
Leseprobe
Prolog
Irgendwo dort, wo Gott Europas Zentralgebirge, die Alpen, aus dem Boden wachsen ließ, lag Wengland. Wengland war ein vielfältiges Land: Flache weite Ebenen wechselten mit schroffen Felsen und sanftem Hügelland. Mäanderreiche, glasklare Flüsse durchströmten das Land, machten es reich und fruchtbar. Im Norden begrenzte der Alvedrafluss Wengland zur Grafschaft Stolzenfels, zu Spitzeck, Rossensee und Falkenstein. Im Süden und im Osten bildeten der Aventurfluss und das Aventurgebirge die Grenze zu den Herzogtümern des Wilzarenreiches. Westlich war das Breitensteiner Dolomit die Grenze zur Grafschaft Breitenstein. Die Sage berichtet, dass im Dolomit zauberkundige Zwerge wohnten, die den wenglischen Bauern viel Gutes taten.
Wengland wurde von zwölf Stämmen germanischer Herkunft bewohnt, deren Oberhäupter einen Titel führten, der in die heutige Sprache übersetzt „Graf“ bedeutete. Die Grafen wählten aus ihrer Mitte einen Herzog, der Wenglands nahezu unumschränkter Herrscher war. Hatte dieser Herzog einen Sohn, so erbte der Sohn den Herzogstitel. Hatte der Herzog keine Kinder oder ausschließlich Töchter, konnten die Grafen beim Versterben des Herzogs wieder frei wählen.
Die Wengländer glaubten an das Götterpantheon um Odin und Thor. Etwa zu der Zeit, als im Römischen Reich Ludwig der Deutsche Kaiser war, begann auch bei den Wengländern die Christianisierung. Ein Benediktinermönch namens Avertinus verkündete den Wengländern die Frohe Botschaft von Jesus Christus. Avertinus war kein ausgesprochen mutiger Mann. Sein Abt in Irland hatte ihn wirklich zwingen müssen, die Wengländer zu missionieren. Dafür war Avertinus wesentlich diplomatischer als seine Brüder, die nicht selten mit Feuer und Schwert das Christentum zu verbreiten suchten. Zudem traf Avertinus nicht auf wilde Friesen, sondern auf die gastlichen Wengländer. Niemand behinderte den Mönch und bald taufte er viele Menschen.
Als der erste Gode, ein Priester der nordischen Götter, zum Christentum übertrat, war ein Damm gebrochen – und dieser Flut von Neugläubigen konnte Avertinus nicht mehr allein Herr werden. Von seinem Abt erhielt er die Erlaubnis, ein Kloster zu gründen. So entstand die Keimzelle des Klosters Wachtelberg im Norden Wenglands. Der christliche Glaube zog immer mehr Menschen an – auch die Adligen, die den neuen Glauben für sich entdeckten.
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Kapitel 1
Neuer Glaube, neue Feinde
Zu dieser Zeit, um 850, regierte Herzog Sandragon Wengland. Sandragon lenkte die Geschicke seines Landes von seiner Hauptburg aus. Diese Burg hatte eine Besonderheit gegenüber den anderen Burgen in Wengland. Die meisten bestanden aus einfachen Erdwällen mit hölzernen Palisaden und ebenso hölzernen Wehrtürmen. Sandragons Herzogsburg aber war aus Stein gebaut. Statt der üblichen Erdwälle umgaben steinerne Mauern die gleichfalls aus Stein gebauten Häuser und Türme der Burg. Wegen des besonderen Baumaterials wurde sie einfach die Steinburg genannt. Die Steinburg lag auf einer Insel in einem See und um diesen See herum war eine Stadt entstanden, die bis zum Alvedra reichte. Es handelte sich dabei nicht um den Grenzfluss Alvedra, sondern um einen Zufluss, der direkt von Süden zum eigentlichen Alvedra floss. Sandragon hatte die Bezeichnung für die Burg auf die Stadt ausgedehnt und nannte seine Hauptstadt Steinburg. Um den durch die Stadt fließenden Fluss vom Grenzfluss zu unterscheiden, nannte man ihn den Steinburger Alvedra oder Hinteren Alvedra.
Der neue Glaube hatte auch vor dem Herzogshof in der Hauptstadt Wenglands nicht Halt gemacht. Herzog Sandragon war zunächst skeptisch gewesen. Er ließ sich von Avertinus die neue Lehre gründlich erklären. Über vier Jahre hatte der inzwischen zum Bischof avancierte Avertinus in Steinburg verbracht, um den Herzog vom christlichen Glauben zu überzeugen.
Eines Morgens, an jenem Wochentag, den ein Christ Sonntag nennt, suchte der noch junge Herzog Avertinus in dessen Gemächern auf. Der Bischof kniete am Fenster seines Gemachs und betete. Sandragon wartete geduldig. Er wusste um die Schreckhaftigkeit seines Gastes und wollte auch dessen Gott nicht erzürnen, wenn er den Bischof aus dem Gebet aufschreckte. Doch nach einiger Zeit bemerkte Avertinus die Anwesenheit einer Person hinter sich und fuhr erschrocken herum.
„Hab’ keine Furcht“, beruhigte Sandragon den ängstlichen Priester. „Ich will dich nicht in deinem Gebet zu deinem Gott stören. Beende erst dein Gebet, Avertinus.“
„Ich war fertig, Herzog Sandragon. Was führt dich zu mir?“
„Du hast mich jetzt lange die Weisheiten deines Gottes gelehrt. Ich habe begriffen, dass er der wahre Schöpfer der Welt ist. Ich möchte deinen Glauben teilen, Avertinus. Was muss ich tun, damit dein Gott mich annimmt?“, fragte der Herzog.
Avertinus sah Sandragon eine Weile an, ganz sprachlos, dass der so reservierte Herzog Christ werden wollte.
„Du brauchst nichts zu tun, Herzog Sandragon. Gott hat dir die Erkenntnis gegeben. Soll ich dich taufen? Bist du wirklich bereit, ein Diener Christi zu werden?“, vergewisserte sich der Bischof. Sandragon nickte.
„Ja, Avertinus. Ich habe lange über Christus, Gottvater und den Heiligen Geist nachgedacht. Je länger ich darüber sinniert habe, desto klarer wird mir, dass meine Götter – Odin, Thor, die Nornen, und was sonst unseren Glauben ausmacht – in ihrer Macht beschränkt sind. Das kann nicht sein. Der Weltenschöpfer muss allmächtig sein; so wie dein Gott, von dem du mir gesagt hast, er werde zwar in drei Personen verehrt, sei aber nur ein Gott. Deshalb will ich an deinen Gott – an Gottvater, Sohn und Heiligen Geist – glauben“, erklärte der Herzog. Avertinus zögerte nicht länger.
„Wenn ich dich taufe, Herzog Sandragon, sollst du dir einen Namen wählen, der ausdrückt, dass du ein Christ bist“, forderte Avertinus den Herzogs auf.
„Welcher Name könnte meinen neuen Glauben besser ausdrücken als Christian?“, fragte Sandragon lächelnd. „Mein jetziger Name mag nach dem neuen Namen mein Geschlecht bezeichnen. Taufe mich auf den Namen Christian von Sandragon“, bat der Herzog. Avertinus schöpfte Wasser aus seinem Trinkkrug, Sandragon kniete nieder.
„Christian von Sandragon, ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“
In drei Schlucken goss er das Wasser über Christian von Sandragons gesenktes Haupt.
„Amen“, sagte der Herzog und erhob sich.
Keine Woche später war der ganze Herzogshof getauft. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnte Bischof Avertinus die Christianisierung Wenglands als abgeschlossen betrachten. Mit der Annahme des christlichen Glaubens galt auch die christliche Zeitrechnung in Wengland, ebenso der Julianische Kalender. Nach dem neuen Kalender war der Tag der Taufe des Herzogs der 11. November im Jahre des Herrn 854 gewesen. Als Avertinus mit den Taufen im Herzogshaus fertig war, fragte er Christian:
„Welcher Heilige soll Wenglands Schutzpatron sein?“
Christian von Sandragon sah den Bischof zunächst verblüfft an.
„Was meinst du damit, Avertinus?“
„Nun, wir verehren eine ganze Anzahl von Heiligen, Christian. Ich habe dir schon von unseren Märtyrern erzählt, die ihr Leben für ihren Glauben gegeben haben. Als Heilige können aber auch Menschen verehrt werden, die auf Erden Gutes getan haben, wie Bischof Nikolaus von Myra oder Bischof Martin von Tours. Der heilige Georg zum Beispiel ist der Schutzpatron der reitenden christlichen Krieger, die wir Ritter nennen“, erklärte der Kirchenmann. Christian überlegte einen Moment.
„Der Heilige Georg dürfte mit den christlichen Kriegern gut beschäftigt sein. Sag’, welchen Heiligen würdest du Wengland empfehlen?“, fragte der Herzog.
„Ich habe dich am 11. November getauft, am Tag des heiligen Martin. Du solltest diesen Heiligen zum Schutzpatron deines Landes wählen“, schlug Avertinus vor.
„Erzähl’ mir etwas über ihn“, forderte Christian Avertinus auf.
„Martin war ein römischer Soldat. Eines Tages im Winter begegnete ihm ein fast nackter Bettler. Es war sehr kalt, und Martin hatte Mitleid mit dem Bettler. So nahm er sein Schwert und schnitt seinen Soldatenmantel in der Mitte durch und gab einen Teil dem Bettler. Später wurde er Priester und schließlich Bischof in Tours. Die Kirche verehrt ihn als einen besonders freigebigen Heiligen. Ich denke, er würde gut zu deinem Land passen, Herzog Christian. Schon seit alters her haben die Wengländer ihren Überfluss mit denen geteilt, denen nicht so viel Glück bei Ernte oder Jagd beschieden war. Ich habe bei deinen Gelehrten alte Runenschriften gefunden, in denen von einem Fürsten deines Volkes berichtet wird, der von seinem Jagdüberfluss sein halbes Dorf mit ernährte. Deshalb denke ich, dass der heilige Martin wohl der beste Schutzpatron sein kann, den Wengland haben könnte“, schloss Avertinus seine Heiligenlegende.
„So sei es“, bestätigte Christian. „Der heilige Martin soll unser Schutzpatron sein.“
Am Dreikönigsfest 855 heiratete Christian seine langjährige Geliebte, die in der Taufe den Namen Christine angenommen hatte. Kinder waren dem Herzogspaar bisher versagt geblieben, aber etwa drei Monate nach der Trauung durch Bischof Avertinus war es zweifelsfrei, dass Herzogin Christine ihr erstes Kind erwartete. Christian war fest überzeugt, dass das Kind ein Geschenk Gottes war – und dass es ein Sohn sein würde. Tatsächlich kam acht Monate später, am 8. Dezember 855, ein Junge zur Welt, der auf den Namen Albert getauft wurde. Der Herzog ließ die Geburt seines Sohnes und Thronfolgers eine ganze Woche lang fröhlich feiern.
Zur Feier kamen auch die anderen elf Grafen Wenglands nach Steinburg. Einer von ihnen war Graf Persegin von Südwengland. Persegin hatte bei der letzten Herzogswahl zehn Jahre zuvor gegen Christian von Sandragon verloren – und das hatte der rachsüchtige Persegin nicht verwunden. Dennoch gratulierte Persegin dem Herzog mit der ihm zukommenden Ehrerbietigkeit.
„Ich danke dir, Graf Persegin“, sagte Christian. „Dein Erscheinen weiß ich besonders deshalb zu schätzen, weil du noch dem alten Glauben anhängst und wir nicht immer einer Meinung sind.“
Persegin gehörte zu den wenigen Ausnahmen, die sich noch immer nicht hatten taufen lassen. Christian hatte sich selbst erst nach langer Überlegung entschlossen, Christ zu werden; er ließ auch seinen Grafen die Zeit, die sie brauchten, um sich von dem neuen Glauben überzeugen zu lassen.
„Nein, besonders in Sachen Erbfolge nicht. Aber jetzt haben wir das Gesetz und du hast einen Sohn. Du warst schneller als ich. Mein Weib hat wieder nur eine Tochter geboren“, brummelte Persegin.
„Du weißt, dass deine älteste Tochter deinen Titel erben wird, falls du nicht doch noch einen Sohn haben wirst“, entgegnete Christian. „Es war einstimmiger Beschluss aller wenglischen Grafen, dass den Herzogsthron nur ein Mann erben darf. Dazu hast du nach meiner Wahl genauso ja gesagt, wie dazu, dass mein Sohn meinen Titel erbt, ohne von den Grafen gewählt zu werden“, erinnerte der Herzog.
„Ich weiß“, knurrte Persegin. „Da hatte ich noch keine Kinder. Jetzt habe ich sechs Töchter und muss sehen, dass ich sie eines Tages gut verheirate“, seufzte der Graf.
„Persegin, mein Freund, sieh’ es nicht so schwarz“, lachte der Herzog auf. „Ich habe einen Sohn. Wer weiß, ob mein Sohn nicht eines Tages eine von deinen Töchtern zur Frau nehmen wird?“
„Sollte man das vielleicht vertraglich regeln, mein Herzog?“, fragte Persegin ölig, in der Meinung, Christian jetzt dort zu haben, wo er mit ihm hinwollte.
„Nein“, entgegnete Christian. „Ich habe meine Gemahlin geheiratet, weil ich sie liebe. Ich werde meinem Sohn genauso freie Hand lassen, wen er eines Tages zu seiner Herzogin machen will. Und außerdem sollte die Herzogin Wenglands Christin sein. Du hast den Glauben noch nicht angenommen. Ich würde meinen Sohn nicht dazu nötigen, eine Anhängerin des alten Glaubens zu ehelichen, wenn er im christlichen Glauben erzogen wird.“
„Sei ehrlich: Du würdest zulassen, dass dein Sohn möglicherweise ein unstandesgemäßes Weib nimmt?“, fragte Persegin mit einem Anflug von Entsetzen. Christian lachte herzlich.
„Persegin, du wirst es nicht fassen: Meine Christine ist die Tochter eines fleißigen wenglischen Bauern, der kaum mehr besitzt als seine paar Hufen Land und seinen Pflug. Nein, Persegin, ob eine Frau würdig ist, meiner Christine auf den Thron der Herzogin zu folgen, liegt an ihr selbst, an ihrer Person, nicht daran, ob sie eine Adlige oder eine Bauerntochter ist. Vergiss nicht, dass Wengland ohne seine Bauern nicht leben könnte – und dass auch dein Großvater noch selbst seinen Acker bestellt hat“, erklärte der Herzog.
Er stieg von seinem Hochsitz zu Graf Persegin hinunter.
„Komm, Graf Persegin, wir gehen zur Tafel“, sagte er und legte ihm in einer freundschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter. Persegin verneigte sich vor dem Herzog und ließ ihn vorgehen; nicht zuletzt, damit Christian von Sandragon das zufrieden-teuflische Glitzern in Persegins Augen nicht sah. Wenn es einen Aufhänger gab, Christian vom Thron zu stürzen, dann war es die Bauerntochter Christine – und die Unzufriedenheit einiger anderer Adliger, die den neuen Glauben nur oberflächlich angenommen hatten, innerlich aber immer noch den alten Göttern anhingen. Alleine konnte Persegin aber nicht handeln. Er brauchte Verbündete, die ihm halfen und die notfalls einen Krieg mit loyalen Grafen riskieren würden. Die gegenwärtigen Grafen, meist älter und oft selbst vom Acker auf den Grafenthron gestiegen, standen völlig loyal zu Christian.
Die Suche nach Bundesgenossen brauchte Zeit, viel Zeit. Erheblich mehr, als Persegin sich bei der Taufe Prinz Alberts träumen ließ. Die übrigen Grafen Wenglands waren durchaus nicht davon überzeugt, dass Persegin der bessere Herzog gewesen wäre – abgesehen davon, dass alle anderen Grafen selbst Christen waren und einen Anhänger des alten Glaubens nicht auf dem Thron sehen wollten. So bedurfte es einiger Jahre Geduld, was Persegin aber nicht verzweifeln ließ. Er war sicher, dass seine Stunde kommen würde, mochte sie auch auf sich warten lassen. Vor allem aber wäre die Überraschung des Herzogs umso größer.
Die Herzogsfamilie führte ein glückliches Leben. Das Volk liebte den Herzog, der das Land gerecht regierte. Etwas mehr als drei Jahre nach der Geburt des Thronfolgers Albert kam am 29. März 859 der zweite Herzogssohn zur Welt, der den Namen Philipp erhielt. Philipp hatte das dunkle Haar seines Vaters und die braunen Augen seiner Mutter. Das erste Stück, wonach der kleine Bursche griff, war die Amtskette seines Vaters. Das kostbare Stück aus feinziseliertem Gold und sorgsam geschliffenen Smaragden und Rubinen mit dem herzoglichen Zeichen* – einer goldenen Lilie auf grünem Grund – hatte gar zu verführerisch vor den winzigen Händchen Klein-Philipps gebaumelt. Christian hob seinen Sohn aus der Wiege hoch und nahm ihn lächelnd auf den Arm.
„Du hast Pech, mein Sohn: Die Kette ist bereits für deinen großen Bruder verplant. Für dich bleibt nur der Titel des Grafen von Steinburg. Vielleicht wird Albert dir erlauben, das Heer zu führen – aber du wirst leider in der zweiten Reihe stehen, kleiner Philipp.“ sagte er leise. Das Baby ließ sich nicht beirren und spielte mit fröhlichem Lachen mit Vaters Kette.
Albert und Philipp hatten glückliche erste Lebensjahre. Albert wurde von Anbeginn zum Erbprinzen erzogen. Philipp stand etwas im Hintergrund, was ihn aber nicht störte. Er konnte spielen, mit wem er wollte, mit was er wollte. Philipp war einfach überall im Schloss zu Hause, kannte jeden noch so verschwiegenen Geheimgang. Wirkte Albert manchmal etwas distanziert, war Philipp mit jedermann gut Freund. Und wenn man ihn suchte, war er meistens in der Schlossküche oder im Stall. Sein Ungestüm brachte durchaus die Hühner im Gesindehof zum Flattern, wenn er wieder einmal ohne Rücksicht auf Federverluste hindurch gestürmt war. Mit kaum fünf Jahren konnte Philipp reiten und war ein Meister im Ringstechen. Im Burgsee lernte er auf Anregung des Waffenmeisters frühzeitig schwimmen, damit nicht noch ein Unglück geschah. Albert dagegen war – obwohl drei Jahre älter – längst nicht so wild und wagemutig wie sein kleiner Bruder. Herzog Christian musste schon darauf achten, dass Albert den Unterricht bei seinem Waffenmeister Gerold nicht schwänzte. Mit Philipp hatte er diese Sorgen nicht.
Die Jungen wuchsen heran. Als Albert zehn Jahre alt war, zogen sich die Gewitterwolken einer Verschwörung bedrohlich über der Herzogsfamilie zusammen, die von der Gefahr noch nichts ahnte.
Persegin hatte unter den jüngeren Grafen, die zwischenzeitlich die alten, fest zu Christian stehenden Provinzgrafen abgelöst hatten, Verbündete gefunden. Jetzt waren Adlige an der Macht, die schon als Grafensöhne geboren waren, die adlig erzogen waren, die die fleißigen Bauern oft genug verachteten, ihnen drückende Lasten auferlegten. Christian hatte häufig genug versucht, diesem ausbeuterischen Tun Einhalt zu gebieten. Nach seiner Auffassung waren die Grafen und ihre Krieger dazu da, die fleißigen Bauern vor Gefahren zu schützen; nicht dazu, von deren Leistungen zu leben – und deshalb war der Herzog den Junggrafen im Weg. Zwar waren die Junggrafen Christen, doch hatten sie den Glauben eher deshalb angenommen, weil der christliche Glaube nach ihrer Interpretation den Lohn für gute Taten im Diesseits auf das Jenseits verschob – ein hervorragendes Mittel, um die Untertanen kurz zu halten …
Zu dieser Zeit kam ein junger Bauer zu Christian und bat ihn um eine Unterredung. Herzog Christian war für seine Untertanen da, gleich ob Bauer oder Edelmann. So ließ er den Mann in den Thronsaal kommen.
„Wer bist du und was führt dich zu mir?“, fragte der Herzog. Der Bauer nahm eine ehrerbietige Kniebeuge vor dem Thron ein.
„Herr, ich bin Michael aus dem Dorf Aventwald in Südwengland. Ich komme, um dich zu warnen, mein Herzog.“
„Du hast eine weite Reise gemacht. Vor wem oder was willst du mich warnen?“
„Herr, ein Teil der Grafen plant deinen Sturz. Sie sagen, du wärest nicht würdig unser Herzog zu sein, weil du eine Tochter unseres Dorfes geheiratet hast“, gab der Bauer preis. Christian von Sandragon war wie vom Donner gerührt.
„Bitte?“, fragte er erschrocken nach.
„Glaub’ mir Herr, ich sage die Wahrheit!“, beteuerte Michael. „Und außerdem will Graf Persegin den Christen in Südwengland die Ausübung des Glaubens verbieten.“
„Kannst du mir irgendwelche Beweise geben?“, hakte Christian nach.
„Nein, Herr. Ich kann dir nur weitergeben, was ich mit eigenen Ohren gehört habe. Vor zwei Monaten waren Ritter bei mir zu Gast. Sie haben sich heimlich in meiner Scheune getroffen. Ich habe sie gehört, weil ich oben auf dem Heuboden beschäftigt war“, erklärte der Bauer.
„Und du hast natürlich nicht weggehört, wie es sich für einen anständigen Untertanen des Grafen Persegin geziemen würde!“, mutmaßte der Herzog.
„Als guter Untertan meines Herzogs, dessen Glauben ich auch teile, liegt mir dein Wohl nahe, mein Herzog. Als dein guter Untertan habe ich zugehört und bin gekommen, um dir zu sagen, dass diese Ritter dich um deinen Thron bringen wollen“, erklärte Michael.
„Würdest du die Ritter wieder erkennen?“
„Nein, Herr, sie waren gerüstet und trugen Helme mit breitem Rand. Das Einzige, was ich erkennen konnte, waren ihre Mäntel. Sie alle trugen rote Mäntel, wie die Provinzgrafen sie haben.“
„Wie viele waren es?“ fragte Christian.
„Bestimmt sechs Männer“, antwortete der Bauer.
„Ich danke dir für deine Warnung, Bauer Michael. Äußere einen Wunsch, ich möchte dich belohnen.“
„Mein Land liegt an einem Nebenfluss des Aventur. Ich möchte eine Wassermühle bauen, damit das Korn von Aventwald nicht erst nach Rothenfels gebracht werden muss. Bitte, Herr, erlaube mir, den Fluss zu stauen und eine Mühle zu bauen“, bat Michael.
„Den Wunsch erfülle ich dir gern. Page – lass’ den Schreiber kommen!“, wies der Herzog seinen Pagen an.
Der eilte davon, doch statt des erwarteten Schreibers erschien Graf Persegin mit mehr als zwanzig seiner südwenglischen Mannen!
„Jetzt ist es aus mit dem unwürdigen Herzog, der sogar einem gewöhnlichen Bauern erlauben will, mich um den Mahlzins zu bringen, indem er sein Korn selber mahlt!“, rief der Graf. Persegin zückte seinen Dolch, seine Begleiter ebenfalls. Sie stachen auf die völlig überraschten Männer im Thronsaal ein. Der Kampf war kurz, denn weder Christian noch Michael waren bewaffnet. Die wenigen Thronwachen waren nicht in der Lage, ihren Herrn gegen die Übermacht zu schützen. Die drei oder vier Männer, die als Ehrenwache am Thron gestanden hatten, lagen neben ihrem toten Herzog in ihrem Blut.
Persegin war nicht allein gekommen. Die fünf anderen Grafen, die sich mit ihm verschworen hatten, waren mit großem Gefolge nach Steinburg gekommen, um die Sonnenwende mit dem Herzog zu feiern. Wengland war zwar grundsätzlich christlich, aber einige heidnische Bräuche hatten die Christianisierung überlebt – schon deshalb, weil in Wengland eben niemand zu dem neuen Glauben gezwungen wurde und nun Christen und verbliebene Anhänger der nordischen Götter friedlich nebeneinander lebten. Die Grafen und ihre Mannen hatten die Burg an strategisch wichtigen Punkten besetzt. Die Schlosswache hatte keine Chance gegen die zahlenmäßig weit überlegenen Verschwörer. Auch in den anderen Teilen der Burg dauerte der …
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