Weiter im Norden waren die Wilzaren noch nicht vorgedrungen, weil die Eroberung der Steinburg zunächst die Hauptmacht der Wilzaren gebunden hatte. Auf wenglische Soldaten traf der Mönch aber auch nicht. Je weiter die Zeit fortschritt, desto größer wurde die Gefahr, dass auch die nördlichen Provinzen – Oberwengland, Wachtelberg, Eschenfels und Bauzenstein – ohne Vorwarnung überrannt wurden. Kasimir war im Zweifel, ob er zunächst die Provinzgrafen warnen sollte, oder ob er direkt nach Wachtelberg gehen sollte, damit Prinz Ulrich etwas unternehmen konnte.
Am dritten Tag nach seiner Flucht kam ihm der Zufall zu Hilfe. Er traf einen Knecht in den Farben des Grafen von Bauzenstein. Kasimir winkte ihm, der Mann hielt sein Pferd an.
„Ihr seid doch ein Kriegsknecht des Bauzensteiners?“
„Seht Ihr das nicht, Pater?“, fragte der Reiter. Kasimir knurrte unwillig.
„Solltet Ihr zufällig bei Eurem Herrn vorbeikommen, berichtet ihm, dass Wengland bis zur Grafschaft Steinburg von den Wilzaren besetzt ist!“, grunzte Kasimir.
„Erzählt keine Märchen, Pater!“, wehrte der Mann lachend ab.
„Herr, erbarme dich dieses Esels von Kriegsknecht und gib ihm das Gehirn zurück, dass du ihm in deinem unergründlichen Ratschluss genommen hast!“, entfuhr es Kasimir. „Ranador selbst hält in der Königsburg Hof, die Grafen des Grafenrates sind Gefangene der Wilzaren und sollen hingerichtet werden! Beeilt Euch endlich, um Euren Herrn zu warnen!“, wetterte er. Der Kriegsknecht erschrak. Er hatte begriffen.
„Ich eile, Herr!“, rief er, wendete sein Pferd und galoppierte davon. Kasimir fühlte eine gewisse Erleichterung. Wenigstens Graf Bauzenstein war gewarnt. Und wenn Graf Bauzenstein gewarnt war, würde er bestimmt Boten zu den anderen nordwenglischen Provinzgrafen senden.
Doch er hatte sich getäuscht. Kaum war der Reiter um eine Wegbiegung verschwunden, als der Mönch von dort Kampflärm hörte. Augenblicke später preschte der alarmierte Kriegsknecht um die Biegung, verfolgt von einigen wilzarischen Reitern. Kasimir sprang mit einem Satz in die Büsche und entzog sich den Blicken der Verfolger. Vorsichtig lugte er durch die dichten Zweige eines Eibenbusches. Der Kriegsknecht wurde von den Wilzaren eingeholt, ein Langschwert zuckte durch die warme Sommerluft und der Wengländer fiel tödlich getroffen aus dem Sattel. Die Wilzaren kümmerten sich nicht weiter um den Mann, bogen in den Wald ab und waren verschwunden.
Kasimir sah sich vorsichtig um, dann wagte er, aus seinem Versteck herauszukommen. Ebenso vorsichtig schlich er zu dem Kriegsknecht hin, der neben seinem Pferd lag. Der Hieb des Wilzaren hatte den Helm aufgerissen und dem Mann den Schädel gespalten. Er war tot. Kasimir bekreuzigte sich.
„Der Herr nehme dich auf in die Ewigkeit. Er schenke dir die Ewige Ruhe und leuchte dir das Ewige Licht. Amen“, sprach er leise ein Gebet. Dann sah er zum Himmel.
„Vergib mir, Herr, aber ich brauche das Pferd!“
Der Mönch schleppte den Bauzensteiner ins Gebüsch, schichtete Steine über dem Toten auf, stieg auf dessen Pferd und ritt eilig in Richtung Wachtelberg weiter. Er wusste jetzt, dass die Wilzaren unaufhaltsam näher kamen und dass er nicht mehr viel Vorsprung hatte.
Am darauf folgenden Tag erreichte Kasimir endlich das Kloster, das knapp fünf wenglische Meilen von der scharfenburgischen Grenze entfernt war. Er sprang vom Pferd und hämmerte an das Klostertor.
„Gemach, Bruder, Gemach!“, rief der Bruder Torwächter auf Kasimirs trommelndes Klopfen. Schließlich öffnete der Mönch bedächtig das Tor. Kasimir drängelte hinein.
„Oh, Bruder, der Leibhaftige tobt mit seinen Scharen durch Wengland, und du lässt mich beinahe bis zur Ewigkeit warten!“, schimpfte er. „Wo ist Seine Königliche Hoheit?“
„Beim Abt“, antwortete der Torwächter gemessen.
„Und wo ist der?“, fragte Kasimir gereizt.
„Folge mir, Bruder“, erwiderte der Klosterbruder und führte Kasimir in die Klosterkirche. Dem war, als ob er auf glühenden Kohlen lief.
Als sie endlich die Kirche betraten, war der Kronprinz gerade mitten in der Beichte. Kasimir wollte gleich zum Beichtstuhl stürmen, aber der Bruder Torwächter hielt ihn zurück.
„Hast du die Heiligkeit des Ortes vergessen, Bruder?“, mahnte er. Kasimir war einen halben Kopf kleiner als der Torposten, aber er war noch einmal so breit. Er blieb vor dem Wächter stehen, stemmte die Hände in die rundlichen Hüften und ließ seinem Unmut freien Lauf:
„Bruder! Wengland brennt in hellen Flammen, der Kronprinz ist in höchster Gefahr, der Herr hat mich in seiner Güte aus den Händen der Wilzaren errettet, damit Seine Königliche Hoheit gewarnt wird – und du wenglisches Murmeltier redest von heiligen Orten!“, donnerte er. Im klösterlichen Reflex zuckte Kasimir zum Ewigen Licht herum und bekreuzigte sich.
„Vergib mir, oh Herr“, sagte er – deutlich leiser.
Am Beichtstuhl entstand Bewegung.
„Das, so scheint mir, war die Flüsterstimme von Pater Kasimir“, lächelte der Prinz, als er den Pater erkannte. Er trat aus dem Beichtstuhl. Kasimir eilte zu ihm, packte ihn an den Armen.
„Hoheit, eine Katastrophe! Die Wilzaren haben Wengland überfallen, sämtliche Grafen gefangen gesetzt und das Land bis mindestens zur Grafschaft Steinburg besetzt. Ranador hat einen hohen Preis auf Euren Kopf ausgesetzt. Mir sind Wilzaren sogar noch einen Tagesritt vor Wachtelberg über den Weg geritten. Ich bin ihnen nur knapp entkommen! Keiner der Grafen konnte rechtzeitig seine Soldaten gegen die Wilzaren senden!“, berichtete Kasimir hastig.
„Was? Warum hat der Reichsvogt das Heer nicht entsandt? Oder mich nicht wenigstens zurückgeholt?“, fragte Ulrich erschrocken.
„Er hatte keine Gelegenheit und keine Zeit, Herr! Den Wilzaren ist es irgendwie gelungen, alle Grafen abzufangen. Bevor das in Steinburg überhaupt bekannt wurde, war das halbe Land schon von den Wilzaren überrannt. Als der Reichsvogt Euch warnen wollte, war es schon zu spät. Da war Steinburg bereits belagert. Ein Bote, den der Hauptmann Daniel zu Euch schicken wollte, ist in den Belagerungsring geraten und gefangen genommen worden.“
„Weshalb waren nicht die vorgeschriebenen vier Grafen des Rates in Steinburg?“, fragte Ulrich.
„Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, Reichsvogt Siegbert sagte, sie seien zur Jagd im Siebensteinforst gewesen“, erklärte Kasimir. „Herr, es ist jetzt nicht die Zeit, nach Gründen zu suchen!“, setzte er dann drängelnd hinzu. „Es ist momentan eine Tatsache, dass die Wilzaren hinter Eurem Kopf her sind! Es ist zu spät, noch Truppen zusammenzustellen. Die Wilzaren können jede Stunde hier sein. Ihr müsst Wengland verlassen, Hoheit! Sofort!“, forderte der Mönch. Ulrich sah Kasimir betroffen an.
„Wengland verlassen? Kasimir, ich hör’ nicht recht! Das kann ich nicht tun!“, widersprach Ulrich.
„Hoheit, Ihr müsst! Vergesst nicht: Euer Kopf ist eine Menge Geld wert.“
Ulrich grinste schief.
„Wie viel bin ich Ranador denn wert?“
„Hundert Golddenati!“, schnaufte Kasimir. Der Abt und der Torwächter erbleichten. Ulrich schüttelte nur den Kopf.
„So wenig für einen Thronfolger?“, entgegnete er nicht ohne Sarkasmus.
„Nun, es gibt sicher auch in Wengland ein paar Leute, die Euch dafür an den Leibhaftigen persönlich verscherbeln würden!“, versetzte Kasimir.
Ulrich sah den Abt an.
„Pater Abt – ich will mein Volk nicht im Stich lassen. Gebt mir einen Rat“, forderte er den Abt auf. Der Mann strich sich nachdenklich durch den Bart.
„Ich fürchte, Pater Kasimir hat Recht. Ihr lasst Euer Volk nicht im Stich, Hoheit, wenn Ihr flieht. Bleibt Ihr hier und versucht, Ranador ohne Heer die Stirn zu bieten, seid Ihr Euren Kopf los. Wengland wäre ohne Euch ohne Thronfolger. Außer Euch gibt es keinen Erben des Throns aus dem Hause Wengland-Steinburg. Euer Tod würde das Ende Wenglands bedeuten!“
„Pater Abt, das ist Unsinn!“, widersprach Ulrich. „Wenn ich gehe, bleibt Wengland wilzarisch besetzt. Das ist auch Wenglands Ende!“
„Nein. Ihr habt die Chance, Euch im Ausland Hilfe zu verschaffen und Wengland zu befreien. Allein habt Ihr diese Möglichkeit nicht. Es bleibt keine Zeit mehr, die nordwenglischen Teilheere zusammenzurufen. Geht nach Scharfenburg. Eure Großmutter war Scharfenburgerin. Ich glaube nicht, dass der Herzog Euch Hilfe versagen wird“, sagte der Abt.
„Kasimir?“
„Ihr müsst hier verschwinden, Hoheit!“, mahnte Kasimir eindringlich.
Ulrich seufzte.
„Es fällt mir nicht leicht, Wengland zu verlassen“, sagte er.
„Eurem Großvater ist es auch nie leicht gefallen!“, erwiderte Kasimir. „Er tat es für Wengland, für seine Ausbildung und als Diplomat, wie Ihr vielleicht wisst. Tut Ihr es auch!“, beschwor er den Prinzen.
„Na gut, wenn es nicht zu vermeiden ist …“, seufzte der Thronfolger. „Dann lass uns reiten, Kasimir. Je schneller wir in Stolzenfels sind, desto schneller ist Wengland frei“, sagte er dann.
Noch in derselben Stunde brachen Pater Kasimir und Prinz Ulrich nach Scharfenburg auf. Die beiden Reiter mochten gerade die Grenzfurt über den Alvedra nach Scharfenburg überquert haben, als die Wilzaren über das Kloster Wachtelberg hereinbrachen und jeden umbrachten, der sich ihnen in den Weg stellte.
Fünf Stunden später hatten Ulrich und Kasimir Stolzenfels erreicht. Herzog Gunther empfing den Prinzen im Thronsaal.
„Seine Königliche Hoheit, Prinz Ulrich von Wengland!“, verkündete der Ausrufer.
„Prinz Ulrich, was treibt Ihr in Scharfenburg?“, fragte Gunther mit düsterer Miene.
„Ich grüße Euch, Herzog Gunther. Fragt lieber nicht, was ich in Scharfenburg treibe, sondern, was mich nach Scharfenburg getrieben hat“, antwortete Ulrich. „Ihr habt vielleicht gehört, welches Unglück über Wengland hereingebrochen ist. Ich bin gekommen, weil Wengland von den Wilzaren hinterrücks überfallen und erobert wurde. Ich bitte Euch um Hilfe.“
Gunther schmunzelte amüsiert.
„Euer Heer hat wohl das Hasenpanier ergriffen!“, lachte er auf.
„Durch unglückliche Umstände konnte das Heer nicht mehr zusammengestellt werden“, erwiderte Ulrich mit erzwungener Ruhe.
„Eure Alarmwege scheinen sehr gut zu funktionieren!“, spottete ein scharfenburgischer Graf. Ulrich rang um Beherrschung.
„Es mag sein, Graf Bernward, dass unsere wenglische Art einen großen Fehler hat und dass Ranador diesen Fehler eiskalt ausgenutzt hat. Das ist eine Sache. Eine andere ist es, die Besetzung Wenglands zu beenden. Und deshalb bin ich hier. Ich erinnere mich, dass mein Großvater mir erzählt hat, Wengland habe Scharfenburg gegen die Wilzaren geholfen. Jetzt bitte ich um die Hilfe Scharfenburgs für Wengland“, erwiderte er.
„Wenn Euer Großvater Euch das erzählt hat, muss es eine halbe Ewigkeit her sein, verehrter Prinz Ulrich“, grinste der Herzog.
„Es mag Euch entgangen sein, dass mein Großvater erst vor kurzem verstorben ist und dass er bis zu seinem Tod der König Wenglands war“, versetzte Ulrich bissig. „Es ist keinesfalls so lange her, dass es nicht mehr wahr ist!“, setzte er gereizt hinzu.
„Hilfe? Von Scharfenburg? Wie komme ich denn dazu?“, fragte Gunther süffisant. „Schlagt Euch das aus dem Kopf!“, entgegnete er.
„Herzog Gunther: Meine Großmutter – Gott sei ihrer guten Seele gnädig – war eine Scharfenburgerin. Wenglands Volk hat Königin Regina sehr geliebt. Scharfenburgs Volk war ihr genauso gewogen. Ich bitte Euch im Andenken Reginas von Scharfenburg um Eure Hilfe“, probierte Ulrich eine andere Ebene zwischenstaatlicher Beziehung aus.
„Ihr verschwendet Eure Zeit“, gab Gunther zurück. „Eure Großmutter stammte aus dem Stolzenfelser Grafenhaus. Stolzenfels ist zwar immer noch die Hauptstadt Scharfenburgs, aber ich bin mit dem alten Grafenhaus nicht verwandt und nicht verschwägert. Vielleicht hat es sich bis nach Wengland noch nicht herum geschwiegen, aber seit fast dreißig Jahren regieren die Markgrafen der Rebmark das Herzogtum Scharfenburg. Die Markgrafen von Rebmark haben keine Verpflichtungen gegenüber Wengland.“
„Abgesehen davon, dass mein Großvater Euch vor zehn Jahren bei dem großen Erdrutsch in der Rebmark Hilfe geschickt hat; abgesehen davon, dass wenglische Soldaten Euch geholfen haben, Eure Grenze in Dunkelfels gegen die Wilzaren zu sichern“, versetzte Ulrich. „Herzog Gunther – ich flehe Euch an: Helft mir, Wengland zurückzuerobern.“
„Nein!“, sagte Gunther hart. „Ich bin kein Freund Wenglands. Ich werde Euretwegen nicht das Leben meiner Ritter aufs Spiel setzen! Verlasst augenblicklich Scharfenburg!“
„Ihr verweigert mir also nicht nur die Hilfe, um die ich Euch bitte; Ihr verweist mich auch des Landes?“, fragte Ulrich verbittert nach.
„So ist es. Verschwindet! Lasst Euch in Stolzenfels nicht wieder blicken!“
Auf einen Wink des Herzogs beförderten die Thronwachen den Prinzen und seinen Begleiter hinaus und gaben Acht, dass sie auch davon ritten.
„Geht nach Scharfenburg!“, schimpfte Ulrich vor sich hin, als er und Kasimir die Provinz Stolzenfels in westlicher Richtung verließen. „Da hilft man Euch weiter! Ja, von wegen!“, wetterte er.
„Hoheit …“, wandte Kasimir vorsichtig ein, „lasst den Kopf nicht hängen. Vielleicht ist Fürst Dominik bereit, Euch zu helfen“, schlug er vor.
„Dominik? Welche Veranlassung sollte der wohl haben, einem Wengländer zu helfen?“, schnappte der Prinz. „Eher fließt der Alvedra in die Quelle zurück!“
„Zugegeben: Nicht mehr und nicht weniger als der Herzog von Scharfenburg. Aber wenn Ihr Euch nicht gleich freiwillig den Wilzaren ausliefern wollt – was ich nicht annehme – sollten wir es wenigstens versuchen, Hoheit“, empfahl der Mönch unnachgiebig.
„Na gut“, seufzte Ulrich. „Schlimmer als Gunther kann Dominik mich kaum hinauswerfen.“
Der Blick des Prinzen ging gen Himmel. Er sah weniger die im leichten Sommerwind segelnden Schönwetterwolken vor dem blauen Himmel, als dass er danach Ausschau hielt, ob sein Großvater nicht dort oben erschien.
‚Großvater – was hättest du an meiner Stelle getan?‘, fragte er sich in Gedanken.
Nach einer Reise von fast eineinhalb Wochen erreichten er und Kasimir das Fürstentum Breitenstein. Ulrich bat um eine Audienz Fürst Dominik, die er zu seiner Verblüffung sofort gewährt erhielt. Der Fürst empfing den Prinzregenten mit kleinem Zeremoniell. Ulrich trug seine Bitte um Hilfe vor.
„Ich weiß, Fürst Dominik, Ihr schuldet Wengland nichts. Dennoch bitte ich Euch um Eure Hilfe“, schloss der Prinz.
„Hilfe wollt Ihr?“, fragte der Fürst nach.
„Fürst Dominik, mein Reich – vielmehr noch das meines Großvaters, schließlich bin ich noch nicht zum König gekrönt – wurde hinterrücks überfallen und von den Wilzaren erobert. König Ranador hat die Schwäche in unseren Alarmwegen gefunden und genutzt. Nichtsdestoweniger möchte ich das Erbe antreten, das mein Großvater Martin mir hinterlassen hat“, erklärte Ulrich. Fürst Dominik strich sich bedächtig durch den langen Vollbart.
„Ich kann Euch gut verstehen, nehmt das bitte zur Kenntnis, Prinz Ulrich. Vergesst aber nicht, dass Breitenstein ein kleines Fürstentum ist, das sich militärisch mit Wengland oder Wilzarien nicht messen kann. Ich unterhalte kein stehendes Heer wie Ihr. Meine Alarmwege haben noch größere Lücken als die Euren. Zudem betrachtet sich Breitenstein traditionell als neutral. Bei der Rückeroberung Wenglands kann ich Euch nicht helfen, weil mein Heer sich mit Wilzarien nur um den Preis des eigenen Untergangs schlagen könnte. Ihr erwartet das sicher nicht. Aber ich biete Euch an, als mein Gast hier zu bleiben, bis Ihr eine Lösungsmöglichkeit gefunden habt. Euer Großvater war Breiten-stein sehr gewogen, und wir unterhielten freundschaftliche Beziehungen miteinander. Ihr wisst wohl, dass König Martin oft mit meinem Vater im Gebiet von Palparuva gejagt hat. Ich wünsche Euch von Herzen, dass Ihr das große Erbe Eures Großvaters antreten könnt. Er war ein großer König.“
„Ja, sein Tod ist ein schwerer Verlust für Wengland. Für mich selbst ist es ein großes Unglück, denn ich hätte gern noch viel von ihm gelernt. Wie einen Vater habe ich ihn geliebt und er mich wie einen Sohn“, erwiderte der Prinz.
„Ihr seid Eurem Großvater sehr ähnlich, Prinz Ulrich. In der Galerie dieser Burg hängt ein Bild von Martin II., das kurz nach seiner Krönung gemalt wurde. Ihr seid ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Wenn Ihr auch nur einen Funken seines Charakters geerbt habt, werdet Ihr Wengland einmal ein guter König sein.“
„So es je wieder frei ist“, seufzte Ulrich.
„Ihr solltet die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn Ranador nicht gerade auf die Idee verfällt, Breitenstein anzugreifen, seid Ihr hier sicher und habt genug Zeit, Euer weiteres Vorgehen zu planen“, beruhigte Dominik den jungen Prinzen.
„Ich danke Euch, Fürst Dominik“, erwiderte der Thronfolger in echter Dankbarkeit.
„Mein Haushofmeister wird Euch Eure Gemächer zeigen“, bot Dominik an. Ulrich und Kasimir verneigten sich und folgten dem Haushofmeister, der sie zu wahrhaft fürstlichen Räumen brachte. Ulrich gestand sich ein, daheim in Steinburg auch nicht komfortabler gelebt zu haben.
Kapitel 5
Unverschämte Forderung
U |
lrich lebte gut am Breitensteiner Hof. Er war angesehen, und es gab keinen Breitensteiner Ritter, der es abgelehnt hätte, sich mit Ulrich im Turnier zu messen. Dennoch blieb er unruhig, solange er keine Möglichkeit fand, Wengland von den Wilzaren zu befreien. Die wenigen Nachrichten, die nach Breitenstein drangen, machten deutlich, wie grausam die Wilzaren Wengland unterdrückten. Kreuzigung und Rädern schienen an der Tagesordnung zu sein. Ulrich schämte sich in Grund und Boden, weil er allein geflohen war, ohne dafür zu sorgen, dass sich auch sein Volk in Sicherheit hatte bringen können. Und er fühlte einen ungeheuren Druck auf sich lasten, weil er auch drei Monate nach der Eroberung Wenglands noch nicht einmal den Versuch gemacht hatte, seinem Volk zu helfen – jedenfalls warf er sich das vor.
„Das stimmt doch überhaupt nicht!“, widersprach Pater Kasimir dann regelmäßig. „Seit Monaten seid Ihr auf der Suche nach Verbündeten gegen die Wilzaren. Dass mit denen keiner Streit will, ist doch nicht Eure Schuld, Hoheit.“
Ulrich mochte das nicht gelten lassen und war sicher, dass man eines Tages nicht danach fragen würde, wie lange er vergeblich nach Hilfe gesucht hatte, sondern nur danach, wie lange sein Volk unter der Besatzung zu leiden hatte.
Zwei weitere Monate waren vergangen, seit der Prinz in Breitenstein Asyl gefunden hatte. Wieder einmal durchmaß er mit unruhigen Schritten sein Gemach. Er hatte jetzt nahezu sämtliche in der Nähe befindlichen bedeutenden Fürsten um Hilfe angefleht, keiner hatte ihm helfen wollen. Es waren nur ein paar wenglische Soldaten nach Breitenstein entkommen, die zwar bereit waren, mit dem Kronprinzen sofort gegen die Wilzaren zu kämpfen. Aber es waren viel zu wenige, um auch nur einen Gedanken an einen Angriff gegen ein fast dreißigtausend Mann starkes Heer zu verschwenden. Die Wilzaren hatten sämtliche Burgen und Befestigungen besetzt. Eine Burg wie die Steinburg mit nicht einmal fünfzig Männern belagern oder gar erobern zu wollen – das war nicht möglich.
Kasimir saß an einem Schreibpult und setzte die Chronik der wenglischen Könige fort.
„Hoheit, Ihr seid so unruhig, dass ich mit der Regierungszeit Martins II. nicht weiterkomme“, sagte der Mönch schließlich und legte den Gänsekiel weg. „Was Ihr allein in Breitenstein schon an Schuhsohlen durchgelaufen habt, hat Euer Großvater in seinem ganzen Leben nicht verbraucht …“
„Ich kann nur im Laufen denken, Kasimir. Das solltest du langsam wissen“, gab Ulrich zurück. „Seit Monaten zerbreche ich mir den Kopf, wie ich Wengland befreien kann, aber die Nachbarn, deren Hilfe ich dafür brauche, können oder wollen mir nicht helfen. Ich sehe nur noch eine Möglichkeit: den Kaiser.“
„Mit Verlaub, Hoheit, ich glaube nicht, dass Euch der Kaiser Hilfe senden würde. Zum einen gibt es derzeit keinen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, wohl aber zwei Könige, da sich die Kurfürsten derzeit nicht einig sind, wer das Heilige Römische Reich regieren soll. Sowohl Richard von Cornwall als auch Alfons von Kastilien beanspruchen den Kaiserthron, sind jeweils von einem Teil der Kurfürsten gewählt. Zum Kaiser wurde aber noch keiner gekrönt. Wollt Ihr denn an beide eine Botschaft schicken? Alfons ist in Kastilien, hat sicher seine Schwierigkeiten mit den Mauren, Richard ist in England, nachdem er sich als Graf von Poitou im Kampf um seine dortigen Besitzungen aus Frankreich zurückziehen musste. Er ist Euch verwandtschaftlich am nächsten, aber ich weiß, dass er es Eurem Großvater immer verübelt hat, dass er den Kreuzzug von 1204 abgebrochen hat und sich geweigert hat, den Kreuzzug von 1240 mitzumachen oder auch nur zu unterstützen. Außerdem gehört Wengland nicht zum Reich, weil es unabhängig ist. Welche Veranlassung sollte einer der deutschen Könige haben, Euch Hilfe zu geben?“, gab Kasimir zu bedenken.
„Der Kaiser hat Wenglands Unabhängigkeit vor Jahrhunderten anerkannt“, bemerkte Ulrich.
„Eben!“, versetzte der Mönch. „Genau deshalb glaube ich nicht, dass er Euch helfen wird.“
Ulrich blieb stehen.
„Wir sollten es versuchen, Kasimir. Wenn der deutsche König sich weigert, dann war es die letzte Chance. Wer hat mehr Kurfürsten hinter sich? Richard oder Alfons?“
„Keiner. Alfons wurde von den Kurfürsten von Trier, Sachsen und Brandenburg gewählt, Richard von denen von Mainz, Köln und der Pfalz. Der siebente, der König von Böhmen, mochte sich wohl nicht entscheiden und hat sich mit beiden Wahlen einverstanden erklärt“, antwortete Kasimir.
„Schreib’ an Alfons. Nichts gegen die Geistlichkeit, aber die Weltlichkeit liegt mir mehr“, lächelte Ulrich in Anspielung darauf, dass Richard mehrheitlich von geistlichen Kurfürsten, nämlich von Mainz und Köln, gewählt worden war.
„Ja, Hoheit“, bestätigte der Pater. „Was soll ich schreiben?“, fragte er mit einem Seufzer.
„Schreib’, dass Wengland im August 1260 von den ungläubigen Wilzaren unter ihrem König Ranador überfallen und erobert wurde, und dass ich – Ulrich, Kronprinz von Wengland – den König von Kastilien als den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches betrachte und ihn gegen Erstattung der Kosten bitte, mir bei der Rückeroberung Wenglands behilflich zu sein. Schreib’, dass ich ihm außer den Kriegskosten ein Bündnis anbiete“, gab Ulrich den Rahmen des Briefes vor.
„Soll ich noch etwas zu Eurer Krone schreiben?“, fragte Kasimir.
„Nein, es ist nicht nötig, schlafende Hunde zu wecken.“
Kasimir nickte, tauchte den Gänsekiel in die Tinte und schrieb den verlangten Brief. Nach geraumer Zeit hatte er ein kunstvoll verziertes Schriftstück fertig.
„Ich bin fertig, Hoheit. Wollt Ihr es noch einmal lesen, ob es so recht ist?“
„Ja, gib her.“
Es war in dieser Zeit durchaus nicht üblich, dass ein Mann, der nicht Geistlicher war, lesen und schreiben konnte. In der Regel war diese Kunst den Mönchen, eben den Klerikern, vorbehalten. Wenglands Grafen und Könige bildeten eine Ausnahme, da sich schon König Philipp daran erinnert hatte, dass der Titel Graf ursprünglich den bezeichnete, der schreiben konnte. So hatte er an den Grafentitel die Bedingung geknüpft, dass der Träger lesen und schreiben können musste. Sämtliche bisherigen Könige Wenglands hatten auch dafür gesorgt, dass ihre Kinder schon frühzeitig in dieser Kunst unterrichtet wurden. Ulrich las den Brief durch.
„Sehr gut“, sagte er, nahm die Feder und unterschrieb. Kasimir goss flüssigen Siegellack neben die Unterschrift und Ulrich drückte sein Siegel hinein. Der Brief wurde zusammengerollt und außen gleichfalls versiegelt.
„Kasimir, bitte Fürst Dominik, den Brief so schnell wie möglich expedieren zu lassen.“
„Sehr wohl, Königliche Hoheit.“
Kasimir richtete dem Fürsten die Bitte des Prinzen aus. Dominik war auch gleich bereit, einen Kurier zu schicken. Regelmäßige Postdienste gab es nicht, so dass jeder Brief individuell per Boten transportiert werden musste. Dabei war schwer abzuschätzen, wann und vor allem ob ein Brief den Empfänger erreichte. Die Kuriere waren vielerlei Gefahren ausgesetzt und oft sehr lange unterwegs. Obendrein war es Winter. Ulrich war sich deshalb darüber im Klaren, dass er nicht innerhalb weniger Tage Antwort erwarten konnte. Aber nachdem der Brief an den Kastilier abgegangen war, wurde der Prinz zusehends ruhiger.
Vier Monate vergingen. Ulrich, nun einigermaßen ruhig, arbeitete an seiner Gesetzessammlung weiter. Der Codex Rex Wenglandia, wie er die Sammlung nannte, nahm konkrete Formen an. Ein Kapitel hatte Ulrich für Gesetzesänderungen reserviert, die er nach seiner Krönung mit Zustimmung des Grafenrates vornehmen wollte. Eine davon war, die traditionellen Exerzitien für den Thronfolger ganz abzuschaffen, eine andere, einem Reichsvogt mehr Kompetenzen einzuräumen. Die Lähmung, die Wengland wegen der drei Monate Interregnum ereilt hatte, sollte sich nicht wiederholen können. Nie wieder sollte das Land wegen einer unsinnigen Regelung in eine solche Katastrophe gestürzt werden. Nun schrieb man den 25. Mai 1261. Ulrich hatte sich gerade eine Gesetzesnovelle notiert, als es klopfte.
„Ja?“, rief er. Die Tür wurde geöffnet und ein Diener des Fürsten kam herein.
„Prinz Ulrich, ein Bote des Königs von Kastilien ist für Euch eingetroffen.“
„Schon? Ich komme sofort.“
Der Diener brachte Ulrich zu Fürst Dominik.
„Ihr scheint ein Glückskind zu sein, Prinz Ulrich“, eröffnete der Fürst. „Nicht nur, dass Euer Brief den Kastilier erreicht hat, auch der Antwortbrief ist angekommen. Diese Botschaft ist für Euch bestimmt“, sagte er und überreichte Ulrich eine gesiegelte Rolle.
„Danke, Fürst Dominik. Ist der Bote noch da?“
„Ja. Moment, ich lasse ihn holen.“
Dominik winkte dem Diener, der davoneilte und wenig später mit dem Herold zurückkehrte.
„Habt Ihr den Brief überbracht?“, fragte Ulrich den Mann mit dem kastilischen Tappert, dem gürtellosen Wappenrock der Herolde.
„Ja.“
„Dann bitte ich Euch, die Antwort an den König mitzunehmen. Es wird gewiss nur bis morgen dauern.“
„Eilt Euch nicht, Königliche Hoheit. Ich werde noch eine Woche bleiben, um mich für die weite Reise etwas auszuruhen“, gab der Bote zurück.
„Seid bedankt für Eure Eile, in der Ihr das Schreiben hergebracht habt. Ihr könnt ja kaum zwei Monate unterwegs gewesen sein“, erwiderte Ulrich. „Ich werde Euch die Antwort mitgeben, wenn Ihr abreist.“
Ulrich zog sich in seine Gemächer zurück, wo er das Siegel aufbrach.
Wir, Alfons X., von Gottes Gnaden König von Kastilien, durch Wahl deutscher König, Regent des Heiligen Römischen Reiches, grüßen Euch, Ulrich, Kronprinz von Wengland. Wir haben Euer Hilfsersuchen vernommen und geprüft. Wir werden Euch mit Freuden helfen, Euer Reich von den ungläubigen Wilzaren zu befreien. Gern haben Wir vernommen, dass Ihr Uns die Kriegskosten erstatten wollt und Uns darüber hinaus ein Bündnis anbietet. Die Güte Eures Heeres ist Uns wohlbekannt. Wir sähen es allerdings lieber, wenn Uns Euer Heer nicht nur im Bündnisfall, sondern stets zur Verfügung stünde.
Wir bedingen daher, dass Wengland nach der Befreiung von den Wilzaren ein Teil Unseres Reiches wird. Euch, Prinz Ulrich, bieten Wir für Euer Einverständnis den Titel des Herzogs von Wengland, der Euch Wengland als erbliches, kaiserliches Lehen garantiert.
Selbstverständlich habt Ihr Uns die Treue zu schwören. Wir erwarten Eure Antwort.
Ulrich war entsetzt. Er gab Kasimir den Brief des kastilischen Königs.
„Ich fasse es nicht: Der Preis für die Hilfe wäre die Königskrone!“, stieß er hervor.
„Ich habe Euch gewarnt, Königliche Hoheit“, erwiderte Kasimir. „Was gedenkt Ihr zu tun?“, fragte er dann, als er den Brief gelesen hatte.
„Die Königskrone zu verspielen, nein, das würden mir meine Ahnen nie verzeihen; vor allem König Philipp nicht. Wenn der Kastilier mir nur um diesen Preis helfen will, verzichte ich dankend. Gott allein weiß, wie Wengland von den Wilzaren zu befreien ist – aber nicht um diesen Preis! Kasimir, schreib’ folgendes an den Kastilier:
Ich, Ulrich von Wengland, Graf von Steinburg, durch königliches Siegel Prinzregent des Königreiches Wengland, grüße Eure Majestät Alfons X. König von Kastilien und deutscher König, Regent des Heiligen Römischen Reiches.
Wohl habe ich Euer Hilfsangebot geprüft, aber es will mir nicht annehmbar erscheinen. Kaiser Arnulf erkannte Wengland einst als unabhängiges Königreich an. Diese Krone gebe ich nicht leichtfertig her. Wenn Ihr mir Hilfe nur um den Preis der Krone gewähren wollt, ziehe ich mein Hilfsersuchen an Eure Majestät hiermit zurück. Seid meiner Verbundenheit gewiss, aber verlangt nicht, dass ich Wengland nicht nur unter Euren Schutz, sondern unter Eure Souveränität stelle.
„Ist das nicht ‘n bisschen grob?“, fragte Kasimir zweifelnd.
„Schreib’ es!“, befahl Ulrich. Achselzuckend schrieb Kasimir den Brief, Ulrich unterschrieb und siegelte das Schreiben. Der Bote bekam das gesiegelte Schreiben ausgehändigt, womit er am Ende der Woche in Richtung Spanien davon ritt.
Fürst Dominik war nicht entgangen, dass sein Gast über den Inhalt des Briefes, den er aus Kastilien erhalten hatte, sehr aufgebracht war. Er bat Ulrich zu sich.
„Ihr habt den Kastilier um Hilfe gebeten, nicht wahr?“, mutmaßte der Fürst. Ulrich bestätigte es.
„Wärt Ihr bereit, mit mir darüber zu reden?“
„Ja. Ich habe den König von Kastilien, der auch König des Reiches ist, um Hilfe gebeten. Er will sie mir auch geben, aber er bedingt, dass ich die Königswürde aufgebe und Herzog unter kaiserlicher Oberhoheit werde. Dieses Angebot scheint mir völlig inakzeptabel. Ich habe dem Kastilier geantwortet, dass ich unter diesen Umständen seine Hilfe nicht in Anspruch nehme.“
„Oha, da begebt Ihr Euch auf gefährliches Glatteis, Prinz Ulrich!“, entfuhr es dem Fürsten. „Den deutschen König zu rufen ist riskant. Ich fürchte, er wird über Eure Ablehnung nicht einfach hinweggehen“, warnte Dominik.
„Schon möglich. Ich hätte allerdings größere Sorgen, wenn ein Staufer oder ein Welfe Kaiser wäre. Im Moment sind sich die Kurfürsten des Reiches nicht einig, wer eigentlich König sein soll. Die eine Hälfte möchte Alfons, die andere Richard von Cornwall zum deutschen König haben. Beide haben keine große Hausmacht. Alfons ist in Spanien gut mit den Mauren beschäftigt, und Richard weiß von nichts. Es war mir jedenfalls eine Lehre, den Kaiser zu rufen. Das probiere ich sicher kein zweites Mal. Ich hoffe auf die Uneinigkeit im Reich“, erklärte Ulrich.
„Was wollt Ihr dann zu Wenglands Rettung unternehmen?“
„Ich weiß es noch nicht. Der Kaiser, besser: Einer von denen, die Anspruch erheben, es zu sein, schien mir die letzte Möglichkeit zu sein, die sich nun zerschlagen hat.“
Fürst Dominik überlegte eine Weile.
„Ulrich, ich nehme nicht an, dass Ihr damit schon auf Wengland verzichtet“, sagte er dann. Ulrich schüttelte den Kopf.
„Nein, durchaus nicht.“
„Ihr werdet ein großes Heer brauchen – und sehr viel Geld.“
„Ist mir klar.“
„Wisst Ihr schon, woher Ihr das nehmen wollt, wenn Ihr nicht gerade zum Raubritter werden wollt?“
„Nein, bisher noch nicht“, gestand Ulrich.
„Ihr seid ein guter Kämpfer, wie ich in vielen Turnieren gesehen habe. Wenn es nicht unter Eurer Würde wäre, in die Dienste eines kleinen Fürsten zu treten, wüsste ich vielleicht etwas, was Euch zu Geld kommen lassen würde.“
„Sprecht, Fürst Dominik. Mein Großvater war sich nicht zu schade, einem benachbarten Fürsten zu dienen, um Wengland zu helfen – und ich bin auch nicht zu stolz dazu.“
„Ich habe gehört, dass mein Nachbar, der Graf von Falkenstein, einen Junker sucht.“
„Was bezeichnet er als Junker? Ich kenne darunter nur den niedersten Ritterrang.“
„In Falkenstein ist das eine Bezeichnung für den Befehlshaber der Kriegsknechte, die dort Schutztruppe genannt werden. Soviel ich weiß, war Euer Großvater der erste Junker von Falkenstein.“
„Ich danke Euch, dass Ihr mir von dieser Möglichkeit berichtet habt. Ich lasse Euch innerhalb eines Tages wissen, ob ich Euren gastlichen Hof verlasse, Fürst Dominik“, verbeugte Ulrich sich.
„Prinz Ulrich – missversteht mich nicht. Ihr seid mir ein willkommener Gast, der mir ein Freund geworden ist. Ich weiß sehr zu schätzen, dass Ihr Euch meiner Söhne angenommen und sie in den ritterlichen Tugenden unterwiesen habt. Wenn ich ehrlich bin, lasse ich Euch nur ungern ziehen. Versteht meinen Hinweis auf Falkenstein bitte nicht als Hinauskomplimentieren.“
Ulrich lächelte.
„Nein, Fürst Dominik, so habe ich Euch auch nicht verstanden. Es ist sehr freundlich, wenn Ihr mich auf Falkenstein hinweist. Ich in Euch sehr dankbar dafür. Seid versichert, dass ich die Zeit, die ich an Eurem Hof verbringen durfte, nicht bereue. Ihr habt mir sehr geholfen, und ich habe versucht, mich irgendwie erkenntlich zu zeigen. Ich hoffe sehr, dass ich Euch diesen unschätzbaren Freundschaftsdienst eines Tages wirklich vergelten kann“, erwiderte er.
„Ulrich, solltet Ihr den Posten in Falkenstein nicht annehmen können und sollte es Euch nicht gelingen, Wengland zurückzuerobern – in Breitenstein seid Ihr jederzeit willkommen. Wenn Euch Euer Status als Kronprinz nicht die Annahme eines ausländischen Lehens verbieten würde, hätte ich Euch mit der Herrschaft Palparuva belehnt.“
„Es wäre mir eine Ehre gewesen, Fürst Dominik. Sollte Wengland für mich unmöglich werden, komme ich gern auf Euer Angebot zurück.“
Fürst Dominik stand von seinem Thron auf und ging die zwei Stufen zu Ulrich hinunter.
„Geht mit Gott, Prinz Ulrich“, sagte er und umarmte den Prinzen.
„Ich danke Euch, aber ich gebe Euch morgen definitiven Bescheid“, sagte Ulrich und erwiderte die brüderliche Geste des Fürsten.
Später berichtete Ulrich Pater Kasimir von den Aussichten in Falkenstein.
„Das Problem ist nur: Herzog Gunther hat mich des Landes verwiesen. Ich darf nicht nach Scharfenburg – und Falkenstein ist nun einmal ein Teil Scharfenburgs!“, seufzte er.
„Oh, Hoheit – so würde ich das nicht sehen. Herzog Gunther hat uns hinausgeworfen, ja, das stimmt. Aber er hat nur gesagt, dass wir uns in Stolzenfels nicht mehr sehen lassen dürfen. Von ganz Scharfenburg war nicht die Rede“, erwiderte Kasimir grinsend. „Und außerdem – o Schande, dass mir das nicht früher eingefallen ist – müsste Graf Dietrich von Falkenstein eigentlich ein Verwandter von Euch sein.“
„Bitte?“
„Ja! Wenn ich mich recht erinnere, hat Graf Alwin von Falkenstein Simon von Scharfenburg zum Erben eingesetzt, den zweitälteren Bruder Eurer Großmutter. Dietrich ist sein Enkel.
Ende der Leseprobe.
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