wusste.

Als der Major und der Marshal in Washington aus dem Zug stiegen, erwarteten ihre Frauen sie bereits.

„Tu so etwas bitte nie wieder!“, beschwor Susan ihren Mann, als sie ihn umarmte. Robert konnte ihre Zärtlichkeit nur mit dem rechten Arm erwidern, da der linke nach wie vor in der Schlinge hing. Dafür drückte er die geliebte Frau umso fester an sich.

„Ich hoffe, es lässt sich vermeiden“, erwiderte er mit einem warmen, zärtlichen Lächeln und küsste sie.

Martin, der seine Frau Cindy ebenso liebevoll begrüßte, fand seinen Freund wie ausgewechselt. Noch drei Tage zuvor war er ein finsterer Rachegott gewesen, mit einem Blick, der geeignet gewesen war, Wasser zu Eis erstarren zu lassen. Gegenüber den Ku-Kluxern war er so rücksichtslos gewesen, dass Martin sich gefragt hatte, ob Fort Payne nicht doch erheblich tiefere Spuren in der Gemütsverfassung des Majors Bennett hinterlassen hatte, als ihm vielleicht selbst bewusst war. In mancher Hinsicht war er seinem Todfeind Morrows ähnlicher geworden, als es wohl gut war. Doch in Susans Gegenwart war er wieder der sanfte, liebevolle Mann, der gute und treue Freund, der Martin sehr viel besser gefiel als der eiskalte Killer, als der Robert sich auf Vincentis Farm präsentiert hatte.

Andererseits – und das war Martin durchaus klar – hätten sie zu fünft wohl kaum eine Chance gehabt, hätten Robert Bennett und John Vincenti nicht die Eiseskälte gehabt, die Angreifer wirklich töten zu wollen. Selbst im Krieg hatten die Truppen mehr oder weniger aufs Geratewohl in die Richtung des Gegners geschossen. Es gab ernst zu nehmende Wissenschaftler, nach deren Berechnungen mindestens zu Anfang des Sezessionskrieges ein Mann erst getötet wurde, wenn die Gegenseite sein Gewicht in Blei auf ihn abgeschossen hatte – deutliches Zeichen dafür, dass in der Regel nicht wirklich gezielt geschossen worden war. Nur in wenigen Fällen hatte ein Soldat einen Gegner ganz bewusst anvisiert, um ihn sicher tödlich zu treffen. Die Scharfschützen von Colonel Berdan gehörten zu den Wenigen.

Obwohl Martin wusste, dass Robert wie jeder andere Soldat von Union und Konföderation eine Menge Leute getötet hatte, wusste er doch nur von einem Einzigen, den Robert ganz bewusst und gewollt aus dem Leben befördert hatte – und das war Yancey Morton Morrows. Selbst am Antietam, bei einem Ringen auf Leben und Tod, hatte Robert sowohl seinen Bruder Philip als auch Martin selbst lediglich entwaffnet, aber nicht einmal ansatzweise versucht, sie zu töten. Er hatte sich gewehrt, das war alles. Aber dann dachte Martin an die schrecklichen Narben, die er am Nachmittag vor dem Kampf um die Farm gesehen hatte, und er begriff, was man einem Menschen antun musste, um diesen ungeheuren Rachedurst zu wecken. Einen Rachedurst, der sich auf alle erstreckte, die die heimtückischen Methoden und die erbarmungslose Grausamkeit der Black-Leg-Banditen teilten.

„Also, mein Schatz, was ist mit deiner Schulter?“, fragte Susan, als sie mit Robert wieder in ihrer Wohnung im Weißen Haus war.

„Ich habe eine Kugel abbekommen. Doc Watson, der Stabsarzt von Fort Donelson hat sie ‘raus operiert und die Wunde versorgt, nachdem die Frau von Mr. Vincenti sie notdürftig verbunden hatte“, erklärte er.

„Ich möchte sie mir ansehen“, sagte Susan. Niemand behandelte seine Wunden mit mehr Aufmerksamkeit und Liebe als Susan, das wusste Robert. Mit ihrer Hilfe zog er Uniformjacke und Hemd aus; sie nahm den Verband ab und untersuchte die Wunde vorsichtig.

„War nicht grade Onkel Lucas, der dich operiert hat“, murmelte sie erschrocken über die große Wunde. Robert sah ihr interessiert zu, als sie die Wunde ganz vorsichtig reinigte und dann von der Salbe auftrug, die sie einmal gemeinsam mit Dr. Lucas Craig aus Roberts Indianerkräutern entwickelt hatte. Dann verband sie seine Schulter frisch und schiente den Arm, bevor sie zu guter Letzt wieder die Schlinge anlegte.

„Oh, ja, das fühlt sich bedeutend besser an. Danke, Darling“, bedankte er sich. Susan sah ihn prüfend an.

„Wann hast du dich zuletzt rasiert?“, fragte sie, als sie die unregelmäßigen Bartstoppeln bemerkte.

„Heute Morgen, aber einhändig ist das nicht ohne Problem“, erwiderte Robert mit einem jungenhaften Grinsen.

„Na schön, dann rasiere ich dich erst einmal fertig. Hast du noch Schmerzen?“

„Im Moment nicht in der Schulter, mehr in der linken Hand. Mit der konnte ich mich in den letzten Tagen nicht mal richtig aufstützen – unabhängig von den Schmerzen in der Schulter.“

„Das wirst du auch hübsch bleiben lassen! Und dreh’ dich ja nicht auf die linke Seite, wenn du schläfst“, warnte Susan.

„Das fällt mir ohnehin schwer. Das tut nämlich richtig weh“, erwiderte er und zog Susan auf seinen Schoß.

„Und wie geht es euch beiden?“, fragte er dann und legte sanft die freie Hand auf ihren Bauch, in dem ihr zweites gemeinsames Kind heranwuchs.

„Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht. Gott sei Dank bist du jetzt wieder da und musst nicht wieder fort.“

„Susan, wenn Johnson mich wieder auf Reisen schickt, wäre es mir lieb, wenn ihr mitkämet, du und die Kinder. Ohne euch bin ich – glaube ich – nicht ganz ich selbst.“

„Was meinst du?“

„Ich habe einmal den Mann, der uns beide verfolgte, ganz bewusst und gewollt getötet. Ich habe immer geglaubt, damit wäre das erledigt. Aber ich fürchte, seit Fort Payne habe ich ‘ne Art Monster in mir. Auf der Vincenti-Farm habe ich so etwas wie einen Blutrausch gehabt, anders kann ich’s nicht nennen. Hätte ich ihn nicht gehabt, hätten wir’s vielleicht nicht überlebt, aber das ist Spekulation. Ich habe ungefähr zwölf bis fünfzehn Männer ganz bewusst und gewollt erschossen. Ich wollte sie nicht kampfunfähig machen, ich wollte sie tot sehen. Das hat mich ziemlich erschreckt – und ich führe es darauf zurück, dass du nicht bei mir warst.“

Susan spürte seine innere Qual, die ihn fast mehr zu schmerzen schien als die tatsächliche Wunde in seiner Schulter. Sie streichelte ihm sanft über das Gesicht.

„Robert, was Morrows dir angetan hat, kann sich niemand wirklich vorstellen, der nicht selbst so gequält worden ist. Ich glaube, Cash Conover war der Einzige aus deinem Bekanntenkreis, der dir halbwegs nachfühlen konnte, welche grausamen Schmerzen dir von Morrows zugefügt wurden. Diese Geheimbündler sind, nach allem, was ich gelesen habe, nicht besser als die Black-Leg-Bande. Du hast Morrows in meiner Gegenwart getötet. Wäre ich bei dir gewesen, hättest du schon aus Sorge um mich und unser zweites Kind noch fürchterlicher zugeschlagen. So gut glaube ich dich zu kennen“, sagte sie leise.

„Ich muss dir doch als Monster erscheinen“, wehrte Robert ab. Susan schüttelte den Kopf.

„Du bist mir ein zärtlicher und warmherziger Ehemann und Liebhaber, Christopher bist du ein liebevoller Vater – und unserem zweiten Kind wirst du das sicher auch sein. Solange du bei uns so bist und nicht auch zum Eisblock wirst, ist das in Ordnung.“

„Nein, Susan. Ganz in Ordnung ist das keinesfalls. Bitte, hilf mir, wieder normal zu werden.“

„Was kann ich tun?“

„Schenk mir nur deine Liebe, das ist die größte Hilfe, die du mir in diesem Fall geben kannst.“

„Dann brauchen wir noch viel Geduld mit dir, denn etwas anderes habe ich nicht getan, seit du aus Fort Payne zurückgekehrt bist.“

 

 

Kapitel 11

Festplanung

Am Tag darauf berichteten Adjutant und Marshal dem Präsidenten. Nach deren Ausführungen war Johnson noch sicherer, dass es ein Problem mit Namen Ku-Klux-Klan nicht mehr gab.

„Bleiben Sie noch in Washington, Marshal?“, fragte Johnson beim Tee schließlich. Martin zuckte mit den Schultern, bereute die Bewegung aber sofort, weil seine Verwundung gleich wieder schmerzte.

„Au! Ich weiß es noch nicht Mr. President“, bekannte er. „Ich habe keine Ahnung, welche Verwendung der Attorney General weiter für mich hat. Ich hatte mich nach Silver Creek in Nevada beworben, als Robert mir von Ihrem Spezialauftrag schrieb.“

„Wenn Sie weiterhin nach Silver Creek wollen, lege ich Ihnen natürlich keine Steine in den Weg, Marshal. Aber wenn Sie Interesse haben, würde ich Ihnen einen Posten hier im Weißen Haus anbieten – als Mann für die Sicherheit“, bot Johnson an.

„Mr. President, sollten Sie vergessen haben, auf welcher Seite ich im Krieg gekämpft habe?“, fragte Martin, der glaubte, sich verhört zu haben.

„Mir ist nicht unbekannt, dass Sie für die Konföderation gekämpft haben, Mr. Moore. Aber Sie haben sehr überzeugend bewiesen, dass Sie heute als unionstreuer US Marshal zu betrachten sind. Jeder macht Fehler. Ich denke, ich könnte Ihnen mein Leben ebenso anvertrauen, wie ich es Major Bennett anvertraue. Zudem sind Sie beide gute Freunde und können sich aufeinander verlassen“, erklärte der Präsident.

„Danke, Mr. President. Es wird mir eine Ehre sein, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu schützen“, erwiderte Martin mit einiger Bewegung in der Stimme.

 

Die Monate vergingen. Robert fand dank Susan und Christopher wieder in die ruhige Gegenwart Washingtons zurück. Dem Präsidenten dagegen wehte der Wind recht kalt ins Gesicht. Das seit den Kongresswahlen vom November 1866 noch stärker radikal dominierte Repräsentantenhaus ließ keine Gelegenheit aus, dem Präsidenten Steine in seinen Weg der Verständigungspolitik zu legen. Der Präsident seinerseits scheute aber auch vor keiner Möglichkeit zurück, Senat und Repräsentantenhaus gegen sich aufzubringen. Im Laufe des Jahres hatte Johnson sich mit Kriegsminister Stanton überworfen, wollte ihn entlassen und durch General Grant ersetzen. Gerade kurz zuvor hatte der Präsident mit seinem Veto ein Gesetz verhindert, das die Entlassung von Ministern nur mit Zustimmung des Kongresses möglich machen sollte. Grant hatte auch schon beim Präsidenten zugestimmt, aber die Radikalen im Kongress verdeutlichten Grant, dass seine eigenen politischen Ambitionen zum Scheitern verurteilt waren, wenn er sich zu dicht an den Präsidenten stellte. Grant rückte von Johnson immer mehr ab.

Am 15. November 1867 wurde Susan von einem gesunden Jungen entbunden, den seine glücklichen Eltern auf den Namen Oliver Benjamin taufen ließen. Waren Philip und Pamela Bennett die Taufpaten für Christopher, waren es für Oliver Martin und Cindy Moore. Robert half seiner Frau in allem, was ihm möglich war, unterstützte sie nach Kräften.

Etwa um die gleiche Zeit erhielt Präsident Johnson Nachrichten, dass der Terror des Ku-Klux-Klans im Süden wieder aufflammte – an völlig anderen Stellen, im alten Süden, in Georgia, Alabama, Louisiana, in Mississippi. Dort richtete er sich im Wesentlichen gegen die schwarze Bevölkerung, gegen deren Wahlrecht und die damit unterstützten unionstreuen Regierungen. Johnson ließ Martin Moore zur Rücksprache antreten.

„Und ich habe geglaubt, der Spuk sei beendet!“, grollte der Präsident, als er Martin über die Entwicklung in Kenntnis gesetzt hatte. Martin zuckte mit den Schultern.

„Die Gruppe, die sich in Tennessee gefunden hatte, die haben wir seinerzeit komplett aus dem Verkehr gezogen, Mr. President. Dass die sieben Überlebenden zwar zum Tode verurteilt, vom Gouverneur von Tennessee aber begnadigt wurden, dafür können wir genau so wenig wie fürs Wetter, Sir“, entgegnete er.

„Würden Sie annehmen, dass das die gleichen Personen sind, Mr. Moore?“, fragte Johnson, schon ruhiger.

„Nicht zwangsläufig, Mr. President. Verrückte gibt es genug; feige Drecksäcke sicher auch“, erwiderte der Marshal.

„Was tun wir dagegen?“, fragte Johnson weiter.

„Ich gebe zu, dass ich Ihnen kein Patentrezept liefern kann, Sir“, erwiderte Martin. „Ich habe feststellen müssen, dass Südstaatler sehr schweigsam werden, wenn ein Südstaatler sie ausfragen will, der einen Marshalstern trägt. Und Yankees erzählen sie erst recht nichts. Major Bennett und ich haben mit den Brüdern mehr Glück als Verstand gehabt.“

„Wie meinen Sie das?“

„Erstens, dass wir richtig getippt hatten, dass uns jemand im Hause belauscht und verraten hat. Zweitens, dass die Gruppe sich als direkte Nachfolger des Partisanenführers Morrows betrachtete und die uns schon bekannten Schlupfwinkel der Black-Leg-Bande benutzt hat; drittens, dass wir beim unmittelbaren Kampf gegen die Brüder zwei Leute unter uns hatten, die von Anfang an den Banditen den Garaus machen wollten. Hätten Major Bennett und Mr. Vincenti nicht absichtlich töten wollen, wäre es uns wohl schlecht gegangen, nachdem der zuständige Ortskommandant uns trotz Ihrer Weisung Unterstützung verweigert hat. Ich muss zugeben, dass diese Fanatiker mit – sagen wir – normalen Polizeimethoden nicht zu bekämpfen sind. Ich fürchte, es muss politisch dagegen gekämpft werden – nur dauert das sehr lange. Das wird den jetzt konkret gefährdeten Bürgern wohl nicht helfen“, erklärte Moore.

„Sie selbst sind Südstaatler, Marshal. Sie haben diese Ideen einmal vertreten und sind sie losgeworden. Wie bekommt man sie aus den Köpfen heraus?“

„Ich habe einen guten Freund, einen sehr guten Freund, der sich auch durch manche krause Idee in meinem Kopf nie von seiner Freundschaft zu mir hat abbringen lassen, nicht einmal durch einen harten Kampf am Antietam, bei dem wir persönlich aneinander gerieten. Wäre ich nicht mit Major Bennett befreundet gewesen, hätte ich erstens kein Vorbild gehabt und zweitens keinen, der sich für mich verwendet und für mich gebürgt hätte. Und dann hatte ich einen Captain, der dort, wo er war, von seinem Gedankengut einfach nicht hingehörte. Aber auch diese Spur führt zur Familie Bennett. Ohne Robert, der mein Freund war, blieb und ist und ohne seinen Bruder Philip, der mein Schwadronschef war und wohl doch Zweifel in die Richtigkeit von Sklaverei und Rassismus gesät hat, hätte ich mich von den Ideen der Sklavokraten wohl nie lösen können. Diese Chance hat wahrlich nicht die große Masse der Südstaatler. Die weitaus meisten kleben nach wie vor an diesen Ideen. Sehen Sie: Die These von der angeblichen Überlegenheit der weißen Rasse wird vom Vater an den Sohn und von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Erst, wenn ein schlüssiger Beweis gelingt, dass sämtliche Menschen auf dieser Welt von ein und demselben Menschenpaar Adam und Eva abstammen und dass nicht Beelzebub bei der Erschaffung andersfarbiger Menschen mitgespielt hat, wird es vielleicht eine Änderung in den verbohrten Köpfen geben. Und selbst das wird lange dauern“, entgegnete Martin.

„Also frühestens in hundert Jahren“, seufzte Johnson pessimistisch. „Ich seh’s ein: Politische Bildung dauert einfach zu lange, um die unionstreuen Menschen im Süden zu schützen. Wenn normale Polizeimethoden nicht greifen, dann hilft wirklich nur noch die Armee. Danke, Marshal Moore.“

Martin verließ einen bedrückten und verstört wirkenden Präsidenten, der inzwischen auf jeder Seite nur noch gegen Wände lief. Wegen der allgemeinen Empörung über die Politik des Präsidenten drohte ihm nun ein Impeachment-Verfahren, das Thaddeus Stevens lancieren wollte. Daneben aber gab es auch so genügend politische Stühlesäger, die nur auf weitere Zeichen politischer Schwäche bei Präsident Johnson warteten.

Doch trotz des scharfen politischen Gegenwindes wollte Johnson sich das Leben nicht ganz verderben lassen und gedachte, den Jahreswechsel mit einem fröhlichen Silvesterball im Weißen Haus zu begehen. Dazu wollte er nicht nur die politische Elite des Landes einladen, sondern auch Personen aus der Wirtschaft. Im kommenden Jahr standen Präsidentschaftswahlen an, und ein Wahlkampf war teuer. Da war es klug, sich rechtzeitig potenzielle Geldgeber zu sichern. Dazu erging jedoch nur eine allgemeine Einladung an die Sprecher des Repräsentantenhauses sowie an den Vorsitzenden des Senats*. Mögliche private Geldgeber wurden gar per Zeitungsannonce auf den präsidialen Silvesterempfang hingewiesen. Eine Gästeliste gab es also nicht – trotz der dringenden Bitten von Robert und Martin, die sich ohne Prüfung einer Gästeliste nicht in der Lage sahen, die Sicherheit des Präsidenten zu garantieren. Doch Johnson wollte davon nichts wissen, wollte als weltoffener Präsident gelten, zu dem jeder Bürger der USA Zutritt hatte, jedenfalls an diesem einen Tag im Jahr.

In der Woche vor Weihnachten machten Susan und Robert noch einige Weihnachtseinkäufe in der Stadt. Als sie aus einem Geschäft heraustraten, prallte Robert mit einem anderen Mann zusammen, der auf der rutschigen Straße ausglitt und der Länge nach hinschlug.

„Oh, sorry, Sir, meine Schuld. Haben Sie sich verletzt?“, erkundigte sich Robert. Der Mann stand brummelnd auf. Als er Robert ansah, stockten beide erschrocken.

„Heywords!“, entfuhr es Robert, der sich zuerst fasste. Grover Heywords brachte kein Wort heraus, drehte sich einfach um und rannte der glatten Straße zum Trotz wie von den Furien gehetzt davon. Robert ließ seine Weihnachtseinkäufe bei Susan stehen und lief Heywords hinterher. Er sah ihn gerade noch in das Hotel Imperial einige Blocks weiter einbiegen, konnte ihn aber nicht einholen. Als der Major die Hotelhalle betrat, war außer dem Portier niemand zu sehen. Robert sah sich um, ging dann zur Rezeption.

„Entschuldigen Sie bitte, welche Zimmernummer hat Mr. Heywords?“, erkundigte er sich. Der Portier sah ihn an.

„Einen Gast diesen Namens haben wir nicht, Sir“, erwiderte er dann.

„Hier ist gerade ein Gentleman sehr eilig herein gelaufen. Wo finde ich den?“

„Tut mir Leid, Sir. Diskretion ist ein Prinzip unseres Hauses.“

„Die scheint so weit zu gehen, dass Sie jemanden decken, der ein Sündenkonto hat, vor dem sich der Teufel selber fürchten würde“, erwiderte Robert grimmig. „Schönen Tag noch“, setzte er hinzu und verließ das Hotel mit schweren Schritten.

Susan erwartete ihn vor dem Geschäft, vor dem er mit Heywords zusammengestoßen war.

„So wie du aussiehst, hast du ihn nicht erwischt“, resümierte sie.

„Erraten. Er wohnt im Imperial. Allerdings ist er so schlau gewesen, sich unter falschem Namen einzumieten. Der Portier berief sich auf die Diskretion des Hauses und wollte mir seine Zimmernummer nicht sagen“, seufzte er und nahm die Taschen wieder auf. „Komm, lass uns nach Hause gehen.“

Als sie wieder im Weißen Haus waren, suchte Robert gleich Martin auf, dem er von der Begegnung erzählte.

„Bist du sicher?“, fragte der erschrocken.

„Wenn er es nicht ist, muss er einen Doppelgänger haben!“, versetzte Robert. „Er könnte es jedenfalls sein. Schließlich ist er vom Gouverneur begnadigt worden.“

„Das wesentliche Problem besteht darin, dass gegen Grover Heywords in Washington D.C. nichts vorliegt. Selbst, wenn wir ihn eindeutig identifizieren, können wir ihn nicht einfach verhaften. Wegen der Ku-Kluxer-Geschichte ist er verurteilt worden und wurde begnadigt. Deshalb können wir ihn nicht einkasteln lassen. Und da es kein Meldegesetz in den USA gibt, hilft nicht einmal, dass er sich möglicherweise unter falschem Namen in das Hotelregister eingetragen hat.“

„Heywords ist immer für eine Teufelei gut“, warnte Robert.

„Du rennst bei mir ein offenes Scheunentor ein. Das ist mir durchaus bekannt“, erwiderte Martin schulterzuckend.

„In gut zwei Wochen ist der Silvesterempfang beim Präsidenten. Offen für Jedermann. Keine Gästeliste, keine Einschränkungen. Nachzulesen in jeder Tageszeitung, die in Washington verkauft wird. Wenn das keine Einladung zum Präsidentenmord ist, wüsste ich keine bessere“, versetzte Robert.

„Komm, wir reden noch mal mit Johnson“, schlug Martin vor.

Sie suchten den Präsidenten auf. Robert berichtete von seiner Begegnung.

„Mr. President, ich würde deshalb empfehlen, während des Silvesterempfangs das Tragen von Waffen zu verbieten“, schloss er seinen Bericht. Johnson sprang auf, als habe ihn eine Schlange gebissen.

„Major Bennett!“, schnaubte er. „Kennen Sie unsere Verfassung nicht? Das Tragen von Waffen ist verfassungsmäßig garantiert!“

„Dann sehen wir uns außerstande, Ihr Leben wirksam zu schützen, Mr. President“, entgegnete Martin kühl. „In diesem Fall können wir die Verantwortung für Ihre Sicherheit nicht übernehmen, Sir!“

„Zur Kenntnis genommen, Gentlemen!“, gab Johnson scharf zurück. Robert salutierte steif, Martin tat es aus alter Gewohnheit ebenfalls. Sie verließen das Amtszimmer des Präsidenten.

„Auf Waffenabgabe ist er nicht gut zu sprechen“, brummte Robert. „In jedem mittelmäßigen Saloon kannst du das machen, aber nicht im Weißen Haus. Das verstehe, wer will. Verfassungsmäßiger Grundsatz! So ‘n Käse! Wer eine Bleispritze hat, der benutzt sie auch!“

Zwar hatten Robert und Martin abgelehnt, die Verantwortung für die Sicherheit des Präsidenten zu übernehmen, aber das hieß nicht, dass sie sich nicht verantwortlich fühlten. Mit dem Chef der Hauswache stimmten sie ab, dass die hausinterne Wache bewaffnet sein sollte. Aber immer noch war ihnen klar, dass Heywords – falls er es auf den Präsidenten abgesehen haben sollte – einen Schuss voraus hatte. Und der würde mit aller Wahrscheinlichkeit den Präsidenten treffen. Sie hatten nur die Möglichkeit, Heywords auf Schritt und Tritt zu bewachen, falls er tatsächlich zum Empfang ins Weiße Haus kam.

Am darauf folgenden Sonntag, es war zwei Tage vor Heilig Abend, erhielt Martin Besuch von Walt Connor, der sich in Washington aufhielt.

„Denk’ dir, ich habe das Christkind gesehen! Konnt’ vor Kraft nicht mehr laufen, erst recht nicht mehr steh’n!“, grinste Connor, als er Martins Büro betrat.

„Hallo, Walt! Was treibst du in Washington?“, begrüßte Martin ihn.

„Hallo, Martin! Was machst du?“

„Den Präsidenten beschützen. Und was machst du?“

„Ich habe mit einem unserer Abgeordneten gesprochen“, erwiderte er. „Martin, ich will dich warnen“, setzte er dann hinzu.

„Vor wem oder was?“

„Charles Rowland ist in der Stadt. Ich wohne im Imperial. Und wer sitzt mir heute am Frühstückstisch gegenüber? Charles Rowland, der begnadigte Oberbandit! Und daneben sitzt Grover Heywords! Ich schwöre: Die führen was im Schilde. Pass’ bloß auf die auf!“

Martin seufzte schwer.

„Dass Heywords in der Stadt ist, wissen Robert und ich schon seit ein paar Tagen. Wir wollten Johnson dazu überreden, dass er für den Silvesterempfang Waffen im Weißen Haus verbietet – aber er war dazu nicht zu bewegen“, erwiderte er.

„Ist einfacher, uns Südstaatlern das komplett zu verbieten, als es einem Einzelnen hier in Washington zu untersagen. Ich versteh’ schon“, brummte Connor.

„Solange es solche Schwachköpfe wie Heywords und Rowland gibt, ist es tatsächlich besser so, Walt“, bemerkte Martin. „Es wäre nicht von Schaden, wenn wir Unterstützung durch dich hätten, um den Präsidenten zu bewachen.“

Connor schüttelte den Kopf.

„Nein, gegen Rowland hat das gar keinen Sinn. Er kennt mich und würde mir aus dem Weg gehen. Das gleiche gilt für Heywords“, sagte er.

„Heywords und Rowland kennen Robert und mich ebenfalls. Uns würden sie also auch umgehen wollen“, erinnerte Moore.

„Gibt’s nicht jemanden, den ihr einweihen könnt, den Rowland und Heywords nicht kennen?“, schlug Connor vor.

„Ich rede mal mit Robert. Vielleicht hat der eine Idee.“

Robert hatte zu Martins Enttäuschung auch keine Idee, wen man auf Rowland unauffällig ansetzen konnte. Aber in der Christmette am Heiligen Abend schien der Herrgott ein Einsehen mit den verzweifelten Gesetzeshütern zu haben. Zwei Reihen vor Robert und Susan stand ein ihnen wohlbekannter Regimental Sergeant Major, klein von Gestalt, aber mit einem gewaltigen Schnurrbart verziert: Umberto Michele Cologgia! Die Christmette war kaum zu Ende, als Robert den Einwanderer abpasste.

„Fröhliche Weihnachten, Collie!“, wünschte er.

Tenente!“, entfuhr es Cologgia. „Permesso: Maggiore! Come sta?

„Bestens, Bert. Und jetzt geht’s mir noch besser.“

„Dann wünsche ich fröhliche Weihnachten, Roberto. Permesso, Signore in prima. Signora Bennett: Buon Natale.“

Buon Natale, Signor Cologgia“, erwiderte Susan mit deutlichem Akzent.

„Was machst du in Washington?“, fragte Robert dann.

„Die Eltern meiner Frau leben hier. Ich habe über Weihnachten und Neujahr Urlaub genommen und den verbringe ich mit meiner Familie hier in Washington. Das ist übrigens mein Ältester, Alessandro. Alessandro, das ist Maggiore Bennett, mit dem ich im Krieg viel erlebt habe. Sag guten Tag, Alessandro.“

„Guten Tag, Sir. Fröhliche Weihnachten“, wünschte der Junge und gab Robert die Hand.

Madonna! Tu sei no gentleman, bambino! Primo la signora! Dai!“, schimpfte Cologgia.

Permesso, Papa. Guten Tag, Madame. Fröhliche Weihnachten“, wandte der Junge sich dann an Susan.

„Fröhliche Weihnachten, Alessandro. Hoffentlich bringt der Weihnachtsmann dir auch viele Geschenke“, erwiderte Susan und strich dem Jungen freundlich über den Kopf.

„Collie, ich … könnte deine Hilfe gebrauchen“, sagte Robert, noch etwas zögernd.

„Oh, was kann ich für dich tun, Maggiore?“

„Komm übermorgen ins Weiße Haus, dann besprechen wir alles.“

Si, Roberto. Ich komme.“

„Verrätst du mir noch was?“

„Und was, Maggiore?“

„Wie bringst du es fertig, deinem Sohn akzentfreies Englisch beizubringen und selber immer noch so zu radebrechen?“

Cologgia grinste breit.

„Erstens mag ich dich und zweitens hast du Sprachtalent, Roberto.“ Er machte eine ausladende, sehr italienisch wirkende Bewegung mit beiden Armen.

„Ist einfache Spaße!“, setzte er mit härtestem Akzent hinzu. Robert klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

„Oh, Collie, ich vermisse dich so! Dich und deine Späße! Wär’ schön, wenn wir wieder zusammenarbeiten könnten. Ich wünsche dir und einer Familie noch schöne Weihnachten. Grüß deine Frau und den Rest deiner Bambini“, kicherte er.

 

Zwei Tage später kam Cologgia schon morgens um neun ins Weiße Haus. Die informierte Wache begleitete ihn gleich zu Martins Büro, wo auch Robert und ein ihm unbekannter Mann schon warteten.

Buon giorno, signori“, wünschte er.

„Morgen, Collie. Gentlemen, das ist Regimental Sergeant Umberto Cologgia, einer meiner treuesten Untergebenen aus Kriegszeiten. Collie, Marshal Moore kennst du ja. Der Herr hier ist Walt Connor, ein Deputy Marshal aus Tennessee.“

Cologgia nickte Moore und Connor zu.

„Klar. Worum geht’s?“

„Grover Heywords ist in der Stadt …“

„Madonna! Der Kerl lebt noch?“, entfuhr es dem Sergeant.

„Ja. Putzmunter, eben gerade vom Gouverneur von Tennessee vom Schafott geholt, aber nicht kuriert, wie wir befürchten“, erwiderte Robert. „Er wohnt im Imperial und hat Kontakt mit einem Mann, der eine ebenso grundschwarze Seele zu haben scheint; ein Mann namens Charles Rowland. Sagt dir der Name was?“

Cologgia schüttelte den Kopf.

„Mr. Connor kennt ihn ganz gut, weil sie mal Nachbarn in der Nähe von Fort Donelson waren. Dieser Rowland ist wie Heywords Ku-Kluxer. Wir befürchten, dass die beiden Lumpen ein Attentat auf den Präsidenten planen. Unser Job ist es, das zu verhindern. Dir käme die besondere Aufgabe zu, dich um Rowland zu kümmern, weil er uns alle drei zu gut kennt. Hilfst du uns?“

Naturalmente! Ich bin dabei. Aber wie soll ich den Knaben erkennen, und gilt für Heywords nicht das gleiche?“

Robert, Martin und Walt sahen sich betroffen an.

„Stimmt“, brummte Robert. „Wir bräuchten also noch einen, den die Haderlumpen nicht kennen. Irgendjemand ‘ne Idee?“

„Sag mal, Robert, ihr drei seid doch sicher nicht alleine für die Sicherheit des Präsidenten zuständig“, bemerkte Cologgia.

„Nein, natürlich nicht. Die Hauswache gibt es auch noch. Aber …“ Er stockte. „Gute Idee“, sagte er dann und klingelte. Es dauerte nur Augenblicke, bis Butler Barton erschien

„Mr. Barton, holen Sie bitte Lieutenant Braddock her“, bat Robert, als der Chefdiener nach dem Begehr fragte.

„Sehr wohl, Sir“, erwiderte Barton.

Wenige Minuten später meldete sich Second-Lieutenant William Braddock zur Stelle. Braddock war ein hochgewachsener junger Mann von dreiundzwanzig Jahren mit strohblondem Haar und ernsten dunklen Augen, die zwar blau waren, aber dennoch zu dem hellen Haar nicht passen wollten. Er war erst wenige Wochen im Weißen Haus, weshalb Robert nicht sofort an ihn gedacht hatte.

„Hallo, Lieutenant Braddock“, begrüßet Robert ihn. „Walt, Collie, das ist einer unserer Hauswachen-Offiziere und erst seit wenigen Wochen hier. Lieutenant, das hier sind Deputy Marshal Walt Connor und Regimental Sergeant Major Umberto Cologgia. Wir fünf sind beim Silvesterball die Schutzengel unseres Präsidenten. Das heißt: Sie und Mr. Cologgia werden Schutzengel für Mr. Moore und mich sein, denn unsere ‚Freunde’ kennen Sie wohl nicht. Oder sagen Ihnen die Namen Charles Rowland und Grover Heywords etwas, Lieutenant?

„Nein, Sir. Sir, das Wort Freunde klingt etwas seltsam … „

„Gut erkannt, Lieutenant. Es war auch eher ironisch gemeint. Wir haben guten Grund zu der Annahme, dass Rowland und Heywords ein Attentat auf den Präsidenten planen. Wir werden den Präsidenten also schützen. Aber die beiden Verdächtigen kennen sowohl mich als auch Marshal Moore und auch Mr. Connor. Sie, Lieutenant, sind weder Rowland noch Heywords bekannt, Mr. Cologgia ist Rowland nicht bekannt. Sie, Mr. Braddock, werden daher Freund Heywords nicht aus den Augen lassen, Collie, du nimmst dir Rowland vor.“

„Ja, Sir“, bestätigte Braddock. „Und wie erkenne ich den Mann?“

„War Rowland bei der Armee, Walt?“

„Klar. Wir waren beide bei den 20th Tennessee Volunteers der Konföderierten.“

„Sind von euch mal Fotos gemacht worden?“, fragte Robert weiter.

„Ja. Mr. Brady war mal bei uns. Der hatte ja fast alle Freiheiten, die sich ein Reporter nur wünschen konnte.“

„Gut. Dann fahren wir drei jetzt ins Kriegsministerium und sehen uns mal ein paar Fotos an“, entschied Robert.

Matthew Brady war ein bekannter, wenn nicht gar berühmter, Fotograf, der während des Krieges von beiden Seiten Fotos gemacht hatte. Seine Arbeiten reichten von Porträts des Präsidenten und einzelner hoher Offiziere über Fotos von Gruppen fast jeder Größe, vom Führungsstab einer Einheit bis hin zu ganzen Regimentern und zu Dokumenten des Kriegselends in Lazaretten, Trümmern von Städten und Farmen und auf leichenbedeckten Schlachtfeldern. Eine komplette Sammlung der Kriegsfotos von Brady befand sich im Archiv des Kriegsministeriums. Robert fragte den Archivar gleich nach Fotos der 20th Tennessee Volunteers und nach Aufnahmen des Gefangenenlagers von Fort Donelson, wo Heywords nach der Vernichtung der Black-Legs interniert gewesen war. Der Archivar suchte die verlangten Fotoplatten und legte sie den drei Soldaten vor.

„Hier, das sind sie. Der hier ist Rowland, und der da ist Heywords. Merkt sie euch gut, Jungs“, sagte Bennett.

Der Archivar sah den drei Soldaten mit offensichtlicher Neugier zu.

„Sir, wozu brauchen Sie die beiden Männer auf den Fotos?“

„Meine Mitarbeiter müssen sie kennen, damit sie die im Weißen Haus wieder finden, falls beide zur Party des Präsidenten kommen.“

„Den einen hab’ ich doch gestern erst gesehen …“, brummelte der Archivar.

„Sie sind beide auch zurzeit in Washington“, bemerkte Robert.

„Nein, Sir, nicht auf der Straße oder so. Auf einem Foto, meine ich. Wissen Sie, Mr. Brady ist nämlich auch in der Stadt. Er wird beim Empfang des Präsidenten wieder fotografieren. Und ich glaube, er hatte Bilder von Lincolns letztem Theaterabend bei sich.“

„War der Mann in Uniform oder in Zivil?“

„Zivil. Mit Gehrock und Zylinder, meine ich. ‘N richtig feiner Pinkel.“

„Wo wohnt Brady?“, hakte Robert nach.

„Im Imperial, Sir.“

„Da könnt ihr beide nicht mit, ohne dass ihr Rowland und Heywords über den Weg lauft. Wenn sie euch erkennen, ist unsere Mühe umsonst. Ich gehe ins Imperial, ihr zwei fahrt zurück zum Weißen Haus“, entschied der Major.

Wenig später traf Robert den Fotografen in der Lobby des Hotels. Brady hatte die Fotos, von denen der Archivar gesprochen hatte, bei sich. Er zeigte sie Robert auf seinem Zimmer. Auf einem der Fotos erkannte Robert Rowland – und daneben stand der Schauspieler John Wilkes Booth, der an jenem schicksalhaften Abend Präsident Lincoln erschossen hatte! Offenbar hatten die beiden sich angeregt unterhalten, wie sich aus dem Foto erkennen ließ. Heywords fand sich nicht auf den Fotos, aber der war zu dem Zeitpunkt auch in Tennessee gewesen und hatte Morrows dabei geholfen, Susan und Lucas Craig zu entführen.

„Sagen Sie, Mr. Brady, haben Sie diesen Mann an dem Attentatsabend noch mal gesehen? Auf den übrigen Fotos kann ich ihn nicht finden“, fragte Robert dann. Brady sah das Foto an und dachte angestrengt nach.

„Doch, den hab’ ich noch gesehen. Aber der Kamera ist er dann ausgewichen. Ich hatte den Eindruck, er wollte nicht fotografiert werden.“

„Er wollte nicht fotografiert werden und unterhält sich mit dem Attentäter; er stammt aus Tennessee, ist Südstaatler mit Leib und Seele. Ich frage mich, ob wir uns an die Richtigen hängen oder ob sie wieder einen Strohmann einsetzen …“, murmelte Robert.

„Was meinen Sie, Major?“

„Dieser Mann hier spricht mit dem späteren Attentäter von Lincoln und er weicht Ihnen aus, als Sie ihn nochmals fotografieren wollen. Jetzt ist er wieder in Washington. Er ist Mitglied des Ku-Klux-Klans und hat noch einen zweiten von der Sorte mit hier. In ein paar Tagen ist der Silvesterempfang des Präsidenten, der in jeder mittelmäßigen Gazette lauthals angepriesen wird, zu dem es keine Gästeliste gibt“, sinnierte Robert. „Würden Sie mir zustimmen, wenn ich mir um die Sicherheit des Präsidenten Sorgen mache, Mr. Brady?“

„Sorgen? Den sollten Sie in eine kugelsichere Kiste stecken, Major!“, erwiderte Brady heftig.

„Dann weiß ich, was wir zu tun haben. Danke für Ihre Hilfe, Mr. Brady. Wir sehen uns ja sicher noch beim Empfang des Präsidenten.“

 

 

Kapitel 12

Silvesterfeuerwerk

 

Der Silvestertag kam, und Martin und Robert wurden zusehends nervöser. Gegen Mittag bemerkte Lieutenant Braddock, dass es den beiden Hauptverantwortlichen für Johnsons Sicherheit immer unwohler in ihrer Haut wurde.

„Bitte, Sirs“, sagte er schließlich, „die Wachen sind eingeteilt. Sergeant Cologgia und ich haben uns intensiv mit den von uns zu überwachenden Personen beschäftigt. Wir werden sie nicht aus den Augen lassen, falls sie hier auftauchen sollten. Wir werden Sie decken.“

Robert sah den jungen Lieutenant an.

„Wie gut zielen Sie, Lieutenant?“

Braddock lächelte.

„Zielen oder treffen, Sir?“, fragte er.

„Treffen.“

„Nun, Sir, der Treffgenauigkeit wird auf der Militärschule kein allzu breiter Raum gegeben. Und hätte ich meine Schießkünste von dort, wären sie nicht für meinen Job zu gebrauchen, um ehrlich zu sein. Hätte ich nicht zu Hause im Westen gelernt, dass man treffen sollte, was man anvisiert, sollte ich die Uniform schleunigst wieder ausziehen.“

„Braddock, ich vertraue Ihnen mein Leben und das des Präsidenten an. Die Leute, die auf Johnson scharf sind, werden es auch auf Marshal Moore und mich sein. Wenn sie es schlau anstellen wollen, versuchen sie zuerst, uns beide umzunieten, um bei Johnson freie Bahn zu haben. Falls Sie und Cologgia es nicht schaffen, Moore und mich zu decken, müssen Sie – koste es was es wolle – den Präsidenten retten. Haben Sie verstanden, Lieutenant?“, mahnte Robert.

„Ich habe verstanden, Sir. Und ich denke, es wird nicht nötig sein, dass …“

„Mr. Braddock“, unterbrach Robert, „Sie wissen etwas noch nicht: Rowland, der Mann, den Collie überwachen soll, war am Attentatsabend in Ford’s Theatre. Er hat mit dem Attentäter Booth gesprochen, und er ist außer einer zufälligen Aufnahme durch Brady der Kamera sorgsam ausgewichen. Er wollte nicht, dass man ihn mit diesem Abend in Verbindung bringen konnte. Ich habe den dummen Verdacht, dass Rowland der Drahtzieher des Attentats auf Lincoln war und Booth als Täter benutzt hat. Wenn das der Fall ist, besteht die Gefahr, dass er dieses Mal wieder einen anderen vorschiebt – und deshalb müssen Sie und Cologgia Heywords und Rowland bewachen wie die Nationalbank, auch um festzustellen, ob er jemandem ein Zeichen gibt.“

„Ja, Sir, das werden wir tun, das verspreche ich“, versprach Braddock ohne ein Anzeichen von Unsicherheit. „Und, Sir, ich verspreche nichts, was ich nicht halten kann. Bitte, vertrauen Sie mir, Sir.“

Robert lächelte und legte dem Lieutenant beide Hände auf die Schultern.

„Wenn ich das nicht tun würde, hätte ich Sie nicht um diesen Job gebeten, Lieutenant Braddock.“

 

Es wurde Abend, die Gäste kamen zuerst vereinzelt, dann in größeren Scharen zum Weißen Haus. Cologgia und Braddock hatten sich auf der Treppe oberhalb der im Flur zum Haupteingang befindlichen Garderobe postiert. Beide waren in großer Uniform, ebenso Robert, der mit seiner Frau am Arm eben diese Treppe herunterkam. Christopher und Oliver schliefen bereits zusammen mit den anderen Kindern der Bediensteten des Weißen Hauses, bewacht von einem der Kindermädchen.

„Da ist ja schon mal einer“, brummte Braddock, als Charles Rowland allein hereinkam. Er war fein gemacht, trug einen schwarzen Frack, dazu ein blütenweißes Hemd mit einer ebenso weißen Fliege und eine weiße Weste zu schwarzen, engen Hosen, die mit Stegen unter blank geputzten schwarzen Schuhen gehalten wurden.

„Wenn er bewaffnet ist, dürfte es ein Derringer sein, Sir“, raunte Braddock dem Major noch zu, der aber tat, als beträfe ihn die Ansprache nicht. Rowland durfte auf keinen Fall Braddock oder Cologgia mit Bennett und Moore in Verbindung bringen

„Dem weiche ich nicht vom Lappen!“, flüsterte Cologgia und folgte dem feinen Herrn unauffällig. Susan ging an die Garderobe und half Mrs. Habershaw dort aus, der Kalten Mamsell des Weißen Hauses. Sie kannte Heywords schließlich ebenfalls und konnte Braddock notfalls ein Zeichen geben, falls der Lieutenant sein Ziel doch nicht erkannte.

Als Heywords erschien, zuckte er zunächst zusammen, als er Susan sah. Susan tat, als ob sie ihn nicht erkannte. und Grover Heywords atmete erkennbar auf. Braddock hatte seinen Klienten ebenfalls erkannt und folgte ihm ebenso unauffällig wie beharrlich. Heywords bemerkte nicht, dass ihm der Lieutenant auf Schritt und Tritt folgte. So kam er zur Terrasse des Weißen Hauses, die zum Rosengarten führte.

Der Neujahrstag 1868 begann mit einem Feuerwerk Schlag zwölf Uhr nachts. Robert, der Martin gegenüber an der Seite der Rosengartenterrasse war, hatte kaum einen Blick für die bunten Farben der Silvesterraketen. Sein Blick schweifte unruhig umher. In der Knallerei würde ein Schuss nicht auffallen. Präsident Johnson stand am Ende der Terrasse vor dem Garten und betrachtete das Feuerwerk, das von einem Artillerieregiment aus Massachusetts veranstaltet wurde.

„Barton – haben Sie die bengalischen Lichter da?“, fragte er den Butler.

„Ja, Sir.“

Barton zog sich kurz ins Haus zurück und kehrte dann mit einer handlichen Holzkiste zurück. Die roten und grünen Stäbchen wurden an alle im Rosengarten befindlichen Gäste verteilt. Johnson entzündete sein Bengallicht und reichte das Feuer weiter. Binnen kurzem war der Garten von strahlendem rotem und grünem Licht hell erleuchtet.

Robert hatte sich am Türflügel der Terrassentür postiert. Im Schein der unzähligen bengalischen Fackeln glitzerte plötzlich ein kurzer Lauf, der sich auf Johnson richtete. Fast im Reflex hob Robert seine grüne Bengalfackel und sengte dem Attentäter die Hand an. Die Hand zuckte nach oben, der Schuss ging in dem Höllenlärm des Feuerwerks unter und traf nur die Decke des Terrassenüberbaus. Damit der Mann nicht auf weitere dumme Ideen kam, zog Robert ihm noch einen heftigen Hieb über die Hand. Der Attentäter ließ die Waffe fallen und verschwand sofort in der Menge. Durch den Hieb war Bennetts Fackel erloschen, so dass er nicht erkannt hatte, ob es sich um Rowland oder Heywords handelte. Zwar hatte er den Präsidenten für den Moment gerettet, aber vielleicht probierte der Attentäter es ein zweites Mal. Robert drängte sich ebenfalls durch die Menge, um dem Flüchtenden zu folgen, aber da er ihn nicht erkannt hatte, verlor er den Schwarzbefrackten in der Menge der fast gleich gekleideten Gäste.

Schließlich traf er auf Braddock.

„Haben Sie jemanden eilig durch die Menge drängeln sehen?“, fragte er.

„Ja, Sir. Mr. Heywords. Ich folge ihm auch gerade, weil er es verdächtig eilig hatte.“

„Haben Sie gesehen, dass er schon auf den Präsidenten angelegt hatte?“

„Ja, Sir. Aber Sie waren schneller als ich und haben ihm die Pfote angesengt, wie ich gesehen habe“, erwiderte Braddock. „War sehr geschickt, ihm die Hand von unten zu rösten, damit er in die Decke schießt und den Präsidenten nicht trifft.“

Mit einiger Mühe erreichten sie die Garderobe.

„Ist Heywords weg?“, fragte Robert Susan.

„Ich weiß nicht. Bei mir war er nicht. Mrs. Habershaw?“

„Ich weiß zwar nicht, von wem Sie reden, aber hier bei mir war eben ein sehr feiner Herr im Frack, der sich wohl die Hand verbrannt hatte. Er hat seinen Mantel genommen und wollte gleich zu seinem Arzt, hat er gesagt“, antwortete die Kalte Mamsell.

„Ist er in eine Kutsche gestiegen?“

„Ich glaube, ja.“

„Danke, Mrs. Habershaw!“, rief Robert und sprang eilig die Treppen bis zum Dach hinauf.

„Habt ihr eine Kutsche wegfahren sehen?“, fragte er die Posten auf dem Dach.

„Ja, Sir. Die fuhr die Pennsylvania Avenue hinauf Richtung Kapitol.“

„Hat sie angehalten?“

„Nein.“

„Mietkutsche oder privat?“

„Mietkutsche, Sir. Nicht besonders neu.“

„Könnte sie zum Imperial gefahren sein?“

„Schon möglich, Sir, das liegt in der Richtung.“

Robert sprang wieder hinunter und traf Braddock und Cologgia.

„Was entdeckt, Sir?“, fragte Braddock.

„Ja, Heywords ist in Richtung Imperial geflüchtet. Vielleicht ist es aber auch nur ein Ablenkungsmanöver. Ich folge ihm. Haltet ihr weiter die Augen offen“, wies Robert seine Untergebenen an, drehte sich um und verschwand.

„Ich nehme mir Rowland vor und lenke ihn ab, Sir. Beobachten Sie die Gäste weiter?“, sagte Cologgia. Braddock nickte und schlenderte wieder beobachtend auf der Empore entlang. Cologgia suchte Rowland und kam gerade noch dazu, dass der sich seinen Mantel geben lassen wollte.

„Oh, Sir, Sie gehen schon?“, fragte er und zwirbelte den gewaltigen Schnauzbart.

„Ja, ich denke, ich habe das neue Jahr ausreichend auf Kosten unseres Präsidenten begossen, Sergeant.“

„Was? Sie wollen wirklich nichts von dem wundervollen Buffet probieren, das unsere Kalte Mamsell, Mrs. Habershaw, extra für dieses Fest kreiert hat? Nein, Sir, das ist ja eine Beleidigung!“

Rowland lächelte verbindlich.

„Oh, nein, ich möchte natürlich niemanden beleidigen …“

„Dann müssen Sie unbedingt von Habys Leckereien probieren, bevor Sie ins neue Jahr träumen Sir. Kommen Sie.“

Vorsichtig, aber bestimmt, schob Cologgia den Gast in Richtung des Buffetraums. Zwar wollte er sich zunächst noch sträuben, doch dann erlag der Genussmensch den von Collie aufgezählten Gaumenfreuden. Umberto hatte Rowland im Griff und fütterte ihn mit den leckeren Häppchen des kalten Buffets. Dem Einwanderer entging nicht, dass Rowland minütlich nervöser wurde und um das Spanferkel einen respektvollen Bogen schlug.

„Sie haben noch gar nicht von dem leckeren Ferkelchen gekostet, Sir. Das ist Mrs. Habershaws große Spezialität!“

Rowland ließ sich überreden und ging doch zu dem Spanferkel. Im gleichen Moment betrat Präsident Johnson den Buffetraum, die Standuhr schlug zur halben Stunde nach Mitternacht. Eine ungeheure Explosion zerriss das Ferkel. Cologgia konnte gerade noch den Präsidenten und seine Frau zu Boden reißen und decken. Als er aufstand, lag Rowland auf dem Rücken. In seiner Brust steckte das Tranchiermesser, das bei der Explosion aufgeflogen war. Charles Rowland war tot.

Noch ehe die übrigen Gäste recht begriffen, was geschehen war, hatten Cologgia, Martin Moore und Walt Connor schon den Buffetraum abgeschirmt.

„Sind Sie verletzt?“, fragte Cologgia besorgt den Präsidenten und seine Gattin.

„Nein, Gott sei Dank nicht. Mein Gott! Eine Bombe im Spanferkel! Wer tut nur so etwas? Und wer ist der arme Teufel da?“, keuchte Johnson und wies auf den inzwischen abgedeckten Körper.

„Es kommt selten vor, Sir, dass Bombenleger von ihren eigenen Höllenmaschinen zerlegt werden, aber hier hat die Gerechtigkeit Gottes nicht zugelassen, dass der Attentäter entkommt“, erwiderte Cologgia.

„Sie meinen, dieser Gentleman hier hätte…“

„Ja Mr. President. Dieser Mann, der Major Bennett und Marshal Moore als Verbrecher bekannt ist, wollte vor ungefähr fünfzehn Minuten gehen, aber ich wollte ihn aufhalten und habe deshalb schon mal das Buffet eröffnet. Der war so was von nervös, dass es schon auffällig war. Dem Ferkelchen wollte er sich gar nicht nähern. Und siehe da – schlag halb eins, genau als Sie das Buffet eröffnen wollen – explodiert unser Ferkelchen! Major Bennett verfolgt den zweiten Mann, Sir.“

Robert hatte das Hotel Imperial erreicht.

„Prost Neujahr“, wünschte er.

„Danke, ebenfalls, Sir“, erwiderte der Nachtportier an der Rezeption.

„Ist ein Mann mit verbundener rechter Hand ins Hotel gekommen?“, fragte Robert. Der Mann zögerte einen Moment.

„Ja“, sagte er dann langsam. „Ein Gast ist mit verletzter rechter Hand hereingekommen.“

„Wo finde ich ihn?“

„Darf ich fragen, was Sie von ihm wünschen, Sir?“

„Er hat im Weißen Haus etwas vergessen“, erwiderte Robert.

„Sie können es gern hier an der Rezeption hinterlassen, Sir. Wir geben es selbstverständlich an den Gast weiter.“

„Tut mir Leid, das ist zu persönlich“, entgegnete Robert mit einem eisigen Grinsen.

Der Portier kam nicht mehr dazu, zu antworten. Von der Empore krachten plötzlich Schüsse. Robert sprang gerade noch hinter eine Marmorsäule, der Portier ging hinter der Rezeption in Deckung. Bennett zog den Revolver und schoss zurück. Auf der Empore erkannte er Grover Heywords, der mit der verbundenen rechten Hand einen schweren Colt-Revolver hielt und mehr oder weniger gezielt auf die Marmorsäule schoss, hinter der Robert Deckung gesucht hatte.

Schieß nur’, dachte Robert. ‚Mehr als sechs Schuss hast du auch nicht in deiner Bleispritze!’

Nach dem vierten Schuss rannte Heywords wie von den Furien gehetzt davon. Robert setzte ihm nach. Der Portier lugte vorsichtig über die Theke, sah, wie der Offizier, mit dem er eben noch gesprochen hatte, den Schützen einholte, beim Kragen packte und mit fürchterlichen Hieben zu Fall brachte.

„Holen Sie die Polizei!“, rief Robert dann, während er Heywords mit dessen eigenen Hosenträgern verschnürte.

„Das war’s dann wohl endgültig, Grover!“

Mit ebenso schmerz- wie zornverzerrtem Gesicht versuchte Heywords sich von den Fesseln zu befreien; es gelang ihm nicht.

„Gib dir keine Mühe, Grover. Yancey und du, ihr wart mir gute Lehrmeister“, winkte Robert ab.

Unten stürmten zwei Polizisten in das Hotel. Der Portier wies ihnen den Weg nach oben. Die Polizisten sprangen die Treppe hinauf zur Empore.

„Was liegt vor, Major?“, fragte der vordere Polizist.

„Dieser Mann hier hat auf mich geschossen, während ich mit dem Portier sprach. Und vorher hat er im Weißen Haus auf den Präsidenten gezielt – mit einer süßen, kleinen Derringer-Pistole.“

Den Polizisten klappten die Kinnladen herunter.

„Hätten Sie bitte die Freundlichkeit, diesen Gentleman zu verhaften?“, forderte Robert die immer noch völlig verblüfften Polizisten auf.

„Im Namen des Gesetzes: Sie sind verhaftet!“, sagte der ranghöhere Polizist. „Sie haben das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen. Alles, was Sie von jetzt an sagen, kann später gerichtlich gegen Sie verwendet werden!“

Zu dritt stellten sie Heywords auf die Füße, die beiden Polizisten führten Heywords sicher verschnürt ab. Robert folgte ihnen langsam die Treppe hinunter.

„Äh, Sir, Sie wollten doch einen Gast suchen“, erinnerte der Portier.

„Danke, das hat sich erledigt“, lächelte Bennett.

„Was … was hatte der Gast denn im Weißen Haus vergessen, Sir?“

„Ein Paar Handschellen und einen Satz warme Ohren! Einen schönen Neujahrstag noch“, erwiderte Robert grimmig, lüftete den Hut und ging.

 

 

Epilog

Der Prozess gegen Heywords war eine kurze Angelegenheit. Heywords gestand dem Richter ohne Umschweife, dass er den Präsidenten hatte erschießen wollen. Die Folge war ein Schuldspruch durch die Geschworenen und ein Todesurteil, gegen das Grover Heywords keine Berufung einlegte. Im Gegenteil verlangte er einen möglichst kurzfristigen Termin für die Hinrichtung.

Nur sieben Tage nach seiner Festnahme im Hotel Imperial wurde Grover Heywords wegen versuchten Mordes gehängt. Robert und Martin hätten froh sein sollen, den letzten ihrer alten Feinde tot zu wissen, aber es wollte keine Freude bei ihnen aufkommen.

Ende

 

 

 

Glossar

 

Das Glossar ist diesmal knapp ausgefallen. Sollte euch noch etwas auffallen, was unverständlich ist, gebt mir bitte Bescheid.

Attorney General: Der Attorney General ist im Prinzip der Justizminister der USA. Das Department of Justice wurde aber erst am 1. Juli 1870 errichtet. Davor wurde die Behörde nach der Dienstbezeichnung ihres Chefs benannt. Die Behörde selbst gab es jedoch schon seit 1819. Der Justizminister der USA wird bis heute als Attorney General bezeichnet.

Sanitätsoffizierin: Der erste weibliche Sanitätsoffizier der US-Army war Dr. Mary Edwards Walker.

Vorsitzender des Senats: Der Vizepräsident der USA ist amtsbedingt gleichzeitig der Vorsitzende des US-Senats. Wird der ursprüngliche Vizepräsident während der Amtsperiode selbst Präsident – wie Johnson für Lincoln – gibt es keinen weiteren Vizepräsidenten. Zwischen 1792 und 1886 gab es jedoch einen Senatspräsidenten pro tempore, eigentlich der Stellvertreter des Vizepräsidenten, wenn dieser nicht zur Sitzung erscheinen konnte. Zu dieser Zeit galt der Senatspräsident pro tempore auch als Ersatznachfolger, für den Fall, dass der „beförderte“ Vizepräsident ebenfalls die Amtszeit nicht überlebt hätte – biologisch oder politisch …

 

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