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SOL 3 = Erde – Teil 2 – Die Amazonia-Affäre – online

Updated: 20. Februar 2019

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Ab 12 Jahre

 

 

 

Kapitel 1

Seltsame Wahlkandidatinnen

 

Die Erde war seit nun gut einem halben Erdjahr Mitglied in der Galaktischen Föderation – und die menschliche Rasse fand sich überall dort, wo die Föderation war. Auch und gerade in der Föderationsflotte. Durch die Vereinigung der irdischen Staaten und der damit verbundenen Reduzierung von Militär waren auf der Erde Soldaten zu Hunderttausenden arbeitslos geworden – jedenfalls, wenn sie unbedingt auf ihrem Heimatplaneten bleiben wollten. Wer aber bereit war, auch weit weg von der Erde seinen Dienst zu tun, hatte ein gutes Auskommen.

Die Achte Flotte bestand aus allen Rassen, die der Föderation angehörten. Von ihren zehn Großkampfschiffen waren vier unter dem Kommando von Erdmenschen, und eines davon war die Solterra, das zweitgrößte Schiff der Flotte. Vizeadmiral Tanaka, geboren in einem Land, das früher einmal Japan geheißen hatte, führte es. Allgemeine Umgangssprache an Bord war Englisch – ein Überbleibsel aus der Fliegerei der Erde. Außer Thomas selbst waren noch vier andere Raumkadetten auf der Solterra: Hugh Fowler, ein Amerikaner; Igor Pretjakoff, ein Russe; Pierre Auvergny, ein Franzose und Simonetta Calvari, eine Italienerin. Alle hatten militärische Erfahrung – Fowler war Air-Force-Pilot, Pretjakoff Panzerfahrer, Auvergny war auf einem U-Boot gefahren, Calvari war bei den Carabinieri gewesen und Hansen hatte auch seine Pflichtzeit bei der Bundeswehr abgeleistet – aber wer neu zur Raumflotte kam, war zunächst drei Galaxo-Monate Kadett, wurde gründlich ausgebildet und danach wurde entschieden, wie der neue Soldat weiter zu verwenden war.

Russisch war eine Sprache, von der Thomas keinerlei Ahnung hatte – und genau das führte ihn mit Igor Pretjakoff zusammen, der fast akzentfrei Deutsch sprach. Igor hatte lange in Schwerin bei der Westgruppe der sowjetischen Armee gedient und hatte neben seiner eigentlichen Aufgabe, Panzer zu kommandieren, auch als Lehrer für Rekruten gearbeitet. Mit Thomas Hansen hatte er sich auf Anhieb verstanden und so teilten sie eine Doppelkabine, während Hugh und Pierre eine andere gemeinsam hatten und Simonetta das Privileg einer Einzelkabine genoss. Das Einzige, was Thomas an seinem Kabinengenossen ein wenig störte, war sein übergroßes Interesse für das andere Geschlecht, das nicht immer erwidert wurde. Simonetta zeigte keine Neigung, sich mit einem der vier männlichen Kadetten näher zu befreunden, hatte Igor durchaus schon geohrfeigt, wenn er ihr zu nahe kam – aber es gab noch andere weibliche Wesen an Bord und auf Palavor.

Die Solterra hatte gerade im orbitalen Raumhafen von Palavor gedockt, als Admiral Tanaka die Kadetten zu sich rufen ließ.

„Meine Dame, meine Herren, Ihre Ausbildungsreise auf der Solterra ist beendet. Sie werden in drei Tagen Ihre Offiziersprüfung machen und dann auf das All losgelassen werden. Bei Ihnen, Mr. Fowler oder Ihnen, Miss Calvari, habe ich wenig Bedenken, dass Sie bald gute Kommandos bekommen. Mr. Auvergny, Sie sind zwar Seemann, aber Ihr Protonentorpedoschießen ist durchaus verbesserungswürdig. Mr. Hansen, Sie werden einen sehr guten Navigator abgeben, und Sie haben ein feines Gespür für taktische Finessen. Aber manchmal werde ich das Gefühl nicht los, Sie verwechseln die Steuerung für Schiffsgeschütze mit einem Computerspiel. Sie sind oft zu risikofreudig. Vergessen Sie nie, dass von Ihren Entscheidungen eines Tages Leben abhängen können! Das hier ist nicht Star Wars, das ist das richtige Leben, da kann manches böse schief gehen, wenn Sie nicht berücksichtigen, dass ein Tarnfeld Ihr Schiff zwar unsichtbar macht, dass es aber immer noch von einem Massetaster zu entdecken ist“, mahnte der Admiral. Dann fiel sein Blick auf Pretjakoff.

„Mr. Pretjakoff, was soll ich Ihnen mitgeben? Soldat sind Sie, dafür waren Sie lange genug bei der Roten Armee. Aber Sie wären ein sehr viel besserer Soldat, wenn Sie nicht ständig nach den Mädchen gucken würden. Viele, sehr viele unserer Schiffe haben nicht nur einen großen Anteil an weiblicher Besatzung, sie werden von Frauen kommandiert. Nicht alle sind so nachsichtig wie ich. Behalten Sie also Ihre Finger unter Kontrolle, wenn Ihnen weibliche Raumsoldaten über den Weg laufen oder mit Ihnen die Brücke teilen. Hüten Sie sich vor allem vor den Amazonierinnen, die sind mit Sicherheit nichts für Sie! Das wär’s. Ich wünsche Ihnen für die Prüfung alles Gute.“

„Danke, Sir!“, antworteten die Kadetten fünfstimmig, salutierten und verließen die Kabine des Admirals.

Thomas sah Igor kopfschüttelnd an.

„Du und deine flinken Finger. Wem bist du diesmal an die Wäsche gegangen?“, fragte er. Igor kicherte.

„Tanaka hat keine Ahnung, was die Amazonierinnen betrifft!“

Thomas hatte kein großes Interesse an Frauen – es gab schließlich Françoise in seinem Leben, auch wenn er noch immer nicht mit sich selbst in dieser Sache im Reinen war. Aber sie ließ sich nicht mehr völlig aus seinem Leben wegdenken. Bisher hatte er Igor für den größten Schürzenjäger des Universums gehalten, aber da war etwas in Igors Blick, das nicht nur die Aussicht auf reiche Beute unter den Amazonen war.

„Was ist mit den Tanten, wovon Tanaka keinen Schimmer hat?“, hakte er nach. Igor sah sich geheimnisvoll um.

„Kennst du Amazonia?“, fragte er dann, als er sicher war, dass niemand sie belauschte.

„Auf den Ausbildungsreisen sind wir dort nicht hingekommen“, gab Thomas zu bedenken. „Wie sollte ich Amazonia kennen?“

„Schade, du hast was verpasst. Ein ganzer Planet voller Damen, eine süßer als die andere – und keine eifersüchtigen Macker in der Nähe, weil es auf dem ganzen Himmelskörper nicht einen einzigen Mann gibt!“, grinste Igor breit. Thomas winkte ab.

„Oh, Igor, wann hörst du auf, mit dem Hoseninhalt zu denken?“, fragte er spöttisch. Aber Igor schüttelte plötzlich ernst den Kopf.

„Nie, aber davon mal abgesehen: Auf der Welt stimmt was nicht“, sagte er.

„Aha. Und was?“

Thomas’ Frage klang recht uninteressiert.

„Es ist normal, dass die Amazonierinnen meinen, sie müssten doppelt so gut sein wie ein männlicher Soldat, aber Kapitän Sinarta benimmt sich in einer Weise, die selbst für Amazonia nicht mehr gängig ist. Sie ist eine Type, die kannst du mit Augusto Pinochet vergleichen oder mit General Noriega – mit jedem Putschisten auf dem alten Mütterchen Erde. Die Tussi hat Putschabsichten! Sie hat einen Kreis von amazonischen Offizierinnen um sich geschart, von denen bekannt ist, dass sie eher einer Diktatur den Vorzug geben als der bestehenden Demokratie. Es ist bekannt – jedenfalls in informierten Kreisen – dass sich die Weibsen allzu heimlich treffen. Komm mit.“

Igor winkte Thomas. Sie bestiegen die Verbindungsfähre zum Stützpunkt auf Palavor. Nach der Ankunft auf dem Planeten führte Igor Thomas in einen Gang, in dem Hansen noch nie gewesen war. Schließlich blieb er stehen, sicherte eine Magnetschleuse und betätigte einen kaum sichtbaren Sensor. Ein Teil der Wand glitt geräuschlos beiseite und gab eine Schalttafel mit einem Bildschirm frei. Igor schaltete die Anlage ein, legitimierte sich mit einem Handabdruck und tippte eine Kombination in die offene Tastatur. Der Bildschirm leuchtete auf, der Computer meldete sich. Nach einer weiteren Eingabe erschien ein Videobild einer Unterkunft.

„He, was ist das? Big Brother?“, fragte Thomas leise.

„So was Ähnliches“, gab Igor zu. „Eine Überwachungsanlage. Der Galaktische Abwehrdienst verwendet solche Anlagen, um den Leuten auf die Finger zu sehen.“

„Stasi lässt grüßen“, seufzte Thomas.

„Ja und Nein“, erwiderte Igor. „Es braucht schon gewisse Verdachtsmomente, um eine solche Überwachung genehmigt zu bekommen. Bei Sinarta waren entsprechende Verdachtsmomente vorhanden und so überwachen wir sie seit einiger Zeit.“

„Ich schließe daraus, dass du deine Zeit beim GAD verbringen wirst?“

„Treffer“, grinste Igor.

„Viel Spaß, du Nachwuchs-James-Bond. Was Frauen anbelangt, bist du eh nicht weit davon entfernt“, erwiderte Thomas. „Warum weihst du mich in das eigentlich ein? Ist das nicht Geheimnisverrat?“, fragte er dann.

„Nein, du bist Ratsmitglied. Ich sage es dir, weil du im Rat bist. Das ist die einzige Institution, die Sinarta wirklich aufhalten kann, wenn es überhaupt jemand mit politischen Mitteln tun kann. Schau, da kommt sie.“

Sinarta folgten noch zwei weitere Amazonierinnen in den typischen amazonischen Uniformen, die aus einem enganliegenden, einteiligen Anzug in verschiedenen, meist sehr auffälligen Farben und einem weiten, schwarzen Umhang mit einem breitabstehenden, steifen, bis zur Hälfte der Ohren reichenden Stehkragen bestanden. Sie waren zweifellos Menschen, waren aber keinesfalls auf der Erde beheimatet. Vom irdischen Schönheitsideal betrachtet, waren die Amazonierinnen außergewöhnlich schöne Frauen, waren – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – schlank und feingliedrig. Meist trugen sie nur eine Art Skalplocke auf den sonst kahlen Köpfen, die etwa drei bis vier Zentimeter Durchmesser hatte. Die Locke wurde offen getragen oder zu unterschiedlichsten Frisuren geformt, war aber immer lang. Höhere Offizierinnen trugen Hauben aus einem schimmernden, steif scheinenden Stoff in der Anzugfarbe, die den ganzen Kopf bedeckten und mit Federn oder kostbaren Steinen geschmückt waren. Kleine metallene Abzeichen am Anzug – bestehend aus Dreiecken, Quadraten, Rechtecken und Pentagonen – markierten die Dienstgrade. Sinarta trug als Kapitän vier daumennagelgroße, senkrechtstehende Rechtecke an der linken Anzugseite knapp unter der Schulter. Die beiden anderen Amazonierinnen waren nach den zwei und drei Quadraten an den Anzügen eine Oberleutnantin und eine Hauptfrau. Sie setzten sich an einen Computertisch, Sinarta schaltete den Computer ein.

„Wir werden mal ihren Blechkumpel anzapfen“, murmelte Igor und gab einen Steuerbefehl in seine Tastatur ein. In Igors Terminal erschien ein Fenster, das den Bildschirminhalt von Sinartas Computer wiedergab.

„Sieh da, das Stimmenzählprogramm des Wahlcomputers von Amazonia“, stellte Pretjakoff grinsend fest. Sinarta machte eine Eingabe, einen einfachen Löschbefehl. Das Programm wies den Befehl ab.

„Ihr seht, mit dem gewöhnlichen Löschbefehl kommt ihr nicht weiter“, wurde Sinartas Stimme vom Abhörgerät übertragen. „Ihr braucht dazu den großen, den vollständigen Befehl. Prägt ihn euch also gut ein, denn wir werden nicht viel Zeit haben“, wies sie die beiden anderen Amazonierinnen an.

Igor sah Thomas an.

„Na, Towarisch, was hältst du von den Mäuschen?“

„Hm, ich weiß nicht recht, was ich von denen halten soll, wenn ich ehrlich bin“, gab Thomas zu. „Aber wenn du mir schon so viel erzählst, dann sag mir bitte auch, wie ihr auf die Idee gekommen seid, diese Katjuschas zu überwachen.“

Igor schaltete den Computer auf automatische Aufzeichnung, schloss das Programm und stellte das Terminal ab. Dann schloss er die Anlagentür.

„Angefangen hat es eigentlich mit einer harmlosen Übung, für die Sinarta sich sogar als Testperson zur Verfügung stellte“, erklärte Igor, als sie den Flur verließen und zu den Unterkünften weitergingen. „Während der offiziellen Übungszeit hat sie natürlich nichts getan, was irgendeinen Verdacht erwecken konnte. Ich hatte den Überwachungscomputer an meine Anlage in der Stube angeschlossen und habe abends noch im Galaxnet was gesucht und mich schlicht vertippt. Versehentlich habe ich den Überwachungscomputer eingeschaltet. Und was sehen meine entzündeten Augen? Kapitän S. lamentiert mit ihren Schwestern über diese leidigen Wahlen und dass man so völlig hilflos der unberechenbaren Stimmenabgabe der Wählerinnen ausgesetzt ist! Sinngemäß sagte sie, sie würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Präsidentin zu werden – und wenn sie die gewählte Präsidentin wegräumen müsste. Ich habe mich schwer erschrocken und überlegt, was ich tun sollte. Dann habe ich mitten in der Nacht den General Mar-Av, den GAD-Chef, aus dem Bett geklingelt und ihm von der Sache am Televisor gerade so viel gesagt, dass bei eventuellem Mithören ein anderer daraus keine dummen Schlüsse ziehen konnte. Mar-Av bat mich, ihm die Aufzeichnung am nächsten Tag zu geben, sah sich das Band an und fiel fast vom Stuhl. Er ist damit zum Militärgerichtshof, hat der Militärstaatsanwältin von der Sache berichtet. Das Band war Beweis genug, um eine Überwachung gerichtlich anzuordnen. Der Inhalt des ersten Bandes darf gerichtlich natürlich nicht verwertet werden, weil er ohne richterliche Genehmigung erlangt wurde; aber auch das, was der GAD später mit Erlaubnis abgehört hat, lässt die Galaxis schlottern.“

„Zum Beispiel?“, wollte Thomas wissen.

„Zum Beispiel, dass Sinarta plant, politische Parteien auf Amazonia zu verbieten, dass sie die Verfassung gravierend in Richtung unbeschränkte Diktatur eines Militärrates verändern will, dass sie die elementaren Wesensrechte – auf Erden nannten wir das mal Menschenrechte – nicht nur einschränken, sondern ratzekahl abschaffen will. Sie hat sich offiziell als Präsidentschaftskandidatin aufstellen lassen. Ihr Parteiprogramm hat sie auf Amazonia auch nicht unter dem Deckel gehalten. Insofern gibt es diese Informationen sogar aus öffentlich zugänglicher Quelle – bis auf den wiederholten Hinweis, dass sie eine gewählte Präsidentin auch vom Thron schubsen würde, wenn sie dummerweise verlieren sollte. Das allerdings hängt sie nicht gerade an die große Glocke. Die Mädchen sind nicht unbedingt von ihrem Vorhaben in politischer Hinsicht begeistert. In den Umfragen liegt sie weit hinten. Die amtierende Präsidentin Rashogga hat bessere Chancen. Es gab noch eine dritte Kandidatin, eine Berufspolitikerin namens Surina, aber sie hat – offiziell – Selbstmord begangen. Glauben kann ich es nicht, denn gerade sie hätte die besten Chancen gehabt, nach den Umfragen jedenfalls. Es gab keine Skandale, von denen schon mal Rashogga nicht frei ist. Bestechung ist auf dem Mond durchaus an der Tagesordnung. Sie hatte soziale Programme für die immer häufiger von Arbeitslosigkeit gebeutelten Programmiererinnen und eine umfassende Steuerreform geplant, die finanzierbar war und die die Mädchen mächtig entlastet hätte. Vor allem war sie unverrückbar föderationstreu. Rashogga ist es auch, aber bei Freundin S. bin ich mir nicht so sicher. Eines ihrer Ziele ist, Amazonia aus der Föderation zu lösen. Sie sagt das nicht offen, sonst würde die Föderation sofort ankündigen, alle Mittel für den Mond zu sperren, wenn Sinarta gewählt wird. Weil sie dann aber erst recht keine Amazone wählen würde, würde sie lauthals Betrug schreien und die Wahl anfechten. Die Anzeichen sind aber deutlich. Amazonia ist ein Mond des sechsten Planeten der Wega, und es ist ein großer Mond. So groß, dass man mit entsprechender Technologie einen richtigen Kleinplaneten aus ihm machen könnte. Dazu müsste er aus der Umlaufbahn um seinen Mutterplaneten gelöst werden und auf eine eigene Umlaufbahn um die Sonne gebracht werden. Mit der weit entwickelten Technik der Amazonierinnen kein Problem – aber das Gravitationsgefüge würde einen bösen Knacks bekommen. WEGA 6 ist unbewohnt, das wäre nicht der Punkt. Der Planet ist aber eher gasförmig wie der Jupiter im SOL-System, nur nicht so groß. Wird der Mond abgelöst, besteht die Gefahr, dass die Umlaufbahn des sechsten Planeten in solche Schwankung gerät, dass es ihn zerreißt. Davon wären mit großer Wahrscheinlichkeit Canela und Sarona betroffen, die beiden Nachbarplaneten im System, die beide bewohnt sind. Wegen dieser Gefahr könnte die Föderation eine Verselbständigung des WEGA-6-Mondes nicht hinnehmen. Ihr Vorhaben könnte sie also nur ausführen, wenn Amazonia aus der Föderation aussteigt. Verstehst?“, führte Igor aus. Thomas nickte.

„Ja, durchaus. Schätze, Frau S. wird aufpassen müssen, dass es nicht zur Keilerei auf dem Mond kommt. Sonst hat sie Freund Gribor und seine Sechste Flotte auf dem Hals“, orakelte er.

„Und das ist das Merkwürdigste an dieser Geschichte“, warf Igor ein. „Gribor ist ein fleißiger Wahlhelfer der Dame, gibt ihr jegliche Unterstützung, wohl wissend, dass die Tante in der Lage wäre, einen Bürgerkrieg auf Amazonia auszulösen.“

„Vielleicht gerade deswegen?“, mutmaßte Thomas. „Gribor braucht etwas zum Zerstören. Mit der Erde hat’s nicht geklappt, weil wir uns Gott sei Dank haben aufnehmen lassen. Also sucht er sich ein neues Opfer – und baut es sich notfalls selbst auf.“

Igor sah Thomas verblüfft an.

„Ich traue dem Kerl viel bis fast alles zu – aber das dann doch nicht“, versetzte er. Thomas zuckte mit den Schultern.

„Igor, was du mir erzählst, ist nicht weniger fantastisch. Du glaubst es, weil es geheimdienstliche Erkenntnisse sind. Meinen Intuitionen traust du nicht über den Weg, weil sie nicht direkt überprüfbar sind. Ich kenne das.“

„Was meinst du, Towarisch?“, erkundigte sich der Russe.

„Weil mir mein gesunder Menschenverstand schon gesagt hat, dass es mehr als nur einen bewohnten Planeten im Universum gibt, als du noch an die Einzigartigkeit der menschlichen Rasse geglaubt hast“, versetzte Thomas.

 

Kapitel 2

Mobbingversuche

 

Drei planetare Tage Palavors später hatten die Kadetten ihre Offiziersprüfung bestanden und vertauschten die grünen Kadettenuniformen mit den dunkelblauen Offiziersuniformen der Flotte. Thomas Hansen wurde als Leutnant Pilot eines Space-Jets, eines auch für den Atmosphäreneinsatz geeigneten Raumjägers, der die nichtirdischen Raumfahrzeugen häufig unterstellte Untertassenform hatte. Diese Jets gab es in unterschiedlicher Größe, von einem bis zu zehn Wesen Besatzung. Zwar sprachen gerade terranische Raumpiloten gern von einer Rechengröße Mann, doch war dies schon deshalb schlicht falsch, weil die zehn Staffeln Space-Jets zum größten Teil von weiblichen Wesen, nämlich Amazonierinnen, geflogen wurden. In seiner Staffel von zehn Maschinen gab es außer Thomas nur noch zwei weitere Männer – und das waren Igor Pretjakoff und Hugh Fowler. Die erfahrenen Pilotinnen belächelten die drei Männer bei ihren ersten eigenständigen Raumflügen mehr oder weniger nachsichtig. Häufig waren die Neulinge auch Zielscheibe derber Scherze, die wenigstens Thomas Frauen nicht ohne weiteres zugetraut hatte. Igor und Hugh hatten während ihrer terranischen Militärzeit bereits ähnliche Erfahrungen gemacht, waren gewarnt und gaben zunächst mehr Acht, wurden aber doch von solchen Streichen überrascht. Danach waren sie noch wachsamer und verhinderten weitere Dummheiten an ihren Maschinen.

Aber auch Hansen ließ sich nur zweimal düpieren. Dann bastelte er sich eine Art Alarmanlage für seinen Space-Jet: Er legte eine Magnetsperre um die Maschine, wenn sie im Hangar stand. Die Sperre bewirkte die Aktivierung des jeteigenen Schutzschildes, wenn jemand die Magnetschranke durchschritt. Hinterlistiger weise hatte Thomas damit aber einen zweiten Schutzschild gekoppelt, der einen Raum von etwa zwei Meter Breite außerhalb der Magnetsperre umschloss und damit den Eindringling festhielt. Er warnte jeden, sich ungebeten seinem Space-Jet zu nähern, nannte auch die maximale Annäherungsmöglichkeit, aber seine Staffelkameradinnen ließen sich davon nicht überzeugen.

Als er zwei Tage nach dem Bau seiner Magnetfalle morgens zu seiner Maschine kam, saß Oberleutnant Nora Rosok mit finsterer Miene im Schildkreis. Thomas blieb grinsend vor dem äußeren Schutzschild stehen.

„Guten Morgen, Oberleutnant Rosok. Neugierig gewesen?“, fragte er.

„Erdling, ich befehle dir, mich aus dem Schildkreis zu lassen!“, knurrte die Amazone. Thomas Grinsen verlor sich.

„Erstens habe ich einen Dienstgrad, zweitens gefällt mir dein Ton überhaupt nicht, drittens hast du an meinem Jet nichts zu suchen und viertens erwarte ich eine Entschuldigung. Also, wenn du lieb bitte sagst, mich so anredest, wie du selbst angesprochen werden willst und mir bei deiner Amazonierehre versprichst, den Blödsinn zu unterlassen, dann mache ich den Sack auf. Anderenfalls sehe ich mich gezwungen, dir wegen versuchter Sabotage ein Verfahren beim Galaktischen Militärgerichtshof anzuhängen“, versetzte er kalt.

„Deine Reaktion ist völlig überzogen“, fuhr Nora ihn an.

„In Bezug worauf, Oberleutnant?“, fragte Thomas eisig.

„Du verstehst eben keinen Spaß.“

„Es ist also Spaß, die Sauerstoffversorgung – im Raum dummerweise lebensnotwendig – derart zu verstellen, dass der Luftvorrat nur für die halbe Strecke reicht, die zu fliegen einem befohlen wurde? Es ist Spaß, die Energieanzeigen in gleicher Weise zu manipulieren? Wenn das Spaß ist, darf ich dir fröhliche Stunden im Schildkreis wünschen. Ich nehme einstweilen deinen Space-Jet“, sagte Thomas, drehte sich um und wollte gehen.

Er kam nicht weit. Hinter ihm stand die Staffelchefin, Kapitän Hania Malina.

„Was hat das zu bedeuten, Leutnant Hansen?“

„Was bitte, Frau Kapitän?“

„Das da?“, erwiderte sie zornig und wies auf den Schildkreis.

„Oberleutnant Rosok konnte nicht hören und wollte offensichtlich an meinen Space-Jet, obwohl ich davor eindringlichst gewarnt hatte, nachdem man mir die Sauerstoffversorgung und die Energieanzeige manipuliert hatte. Ich halte nichts von dummen Scherzen, deren erwachsene Amazonen einfach nicht würdig sind.“

„Oberleutnant Rosok hatte von mir den Auftrag, die Jets zu inspizieren. Wie kommen Sie dazu, eine Offizierin meines Kommandos an der Erfüllung ihrer Aufgabe zu hindern?“, fauchte die Kapitänin.

„An meinen Jet kommt niemand mehr heran, wenn ich nicht dabei bin – jedenfalls solange ich nicht sicher sein kann, dass nicht irgendwer meint, er oder sie müsse mir Dumme-Jungen-oder-Mädchen-Streiche spielen. Ich habe gestern in Ihrer Gegenwart in der Staffelversammlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich meine Maschine gegen unbefugte Eingriffe geschützt habe.“

„Beantworten Sie meine Frage!“

„Ich hindere niemanden bewusst daran, den Befehl der Staffelchefin auszuführen – aber vielleicht tue ich es versehentlich, weil mich der Selbsterhaltungstrieb dazu zwingt. Nachdem ich auch noch betont auf den neuen Schutz meiner Maschine hingewiesen habe, möchte ich eigentlich gern wissen, weshalb die Inspektion so heimlich erfolgen musste, dass sie in der Nacht ausgeführt wurde. Nach meiner Anzeige ist die Falle bereits vor fünf Stunden ausgelöst worden – also mitten in der Nacht! Interessanterweise hat Oberleutnant Rosok bislang nicht damit argumentiert, auf Ihre Anweisung um den Space-Jet geschlichen zu sein.“

„Sie lassen Oberleutnant Rosok sofort aus der Magnetfalle frei, sonst ist es nichts mit den beantragten drei Tagen Urlaub!“, befahl die Kapitänin wütend.

„Ich lasse sie frei, aber den Schutz erhalte ich in meiner Abwesenheit aufrecht. Mein Space-Jet kann jederzeit in meiner Anwesenheit gecheckt werden“, gab Thomas nach. Er betätigte die Fernbedienung in seiner Anzugtasche und der äußere Schirm erlosch. Nora Rosok stapfte zornig davon. Die Kapitänin verließ ebenfalls den Hangar und orderte dann ihre Staffel zum Empfang der Tagesbefehle.

„Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass die Space-Jets jederzeit erreichbar sind!“, schloss sie ihre Morgenansprache. Thomas stand auf.

„Frau Kapitän, meine Damen – an meinem Space-Jet wurde in den letzten Tagen Sauerstoffversorgung und Energieanzeige in lebensgefährlicher Weise manipuliert. Kann sein, dass man mich humorlos nennt, aber ich werde weiterhin dafür Sorge tragen, dass ich meinen Pflichten nachkomme, das mir anvertraute Waffensystem in ordnungsgemäßem Zustand zu halten. Ich werde nicht dulden, dass man aus Jux und Tollerei oder weil es halt ein verrücktes Aufnahmeritual ist, an elementaren Teilen der Maschine herum modeln kann. Wenn nämlich ein Unglück geschieht, dann bin ich für den Jet verantwortlich. Ich glaube nicht, Frau Kapitän, dass Sie dann so nachsichtig sein werden, zu sagen, dass Ihre Damen nur Spaß gemacht haben. Wenn Sie den Blödsinn nicht verhindern, muss ich es selbst tun!“

„Leutnant Hansen, Sie verdächtigen in ungeheuerlicher Weise Amazonierinnen! Sie entschuldigen sich jetzt augenblicklich dafür!“, schnauzte die Staffelchefin.

„Dazu besteht kein Anlass. Ich habe eine Amazonierin in meiner Sicherheitsschleuse gefangen, und sie hat indirekt zugegeben, dass die Manipulationen auf das Konto von Staffelangehörigen gingen, indem sie meinte, ich verstünde keinen Spaß. Es ist bedauerlich, dass Offizierinnen von Amazonia nicht so viel Mut, Anstand und Ehre besitzen, wirklich zu dem zu stehen, was sie tun.“

Die Staffelchefin wollte eine grantige Erwiderung geben, als die Alarmsirene schrillte. Alle Differenzen mussten auf später aufgeschoben werden. Die Raumpiloten eilten zu ihren Space-Jets, die sowohl für den Einsatz innerhalb wie außerhalb einer planetaren Atmosphäre geeignet waren.

„Kapitän Malina an alle: Im Sektor 4-23 der planetaren Oberfläche wird die Gasstation von Magmaten attackiert. Oberleutnant Rosok, nehmen Sie Leutnant Pela und Leutnant Hansen mit und halten Sie die Magmaten auf Distanz, bis die Evakuierungsgleiter eintreffen!“

Die drei Angesprochenen bestätigten, hoben mit den Jets ab und schwenkten auf den genannten Sektor ein. Dass sie sich beeilen mussten, war allen dreien bewusst. Magmaten waren die Ureinwohner von Palavor, und sie lebten in den vulkanischen Zonen des Planeten – genauer: im Magma der Vulkane. Diese Lebewesen duldeten es nur selten, dass Fremde sich in ihren Wohnbezirken aufhielten. Ihre unangenehmste Eigenschaft für andere Lebewesen war die Tatsache, dass sie flüssiges Gestein als Wurfgeschosse verwendeten und daraus auch Bomben bauten. Ein Nah- oder gar Ringkampf mit Magmaten war für jedes andere Lebewesen tödlich, weil die Magmaten eine Körpertemperatur hatten, die geeignet war, einen sofortigen Hitzetod herbeizuführen Da die meisten vulkanischen Zonen auf der Tagseite von Palavor lagen, auf der die meisten anderen galaktischen Lebewesen gar nicht existieren konnten, gab es nicht häufig Konflikte mit den Magmaten. Doch eine Prospektorengruppe von Micronor, einem ebenfalls sehr warmen Planeten, hatte am Rande der Tagseite von Palavor ein interessantes Gasvorkommen entdeckt, das die Gasstation seit fast einem Galaktischen Jahr ausbeutete. Die Prospektoren waren gewarnt, schließlich lag in nicht allzu weiter Entfernung einer der vielen Vulkane Palavors – und von denen war keiner unbewohnt.

Das Verhalten der Magmaten hätte nach den Gesetzen der Föderation zwar eine Zerstörung des Planeten gerechtfertigt, doch waren die Gasminen zu wertvoll, um sie einfach zu atomisieren. Dazu kam, dass man den Magmaten auch ein Lebensrecht einräumen musste, auch wenn ihre Intelligenz nicht ausreichte, um sie zu vollwertigen Mitgliedern der Föderation zu machen. Palavor war kein Mitgliedsplanet, sondern bestenfalls eine Kolonie der Föderation. Das für die Verwaltung der Kolonie zuständige Kommando der Achten Flotte nahm allerdings jedes Leben ernst – auch das der Magmaten – selbst vor dem Hintergrund, dass die Magmaten andere Lebewesen bedrohten. Man hatte erkannt, dass sie nicht bösartig waren, sondern lediglich ihre eigene Lebensweise gegen andere verteidigten. Deshalb gab es die Anweisung des Flottenkommandos, jegliches Leben soweit wie möglich zu schonen.

„Ich habe die Angreifer auf dem Lebensanzeiger“, meldete Leutnant Pela. „Schätzungsweise fünfzig bis sechzig Wesen.“

„Erdling, falls du deine Instrumente ablesen kannst, welche Bewaffnung stellst du fest?“, tönte Rosoks Stimme aus Thomas Bordsprechanlage.

„Falls du dich einer korrekten Anrede besinnst, werde ich es dir sagen, Amazone“, gab er zurück.

„Na schön, du bist also nachtragend. Nimm zur Kenntnis, dass ich deine Informationen nicht benötige. Bleib hinter uns, da richtest du am wenigsten an.“

Thomas antwortete nicht, sondern sah auf seine Anzeigen. Er lokalisierte nicht fünfzig bis sechzig Wesen, sondern wenigstens die doppelte Anzahl. Und sein Waffentaster zeigte beunruhigend viele Gleiter, die zumeist mit Magmagranatwerfern ausgerüstet waren.

„Pela, pass auf, sie haben Granatwerfer. Du bist in ihrer Reichweite“, warnte er die vorausfliegende Amazonierin.

„Red’ nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst, Erdling!“, fuhr Pela ihn an.

„Außerdem fliegst du ein bisschen tief. Deine Steuerdüsen schlucken Staub, Mädchen!“, warnte Thomas. Pela wollte eine zornige Erwiderung über die Behauptungen des Terraners geben, als ihre Bordinstrumente die Beobachtung ihres Staffelkameraden bestätigte.

„Du hast Recht. Danke, Thomas“, sagte sie und wollte den Space-Jet hochziehen, aber es war schon zu spät. Die verstaubten Steuerdüsen versagten den nötigen Dienst, der Flugkörper ließ sich nicht mehr kontrollieren.

„Schalt’ auf Anti-G um, Pela!“, rief Nora.

„Reagiert nicht mehr“, kam es resigniert aus dem vordersten Space-Jet.

Kapitel 3

Respekt

 

Thomas schob den Schubhebel ganz durch und gab Vollgas, jagte an der Staffelführerin vorbei, drehte bei und flog von vorn direkt auf den abschmierenden Jet zu, schaltete einen Magnetstrahl ein, in den Pelas Jet hineingeriet und antriebslos hängen blieb. Thomas schleppte den manövrierunfähigen Jet mit seiner Maschine in größere Höhe.

„Pela, kannst du mich hören?“, fragte er.

„Als ob du neben mir sitzt. Danke fürs Einfangen.“

„Bitte, bitte. Versuch’ den Antrieb wieder zu starten.“

Sie versuchte es, aber es gelang nicht.

„Der Fangstrahl lähmt die Maschine. Schalt’ ihn ab.“

„Die Anti-G-Einrichtung muss auch im Fangstrahl funktionieren. Probier’s damit“, empfahl er.

„Du sollst den Magnetstrahl abschalten.“

„Den schalte ich ab, wenn ich sicher bin, dass du nicht wie ein Stein auf die Oberfläche krachst“, versetzte Thomas. Pela aktivierte die Anti-G-Einrichtung. Das Instrument zeigte die Einrichtung in Funktion.

„Anti-G steht. Du kannst loslassen, Thomas“, gab Pela durch. Thomas schaltete den Fangstrahl ab und Pelas Jet flog wieder mit eigener Kraft. Sie startete ein Reinigungsprogramm für die Steuerdüsen.

„Gut gemacht, Leutnant Hansen“, lobte Oberleutnant Rosok über Funk. „Wie bist du nur auf die Idee verfallen?“

Thomas seufzte.

„Danke für das Lob, Chefin. Aber anscheinend nimmst du immer noch an, ich hätte meine Fluglizenz beim Spiel gewonnen, auf dem Jahrmarkt geschossen oder so was ähnliches. Wann kapierst du endlich, dass auch Nichtamazonier den Umgang mit diesen Hobeln lernen können?“

„Vielleicht in diesem Moment“, gab Nora zu. „Pela, sind deine Düsen frei?“

„Sind sie.“

„Gut, dann wieder Kurs Sektor 4-23. Hoffentlich kommen wir noch rechtzeitig.“

Die drei Maschinen nahmen wieder Kurs auf die bedrohte Gasstation.

„Meine Instrumente zeigen etwa hundert Angreifer“, funkte Thomas. „Und sie haben ein Dutzend gepanzerte Fahrzeuge bei sich. Drei haben uns im Visier. Deaktivieren?“

„Du meinst desintegrieren“, korrigierte Nora amüsiert.

„Ich meine stoppen, kampfunfähig machen, nicht vernichten“, übersetzte Thomas.

„Ja, natürlich“, erwiderte Nora. Thomas konnte sie nicht sehen, aber der Tonfall bewies, dass die Amazonierin vor Beschämung rot angelaufen war.

„Ich nehm’ mir den mittleren vor“, kündigte er an und visierte den mittleren der drei radarbestückten Panzergleiter an. Die Zieleinrichtung zeigte die Peilantenne des Gleiters im zentralen Bereich. Thomas feuerte einen konzentrierten Laserstrahl darauf ab, das Radom zerplatzte wie eine Seifenblase, die blassrosa Aura des Schutzschildes kam zu spät.

„Seit wann verfügen die Magmaten über Schutzschilde?“, fragte Pela verblüfft.

„Das sind keine Magmaten!“, erkannte Nora. „Volle Energie auf die Deflektoren! Abdrehen! Sofort abdrehen!“, befahl sie.

Thomas hatte seinen Schutzschild bereits ohne Befehl eingeschaltet, als er den Deflektorschild bei dem Panzergleiter bemerkt hatte, für Pela kam die Anweisung zu spät. Der von ihr angepeilte Gleiter schoss seinerseits, bevor sie den Schild aktivieren konnte. Der Strahl traf den Space-Jet an der Unterseite und zerfetzte die Laserkanone, eine Seitensteuerdüse und die daneben liegende Deflektoreinrichtung.

„Leutnant Pela an Patrouillenführerin: Habe Deflektor und Laser verloren. Backbordsteuerdüse ausgefallen. Verliere Höhe.“

„Ich fange sie auf und nehme sie in meinen Schild. Kümmer’ du dich um die Gleiter“, meldete Thomas und steuerte den beschädigten Jet an. Nora antwortete nicht, sie nahm den nächsten bedrohlichen Panzergleiter unter Beschuss, während Thomas seinen Deflektor kurz abschaltete, Pelas Space-Jet wieder im Magnetstrahl auffing und dann aus der Gefahrenzone abdrehte. Die gelbliche Aura des Schutzschildes umfasste beide Maschinen.

„Pela, funktioniert dein Anti-G noch?“, fragte er.

„Ja, warum?“

„Dann solltest du mit Anti-G zurückfliegen und in der Basis Bescheid geben, dass wir es nicht mit Magmaten zu tun haben und eventuell ein bisschen Verstärkung gebrauchen könnten.“

„Wir brauchen keine Verstärkung!“, zischte es aus dem Funkgerät.

„Bist du anderer Meinung, Chefin?“, fragte Thomas nach.

„Setz’ Pela ab und gib mir Deckung. Pela, du bleibst in Wartestellung. Amazonierinnen brauchen keine Verstärkung!“

Noch bevor Thomas seiner Chefin sagen konnte, was er von ihrem törichten amazonischen Stolz hielt, kam eine Nachricht von der Gasstation:

„Hier Gasstation Micronor, Sektor 4-23. Wir setzten Kampfroboter ein. Halten Sie die Gleiter nur auf Distanz!“

„Wenn Sie S 5 einsetzen, riskieren Sie Ihre Station!“, warnte Nora noch, aber die gefährlichen Kampfroboter marschierten bereits aus den unterirdischen Depots in Richtung der Panzergleiter.

„Zurück! Sofort hinter die Station!“, befahl Oberleutnant Rosok hastig. Thomas’ Space-Jet hatte an der im Fangstrahl hängenden Maschine schwer zu schleppen und kam nicht schnell genug hinterher. Die ausrückenden Kampfroboter nahmen die große Masse gleich ins Visier ohne sich darum zu kümmern, dass sie mit einem Deflektorschild geschützt war und die Kennung der Föderation ausstrahlte.

„Halt dich fest. Ich tue so, als ob wir abstürzen“, warnte Thomas, schaltete den Düsenantrieb ab, behielt aber die Hand am Anti-G-Schalter. Die Jets stürzten hinunter, die Robots drehten zu den Panzergleitern ab. Thomas schaltete die Anti-G-Einrichtung ein und fing den Schleppverband nur wenige Meter über dem Planeten ab. Vorsichtig stieg er mit dem Antigrav wieder auf. Die drei Space-Jets zogen sich hinter einen Bergkamm zurück, wo Thomas Pelas Maschine aus dem Magnetstrahl ausklinkte. Pela kam mit dem eigenen Anti-G-Antrieb auf gleiche Höhe mit den anderen Jets. Sie hielten die Maschinen im Schwebeflug so knapp unter dem Bergkamm, dass sie das Kampfgeschehen beobachten konnten.

„Oberleutnant Nora Rosok an Gasstation Micronor: Die S 5 haben uns erfolglos angegriffen und gehen jetzt gegen die Panzergleiter vor. Wir kommen langsam zu Ihnen und evakuieren die Station, bevor die Kampfrobots mit den Gleitern fertig sind.“

„Das ist unnötig. Wir haben die Robots unter Kontrolle“, versicherte der Stationschef. Nora lachte geringschätzig auf.

„Sie wissen genau, dass S 5 auf Palavor nicht zu kontrollieren sind – jedenfalls nicht außerhalb der Zwielichtzone. Und Sie sind außerhalb der Zwielichtzone!“

Die S 5 drängten die Panzergleiter zurück, indem sie sie einfach zurückschoben. Die elektrischen Entladungen der Deflektoren hatten auf die mit nicht leitendem Material verkleideten Robots keine Wirkung. Ihre eigenen Schutzschirme verhinderten, dass sie von den Gleiterfahrern abgeschossen wurden. Eine Warnlampe machte Nora aufmerksam. Sie schaltete das Ortungssystem ein. Hinter den Panzergleitern waren Flugkörper erschienen. Hastig gab sie die Daten in das Bordbuch ein, das ihr auch schnell anzeigte, was sich dort näherte.

„Verdammt!“, fluchte sie leise. „Zwanzig lukanische Space-Jets!“

Sie hatte leise gesprochen, aber Thomas hatte sie über die offene Sprechanlage gehört.

„Sollten wir dann nicht besser die Micronorer zu ihrem Glück zwingen?“, fragte er.

„Das sagst du so! Wir können jeder nur einen Passagier mitnehmen. In der Station sind dreißig Leute. Bis wir sie hier haben, sind die Robots längst auf dem Rückweg. Wir müssen auf die Evakuierungsgleiter warten.“

„Die sind nicht bewaffnet und nicht sehr schnell. Sie sind noch nicht mal auf dem Schirm. Sie brauchen mindestens noch eine halbe Einheitsstunde, bis sie hier sein können. Bis dahin sind die S 5 mit den Gleitern fertig geworden und auf dem Rückweg. Wenn sich die Micronorer auf eine große Transportplattform stellen, kann ich sie im Fangstrahl wegtragen. Wenn du mir Feuerschutz gibst, muss ich nicht schnell fliegen, aber wir bekommen sie aus dem Gefahrenbereich, bevor die Robots zurückkommen.“

Nora stutzte; auf die Idee war sie noch nicht gekommen.

„Wenn die Gasprospektoren mitspielen …“, sagte sie zögernd. Dann rief sie die Station und gab Thomas’ Idee weiter. Der Stationschef wollte nicht.

Aber in diesem Moment drehten die Robots um, als die Panzergleiter überraschend abdrehten und mit Vollgas zu den anfliegenden lukanischen Schiffen fuhren. Es dauerte nur Sekunden, bis die Robots das Feuer auf die Gasstation eröffneten und die Stationsbesatzung merkte, dass die S-5-Roboter sich wie gewöhnlich der Kontrolle durch die Steuereinheit entzogen. Der Chef entsann sich des Evakuierungsangebotes.

„Station 4-23 an Oberleutnant Rosok: Robots nicht kontrollierbar. Erbitten Evakuierung!“, schrie er ins Mikrofon. Nora wollte ablehnen, aber Thomas schwebte bereits davon.

„Ich wusste doch, dass sie vernünftig werden würden“, sagte er. „Ich hole sie ab. Gib ihnen die Methode durch.“

„Du bist verrückt, Erdling!“, schnauzte Nora. „Was willst du mir damit eigentlich beweisen?“

„Nichts. Ich möchte die Micronorer in Sicherheit bringen“, versetzte Thomas.

„Ich komme mit“, kam es von Pela.

„Nein“, widersprach Thomas, „du hast keinen Deflektor mehr. Bleib, wo du bist.“

Er flog mit voller Kraft auf die Gasstation zu, feuerte auf die anrückenden Robots. Die Konzentration des Laserstrahls drang zwar nicht durch die Schutzschilde, warf aber die vordersten Kampfrobots durch den Druck von den flexiblen Beinen und brachte sie zu Fall. Die erste Reihe der nachfolgenden Kampfroboter verhakte sich in den gestürzten Robots, Blitze elektrischer Entladungen schossen in den makellos blauen Himmel, an dem die Sonne des Systems stillzustehen schien. Nora überflog die gelblich ausgeblichene Bergkette ebenfalls, überholte Thomas’ Jet und feuerte weiter auf die Kampfroboter. Er bremste ab und steuerte auf den zentralen Containerplatz in der Gasstation zu.

Unten, in der Station, rannten die Arbeiter zu einer großen Transportplattform, die der herannahende Space-Jet anflog. Hansen schaltete den Deflektor aus, um die Plattform in den Traktorstrahl zu nehmen. Zwei der nachfolgenden S 5 nutzten die augenblickliche Schutzlosigkeit aus und deckten den Space-Jet mit starkem Laserfeuer ein. Thomas’ Maschine wurde wie von einer Riesenfaust geschüttelt, aber sie verlor keine wichtigen Einrichtungen. Dann hatte er die Plattform im Fangstrahl und schaltete den Deflektor wieder ein, der nun auch die Geretteten umfasste. Weitere Schüsse prallten am Schutzfeld wieder ab. Vorsichtig hob er mit dem Anti-G-Antrieb wieder ab und schwebte so langsam in Richtung Bergkette davon, dass die Arbeiter auf der Plattform nicht heruntergeworfen wurden.

Nora konnte die fünfundzwanzig Kampfrobots nicht endgültig stoppen, weil die Feuerkraft ihrer Bordkanonen nicht ausreichte, um die Schutzschirme der S 5 zu durchdringen. Wegen der Nähe der Gasstation wagte sie nicht, Protonentorpedos einzusetzen, deren Streuwirkung die Station erheblich beschädigen, wenn nicht vernichten konnte. Die Robots konzentrierten dafür ihr Feuer auf einen Angreifer, was für den Schutzschirm auf Dauer eine zu große Belastung sein würde. Nervös sah sie Hansens Jet langsam auf die Bergkette zufliegen, zog sich langsam vom Feld der Robots zurück, die ihr nachkamen.

„Thomas, mach zu! Mein Ablenkschirm ist kurz vor dem Zusammenbrechen! Ich kann mir die Robots nicht mehr lange vom Hals halten!“, rief sie über Funk.

„Ich komme gleich zurück“, beruhigte Thomas. „Pela, ich bin jetzt außer Reichweite der S 5. Komm her und übernimm die Plattform. Ich setze jetzt ab und helfe Nora.“

Hinter dem Berg schwebte Pelas Maschine hervor, Thomas setzte den Transport ab und flog sofort zurück zur Station, jagte daran vorbei auf die andere Seite des Robotfeldes, nahm die Robots von hinten unter Feuer. Sie ließen auch von Noras Schiff ab und schossen nun auf Thomas’ Jet.

„Geh’ höher“, sagte er. „Schieß nicht mehr und steig’ auf.“

Nora schwebte höher, Thomas umkreiste die Roboter, die sich drehen mussten, um ihm zu folgen und sich dabei mit den Beinen erneut verhedderten und stürzten. Thomas ließ nicht nach, kreiste weiter. Die Ortungsrechner der Roboter, die den Robotkörper nicht mehr mit der errechneten Feindposition koordinieren konnten, wurden überlastet und stürzten ab. Der Absturz führte zur automatischen Deaktivierung. Mit einem Schlag hörte der Beschuss auf, die Robots waren abgeschaltet. Thomas stoppte und nahm die Kampfmaschinen in den Fangstrahl, baute aber vorsichtshalber ein zusätzliches Schutzfeld eng um den Jet auf. Dann brachte er die Robots auf die versenkbare Depotplattform in der Station, die mit einem automatischen Unterbrecher ausgestattet war. Auf dieser Plattform waren die Robots ungefährlich.

Nora hatte inzwischen die lukanischen Gleiter weiter beobachtet.

„Sie verschwinden in den Raum“, sagte sie. „Verschwinden wir ebenfalls. Komm!“

Die beiden Jets kehrten zur Bergkette zurück, wo Pela eben die Transportplattform auf einer Hochebene absetzte. Die drei Space-Jets landeten direkt neben der Plattform und gaben damit lebensnotwendigen Schatten. Im vollen Licht der Sonne dieses Systems hielt es kein Lebewesen außer den Magmaten aus. Jedes andere Wesen brauchte dringend einen Sonnenschutz, um nicht sofort zu verbrennen.

Wenig später kamen drei große Evakuierungsgleiter unter dem Kommando von Kapitän Malina auf der Hochebene an und übernahmen die Minenarbeiter.

„Sie können uns wieder in die Station bringen“, sagte der Stationschef, nachdem er sich für die Rettung bedankt hatte. Malina sah ihn abschätzend an.

„Hören Sie, Chefprospektor – Sie kommen nach Palun mit. Und dort werden wir erst einmal klären, wie es kommt, dass eine zivile Minengesellschaft zu fünfundzwanzig ausschließlich für den militärischen Gebrauch bestimmten und zugelassenen Kampfrobotern des Typs S 5 kommt. Und dann ist aufzuklären, warum Sie um Hilfe gegen Magmaten gerufen haben, obwohl es sich um Panzergleiter der Lukaner gehandelt hat. Ab in den Gleiter!“, fuhr sie den verdutzten Minenchef an, der mit seinen Leuten gehorsam in den Gleiter stieg.

Die Kapitänin sah die drei Raumpiloten an.

„Gut gemacht. Fünfundzwanzig hochmoderne Kampfroboter von drei Space-Jets außer Gefecht gesetzt. Gute Leistung, Oberleutnant Rosok.“

„Kapitän, meine Amazonierehre gebietet mir, zuzugeben, dass nicht wir alle drei das gemacht haben, sondern, dass Leutnant Hansen das allein getan hat.“

„Aha! Nun, ich erwarte einen detaillierten, schriftlichen Bericht dazu“, erwiderte Malina. Sie sah Thomas einen Moment an.

„Ausgezeichnet“, sagte sie nur und stieg in den Kommandogleiter. Über Funk gab sie den Befehl, zur Basis zurückzukehren.

Von diesem Moment an hatten Thomas, Igor und Hugh Ruhe vor den Streichen der Amazonierinnen. Nora bat noch am selben Tag um Entschuldigung für die Dummheiten und versprach, so etwas nie wieder zu tun. Auch die übrigen Amazonierinnen hatten erkannt, dass es auch andere Wesen gab, die mit den Space-Jets umgehen konnten. Die drei Männer von Terra waren anerkannt und fanden in den Frauen von Amazonia gute Freunde – wobei es für Igor nicht nur bei Freundschaft blieb.

Thomas Hansens Ideenreichtum sprach sich schnell innerhalb der Flotte herum und zwei Wochen später fand er sich zu seiner eigenen Überraschung im Stab von Admiral Luk-Sun wieder und wurde zum Kreuzerkommandanten befördert, was dem Rang eines Kapitänleutnants oder eines Hauptmanns entsprach. Er bedauerte, seine Jet-Staffel verlassen zu müssen, aber er hoffte doch, bald wieder mit seinen amazonischen Freunden zusammenzutreffen. Das sollte schneller der Fall sein, als er zu diesem Zeitpunkt ahnte – und unter ganz anderen Umständen.

 

Kapitel 4

Unglaubwürdige Wahl

 

Zwei galaktische Wocheneinheiten, nachdem Thomas Hansen seinen neuen Posten im Stab von Admiral Luk-Sun angetreten hatte, fanden die Präsidentschaftswahlen auf Amazonia statt. Thomas, Igor, Hugh und Simonetta sahen die Übertragung der Wahlsendung im Galaxnet. Die Moderatorin gab die erste Hochrechnung bekannt, die fast fünfundsiebzig Prozent der Stimmen für Sinarta auswies.

„Kann doch nicht sein!“, schüttelte Igor den Kopf. „Gestern red’ ich noch mit Pela und die sagt mir klipp und klar, dass nicht eine einzige Amazonierin hier auf Palavor Sinarta die Stimme geben würde. Die waren sich richtig einig. Die Mädchen sind von der Anzahl und der politischen Meinung durchaus als repräsentativer Durchschnitt der Gesamtbevölkerung von Amazonia anzusehen. Die Umfragen haben auch nichts hergegeben, was auf einen Wahlsieg von Sinarta hinweisen würde. Da hat doch wer gemogelt.“

Er sah Thomas an, der brütend die Stirn runzelte.

„Sag bloß, du glaubst an die Zahlen da?“, fragte er verblüfft. Thomas schüttelte den Kopf.

„Ich weiß noch nicht. Wahlen auf dem Damenmond verfolge ich zum ersten Mal. Bist du sicher, dass die nicht eine zufällig Hochburg der Frau Kapitän ‘raus gepickt haben?“

„Hochrechnungen werden auf der Basis des repräsentativen Durchschnitts ermittelt, mio amico!“, erinnerte Simonetta.

„Danke für die Belehrung, Simonetta. Auf Mutter Erde trifft das ja zu – aber was ist mit Amazonia?“, grinste Thomas. „Wir sollten mal abwarten“, schlug er dann vor.

Die Zeit verging, aber an die Hochrechnungen änderten sich nicht um die Stelle hinter dem Komma!

„Igor, ich glaube, du hast Recht. Das kann nicht sein!“, knurrte Thomas. Seine Freunde zuckten vereint mit den Schultern. Im selben Moment brummte das Visiogerät. Thomas griff zur Fernbedienung und schaltete auf Empfang.

„Hansen! Oh, guten Abend, Chef.“

„‘N Abend“, meldete sich Luk-Sun. „Ich sehe, Sie sehen auch gerade Galaxnet an der richtigen Stelle. Was halten Sie davon?“

„Tja, wir können es allesamt nicht glauben, was sich da an Zahlen vor unseren Augen tummelt“, erwiderte Thomas. „Haben Sie mal versucht, jemanden auf Amazonia zu erreichen, Gaul?“

„Sicher. Bei Oberleutnant Rosok hat sich nur der automatische Aufzeichner gemeldet, bei Pela ebenfalls. Kapitän Malina war auch nicht zu Hause. Im Haus der Surinistinnen hat sich eine vereinsamte Wache gemeldet mit dem Hinweis, dass die Kandidatin Kasurina ins Rechenzentrum gefahren sei. Ich habe mindestens zehn Leute beauftragt, jede Amazonierin anzurufen, die in der Flotte ist. Bisher haben wir keine erreichen können. Ich hab’ ein ganz ungutes Gefühl, wenn ich ehrlich bin. Kommen Sie bitte mit Leutnant Pretjakoff zu mir.“

„Hmm, wir sind schon unterwegs, Gaul“, antwortete Thomas und schaltete die Visioverbindung ab. Igor war schon aufgesprungen.

„Simonetta, Hugh – sucht im Galaxnet nach dem Zählprogramm und zeichnet auf, was ihr findet. Wir fahren zum Chef“, rief Thomas noch aus dem Flur, hörte die Bestätigung aus dem Computerraum und eilte mit Igor zu dessen Gleiter, der vor der Tür geparkt war.

Die beiden Terraner fuhren so schnell es ging zur Flottenkommandantur, wo Luk-Suns persönlicher Adjutant Sarni Kulibos sie bereits vor der Tür erwartete. Er brachte sie zum Flottenchef.

„Gut, dass Sie da sind“, sagte der Admiral. „Hier, eben ist das Endergebnis bekannt gegeben worden: Achtzig Prozent der Stimmen für Frau Sezession persönlich! Wenn das wahr ist, ist Palavor auf der Tagseite ein Eiswürfel!“

„Zugegeben, glauben kann ich das auch nicht, Gaul“, gestand Thomas. „Die Sache hat nur einen Haken: Einwendungen gegen die Gültigkeit der Wahl kann wohl nur eine wahlberechtigte Amazonierin erheben – und die sind zurzeit allesamt auf Amazonia“, gab er zu bedenken.

„Eine Amazonierin oder ein Mitglied des Galaktischen Rates. Und so einen haben wir hier, nämlich Sie, Kreuzerkommandant Hansen“, grinste Kulibos.

„Schön, und was nützt das? Wenn ich vor dem Rat Einwendungen erheben will, muss ich schon mit handfesten Beweisen kommen, um die Wahl anfechten zu können.“

„Ehrlich, Gaul, glauben Sie wirklich, dass die Wahl auf diesem Emanzenmond korrekt gelaufen ist?“, ereiferte sich der Adjutant. Thomas lächelte freundlich.

„Ich weiß ja, dass auf Malagriva weibliche Centauren nicht viel zu sagen haben, und dass Ihnen eine reine Frauengesellschaft, wie sie auf Amazonia existiert, nicht ganz geheuer ist – aber deshalb brauchen Sie die Damen nicht gleich so zu beschimpfen“, bremste er den chauvinistischen Centauren.

„Sarni hat schon Recht. Es ist was faul auf dem Mond. Ich weiß nicht was, aber ich weiß, dass wir ganz schnell dahinter kommen müssen. Sonst gibt es eine Katastrophe“, ergänzte Luk-Sun.

„Sie meinen, weil Sinarta den Mond verselbstständigen will?“

„Genau das meine ich. Aber ich befürchte noch was anderes: Die Amazonierinnen können sehr giftig werden, wenn sie merken, dass man sie betrogen hat. Auf dem Mond droht ein Bürgerkrieg, weil sich die geschlagenen Parteien das nicht bieten lassen werden. Leider wird auf Amazonia zuerst geschossen und dann gefragt. Die Weiber werden richtig militant, wenn man sie ärgert“, bestätigte der gewichtige Admiral. Sein hellblauer Schwanz wedelte nervös.

„Leutnant Pretjakoff – General Mar-Av hat Ihnen eine versiegelte Tasche gegeben, in der die aufgefangenen Ergebnisse sind. Richter Nom Kartur vom Galaktischen Obersten Gerichtshof ist hier. Holen Sie bitte Ihre Unterlagen!“, wies Luk-Sun Igor an.

„Jawohl, Gaul.“

Igor verschwand. Thomas sah den Admiral verwundert an.

„Erklären Sie mir das näher, Gaul?“

„Der GAD hat eine interessante Nachricht im Galaxnet gefunden und entschlüsselt, wie mir Mar-Av sagte. Es soll die Anweisung für die zu manipulierenden Ergebnisse der Amazonia-Wahl sein.“

Igor kam mit einer Tasche zurück, die von Mar-Av selbst drei galaktische Tageseinheiten zuvor elektronisch versiegelt worden war. Solche elektronischen Siegel enthielten die genaue Verschlusszeit und den Namen des Versiegelnden und galten als fälschungssicher. Luk-Sun ließ auch den Richter dazu rufen. Im Beisein des sulukanischen Richters öffnete Igor das Siegel und nahm die Mikrospeichereinheit heraus. Im Computer des Admirals zeigte sich nach Einspielen der Speichereinheit die Reihenfolge der Hochrechnungen – und es war dieselbe, die am Wahlabend im Galaxnet veröffentlicht worden war. Die Zeitangaben stimmten allerdings nicht mit denen der aufgezeichneten Sendezeiten überein.

„Donnerwetter!“, entfuhr es Thomas. „Hundertprozentige Übereinstimmung! Das ist selten.“

„Wenn’s denn echt wäre, schon, Towarisch“, bemerkte Igor grinsend. „Die Aufzeichnung von vor drei Tagen beweist nach meiner Überzeugung eindeutig, dass die veröffentlichten Hochrechnungen falsch sind. Genauso falsch, wie das ganze Wahlergebnis. Das, was wir hier sehen, hat Sinarta liebevoll verschlüsselt im Galaxnet an Nala Kanita geschickt. Nala Kanita ist Chefprogrammiererin im Rechenzentrum von Amazonia. Dämmert dir was?“

„Würde sagen, mir geht gerade eine Zwillingssonne auf“, seufzte Thomas. „Ich nehme das nächste Schiff nach Megara und unterrichte den Rat.“

 

 

Kapitel 5

Überprüfungsauftrag

 

Am Raumhafen von Xythara der Hauptstadt Megaras, erwarteten Hansen Françoise und Kwiri.

„Willkommen auf Megara, Thomas“, rief Kwiri schon von weitem. „Hätte nicht gedacht, dass ein Terraner diese Uniform so ausfüllt“, setzte er hinzu, als er Thomas Uniform begutachtet hatte.

„Du hast bisher nur Centauren in der Uniform gesehen, was?“, lachte Thomas auf.

„Ach, lass ihn schwätzen“, sagte Françoise. „Du siehst großartig aus.“

„Danke, aber der Ratsanzug steht dir auch hervorragend“, erwiderte Thomas sanft. Françoise nutzte die Gelegenheit, dass er ihr die Hand drückte, um ihm wenigstens ein freundschaftliches Begrüßungsküsschen auf die Wange zu geben. Der erste Impuls wollte ihn dazu verleiten, sie in die Arme zu nehmen, sie lange zu küssen und ihr zu sagen, dass er sie liebte, aber er schluckte es im allerletzten Moment herunter. Nein, er konnte es seiner toten Frau noch immer nicht antun, sich mit einer anderen zu befassen.

„Ich habe dich vermisst“, sagte er dennoch leise. Manche Wahrheit konnte auch er nicht unausgesprochen lassen.

Kwiri sah Thomas und Françoise an und fragte sich, warum Thomas sich und ihr das antat.

„Bleibst du länger?“, fragte Kwiri.

„Ich weiß noch nicht“, gab Thomas zurück. Er war beinahe froh, dass Kwiri ihn ansprach und ihn vor seinen eigenen Gefühlen rettete.

„Dann sollten wir besser gleich zum Präsidenten fahren. Er möchte dich sprechen“, winkte Kwiri und ging schon in Richtung Ausgang.

„Trifft sich gut. Ich muss auch dringend mit ihm reden“, gab Thomas zurück, nahm seine Tasche, bot Françoise den Arm, die sich auch gern einhakte und folgte dem Deneber.

„Und was willst du vom Präsidenten?“, erkundigte Françoise sich.

„Auf Palavor ist der Verdacht aufgekommen, die Präsidentenwahl auf Amazonia könnte manipuliert sein. Es gibt recht deutliche Indizien, wenn nicht sogar Beweise dafür“, erwiderte Thomas. „Luk-Sun hat mich als Ratsmitglied gebeten, die Wahl anzufechten.“

„Und ich habe gedacht, du kommst meinetwegen her.“

„Das wäre ich auch, wenn ich ganz normalen Urlaub nehmen könnte. Geht aber nicht wegen der Dienstverpflichtung. Aber ich nutze die Gelegenheit natürlich schamlos aus, dich zu sehen“, lächelte Thomas. Wieder war die Versuchung stark, sie einfach zu küssen. Es kostete Thomas viel Beherrschung, es nicht zu tun. Aber er fragte sich, wie lange er noch standhalten konnte – und ob er eigentlich standhalten wollte.

Kwiri hatte an einem sehr neu aussehenden Gleiter angehalten.

„Holla, ist bei dir der Wohlstand ausgebrochen?“, fragte Thomas verblüfft. Er erinnerte sich, dass Kwiri immer alte Fahrzeuge hatte – für sein Raumschiff galt das auch. Der Deneber grinste freundlich über das ganze Gesicht.

„Bei mir nicht; aber bei Françoise. Das ist ihr neues Schmuckstück“, erklärte er. Thomas sah die Französin an, die ihn schelmisch anlächelte.

„Denkst du, die Zeit bleibt stehen, nur, weil du ein bisschen Soldat spielst? Ich habe mich ganz brav um eine Gleiterlizenz beworben, habe meine Fahrprüfung gemacht und mir nach Kwiris Beratung einen Gleiter gekauft. Für die Entfernungen in Xythara ist das ganz praktisch. Ich …“

„Aber ich hab’ doch gar nichts gesagt“, erwiderte Thomas. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.“

Françoise öffnete die Gleitertüren und sie stiegen ein.

„Was sagen die Leute hier auf Megara zur Amazonia-Wahl?“, erkundigte sich Thomas dann.

„Das ist der Grund, weshalb Sulukum dich sprechen will. Es gibt die merkwürdigsten Gerüchte. Das ist nicht gut für die Stabilität der Föderation.“

Wenig später parkte Françoise ihren Gleiter vor dem Privathaus des Föderationspräsidenten, der ihnen die Tür persönlich öffnete. Präsident Sulukum war Deneber und mit fünfundsiebzig Jahren galaktischer Einheitszeit auch nach denebischen Maßstäben alt. Seine für Erdmenschen ohnehin kleine Gestalt wurde durch seine gebückte Körperhaltung noch kleiner, die nicht nur seinem greisenhaften Alter, sondern auch der großen Verantwortung zuzuschreiben war, die der Föderationspräsident trug. Sulukum sah nach oben, um seine Besucher überhaupt ansehen zu können. Selbst Kwiri Swin war noch einen Kopf größer als der Präsident. Die sorgenvolle Miene wich einem freundlichen Lächeln, als er Kwiri, Françoise und Thomas erkannte.

„Guten Abend, Herr Präsident“, begrüßten ihn die Besucher.

„Guten Abend, Kwiri. Guten Abend, Senatorin Debussy. Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind, Senator Hansen. Treten Sie bitte ein“, lud der Präsident ein.

Sie gingen hinein und folgten Sulukum in einen hallenartigen Raum mit unterschiedlich großen Sitzgelegenheiten, die belegten, dass der Präsident häufig Besucher anderer galaktischer Völker empfing. Françoise und Thomas nahmen in Sesseln Platz, die auch für Admiral Luk-Sun ausgereicht hätten, Kwiri suchte sich einen für Deneber passenden Sitz. Sulukum setzte sich dazu.

„Senator Hansen, der Galaktische Abwehrdienst berichtet, dass die Wahl auf Amazonia von der Kapitänin Sinarta gefälscht worden sei. Oberleutnant Rosok, eine der Agentinnen, soll unwiderlegbare Beweise dafür haben. Wissen Sie Näheres darüber?“

Wissen wäre sicher übertrieben, denn bei der Speicherung der ausgezählten Stimmen war ich nicht dabei. Aber es gibt sehr starke Verdachtsmomente, Herr Präsident. Die Galaktische Abwehr ist im Besitz von Aufzeichnungen aus dem Galaxnet, die von Sinarta drei Tage vor der Wahl an eine der Chefprogrammiererinnen gesandt wurden und auf denen die einzelnen Hochrechnungen in exakt derselben Höhe und derselben Reihenfolge erscheinen, wie bei der Wahlsendung im Galaxnet. Der Verdacht liegt nahe, dass Sinarta die Programmiererin dazu veranlasst hat, die Daten so ins Netz zu geben. Da diese Daten auch als Endergebnis veröffentlicht wurden, muss auch der Zentralcomputer auf Amazonia entsprechend manipuliert worden sein“, erklärte Thomas.

„Sie würden also nicht davon ausgehen, dass die Wahl korrekt war?“

„Ob die Wahl selbst korrekt war, kann ich nicht beurteilen, weil ich beim Wahlvorgang und beim Auszählen nicht dabei war. Ich halte aber die Daten für falsch, die an die Öffentlichkeit gekommen sind“, erwiderte Thomas.

„Ehrlich?“, hakte Françoise nach. „Auf der Erde habe ich auch schon erlebt, dass Wahlen anders ausgegangen sind, als prophezeit wurde.“

„In gewissen Grenzen gebe ich dir Recht, Françoise. Aber in diesem Falle haben alle Umfragen ergeben, dass Sinarta mit ungefähr zwei bis drei Prozent der Stimmen rechnen konnte. Die letzte Umfrage wurde zwei Tage vor der Wahl veröffentlicht und war einen Tag alt. Das Ergebnis sollen dann rund achtzig Prozent der Stimmen für Sinarta gewesen sein. Ich glaube zwar an Irrtümer um bis zu zehn Prozent, aber nicht um mehr als fünfundsiebzig“, gab Thomas zurück. Sulukum nickte beifällig.

„Unsere Umfragen sind von bestechender Genauigkeit. Die tatsächlichen Wahlergebnisse weichen normalerweise nur um Stellen hinter dem Komma ab“, bemerkte er. „Die Vorsitzende der Wahlkommission hat mich informiert, dass sie die Wahl durch den Rat überprüfen lassen will. Eine offizielle Anfechtung vor dem Galaktischen Obersten Gerichtshof hat sie noch nicht veranlasst, weil sie befürchtet, es könnte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen.“

„Wäre das denn so gefährlich?“, erkundigte sich Françoise. „Ich meine, viele Anhänger hat Sinarta doch offenbar nicht.“

„Nein“, bestätigte Kwiri, „viele nicht – aber dafür umso gefährlichere. Ihre Anhängerschaft sind im Wesentlichen die höheren Offizierinnen des amazonischen Heeres.“

„Na gut, aber die Wahl durch den Rat zu überprüfen, heißt doch nicht weniger als die Wahl im Augenblick nicht anerkennen. Hat das nicht denselben Effekt wie eine Anfechtung?“, fragte Thomas.

„Nein, denn die Überprüfung hat nur eine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass die tatsächlichen Wahlergebnisse nach der Überprüfung wirksam werden, und die bisherige Präsidentin bis zum Abschluss der Prüfung geschäftsführend im Amt bleibt, während eine Anfechtung in jedem Fall Neuwahlen zur Folge hätte und Amazonia solange ohne Präsidentin wäre, weil die Amtszeit mit dem Wahltag endet. Ist der Mond aber ohne Präsidentin, gibt es ernsthaft einen Machtkampf mit Sinarta. Sie würde sofort versuchen, die Macht an sich zu reißen“, erklärte Sulukum.

„Wer genau ist eigentlich berechtigt, die Wahl anzuerkennen oder anzufechten?“, erkundigte sich Thomas. „Jede wahlberechtigte Amazonierin oder nur die Wahlkommission oder wer?“

„Die Vorsitzende der Wahlkommission oder eine vom Rat bestellte Person, die mit der Überprüfung beauftragt wurde. Sonst niemand“, gab Kwiri Auskunft.

„Sinarta müsste sich also nur diese Vorsitzende zur Brust nehmen, um die Wahlen gültig werden zu lassen, sehe ich das richtig?“

„Genau“, erwiderte Kwiri.

„Und? Hat die Frau guten Personenschutz?“, hakte Thomas nach.

„Das obliegt Kapitän Malina“, antwortete Sulukum. „Aber – was die Überprüfung anbelangt: Ich möchte morgen im Rat beantragen, dass Sie mit der Überprüfung beauftragt werden, Senator. Wären Sie dazu bereit?“

„Grundsätzlich schon, aber ist das im Moment überhaupt möglich? Ich bin zur Flotte dienstverpflichtet worden, gehöre dem Rat also derzeit gar nicht an. Und außerdem ist Amazonia doch eine reine Frauengesellschaft. Wäre es da nicht besser, ein weibliches Wesen zu beauftragen?“

Sulukum schüttelte den Kopf.

„Nein, gerade deshalb nicht. Sehen Sie, Amazonia ist zwar eine Frauengesellschaft, aber eine besondere Frauengesellschaft. Dieser Planet wird sehr stark von militärischem, wenn nicht gar militaristischem Denken geprägt. Auf fast allen anderen Mitgliedsplaneten der Föderation sind Frauen nur selten in militärischen Berufen zu finden. Insofern ist es schwer, ein weibliches Wesen zu finden, das über genügend militärische Erfahrung verfügt, um von den Amazonierinnen als Schiedsrichterin anerkannt zu werden. Denn diese Damen lassen sich nur von Wesen kontrollieren, von denen sie annehmen können, sie seien militärisch besser als sie selbst. Außerdem haben sie große Vorbehalte gegen andere Mitglieder der Föderation, haben Sorge, man könnte sie übervorteilen wollen. Es ist eine sehr tief sitzende Angst auf Amazonia. Deshalb wäre es günstig, wenn jemand von SOL 3 die Überprüfung vornimmt, weil Ihr Planet erst seit kurzem Föderationsmitglied ist und deshalb die Querelen in der Galaxis noch nicht so gut kennt. Zudem haben wir in Ihnen ein Wesen, das den Amazonierinnen schon bewiesen hat, militärisch bessere Ideen zu haben. Sie würden auf Amazonia akzeptiert, darum möchte ich Sie dafür haben“, erklärte der Präsident. „Ihre Evakuierungsaktion auf Palavor hat sich herumgesprochen. Ich gebe zu, das war ein Geniestreich“, setzte er dann hinzu. Thomas lächelte verbindlich.

„Das hat mit militärischer Erfahrung wenig zu tun, Herr Präsident. Das liegt mehr an meiner Fantasie“, erwiderte er. „Aber was ist mit dem Umstand, dass ich dem Rat gar nicht angehöre?“

„Ihr Mandat ruht, Sie sind von Ihrer Teilnahmepflicht an den Ratssitzungen entbunden, sonst nichts. Ihre Rechte als Ratsmitglied werden davon nicht berührt“, erwiderte Sulukum.

„Gut, wenn Sie es wünschen, werde ich die Überprüfung vornehmen. Ich hoffe, dass dadurch ein Streit auf Amazonia vermieden werden kann.“

„Ich danke Ihnen, Senator“, sagt Präsident Sulukum. Es klang erleichtert. „Ich vermute zwar, dass Kilma Gribor alles in Bewegung setzen wird, um eine Überprüfung zu verhindern, aber ich bin zuversichtlich, dass die Mehrheit des Rates zustimmt.“

„Hat Gribor die Anerkennung Sinartas als neue Präsidentin gefordert?“, erkundigte sich Thomas.

„Das hat er!“, seufzte der Präsident. „Bei den Göttern von Mingon, das hat er.“

„Das klingt nicht begeistert, Herr Präsident“, bemerkte Françoise.

„Wie soll ich begeistert sein, wenn die Präsidentschaft von Sinarta praktisch den Einsatz der Sechsten Flotte gegen Amazonia geradezu provoziert?“

„Wie meinen Sie das, Herr Präsident?“, fragte Thomas nach.

„Nun“, mischte sich Kwiri ein, „Sinarta will Amazonia von WEGA 6 lösen und zu einem Kleinplaneten mit eigener Umlaufbahn machen. Wegen der Instabilität von WEGA 6 selbst wären Canela und Sarona, die Nachbarplaneten, gefährdet. In diesem Falle müsste Amazonia nach § 400 II. Planetenbeziehungsgesetz zerstört werden.“

„Greift das nicht zu kurz?“, hakte Thomas nach. „Wenn WEGA 6 ohne seinen Mond zerfallen würde, heißt das im Umkehrschluss, dass der Mond Amazonia die Masse des Planeten WEGA 6 stabilisiert. Wenn die Sechste Flotte den Mond aber zerstört, dann ist der Effekt doch derselbe. Warum also den Mond atomisieren?“

Sulukum und Swin sahen sich an.

„Alle Kometen, du hast Recht!“, platzte Kwiri heraus.

„Umso wichtiger ist es, den Flotteneinsatz unnötig zu machen. Reisen Sie nach Amazonia, wenn der Rat Sie beauftragt, Senator Hansen. Sehen wir uns dann morgen im Galaktischen Rat?“

„Ich werde da sein“, versprach Thomas. „Aber jetzt fahre ich besser nach Hause und schlafe noch ein paar Stunden“, setzte er hinzu.

„Schon gut. Tun Sie das. Sie werden alle Kräfte brauchen, um auf Amazonia Ordnung zu schaffen.“

Thomas und Françoise verabschiedeten sich und Françoise fuhr ihn nach Hause.

„Thomas – hast du Zeit zum Nachdenken gehabt?“, fragte sie.

„Wenig, aber ich denke es hat gereicht“, erwiderte er.

„Und?“

„Ich glaube, es wäre zu wenig, einfach ja oder nein zu sagen. Wir sollten darüber bei einem guten, ausgedehnten Abendessen auf Mutter Erde reden“, antwortete Thomas. „Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn ich diese Wahlgeschichte auf Amazonia nachgeprüft habe, fliegen wir beide auf die Erde. Ich besitze ein schönes Haus in der Lüneburger Heide. Dort sind wir ungestört. Was hältst du davon?“

„Nun, das klingt nicht gerade nach eiskalter Abfuhr. In Ordnung.“

Einige Minuten später erreichten sie im Diplomatenviertel von Xythara ihre Häuser, die direkt benachbart gebaut waren. Françoise parkte auf ihrem Parkplatz und ließ Thomas gehen, ohne ihn zu bitten, noch mit zu ihr zu kommen oder Anstalten zu machen, ihm in sein Haus zu folgen. Er würde bald zurück sein, dann würde man weitersehen. Einstweilen war es besser, ihn gehen zu lassen. Je heftiger sie ihm nachlief, desto heftiger konnten seine Fluchtversuche sein, sagte sie sich. Und sie hatte kein Interesse daran, ihn wirklich zu verlieren.

Am folgenden Tag beantragte der Präsident die Entsendung Thomas Hansens nach Amazonia, um den Gerüchten nach Wahlmanipulation nachzugehen. Wie erwartet, stritt Gribor vehement dafür, die Wahl so anzuerkennen, wie sie bekannt gegeben war, aber eine deutliche Mehrheit im Galaktischen Rat hatte doch Zweifel an der Wahrheit der veröffentlichten Ergebnisse und stimmte der Überprüfung durch Thomas zu. Noch am selben Tag bestieg Thomas die Transporterfähre zum Orbitaldock, wo er in die Ganymed, einen Kugelraumer der Achten Interstellaren Flotte umstieg, der von Menschen geflogen wurde. Commander Fowler, sein Ausbildungskollege kommandierte die Ganymed.

„Hallo, Thomas“, begrüßte ihn Fowler. „Sollst du die Wahlsache prüfen?“

„Ja. Wann dockst du aus?“

„In zehn Minuten. Aber was du auf Amazonia vorhast, könnte in die Hose gehen.“

„Warum?“

„Ich habe aus Funksprüchen gehört, dass die Wahlunterlagen vernichtet wurden. Was soll da noch zu prüfen sein?“, wunderte sich Hugh.

„Allmählich werden sie penetrant, die Weiber“, seufzte Thomas. „Egal. Fliegen wir hin und sehen nach, ob wir noch etwas tun können, um Krieg und Zerstörung des Mondes zu vermeiden.“

 

Kapitel 6

Hinweise und Beweise

 

Der Empfang auf Amazonia war nicht überschwänglich, aber die Abgesandten der Wahlkommission schienen doch froh zu sein, dass der Rat ihrem Antrag entsprochen hatte, jemanden zur Überprüfung zu schicken.

„Guten Tag, ich bin Leka Namina, die Vorsitzende der Wahlkommission. Ich sehe, Sie gehören dem Galaktischen Rat an. Wollen Sie mir Ihren Namen nennen?“

„Hansen ist mein Name. Ich vertrete den Planeten SOL 3, den wir Erde oder Terra nennen. Der Galaktische Rat hat mich auf Ihren Antrag hin mit der Überprüfung der Präsidentschaftswahlen von Amazonia beauftragt“, gab Thomas seinen Auftrag vollständig wieder.

„Hansen. Thomas Hansen?“, fragte Namina nach.

„Allerdings.“

„Dann besonders herzlich willkommen. Oberleutnant Rosok hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Sie hat sehr gehofft, dass der Rat Sie schicken würde.“

„Frau Namina, auf dem Weg hierher habe ich gehört, die Wahlergebnisse seien gelöscht worden. Ist das so?“, fragte Thomas. Er wollte schnell zur Sache kommen, um bald wieder heimzufliegen.

„Ja, das ist eine bedauerliche Tatsache.“

„Und wie soll ich die Wahl nun überprüfen? Eigentlich kann man sie gleich neu ansetzen, denn an die Ergebnisse glaubt die gesamte Galaxis nicht“, versetzte er. Leka lächelte.

„Gewiss, die Hauptbänder sind gelöscht worden, aber damit ist noch nicht aller Tage Abend, lieber Kreuzerkommandant. Ich habe in Oberleutnant Rosok eine findige Computerspezialistin, die schon vorher Verrat gewittert hat und nicht nur einfach Kontrollkopien gemacht hat. Aber das sollte sie Ihnen am besten selbst erklären.“

„Wer, meinen Sie, könnte veranlasst haben, die Daten zu löschen?“

„Ich denke, sowohl Präsidentin Rashogga als auch Kapitän Sinarta könnten ein Interesse daran haben. Rashogga, wenn sie echt waren, Sinarta, wenn sie falsch waren.“

„Es wird wohl nicht ausreichen, nur die Daten zu überprüfen. Der Fälscherin muss gründlich auf die Finger geklopft werden, damit ihr so etwas nicht wieder einfällt. Können Sie mir einen Termin bei der Präsidentin und bei Sinarta besorgen?“, fragte Thomas.

„Für die Präsidentin habe ich bereits einen Termin für Sie. Wir werden zuerst zu ihr fahren. Sinarta hat es abgelehnt, mit Ihnen zu sprechen.“

„Das soll sie mir selber sagen. Wo ist hier eine Visioanlage?“

„Im Raumhafen. Kommen Sie, Senator“, winkte Namina.

Thomas folgte ihr in die Empfangshalle des Raumhafens. In der Nähe des Ausgangs fand sich ein Visiofon, mit dem Thomas bei Sinarta anrief.

„Was willst du, Erdling?“, schnaubte sie, als sie Thomas erkannte.

„Ich bin als Mitglied des Galaktischen Rates im Auftrag des Ratspräsidenten Sulukum hier, um die Wahlergebnisse zu überprüfen. Ich hätte gern ein persönliches Gespräch mit Ihnen geführt“, erwiderte Thomas.

„Ich unterhalte mich nicht mit mir untergeordneten Möchtegern-Offizieren!“

„Ich stehe hier nicht als Kreuzerkommandant der Achten Flotte, sondern als Vertreter des Galaktischen Rates und damit einer Ihnen übergeordneten Kontrollinstanz. Also, wann und wo kann ich Sie persönlich sprechen?“

„Ich gewähre keine Audienzen – schon gar nicht an schwache Erdlinge, die vom Kämpfen nichts verstehen.“

„Na schön, dann nicht. Ich nehme dies als vorbehaltloses Eingeständnis, dass Sie die Wahlen haben manipulieren lassen. Ich werde dem Rat entsprechend Bericht erstatten. Leben Sie wohl“, versetzte Thomas kalt und trennten die Verbindung. Leka Namina sah ihn erschrocken an.

„Kreuzerkommandant, Sie haben sich soeben eine unversöhnliche Feindin geschaffen!“, warnte sie.

„Erwarten Sie, dass ich vor Frau Kapitän Sinarta auf dem Bauch rutsche? Oh, nein! Kommen Sie, lassen Sie uns zur Präsidentin fahren. Bin gespannt, was sie dazu sagt.“

Wenig später saß Thomas der amtierenden Präsidentin im Regierungspalast gegenüber.

„Danke, dass Sie die Sache in die Hand nehmen, Senator! Hier ist massiver Wahlbetrug begangen worden!“, beschwerte sich Rashogga. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters war sie immer noch eine schöne Frau. Thomas fragte sich, ob dies einfach genetisch vererbt war oder ob es auf Amazonia gute plastische Chirurginnen gab. Er lächelte verbindlich.

„Das zu ergründen, bin ich hier, Frau Präsidentin.“

„Sagen Sie einfach Rashogga, das genügt“, erwiderte die Präsidentin mit einem ebenso charmanten Lächeln.

„Danke. Sagen Sie, Rashogga, wie sind Sie darauf gekommen, dass Ihre Konkurrentin die Wahl manipuliert hat?“

„Sinarta ist – wie Ihnen sicher bekannt ist – Kapitänin der interstellaren Flotte. Ein gewisser Teil unserer Soldatinnen steht hinter ihr und ihrem Vorhaben, Amazonia zu einem richtigen Kleinplaneten zu machen, weil sie es einfach nicht ertragen kann, dass dieser Mond eben nur ein Mond ist, der um seinen Mutterplaneten kreist. Die Idee ist völlig verrückt, wenn auch technisch durchführbar. Der größte Teil der Amazonierinnen lehnt ein solches Vorgehen ab, aber die illoyalen Truppen können eben gut mit Waffengewalt einschüchtern. So ist es geschehen.“

„Ist demnach davon auszugehen, dass die Stimmen – wenn auch unter Bedrohung – tatsächlich für Sinarta abgegeben wurden, Rashogga?“

„Nein, die Amazonierinnen, die die Computer mit den Daten gefüttert haben, wurden bedroht“, gab Rashogga Auskunft.

„Also glauben Sie, dass die Stimmen tatsächlich für Sie oder Kasurina abgegeben wurden, aber unter Androhung von Gewalt falsch für Sinarta eingegeben wurden?“

„Genau. Ich bin allerdings fest überzeugt, dass die Stimmen für mich abgegeben wurden. Mit solchen Schwächlingen wie Kasurina, dieser Friedensbewegten, die sogar das amazonische Heer abschaffen will, mag hier niemand was zu tun haben.“

„Danke für Ihre Auskünfte. Ich möchte mich gern mit den Programmiererinnen unterhalten. Wo kann ich sie finden?“, erkundigte sich Hansen. Die Adjutantin der Präsidentin grinste humorlos.

„Auf dem Friedhof, Senator“, sagte sie. Thomas spürte ein Frösteln. Dieser Frauenmond wurde ihm immer unheimlicher.

„Aha, Und warum weilen sie nicht mehr unter den Lebenden?“, hakte er nach.

„Zwei haben der Präsidentin die Manipulation gestanden und haben Gift genommen, um nicht in Schande zu fallen, Die anderen acht wurde zu Hause tot aufgefunden – erschossen mit Laserstrahlen. Die Ermittlungen der Planetaren Polizei sind bislang ergebnislos geblieben“, gab die Adjutantin Auskunft.

„Sind diese Programmiererinnen von sich aus zu Ihnen gekommen, Rashogga?“

„Ja.“

„Danke für die Unterredung. Ich werde Sinarta noch einmal um ein Gespräch bitten. Danach werde ich mir die Computer ansehen, auf denen die Wahldaten gespeichert wurden.“

„Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, aber ich fürchte, Sie werden nicht mehr viel sehen, da die Daten gelöscht wurden“, sagte die Präsidentin.

Thomas wusste das wohl, aber er tat überrascht.

„Gelöscht? Bevor die Überprüfung stattfinden konnte? Wer hat das veranlasst?“

„Niemand“, antwortete die Adjutantin. „Die Daten wurden mit einem automatischen Löschprogramm gekoppelt.“

„Ist doch eigentlich unlogisch“, bemerkte Thomas. „Wenn die Daten im Computer Sinartas Sieg ausweisen, würde sie nicht veranlasst haben, das Löschprogramm einzugeben. Sind die Soldatinnen eigentlich als Programmiererinnen ausgebildet?“

„Nein“, gab Rashogga zurück.

„Das heißt, falls Soldatinnen bei der Eingabe der Daten drohend daneben gestanden haben, hätte keine erkennen können, dass ein Löschprogramm mitläuft, oder?“

„Wohl nicht.“

„Könnte es sein, dass die bedrohten Spezialistinnen das Löschprogramm von sich aus eingegeben haben, um die gefälschten Daten verschwinden zu lassen?“, fragte Hansen.

„Wäre nicht auszuschließen.“

„Wenn die Programmiererinnen, die nicht von sich aus über das Löschprogramm geplaudert haben, erschossen wurde – wer könnte Ihrer Meinung nach dahinter stecken?“, hakte Thomas nach.

„Sinarta, wer sonst?“, erklärte die Präsidentin.

„Es gibt niemanden – zum Beispiel bei der Planetaren Polizei oder den übrigen Truppen – die bewaffnet sind und loyal zu Ihnen steht, Rashogga?“

„Um acht Morde zu begehen? Nein, denn welches Interesse sollte ich daran haben?“

„Das käme ganz auf die Originaldaten an: Wären die Stimmen wirklich für Sinarta abgegeben worden, könnten Sie auf diese Weise Neuwahlen erreichen. Waren die Stimmen für Sie oder Kasurina abgegeben, könnte es ein Racheakt von Sinarta gewesen sein. Aber das ist reine Spekulation, gebe ich zu. Ich will keinen Verdacht in die Welt setzen – gegen niemanden, solange es keinen Grund dafür gibt. Nochmals danke für die Unterredung. Einstweilen empfehle ich mich.“

Als Thomas den Präsidentenpalast verließ, überkam ihn das dunkle Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, Rashogga auch nur ansatzweise wissen zu lassen, dass auch sie zum Kreis der Verdächtigen gehören könnte.

Du warst noch nie ein guter Kriminalist. Musst du dich ausgerechnet auf diesem unsicheren Pflaster auf solche Torheiten einlassen? Idiot!’, schimpfte er sich in Gedanken. Draußen vor dem Präsidentenpalast wartete Leka Namina mit ihren Leibwächterinnen und einigen Gleitern.

„Was haben Sie erreicht?“, fragte sie.

Erreicht nichts. Aber ich habe erfahren, dass sämtliche Programmiererinnen, die die Wahldaten eingegeben haben, tot sind. Wussten Sie das auch?“

„Ich weiß bislang von zweien, die bei Rashogga waren und nach dem Geständnis Gift genommen haben. Das macht die Angelegenheit nicht einfacher“, seufzte Namina. „Fahren wir ins Wissenschaftszentrum. Oberleutnant Rosok erwartet uns schon.“

In der Computerzentrale empfing sie Nora Rosok.

„Den Göttern von Mingon sei Dank, du bist heil aus dem Regierungspalast herausgekommen!“, schnaufte sie, als sie die Vordertür wieder hinter Leka und Thomas schließen ließ.

„Hattest du Zweifel?“, erkundigte sich Thomas lächelnd.

„Den Palast zu verlassen ohne von der Präsidentin entlassen zu sein, ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht, wie ich zugeben muss“, gab Nora zurück.

„Erstens hat sie keinerlei Anstalten gemacht, mich daran zu hindern, und zweitens: Woher weißt du das überhaupt?“, fragte Thomas verblüfft. Nora grinste.

„Es gibt eine Überwachungsanlage hier, mit der sämtliche Regierungsgebäude kontrolliert werden können.“

Thomas zog eine Augenbraue hoch.

„Vertraulichkeit des Wortes kann man das nicht gerade nennen“, bemerkte er spitz.

„Thomas, du musst eines wissen: Amazonia ist alles Mögliche – nur keine funktionierende Demokratie! SOL 3 ist noch nicht lange in der Galaktischen Föderation, darum kannst du es nicht wissen, aber diese Wahl ist die erste seit wenigstens zwanzig Galaktischen Jahreseinheiten. Davor haben sich die Präsidentinnen mit dem Regelmaß eines quarzgesteuerten Uhrwerks an die Macht geputscht. Die Föderation hat es lange – allzu lange – toleriert, Rashogga hatte bislang auch alles gut unter Kontrolle, aber dann hat Surina demokratische Reformen gefordert – und die Föderation hat das natürlich unterstützt. Deshalb schwebt diesmal die Sechste Flotte wie ein Raumgespenst über uns, wenn es uns nicht gelingt, die Sache friedlich ins Reine zu bringen. Dein Bericht ist für uns sehr wichtig. Komm, sehen wir uns die Bänder an.“

„Mir war so, als wären sie gelöscht worden“, bemerkte Thomas, als sie in den Computerraum gingen.

„Die Originalbänder sicher, darauf findest du nicht ein müdes Byte mehr. Aber wir sind auch nicht von vorgestern. Es gibt auch noch Kontrollkopien“, erwiderte Nora triumphierend.

„Müssten die nicht auch gelöscht sein?“, hakte Thomas nach.

„Eben nicht. Das ist ja das Fantastische an diesen Kontrollkopien. Die einzelnen Datensätze werden, mit technischen Pausen versehen, getrennt aufgezeichnet. Bei der Aufzeichnung registriert der Computer einen jeweils vollständigen Satz und gibt automatisch den Trennbefehl. Dadurch müssten die einzelnen Sätze jeder für sich gelöscht werden. Das ist mit einem Standardbefehl nicht zu machen. Im Grunde muss das gesamte Band durchlaufen, jeder Datensatz geprüft und nach mehrfacher Abfrage mit einem speziellen Befehl gelöscht werden. Das ist sehr zeitaufwändig, dauert mindestens einen vollen Tag. Allerdings ist die Datenaufbereitung dadurch auch komplizierter.“

„Und leichter manipulierbar“, warf Thomas ein.

„Mir ist klar, dass du auf diesem Mond niemandem trauen magst. Es geht vielen Amazonierinnen nicht anders. Jede misstraut Jeder. Hast du die bekannt gegebenen Ergebnisse?“

„Habe ich“, bestätigte Hansen.

„Gut, dann sehen wir uns jetzt die Bänder an.“

Nora gab einer Spezialistin mit einem Kopfnicken ein Zeichen, sie legte die Bänder ein und startete das Programm. Es dauerte einige Zeit, dann kristallisierte sich eine Lage heraus, die die Surinistinnen mit deutlich über vierzig Prozent Stimmenanteil vorn sah, dahinter folgte die Präsidentin Rashogga mit gut dreißig Prozent, dann kam Sinarta auf Platz drei mit nicht einmal zwanzig Prozent.

„Bei diesem Band handelt es sich um das Zählband, auf dem die von den Wahlmaschinen überspielten Daten aufgenommen wurden“, erklärte Nora. „Rema, gib’ uns bitte das Übertragungsband.“

Die Operatorin startete auf dem zweiten Terminal ein zweites Band, das mit den veröffentlichten Hochrechnungen korrespondierte und das keine Ähnlichkeit mit den im Zählcomputer enthaltenen Daten hatte.

„Und jetzt sieh dir das an:“, kommentierte Nora, als das Zählband weiterlief und ein verschlüsselter Befehl erschien, „Eine Stunde nach Überspielung der Daten an den Hauptcomputer werden alle bis dahin eingegangenen Daten mit diesem Befehl, einem manuellen Löschbefehl, gecancelt.“

„Halten Sie das bitte an?“, bat Thomas die Operatorin.

Das Bild stand. Er betrachtete den Befehl eingehend.

„Benutzt ihr häufig centaurische Programmiersprachen?“, fragte er nach einer Weile.

„Gut erkannt. Es ist centaurisches Droidex, eine selten genutzte Programmiersprache. Gut geeignet, um Notsignale zu geben. Wenn in einem Programm ein Befehl im centaurischem Droidex erscheint, sind die Programmierer bedroht worden, wurden gezwungen, bestimmte Eingaben zu machen. Dieses Notsignal hat sich eingebürgert, um Programmanwendern einen Hilferuf zu senden oder auf eine Gefahr aufmerksam zu machen. Und genau das ist hier der Fall. Die Operatorinnen wollten damit darauf hinweisen, dass sie gezwungen wurden, die bisherigen Eingaben zu vernichten. Die nächsten Datensätze zeigen dann eine weitere Stunde später das Endergebnis, wie es veröffentlicht wurde: Sinarta als absolute Siegerin mit fast achtzig Prozent Stimmenanteil, Rashogga und Kasurina mit gerade mal gut zehn Prozent.“

Thomas nickte.

„Bis dahin verstanden. Was ich noch nicht begreife: Wenn die Regierungsgebäude überwacht werden, warum konnte es dann zu einer Bedrohung der Programmiererinnen kommen, ohne dass die Polizei eingriff?“

„Weil das Rechenzentrum das einzige Gebäude ist, das nicht mit Überwachungskameras gespickt ist. Deshalb konnten die Operatorinnen nur mit dem Centaur-Droidex auf ihre Lage aufmerksam machen“, erwiderte Nora. Thomas bedeckte die Augen mit einer Hand.

„Au weia“, seufzte er. „Mach weiter.“

„Ja, … also … Pass auf. Hier – dann passiert mehr als eine Stunde nichts. Dann plötzlich wieder ein Löschbefehl, diesmal aber in normalem, amazonischem Droidex. Es ist ein automatisches Löschprogramm, das eine Stunde nach der letzten Eingabe wirksam wird. Der Befehl ist aber unvollständig. Augenscheinlich wollte die Programmiererin hier noch etwas anfügen. Sieh mal hier: Hinter dem Automatikbefehl ist noch ein halber Befehl zu erkennen. Hätte sie den Befehl vervollständigt, wäre die Löschung sofort erfolgt. So aber kam nur die Automatik heraus, die erst eine Stunde nach der letzten Eingabe anschlug.“

„Hätte es ein einfacher Löschbefehl nicht auch getan?“, erkundigte sich Thomas, der interessiert die Daten studierte.

„Nein, die Daten waren bereits korrigiert. Und korrigierte Daten kannst du nur noch mit diesem Spezialbefehl killen.“

„Kurz: Wäre der Befehl vollständig herausgekommen, hätte das neue Ergebnis nicht mehr auf den Übertragungscomputer überspielt werden können, richtig?“

„Genau.“

„Es ist also davon auszugehen, dass zunächst die wahren Daten eingegeben wurden, die dann unter Zwang geändert wurden, worauf die centaurische Droidex-Codierung hinweist. Dann haben die Programmiererinnen versucht, denen, die sie zur Änderung gezwungen haben, ein Schnippchen zu schlagen, und den Speziallöschbefehl eingegeben. Bei Vervollständigung hätten Sinartas Schranzen in die Röhre geguckt, weil die Daten sofort komplett verschwunden wären. Also muss jemand Lunte gerochen haben und hat die Programmiererin daran gehindert, den Befehl vollständig einzugeben, so dass nur die eine Stunde später anschlagende Automatik verblieb. Die Bedeutung des Befehls hat die behindernde Amazone aber nicht gekannt, denn sonst hätte sie Mittel und Wege gefunden, den Befehl rückgängig zu machen. Demnach kann sie keine Computerspezialistin sein, womit wir bei Soldatinnen wären, und Sinarta in den Verdacht gerät, dass es ihre Anhängerinnen waren, die die Programmiererinnen aufgemischt haben. Sehe ich das so richtig?“

„Ja, absolut.“

„Hast du das Gespräch mit Rashogga ganz mitgehört?“

„Ja.“

„Dann weißt du, dass sie mir gesagt hat, die Programmiererinnen seien zu Hause erschossen aufgefunden worden.“

„Ja.“

„Das passt nicht mit dem zusammen, was die Daten hergeben. Rashogga könnte ihre Griffel genauso gut im Spiel gehabt haben. Sie könnte versucht haben, den Verdacht auf Sinarta zu lenken, um selbst als Kandidatin im Rennen zu bleiben. Auf jeden Fall hat sie ebenso wie Sinarta ein Interesse an der Wiederholung der Wahl.“

„Und was willst du nun tun?“, fragte Nora. Eine gewisse Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit. Thomas seufzte tief.

„Im Grunde ist es Jacke wie Hose, wer für die Manipulation verantwortlich ist. Die Wahl muss wiederholt werden. Sehen Sie das genauso, Leka Namina?“

Die Vorsitzende der Wahlkommission nickte.

„Ich fliege nach Megara und beantrage die Neuwahl“, erklärte Thomas.

„Wenn Sinarta nicht verrücktspielt“, bemerkte Rema von der Anlage. Sie schaltete den Computer ab und nahm die Bänder heraus.

„Wenn sie erfährt, dass es Dokumente über die Wahlmanipulation gibt – gleich ob sie selbst das angezettelt hat oder ob es Rashoggas Idee gewesen ist – dann wird sie versuchen, diese Bänder hier verschwinden zu lassen. Sie sind der einzige Beweis, dass hier gemogelt wurde. Ohne diese Bänder wäre Sinarta Präsidentin – und ich weiß, welche Folgen das für Amazonia hätte. Bringen Sie die Bänder in Sicherheit, legen Sie sie dem Rat vor“, bat die Operatorin.

„Moment!“, ereiferte sich Leka. „Die Bänder sind Eigentum des amazonischen Staates. Unsere Gesetze verbieten es, diese Aufzeichnungen auf einen anderen Mitgliedsplaneten der Föderation oder anders wo hin zu verbringen.“

„Natürlich ist es verboten“, gab Nora zurück. „Aber verrat’ mir bitte, wie wir die Bänder hier schützen sollen! Sinarta ist in der Flotte meine unmittelbare Vorgesetzte. Ich könnte ihr gegenüber die Herausgabe der Bänder nicht verweigern.“

Thomas sah die Bänder einen Moment an.

„Doch, es gibt eine Möglichkeit: Ich kann die Bänder als Beweisstücke im Namen des Rates der Galaktischen Föderation beschlagnahmen – und das tue ich hiermit.“

 

Kapitel 7

Gefährliche Kampfroboter

 

Die hermetisch verriegelte Gleittür des Wissenschaftszentrums sprang mit krachendem Splittern auseinander, als ein gebündelter Laserstrahl das Schloss zerstörte und die Glasscheiben unter der starken Hitzeeinwirkung platzten. Kapitän Sinarta und etwa fünfzig der ihr ergebenen Soldatinnen stürmten mit Lasergewehren im Anschlag das Rechenzentrum. Thomas Hansen, die Frauen der Wahlkommission und Noras Soldatinnen zuckten erschrocken herum.

„Im Namen der Regierung! Ihr seid allesamt verhaftet!“, rief Sinarta.

Zwei Soldatinnen von Nora und Leka Namina versuchten zu fliehen, Laserstrahlen zuckten durch den großen, hallenartigen Raum, die drei Amazonierinnen brachen getroffen zusammen. Nora, ihre verbliebene Truppe und die Wahlkommission hoben langsam die Hände. Nur Thomas stand wie unbeteiligt da.

„Stehst du auf den Ohren? Patscher hoch!“, brüllte ihn eine Soldatin von Sinarta an. Thomas sah ihr mit solcher Eiseskälte in die Augen, dass Nora neben ihm zu frösteln begann.

„Ich möchte wissen, wer es wagt, einen Abgesandten der Galaktischen Föderation mit der Waffe zu bedrohen?“, fragte er schneidend.

„Sie sind verhaftet!“, fauchte die Soldatin.

„Mit welchem Recht …“

„Mit dem der Stärkeren!“, unterbrach ihn die Soldatin keifend und stieß mit dem Kolben ihres Lasergewehrs zu. Thomas, der im Vertrauen auf seine diplomatische Immunität mit einer unmittelbaren Handgreiflichkeit nicht gerechnet hatte, wurde in der Nierengegend getroffen und ging zu Boden wie ein gefällter Baum.

Der Angriff auf ihn lenkte auch Sinartas übrige Truppe ab, wirkte aber auch wie ein Signal, das Noras Soldatinnen die bisherige Zurückhaltung vergessen ließ. Sie nutzten die kurze Unaufmerksamkeit mit amazonischer Präzision und schossen gezielt um sich. Die Angreiferinnen fanden nicht sofort Deckung und mussten sich aus dem Rechenzentrum zurückziehen. Weil Noras Soldatinnen das Wissenschaftszentrum schon seit längerer Zeit bewachten, kannten sie sich erheblich besser aus als die Anhängerinnen Sinartas. Binnen kurzem waren die Eindringlinge aus dem Wissenschaftszentrum vertrieben. Noras Truppe hatte außer den beim Festnahmeversuch Getöteten keine Verluste, aber sie konnten aus dem Gebäude nicht heraus. Sinartas Soldatinnen hatten sich draußen im Garten und im Hof verschanzt.

Nach einiger Zeit kam Thomas wieder zu sich.

„Verflixt, was war das?“, stöhnte er und rieb sich die schmerzende linke Seite. „Hoffentlich keine Nierenprellung“, setzte er murmelnd hinzu. „Wo bin ich eigentlich?“, fragte er dann. Nora half ihm auf.

„Noch immer im Wissenschaftszentrum. Wir haben zwar die Bänder, aber dafür haben wir zwei Soldatinnen und Leka verloren. Wir kommen hier nicht mehr ‘raus. Sinarta hat ihre Leute in Hof und Garten verteilt. Sie sind gut in der Vegetation versteckt“, klärte sie ihn über die Situation auf.

„Haben wir noch Verbindung nach außen?“

„Nach Megara? Nein.“

„Nach Palavor?“

„Auch nicht.“

„Zu sonst wem?“

„Nein, es hat den Anschein, als hätten sie die Sendeanlage im Turm gestört“, erwiderte Nora und wies auf den bleistiftdünnen Seitenturm, der im Kuppelfenster der Haupthalle noch als Spitze zu erkennen war.

„Gibt’ s hier Kampfrobots?“, fragte Thomas. Nora wurde bleich.

„Jaaaa“, sagte sie gedehnt. „Aber du weißt, was von den S-5-Biestern zu halten ist. Die Burschen sind launisch“, warnte sie.

„Natürlich weiß ich das. Aber wir sind nicht auf Palavor. Ich vermute, dass die schlechte Steuerbarkeit auf den klimatischen Bedingungen von Palavor beruht. Ich fürchte, sie sind die einzige Chance, hier überhaupt herauszukommen“, erwiderte Thomas. Er wusste wohl um die mangelnde Zuverlässigkeit der S 5-Robots, aber bei der Wahl vielleicht von einem ungehorsamen Roboter angegriffen zu werden oder ganz sicher von einer Putschistin attackiert zu werden, entschied er sich dann doch für vielleicht.

Nora nickte.

„Und noch was: Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass der Krieg da ist, den wir eigentlich nicht wollten“, ergänzte sie. Thomas sah sie einen Moment an.

„Nora, in deinem Blick ist ein ganz merkwürdiges Leuchten. Was hat das zu bedeuten?“, fragte er. In seiner Stimme lag Misstrauen.

„Amazonia wird die Unterdrückung der demokratischen Kräfte nicht länger hinnehmen und sich von den Usurpatorinnen Sinarta und Rashogga ein für allemal befreien. Wir werden endlich eine Demokratie schaffen, die der Föderation würdig ist und diesem Mond endlich Frieden bringen“, erklärte sie mit gewisser Leidenschaft.

„Ich wünsche euch viel Erfolg dabei. Aber der Weg zu Frieden und Demokratie führt nicht über einen Krieg“, warnte Thomas. Nora sah ihn von oben bis unten geringschätzig an.

„Typisch Mann!“, funkelte sie ihn an. „Männer verstehen eben nichts von Kriegführung!“

Thomas lachte laut auf, hielt sich aber die prompt schmerzende Seite.

„Schön wär’s!“, lachte er. Dann wurde er ernst. „Nora, dort, wo ich herkomme, führen Männer seit Jahrtausenden Krieg. Seit etwa fünfzig Erdenjahren mischen auch Frauen dabei mit, aber glaub’ mir eins: Zehntausend Jahre Krieg bringen keinen Tag wahren Friedens. Frieden ist notwendigerweise Kompromiss, weil man auch dem anderen Luft zum Leben lassen muss.“

„Hier gibt es keinen Kompromiss. Nur Sieg oder Niederlage!“, versetzte Nora stolz.

„Eben das befürchte ich. Ihr werdet euch gegenseitig zerfleischen – und zwar mit einem Fanatismus, der – jedenfalls auf der Erde – typisch ist für Glaubensbewegungen. Oder für Frauen, die zu sehr in die Enge getrieben worden sind“, erwiderte Thomas. „Aber es ist beruhigend, dass die Menschheit auf Terra nicht allein diesen Fehler macht“, setzte er seufzend hinzu. „Andererseits macht es mich betroffen, denn ich hatte gehofft, die Föderation wäre besser. Schade, sie ist es nicht“, sagte er dann.

Nora wurde plötzlich bleich.

„Bei den Göttern von Mingon! Die Vernichtungsflotte!“, entfuhr es ihr.

„Die hättet ihr bald vergessen, was?“, schmunzelte Thomas.

„Verdammt! Das Damoklesschwert hätte ich wirklich fast vergessen!“, fluchte Nora leise.

„Damoklesschwert? Ist das so interstellar, dass sich dieser irdische Spruch schon bis zur Wega herum geschwiegen hat?“, fragte Thomas verblüfft.

„Ach, das stammt von den Alten, denk’ dir nichts dabei“, wehrte Nora ab. Sie war nicht in der Stimmung, ihm jetzt von der Geschichte ihres Volkes zu erzählen.

„Na schön, ein anderes Mal. Nora, der Aufstand muss ganz schnell, unauffällig und möglichst ohne Blutvergießen beendet werden, sonst habt ihr wirklich die Sechste Flotte vor der Tür.“

„Kannst du im Rat nichts für uns erreichen?“

„Wenn du die Gesetze kennst, wirst du mir zustimmen, dass nur ein schnelles Ende der Keilerei Kilma Gribor die Möglichkeit nimmt, angeblich unnütze Völker auszurotten“, gab Thomas zu bedenken. „Wo sind die Robots?“

„Willst du wirklich …?“, erkundigte sich Nora.

„Wir haben wohl nicht viel Alternativen. Zunächst mal muss ich hier lebend ‘raus, damit ich dem Frosch noch auf die Finger klopfen kann.“

„Hoffentlich hat der Roboteinsatz nicht den umgekehrten Effekt“, orakelte Nora düster. Sie gab ihrer Sergeantin einen Wink.

Die Unteroffizierin aktivierte mit einigen Soldatinnen von einer Computerkonsole in der Halle aus die S-5-Robots, die im Kampfstand ein Stockwerk tiefer standen. Sekunden später hörten sie die Robots kommen.

„Deckung! Die Robots kommen!“, rief die Sergeantin. Alle in der Haupthalle sprangen hinter Computeranlagen, Konsolen und Datenschränke, hinter Wandvorsprünge oder Türpfosten und blieben reglos stehen oder liegen. S 5 traute niemand so recht. Thomas lag hinter einem Steuerpult und beobachtete die Kampfroboter, die aus dem Keller kamen.

Acht flexibel wirkende Beine mit leicht verbreiterten, runden Füßen trugen eine kugelförmige Vernichtungsmaschine, die rundum Kontrolle hatte. Die äußere Gestalt der Kampfrobots glich monströsen Tintenfischen – nur, dass sie nicht schwammen, sondern wie eine Herde Elefanten stampften und auch nicht nur harmlose Tinte ausstießen, sondern mit allem bewaffnet waren, was die Waffentechnik der Galaktischen Föderation an kleinformatigen Schießanlagen zu bieten hatte – einschließlich eines kleinen Protonentorpedos. S 5 konnten vorwärts und rückwärts gleichermaßen gut arbeiten, so dass es kein vorn oder hinten im eigentlichen Sinne gab.

Zu überlisten waren diese Monster aus Metall und Kunststoff nur, wenn ein einzelnes Objekt sie umkreiste – Thomas hatte das auf Palavor ausprobiert. Das Gefährlichste an ihnen war ihr Bewegungsmelder, dessen Freund-Feind-Erkennung allzu häufige Aussetzer hatte. Aber vor allem in der gegenwärtigen Situation würde auch ein intakter Kennungsgeber wenig nützen, schließlich wurden die Robots von Amazonierinnen gegen Amazonierinnen eingesetzt und konnten schon deshalb Freund und Feind nicht unterscheiden. Um den Einsatz überhaupt möglich zu machen, hatten die Soldatinnen die Kennung blockiert. Sobald die Robots auf Lebensanzeichen stießen, würden sie solange schießen, bis sich nichts mehr bewegte – es sei denn, man stoppte sie per Fernsteuerung. Weil auch die nicht immer hundertprozentig anschlug, riskierte ein Robotoperator gelegentlich sein Leben. Verständlich, dass speziell die Serie S 5 von den Raumsoldaten nicht sonderlich geliebt wurde.

Die Robots marschierten zielstrebig aus dem Wissenschaftszentrum hinaus und schossen auf alles, was ein Lebenszeichen von sich gab. Sinarta erkannte die Gefahr.

„Alles flach hinlegen!“, befahl sie. Ihre Soldatinnen ließen sich fallen und bewegten sich nicht mehr. Doch so einfach ließen sich S 5 Robots auch nicht täuschen. Hatten sie einmal eine Bewegung ausgemacht, schaltete sich automatisch ein Lebensanzeiger ein, der den Robot steuerte und der sich erst wieder ausschaltete, wenn im Umkreis von etwa hundert Metern um den Robot kein organisches Leben über einer gewissen einzelnen Masse mehr vorhanden war. Die Robots pausierten nur kurz, bis die Lebensanzeiger für die Erfüllung des Auftrages einen zu hohen Anteil organischen Lebens registrierten, dann zuckten wieder Laserblitze aus den Kampfmaschinen. Sinarta und ihre Soldatinnen bemerkten den tödlichen Fehler und suchen ihr Heil in der Flucht, ließen wenigstens zwanzig Tote zurück. Da die Robots nur eine geringe Marschgeschwindigkeit hatten, verloren die Lebensanzeiger den notwenigen Führkontakt, verfolgten sie die Flüchtenden nur wenige hundert Meter. Dann blieben sie stehen, blinkten aber noch bedrohlich.

Auf einem Bildschirm im Wissenschaftszentrum hatte die Sergeantin das Geschehen draußen verfolgen können und die Flucht der Sinartistinnen bemerkt.

„Sie sind weg, Oberleutnant Rosok. Ihre Befehle?“

„Deaktivieren und zurückkehren lassen!“, wies Nora die Unteroffizierin an. „Lass noch zwei abgeschaltet als Posten draußen.“

„Jawohl“, bestätigte die Sergeantin. Im Wissenschaftszentrum wurde es wieder ganz still, niemand bewegte sich, solange die Robots durch die Halle in den Keller zurückmarschierten.

„Könnte funktioniert haben“, mutmaßte Nora. Dann gab sie Thomas den Koffer mit den Datenbändern.

„Bitte“, sagte sie, „diese Bänder sind unsere einzige Chance, dass weder Sinarta noch Rashogga anerkannt werden. Du musst den Rat überzeugen, dass sie es nicht tun. Meine Sergeantin wird dich zum Raumhafen begleiten.“

„Und was ist mit dir und deinen Mädchen?“

„Es lässt sich nicht leugnen: Wir haben den Krieg, den wir nicht haben wollten – ob du es mir jetzt glaubst oder nicht. Wir werden den Widerstand organisieren. Je schneller du die Bänder dem Rat vorlegen kannst, desto schneller kann er Föderationsmilitär schicken, um hier Ordnung zu schaffen. Bitte darum, eine Ratskommission nach Amazonia zu schicken, die uns hilft, eine wirkliche Demokratie aufzubauen. Ich weiß, dass wir es aus eigener Kraft nicht hinkriegen“, bat Nora.

„Klingt nicht mehr ganz nach der stolzen Kriegerin. Ich will sehen, was ich tun kann“, versprach Thomas.

„Kein Versprechen?“, fragte Nora nach.

„Ich kann nichts versprechen, weil es nicht in meiner Hand allein liegt. Aber ich will versuchen, den Rat zu überzeugen.“

Nora wollte noch etwas einwenden, aber Thomas wehrte ab.

„Nora, ich bin kein erfahrener Politiker, der die Milch aus der Milchstraße herunter verspricht und es nicht halten kann, weil’s da keine Milch gibt. Versprechen kann ich nur, was in meiner Macht steht. Und in meiner Macht steht, dass ich die Angelegenheit im Rat vortrage und euer Problem deutlich mache. Einen positiven Ausfall der Abstimmung kann ich nicht zusagen.“

Nora sah ihn geradeheraus an.

„Mir ist schon mancher Föderationspolitiker begegnet, aber noch keiner hat so geredet wie du. Wärst du nicht ein terranischer Mann, hättest du gute Chancen, Amazonia zu regieren“, sagte sie.

„Was ist das Hindernis? Dass ich Terraner bin oder dass ich ein Mann bin?“

„Beides ist auf Amazonia unverzeihlich“, seufzte Nora. „Es ist besser, wenn du jetzt fährst – bevor Sinartas Wachen wieder klar denken können“, setzte sie dann hinzu.

Sie traten aus dem Wissenschaftszentrum. Nora blieb am oberen Ende der Rampe zwischen den beiden deaktivierten Kampfrobotern stehen. Thomas verabschiedete sich und ging mit Noras Sergeantin die Rampe hinunter zu einem der unten abgestellten Gleiter. Im Glas der Gleiterkuppel sah Thomas ein Licht an dem rechten Roboter aufleuchten. Verwundert drehte er sich um, war er doch überzeugt, dass beide Robots abgeschaltet waren. Noch in der Drehung nahm Hansen wahr, dass ein Laserkolben aufglühte, aber dem auf ihn zuschießenden Strahl konnte er nicht mehr ausweichen. Seine spontane Reaktion, den persönlichen Schutzschild zu aktivieren, rettete ihm zwar das Leben, kam aber zu spät, um eine Verletzung zu verhindern. Der Laserstrahl traf ihn an der rechten Seite, bohrte sich mit tödlicher Präzision in seinen Leib, bis der aktivierte Schutzschild den Strahl unterbrach. Ein ungeheurer Schmerz packte Thomas, der mit einem Aufschrei zu Boden ging und sofort das Bewusstsein verlor.

Sämtliche Soldatinnen standen wertvolle Sekundenbruchteile wie zu Salzsäulen erstarrt. Dann reagierte Nora, befahl ihren Soldatinnen, sich hinzuwerfen, die dem Befehl auch sofort nachkamen, riss ihre Laserpistole aus dem Halfter und schoss auf eine kaum sichtbare Kuppelkonsole unter dem Rumpf des Robots. Der Schuss zerstörte die Steuereinheit der Kampfmaschine, die wild und unkontrolliert zu leuchten begann und sich um sich selbst drehte, sich dabei mit den Beinen verhakte, stürzte – und in einem wahren Laserfeuerwerk auch den zweiten Robot vor der Tür zerstörte. Die Trümmer der Kampfmaschinen fegten über die flach an den Boden gedrückten Soldatinnen hinweg, ohne jedoch noch jemanden zu verletzen.

Der Spuk hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber er hatte katastrophale Folgen. Thomas war lebensgefährlich verletzt. Wegen des aktivierten Schutzschildes kamen die Soldatinnen nicht einmal an ihn heran, um die Blutung zu stillen. Schließlich hatte Rema eine Idee: Der Schild war für feste Gegenstände nicht undurchdringlich, aber sie wurden sehr stark gebremst. Nur mit viel Geduld und gewisser Kraft konnte man feste Gegenstände langsam durch den Schild manövrieren. Sie schlug vor, den Schutzschildgenerator vorsichtig mit einem Greifer aus der Hosentasche zu ziehen und auszuschalten. Die zerstörten Robots hatten Greifarme und drei davon waren bei der Explosion abgesprengt worden. Mithilfe eines Arms deaktivierten sie den Schutzschild und konnten wenigstens notdürftig Erste Hilfe leisten.

„Er muss sofort zurück nach Palavor“, bemerkte Rema. „Er muss dringend in ein Krankenhaus. Auf Amazonia wäre er nicht sicher, zumal wir keine Einrichtungen für die Behandlung von Terranern haben.“

Nora sah Thomas eine Weile an.

„Wir müssen alle von hier weg. Ohne Verstärkung haben wir gegen Sinarta und ihre Ameisen keine Chance. Los, schnappt euch die Gleiter! So schnell es geht zum Raumhafen!“, befahl sie.

Sie verluden Thomas in einen der Gleiter, dann fuhr eine Kolonne von zehn Gleitern mit Höchstgeschwindigkeit zum Raumhafen.

Auf halbem Wege hatten sie bereits Polizei und weitere Soldatinnen aus Sinartas Anhängerschaft auf den Fersen, die bei der wilden Verfolgungsjagd schließlich einen der zehn Gleiter flugunfähig schossen. Bevor die Besatzungen der flüchtenden Gleiter um die nächste Ecke verschwanden, konnten die Insassen des letzten davongekommenen Fahrzeuges gerade noch sehen, dass zwei Überlebende aus dem Gleiterwrack gezogen und an Ort und Stelle erschossen wurden. Als Nora über Bordfunk die Information erhielt, war ihr klar, dass sie und ihre Soldatinnen Ausgestoßene waren, wenn nicht die Anhänger Surinas eingriffen.

Am Raumhafen gab es die nächste Schießerei mit sinartatreuen Truppen, die weitere drei Soldatinnen Noras das Leben kostete. Die verbliebenen zwanzig retteten sich, die Computerbänder und den verletzten Thomas in eine Transporterfähre und konnten in den Orbit entkommen, wo die Ganymed in einer Umlaufbahn auf Thomas Hansen wartete.

Wohl wissend, dass die Transporterfähre nicht für einen Interstellarflug geeignet war, wandte Nora sich an Commander Fowler. Hugh Fowler hatte das Geschehen am Raumhafen schon auf den Monitoren beobachtet und war auf einem Kurs, der den der Transporterfähre kreuzte. Die Ganymed nahm die Transporterfähre auf, Fowler ließ mit maximaler Impulsgeschwindigkeit aus dem Gravitationsfeld von Amazonia und seinem Mutterplaneten steuern und war schon im Hyperraum, als die ersten Verfolger aus der Atmosphäre von Amazonia aufstiegen.

Kapitel 8

Fatales Gesetz

Während des Fluges nach Palavor diskutierten nicht nur die Amazonierinnen über die Frage wie es zu dem Unfall mit dem Robot hatte kommen können und was nun aus Amazonia werden würde. Nie war die Gefahr größer gewesen, dass die Sechste Flotte gegen den Mond eingesetzt wurde, als jetzt: der Mond praktisch im Kriegszustand, ein Vertreter der Galaktischen Föderation angegriffen und schwer verletzt. Ob es nun ein Unfall war oder der Robot von einem Unbekannten gesteuert worden war, würde das den Rat überhaupt interessieren?

Nora Rosok und Hugh Fowler patrouillierten unruhig vor der Krankenstation des Raumkreuzers. Seit einer Stunde versuchte Dr. Ramanzadeh, der Schiffsarzt, Hansens Zustand wenigstens zu stabilisieren, um eine Operation überhaupt möglich zu machen. Unvermittelt öffnete sich die Tür und Dr. Ramanzadeh kam heraus.

„Was ist, Doktor?“, fragte Fowler gespannt. Ramanzadeh zuckte mit den Schultern.

„Es sieht nicht besonders gut aus. Die Leber ist zwar verletzt, aber sie kann sich einigermaßen regenerieren. Schlimmer ist der starke Blutverlust. Wir haben keine Blutkonserven mit seiner Blutgruppe an Bord. Dazu kommt die Gefahr einer möglichen Infektion mit Viren in der amazonischen Atmosphäre, von denen einige für Terraner durchaus tödlich sein können. Ich habe die Wunde mit Zellplasma geschlossen, weil die zerstrahlte Muskulatur auf das Laserschweißgerät nicht mehr angesprochen hat. Wir haben ihn in ein künstliches Koma versetzt und werden ihn beobachten.“

„Welche Blutgruppe hat Kreuzerkommandant Hansen?“, erkundigte sich Fowler.

„B Rhesus negativ“, gab der Arzt Auskunft. „An Bord dieses Schiffes gibt es keinen, der diese Blutgruppe hätte, ich habe das schon vorsorglich überprüft.“

„Verdammt!“

„Vielleicht hat eine von meinen Soldatinnen …“, setzte Nora an, aber Dr. Ramanzadehs Kopfschütteln ließ sie schweigen.

„Es würde nichts nützen, weil es sich nicht um terranisches Blut handelt. Da könnte ich ihm genauso gut denebisches Blut eintrichtern. Nein, wir können nur hoffen, dass wir ihn lebend nach Palavor bringen. Wann werden wir dort sein?“

Fowler sah auf die Standarduhr.

„In zwölf Standardstunden“, gab der Commander Auskunft.

„Setzen Sie sich bitte mit dem Flottenhauptquartier in Verbindung, dass im Krankenhaus schon alles vorbereitet wird. Wenn wir gelandet sind, darf es keine Verzögerung mehr geben“, bat Dr. Ramanzadeh.

„Werde ich sofort tun“, versprach Fowler. „Komm, Nora. Gehen wir auf die Brücke.“

Im Raumdock von Palun wartete schon der Ambulanzgleiter auf das angekündigte terranische Kugelraumschiff. Die Dockbrücken waren noch nicht ganz ausgefahren, als die Ambulanz schon an einer seitlichen Luftschleuse andockte. Nur zwei Minuten nach der Landung flog der Ambulanzgleiter schon mit Alarmsignal und Höchstgeschwindigkeit nach Palun hinunter zum Krankenhaus. Kaum war der Krankengleiter weg, als Admiral Luk-Sun persönlich durch die Dockbrücke in den Antigrav-Aufzug stürmte und sich zur Brücke bringen ließ.

„Habt ihr eigentlich den Verstand verloren?“, polterte er grußlos, als sich die Lifttür in der Brücke öffnete. „Seid ihr Amazonierinnen von allen guten Raumgeistern verlassen? Welcher Teufel hat euch eigentlich geritten, einen Ratsvertreter beinahe umzubringen? Wollt ihr mit aller Gewalt Gribors Strafflotte auf dem Hals haben?“

Nora sah den Admiral erschrocken und beleidigt an.

„Nur zu!“, versetzte sie dann. „Immer die beschimpfen, die den Karren noch aus dem Dreck gezogen haben! Den Aufstand hat Sinarta ausgelöst. Sie hat mit ihren Anhängerinnen das Wissenschaftszentrum angegriffen, als ich Senator Hansen die Speicherbänder mit den Wahldaten gezeigt habe. Sinarta hatte keine Sekunde die Absicht, die diplomatische Immunität des Senators zu achten. Wir mussten ihn schützen.“

„Das ist euch ja großartig gelungen!“, fauchte der Admiral. „Senator Hansen ist schwer verletzt und Sie erzählen mir, Sie hätten ihn geschützt!“

„Gaul, die Sache bedarf der Erklärung. Wollen Sie Oberleutnant Rosok das erläutern lassen?“, schaltete sich Fowler ein.

„Schießen Sie los!“, forderte Luk-Sun die Amazonierin auf.

„Sinarta attackierte das Rechenzentrum, Tho…, äh, Senator Hansen berief sich auf seinen Diplomatenstatus, wurde aber niedergeschlagen. Es gelang uns, Sinartas Wachen aus dem Gebäude zu vertreiben, aber sie blieben vor der Tür. Wir haben S 5 eingesetzt, die die Angreiferinnen vertrieben, damit Senator Hansen mit den Datenbändern unbeschadet Amazonia verlassen konnte. Als er das Gebäude verließ, erwies sich einer der S 5 als – mal wieder – defekt. Ohne dass wir ihn eingeschaltet hätten, aktivierte er sich selbst und schoss sofort auf den Senator, der nur deshalb überhaupt noch lebt, weil er in einer Blitzreaktion seinen Personenschutzschild aktivieren konnte. Wir hatten einige Mühe, den Schild auszuschalten, um die Blutung halbwegs zum Stillstand zu bringen. Das hat gedauert, deshalb hat er so viel Blut verloren. Auf Amazonia wäre er nicht sicher gewesen, deshalb mussten wir ihn sofort wegbringen. Das ist uns kaum zum Vorwurf zu machen, denke ich. Und an Bord der Ganymed war keine Blutkonserve mit der passenden Blutgruppe – aber dafür können wir auch nichts!“

„Und wie geht es ihm im Augenblick?“, erkundigte sich der Admiral, nun wesentlich sachlicher.

„Dr. Ramanzadeh konnte den Zustand stabilisieren, aber die Leber ist verletzt; er muss dringend operiert werden“, gab Fowler Auskunft.

„Möge der Raumgeist helfen“, seufzte Luk-Sun.

Im Krankenhaus kämpfte ein terranisches Ärzteteam gegen die Zeit, die ihnen blieb, um Thomas’ Leben zu retten. Die Notversorgung auf Amazonia mit wesensfremden Stoffen hatte ihm erheblich geschadet, wenngleich er ohne die schnelle Hilfe mit Sicherheit nicht mehr gelebt hätte. Auch die Zellplasmaten, mit denen Dr. Ramanzadeh die Wunde geschlossen hatte, hatten nicht die richtige Genstruktur gehabt und bewirkten eher noch eine Zerstörung körpereigenen Gewebes. Während ein Chirurg die verletzten Teile der Leber entfernte, nahm ein anderer die Zellplasmaten ab und behandelte sie in einem Genwandler, bis sie die gleiche Genstruktur aufwiesen wie eine zum Vergleich abgenommene Gewebeprobe des Verletzten. Dann schlossen sie die Wunde mit den gentechnisch veränderten Plasmaten. Die Ärzte atmeten auf, als die Pfleger den Operierten zur Intensivstation rollten.

Palavor war eine Welt, auf der die Zeit nach dem Sonnenstand nicht zu messen war, weil der Planet im Verhältnis zu seiner Sonne stillzustehen schien. So rechnete man die Zeitabschnitte nach der galaktischen Standardzeit, sofern Zeitangaben gegenüber Orten notwendig waren, die außerhalb von Palavor lagen. Für die planetare Zeit hatte sich den Kolonisten eine Einteilung nach Mondaufgängen angeboten. Palavor hatte fünf Monde, die in nur wenig versetzten Umlaufbahnen den Mutterplaneten direkt über der Zwielichtzone umkreisten. Die Abstände zwischen den Aufgängen der Trabanten waren so gering, dass sie nacheinander am südlichen Horizont aufgingen und im Laufe eines Mondtages alle sichtbar wurden. Der Tag begann mit dem Aufgang des ersten Mondes und endete mit dem Untergang des fünften Trabanten, auf den unmittelbar wieder der erste Mond im Süden erschien. Die Stunden wurden in Mondauf- und -untergängen gezählt, so dass ein voller Tag auf Palavor zehn Stunden hatte. Zudem entsprach der Durchlauf aller fünf Monde in etwa jeweils einem Galaktischen Standardtag. Für die in der Zwielichtzone liegenden Städte ergaben sich dadurch ebensolche Zeitzonen wie auf jedem anderen Planeten, auf dem der planetare Tag nach seiner eigenen Umdrehung gegenüber seinem Zentralstern gemessen wurde

Thomas war beim vierten Monduntergang ins Krankenhaus eingeliefert worden. Als der letzte der fünf Monde Palavors wieder aufgegangen war, besuchten Nora und Hugh Thomas in der Klinik. Die Intensivbehandlung war gerade eine Stunde vorher beendet worden.

„Wie fühlst du dich?“, erkundigte sich Hugh.

„Ich habe Schmerzen, aber das dürfte bei dem Loch, das mir die Schwester bei der Plasmatenwäsche gezeigt hat, nicht ungewöhnlich sein“, erwiderte Thomas leise.

„Das müsste doch zu sein“, wunderte sich Fowler. Thomas schlug die Bettdecke ein Stück zurück und zog das Klinikhemd hoch. An der rechten Bauchseite war eine handgroße Fläche mit dem Plasmaverband abgedeckt, der etwas dunkler war als die umgebende Haut, eine gröbere Struktur hatte und wenigstens zehn Zentimeter Durchmesser hatte.

„Der Verband deckt die Wunde mit drei Zentimeter Randbefestigung ab. Bleiben gut vier Zentimeter Loch“, erklärte Thomas.

„Sieht nicht sehr lecker aus“, bemerkte Hugh angewidert. Einen Plasmaverband sah er zum ersten Mal.

„Das bleibt nicht so“, beruhigte Nora. „Diese Plasmaten integrieren sich auf Dauer in den Körper und nehmen die gleiche Struktur an. Es dauert ungefähr vier galaktische Monatseinheiten, dann ist von der Schussverletzung keine Spur mehr sichtbar“, erklärte sie.

„Nora, Hugh! Tut mir bitte einen Gefallen: Bringt die Datenbänder sofort nach Megara, damit umgehend die Wahl angefochten wird und über eine Neuwahl entschieden werden kann – bevor Gribor vom Aufstand Wind bekommt“, bat Thomas. Fowler nickte, aber Nora schüttelte betrübt den Kopf.

„Das können wir nicht, Thomas“, sagte sie. Hugh und Thomas sahen sie verblüfft an.

„Warum nicht?“, fragten sie wie aus einem Munde.

„Weil die Wahl nur von der Vorsitzenden der Wahlkommission oder dem mit der Untersuchung beauftragten Ratsmitglied angefochten werden kann. Leka ist tot, du bist der Ratsbeauftragte. Die einzige Chance wäre, dass der Rat einen Beschluss fasst, ein anderes, auf Palavor befindliches Mitglied des Galaktischen Rates als Ersatz für dich zu benennen“, erwiderte sie.

Thomas drückte einen Knopf an der Bettseite. Auf dem Visioschirm gegenüber seinem Bett erschien eine Mitarbeiterin der Funkabteilung.

„Visiozentrale“, meldete sie sich. „Was kann ich für Sie tun?“

„Kreuzerkommandant Hansen, Zentralkrankenhaus. Können Sie mir eine Visioverbindung nach Megara geben?“

„Im Augenblick nicht. Die Satellitenverbindung ist gestört.“

„Dann geben Sie mir bitte Admiral Luk-Sun“, bat Thomas.

„Einen Moment bitte.“

Es dauerte eine Weile, dann erschien der massive Kopf des Admirals auf der Mattscheibe.

„Luk-Sun“, meldete er sich.

„Guten Tag, Admiral. Hier Hansen aus dem Krankenhaus.“

„Schön, dass Sie sich melden. Wie geht es Ihnen?“

„Nicht besonders gut, wenn ich ehrlich bin. Ist irgendwie nach Megara Verbindung zu bekommen?“, gab Thomas zurück.

„Nein, dieser dreimal verdammte Satellit hat mal wieder den Geist aufgegeben. Die Techniker sind vor einer halben Stunde in den Orbit gestartet, aber ich nehme nicht an, dass sie den Fehler bis heute Abend behoben haben“, antwortete der Admiral.

„Für den Fall, dass sie es versehentlich schaffen sollten: Gibt es zurzeit auf Palavor außer mir noch jemanden vom Galaktischen Rat?“, erkundigte sich Thomas.

„Nein, Sie sind im Moment der Einzige. Warum?“

„Wir haben von Amazonia die Kontrollkopien der Wahldatenbänder mitgebracht. Sie müssen so schnell wie möglich von einem dazu beauftragten Ratsmitglied nach Megara gebracht werden. Die Bänder sind der Beweis, dass die Wahlen manipuliert wurden. Der Ratsbeauftragte muss die Wahlwiederholung beantragen.“

„Es müsste also jemand von Megara kommen. Das würde sechs Galaktische Tageseinheiten dauern, bis er hier ist. Wie lang ist die Einspruchsfrist eigentlich noch?“

Thomas sah Nora an, die recht blass war.

„Was ist?“, fragte er.

„Das wäre zu spät“, sagte sie erschrocken. „Die Wahl war vor knapp drei Wocheneinheiten. Wenn nicht bis zum Ende der vierten auf die Wahl folgenden Woche Einspruch erhoben wird, ist die Wahl gültig. Amazonisches Wahlgesetz.“

„Das heißt, wenn nicht spätestens morgen jemand nach Megara fliegt, ist die Frist abgelaufen? Verstehe ich das richtig?“, hakte Thomas nach.

„Genau das!“, antwortete die Amazonierin.

„Dann sind Sie der Einzige, der noch eine Katastrophe verhindern kann“, bemerkte Luk-Sun.

„Unmöglich! Mit dem Laserloch im Fell kann ich nicht sechs Tage durch den Raum gondeln!“, widersprach Thomas.

„Wenn Sie nicht können, wird die Amazonia-Wahl gültig – mit allen furchtbaren Folgen, die daraus entstehen“, gab der Admiral zu bedenken.

„Nora, was wäre eigentlich, wenn ich schon auf Amazonia krepiert wäre?“, fragte Thomas.

„Ganz einfach: Sinarta wäre unanfechtbar Präsidentin!“

„Danke, ich hab’ verstanden. Gibt es ein Schiff, das die Strecke schneller als in sechs Tageseinheiten schafft?“, wandte sich Thomas an den Admiral.

„Die Europa von Commander Calvari ist etwas schneller. Mit der könnten Sie es in fünfeinhalb Tagen schaffen. Sie ist im Moment hier.“

„Danke, Herr Admiral. Informieren Sie Commander Calvari?“

„Ja. Ich schicke Ihnen auch einen Gleiter“, versprach Luk-Sun.

Das Visio erlosch und Thomas klingelte nach der Schwester, die auch gleich kam.

„Herr Hansen?“

„Ist der operierende Arzt zu sprechen?“

„Ja, einen Moment.“

Wenig später war der Arzt zur Stelle.

„Ich bin Dr. Malcolm. Was kann ich für Sie tun?“

„Mir einen ärztlichen Rat geben. Doktor“, bat Thomas. „Umstände zwingen mich, sofort nach Megara zu reisen. Wie sieht Ihre Einschätzung dazu aus?“

Dr. Malcolm sah Thomas zweifelnd an.

„Unbedingt sofort?“, fragte er nach.

„Juristische Fristen zwingen mich. Es geht wirklich nicht anders.“

„Es wäre besser, wenn Sie noch eine Wocheneinheit im Bett bleiben. Die Verwundung ist richtig gefährlich, Herr Hansen“, warnte der Arzt.

„Mir wäre das auch lieber. Aber wenn ich nicht reise, gibt es – ohne Übertreibung – eine Katastrophe im WEGA-System. Die Ausschlussfristen sind so knapp, dass kein vom Rat legitimierter Ersatzmann mehr einspringen kann. Welche Möglichkeiten gibt es, mich soweit herzustellen, dass ich morgen fliegen kann?“

„Nun, die Möglichkeit besteht bereits jetzt grundsätzlich, und sie lässt sich auch nicht mehr entscheidend verbessern, aber es wird unangenehm für Sie.“

„Und worin besteht die Unannehmlichkeit?“, erkundigte sich Hugh.

„Die Zellplasmaten, mit denen wir die Wunde verschlossen haben, bewirken die Heilung des geschädigten Gewebes. Aber diese Plasmaten müssen praktisch jede Galaktische Tageseinheit mit einer Lösung gewaschen werden, die reinigend wirkt und die Plasmaten gleichzeitig ernährt, solange der Integrationsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Diese Lösung ist aber nicht haltbar und muss täglich frisch hergestellt werden. Die Krankenstationen in den Raumkreuzern verfügen nicht über Laboreinrichtungen, in denen die Lösung produziert werden kann. Folglich müssten Sie sechs Tageseinheiten ohne die Plasmatenwäsche auskommen. Das ist nicht unmöglich, verhungern tun die Plasmaten deshalb nicht gleich, aber wenn sie nicht mit der Lösung abgewaschen werden, geraten sie in Stress und scheiden nach spätestens drei Tageseinheiten Enzyme aus, die starkes Unwohlsein, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Wundschmerzen verursachen. Wenn Sie im Rat reden müssen, wird das nicht gerade von Vorteil sein“, warnte Dr. Malcolm.

„Und wenn ich mich auf Megara gleich einer Plasmatenwäsche unterziehe?“

„Die Enzyme sind dann freigesetzt und werden Sie wenigstens eine Woche beeinträchtigen“, antwortete der Arzt.

„Danke für die Auskunft, Doktor. Ich muss es riskieren.“

„Na schön, ich habe Sie gewarnt. Ich gebe Ihnen ein Stärkungsmittel, damit Sie wenigstens zum Raumhafen kommen.“

Thomas akzeptierte dankend, Dr. Malcolm gab ihm eine Injektion. Es dauerte auch nicht lange, bis das Mittel wirkte und Thomas in der Lage war, sich den Bordanzug anzuziehen. Nora und Hugh begleiteten ihn zum Raumhafen.

 

Kapitel 9

Forschergeist

 

Nora folgte ihm ins Schiff und trug den Koffer mit den Bändern.

„Danke, dass du mir den Koffer noch bis zur Kabine trägst“, bedankte sich Hansen. Nora schüttelte den Kopf.

„Nein, ich komme mit. Du bist verwundet. Wenn etwas passiert, sollte jemand in der Nähe sein, der dich verteidigen kann.“ erwiderte die Amazonierin. Thomas überlegte nicht lange. Zwar hätte ihn die Mannschaft der Europa auch verteidigen können, aber wenn er über die seltsame Frauengesellschaft von Amazonia mehr erfahren wollte, konnte Nora ihm am besten die nötigen Hintergrundinformationen geben. Dass sie eine Soldatin war, die nicht vorbeischoss, war ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt.

„Der Admiral ist unterrichtet?“, fragte er vorsichtshalber nach.

„Nein, aber ich werde ihn gleich von Bord aus anrufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mir die Genehmigung nicht gibt“, erwiderte sie.

„Schön. Wenn Luk-Sun dich lässt, ernenne ich dich zum hauptamtlichen Bewacher der Datenbänder. Falls mir etwas zustoßen sollte, bist du für den Krempel verantwortlich.“

Nora salutierte, wie es auf Amazonia üblich war: Sie kreuzte die Hände über der Brust und verneigte sich steif.

„Jawohl“, bestätigte sie den Auftrag.

„Nora, du tätest mir einen großen Gefallen, wenn du nicht so militärisch reagieren würdest“, lächelte Thomas. Sie sah den Terraner verblüfft an.

„Bitte? Seit deiner Beförderung bist du ein ranghöherer Offizier. Also habe ich entsprechend zu grüßen, wenn du mir einen Auftrag gibst. Ausnahmen lässt das föderative Militärrecht nicht zu.“

„Erstens hat uns niemand gesehen, der dir dafür ein Verfahren anhängen könnte und zweitens würde ich in diesem Falle ausdrücklich auf die Ehrenbezeigung verzichten“, erwiderte Thomas sanft.

„Trotzdem – ich will es gar nicht einreißen lassen, das zu vergessen.“

„Na gut. Lässt das föderative Militärrecht zu, dass du zu einem ranghöheren Offizier, der erstens ein Mann ist und zweitens einer anderen galaktischen Rasse angehört, in die Kabine gehst?“, fragte Thomas. Der Lift hielt und sie traten in den Kabinenflur hinaus.

„Wie meinst du das?“

„Nun, ich möchte gern mehr über Amazonia, seine Geschichte und seine Kultur wissen. Das kann ich nur von dir erfahren. Und ich muss es bald wissen, bevor diese niedlichen Plasmaten in Stress geraten und mir Kalamitäten machen. Jede Information, die ich mir notieren kann, bevor mein Denkvermögen aussetzt, kann für die Rettung deines Volkes wertvoll sein“, sagte Thomas und öffnete die Kabinentür.

Nora sah ihn an. Die nüchterne, kühle Art, in der er mit den Folgen seiner Verwundung umging, ließ ihn in ihren Augen zum geborenen Soldaten werden. Es wirkte seltsam auf sie, dass ein Wesen, dass es in dieser Ausprägung auf Amazonia nicht gab, ein so guter Soldat sein konnte. Es gab zudem nicht viele Wesen in der Föderation, die den Amazonierinnen nicht mit unverhohlenem Misstrauen begegneten. Die Frauengesellschaft war deshalb im privaten Bereich weitgehend isoliert – sah man von den manchmal allzu stürmischen Annäherungsversuchen Igor Pretjakoffs ab. Ein Gespräch mit Thomas bot die Chance, mehr über die Erde und ihre Bewohner zu erfahren.

„Nein, es spricht nichts dagegen.“ erwiderte sie.

Thomas machte eine einladende Handbewegung und ließ Nora vorgehen. Die Tür glitt geräuschlos zu, Thomas ging gleich an die Kommunikationsanlage.

„Kabine zwölf an Brücke. Kreuzerkommandant Hansen und Oberleutnant Rosok melden sich an Bord. Simonetta, du kannst starten.“

„Brücke an Kabine zwölf, Commander Calvari“, meldete sich die Italienerin. „Willkommen an Bord. Thomas, du wirst mir doch nicht in Igors Fußstapfen treten?“

„Die, die du meinst, sind mir ein paar Nummern zu groß, Simonetta. Nora begleitet mich, weil wir die Datenbänder von Amazonia bei uns haben und ich leider einen Unfall hatte.“

„Du bist verletzt?“, fragte Simonetta besorgt nach.

„Laserloch im Fell“, erwiderte Thomas. „Tu mir den Gefallen und schüttle uns nicht zu sehr. Das halten die Plasmaten nicht aus.“

„Ist gut. Ich werde vorsichtig fliegen. Wie eilig hast du’s?“

„Hol’ raus, was in ihr steckt. Ich habe nur sechs Tage Zeit um diese krumme Wahl anzufechten.“

„Wird gemacht. Hinsetzen, anschnallen. Countdown zehn Minuten ab jetzt“, warnte Simonetta.

„Danke, gib uns bitte noch eine Visioverbindung zum Admiral.“

Simonetta ließ durch den Raumüberwachungsoffizier eine Verbindung nach Kabine zwölf schalten, Nora bat um die Erlaubnis, Thomas nach Megara begleiten zu dürfen und bekam sie.

Sie setzten sich in die Andruckliegen und schnallten sich an. Über das Intercom hörten sie die leidenschaftslose Stimme des Startcomputers beim Countdown:

„… fünf, vier, drei, zwei, eins, null.“

Im gleichen Moment hob die Europa ab und verließ mit maximal möglicher Impulsgeschwindigkeit den Gravitationsbereich von Palavor. Der Druck des Starts wurde durch Gravitationsausgleichsstabilisatoren weitgehend gemildert und war unter normalen Umständen nicht stärker als bei der Beschleunigung eines Kraftfahrzeugs, das mit Kavalierstart nach dem Ampelstopp losbraust, aber Thomas hatte schlimme Schmerzen, die erst nachließen, als der Kreuzer den Sprung durch die Lichtmauer in den Hyperraum gemacht hatte und der starke Anzug zurückgenommen wurde. Thomas war kalkweiß geworden. Das Intercom summte. Mit einiger Mühe brachte er die Andruckliege in eine Position, von der aus er die Intercomtaste erreichen konnte.

„Ja?“

„Simonetta hier. Wir sind im Hyperraum. Lebst du noch, Thomas?“

„Knapp“, gab er zurück. „Ich glaube, diese entzückenden Plasmis haben sich eben gerade an mir festgebissen.“

Simonettas Lachen klang aus dem Lautsprecher. Nora hatte sich schon abgeschnallt und öffnete Thomas’ Sicherheitsgurt, der nach ihrer Beobachtung auf den Wundbereich drückte. Die Schmerzen ließen fast augenblicklich nach.

„Danke“, sagte Thomas mit einem unterdrückten Stöhnen.

„Du wärst beim Start besser in der Krankenstation gewesen. Dort gibt es bessere Möglichkeiten, ein verwundetes Wesen beim Start vor dem Druck zu schützen“, bemerkte sie. Langsam bekam Thomas wieder Farbe, aber es dauerte eine Weile, bis er sich soweit erholt hatte, dass er Nora über Amazonia befragen konnte.

Bei den Gesprächen erfuhr Thomas, dass Amazonia schon immer ein Mond gewesen war, der ausschließlich von Frauen bewohnt wurde. Das Volk war vor mindestens dreihundert Galaktischen Jahreseinheiten von Frauen gegründet worden, die zu seiner großen Verblüffung von der Erde gekommen waren. Schon damals hatte das weit entwickelte Volk der Caneler Reisen durch den Raum unternommen und war auf der Erde gelandet. Sie hatten wissenschaftliche Erkenntnisse mitgebracht, die von experimentierfreudigen Frauen aufgegriffen wurden, die nicht so abergläubisch waren wie die meisten ihrer Zeitgenossen im irdischen 14. Jahrhundert. Die weltlichen und kirchlichen Behörden hatten diese Frauen als Hexen verfolgt.

Die Caneler hatten einige tausend Frauen in ihre Raumschiffe gerettet und ihnen angeboten, ihnen eine Zuflucht zu bieten, in der sie ihr Schicksal selbst bestimmen konnten. Sie gaben ihnen den unbewohnten Mond, den die Frauen von Anfang an in Anspielung auf das sagenhafte irdische Frauenreich der Amazonen Amazonia nannten. Geprägt durch furchtbare Erfahrungen mit Männern, die sich an den meisten Flüchtlingen vergangen hatten, wollten sie mit Männern künftig nichts mehr zu tun haben. Männer sollten daher nur dann Zutritt nach Amazonia haben, wenn sie als Gesandte auftraten. Durch die Erzählungen der als Hexen verfolgten Frauen hatten die Caneler die übrigen Erdbewohner hassen gelernt – ohne dass diese ihnen direkt etwas angetan hatten.

Mithilfe der überaus weit entwickelten canelischen Technologie hatten die Frauen von Amazonia nicht nur den Mond bewohnbar gemacht, sie hatten auch das Fortpflanzungsproblem gelöst. Die männlichen Samenzellen ließen sich gentechnisch herstellen und so steuern, dass der Nachwuchs jede gewünschte Eigenschaft genetisch einprogrammiert bekam. In den ersten Jahren hatte sich die genetische Steuerung auf die Frage weiblich oder männlich beschränkt, wobei die Chromosomen, die den Embryo zu einem Mann gemacht hätten, von vornherein aussortiert wurden. Später hatten die Amazonierinnen, nun vertraut mit der Technik, diese weiterentwickelt und in den einzelnen Genen Eigenschaften ausgemacht, die nun im Wesentlichen beliebig austauschbar waren.

Neben der für die Weiterentwicklung wichtigen Gentechnik hatten die Amazonierinnen aber geschworen, jede neue Technik wenigstens zu testen, bevor sie sie eventuell ablehnten. Das Ergebnis war eine ausgesprochen hoch entwickelte Technologie, aber auch gewisse Probleme. So hatten Strahlungstests in vier der rund einhundert künstlichen Gebärmütter zu genetischen Schäden an Embryonen geführt, die zum Teil nicht rechtzeitig erkannt worden waren. Die Amazonierinnen, die aus diesen geschädigten Gebärmüttern stammten, wiesen gleichsam Fertigungsfehler auf, die zu einer Fehlbenutzung von genetischen Eigenschaften führten, beispielsweise überhöhter Machtwille, Streitsucht, Hemmungsmängel bei Tötung von Artgenossinnen wie bei Rashogga und Sinarta. Solche Produkte hätten die Endkontrolle eigentlich gar nicht passieren dürfen.

Thomas schauderte es. Da gab es einen ganzen Mond voller Frauen, die wie im Kloster lebten und nicht einmal eine Ahnung hatten, welche Wunder die natürliche Liebe enthielt. Er dachte an Françoise, die er in einer Weise mochte, dass es nicht falsch war, bereits von Liebe zu sprechen. Er dachte an Gabriele, die er geliebt hatte, die ihn aber in seiner Leidenschaft für Außerirdische nicht verstanden hatte und die seiner Liebe zu Françoise noch immer im Weg stand.

„Thomas – hörst du mir überhaupt zu?“, riss ihn Nora Stimme aus seinen Gedanken. Thomas wachte wie aus einem Traum auf.

„Doch, doch“, beteuerte er zerstreut.

„Geh’ noch mal deine Aufzeichnungen durch“, bat Nora. Thomas tat es.

„Es fehlen wenigstens zwanzig Minuten. Wir hören besser auf. Du bist müde“, entschied die Amazonierin.

„Ich war nur etwas abwesend. Komm, erzähl’ weiter.“

„Thomas, es hat keinen Zweck. Du bist nicht mehr aufnahmefähig. Wenn du dich selbst unter Druck setzt, geraten die Plasmaten vorzeitig in Stress. Du solltest besser schlafen“, empfahl Nora beinahe sanft.

„Nora, ich habe noch nie einen solchen Ausdruck in deinen Augen gesehen. Scheint so, als wären die mütterlichen Gefühle auf Amazonia trotz Gensteuerung noch nicht ganz verloren gegangen“, bemerkte Thomas lächelnd.

„Auf Amazonia ist nichts verloren gegangen. Wir sind eine Gesellschaft, die sich stetig weiterentwickelt“, versetzte Nora mit beleidigtem Unterton.

„Schon“, erwiderte Thomas, „aber mit der Tatsache, dass Männern das Leben auf Amazonia nicht erlaubt ist und es – nach erdmenschlichen Maßstäben – keine natürliche Zeugung und Geburt mehr auf eurem Mond gibt, ist die natürliche Zuneigung zwischen den Geschlechtern auf der Strecke geblieben. Die normale Bindung zwischen Eltern und Kind ist als ausgestorben zu betrachten. Aber genetisch sind mütterliche Gefühle wohl doch nicht ganz auszumerzen.“ Er gähnte müde. „Aber gut, lassen wir’s dabei“, ergänzte er dann.

In den folgenden beiden Tageseinheiten erfuhr Thomas noch weitere Einzelheiten zu den Ereignissen, die zur Wahlmanipulation geführt hatten. Er erzählte Nora seinerseits von der Entwicklung der menschlichen Rasse auf der Erde, seit die Amazonierinnen den Planeten verlassen hatten. Weil er sich gemäß Noras Empfehlungen in seinem Lern- und Lehreifer im Zaum hielt, gerieten die Plasmaten erst am vierten Reisetag in Hungerstress. Fortan fühlte Thomas sich matt, hatte Schmerzen und war nicht mehr aufnahmefähig. Meist lag er in einem flachen Dämmerschlaf. Aber der Umstand, dass er liegen konnte, sich wenig bewegte und im Wesentlichen schlief, bewirkte eine Verzögerung der Enzymemission der überanstrengten Plasmaten.

Irgendwann träumte er davon, mit Nora Liebe zu machen. In seinen recht plastisch wirkenden Träumen war sie unendlich zärtlich; was sie tat, war aufregend und beruhigend zugleich. Der Traum gaukelte ihm vor, dass Gene eben Gene blieben, auch wenn man – oder frau – sich größte Mühe gab, sie auszuwählen und zu steuern. Mitten im wildesten Treiben brach der Traum ab und wich wieder einer Nichttraumphase absoluten Tiefschlafs.

Thomas erwachte davon, dass sich das Maschinengeräusch stark veränderte. Die Anzeige über dem Intercom wies darauf hin, dass der Raumkreuzer den Hyperraum verlassen hatte, sich mit Impulskraft dem Planeten DENEB IV, Megara, näherte und diesen in etwa drei Standardstunden erreichen würde. Thomas war verblüfft, dass er die Information ohne Schwierigkeiten aufnehmen konnte und keine Schmerzen mehr hatte. Dann erinnerte er sich, dass er im Traum ganz deutlich die blinkende Zeitanzeige gesehen hatte. Danach waren mindestens fünf Stunden vergangen, seit ihn wieder der Tiefschlaf gepackt hatte. Nach Einheitszeit war es jetzt Morgen.

Träume sind was Faszinierendes. Unglaublich, wie deutlich ich mich an den Traum erinnere. Nora hatte wohl Recht: Der Schlaf hat mir gut getan’, dachte er.

Er stand auf und sah seine Begleiterin auf der Andruckliege. Sie schlief noch. Er schüttelte sie vorsichtig.

„Nora, wach auf. Wir sind bald auf Megara.“

Sie schreckte hoch.

„Wie? Ja. Entschuldige, ich muss eingeschlafen sein“, murmelte sie verschlafen. „Wie fühlst du dich?“

„Sehr viel besser. Es war gut, dass ich schlafen konnte. Danke für den Tipp.“

Nora lächelte.

„Diese Enzyme sind hartnäckig. Übernimm dich nicht, nur, weil es dir im Moment wieder besser geht. Wenn du jetzt unvernünftig bist, wird es dich doppelt heftig umhauen“, warnte sie. Thomas nickte, ging an die Sprechanlage.

„Kabine zwölf an Brücke.“

„Hier Brücke. Guten Morgen, Thomas“, meldete sich Simonetta.

„Danke, ebenso. Wann sind wir im Dock?“

„Wir sind etwas schneller, als die Prognose-Anzeige aussagt. In einer guten Stunde.“

„Ich brauche eine Transporterfähre zum Präsidentenpalast. Kannst du das regeln?“

„Mach’ ich. Ich frage aber vorsichtshalber an, ob der Präsident überhaupt hier ist.“

„Danke dir. Bis nachher.“

Nora sah ihn kopfschüttelnd an.

„Keine Dummheiten, Kreuzerkommandant! Du solltest erst zu Dr. Fanolo fahren, damit er die Plasmaten wäscht und dir eine Spritze gibt, bevor die Plasmaenzyme dich wieder auf die Matte werfen.“

„Du hast offensichtlich Erfahrung mit diesen Plasmis. Was meinst du, wie lange hält die jetzige Phase an?“, fragte Thomas.

„Wenn wir in einer Stunde im Orbitdock sind, könntest du mit der Transporterfähre in zwei Stunden bei Fanolo sein. Viel länger wird es dir nicht gut gehen“, warnte Nora.

Sie packten die Sachen zusammen. Thomas sah verstohlen zu der Amazonierin. Dann packten ihn wieder Schuldgefühle, diesmal gegenüber Françoise und Gabriele. Angesichts seiner wilden Träume zweifelte er wieder an sich selbst, hielt sich für einen Gedanken-Casanova, weil er zumindest im Traum jedem weiblichen Wesen nachzulaufen schien. Er schämte sich vor sich selbst und nahm sich fest vor, sich in dieser Hinsicht besser zu kontrollieren.

Kapitel 10

Zähe Verhandlungen

 

Zweieinhalb Stunden später saß Thomas beim Ratsarzt Dr. Fanolo, einem Centauren. Fanolo ließ von seiner Laborhilfe die Reinigungsflüssigkeit für die Plasmaten mischen und untersuchte Hansen inzwischen.

„Wie lange tragen Sie den Plasmaverband?“, erkundigte sich der Arzt.

„Acht Tage“, gab Thomas zurück.

„Wann wurden die Plasmaten das letzte Mal gewaschen?“

„Vor sechs Tagen, als ich von Palavor abgeflogen bin.“

„Und es geht Ihnen gut?“, fragte Fanolo verblüfft. Thomas schüttelte den Kopf.

„Nein, ich fühle mich furchtbar. Heute Morgen war es wesentlich besser. Ich habe allerdings während des Fluges weitgehend ruhig gelegen. Vielleicht hat das den Zustand etwas stabilisiert.“

„Hatten Sie unterwegs keine Probleme?“

„Doch, nach vier Tagen traten erstmals diese wahnsinnigen Kopfschmerzen auf. Ich konnte nicht mehr klar denken, habe auch Schmerzen in der Wunde gehabt. Aber heute Morgen habe ich nichts mehr davon gemerkt. Ich muss wohl zwei Tage durchgeschlafen haben.“

Fanolo strich sich nachdenklich über das aus der Mitte der Stirn ragende, kurze Horn, das er abgerundet trug. Die centaurischen Soldaten pflegten es scharf geschliffen zu tragen, stutzten es auch nur wenig. Unter Militärs galt das Centaurenhorn als gefürchtete Nahkampfwaffe.

„Hmm, es wäre mir neu, dass allein Schlaf die Enzymsymptome zurückdrängen kann – außer unter Anwendung der denebischen Tiefschlafdroge. Haben Sie die genommen?“

„Nein.“

Die Sprechstundenhilfe kam mit der Reinigungslösung, Thomas zog sein Oberteil aus und Dr. Fanolo behandelte die Plasmaten mit der Lösung, die blitzschnell einzog.

„Die sind ja völlig ausgehungert“, grinste er und benetzte den Verband noch mehrmals. „Wir werden das mal beobachten. Gibt es jemanden, den – oder vielmehr die – Sie sehr mögen?“, fragte der Arzt nach. Thomas sah ihn verständnislos an.

„Wie meinen Sie das, Doktor?“

„Weil Liebe in diesem Fall buchstäblich die beste Medizin ist“, erwiderte der Arzt.

„Ich gebe zu, dass man das auf Terra auch zu sagen pflegt. Aber ob es hilft, wenn mir jemand den Kopf krault, weiß ich nicht“, bemerkte Thomas.

„Das würde auch nicht ganz ausreichen“, lachte Fanolo auf. „Nein, es ist so: In jedem Wesen das bei der Fortpflanzung auf den Sexualverkehr angewiesen ist, schüttet dieser Akt ganz bestimmte Hormone und Enzyme aus, die je nach Wesen sehr unterschiedlich sind. Genauso unterschiedlich wie die Enzyme, die die überarbeiteten Plasmaten ausscheiden. Sie heben sich gegenseitig auf, egal, welches Wesen betroffen ist. Ich kann Ihnen zur Behebung Ihres Unwohlseins nur ein paar angenehme Nächte mit dem Wesen Ihrer Wünsche empfehlen“, erklärte er dann. Auf Thomas’ Stirn bildete sich eine nachdenkliche, steile Falte.

„Wie bekannt ist dieser Umstand?“, fragte er nach.

„Noch nicht sehr. Es sind relativ neue Forschungen. Interessanterweise stammen sie ausgerechnet von Amazonia, wo man mit diesen Dingen nun überhaupt nichts zu tun hat. Schließlich wird dort nur in der Retorte gezeugt.“

Thomas bekam eine Ahnung, dass sein Traum doch nicht nur ein Traum gewesen war.

„Sagen Sie, würde das denn mit den Mädchen überhaupt funktionieren?“

„Ja und nein“, erwiderte Fanolo. „Äußerlich haben sie noch die Merkmale einer Frau, aber die Fortpflanzungsorgane haben sich mangels Gebrauch in den letzten dreihundert Galaktischen Jahreseinheiten soweit zurückentwickelt, dass sie nicht mehr gebärfähig wären. Sie selbst würde auch nichts mehr empfinden. Diese Dinge sind in der Gensteuerung weitgehend verschüttet.“

Wohl doch nicht völlig’, dachte Thomas. Die Erklärung nahm er zunächst nickend zur Kenntnis.

„Sagen Sie, gäbe es auch eine andere Möglichkeit meinen Zustand kurzfristig zu verbessern – für den Fall, dass so ein Wesen nicht greifbar ist?“, fragte er.

„Ja, allerdings nur sehr begrenzt. Es gibt ein pflanzliches Präparat, mit dem sich die Symptome zurückdrängen lassen, allerdings nur für kurze Zeit. Die Enzyme sind sehr zäh. Außerdem macht das Präparat auf Dauer abhängig. Das Beste wäre, Sie würden einige Tage im Bett bleiben.“

„Das würde ich gern tun, wenn ich könnte“, seufzte Thomas.

„Dringende Sache ?“

„Ja. Ich muss im Rat Antrag auf Wahlwiederholung unter Ratsaufsicht auf Amazonia stellen. Das kann niemand anderes tun.“

„Oh je, schwieriger Fall“, entfuhr es Dr. Fanolo, der unter der blauen Hautfarbe recht blass geworden war. „Ich gebe Ihnen ein Stärkungsmittel. Angesichts der Menge der Enzyme in Ihrem Körper hält die Wirkung aber nur knapp sechs Stunden an. Danach wird es Ihnen gar nicht gut gehen“, warnte der Arzt.

„Ohne das Zeug würde ich vermutlich nicht mal in den Gleiter zurückkommen.“

Fanolo nickte, desinfizierte die Einstichstelle am linken Arm, stach mit der Injektionsnadel eine Ampulle mit dunkelgrüner Flüssigkeit an und gab Thomas die Injektion.

„Es dauert ein paar Minuten, dann geht es Ihnen besser“, versprach der Arzt.

„Was ist das?“, erkundigte sich Hansen.

„Plasmolon, das Mittel, von dem ich gesprochen habe. Rein pflanzlich, aber es hat leider den Fehler, auf die Dauer süchtig zu machen. Wirklich, die beste Therapie – weil ungefährlich – sind ein paar schöne Nächte“, empfahl Fanolo grinsend. Es dauerte nicht lange, bis das Mittel wirkte. Thomas fühlte sich bedeutend wohler und verabschiedete sich.

Wenig später fuhr er vor dem Ratsgebäude vor, wo bereits der Gleiter geparkt war, mit dem Nora vorgefahren war. Präsident Sulukum war von der jungen Amazonierin schon unterrichtet worden und hatte die Datenbänder vorliegen. Thomas musste auch nicht lange warten, sondern wurde gleich vorgelassen.

„Oberleutnant Rosok hat mir schon weitgehend berichtet, Senator.“

„Sehr gut. Danke, Nora. Herr Präsident, ich habe nicht viel Zeit, weil sonst das Medikament aufhört zu wirken, das ich bekommen habe und es mir dann verdammt schlecht gehen wird. Bitte, lassen Sie den Rat sofort zusammenrufen“, bat Thomas. Sulukum sah ihn verblüfft an, aber er stellte keine Fragen, sondern löste per Knopfdruck den Eilruf an die Abgeordneten des Galaktischen Rates aus.

Innerhalb einer Standardstunde war der Rat versammelt, Thomas hatte weitere Erklärungen gegeben. Sulukum wünschte dem jungen Terraner Glück für seinen Antrag. Gemeinsam gingen sie zur Sitzung in den Ratssaal, Nora zur Besuchertribüne.

Präsident Sulukum nahm auf dem Präsidentensitz Platz, Thomas ging gleich an das Rednerpult.

„Rat der Vereinigten Galaxien, die heutige Sondersitzung hat nur einen Tagesordnungspunkt: Den Bericht des Ratsbeauftragten Thomas Hansen zur Wahl auf Amazonia. Ich erteile Senator Hansen das Wort“, eröffnete Sulukum die Sitzung.

„Danke, Herr Präsident. Verehrte Kollegen des Galaktischen Rates: Nach Gerüchten, die Präsidentenwahl auf Amazonia sei manipuliert, haben Sie mich beauftragt, diese Wahl nachzuprüfen. Mit Hilfe von Oberleutnant Rosok habe ich festgestellt, dass die Wahlen tatsächlich gefälscht wurden. Die Datenbänder mit den Beweisen für die Wahlfälschung habe ich – ebenfalls mit Hilfe von Oberleutnant Rosok – sichergestellt. Ich bitte Sie, Ihre Terminals einzuschalten und dort unter dem Suchbegriff Amazonia-Wahl die Kontrollkopien zu prüfen. Sie werden feststellen, dass die zuerst eingegebenen Daten mit Hilfe eines Löschbefehls in centaurischem Droidex vernichtet und dann neu eingegeben wurden, so wie sie auch veröffentlicht wurden.

Ein Computerbefehl in centaurischem Droidex wird allgemein als Alarmsignal verwendet, um Anwender vor Gefahren zu warnen. Auch diese neuen Daten wurden mit einem Löschbefehl gekoppelt, der aber nicht mehr vervollständigt werden konnte. Bei Vervollständigung hätten die Daten nicht mehr veröffentlicht werden können. Über den genauen Grund der mangelnden Vervollständigung lässt sich zwar nur spekulieren, doch liegt der Verdacht äußerst nahe, dass hier jemand die Bedeutung des Befehls erkannt hat und Zwang gegen die Programmiererinnen angewendet wurde, wobei sich nicht ermitteln lässt, von welcher Seite. Es lässt sich auch nicht mit allerletzter Sicherheit ermitteln, welche Daten die echten Wahldaten sind, weil die Wahlmaschinen vor meinem Eintreffen entgegen den Bestimmungen des amazonischen Wahlgesetzes ebenfalls gelöscht wurden.

Bereits diese Tatsache würde die Wahlwiederholung unter Ratsaufsicht rechtfertigen. Im Hinblick auf die recht deutlichen Anzeichen für eine Wahlmanipulation beantrage ich daher, die Präsidentenwahl auf Amazonia unter Aufsicht des Galaktischen Rates zu wiederholen.“

Kilma Gribor betätigte den Sensor für Wortmeldung an seinem Abgeordnetenpult.

„Ich möchte zunächst die Berechtigung des Redners Hansen prüfen, mit der er in dieser Versammlung das Wort ergreift“, sagte er mit süffisantem Lächeln. „Wollen Sie uns bitte Ihre Legitimation nachweisen?“, forderte er den Terraner auf. Thomas räusperte sich.

„Erstens: Ich bin einer der beiden von der Erdregierung entsandten Vertreter des Planeten SOL 3. Zweitens: Auf Antrag von Präsident Sulukum hat mich dieses Haus vor dreieinhalb Galaktischen Wocheneinheiten mit der Überprüfung dieser Wahl beauftragt.“

„Ich habe Sie richtig verstanden: Sie beantragen die Wiederholung der Amazonia-Wahl, fechten sie also an?“, hakte Gribor nach.

„Das haben Sie so richtig verstanden“, antwortete Thomas.

„Wie können Sie sich durch Ratsauftrag oder Ihren – bedingt durch Ihre Dienstverpflichtung zur Flotte – äußerst zweifelhaften Abgeordnetenstatus als legitimiert bezeichnen, diese Wahl hier anzufechten, wenn dies nach amazonischem Wahlgesetz nur von der Vorsitzenden der Wahlkommission vorgenommen werden kann?“, fragte Gribor weiter.

„Wenn Sie sich das amazonische Wahlgesetz durchgelesen haben, haben Sie es offenbar nur halb getan, Senator Gribor. Gemäß § 4, Absatz 2 des amazonischen Wahlgesetzes steht das Recht zur Wahlanfechtung sowohl der von Ihnen genannten Vorsitzenden der Wahlkommission als auch einer vom Galaktischen Rat beauftragten Person zu – und Letzteres bin ich“, erwiderte Thomas.

„Mag sein, aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen“, versetzte Gribor.

„Die liegen auch vor, denn die Vorsitzende der Wahlkommission, Leka Namina, lebt nicht mehr.“

„Sie haben das bisher in Ihrem Bericht nicht erwähnt. Unterschlagen Sie dem Haus Informationen?“, giftete Gribor.

„Nein. Mein Auftrag lautete, über die Wahlmanipulation zu berichten. Das hat mit dem Tod von Leka Namina direkt nichts zu tun“, gab Thomas zurück.

„Sie sagen das so dahin. Wer kann bezeugen, dass Leka Namina tot ist?“, forschte Gribor weiter.

Oben auf der Tribüne erhob sich Nora.

Ich kann es bezeugen, Herr Präsident“, rief sie hinunter.

„Ist ja interessant!“, bemerkte Gribor hämisch. „Ausgerechnet eine ausgewiesene Rebellin, die von der gewählten Präsidentin zur Fahndung ausgeschrieben ist, stellt sich hier hin und nennt sich Zeugin!“

Herr Abgeordneter Gribor – ob auf Amazonia eine Präsidentin rechtmäßig gewählt wurde, ist äußerst dubios, wie die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen. Insofern halte ich es nicht für angebracht, wenn Sie eine Soldatin der Achten Flotte eine Rebellin schimpfen!“, schaltete sich der Präsident ein. „Die Legitimation von Senator Hansen ist hinreichend nachgewiesen!“

„Nicht für mich!“, versetzte Gribor, ohne seine Stimme zu erheben. „Ich stelle den bindenden Antrag, dass über die Berechtigung des Kreuzerkommandanten Hansen, die Wahl auf Amazonia anzufechten, abgestimmt wird!“

Präsident Sulukum konnte sich über einen als bindend bezeichneten Antrag nicht hinwegsetzen, es sei denn, dass wenigstens die einfache Mehrheit der Abgeordneten gegen einen solchen Antrag entschied. Der Präsident sah Thomas an, der nur mit dem Kopf schüttelte. Sulukum verstand, dass der Terraner mit der Abstimmung, den Antrag zuzulassen, nicht Zeit verlieren wollte. Thomas bereute seine Entscheidung schnell, denn von Gribors Anhängern wurde ihm eine Reihe von Fragen gestellt, die sich um den Tod der Vorsitzenden der Wahlkommission rankten. Thomas beantwortete sie dennoch geduldig. Die Fragen kosteten wertvolle Zeit, wie er schließlich feststellen musste, als die Abstimmung nach rund drei galaktischen Einheitsstunden ergab, dass der Rat seine Legitimation zur Wahlanfechtung anerkannte.

Kilma Gribor dachte nicht daran, schnell aufzugeben und forderte nun Beweise für die Wahlfälschung. Thomas lieferte sie, indem die Bänder auf die Terminals der Abgeordneten eingespielt wurden. Die Vertreter der Welten sahen mit ungläubigem Staunen, was auf den Bändern gespeichert war.

„Ich zweifle die Echtheit der Bänder an“, protestierte Gribor. Thomas sah unauffällig auf die Uhr, die im Rednerpult eingelassen war. Er hatte nicht mehr viel Zeit, bis die Wirkung des Medikamentes aufhörte. Bis dahin wollte er eigentlich auf seinem Platz im Plenum sitzen, um nicht umzukippen.

„Gibt es noch jemanden, der die Echtheit der Datenbänder in Zweifel zieht?“, fragte er, ohne der Geschäftsordnung zu folgen, nach der der Präsident solche Fragen zu stellen hatte. Gribor setzte bereits zum Protest an, aber etwa zwei Drittel der Abgeordneten hatte bereits den Nein-Sensor betätigt.

Suli Kulibos, der centaurische Angeordnete, erhob sich.

„Ich stelle den Antrag, nunmehr über die Wahlwiederholung abzustimmen“, sagte er.

„Wollen Sie bitte den Antrag so formulieren, dass er als Auftrag an eine Person oder Personengruppe zu erkennen ist?“, forderte Gribor, in der Hoffnung, den Centaur damit aus dem Konzept zu bringen, aber er hatte sich geirrt. Kulibos grinste breit.

„Gern: Ich stelle den Antrag, dass der Rat der Galaxien folgendes beschließt: Die am zehnten Tag des zweiten Monats des dreihundertfünfzehnten Jahres Galaktischer Einheitszeitrechnung erfolgte Wahl der planetaren Präsidentin von Amazonia wird wegen erwiesener Falschpreisgabe der Wahlergebnisse für ungültig erklärt und unter Aufsicht einer oder mehrerer noch zu benennender Personen im Auftrag des Rates der Galaxien innerhalb des nächsten Monats Galaktischer Einheitszeitrechnung wiederholt.“

Die Abgeordneten notierten eifrig den Antrag, betätigten den Ja– oder Nein-Sensor. Eine sehr deutliche Mehrheit stimmte für die Wahlwiederholung. Gribor erhob sich.

„Herr Präsident, meine Mitabgeordneten, ich stelle den Antrag, den Berichterstatter und Nachfolger von Leka Namina, Thomas Hansen, nunmehr vom weiteren Fortgang der Sitzung auszuschließen, da er zurzeit nicht über sein Ratsmandat verfügt.“

Dem Antrag folgte eine kurze Zeit eisiger Stille im Ratssaal. Thomas hätte nichts dagegen gehabt, das Ratsgebäude zu verlassen, aber er war sich im Klaren, damit einen Präzedenzfall zu schaffen.

„Abgeordneter Gribor, die heutige Sitzung hatte nur einen einzigen Tagesordnungspunkt, der sich mit der Wahl auf Amazonia befasste. Da die Tagesordnung nicht vor Beginn der Sitzung geändert wurde, ist sie abschließend behandelt. Die Sitzung ist mit der Abstimmung über die Neuansetzung der Wahl beendet. Weitere Aussprachen sind nicht vorgesehen“, gab der Präsident zu bedenken. „Davon jedoch abgesehen, ergibt sich aus dem Raumflottenergänzungsgesetz, dass hinsichtlich der Person des Abgeordneten Hansen durch die Dienstverpflichtung lediglich dessen Anwesenheits- und Mitwirkungspflicht ruht. Seine Rechte und Befugnisse als Abgeordneter dieses Hauses oder als Mitglied des Senats werden davon nicht berührt.“

Die meisten Abgeordneten klatschten beifällig – eine Geste, die offensichtlich interstellar war.

„Ich erkläre die Sitzung hiermit für beendet. Der Rat tritt zur nächsten ordentlichen Sitzung in zwei Tagen Galaktischer Einheitszeit zum üblichen Zeitpunkt zusammen“, verkündete Sulukum dann und erhob sich.

Die Ratsvertreter zerstreuten sich durch die acht Ausgänge des Sitzungssaales. Françoise wartete am Hauptausgang, dass Thomas kommen würde. Aber er kam nicht. Ratlos sah sie sich um und fand schließlich Kwiri, der seine Sachen zusammenpackte. Sie ging zu ihm hin.

„Kwiri, wo ist Thomas geblieben?“, erkundigte sie sich besorgt. Der Deneber sah sie an.

„Er ist eben zur Tür hinaus und wollte zu seinem Gleiter. Er sah nicht gut aus. Bleich und müde. Ich hab’ mich schon gewundert, warum er ohne dich gegangen ist. Das ist ungewöhnlich.“

„Dann sollte er besser nicht selbst fahren – Prallfeld oder nicht“, schnaufte Françoise und dachte an ihre frühere irdische Tätigkeit, als sie noch bei einer Hamburger Versicherung Schäden von Kraftfahrzeugen bearbeitet hatte. Sie eilte hinaus zum Gleiterparkplatz.

Kapitel 11

Plasmatenfieber

 

Thomas hatte von einer Sekunde auf die andere rasende Kopfschmerzen bekommen. Er hatte keinen anderen Gedanken mehr, als ganz schnell nach Hause zu fahren, ein starkes Schmerzmittel zu nehmen und zu schlafen. Er erreichte seinen Gleiter nur knapp. Die Umrisse des Fahrzeuges verschwammen in einer neuen Schmerzwelle vor seinen Augen. Er konnte sich gerade noch an der Regenleiste am Gleiterdach festhalten.

„Ist dir nicht gut?“, riss ihn eine Stimme aus dem Schwindelgefühl, das nach seinem Dafürhalten die Ausmaße eines Meeresstrudels hatte.

„Gabi?“, fragte er. Françoise stutzte. Sollte sie es ihm sagen? Sie entschied sich dagegen.

„Nein, Françoise“, erwiderte sie. „Siehst du das nicht?“

„Nein, um ehrlich zu sein“, gab Thomas kreidebleich zurück. Françoise konnte ihn knapp stützen, bevor er zusammenbrach.

„Oh, Gott! Thomas, was ist mit dir?“

Er konnte keine Antwort geben. Seine Kräfte reichten eben aus, ihn nicht das Bewusstsein verlieren zu lassen.

„Ich fahre dich nach Hause, keine Widerrede!“, entschied Françoise und nahm ihm den Fahrzeugschlüssel aus der Hand. Thomas hätte auch nicht widersprochen; er nickte nur, war einer Ohnmacht deutlich näher als dem Wachzustand.

Als er wieder zu sich kam, fand er sich in seinem Bett wieder und sah in Françoises besorgtes Gesicht.

„Wieder besser?“, fragte sie sanft. Er zuckte verlegen mit den Schultern.

„Jein“, sagte er.

„Kreislaufzusammenbruch“, diagnostizierte sie. „Diese Zeitsprünge im Raumflug sind zu hart. Dein Antrag ist durch. Du solltest dich gründlich ausruhen, bevor du wieder nach Palavor fliegst.“

„Nur zu gerne“, murmelte Thomas. Er ließ die Diagnose gelten, obwohl er nur zu gut wusste, dass sein Zustand auf die Plasmatenenzyme zurückzuführen war. Während er noch angestrengt überlegte, ob er Françoise von seinem Unfall erzählen sollte, summte es an der Tür.

„Siehst du bitte mal nach?“, bat er leise. Sie ging zur Tür und kam nur Augenblicke später mit Kwiri und Nora zurück.

„Ah, je! So, wie du aussiehst, bist du nicht fit für den Job“, entfuhr es Kwiri. Thomas richtete sich mühsam auf.

„Erzähl’ mir jetzt nicht, der Rat wolle mich mit der Wahlwiederholung beauftragen?“

„Es ist noch nicht entschieden“, gab Kwiri zu. „Gribor will es in der Sitzung in zwei Tagen vorschlagen.“

„Der grüne Bastard, der!“, fluchte Thomas stöhnend.

„Vielleicht hat der Präsident ihn endlich davon überzeugen können, dass es mit deiner Beauftragung seine Richtigkeit hatte und dass du trotz Dienstverpflichtung immer noch Ratsmitglied bist“, vermutete Kwiri. Nora schüttelte den Kopf.

„Nein, das glaube ich nicht“, sagte sie. „Es kommt mir komisch vor, dass er ausgerechnet Thomas damit beauftragen will. Er setzt erst alles daran, um zu verhindern, dass Thomas im Rat spricht, lässt nichts unversucht, um die Sitzung zu verzögern, zieht alles in Zweifel, was Thomas vorträgt – und dann hat er plötzlich die Idee, ausgerechnet den, den er mit allen Mitteln an seinem Bericht hindern will, mit der Wiederholung zu beauftragen. Ernsthaft, Kwiri, da stimmt was nicht.“

Sie machte eine Pause und sah den immer noch kreideweißen Thomas an.

„Warst du beim Arzt?“, fragte sie dann. Kwiri und Françoise sahen die Amazonierin erschrocken an.

„Wieso Arzt?“, erkundigte sich Françoise.

„Na, also – mit dem Loch im Fell würde ich dahin gehen!“, versetzte Nora.

„Loch im Fell? Thomas, bist du verletzt?“, fragte die Französin entsetzt. Er nickte mühsam.

„Ich habe einen bösen Unfall gehabt. Und wenn Nora und ihre Soldatinnen nicht gewesen wären, wäre ich längst tot“, erwiderte er.

Nora hob zweifelnd eine Augenbraue.

„Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass es tatsächlich ein Unfall war“, bemerkte sie.

„Kann mir mal einer bitte von vorn erzählen, was los war?“, bat Françoise. Nora tat ihr den Gefallen und berichtete ihr von den Geschehnissen auf Amazonia.

„Ich habe schon viel erlebt, was Ein- und Ausfälle unserer S 5 anbetrifft, aber dass sich einer, der definitiv abgeschaltet war, wieder selbst aktiviert hat, das dann noch nicht“, schloss sie ihre Ausführungen. Kwiri kraulte sich an den spitzen Ohren.

„Du meinst, den Robot hat jemand bewusst und gewollt auf Thomas gehetzt?“

„Genau das meine ich“, bestätigte die Soldatin ungerührt.

„Hast du jemanden im Verdacht?“, hakte Françoise nach. Sie übernahm die Anrede einfach, weil es allgemein bekannt war, dass frau sich auf Amazonia duzte.

„Sicher nicht nur eine Person. Sinarta und Rashogga gehören ebenso dazu wie unser aller Freund Gribor. Aber wenn ihr mich genau fragt, wäre Gribor mein Hauptverdächtiger. Er macht keinen Hehl daraus, wie sehr er euch Terraner hasst. Er hasst auch uns Amazonierinnen, vielleicht, weil wir ebenso von der Erde stammen wie ihr, wenn wir sie auch schon vor hunderten von Jahren verlassen haben. Er hat Sinarta bei Wahlkampf ganz offen unterstützt, obwohl sie Ziele verfolgt, die den Interessen der Föderation zuwiderlaufen und die bei ihrer Umsetzung ganz zwangsläufig einen Einsatzbefehl an die Sechste Flotte nach sich ziehen würden.“

„Klingt verrückt“, murmelte Kwiri.

„Ich habe das von Anfang an vermutet, Kwiri“, sagte Thomas matt. „Aber mir glaubt ja keiner. Gut, das ist ein Zustand, den ich kenne, stört mich nicht weiter. Gribor ist nach meiner Überzeugung ein Wesen, das nur glücklich ist, wenn es zerstören kann. Bei Amazonia bietet sich ihm zweifach die Möglichkeit: Entweder, wenn Sinarta Präsidentin wird und den Mond vom Planeten löst, was die Nachbarn sehr konkret gefährdet, oder wenn auf Amazonia ein Bürgerkrieg ausbricht. Beides ist im Moment sehr wahrscheinlich, wenn die Wahl nicht unter Ratsaufsicht wiederholt wird und dann Rashogga oder Kasurina Präsidentin wird.“

„Nora, du hast angedeutet, dass Sinarta schon die Feindseligkeiten eröffnet hat. Wie lange ist das genau her?“, erkundigte sich Kwiri.

„Das war vor acht Galaxo-Tagen“, antwortete Nora.

„Das heißt, wir haben nicht mal ganz drei Galaktische Wocheneinheiten Zeit, den Frieden wiederherzustellen und die Wahlen neu zu organisieren!“, entfuhr es dem Deneber erschrocken.

„Die Wahl sollte doch innerhalb des nächsten Monats neu durchgeführt werden. Warum diese Eile?“, wunderte sich Nora.

„Weil euch das II. Planetenbeziehungsgesetz im Nacken sitzt, Mädchen!“, platzte der blassgrün gewordene Kwiri heraus. „Gemäß § 400 dieses dämlichen Gesetzes ist die Vernichtungsflotte zwingend in Marsch zu setzen, wenn die Feindseligkeiten auf einem Planeten nicht innerhalb von einem Monat galaktischer Zeitrechnung beendet sind.“

„Würde aber voraussetzen, dass Freund Gribor das überhaupt weiß, Kwiri“, gab Françoise zu bedenken.

„Es gibt nichts, was der Bluthund nicht riecht, wenn es um seinen Jagdtrieb geht“, bemerkte Thomas.

„Kwiri, das Beste wäre, wenn möglichst massive Wesen die Wahl beaufsichtigen würden“, schlug er dann vor.

„Du denkst an Centauren, oder?“, mutmaßte Swin. Thomas nickte. Nora bekam einen sauren Gesichtsausdruck. Kwiri sah sie nicht an, aber die Reaktion war ihm bewusst.

„Ich glaube, das sind so ziemlich die einzigen Wesen, die nach Amazonia definitiv keinen Zutritt haben“, seufzte er.

„Und warum nicht?“, fragte Françoise.

„Würdest du dich in deinen Rechten gern von Wesen kontrollieren lassen, die einen entsetzlichen Krieg gegen dich geführt haben?“, fragte die Amazonierin giftig. Françoise sah sie ruhig an.

„Auf dem Planeten Erde haben sich Deutsche und Franzosen, die dieselbe stammesgeschichtliche Wurzel haben, über Jahrhunderte hinweg grausam bekriegt. Es ist noch nicht mal fünfundzwanzig Galaxo-Jahre her, seit die Deutschen zum letzten Mal über die Franzosen hergefallen sind und sie furchtbar gedemütigt haben. Die Franzosen haben sich, nachdem sie den Zweiten Weltkrieg mit gewonnen haben, dafür gehörig gerächt und sich in ihrer Besatzungszone nicht gerade wie die Engel aufgeführt. Aber es gab zwei kluge Politiker, die eingesehen haben, dass Europa nur leben kann, wenn Deutsche und Franzosen sich vertragen. Auf ihre Initiative haben sich diese Völker versöhnt und sind heute eine nicht mehr wegzudenkende Stütze der europäischen und letztlich auch der terranischen Einigung“, erklärte sie. „Übrigens: Ich bin Französin und Thomas ist Deutscher“, setzte sie mit einem warmen Lächeln hinzu.

„Du verkehrst mit ihm, obwohl eure Völker Feinde sind?“, wunderte sich Nora.

„Sie waren es, Nora, das ist ein Unterschied. Heute sind sie das nicht mehr – und Thomas und ich schon gar nicht.“

„Wäre ich an deiner Stelle, ich würde ihn töten.“

„Er hat mir nichts getan. Warum sollte ich das tun?“

„Ihr heutigen Erdlinge seid so inkonsequent. Damals, als die Amazonierinnen die Erde verließen, war das noch anders. Man hasste seine Feinde und liebte seine Freunde. Bei uns Amazonierinnen ist das noch immer so.“

„Na, dann Gott sei Dank, dass nicht ein Erdmensch euch Böses tat. Sonst hättet ihr mich vermutlich geschlachtet“, grinste Thomas.

„Zugegeben, ein bisschen schleift sich auch bei uns Hass ab. Ich habe dir erzählt, dass die Ur-Amazonierinnen speziell von Männern die Nase voll hatten. In den ersten hundert Jahren nach der Staatsgründung hätte ein Mann auch keinerlei Überlebenschancen auf Amazonia gehabt. Heute dürfte ein Mann zwar immer noch nicht Präsident werden und ein terranischer Mann hätte kein dauerhaftes Wohnrecht auf Amazonia, aber er überlebt wenigstens.“

„Manchmal nur knapp, wie ich an mir selber sehe!“, versetzte Thomas. Er sah Kwiri an.

„Sag’ mal, dieses verdammte Gesetz muss doch aus dem Raum zu kriegen sein.“

„Du wirst damit große Probleme bekommen, Thomas. Jedenfalls solange Salander Sulukum Präsident der Föderation ist. Auch wir Deneber sind ein recht rachsüchtiges Volk. Das, was ihr auf Terra Vergebung nennt, wirst du im Weltraum nur selten finden.“

„Was, bitte, ist dann die Grundlage, auf der die Föderation aufgebaut ist, wenn nicht gegenseitiges Verständnis für interplanetare Eigenheiten?“, erkundigte sich Thomas, dem es allmählich wieder besser ging.

„Die Tatsache, dass die einzelnen Systeme allein nicht gegen das lukanische Imperium bestehen könnten und die Drohung des II. Planetenbeziehungsgesetzes“, erklärte Kwiri.

„Nun, dann kann ich dir sagen, dass die Föderation nicht sehr beständig sein wird. Wenn ihr Planeten und Systeme nur mit Druck von außen und Gewalt von innen bei der Stange halten könnt, ist es mit eurer Symbiose wahrlich nicht weit her. Vor allem, wenn ich daran denke, wie ihr euch bei uns zu Hause eingeführt habt“, bemerkte Françoise spitz. „Die Föderation und ihre Gesetze sind dringend überholungsbedürftig.“

Kwiri zuckte mit den Schultern.

„Françoise: Bei mir rennst du eine offene Frachtluke ein. Ich will dieses verdammte Gesetz schon lange aus dem All haben. Aber es gibt genügend Betonköpfe im Rat, die glauben, nicht auf dieses Repressionsinstrument verzichten zu können.“

„Wer gehört zum Beispiel dazu?“, fragte Thomas.

„Nun, zum Beispiel Amazonia. Die bisherigen Regierungen des Mondes haben sich mit Macht in dieses Gesetz verbissen. Zum Beispiel Megara. Wir sind keinen Deut besser. Zum Beispiel Malagriva. Die Centauren sind auch nicht sehr nachsichtig. Zum Beispiel Canela und Sarona.“

„Wie ist das Verhältnis von Befürwortern und Ablehnern?“

„Zurzeit noch knapp zugunsten der Befürworter.“

„Würde es etwas nützen, wenn drei oder vier Ratsmitglieder aus dem Verband ausscherten?“

„Das könnte die Sache kippen. Aber wir brauchen einen Ersatz.“

Thomas setzte sich auf. In seinen braunen Augen funkelte wieder Unternehmungsgeist.

„Nie waren die Chancen besser als jetzt. Amazonia ist durch das Gesetz in seiner Existenz ganz direkt bedroht, Canela und Sarona jedenfalls indirekt. Wenn du in eurer Fraktion gegen das Gesetz bist, enthält sich Megara der Stimme. Und die Erde, lieber Kwiri, wird so sicher gegen das Gesetz stimmen, wie eine Supernova am Ende eines Sonnenlebens steht.“

„Es wäre besser, wenn eine Anwendung des § 400 PlBG gar nicht erst in Betracht gezogen werden müsste“, erwiderte Swin. „Wir können uns mit der Abschaffung erst befassen, wenn es eine vernünftige Alternative gibt. Aber von diesem Problem jetzt mal abgesehen: Du kannst die Wahlwiederholung nicht durchführen. In deinem Zustand würde das an Mord grenzen. Ich werde mit dem Präsidenten reden, dass wir einen akzeptablen Ersatz finden. Du jedenfalls gehörst ins Krankenhaus. Die Plasmaten brauchen noch wenigstens drei Wochen, um nicht mehr von täglicher Wäsche und Ernährung abhängig zu sein. Raumflug fällt für dich einfach aus. Dienstfähig für die Flotte bist du ohnehin nicht.“

Thomas nickte schweigend.

Kwiri verließ mit Nora das Haus, um Sulukum zu informieren, Françoise brachte Thomas ins Krankenhaus, wo er endlich die notwendige Behandlung bekam und die Plasmaten ausreichend Gelegenheit hatten, den Integrationsprozess zu beginnen.

Präsident Sulukum zeigte sich von Kwiris Information, dass ausgerechnet Gribor Thomas Hansen mit der Wahlwiederholung betrauen wollte, äußerst erstaunt. Vor allem, nachdem Kwiri ihn über Thomas’ tatsächlichen Zustand aufgeklärt hatte.

„Der Terraner sagte mir zwar, dass es ihm nicht gut gehe, wenn das Medikament zu wirken aufhöre, aber den genauen Grund hat er mir nicht genannt“, sagte der Präsident schließlich.

„Nun, das ändert nichts an der Tatsache, dass er schwer verletzt ist und wegen dieser Verletzung ins Krankenhaus gehört, wohin er eben gebracht wird“, versetzte Kwiri mit gewisser Bissigkeit.

„Eins verstehe ich noch nicht: Er ist doch nach Megara gekommen. Warum hat er das getan, wenn es ihm so schlecht ging?“, wunderte sich Sulukum.

„Salander“, schnaufte Kwiri gereizt, „Thomas Hansen ist nach Megara geflogen, weil der Auftrag, den du ihm gegeben hast, ihm nach Leka Naminas Tod keine andere Alternative ließ. Nur er oder die Namina konnten die Wahl anfechten. Ohne seine Reise wäre Sinarta die Präsidentin von Amazonia. Du weißt, was das bedeuten würde. Und wenn Kilma Gribor darauf besteht, Thomas wieder nach Amazonia zu schicken, bedeutet dies eine Reise von sechs Galaxo-Tagen bis nach Palavor, dort umsteigen und einen weiteren Tag Raumflug bis nach Amazonia. Dies alles, ohne dass die Plasmaten, die seine Wunde verschließen, gewaschen und ernährt werden können. Auf einem vom Bürgerkrieg geschüttelten Mond wie Amazonia ist an eine angemessene ärztliche Versorgung wohl ebenfalls kaum zu denken. Davon abgesehen, stellen diese Reisetätigkeiten schon für ein gesundes Wesen eine große Strapaze dar. Für ein verwundetes Wesen sind sie ein Todesurteil. Gribor weiß das und er verfolgt damit das Ziel, Thomas zu töten. Nichts anderes! Er hätte dann drei Gründe, seine verfluchte Sechste Flotte gegen Amazonia einzusetzen: Die drohende Loslösung von WEGA 6, den Aufruhr und den Tod von Senator Hansen – alles Dinge, die er sorgsam geschürt und verursacht hat oder hätte, um seine Flotte einzusetzen.“

„Du erhebst einen schweren Vorwurf, Kwiri. Kannst du ihn beweisen?“

„Nein, beweisen kann ich ihn nicht. Aber mein gesunder Deneberverstand sagt es mir. Und deiner müsste ebenfalls Alarm schlagen, Salander. Wenn ich es beweisen könnte, wäre Gribor reif für den Desintegrator. Er muss aber wenigstens endlich daran gehindert werden, mit seinen Machenschaften die Völker der Föderation in Angst und Schrecken zu versetzen.“

Sulukum dachte lange nach.

„Was würdest du mir empfehlen, Kwiri?“, fragte er schließlich.

„Fast erschiene es mir das Beste, den Piraten zum Kapitän zu machen. Wenn Gribor mit der Wahlwiederholung beauftragt würde und noch einige Deneber dabei wären, die auf den Aufseher aufpassen, könnte er an der Wahl nichts manipulieren und Amazonia wäre vor einer Attacke der Sechsten Flotte sicher. Selbstmordabsichten hat auch Gribor nicht.“

„Stellst du in der Sitzung einen entsprechenden Gegenantrag?“

„Ja.“

In der nächsten Sitzung stellte Kilma Gribor wie erwartet seinen Antrag, den Terraner Thomas Hansen mit der Wiederholung der Wahl von Amazonia zu beauftragen. Erste Zustimmung erhob sich im Saal, als Kwiri sich einschaltete und seinerseits den Antrag stellte, Kilma Gribor zu entsenden. Hinterlistig pries Kwiri die Erfahrung des Admirals und seine Unparteilichkeit, die Gribor nicht dementieren konnte, ohne Kwiris Verdacht, er habe manipulierend eingegriffen, zu bestätigen. Die Angeordneten ließen sich überzeugen – und Gribor wurde mit der Wahlaufsicht beauftragt. Salander Sulukum kündigte an, dass die Ratswahlkommission aus zehn Denebern am folgenden Tag abfliegen sollte. Auch dies fand allgemeine Zustimmung. Gribor schäumte vor Zorn, aber er konnte nichts dagegen tun, ohne sich und seine wahren Absichten zu verraten.

Als die Deneber mit der Megara die Orbitalstation von Megara verließen, die knapp eine Lichtsekunde vom Schwerefeld des Planeten entfernt in den Hyperraum überging, betrachtete Kwiri Swin nachdenklich den Hauptschirm auf der Brücke, auf dem die Sterne zu lang gezogenen Streifen wurden. Würde eine Wiederholung der Wahl tatsächlich den für Amazonia lebensnotwendigen Frieden bringen?

 

Kapitel 12

Betrug und Lohn

 

Drei Galaktische Wocheneinheiten waren vergangen, als Thomas endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Françoise holte ihn ab. In den letzten Wochen war sie wirklich rührend um ihn bemüht gewesen. Thomas hatte es wieder fatal an seine tote Frau erinnert, die sich nach einem Unfall, den er kurz nach ihrer Hochzeit gehabt hatte, ebenso um ihn gekümmert hatte. Gabi Hansen war nun fast ein ganzes Erdenjahr tot, aber Thomas hatte noch immer nicht den Mut, sich dazu durchzuringen, Françoise entsprechend den Hof zu machen. Er konnte sich noch immer nicht eingestehen, dass er sie liebte – und das paradoxerweise, weil sie sich so liebevoll um ihn bemühte.

„Thomas – du hattest versprochen, dass wir, wenn du diese Wahlaffäre nachgeprüft hast, auf die Erde fliegen und unser künftiges Verhältnis klären“, erinnerte Françoise ihn auf der Fahrt. Verwirrt sah er sie an. Dann fiel ihm das Gespräch, das sie vor seinem Abflug nach Amazonia geführt hatten, wieder ein. Er hatte es in der Hektik völlig vergessen. Françoise lächelte ihn sanft an.

„Vergessen, was? Macht nichts.“

„Tut mir Leid“, sagte Thomas schuldbewusst. Dass sie ihn erinnerte, machte ihm die Notwendigkeit einer Klärung bewusst. Die Stunde der Wahrheit rückte näher. Aber vielleicht war es gut, wenn er sich nicht mehr zu lange davor drückte, sagte er sich.

„Aber wenn du mich schon erinnerst, sei es“, setzte er hinzu. „Lass uns zum Ratsgebäude fahren. Wir nehmen beim Präsidenten Urlaub.“

Françoise nickte und fuhr zum Ratspalast, in dem auch das Galaktische Präsidium untergebracht war. Der Präsident hörte ihren Wunsch an, drei Wochen auf der Erde Urlaub zu machen, hatte aber einen seltsam leeren Ausdruck im Gesicht. Zu Thomas’ und Françoises großer Verblüffung lehnte Sulukum ab. Er schüttelte ungewöhnlich heftig den grünen Kopf.

„Unmöglich“, sagte er. „Kreuzerkommandant Hansen hat sich wieder bei seinem Kommando auf Palavor einzufinden, wenn seine Dienstfähigkeit wiederhergestellt ist. Für die Zeit der Dienstverpflichtung wird kein Urlaub gewährt. Sie müssen zurück nach Palavor.“

„Und wann soll ich wieder zu meinem Stützpunkt zurück?“, erkundigte sich Thomas ernüchtert.

„Unverzüglich, also mit der nächsten regelmäßigen Verbindung“, erwiderte der Präsident. Seine Stimme klang unpersönlich wie nie zuvor, fast automatenhaft. Aber es war unzweifelhaft Präsident Sulukum, der den Terranern gegenübersaß. Françoise und Thomas sahen sich an und akzeptierten das Unvermeidliche – wenn auch schwer.

„Ja, gut“, seufzte Thomas. Niedergeschlagen verließen sie den Ratspalast.

Wenig später hatten sie über den Computerterminal im Ratssaal erfahren, dass die nächste planmäßige Verbindung um Mitternacht xytharanischer Zeit war.

„Also um Mitternacht“, sagte Thomas und schloss das Programm wieder. „Bis dahin ist nicht viel Zeit. Françoise, ich lade dich hier auf Megara zum Essen ein, was hältst du davon?“

Sie sah ihn lange an. Alles in ihr drängte danach, ihm bei einem gemütlichen Essen alles zu sagen, was sie ihm sagen musste und wollte, aber gleichzeitig kamen ihr Zweifel, dass sie in Anbetracht der kurzen Zeit, die dafür noch zur Verfügung stand, wirklich den Mut für alle Wahrheiten finden würde. Sie legte ihm sanft die Hand auf den Arm.

„Ich danke dir, aber für eine vollständige Klärung unserer Arbeitsbasis und unseres persönlichen Verhältnisses wird ein Abendessen allein nicht ausreichen. Wir haben jetzt schon so lange gewartet, da kommt es auf die verbleibende Zeit bis zum Ende deiner Dienstverpflichtung auch nicht mehr an“, sagte sie mit einem traurigen Unterton.

„Ich hätte so gern mehr Zeit für dich, Françoise“, sagte er bedauernd. „Wollen wir trotzdem essen gehen? Du hast mir in den letzten Wochen sehr geholfen. Ich möchte mich einfach bei dir bedanken.“

Es war Françoise zu wichtig, in Thomas’ Nähe sein zu können, als dass sie eine Einladung von ihm abgelehnt hätte. Sie fuhren nach Xythara hinein und gingen in ein typisch denebisches Restaurant. Wie in New York war es ein nettes, gemütliches Abendessen, mit dem Unterschied, dass sie diesmal von vornherein zu zweit waren. Aber dieses Abendessen würde am Raumhafen enden, nicht in einem gemeinsamen Schlafzimmer – und beide bedauerten es zutiefst. Sie redeten über Gott und die Welt, nur nicht über die beiden Dinge, die sie beide wirklich bewegten und belasteten: Ihr ungeheuerliches Geheimnis und seine Liebe zu ihr.

Zwanzig Minuten vor Mitternacht standen sie an der Zugangsschleuse des Raumhafens von Xythara, wo die Transporterfähre ins Orbitaldock auf Thomas wartete.

„Ich wünsche dir alles Gute, Thomas“, sagte sie leise. Thomas sah sie genauer an.

„Sehe ich tatsächlich feuchte Augen?“, fragte er ebenso leise. Ohne ein Wort umarmte sie ihn, er hielt sie eine Weile fest.

„Es ist ja nicht mehr für lange, Fränzchen“, sagte er und strich ihr tröstend über das Haar.

„Ich hab’ dir noch so viel zu sagen, Thomas!“, schluchzte sie. Er wischte ihr sanft eine Träne ab.

„Drei Galaktische Monate noch. Komm, Kleines, wir wollen Gribor, diesem galaktischen Schwein, den Triumph nicht gönnen“, beruhigte er die junge Frau. „Dein Make-up ist etwas zerflossen. Bring’ dich lieber in Ordnung, bevor du den Raumhafen verlässt“, empfahl er dann. Françoise nickte. Sie küsste ihn flüchtig auf die Wange und lief eilig davon. Thomas machte nicht den Versuch, ihr zu folgen. Er musste die Fähre noch erreichen und er ahnte, dass es ihr mindestens genauso schwer gefallen war wie ihm selbst, nicht mit wirklicher Leidenschaft zu küssen. Es hätte ihn diese verfluchte Pflicht sofort vergessen lassen.

Eine Galaktische Woche später traf er auf Palavor ein. Noch im Orbitaldock begegneten ihm Kwiri und Klim, die ihn freudig begrüßten.

„Schön, dass du wieder gesund bist, Thomas“, freute sich Kwiri. Thomas konnte nicht anders: Er nahm beide Deneber einfach auf den Arm.

„Hallo, Freunde. Wie geht’s euch?“

„Danke der Nachfrage. Inzwischen wieder besser“, brummte Klim. Thomas setzte sie ab.

„Wie ist das zu verstehen?“

„Nun, auch wir haben die Wahlen auf Amazonia nur knapp überlebt“, bemerkte Kwiri seufzend. „Wir sind eben auf dem Weg zum Admiral, um ihm zu berichten.“

Sie bestiegen die Transporterfähre und ließen sich nach Palun bringen.

„Was ist passiert?“, erkundigte sich Thomas gespannt.

„Die Wahlen wurden ordnungsgemäß durchgeführt, aber das heißt nicht, dass der Bürgerkrieg damit beendet wäre. Kasurina hat mit einem erdrutschartigen Sieg die Wahl gewonnen. Aber in drei Fünfteln des Mondes haben die bislang regierenden Rashoggistinnen ihre Niederlage nicht akzeptiert und zusammen mit den Sinartistinnen, die ebenfalls nur verschwindend wenig Stimmen bekommen haben, einen Aufstand angezettelt. Dort sind die Kandidatinnen der Surinistinnen zu einem großen Teil umgebracht worden. Kasurina selbst droht ernsthafte Gefahr. Wir sind vor zwei Galaxo-Tagen abgeflogen, und ich glaube nicht, dass Kasurina noch im Präsidentenpalast regiert“, berichtete Klim Hamor

„Um Gottes Willen!“, entfuhr es Thomas. „Was macht Gribor?“

„Ich muss gestehen, ich weiß es nicht“, erklärte Kwiri bedrückt. Er ist mit der Megara fort. Ich befürchte, er ist zu seinem Hauptstützpunkt geflogen, um die Flotte nach Amazonia zu verlegen. Was dann geschieht, kannst du dir vorstellen, oder?“

„Hmm, er braucht einen Ratsbeschluss dazu“, überlegte Thomas. „Das heißt, er muss nach Megara zurück, bevor er etwas unternehmen kann.“

„Seine Flotte könnte das Zerstörungswerk auch ohne ihn durchführen“, erinnerte Klim.

„Schon, aber es hätte für ihn nicht die gleiche Qualität“, gab Thomas zurück. „Er wäre um das Vergnügen gebracht, die Zerstörung selbst zu beobachten. Das wird er sich nicht nehmen lassen. Aber viel Zeit haben wir nicht mehr. Ich muss mich ohnehin beim Admiral melden. Ich komme mit.“

Admiral Luk-Sun nahm Thomas’ Rückmeldung gerne entgegen, aber als er die Daten sah, die auf der Krankmeldung waren, stutzte er.

„Sie sind ja erst am Tag Ihres Abfluges aus dem Krankenhaus entlassen worden, Kreuzerkommandant“, wunderte er sich. Kwiri, Klim und der Admiral sahen den Terraner verblüfft an. „Warum nehmen Sie Ihren Genesungsurlaub nicht in Anspruch?“

Thomas bekam weiche Knie und musste sich setzen.

„Jetzt hört sich doch alles auf!“, platzte er heraus. „Direkt nach meiner Entlassung bin ich zum Präsidenten gefahren, weil ich eigentlich noch ein paar Wochen Urlaub auf Mutter Erde machen wollte. Der erzählt mir, ich hätte während meiner Dienstverpflichtung keinen Anspruch auf Urlaub sondern hätte mich sofort wieder hier zu melden. Und jetzt höre ich was von Genesungsurlaub!“

„Bist du ganz sicher, mit Salander Sulukum gesprochen zu haben?“, erkundigte sich Kwiri. „Das klingt eher nach unserem Freund Gribor!“

Sicher ist so eine Sache“, brummte Thomas. „Sulukum hatte einen so seltsamen, leeren Gesichtsausdruck. Fast, als ob er unter Hypnose stand.“

„Bei den Göttern von Mingon!“, fuhr Kwiri hoch. „Der Pirat hat es gewagt!“

„Was hat er gewagt?“, erkundigte sich Thomas.

„Er hat den Präsidenten mit Hypnopulver unter seine Kontrolle gebracht! Eine Katastrophe!“

„Hypnopulver? Oh, jetzt wird mir manches klar, Kwiri! Ihr benutzt doch auch Tarnfelder, oder?“

„Klar.“

„Jetzt bin ich mir sicher, was ich bisher nur vermuten konnte: Gribor wollte es mit der Erde genauso machen. Ich wette, er hat die Leute vom Sicherheitsrat mit dem Zeug behandelt und damit zunächst von einer Entscheidung zugunsten des Beitritts abgehalten. Und ich bin mir sehr sicher, dass du die Wirkung dieses Pülverchens ebenfalls ausgenutzt hast, um die Vollversammlung dazu zu bringen, der Vereinigung und dem Beitritt zuzustimmen. Du hast die Drucksachen damit behandelt, stimmt’s?“

Kwiri wurde dunkelgrün vor Beschämung.

„Ich hatte kaum eine andere Wahl, oder?“

„Ich mache dir auch keinen Vorwurf, lieber Kwiri. Dir gewiss nicht. Aber wie kann man verhindern, dass Gribor so etwas wieder tut?“, fragte Thomas.

„Der Präsident muss seinen Neutralisator dort benutzen, wo er unter Hypnose stand“, erwiderte Kwiri.

„Es ist sicher: Gribor wollte mich von Megara weghaben. Er will verhindern, dass ich ihm – wie bei Terra – einen Strich durch die Rechnung mache. Ich muss zurück nach Megara!“, stellte Thomas fest.

Luk-Sun kraulte sich den blauen Bart.

„Sie meinen, Sie könnten den Lumpen am Einsatz seiner Flotte hindern?“

„Ich will mich nicht selbst überschätzen, aber ich möchte es wenigstens versuchen, Gaul. Wie lange hätte ich eigentlich Genesungsurlaub gehabt?“

„Einen vollen Monat galaktischer Einheitszeit. Wenn ich Sie zurückschicke, wird Sie das erstens sehr belasten. Es könnte sein, dass die Plasmaten das nicht mitmachen. Zweitens ist Ihre Dienstzeit dann praktisch abgelaufen und drittens wird es sehr gefährlich sein. Wenn Gribor es wirklich auf Sie abgesehen hat, wird er Mittel und Wege finden, Sie aus dem Weg zu räumen“, warnte der Admiral.

„Sie meinen, so wie auf Amazonia?“, erkundigte sich Kwiri.

„Ja, oder so ähnlich.“

„Ihr meint, das mit dem Robot sei kein Unfall gewesen?“, fragte Thomas entsetzt.

„Nein, es war kein Unfall“, bestätigte Klim. „Wir haben auf Amazonia festgestellt, dass der Robot mit einer Fernsteuerung aktiviert und gesteuert wurde. Und zwar auf einer Frequenz, die haargenau der Fernsteuerfrequenz der Megara entspricht. Zum Zeitpunkt der Attacke auf dich war die Megara auf dem Weg nach Canela – und dürfte Amazonia passiert haben. Ich war neugierig und habe das Bordbuch der Megara untersucht. Sie ist zum Teil unter Tarnschirm geflogen, und es passt zum Zeitpunkt des Unfalls.“

„Schön! Gribor will also Krieg. Den kann er haben“, schnaubte Thomas.

„Thomas, ich will Sie nicht verlieren. Seien Sie also sehr vorsichtig, wenn Sie sich mit Gribor anlegen“, sagte Luk-Sun. „Mir wäre sehr viel daran gelegen, wenn Sie auch nach Ihrer Verpflichtungszeit bei der Achten Flotte blieben. Ihre reguläre Dienstzeit ist bald abgelaufen. Sie könnten sich weiterverpflichten.“

„Und mein Ratsmandat?“, fragte Thomas nach.

„Dasselbe wie bei Kapitän Swin. Solange Sie dem Rat angehören, werden Sie freigestellt.“

„Ich gebe zu, das Angebot ist reizvoll – wenn Palavor nicht so wahnsinnig weit von Terra entfernt wäre. In meinem früheren Job bin ich brotlos und nach UFOs brauche ich nicht mehr zu suchen. Aber ich war, wenn mein Mandat abgelaufen ist, fünf Jahre nicht mehr auf der Erde. Allmählich habe ich Heimweh.“

„Palavor ist als Wüstenplanet nicht ganz nach Ihrem Geschmack. Ich kann das gut verstehen, denn Malagriva ist – wie Terra – eine wasserreiche Welt“, bemerkte der Admiral mit einem echten Pferdegrinsen. „Leider liegt Ihr Heimatplanet am gänzlich anderen Ende des Föderationsbereiches. Und im System SOL hat sich Admiral Gribor seinen Hauptstützpunkt eingerichtet. Er hat ihn jetzt wieder bezogen, nachdem Terra der Föderation beigetreten ist. Lange Zeit war SOL 4 verlassen, nachdem Gribor den Stützpunkt aus Angst vor den terranischen Sonden aufgegeben hatte. Er spekuliert sogar auf SOL 3, aber Ihre Regierung ist widerspenstig und will nicht ausgerechnet diese Flotte vor der Haustür haben. Eine Abneigung, die Terra übrigens mit so ziemlich allen Föderationsmitgliedern teilt.“

„Ich denke, meine Regierung würde wohl nichts gegen die Achte Flotte haben“, grinste Thomas. „Aber – da fällt mir etwas ein: Gribor ist derzeit verschwunden, vermutlich mit dem Ziel, seine Flotte nach Amazonia zu bringen. So berichtete mir Kapitän Swin. Wenn ich gleich nach Megara zurückfliege, könnte ich eventuell verhindern, dass die Flotte gegen Amazonia eingesetzt wird. Aber ich brauche dafür Ihre Hilfe, Gaul.“

„Reden Sie, Kreuzerkommandant“, forderte Luk-Sun den jungen Terraner auf.

„Wenn die Kampfhandlungen auf Amazonia eingestellt werden, bevor der Rat einen Beschluss zur Entsendung der Vernichtungsflotte fassen kann, wäre der Mond gerettet. Es kann nur in Ihrem Sinne sein, dass Amazonia weiter besteht, schon wegen der außerordentlich vielen Besatzungsmitglieder der Achten Flotte, die dort beheimatet sind. Richtig?“

„Stimmt.“

„Dann bitte ich Sie, mir den Genesungsurlaub zu geben, denn der würde mir ermöglichen, im Rat zu reden und an Entscheidungen mitzuwirken. Ich werde versuchen, den Rat vom Einsatz der Sechsten Flotte abzubringen und Sie sorgen mit der Achten Flotte auf Amazonia für Ruhe. Unterstützung von Nora Rosok und ihren Freundinnen ist ihnen sicher. Und die Terraner werden ebenfalls mitmachen, dessen bin ich sicher.“

Luk-Sun nickte.

„Und was ist mit dem Beruf in der Achten Flotte?“, fragte er.

„Wenn die Achte Flotte im SOL-System einen Stützpunkt bekommt – und sei es Pluto – bin ich dabei!“, versprach Thomas. Luk-Sun lächelte breit.

„Hab’ ich mir gedacht“, sagte er.

Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches. „Dann habe ich noch zwei Dinge für Sie, Thomas. Erstens: Als Dr. Malcolm mir Ihren Krankenbericht zeigte, habe ich fast Hornfäule bekommen vor Schreck. Den Flug hätten Sie eigentlich nicht überleben können. Im Hinblick auf die Tatsache, dass Sie den Betrug auf Amazonia aufgedeckt haben, die Bänder trotz Ihrer schweren Verletzung nach Megara gebracht haben und den Rat auch noch zur Wiederholung der Wahl überreden konnten, hat Kapitän Malina Sie zur Beförderung zum Commander vorgeschlagen. Dem habe ich gern entsprochen. Mit Wirkung vom heutigen Tage sind Sie damit zum Commander der Achten Interstellarflotte befördert. Das hat bisher noch kein Dienstverpflichteter während seiner Pflichtzeit geschafft. Bravo. Zweitens: Die Achte Interstellarflotte übernimmt den neuen Orbitaldock, der Terra geostationär über Afrika umkreist, als künftigen Stützpunkt im System SOL.“

Thomas wurde bleich. Im Moment wusste er nicht, ob er jubeln oder weinen sollte.

„Wie bitte? Chef, das ist hinterlistig!“, protestierte er – aber es klang nicht echt. Luk-Sun grinste noch breiter.

„Ich kann nicht einen meiner besten Leute gehen lassen, Commander!“, versetzte er. „Zunächst werden nur die fünf Schiffe der Achten Flotte dort stationiert, die von Terranern geflogen werden – also die Solterra, die Ganymed, die Europa, die Io und die Phobos. Die Phobos ist unser neuestes Schiff, nicht mehr kugelförmig, sondern diskusförmig. Sie nannten das mal Fliegende Untertasse, ich nenne es das beste Raumschiff, das sich derzeit finden lässt – und es ist Ihr Schiff! Und da Sie sich weiterverpflichten wollten, wenn die Achte Flotte einen Stützpunkt im SOL-System bekommt, hebe ich Ihre zwangsweise Verpflichtung ebenfalls mit dem heutigen Tage auf. Ich stelle Sie für die Zeit Ihres Ratsmandates frei. Herzlichen Glückwunsch.“

Thomas war, als werde er zum zweiten Male geboren. Er erinnerte sich seiner Kinderfantasien, als er und seine Freunde auf ihrem Hinterhof Raumpatrouille oder Enterprise gespielt hatten. Und das, was er damals vor sich hin geträumt hatte, war jetzt Wirklichkeit, allerdings auch mit sehr realen Konsequenzen, wie er bereits auf Amazonia hatte feststellen müssen. Sein neuer Beruf war im Extremfall geeignet, das Leben zu kosten.

Wenn das Gabi wüsste!’, durchzuckte ihn ein Gedanke.

„Danke, Gaul“, sagte er.

„Und ansonsten verfahren wir in Sachen Amazonia wie besprochen. Die Phobos ist noch nicht ganz fertig, Sie werden mit der Ganymed nach Megara zurückkehren“, versprach der Admiral.

„Gut. Ich mache mich sofort auf den Weg.“

Während Thomas mit der Transporterfähre gleich zum Orbitaldock zurückflog, um in Xythara das Schlimmste zu verhindern, gab Luk-Sun Alarm für alle Einheiten unter seinem Kommando. Die Ganymed war gerade im Hyperraum verschwunden, als das Gros der Achten Flotte nach Amazonia startete, um zu versuchen, den Krieg dort zu beenden.

Kapitel 13

Plasmatenstress und Liebesleid

Als Thomas eine Galaktische Woche später auf Megara landete, fühlte er sich alles andere als wohl. Durch die Hetzerei von Megara nach Palavor und wieder zurück waren die Plasmaten, die noch immer nicht gänzlich unabhängig von Wasch- und Nährlösung waren, wieder in argen Stress geraten. Sie schütteten wieder fleißig ihr giftiges Enzym aus – und Thomas fühlte sich hundeelend, als er auf Megara aus der Transporterfähre vom Orbitaldock stieg. Er hatte nicht einmal die Kraft, Françoise anzurufen, um sie über seine Rückkehr zu informieren oder auch nur, Dr. Fanolo um Hilfe zu bitten. Er ließ sich mit einem Taxigleiter nach Hause bringen, schaffte es knapp, in sein Haus zu kommen.

Françoise zu informieren, war auch nicht nötig, denn sie wunderte sich, dass im Nachbarhaus Licht brannte, obwohl dort eigentlich niemand sein durfte. Die junge Frau nahm allen Mut zusammen, nahm die Laserpistole und ging den kurzen Weg zu Thomas’ Haus hinüber. Als sie die Häuser bezogen hatten, hatten sie die Fernbedienungen für die Magnetschlösser ausgetauscht, so dass sie gegenseitig jederzeit Zutritt zum Nachbarhaus hatten. Françoise war nicht wenig verblüfft, dass sie ihren Nachbarn angezogen eingeschlafen auf seinem Bett fand. Sie sicherte die Laserpistole, steckte sie ein und weckte Thomas vorsichtig. Er fand nur schwer in die Wirklichkeit zurück.

„Teufel, wo bin ich?“, fragte er etwas mühsam.

„In deinem Schlafzimmer, in der Stadt Xythara auf dem Planeten Megara, Galaktische Föderation“, gab Françoise Auskunft.

„Verdammte Plasmis! Die Biester sind wieder am Enzyme spucken“, fluchte Hansen leise.

„Du kannst doch auf Palavor nur eine Markierung abgesetzt haben, so schnell warst du wieder hier. Das ist den Plasmis bestimmt nicht bekommen. Aber was machst du hier? Ich denke, du hast noch drei Monate abzuleisten?“, wunderte sie sich. Thomas setzte sich auf.

„Hol’ mir doch bitte eine Kopfschmerztablette aus der Küche. Ich halt das kaum aus.“

Françoise tat ihm den Gefallen, er nahm die Tablette. Die rasenden Kopfschmerzen ließen aber nur zögernd nach.

„Soll ich nicht besser Dr. Fanolo holen?“, fragte sie. Er nickte schweigend.

Wenig später war der Ratsarzt bei Thomas.

„Sie sind doch völlig verrückt!“, schalt der Centaure. „Kaum sind die Plasmaten von täglicher Wäsche entwöhnt, glauben Sie, wieder wie eine wild gewordene Sonde durch den Weltraum hoppeln zu können. Diesmal können wir das Plasmolon noch anwenden. Beim nächsten Mal sind Sie abhängig!“, warnte der Arzt.

„Ich weiß. Aber es wird entbehrlich sein, denke ich“, erwiderte Thomas, als die Injektion ihre Wirkung tat und es ihm besser ging. „In der nächsten Zeit brauche ich nicht im Raum herumzugondeln, sondern bin wieder ganz normales Mitglied des Galaktischen Rates. Ich kann also für die notwendige regelmäßige Anwendung der Waschlösung sorgen.“

„Na, hoffentlich“, brummte Fanolo. „Aber Sie kennen die andere Methode – und ich würde Sie ihnen bei so einer reizenden Nachbarin dringend anempfehlen!“

Damit verließ Dr. Fanolo das Haus und ließ Françoise und Thomas allein.

„Was meint er?“, fragte Françoise.

„Ach, lass nur. Es ist nicht wichtig. In jedem Falle würde es auf ein Ausnutzen deiner Person hinauslaufen und das will ich nicht.“

„Und du bleibst hier?“

„Ja. Ich habe erfahren, dass die Achte Flotte auf Terra einen Stützpunkt bekommt und habe mich auf unbestimmte Zeit weiterverpflichtet. Luk-Sun hat mich zum Commander befördert, meine Dienstverpflichtung aufgehoben und mich für die restliche Zeit meines Ratsmandates freigestellt. Danach habe ich ein eigenes Schiff, die Phobos, die demnächst in Dienst gestellt wird.“

„Ich sehe das richtig: Du bleibst Soldat?“

„Das hast du richtig verstanden“, bestätigte Thomas.

„Oha! Das muss ich erst mal verdauen.“

„Françoise, die Föderationssoldaten sind was anderes als die Soldaten auf der Erde mal waren. Ich vergleiche diese Leute mehr mit den UN-Truppen als mit der Fremdenlegion.“

„Wenn ich an die denke, die eine ganze Region im Iran und Irak verwüstet haben, wird mir aber ganz anders.“

„Das ist eher der krankhafte Ehrgeiz eines ganz bestimmten Wesens mit Namen Kilma Gribor. Nein, krankhafter Ehrgeiz ist falsch. Er ist verrückt, davon bin ich überzeugt. Und Gribor ist – außer dir – auch der Grund, weshalb ich so eilig zurückgekommen bin. Kwiri, Luk-Sun und ich werden den Verdacht nicht los, dass der Kerl zum Mars gefegt ist, um seine Flotte zusammenzutrommeln, sie nach Amazonia in Marsch zu setzen und sich den Ratsbeschluss dafür hier zu holen. Ich will ihn daran hindern.“

„Und womit? Mit deinem Dienstgrad? Tommy, der Lump ist Admiral!“, erinnerte Françoise ihn. Er lächelte sanft.

„Das weiß ich, Fränzchen. Ich will versuchen, den Rat davon zu überzeugen, die Sechste Flotte nicht nach Amazonia zu senden, weil die Achte Flotte versucht, den Frieden wiederherzustellen“, erwiderte er. „Ich werde wieder ganz normal an den Sitzungen des Rates teilnehmen.“

„Verzeih’ die dumme Frage einer eingefleischten Zivilistin: Worin besteht der Unterschied zwischen den Schiffen der Sechsten und der Achten Flotte?“

„Die Sechste Flotte käme nur zum Zerstören. Die Achte wird versuchen, auf Amazonia zu landen, um die streitenden Parteien zu trennen und Frieden und Ordnung wiederherzustellen“, erklärte Thomas.

„Und du glaubst, dass Militär das wirklich erreichen könnte?“

„Ja, das glaube ich“, bestätigte er.

„Irgendwie hast du dich verändert, seit man dich zur Flotte verpflichtet hat“, bemerkte sie spitz.

„Niemand bleibt sein Leben lang gleich“, erwiderte Thomas leise. „Aber was das anbelangt, brauchte ich mich wohl nicht sehr zu ändern. Bevor ich meinen Beruf erlernt habe, habe ich mit dem Gedanken gespielt, mich freiwillig bei der Bundeswehr zu verpflichten, aber meine mangelnde Sportlichkeit hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auch die Wehrpflicht auf der Erde habe ich nur knapp und mit einem verbeulten Knie überstanden. Da habe ich nicht ans Weitermachen gedacht.“

„Du hast mir nie etwas davon gesagt“, wunderte sich Françoise – und bereute die Bemerkung im selben Augenblick, in dem sie ausgesprochen war. Sie konnte sie verraten.

„Warum sollte ich?“, fragte Thomas erstaunt. „So lange kennen wir uns nun auch nicht – obwohl es mir schon wie eine Ewigkeit vorkommt.“

Françoise atmete auf. Offenbar hatte er nichts bemerkt. Es war einfach nicht die passende Stimmung, um ihm alles anzuvertrauen.

„Vielleicht kommt es mir genauso vor“, murmelte sie.

„Ist es ein großer Schlag für dich, dass mir das Militär nicht zuwider ist?“, fragte er sanft.

„Ich glaube, ich muss mich erst daran gewöhnen“, seufzte sie. Im Augenblick erschien es ihr nicht erstrebenswert, einem fast überzeugten Soldaten eine gute Ehefrau zu sein. Françoise mochte das Militär nicht besonders. Nur allzu gut erinnerte sie sich, dass ein Verwandter von ihr beim dienstlichen Sport bei der Bundeswehr einen tödlichen Unfall erlitten hatte – und dass die Bundeswehr Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, um nachzuweisen, dass der Tod ihres Onkels nicht auf den Unfall als solchen, sondern auf eine schicksalsbedingte Schwäche der Aorta zurückzuführen war. Françoises Tante hatte den jahrelangen Rechtsstreit um die Witwenrente zwar gewonnen, aber sie hatte eine Menge Nerven dabei verloren. Der Zwang von Befehl und Gehorsam, die Tatsache, dass der Beruf des Soldaten das Töten von Menschen und anderen Wesen bedeutete, die böse Erfahrung mit dem Arbeitgeber Militär – das alles ließ Françoise alias Gabi Hansen den Soldatenberuf nicht gerade lieben. Gerade war sie froh, dass Thomas doch nicht so versponnen war, wie sie früher geglaubt hatte, da hatte er die nächste verrückte Idee. Ausgerechnet Soldat würde er sein! Als braver Versicherungskaufmann hatte er ihr besser gefallen. Recht konsterniert verabschiedete sie sich. Thomas, der liebend gerne diese Nacht mit Françoise verbracht hätte, nahm sich zusammen und hielt sie nicht zurück.

Am folgenden Tag beschaffte Thomas sich einen Neutralisator und suchte zunächst den Präsidenten auf, berichtete ihm und fragte ihn nach dem Neutralisator. Noch immer automatenhaft, reagierte Sulukum nicht. Thomas drückte ihm das von Horka besorgte Gerät in die Hand und schaltete ihn ein. Schlagartig war Sulukum wieder klar.

„Was ist passiert? Wie kommen Sie zu mir?“

Thomas erklärte es dem alten Deneber vorsichtig. Er nahm es zur Kenntnis.

„Danke. Ich werde den Neutralisator eingeschaltet lassen. Aber einen Beweis gegen Gribor haben wir nicht“, gab der Präsident zu bedenken

Zwei Tage darauf fand die nächste Sitzung des Galaktischen Rates statt. Thomas legte seine Freistellung vom Flottendienst vor, womit er wieder seine Tätigkeit als Ratsmitglied aufnahm. Kilma Gribor, ebenfalls gerade wieder eingetroffen, hegte zwar Zweifel, aber er war der Einzige, dem es nicht gefiel, dass die terranische Delegation wieder vollzählig war. Thomas, der von Luk-Sun über die Bemühungen der Achten Flotte unterrichtet worden war, auf Amazonia für Frieden zu sorgen, meldete sich bei der Abstimmung der Tagesordnung zu Wort:

„Ich beantrage, die Tagesordnung um den Punkt Situation auf Amazonia zu erweitern.“

Präsident Sulukum nahm den Antrag zur Kenntnis.

„Wer für den Antrag von SOL 3 ist, betätige bitte den ‘Ja’-Sensor“, forderte er die Delegierten auf. Es hatte nach auch der Neuwahl genügend Gerüchte gegeben, was Amazonia anbetraf. Es fand sich eine deutliche Mehrheit für eine Debatte über Amazonia.

Die Sitzung zog sich vom Morgen sich bis zum späten Abend hin. Es mochte nach Mitternacht sein, als Kilma Gribor an das Rednerpult trat und im Interesse aller Mitglieder des Hauses um eine Vertagung des verbleibenden Tagesordnungspunktes Amazonia bat. So viel Freundlichkeit machte Thomas – obwohl müde – misstrauisch. Er drückte die Wortmeldetaste.

„Ich bitte den Rat, die Tagesordnung abschließend zu behandeln“, stellte er einen Gegenantrag. Gribor warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Welchen Sinn sollte es haben, heute noch über diese unwichtige Sache zu diskutieren?“, fragte der Deneber.

„Dass wir hier noch sitzen, haben wir Ihren massenhaften Anträgen zur Geschäftsordnung und zu Verfahrensfragen zu verdanken, Abgeordneter Gribor“, versetzte Thomas bissig. „Ich hätte dieses Thema, das mich seit gut zwei Galaxo-Monaten beschäftigt, gern aus dem All.“

„Ich fürchte, dann werden wir die nächsten fünf Jahre hier ununterbrochen sitzen, denn Amazonia ist ein schier unerschöpfliches Thema“, grinste Gribor. Im Saal erhob sich Gelächter.

„Aber das kann ein Erdling natürlich nicht wissen. Vor allem, wenn er auch noch fast ein Jahr nicht mehr im Rat war“, fügte Gribor nachsichtig hinzu. Thomas kam nicht zu einer zornigen Erwiderung, denn Präsident Sulukum forderte zur Abstimmung auf und das Schlafbedürfnis der Delegierten siegte über das Pflichtgefühl.

Auch in den nächsten beiden Sitzungen brachte Gribor es fertig, dieses ihm im Moment nicht genehme Thema ans Ende der Tagesordnung zu setzen – und jeweils vertagen zu lassen. Thomas rätselte nach der zweiten Vertagung, warum Gribor einen so großen Bogen um Amazonia machen wollte. Das, was dort geschah, musste doch den Einsatz seiner Flotte herausfordern! Kwiri hatte Thomas informiert, dass die Achte Flotte nur eines hatte tun können: die Präsidentin Kasurina und die regierungstreuen Truppen nach Palavor evakuieren. Auf Amazonia herrschten die Putschisten! Dann hatte Thomas plötzlich eine Idee: Gribors Flotte war nicht einsatzbereit! Er wollte offensichtlich Zeit gewinnen. Wenn er jetzt eine Entscheidung herbeiführte, konnte er den Einsatz der Zerstörungsflotte vielleicht ein für allemal verhindern, sagte sich Hansen. Nach der dritten Vertagung und der nach Kwiris Informationen immer unübersichtlicher werdenden Situation beantragte Thomas eine Sondersitzung zu diesem Thema. Mit hauchdünner Mehrheit nahm der Rat den Antrag der Erdvertretung an. Was würde sie bringen?

Kapitel 14

Harte Diskussionen

 

In der Sitzung konnte Gribor dieses ihm unrechte Thema nicht mehr mit einer Vertagung abblocken. Thomas berichtete über die schlimme Situation.

„So sind gegenwärtig Putschisten die Machthaber auf Amazonia, während die rechtmäßige Regierung in die Rolle von Rebellen gedrängt wird. Um der gewählten Regierungspartei Amazonias zu ihrem Recht zu verhelfen, beantrage ich daher die Entsendung von Föderationsmilitär, das die widerstreitenden Parteien trennen und befrieden soll – mit dem Ziel, den Surinistinnen die ihnen nach der Wahl zustehende Regierungsgewalt zurückzugeben“, schloss Thomas seinen Bericht. Die nun entstehende Debatte dauerte sechs Stunden und blieb ohne Ergebnis. Der Rat war tief in sich gespalten, hin- und hergerissen zwischen der Forderung nach gnadenloser Anwendung des § 400 II. PlBG, der Entsendung von Militär zur Befriedung und dem Verlangen, gar nichts zu unternehmen. Die Fronten hatten recht schroffe Formen angenommen.

Thomas, der sich mehrfach in die hitzige Debatte eingeschaltet hatte, hatte wieder bohrende Kopfschmerzen, als er seinen Gleiter vor seiner Haustür parkte. Es waren dieselben Symptome, die sich bei zu lange unterernährten Plasmaten zeigten. Daran konnte es nach Thomas’ mühsamer Überzeugung nicht mehr liegen. Schließlich hielt er die Behandlungsvorschriften genau ein. Mit viel Mühe erreichte er seine Haustür, die er mit seinem Magnetschlüssel öffnete. Mehr in Trance als bewusst entledigte er sich der zum Ratsanzug gehörenden weißen Jacke, hängte sie auf und kam gerade noch in die Küche. Mit Sternen vor den Augen nahm er ein starkes Schmerzmittel und legte sich auf das Sofa im Wohnzimmer.

Kaum lag er, als es an der Haustür summte. Mit brummendem Schädel stand er auf und öffnete. Zu seiner Überraschung stand Kwiri vor der Tür.

„Wo kommst du her, Kwiri? Ich hatte dich auf Palavor vermutet. Komm ‘rein.“

„Ich bin auch eben erst angekommen. Aber wie siehst du denn aus?“, fragte Swin besorgt.

„Ich hab’ furchtbare Kopfschmerzen“, klagte Thomas. Er wirkte bleich und erschöpft.

„Schon wieder diese verdammten Plasmaten!“, mutmaßte Kwiri. „Hast du immer noch keine vernünftige Therapie dagegen bekommen?“

„Ist im Moment schwierig“, erwiderte Thomas und dachte an Françoise, die sich im Augenblick im Auftrag des Senats auf einer Reise befand. „Teufel, tut das weh. N’ Glas Banthamilch?“, bot er an.

„Der terranische Gastgeber! Ich sage nicht nein“, lächelte Kwiri.

Thomas schlich in die Küche und füllte aus einem Glaskrug, den er im Kühlschrank aufbewahrte eine leuchtendgrüne Flüssigkeit in ein Glas. Es war die Milch von Banthakühen, einer mammutartigen Büffelrasse, die auf Megara heimisch war. Banthas waren gutmütige Tiere, die für die Deneber schwere Arbeiten in den Urwäldern, in den Sümpfen und zum Teil im Gebirge verrichteten, wo man mit Maschinen nicht mehr hinkam. Die Milch war sehr vitamin- und eiweißreich, war praktisch unbegrenzt lagerfähig, hatte aber einen für die menschliche Zunge etwas merkwürdigen Geschmack. Thomas hatte die Milch zwar probiert, sie entsprach aber nicht dem, was seine Geschmacksknospen liebten. Er hatte sie nur für Kwiri im Hause.

„Was führt dich zu mir?“, fragte Thomas, als er wieder saß.

„Amazonia“, erwiderte Kwiri knapp.

„Oh, Gott! Erinnere mich nicht an die heutige Debatte!“, seufzte Hansen.

„Nicht die Debatte – Amazonia als solches. Es hat ein Unglück gegeben, dessen Tragweite ich noch nicht ganz übersehen kann. Eine Patrouillenmaschine, die die Militärbewegungen auf Amazonia überwachen sollte, ist vom Mond aus abgeschossen worden. Igor Pretjakoff hat sie geflogen.“

Thomas wurde noch bleicher.

„Und was ist mit Igor? Lebt er?“, fragte er besorgt. Kwiri schüttelte bedauernd den Kopf.

„Igor dürfte in Stücken durchs All fliegen.“

„Mein Gott! Igor!“, entfuhr es Thomas. „Hast du eine Ahnung, wer Igor abgeschossen hat?“

„Rashoggistinnen oder Sinartistinnen. Viel andere Auswahl bleibt nicht.“

„Wenn das an Gribors Lauschlöffel dringt, ist Amazonia ohne Wenn und Aber fällig!“, schnaufte er. „Dann ist dieser Mond schneller kosmischer Staub, als die Mädchen ahnen.“

„Igor war ein guter Freund von dir. Bist du nicht der Meinung, dass sein Tod gerächt werden sollte?“, erkundigte sich der Deneber.

„Natürlich sollen die Schuldigen nicht ungeschoren davonkommen, aber deshalb muss man doch nicht einen ganzen Planeten zerblasen!“, versetzte Thomas. „Kwiri, es gibt Momente, da gebt ihr Deneber selbst mir als fantasievollem Erdling Rätsel auf. Auf der einen Seite kann ein Admiral eine ganze Region verwüsten und wird mit einem Taxiflug dafür bestraft; andererseits genügt es, wenn eine einzelne Maschine vom Boden eines Planeten aus abgeschossen wird, um als Strafe die Zerstörung der gesamten Welt zu fordern. Eigentlich langt schon ein zu lautes Husten auf einem Planeten, um die Sechste Flotte heraufzubeschwören. Das hat mit der Symbiose, der sich die Föderation rühmt, wahrlich nichts zu tun. Ernsthaft: Wie verträgt sich das?“, wunderte sich Thomas. Kwiri bekam einen bekümmerten Gesichtsausdruck.

„Ja, es stimmt, wir haben uns das Wort Symbiose auf unser Wappen geschrieben, aber es ist nicht der Ist- sondern der Sollzustand. Ich gebe auch zu, dass das II. Planetenbeziehungsgesetz eine megaranische Erfindung ist, die auch nur in solchen Zeiten angewendet wird, in denen der Präsident von Megara gestellt wird. In mancher Hinsicht unterscheiden wir Föderationsmitglieder uns nicht viel von euch Erdlingen. So, wie Machthunger und Habgier die Triebfeder der Erdmenschen ist, so ist das leider auch bei uns Denebern der Fall. Wie bei euch gibt es solche und solche. Ich bin wohl auch kein Unschuldsengel, aber ich gebe mir Mühe, nicht ausschließlich meinen eigenen Vorteil zu sehen. Gribor ist ein Musterexemplar von Machti. Er hat im All schon ganze Friedhöfe hinterlassen, wenn es einen Zielen dienlich war. Du bist Gribor richtig quer in die Flugbahn geraten. Auf Megara wird demnächst ein Teil der Abgeordneten neu gewählt, und Gribor steht zur Wiederwahl an. Die Zerstörung der Erde hätte ihm bei seiner Wählerschaft sehr viel Ansehen eingebracht. Gribor ist Berufspolitiker mit militärischer Befehlsgewalt. Diese Mischung ist schon per se explosiv. Kommt wie bei Gribor aber noch absolute Skrupellosigkeit hinzu, dann grenzt das an die Gefährlichkeit einer Supernova. Wenn er sich an seinem Wahlerfolg behindert glaubt, wird er nach anderen Möglichkeiten zur Zerstörung suchen. Er wird immer wütender werden, fürchte ich.“

„Das heißt: Solange ich gegen die Vernichtung Amazonias kämpfe, wird Gribor immer böser und könnte seine Wut an irgendeinem anderen Planeten auslassen, ohne dass er dafür ernsthaft bestraft wird?“, hakte Thomas nach.

„Genau das!“, bestätigte Kwiri.

Thomas schüttelte müde den Kopf.

„Ich weiß ja, dass man mich auf Erden einen Idioten geschimpft hat, aber was für einer ich wirklich bin, das haben nicht mal meine härtesten Kritiker gemerkt!“, knurrte er wütend. Kwiri sah seinen menschlichen Freund verwundert an.

„Wie kommst du darauf, einen geistigen Fehler zu haben?“, erkundigte er sich.

„Weil ich leider viel zu spät merke, dass die Föderationspolitiker keinen Deut besser sind als die auf Mutter Erde, sich aber herausnehmen, ein Volk, das nicht zu hundert Prozent in ihrer Spur läuft, gnadenlos zu vernichten! Kwiri, es fehlt nicht viel, dass ich meinen Rücktritt erkläre und der Erde dringend empfehle, sich aus diesem Club wieder zurückzuziehen.“

Kwiri spürte die Wut in seinem terranischen Freund. Sie war berechtigt, darüber war er sich klar.

„Thomas, ich verstehe deinen Zorn, aber er hilft nicht weiter, denke ich. Sieh mal: Wenn die Erde aus der Föderation austritt, ist das nächste, was sich vor eurer Tür sehen lässt, die Sechste Flotte. Du kannst das Elend nicht ändern, indem du dich zurückziehst und Gribor das Feld überlässt. Nur wenn du und Françoise weiter im Rat mitarbeiten, könnt ihr was bewegen. Das mag dir im Moment sinnlos erscheinen, aber ihr könnt unser Gewissen sein.“

„Gewissen!“, schnaubte Thomas verächtlich. „Das ist das Erste, was zur Seite gelegt wird, wenn es um Macht geht!“

Eine neue Schmerzwelle brandete durch seinen Schädel. Er hielt sich den schmerzenden Kopf und stöhnte unterdrückt.

„Seit der Präsident mich mit der Überprüfung der Wahl von Amazonia beauftragt hat, pralle ich auf jeder Seite gegen Widerstände. Ich habe das Gefühl, gegen eine Gummiwand zu rennen – und nun mag ich nicht mehr“, seufzte er schließlich.

„Es geht dir nicht gut. In so einer Situation sieht man alles furchtbar schwarz. Ich glaube, ich weiß, was dir fehlt: Erdurlaub. Du bist seit fast einem Galaxo-Jahr nicht mehr auf der Erde gewesen“, stellte Swin fest.

„Und Amazonia? Ich kann die Mädchen doch nicht einfach Gribors Wüten überlassen.“

Kwiri grinste.

„Eben wolltest du dein Amt noch niederlegen!“, erinnerte er lächelnd. „Ehrlich, Thomas – du brauchst dringend Urlaub.“

„Sobald die Amazonia-Sache ausgestanden ist. Eher kann ich einfach nicht!“, erwiderte Thomas und rieb sich verzweifelt die Schläfen. „Im Moment platzt mir fast der Kopf.“

„Hast du was eingenommen?“

„Ja, aber es hilft einfach nicht.“

„Du solltest schlafen gehen. Entspann’ dich. Bist du morgen fit?“

„Ich hoffe es, Kwiri. Ich hoffe es.“

Kwiri verließ das Haus und Thomas legte sich wieder auf sein Sofa.

Kapitel 15

Bedrohte Liebe

 

Kaum hatte er die Beine hoch, als es wieder summte.

Kwiri, ich könnte dich …!’, knurrte Hansen in Gedanken, stand aber doch auf und öffnete die Tür. Doch nicht der kleinwüchsige Deneber stand vor der Tür, sondern Françoise.

„Guten Abend, Thomas“, begrüßte sie den Nachbarn. Ihre Stimme klang warm und herzlich.

„Oh, Françoise, dich hatte ich noch gar nicht erwartet. Ich dachte, du wärst noch auf Reisen“, erwiderte Thomas müde. „Komm doch ‘rein“, lud er dann ein und versuchte tapfer, sich die bohrenden Kopfschmerzen zu verbeißen.

„Zum Glück war der Kreuzer zurück schneller als nach Macros hin. Sag’ mal, wie siehst du denn aus?“, fragte sie dann.

„Wie man eben nach einer sechsstündigen, ergebnislosen Amazonia-Debatte aussieht: Müde, blass und pappig. Und so fühle ich mich auch“, erwiderte Thomas und schloss hinter ihr die Tür.

„Hast du was genommen?“, erkundigte sie sich.

„Die Frage hat Kwiri mir vor zehn Minuten gerade gestellt“, erwiderte er. „Ja“, beantwortete er dann ihre Frage, „aber es hilft nicht.“

„Dann solltest du dich besser hinlegen“, empfahl sie.

Die Wärme in ihrer Stimme ließ auch bei Thomas die Barriere einstürzen, mit der er sich bisher gegen eine weitere Nacht mit ihr gewehrt hatte. Es hatte keinen Sinn, länger vor einer neuen Liebe davonzulaufen. Und wenn sie ihm noch helfen würde – umso besser.

„Das würde ich auch tun, wenn mich nicht ständig jemand hochscheuchen würde“, versetzte er, aber er lächelte dabei. „Ich hab’ dich vermisst“, sagte er leise und zog sie an sich. Sie küssten sich in einer Innigkeit, die ihnen bislang unbekannt war. Françoise löste sich vorsichtig aus dem Kuss.

„Hör mal, …“, setzte sie leise an.

„Ja?“, fragte er genauso leise.

„Zu dem, was ich vielleicht gern möchte, bist du wahrscheinlich nicht in der Lage. Dafür geht es dir nicht gut genug“, warnte sie, aber sie hielt ihn weiter umarmt.

„Falls du den Gedanken hattest, bis zum Frühstück zu bleiben, läge das auch in meiner Absicht“, sagte er sanft und strich ihr zärtlich durch das Haar. „Nach Dr. Fanolos Worten wäre das, was dazwischen liegen kann, für mich sehr heilsam. Ich wollte es dir nicht von mir aus vorschlagen, um dir nicht das Gefühl zu geben, ich würde dich ausnutzen wollen.“

Françoise lächelte ihn an.

„Frauen mit Migräne hätten jedenfalls keine Lust dazu. Ist das bei Männern anders?“

„Nein, aber bei Plasmatenverseuchten“, gab Thomas zurück. Er glaubte, schon eine leichte Verbesserung seiner Verfassung zu spüren, hielt es aber fast für Einbildung. „Bleibst du?“, erkundigte er sich.

„Ja“, flüsterte sie.

Megaras beide Monde spiegelten das gleißende Licht Denebs auf die Diplomatensiedlung von Xythara, in der nun Nacht herrschte. In der Siedlung war völlige Stille, nicht einmal Blätter rauschten in den für Megara so typischen Sonnenbäumen. Das helle Licht der beiden Trabanten beleuchtete durch ein aufgeklapptes Fenster auch das Bett, in dem zwei Verliebte zufrieden schliefen. Doch plötzlich war ein Geräusch da, das nicht in die Siedlung gehörte. Ein durchdringendes Sirren verbunden mit einem hohen Pfeifton störte Françoise und Thomas aus dem sanften Schlaf liebesseliger Ermattung auf.

„Was ist das?“, fragte Françoise verschlafen.

„Klingt nach einem Space-Jet“, erwiderte Thomas. Er hatte keine Kopfschmerzen mehr und war schlagartig wach. Eilig warf er sich seinen Overall über und lugte vorsichtig nach draußen.

„Oh, verdammt!“, fluchte er leise.

„Was ist?“

„Das sind Sinartas fleißige Ameisen. Sie sind zu dritt. Mit denen werde ich fertig. Tu mir den Gefallen und ruf’ die Stadtpolizei, wenn du von draußen Schüsse hören solltest“, sagte er und nahm seine Laserpistole in die Hand.

„Thomas, du willst doch nicht etwa …?“, setzte sie erschrocken an, aber er war schon auf dem Weg.

„Ich gehe hinten ‘raus und werde hören, was sie wollen. Wenn sie Streit suchen, werden sie ihr blaues Erdenwunder erleben!“

Er schob sich vorsichtig aus dem Hintereingang seines Hauses und schlich an der Wand entlang zur vorderen Tür. Hinter einem Busch, der gewisse Ähnlichkeit mit einem terranischen Mammutbaum hatte, blieb er stehen. Von dort konnte er beobachten, was vor seiner Haustür geschah. Die drei Amazonierinnen kamen mit gezogenen Waffen näher, eine klingelte an der Tür. Als sich nichts tat, rief sie:

„Erdling Hansen! Öffne!“

Tatsächlich! Die Putschistenschwestern!’, durchzuckte es Thomas. ‚Das Mordkommando hat mir gerade noch gefehlt!

Er entsicherte den Handlaser und sah sich die Örtlichkeit genau an.

„Verdächtig, Schwestern, er scheint nicht da zu sein. Wir müssen ihn unbedingt abfangen. Er darf morgen nicht vor dem Rat reden, sonst erreicht er noch die Erlaubnis des Rates, dass die Achte Flotte auf Amazonia landen darf. Wir müssen ihn mit allen Mitteln daran hindern!“

Das könnte euch so passen!’, dachte Hansen. Er prägte sich den Standort der Amazonierinnen genau ein und trat dann geräuschvoll aus der Deckung.

„Sucht ihr mich, Schwestern?“, fragte er laut und warf sich gerade noch rechtzeitig zu Boden, bevor die Strahler der Soldatinnen aufblitzten. Mit einigen raschen Schüssen entwaffnete er die Damen, ohne sie zu verletzen. Völlig verwirrt sahen sie auf die rauchenden Trümmer ihrer Laserwaffen.

„Ja, wie …?“, stotterte die Führerin.

„Der Name Nora Rosok sagt euch hoffentlich was, Freundinnen. Sie ist nun mal die beste Schützin auf Amazonia, und sie hat mir das Schießen beigebracht“, grinste Thomas freudlos. „Nette Idee der Oberschwester Sinarta. Diesmal ist sie eindeutig einen Schritt zu weit gegangen. Also: Fühler hoch und hinsetzen, Mädchen!“

Gehorsam hoben die Amazonierinnen die Hände und ließen sich langsam vor dem Eingang in den Schneidersitz sinken.

Fast im selben Moment erreichten drei Gleiter der Stadtpolizei Hansens Haus. Zehn schwerbewaffnete denebische Polizisten stürzten heraus.

„Stadtpolizei Xythara, ich bin Inspektor Nurk Hamor. Was ist geschehen, Herr Senator?“

„Diese netten Damen wollten mir im Auftrag von Kapitän Sinarta ein paar Löcher in den Pelz brennen. Die Waffen sind jedenfalls auf tödliche Stärke des Strahls justiert. Wollen Sie sie bitte festnehmen, Inspektor Hamor?“

Hamor erklärte die Amazonierinnen für verhaftet und klärte sie über ihre Rechte auf.

„Du hast keine Chance, Erdling!“, warnte die Führerin. „Sinarta wird es nicht zulassen, dass Amazonias Souveränität von dir gefährdet wird.“

„Wenn Sinarta glaubt, dass ihr Freund Gribor sie auch bei der Unabhängigkeit unterstützen wird, hat sie sich geschnitten. Gribor wartet nur darauf, endlich die Sechste Flotte gegen Amazonia einsetzen zu können. Er unterstützt euch nur solange, bis Sinarta den Befehl gibt, Amazonia von WEGA 6 zu lösen, kapiert ihr das eigentlich nicht?“

„Wir wissen, dass du uns vernichten willst, Erdling. Du rüttelst an der Ehre jeder Amazonierin, wenn du unsere Unabhängigkeit verhindern willst!“, schnaubte die Anführerin.

„Wenn ihr euch morgen in die Parlamentssitzung begleiten lasst, werdet ihr feststellen, dass das ganz und gar nicht meine Absicht ist“, entgegnete Thomas. Hamor und seine Polizisten schoben die Amazonierinnen in die Gleiter.

„Ernsthaft: Sollen sie bei der Sitzung morgen dabei sein?“, fragte er dann verblüfft.

„Wenn es rechtlich möglich ist und die Damen interessiert sind, ja“, erwiderte Thomas lächelnd.

„Sie werden es sich im Galaxnet ansehen können. Immerhin stehen sie unter dem Verdacht des versuchten Mordes an einem Ratsmitglied. Gute Nacht, Herr Senator.“

„Gute Nacht, Herr Inspektor“, verabschiedete sich Thomas.

Er sah noch den Polizeigleitern nach und ging dann in sein Haus zurück. Françoise kam ihm entgegen und umarmte ihn heftig.

„Diesmal hab’ ich ernsthaft Schiss gehabt!“, seufzte er und erwiderte ihre wortlose Umarmung.

„Danke, dass du gleich die Polizei gerufen hast. Wer weiß, wie lange ich die hätte in Schach halten können.“

„Ich hab’ noch nie solche Angst um dich gehabt – nicht mal nach deinem Unfall!“, stieß sie hervor. Thomas stutzte, schloss dann aber auf den Unfall auf Amazonia.

Weiteres Nachdenken war ihm auch versagt, weil ihn fast im gleichen Moment wieder Kopfschmerzen überfielen, als habe ihm jemand einen Knüppel auf den Schädel geschlagen.

„Au, verdammt!“, fluchte er und hielt sich den Kopf.

„Thomas, was ist?“

„Geht das schon wieder los?“, klagte er und ging in die Knie. „Die Plasmis beißen schon wieder. Die Biester plagen mich mehr, als dass sie mir helfen.“

Françoise konnte ihn knapp halten und beförderte ihn vorsichtig auf das Sofa.

„Du solltest dir überlegen, ob du die Plasmaten nicht abnehmen lässt“, empfahl Françoise und strich ihm sanft über den Kopf. „Du hast ja Fieber!“, stellte sie erschrocken fest. „Ich hole Dr. Fanolo“, entschied sie dann und war mit zwei Schritten am Visiofon. Der Centaure schaltete das Visio recht verschlafen ein.

„Guten Morgen, Dr. Fanolo. Senatorin Debussy hier. Senator Hansen geht es sehr schlecht. Die Plasmatenenzyme scheinen wieder zugeschlagen zu haben. Können Sie vorbeikommen?“, bat sie.

„Nur Kopfschmerzen oder hat er noch andere Beschwerden?“

„Er hat Fieber.“

„Bleiben Sie bitte bei ihm, Senatorin. Ich komme sofort.“

Es dauerte nur wenige Minuten, bis auf der Straße eiliger Hufschlag zu hören war, der auf ein Pferd im rasenden Galopp schließen ließ. Dr. Fanolo verließ sich, wenn er es wirklich eilig hatte, lieber auf seine vier schnellen Beine. Françoise öffnete die Tür und sah den centaurischen Arzt heran galoppieren. Fanolo bremste auf der Wiese vor Thomas’ Haus und schnaubte wie ein irdisches Pferd.

„Darf ich eintreten?“, fragte er dann.

„Kommen Sie, Doktor“, lud Françoise ihn ein. Fanolo putzte sich die Hufe ab und trabte ins Wohnzimmer durch.

„Geflügelter Pegasus! Wie sehen Sie denn aus? Ist Ihnen ein Gespenst begegnet?“, fragte der Arzt, als er sah, wie bleich Thomas war. Hansen schüttelte den Kopf.

„Eigentlich hat der Abend ganz nett angefangen. Ich bin schon aus der Sitzung mit einem Brummschädel gekommen, der sich gewaschen hatte. Dann bekomme ich netten Besuch von der Kollegin Debussy, verbringe einige wundervolle Stunden mit ihr, und dann steht dieses Mordkommando von Amazonia vor der Tür. Schätze, ich hab’ mich mehr aufgeregt, als es zunächst den Anschein hatte.“

Françoise stützte die Hände in die Hüften.

„Ein Gentleman bist du nicht gerade, Thomas“, fauchte sie ob seiner enthüllenden Andeutung. Fanolo lächelte verbindlich.

„Ich weiß, dass dies Thema in einigen Gegenden von Terra als Geheimsache behandelt wird, aber ich bin Arzt und habe Senator Hansen direkt die Empfehlung gegeben, den Fortpflanzungstrieb zur Heilung seiner Enzymvergiftung zu nutzen.“

„Ich habe es dir auch gesagt, Françoise“, erinnerte Thomas schwach. Dr. Fanolo nahm eine Blutprobe und analysierte sie in einer Art kompaktem Gaschromatografen.

„Hmm“, grübelte er halblaut. „Seltsam. Die Enzyme sind nur in geringer Konzentration vorhanden, die ein Unwohlsein eigentlich ausschließen müsste. Die Hormone sind dagegen reichlich im Blut. An den Enzymen kann es nicht liegen, dass es Ihnen so schlecht geht; die sind überkompensiert. Aber Sie haben auch viel Adrenalin im Blut. Moment, ich befrage mal den Computer.“

Fanolo schaltete sich ins Galaxnet ein und suchte nach der Veröffentlichung der amazonischen Forscherin, hatte sie auch bald gefunden. Françoise sah ihm interessiert über die Schulter.

„Ja, völlig klar“, sagte er dann. Er wandte sich zu Thomas um.

„Das Adrenalin hat als Blockade gewirkt und so die Kompensation der Enzyme durch die Hormone verhindert.“

„Das heißt, wenn er sich über etwas aufregt, also Adrenalin ausgeschüttet wird, nützt auch die aufregendste Nacht nichts gegen diese verflixten Enzyme?“, erkundigte sich Françoise.

„Genau“, bestätigte Fanolo. „Trotz der regelmäßigen Waschungen spucken die Plasmaten zudem immer noch ihr Enzym aus. Ich halte das für eine allergische Reaktion des Körpers, obwohl die Plasmaten genetisch eingerichtet wurden. Einziger Ausweg: Die müssen ‘runter, und das bald. Am besten, Sie gehen gleich ins Krankenhaus und lassen den Mist abnehmen.“

„Wenn die Sitzung morgen vorüber ist und ich erreicht habe, was ich will, bin ich zu jeder Schandtat bereit. Aber die Sitzung morgen muss ich irgendwie durchstehen.“

„Plasmolon als Injektion ist nicht mehr, sonst werden sie abhängig“, warnte Fanolo. „Ich kann Ihnen das Zeug nur noch für einmal in Tablettenform geben. Die Konzentration ist schwächer, die Wirkung tritt später ein und hält auch nur für drei bis vier Stunden. Sie müssen also genau kalkulieren, wann Sie mit Ihrer Rede morgen dran sind. Für jetzt empfehle ich Ihnen, zu schlafen.“

„Wann muss ich die Tablette nehmen?“, fragte Thomas matt.

„Eine halbe Stunde vor Ihrer Rede spätestens, sofern Sie den Beginn kalkulieren können. Sie sollten mit dem Präsidenten reden, ob er Ihre Rede zeitlich genau präzisieren kann.“

„Danke, Dr. Fanolo“, sagte Thomas leise und nahm die Tablette entgegen. Dr. Fanolo verließ das Haus, Françoise schloss hinter ihm die Tür. Langsam ging sie in den Wohnraum zurück.

„Soll ich dir ins Bett helfen?“, fragte sie. Thomas nickte nur. Sie half ihm auf und brachte ihn ins Schlafzimmer. Verstohlen sah sie ihn von der Seite an. Selbst, wenn sie den Mut jetzt gehabt hätte, ihn über ihre Identität aufzuklären – es wäre zwecklos gewesen, weil er es in seinem Zustand doch nicht begriffen hätte.

 

Kapitel 16

Kampf im Rat um Amazonia

 

Als Thomas am folgenden Morgen aufwachte, war Françoise immer noch bei ihm. Er war unausgeschlafen, weil er den Rest der Nacht sehr unruhig gewesen war. Noch immer fühlte er sich furchtbar.

„Guten Morgen, Thomas“, hörte er eine sanfte Stimme neben sich.

„Morgen, Gabilein“, murmelte er, dann erst drehte er sich um und bemerkte Françoises erschrockenes Gesicht.

„Verzeihung, es tut mir Leid. Bitte, es ist nicht so, wie du denkst“, bat er sofort um Entschuldigung.

„Was meinst du?“

„Ich hab’ keine andere, falls du das denken solltest“, präzisierte er.

„Nein, das denke ich nicht. Aber wie kommst du auf den Namen?“

„Vielleicht, weil du eine Stimme hast, die der von Gabi so ähnelt. Tut mir Leid, ich kann sie einfach nicht vergessen“, mutmaßte er, ohne zu ahnen, wie nahe er der Wahrheit war. „Bist du trotzdem so nett, mich in den Ratspalast mitzunehmen?“

„Bist du sicher, dass du die Sitzung packst? Du siehst aus, wie zum zweiten Mal verdauter Rotwein“, warnte sie.

„So fühle ich mich auch. Aber ich habe jetzt schon so viel in diese Sache investiert, dass ich sie auch zu Ende bringen will“, erwiderte er.

Die Sitzung hatte zehn Tagesordnungspunkte, die Amazonia-Frage war der fünfte Punkt, der abzuhandeln war. Sofern bei den ersten vier Themen eine Stellungnahme für SOL 3 nötig war, schaltete sich Françoise ein, um Thomas für das Thema Amazonia zu schonen.

„Ich glaube, du könntest die Tablette nehmen“, flüsterte sie ihm zu, als sie in etwa abschätzen konnte, dass es etwas mehr als eine halbe Stunde bis zum fünften Punkt war. Er schluckte das grüne Dragee, trank etwas Wasser nach. Zu seinem Erstaunen setzte die Wirkung doch recht schnell ein. Dr. Fanolo hatte eine bequeme Zeitvorgabe gegeben. Sehr rechtzeitig, bevor Präsident Sulukum zur Debatte in Sachen Amazonia aufrief, fühlte Thomas sich wieder wohl.

„Weitere Fragen zum Tagesordnungspunkt Vier?“, fragte Sulukum. Es meldete sich niemand mehr. „Gut, ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann kommen wir jetzt zum Tagesordnungspunkt Fünf: Amazonia. Hierfür haben SOL 3 und DENEB 4 Redezeit angemeldet. Ich erteile dem Abgeordneten Thomas Hansen das Wort.“

Der Aufgerufene trat ans Rednerpult und sah bei einem Rundblick, dass Gribor ein wenig blass um die breite Nase geworden war. Offenkundig hatte er nicht mit Thomas’ Erscheinen gerechnet.

„Herr Präsident, meine verehrten Mitabgeordneten der Föderation. Zum wiederholten Mal beschäftigt uns das Thema Amazonia – und zwar in einer Weise, die für den Mond Existenz oder Untergang bedeutet. Wegen der Ereignisse ist dieses Haus nahe daran, die Zerstörung des Mondes durch die Sechste Flotte zu fordern – und ich sage Ihnen: Das kann so nicht korrekt sein!“

Ein wütender Sturm des Protestes erhob sich. Thomas wartete gelassen. Er hatte mit dieser Reaktion gerechnet.

„Sie können noch so schreien und protestieren. Davon lasse ich mich nicht mehr beeindrucken, meine verehrten Kollegen“, sagte er schließlich mit völlig ruhiger Stimme. Er hatte das Mikrofon nur ein wenig mehr aufgedreht – und es wirkte. Die Abgeordneten schwiegen plötzlich.

„Danke“, sagte Thomas lächelnd, „benehmen wir uns zivilisiert. Ich möchte zunächst rekapitulieren, was dieses Thema zu einer schier unerschöpflichen Geschichte macht: Da ist einmal der Umstand, dass auf Amazonia vor nunmehr sechs Galaxo-Monaten zum ersten Mal in der amazonischen Geschichte eine wirklich freie Wahl der Planetenpräsidentin stattfand. Diese Wahl wurde von mindestens einer interessierten Kandidatin manipuliert und wurde deshalb unter Ratsaufsicht wiederholt.

Bei dieser Wahlwiederholung zeigte sich, wie tief die amazonische Gesellschaft eigentlich gespalten ist – gespalten in solche, die den Mond zu einem unabhängigen Planeten mit eigener Umlaufbahn machen wollen und dazu Amazonia ganz aus der Föderation lösen wollen und solche, die zu der von Amazonia eingegangenen Verpflichtung der Föderationsmitgliedschaft stehen, in solche, die Demokratie und Freiheit der Meinung wünschen und solche, die einer Diktatur den Vorzug geben. Gespalten in Putschisten und Rebellen, in rechtmäßige und unrechtmäßige Regierung.“

Eine gelbe Diode leuchtete am Rednerpult auf. Thomas sah auf den Präsidenten, der Kilma Gribor das Wort erteilte:

„Eine Zwischenfrage, Abgeordneter Gribor?“

„Was sollen diese stetigen Wiederholungen? Ihre Argumente werden damit nicht besser!“, knurrte Gribor.

„Im Augenblick argumentiere ich nicht, sondern stelle nur noch einmal die Fakten zusammen, Abgeordneter Gribor“, versetzte Thomas kühl. „Ist irgendetwas an dem, was ich bisher gesagt habe, falsch?“

Murrend musste Gribor zugeben, dass es nichts Falsches an Thomas’ bisherigen Worten gab und setzte sich wieder.

Thomas sah in sein Konzept uns fuhr dann fort:

„In der letzten Sitzung wurde die Forderung nach der Entsendung der Sechsten Flotte laut, weil die Putschistenregierung auf Amazonia fortwährend die Gesetze der Föderation bricht. Ich habe gesagt, dies ist nicht korrekt und ich will Ihnen gern die Begründung dafür geben: Wie Sie wissen, ist es überdies die Regierung der Putschisten, die den Mond zum Kleinplaneten machen will und aus der Föderation austreten will. Allein gegen den Wunsch nach Unabhängigkeit kann man nichts haben. Das Beitritts- und Integrationsgesetz der Föderation regelt die Modalitäten für Ein- und Austritt aus der Vereinigung ganz klar. Danach könnte Amazonia ganz legal und ohne dass die Regierung der Föderation es daran hindern könnte, die Föderation verlassen. Ein Austritt aus der Föderation wäre also kein Grund, Amazonia zu atomisieren – auch wenn es uns vielleicht nicht passt.

Schlimmer ist die Abkoppelung des Mondes von seinem Mutterplaneten. Sie wissen, dass WEGA 6 ein gasförmiger Planet mit einem flüssigen Wasserstoffkern und relativ hoher Schwerkraft ist. Er ist unbelebt. Sie wissen ferner, dass der diesen Planeten umkreisende Mond Amazonia mit seiner Gravitation für einen Ausgleich der in heftiger Reaktion befindlichen Masse des Planeten WEGA 6 sorgt. Würde Amazonia von seinem Mutterplaneten abgekoppelt, was technisch durchaus machbar wäre, wäre dies eine Massenverschiebung, die zu einem Zusammenstürzen des Mutterplaneten führen würde. Die Folge wäre eine gigantische Wasserstoffexplosion, die subspatiale Schockwellen durch das All jagen würde, vergleichbar mit einer Sonnenexplosion, wenn der betroffene Raum auch sehr viel kleiner wäre. Er wäre aber so groß, dass die Nachbarplaneten Canela und Sarona davon betroffen wären. Die Zivilisationen auf diesen Planeten wären ausnahmslos und unausweichlich dem Untergang geweiht. Da eine Verselbstständigung Amazonias in dieser Form eine Gefahr für andere Wesen darstellen würde, wäre die Föderation in jedem Falle gehalten, dies zu verhindern.

Und genau hier ergibt sich die Gefahr und die Ungerechtigkeit, die von einem Einsatz der Sechsten Flotte ausginge: Würde Amazonia nämlich von der Sechsten Flotte nach dem Wunsch Admiral Gribors zerstört, wäre der Effekt hundertprozentig derselbe! Amazonias Masse würde nach der Zerstörung zur Stabilisierung des Planeten fehlen, er stürzt zusammen, explodiert, vernichtet Canela und Sarona! Es kann nicht im Sinne der von der Föderation geforderten Symbiose sein, unbeteiligte Wesen in geradezu grob fahrlässiger Weise zu gefährden.

Zudem haben auch die Amazonierinnen, die von der Achten Flotte evakuiert werden konnten, ein Heimatrecht auf Amazonia. Bei einer Zerstörung wären diese Amazonierinnen mit gestraft, ohne für die Handlungen der Putschistenregierung verantwortlich zu sein.

Nein, verehrte Abgeordnete – Zerstörung hilft uns hier nicht weiter. Der fortgesetzte Rechtsbruch darf aber auch nicht geduldet werden, das würde die Symbiose der Föderation ebenso beeinträchtigen. Auf Amazonia müssen Recht und Ordnung wiederhergestellt werden. Aber die einzige praktikable Möglichkeit, sowohl das Volk der Amazonierinnen wie auch die Caneler und Saroner zu retten, besteht in der Entsendung von Föderationsmilitär. Nicht zum Zerstören, sondern um zu helfen, um der rechtmäßigen Regierung und der gewählten Präsidentin zu ihrem Amt zu verhelfen, um bald wieder eine anerkannte Vertreterin Amazonias auf dem jetzt leeren Ratssessel in unserer Mitte zu haben.

Ich stelle daher den Antrag, Föderationstruppen nach Amazonia zu entsenden, um den Bürgerkrieg dort im Sinne der Föderation zu beenden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

Thomas verbeugte sich höflich und verließ das Pult. Einen langen Moment war völlige Stille im Ratssaal. Dann erhob sich ein centaurischer Abgeordneter und begann zu applaudieren. Innerhalb von Sekunden standen sämtliche Vertreter der Welten, ein donnernder Applaus hallte durch den hohen und weiten Saal wie es nach Salander Sulukums Erinnerung nur bei der Unabhängigkeitserklärung der Föderation fünfzig Galaxo-Jahre zuvor gewesen war. Der minutenlange Applaus war ein deutliches Zeichen, dass die Abgeordneten im Wesentlichen den Ausführungen des Terraners zustimmten.

Präsident Sulukum bat schließlich um Ruhe, damit auch der zweite angemeldete Redner sprechen konnte. Die Abgeordneten standen noch, setzten sich aber sofort und demonstrativ, als Kilma Gribor ans Mikrofon trat. Eisiges Schweigen lastete auf dem Ratssaal. Selbst die Leuchten an der Decke schienen kälter zu werden, als Gribor seine Rednerpose einnahm.

„Mitglieder der Föderation!“, rief er laut. „Was wir eben gehört haben, waren die unwissenden Worte eines primitiven Erdlings. Wir können wohl noch immer nicht erwarten, dass die Erdlinge, die es auch immer noch nicht gelernt haben, ihre Aggressionen im Zaum zu halten, die von hohem Geist zeugenden Gesetze der Föderation folgerichtig auslegen – ja sie überhaupt kennen!

Rechtsbruch – das ist ein Verbrechen, das keine Nachsicht verdient, wie die Erdlinge sie anscheinend üben wollen. Nachsicht ist im Falle Amazonias einfach falsch und unangebracht. Sinarta und ihre Genossinnen wollen auf die Zentralregierung nicht hören, benehmen sich wie ungezogene Kinder. Nicht einmal die ach so viel gerühmte Achte Flotte hat es fertig gebracht, Amazonia dauerhaft zu besetzen und die eigentliche Regierung wieder einzusetzen – wobei übrigens gar nicht so ganz gewiss ist, dass nicht auch die gewählte Regierung Amazonia verselbstständigen will!

Jede Nachsicht ist hier falsch, denn es gibt ein eindeutiges Gesetz, das diesen Fall ohne jeden Zweifel regelt: Das II. Planetenbeziehungsgesetz! Die Gesetze der Föderation sind den Schriftzeichen getreu zu befolgen. Alles andere ist Verrat an der Galaktischen Föderation, ja, ist ein Verbrechen! Amazonia hat sich mit fortgesetztem Rechtsbruch außerhalb der Gesellschaft gestellt und ist nicht länger wert, der Föderation anzugehören.

Das II. Planetenbeziehungsgesetz ist in seiner Strafandrohung überdeutlich: Der Planet, der sich den Gesetzen der Föderation widersetzt, ist zu eliminieren! Das Gesetz ist zwingend! Nach dem § 400 dieses Gesetzes ist die Sechste Flotte mit der Zerstörung zu beauftragen!

Ich verlange die Entsendung der Vernichtungsflotte!“, donnerte der Deneber.

Gribor verneigte sich steif und wollte das Pult verlassen, aber ein Schwarm von gelben Fragedioden leuchtete auf.

„Moment, Abgeordneter Gribor. Es sind noch Fragen“, hielt ihn der Präsident zurück. „Bitte, Abgeordneter Hansen.“

Thomas stand von seinem Platz auf und verbeugte sich leicht.

„Erlauben Sie mir, dem Abgeordneten Gribor direkt zu antworten, Herr Präsident?“, bat er. Sulukum nickte.

„Admiral Gribor, Sie verstehen nur die Sprache der Waffen. Etwas anderes ist aus Ihrer Rede nicht entnehmbar. Aber da Sie den Rechtsbruch gerade angeschnitten haben, möchte ich in die gleiche Kerbe schlagen: Sie verlangen, einen Planeten zu eliminieren, weil sich die Gesellschaft dieses Planeten in einem rabiaten Umbruch befindet. Das mag vielleicht mit den Gesetzen der Föderation zusammenpassen.

Sie haben dieses hohe Haus dazu gebracht, die Erde, die zu jenem Zeitpunkt kein Föderationsmitglied war, mit Zerstörung zu bedrohen, weil Sie nicht in der Lage waren, sich von uns Terranern ein vernünftiges Bild zu machen. Das kann eventuell damit erklärt werden, dass Sie die terranische Menschheit zu jenem Zeitpunkt als Feinde betrachteten, wenn mir das mangels direkter Konfrontation auch seltsam erscheint.

Sie haben – gegen jede Weisung dieses Hauses – befehlswidrig eine ganze Region zusammengeschmolzen – und das ist ein Verbrechen, das unentschuldbar ist. Sie, Angeordneter Gribor, sind damit bestraft worden, die Delegierten der Erdregierung nach Megara zu fliegen. Sie, der Millionen von Leben auf dem Gewissen hat! Millionen von Wesen, deren Wert Sie überhaupt nicht ermessen können. Und Sie verlangen, einen Planeten nur deshalb zu zerstören, weil sich dort gesellschaftliche Umbrüche ereignen, die nur in begrenztem Maß überhaupt die Interessen der Föderationsmitglieder berühren können!

Interessanterweise haben gerade Sie die Sinartistinnen, jene die den Mond in die gefährliche eigene Umlaufbahn bringen wollen, mit massiven Geldmitteln unterstützt. Sinarta hat aus ihrer Absicht nie ein Hehl gemacht. Es stand auf jedem Werbeschirm! Es ist doch recht seltsam, dass Sie Ideen unterstützen, gegen die Sie im Parlament mit Weltenzerstörung vorgehen!“, versetzte Thomas eisig.

Gribor starrte ihn feindselig an. Zu erwidern wusste er auf die harten Vorwürfe einstweilen nichts. Wortlos wollte er das Podium verlassen, aber Suli Kulibos stellte sich ihm einfach in den Weg.

„Nein, nein, wir sind noch nicht fertig mit den Fragen, Gribor!“, knurrte der Centaure.

Gribor blieb wie angewurzelt stehen. An dem massiven Körper des malagrivischen Abgeordneten kam er nicht vorbei, weil Kulibos sich quer vor den Zugang zu Gribors Abgeordnetensitz gestellt hatte. Kulibos packte den Deneber am Schlafittchen und hob ihn wieder auf das Rednerpult.

„Der terranische Abgeordnete hat sehr konkrete Bedenken gegen eine Zerstörung Amazonias vorgebracht. Können Sie sie entkräften oder gar bestreiten?“

„Das steht doch gar nicht zur Diskussion!“, entrüstete sich Gribor hilflos.

„Dann stellen wir es zur Diskussion!“, kam es aus einer anderen Ecke. Der canelische Abgeordnete hatte sich erhoben. Seine zahlreichen Augen funkelten ebenso bedrohlich, wie die vier Antennen vibrierten.

„Unsere Existenz und die der Saroner ist durch deine Pläne gefährdet, Kilma! Kannst du uns eine Garantie dafür geben, dass Canela und Sarona im Falle der Eliminierung von Amazonia nicht betroffen sind?“

„Mit astronomischen Fragen befasse ich mich nicht! Ich bin Admiral und Flottenkommandant!“, giftete Gribor. Die Antennen des Canelers zuckten heftig zusammen.

„Ein schlechter Admiral, wie mir scheint, Kilma“, zischte er. „Schlecht jedenfalls für die Völker der Galaxis, wenn es dir völlig gleichgültig ist, was mit ihnen geschieht, wenn du nur deine Zerstörung hast! Wir Caneler haben deine Politik oft unterstützt, haben uns auch mitschuldig gemacht, wenn wir deine Vernichtungsanträge mitgetragen haben, weil du uns vorgegaukelt hast, du würdest alles nur zu unserem Besten unternehmen. Canela wird dich nicht mehr unterstützen!“

„Du behauptest, der Terraner kenne sich in unseren Gesetzen nicht aus!“, rief der saronische Abgeordnete. Seine drei auf Stielen sitzenden Augenpaare bebten zornig, während seine orangefarbene Haut einen stärkeren Rotschimmer annahm. „Unser oberstes Gesetz ist die Symbiose, Kilma! Das hat die Vertretung von SOL 3, die du immer noch beleidigend Erdlinge nennst, wesentlich besser begriffen als du. Du kennst nur ein Gesetz, nämlich das II. Planetenbeziehungsgesetz und davon am besten den § 400, der dir in bestimmten Fällen das Recht gibt, ganze Planeten zu vernichten. Sarona trägt das nicht mehr mit!“

„Das Gesetz ist zwingend!“, schrie Gribor verzweifelt. Suli Kulibos grinste breit.

„Solange es das Gesetz noch gibt“, sagte er. Er sah sich im Saal um. „Meine Mitabgeordneten – ich glaube, die Stunde ist da, das II. Planetenbeziehungsgesetz zu beerdigen, bevor damit noch einmal Unheil angerichtet wird. Präsident Sulukum, ich beantrage, als zusätzlichen Tagesordnungspunkt einen Beschluss über den § 400 des II. Planetenbeziehungsgesetzes.“

Präsident Sulukum wurde blass. Dieses Gesetz war einmal auf seine eigene Initiative hin entstanden – speziell als Instrument zur Disziplinierung widerspenstiger Planetenregierungen. Wiederholt war das Gesetz zwar auch angegriffen worden, aber noch nie war die Wahrscheinlichkeit so groß gewesen, dass es entscheidende Änderungen an dieser Norm geben könnte. Der Antrag war gestellt und Sulukum sah sich gezwungen, über den ihm gar nicht genehmen Antrag abstimmen zu lassen. Eine große Mehrheit der galaktischen Parlamentarier entschied sich für einen zusätzlichen Tagesordnungspunkt.

„Der Antrag Malagrivas ist angenommen. Der Punkt wird nach Abschluss der bereits vorliegenden Tagesordnung behandelt“, verkündete der Präsident.

Françoise drückte sich ins Wort.

„Ich erteile der Abgeordneten Debussy das Wort“, sagte der Präsident.

„Dann beantrage ich einen Beschluss über die Frage, ob der laufende Tagesordnungspunkt bis zu einem Beschluss über den § 400 II. PlBG ausgesetzt werden soll, oder ob über den § 400 gleich beraten werden soll“, stellte sie ihren Antrag. Der canelische Abgeordnete sprang auf.

„Canela unterstützt den Antrag der Erde“, rief er. Noch mehrere andere Vertretungen gaben ihrer Unterstützung Ausdruck. Sulukum wurde immer bleicher. Er bat um Abstimmung und wiederum entschied sich eine große Mehrheit der Delegierten für eine sofortige Diskussion.

Mit unglücklichem Gesichtsausdruck rief der Präsident zur Debatte auf. Kwiri meldete sich und bekam als Erster Rederecht. Kwiri trat ans Pult, das noch von Gribors Rede in der richtigen Höhe war und drehte das Mikrofon zunächst etwas leiser.

„Verehrte Abgeordnete der Welten!“, begann er langsam. „Wir alle kennen das II. Planetenbeziehungsgesetz gut. Es ist ein altes Gesetz, das aus der dunklen Zeit des Ersten Galaktischen Krieges stammt. Dieses Gesetz und das Raumflottenergänzungsgesetz sind die letzten Überbleibsel der damaligen, rigiden Gesetzgebung, mit der Megara als Vertreter der pangalaktischen Idee eine Auflösung des zerfallenden Stellanidischen Reiches verhindern wollte. Das ist schon damals nicht gelungen; denn wie wir wissen, ist das Stellanidische Reich in das Lukanische Imperium, das Galaktische Zentralreich, den Planetenbund der Arkoniden und das Protektorat von Sagron gespalten worden. Und das war vor fast sechzig Galaxo-Jahren!

Es ist noch nicht lange her, da habe ich mich das letzte Mal mit dem Kollegen Gribor um dieses alte Gesetz gestritten. Als wir das letzte Mal darüber geredet haben, ging es darum, ob die Erde, SOL 3, gemäß § 400 des II. Planetenbeziehungsgesetzes vernichtet werden sollte. Wie Sie sich gewiss erinnern werden, war SOL 3 zu jenem Zeitpunkt gar nicht Mitglied dieser Föderation, unterlag nicht diesen Gesetzen.

Es hat mich viel Mühe und Überredungskunst gekostet, dieses Haus überhaupt dazu zu bringen, einen Versuch zu unternehmen SOL 3 – jawohl, SOL3, dessen Vertreter sich so vorbildlich für die in unserer Verfassung verankerte Symbiose einsetzen – in die Föderation aufzunehmen.

Verehrte Abgeordnete, wir müssen uns das bitte noch einmal ganz deutlich machen: Wir wollten einen Planeten disziplinieren – nein, vernichten! – der außerhalb der Föderationsgesetze stand! Und wir sollten gewiss nicht glauben, dass wir uns eine Bevölkerung gewogen machen, indem wir mit der Zerstörung ihres Planeten drohen!

Ich habe die Terraner beobachtet und ich sage euch: Wäre mein Raumschiff nicht völlig zufällig in der Nähe von Thomas Hansens Haus gelandet – die Erde wäre nicht Mitglied in der Föderation! Sie wäre nicht mehr existent, weil wir sie atomisiert hätten. Wir hätten es wahrhaft gewagt, einen ganzen Planeten nur deshalb auszulöschen, weil wir dessen Bewohner unbewusst fürchteten, uns aber auch nicht mit ihnen beschäftigen wollten! Weil Terra uns sich vielleicht nur nicht rechtzeitig angeschlossen hätte.

Erinnern sich die Abgeordneten von Canela und Sarona noch daran, dass auf ihren Antrag hin die mir zur Verfügung stehende Zeit auf einen Standardmonat beschränkt wurde? Heute sind sie in einer ähnlichen Lage, denn sie würden bei einer Vernichtung Amazonias gnadenlos mit vernichtet. Und es ist – o Wunder – ausgerechnet ein Terraner, einer, den sie eigentlich vernichtet wissen wollten, der sie vor einer subspatialen Schockwelle rettet!

Sie sind aufgewacht aus unserer Arroganz, mit der wir uns herausnehmen, anderen galaktischen Völkern unseren unmaßgeblichen Willen aufzwingen zu wollen. Wir alle müssen daraus erwachen! Wir dürfen nie wieder in die Versuchung geraten, einem Planeten, der uns nicht unmittelbar bedroht oder gar angreift, mit seiner Vernichtung zu drohen. Es darf sich nicht mehr wiederholen, dieses Verbrechen, dem dieses Haus seine Zustimmung gab.

Ich bin deshalb dafür, dass der § 400 II. Planetenbeziehungsgesetz dahingehend abgeändert wird, dass auf einem Mitgliedsplaneten der Föderation im Falle von inneren Unruhen – wie jetzt auf Amazonia – helfend eingegriffen wird, um die rechtmäßige Ordnung wiederherzustellen. Aber der zwingende Vernichtungsbefehl muss gestrichen werden!

Ich bitte das Hohe Haus, über diesen Antrag zu befinden und danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

Präsident Sulukum war völlig entsetzt.

„Kwiri, wie konntest du mir das antun?“, fragte er leise, aber eindringlich.

„Ich habe schon viel zu lange geschwiegen, Salander“, erwiderte Kwiri. „Meiner Meinung hat dieses Gesetz noch nie entsprochen.“

Damit verließ er das Rednerpult und überließ den Platz dem nächsten Redner. Es gab noch sehr viele, die vehement gegen das megaranisch geprägte Gesetz wetterten. Thomas überließ das Feld wieder Françoise. Das Medikament, das er vor seinem Beitrag genommen hatte, hörte auf zu wirken und er bekam wieder starke Kopfschmerzen.

In einer Sitzungspause vermisste Kwiri seine terranischen Freunde, mit denen er sonst an der Bar des Ratspalastes über die Sitzung und das weitere Vorgehen sprach. Swin suchte ihn und fand ihn schließlich bleich und müde auf seinem Platz im Ratssaal. Françoise suchte in ihrer Handtasche nach einer Aspirintablette.

„Was ist?“, fragte Kwiri.

„Plasmis“, seufzte Françoise. Kwiri winkte ab.

„Hör auf zu suchen, Françoise. Eure normalen Mittel helfen nicht“, sagte er.

„Wem sagst du das?“, stöhnte Thomas und presste sich die geballten Fäuste an die Schläfen. „Wenn ich bloß wüsste, wo die Trümmer von dem Haus sind, das mir auf den Kopf gefallen ist!“

„Willst du etwa bis zum Ende der Sitzung hierbleiben?“, fragte Kwiri.

„Ich muss!“, presste Thomas mühsam heraus.

„Quatsch!“, entfuhr es dem Deneber. „Du wirst dich jetzt eine Weile im Sanitätsraum hinlegen. Die Abstimmung zur Änderung des II. Planetenbeziehungsgesetzes kann Françoise auch allein machen. Ich glaube nicht, dass sie diesen Paragrafen so lassen will, wie er ist, oder irre ich mich, Françoise?“

„Eher dreht sich die Erde rückwärts um die Sonne!“, versetzte sie.

„Also!“, brummte Kwiri. „Salander Sulukum und Gribor werden in der Fraktion für das Gesetz stimmen, Cala wird sich vermutlich enthalten, weil sie ihren alten Vater nicht verärgern will, ich werde dagegen stimmen, egal, was mein Schwiegervater von mir denkt. Megara wird das Gesetz also erhalten wollen – aber ich verwette mein klappriges Raumschiff, dass der 400 in seiner jetzigen Fassung heute ins Schwarze Loch fällt“, prophezeite Kwiri lächelnd.

Françoise, Kwiri und Suli Kulibos begleiteten Thomas in den an den Ratssaal angrenzenden Sanitätsraum und kehrten dann in den Sitzungsraum zurück. Nach der Pause folgte die Abstimmung über den verhängnisvollen Vernichtungsparagraphen. Mit dem Ergebnis, das diese Abstimmung ergab, hatte aber nicht einmal Kwiri gerechnet. Vierhundertzwanzig Delegationen gab es ohne die jetzt fehlende amazonische Vertretung im Galaktischen Rat. Vierhundertneunzehn Stimmen waren für eine Änderung, nur eine einzige, die von Megara, wollte ihn unverändert lassen. Salander Sulukum war einem Herzanfall nahe, als er das Ergebnis verkünden musste.

Thomas hört im Sanitätsraum den lauten Beifall für die Gesetzesänderung.

Amazonia – du bist gerettet!’, durchzuckte es ihn.

 

 

Kapitel 17

Sulis freundschaftlicher Rat

 

Nach Erledigung weiterer Tagesordnungspunkte folgte eine weitere Sitzungspause. Françoise, Kwiri und Suli gingen zum Sanitätsraum. Thomas war eingenickt, wachte aber auf, als sie den Raum betraten. Kwiri grinste von einer Ohrspitze zur anderen.

„Das Ding ist gelaufen!“, frohlockte er. „Nicht nur, dass der § 400 PlBG damit erledigt ist, und auch die Strafflotte aufgelöst wird – dein Plan zur Rettung Amazonias ist durch. Die Achte Flotte wird beauftragt, die streitenden Parteien zu trennen und zu befrieden. Glückwunsch, mein Freund, das hat vor dir noch keiner geschafft.“

„Ich hab’ nicht viel dazu getan“, widersprach Thomas matt.

„Das, glaube ich, erkläre ich dir mal, wenn du wieder klar denken kannst“, grinste Kwiri. „Wie fühlst du dich?“

„Schrecklich! Wie vier Tage durchgesoffen“, gab Thomas zurück. Kwiri nickte. Er griff in seine Anzugtasche und nahm ein transparentes Röhrchen heraus, in dem sich mehrere eisblaue Kapseln befanden und warf eine davon in das Glas Wasser, das neben Thomas Bett stand.

„Du schluckt jetzt brav dieses Käpselchen“, wies er Thomas an, der das Glas misstrauisch ansah.

„Was ist das?“

„Eine denebische Tiefschlafkur“, erwiderte Kwiri. „Wenn du die Kapsel schluckst, wirst du nach etwa einer Stunde in einen so tiefen Schlaf fallen, dass neben dir ein Stern explodieren könnte, ohne dass du was davon merkst. Nach sechs Stunden wachst du auf und bist ein völlig neues Wesen. Françoise bringt dich gleich nach Hause. Und dann noch was: Lass bloß diese verdammten Plasmis endlich abnehmen. Ich glaube, du bist allergisch dagegen. Und ihr zwei solltet endlich Erdurlaub nehmen.“

Thomas nickte müde und trank das Glas aus. Suli hob den Terraner von der Liege.

„Wo steht dein Gleiter, Françoise?“, fragte er.

„Komm“, sagte sie.

„He, Suli, lass den Blödsinn!“, beschwerte sich Thomas. „Ich kann gut alleine laufen.“

„Du kannst weder laufen noch fahren noch reiten, mein Lieber. Wer eine denebische Tiefschlafkur geschluckt hat, ist nicht mehr Herr seiner Extremitäten. Glaub’ mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich hab’ mir das letzte Mal fast die Hufe verknotet, bin über meinen eigenen Schwanz gestolpert. Das Zeug schläfert zwar erst nach ‘ner Stunde ein, aber der Gleichgewichtssinn ist sofort gestört“, versetzte der Centaure. Thomas gab seinen Widerstand auf, der angesichts der wesentlich kräftigeren Muskeln des Malagrivers auch zwecklos gewesen wäre. Um Kulibos sein Gewicht zu erleichtern, verstellte Thomas den Gravoausgleicher leicht. Kulibos trug ihn zu Françoises Gleiter.

„Soll ich mitkommen?“, fragte er, als er Thomas in den Wagen gesetzt hatte. Françoise sah zweifelnd auf den Flugwagen.

„Ich fürchte, du passt nicht hinein, Suli.“

Der Centaure grinste.

„Muss auch nicht sein. Aber ich wette mit dir um zehn Galaxonen, dass ich schneller bei ihm vor der Haustür stehe als du.“

Françoise lächelte freundlich.

„Gegen vier schnelle Hufe, die querfeldein galoppieren können, komme ich mit dem Gleiter nicht an, wenn ich mich brav an die Verkehrsregeln halte. Die Wette gehe ich nicht ein. Wir sehen uns bei Thomas.“

Suli Kulibos wieherte, winkte und jagte in rasendem Galopp davon, Françoise stieg in den Gleiter. Thomas war schon halb eingeschlafen.

„He, schlaf’ mir nicht gleich ein, Tommy. Komm, bleib wach. Die Kavallerie ist schon vorausgeritten.“

Thomas brummte zustimmend, döste aber weiter. Françoise seufzte und aktivierte das Triebwerk des Gleiters.

Wenig später erreichte sie das Diplomatenviertel, wo Suli Kulibos schon vor Thomas Haustür stand und sich mit einem Hufkratzer Reste von Sulgin – eine Art Lehm, aber viel feiner und sehr viel klebriger als das irdische Pendant – aus den Hufgummiritzen entfernte. Françoise fuhr auf ihren eigenen Parkplatz und stellte den Gleiter ab.

„He, Suli, hier sind wir!“, rief sie hinüber. Kulibos sah auf, steckte den Kratzer wieder weg und trabte zum anderen Grundstück hinüber. Vorsichtig hob er den inzwischen allen Weckversuchen zum Trotz eingeschlafenen Thomas aus dem Gleiter und zuckte auffordernd mit einer Schulter.

„Was meinst du, Suli?“, fragte Françoise.

„Komm, ich nehm’ dich auch mit“, bot er an und senkte das Hinterteil.

Françoise sah den Centauren einen Moment verwirrt an. In der Regel gaben sich die stolzen Centauren nicht als Reittiere her. So ein Angebot machten sie wahrlich nicht jedem. Françoise setzte sich seitwärts im Damensitz auf Kulibos breiten Rücken.

„Nein, setz’ dich richtig hin“, murrte Suli. „So habe ich kein Gefühl, ob du fest genug sitzt.“

„Wie du willst“, lachte Françoise und setzt sich rittlings hin. Kulibos trabte in einem leichten, federnden Trab an.

„Mit dir sollte ich öfter ausreiten, Françoise. Soll ich dich nachher wieder mit zum Rat nehmen?“

„Ohne Sattel bin ich keine berauschende Reiterin“, warnte Françoise.

„Françoise, du hast keins von den sprachlosen Erdenpferden unter dir, das obendrein nicht begeistert ist, einen Reiter zu haben. Wenn du mit mir eine Weile geritten bist, wirst du dir nie wieder einen Sattel wünschen.“

„Und woran soll ich mich festhalten? Ich will dich doch nicht kitzeln“, erwiderte Françoise lachend.

„Du wirst schon sehen“, versetzte der Centaure geheimnisvoll. „Hast du einen Schlüssel von Thomas’ Haus?“

„Ja, warte. Ich schließe auf.“

Françoise öffnete die Tür mit der Fernbedienung und ließ sich hineintragen. Im Haus rutschte sie von Kulibos Rücken und führte den Malagriver in Thomas’ Schlafzimmer.

„Setz’ ihn hier ab“, sagte sie. Suli legte Thomas auf sein Bett und half Françoise noch, ihn auszuziehen. Diskret zog er sich zurück, als Françoise Thomas sanft küsste. Er wartete vor der Tür auf sie.

Schließlich kam sie heraus und schloss ab. Kulibos bot ihr den Rücken.

„Taxi gefällig?“, fragte er.

„Na schön, wenn du mich nach der Sitzung wieder herbringst, habe ich nichts dagegen“, erwiderte sie und setzte sich wieder auf den Pferderücken.

„Und jetzt hältst du dich an meinem Gürtel fest, dann kann nichts passieren“, sagte der Centaure. Françoise tat es – und zog aus dem Gürtel einen richtigen Zügel heraus.

„Du magst Thomas sehr, oder?“, fragte Suli dann.

„Ja“, gab sie sich einsilbig.

„Liebst du ihn?“

„Suli, du bist indiskret. Außerdem möchte ich nicht, dass du vor Eifersucht anfängst zu bocken.“

Suli lachte und trabte weich neben der Straße.

„Oh, ich genieße es sehr, mit dir auf dem Rücken unterwegs zu sein. Ein Centaur ist durchaus empfänglich, sich den Rücken so kraulen zu lassen. Aber es gibt einfach Dinge, die zwischen den einzelnen galaktischen Rassen nicht möglich sind. Das, was du denkst, könnte vielleicht bei einer terranischen Stute möglich sein, aber gewiss nicht mit einer Menschin“, gab er zurück. „Nein, ich bin nicht eifersüchtig“, setzte er dann hinzu. „Dafür mag ich auch meinen Freund Thomas zu sehr. Ihr zwei passt wunderbar zusammen. Wie lange kennt ihr euch schon?“

„Lange genug, um verliebt zu sein“, erwiderte Françoise zurückhaltend.

„Françoise, ich sehe zwar aus wie ein Pferd – jedenfalls untenrum – aber mein Gehirn ist mit dem von euch Terranern recht nahe verwandt. Und die Gefühle eines Centauren sind auch mit denen eines Terraners vergleichbar. So, wie du dich Thomas gegenüber verhältst, könntet ihr euch schon viele Galaxo-Jahre kennen, sogar schon so lange zusammenleben. Du verstehst ihn ohne Worte. Er dich auch, aber sein Verhalten dir gegenüber ist nicht ganz so selbstverständlich. Fast scheint es so, als würdest du ihn länger kennen, als er dich.“

Françoise erschrak. Bemerkten jetzt schon Außenstehende, dass ihre Identität nicht die war, die sie vorgab?

„Interessant. Haben das noch mehr bemerkt?“, erkundigte sie sich. Suli schüttelte den Kopf.

„Bisher hat es mir gegenüber noch keiner geäußert. Aber jeder – mit Ausnahme von Gribor – bewundert eure gute Zusammenarbeit. In keiner anderen Delegation ist sie so ideal. Ich hätte auch nie gedacht, dass sich Terraner so schnell in die galaktische Gesellschaft hineinfinden würden.“

„Dafür solltest du Thomas danken. Ohne den wäre ich nie auf die Idee verfallen, einen Teil meines Lebens von Mutter Erde entfernt zu verbringen. Es ist noch keine zwei Erdenjahre her, da habe ich es für blanke Hirngespinste gehalten, dass es außerhalb der Erde so etwas wie Leben geben könnte. Thomas hat schon Jahre daran geglaubt, davon gesprochen, nach euch gesucht – und jeder hat ihn für verrückt erklärt; ich auch.

Und was tue ich jetzt? Ich arbeite an Gesetzen einer interstellaren Föderation mit, ich fahre Gleiter, habe Freunde, die anderen galaktischen Völkern angehören. Wenn Thomas früher von so was gesprochen hat, habe ich ihm einen Vogel gezeigt. Heute könnte ich mich dafür ohrfeigen. Was hat er mal gesagt? Ausgerechnet auf diesem stellaren Staubkorn, genannt Erde, soll als einziger Welt Leben existieren? Das kannst du einem erzählen, der seinen Hut mit dem Hammer aufsetzt! Es gibt Abermilliarden von Sonnen im All. Da muss einfach noch woanders Leben sein! Und ich? Ich hab’ ihn ausgelacht. Du ahnst nicht, wie ich das bereue, Suli.“

„Wieso? Habt ihr Streit gehabt?“

„Ach, das ist lange her. So lange, dass ich wünsche, es würde dadurch nicht mehr wahr sein.“

„Ist er dir denn immer noch böse? Benehmen tut er sich nicht so“, wunderte sich Kulibos.

„Wer weiß, was passiert, wenn er etwas bestimmtes erfährt …“, seufzte Françoise orakelnd.

„Und was?“, hakte der Centaure nach.

„Suli, das geht wirklich nur mich und Thomas was an“, wehrte Françoise ab.

„Ich merke, dass dich etwas belastet. Ich kann zwar nicht wie ein Sulukaner Gedanken lesen, aber gewisse, mentale Kräfte habe ich auch. Und die sagen mir, dass du etwas loswerden musst. Erleichtere dich und sage es mir.“

„Wie verschwiegen bist du, Suli?“

„Ich werde es nicht gleich an Galaxnet weitergeben. Nicht mal Kwiri wird was davon erfahren. Niemand wird etwas von mir erfahren.“

„Verzeih die Frage: Ist Niemand eine galaktische Rasse oder Person?“, fragte Françoise vorsichtig.

„Nein. Ich werde es wirklich keinem sagen. Versprochen.“

Françoise rang noch einen Moment mit sich, dann erzählte sie Suli von sich und Thomas, von ihrer Beinahe-Scheidung, von ihrem Identitätswechsel. Suli verringerte sein Tempo auf einen gemütlichen Schritt und hörte interessiert und geduldig zu.

„Das erklärt einiges“, sagte er schließlich, als Françoise ihre Erzählung beendet hatte.

„Was meinst du, Suli?“

„Ich glaube, Thomas’ häufiges Unwohlsein hängt nicht allein mit den Plasmaten zusammen. Sieh mal, du weißt, wen du vor dir hast. Er nicht. Er muss doch annehmen, du wärst eine – nennen wir es – Fremde. Dein Verhalten ist aber, abgesehen von deiner früheren Ablehnung, was anderes Leben im Weltraum anbelangt, das der Gabriele Hansen. Soweit ich euch Terraner kenne, tauchen Verhaltensmuster eines Menschen nur selten in genau der gleichen Kombination bei einem anderen Menschen auf – ist bei uns übrigens nicht anders. Thomas erkennt dein Verhalten als das seiner Frau, aber er kann dich und seine Frau nicht als dieselbe Person erkennen. So, wie du dich ihm gegenüber gibst, erinnerst du ihn beständig an seine angeblich tote Frau. Das verwirrt ihn. Er hat mir einmal gesagt, dass er seine Frau sehr geliebt hat – und ich fürchte – ja, wie soll ich’s sagen – ich fürchte, er hat Schuldgefühle, die jedes Mal wieder hochkommen, wenn du in seiner Nähe bist.“

„Hmm, und was, meinst du, sollte ich tun? Mein Verhalten ändern? Das werde ich kaum können, denn dafür müsste ich meine Persönlichkeit komplett umkrempeln.“

„Was hältst du vom anderen Weg? Sag’ ihm, wer du bist“, empfahl Kulibos.

„Das stellst du dir so einfach vor, Suli“, entfuhr es Françoise. „Er wird toben, wenn ich ihm das eingestehe. Ich kann ihm doch nicht einfach ins Gesicht sagen: He, Thomas, ich bin nicht Françoise, ich bin deine Frau Gabi. Ich bin nicht so tot, wie du denkst. Ernsthaft, Suli, das kann ich ihm nicht antun. Er fällt mir glatt in Ohnmacht.“

„Ich kenne ihn zwar nicht so lange wie du, aber das würde ich nicht annehmen“, gab der Centaure zurück.

„Ach, ich suche schon so lange nach einer Gelegenheit, ihm die Wahrheit zu sagen, aber er macht es mir sehr schwer“, seufzte sie.

„In welcher Form?“

„Zum Beispiel in New York. Das wäre der beste Moment gewesen – wenn er nicht zu nachtschlafender Zeit einfach abgehauen wäre.“

Suli überlegte eine Weile.

„Euch fehlt beiden der Mut. Thomas, sich wirklich zu einer Liebeserklärung hinreißen zu lassen – und zwar, weil du diese verdächtige Ähnlichkeit mit seiner Frau hast; und dir, weil du Angst hast, die Wahrheit könnte ihn endgültig von dir trennen“, bemerkte er schließlich.

„Ja, könnte was dran sein“, gab Françoise zu.

„Dann überwinde dich endlich und sag’ es ihm. Diese Wahrheit ist der Schlüssel, um ihm wirklich zu helfen, glaub’ mir. Vielleicht wird es ein Schock für ihn sein, aber Schocks können gelegentlich heilsam sein“, drängte Kulibos. Françoise schwieg. Suli schloss Nachdenklichkeit daraus. Er ließ ihr Zeit.

„Was hältst du von einer Runde Galopp? Es wird Zeit, dass wir zum Ratspalast zurückkommen.“

„Okay“, bestätigte Françoise und fasste den Zügel fester. Kulibos setzte sich in einen schnellen Galopp und erreichte bald den Ratspalast.

Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit kehrte Françoise aus der Innenstadt von Xythara ins Diplomatenviertel zurück. Suli Kulibos setzte sie vor ihrer Haustür ab.

„Und denk’ dran: Sag’ Thomas möglichst schnell, wer du wirklich bist“, redete der Centaure ihr nochmals ins Gewissen. Françoise nickte nur und schloss ihre Haustür. Sie hörte Kulibos davon traben und sah auf die Uhr. Es war schon fast zehn Uhr megaranischer Zeit, also Mitternacht. Dieser Tag, dessen war sie sicher, würde in der Geschichte der Galaktischen Föderation einen ganz besonderen Platz einnehmen. Durch die Änderung eines einzigen Paragrafen war ein ganzes Rechtssystem geändert worden, war eine ganze Flotte aufgelöst worden. Die ursprüngliche Tagesordnung dieses Sitzungstages war noch zur Hälfte unbearbeitet, weil mit der Änderung des Planetenbeziehungsgesetzes so viele weitere Änderungen in anderen Gesetzen notwendig geworden waren, dass alles andere hatte verschoben werden müssen. Wegen der Länge der heutigen Beratungen hatte Präsident Sulukum, auch gezeichnet von dem schweren Schock, eines seiner Lieblingsgesetze rabiat geändert zu wissen, die nächsten beiden Tage für sitzungsfrei erklärt. Françoise war noch viel zu sehr mit den einschneidenden Veränderungen beschäftigt, um schon schlafen zu können. Sie sah noch einmal hinaus auf die Straße. Megaras beide Monde hingen wie überdimensionale Lampions an einem sternenübersäten Himmel. Eine Sternschnuppe fuhr durch die oberen Schichten der planetaren Atmosphäre.

Auf der Erde sagt man, man hätte einen Wunsch frei, wenn man eine Sternschnuppe sieht. Ob das für Megara auch gilt?’, fragte Françoise sich in Gedanken. Im Augenblick hatte sie eindeutig den Wunsch, dass es Thomas bald besser ging.

Kapitel 18

Françoises Geständnis

Um von den Ergebnissen der heutigen Sitzung etwas Abstand zu bekommen, bevor sie schlafen ging, beschloss Françoise, einen Spaziergang im Planetenpark zu machen, der direkt auf der anderen Straßenseite der Diplomatensiedlung begann.

In diesem Park wurden sämtliche Pflanzen gehegt und gepflegt, die auf den einzelnen Mitgliedsplaneten wuchsen. Möglicherweise gefährliche Pflanzen waren in Sicherheitsgewächshäusern untergebracht, um keinen Parkbesucher unnötiger Gefahr auszusetzen. Sorgsam – zum Teil durch den Einsatz von pollenabsorbierenden Schutzfeldern – wurden die einzelnen Florapopulationen voneinander getrennt, um gefährliche Kreuzungen oder Mutationen zu verhindern.

Mit jedem neuen Planeten wuchs der Park um die Anzahl der dort heimischen Pflanzen. Seit dem Beitritt der Erde hatte der Planetenpark nun etwa eine Ausdehnung, die der des früheren deutschen Bundeslandes Bayern entsprach. Mit dem irdischen Teil dieses Parks war die Stadtgrenze von Xythara erreicht, eine weitere Ausdehnung in dieser Richtung nicht mehr möglich. Der nächste Planet würde seine Pflanzen mindestens dreihundert Kilometer entfernt hinzufügen müssen.

Jede Art von Landschaft war vertreten, viele tausend Kilometer markierte, saubere Wege führten hindurch, eine Monorail, eine Einschienenbahn, lud zur geruhsamen Besichtigung des Planetenparks ein. So riesig und winklig der Park auch war – er war dennoch übersichtlich, bei Nacht gut beleuchtet und sehr sicher. Die xytharanische Stadtpolizei hatte zahlreiche Polizeiposten im Park, von denen ständig aufmerksame Streifen durch den Planetenpark patrouillierten. Im Planetenpark konnte jedes Wesen ohne Angst für Leib und Leben auch nachts spazieren gehen.

Françoise überquerte die nächtlich stille Straße und ging in Richtung eines kleinen Parksees im irdischen Teil des Planetenparks. Sie war noch nicht weit gegangen, als sie hinter sich rasche Schritte auf dem Kies hörte. Unwillkürlich sah sie sich um, ertappte sich bei einem ebenso erleichterten wie glücklichen Aufatmen, als sie Thomas erkannte. Sie blieb stehen und wartete auf ihn.

„Ich dachte, du schläfst?“, fragte sie nach dem Begrüßungskuss. Er lächelte warm. Seine Augen hatten wieder den klaren Glanz wie vor seiner Verletzung. Er wirkte gesund.

„Ich habe volle sechs Stunden geratzt wie ein Murmeltier. Vor vier Stunden bin ich aufgewacht und hätte einen ganzen Wald voller Bäume ausreißen können, habe aber stattdessen meine Bude aufgeräumt und geputzt, was ganz dringend notwendig war. Nach der Packungsbeilage habe ich jetzt eine Wachphase von sechs Stunden, dann werde ich ganz normal schlafen und das Leben geht wieder nach dem Wecker weiter“, antwortete er.

„Und was hast du in den verbleibenden zwei Stunden vor?“, erkundigte sich Françoise.

„Etwas ganz Wichtiges klären“, erwiderte er. „Darf ich dich begleiten?“

Françoise nickte und ließ es nur zu gern geschehen, dass er ihr den rechten Arm um die Schulter legte. Sie gingen langsam weiter in Richtung See.

„Françoise“, setzte er langsam an, „in den letzten Tagen war ich nicht so ganz Herr meiner Sinne, fürchte ich.“

Françoise erschrak.

Hoffentlich entschuldigt er sich jetzt nicht für die letzte Nacht!’, durchzuckte es sie.

„Ich habe mich noch gar nicht bedankt, dass du in der letzten Zeit so intensiv für mich da warst.“

„Keine Ursache, aber du hast dich gestern bereits gründlich bedankt“, erwiderte sie leise in Anspielung auf die vergangene Nacht. Sie erreichten den kleinen See, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Kupferteich in Hamburg-Farmsen hatte, wo Thomas und Gabriele Hansen einige Jahre gewohnt hatten.

„Und dann wollte ich dir etwas in aller Deutlichkeit gesagt haben …“, sagte Thomas und blieb stehen. Françoise sah ihn erwartungsvoll an.

„Und was?“

„Dass ich für dich sehr viel mehr empfinde, als pure Kollegialität, viel mehr als, in einem nächtlichen Abenteuer Platz hätte. Zu Deutsch: Ich liebe dich. Auf gut französisch: Je t’aime, mon amour.“

Er zog Françoise an sich, sie küssten sich genüsslich und lange.

„Ich dich auch – und zwar schon lange“, erwiderte sie leise. Er lächelte liebevoll.

„Wenn ich ehrlich bin, bin ich schon seit New York schwer verliebt“, gestand er dann. Sie sah ihn schelmisch an.

„Geht mir ebenso. Aber warum hast du so lange gebraucht, es mir zu sagen? Und warum hast du mich in Yonkers einfach schnöde verlassen?“

„Weil es Dinge und Momente gab, bei oder in denen ich an jemand anders gedacht habe als an dich. Ich habe sehr lange gebraucht, das alles zu sortieren. Und ich hatte einfach Angst vor einer neuen Bindung. Inzwischen ist mir klar geworden, dass ich nicht zu der Sorte Mensch gehöre, die allein leben kann“, erwiderte er.

Sie kamen zu einer Bank am See und setzten sich in schweigendem Einverständnis.

„Diese Bank und dieser See sind solche Dinge, vor denen ich noch vor drei Tagen davongelaufen wäre, weil es mich an meine Frau erinnert hätte“, sagte er.

„Warum hast du Angst vor dieser Erinnerung?“, fragte sie – auch um ihre eigene Angst zu ergründen.

„Ich kann’s dir nicht mal genau sagen“, gestand er seufzend.

„In New York habe ich dich schon mal gefragt: Was würdest du tun, wenn deine Frau jetzt auftauchte. Du hast diese Frage damals als rein akademisch bezeichnet, wenn ich mich recht entsinne.“

Thomas brummte zustimmend und zog sie nahe an sich. Sie ließ es gern geschehen.

„Und was wäre heute?“, hakte sie nach. Er stieß ein kurzes Lachen hervor.

„Oh, meine Güte! Ich glaube, ich würde vor Schreck in Ohnmacht fallen. Gabis schlimmster Verdacht würde sich bewahrheiten, nämlich der, dass ich eine andere habe. Käme sie jetzt um die Ecke, könnte ich mich nur im Erdboden verkriechen, um ihrem Zorn zu entgehen.“

„Wie könnte sie dir böse sein? Du musst doch seit jenem 9. Dezember 1988 annehmen, dass sie tot ist, oder?“, legte sie ganz vorsichtig einen Köder aus. Thomas stutzte. Er war sich nicht bewusst, Françoise jemals das genaue Todesdatum von Gabi genannt zu haben. Er überlegte eine Weile. Hatte sie es irgendwann in seinen Papieren gesehen, als sie etwas anderes gesucht hatte?

„Sag, hast du noch Lust auf ein Glas Wein?“, fragte sie unvermittelt, ohne auf seine Antwort der vorigen Frage zu warten.

„Ich hoffe, es verträgt sich mit Kwiris Tiefschlafdroge“, sagte er. „Im Prinzip habe ich nichts dagegen.“

„Dann komm. Ich möchte dir ohnehin noch etwas zeigen“, gab sie geheimnisvoll zurück.

Sie kehrten zu den Häusern zurück. Françoise schloss auf und Thomas hatte das Gefühl, um mindestens zweieinhalb Jahre zurückversetzt zu sein. Die Inneneinrichtung von Françoise Debussys Haus entsprach absolut der einer gewissen Wohnung in Hamburg-Farmsen, die Thomas nach dem letzten Streit mit Gabi Hals über Kopf verlassen hatte – und die er nie wieder betreten hatte. Erneut verwirrt und fast beängstigt setzte er sich auf eines der beiden Zweier-Sofas. In der ehelichen Wohnung wäre es sein Stammplatz gewesen. Françoise öffnete eine Flasche tiefroten Burgunder, den sie in Gläsern kredenzte, die Thomas ebenfalls verdächtig bekannt vorkamen.

„Es kann einfach nicht sein“, murmelte er.

„Was?“, fragte sie harmlos.

„Dass zwei Menschen so viel Ähnlichkeit miteinander haben können, das gibt’s doch gar nicht“, präzisierte er. Sie lächelte auf eine Art, die Thomas nur von seiner Frau kannte: Geheimnisvoll und doch so, als hätte sie selbst vor etwas Angst.

„Du würdest also nur nach einem Mauseloch für dich suchen, um dem Zorn deiner Frau zu entgehen. Hätte sie – tauchte sie wieder auf – nicht auch Grund, sich vor deinem Zorn zu fürchten?“, erkundigte sie sich. Thomas sah sie verständnislos an.

„Warum? Weil sie das Auto so dämlich geparkt hat? So gut sollte sie mich kennen, dass das kein Grund wäre, sie anzublaffen. Wir haben lange genug Kfz-Schäden bearbeitet, dass wir uns darüber beide nicht aufregen würden. Menschen machen nun mal Fehler.“

„Schön, aber würdest du sie nicht fragen, wo, zum Teufel, sie eigentlich zweieinhalb Jahre gewesen ist?“

„Ich würde mich eher fragen, ob der Jüngste Tag auf der Erde ohne mich stattgefunden hat. Schließlich glaube ich als Christ an so etwas wie Auferstehung.“

„Thomas, jetzt mal ernsthaft: Meinst du nicht, dass es eine Möglichkeit außerhalb der in der Bibel prophezeiten Auferstehung geben könnte, dass deine Frau wieder auftaucht?“

Thomas sah eine Weile in sein Weinglas. Langsam, ganz langsam, keimte ein Verdacht in ihm. Aber der war so absurd, dass Thomas ihn sofort zu unterdrücken versuchte – doch es gelang ihm nicht recht.

„Nein“, sagte er langsam, „mit einer – einer einzigen – Ausnahme:“

Er sah hoch und ihr direkt in die Augen.

„Es sei denn, sie wäre gar nicht tot gewesen. Françoise, bitte, rede jetzt nicht um den heißen Brei: Weißt du etwas über sie? Dann sag’ es mir.“

Françoise schluckte hart. Das war die Stunde der Wahrheit. Wenn sie es jetzt nicht herausbrachte, war es einfach zu spät.

„Ja, ich weiß etwas. Aber bevor ich es dir sage: Wärst du ihr böse?“, würgte sie.

„Ich glaube, ich habe dir oft gesagt, dass ich Gabi geliebt habe. Im Grunde liebe ich sie immer noch. Nur jetzt stünde ich vor dem Problem, dass ich dich eben auch liebe. Einer von euch beiden müsste ich scheußlich weh tun – und das will ich einfach nicht freiwillig. Aber ich brauche einfach Gewissheit. Nein, ich wäre ihr nicht böse, wenn sie mir die Gründe erklärt.“

Françoise trank ihr Glas aus und setzte sich zu Thomas auf das Sofa.

„Thomas“, sagte sie leise, „du brauchst nicht einer von uns beiden den Laufpass zu geben, denn es gibt keine zwei. Es gibt nur eine, nämlich Gabriele Hansen, geborene Matthiesen.“

Ihm war, als hätte ihn der Laserstrahl des Kampfrobots ein zweites Mal getroffen.

„Halt, stopp“, bremste er. „Moment mal. Habe ich das richtig verstanden? Françoise Debussy und Gabriele Hansen sind identisch?“, fragte er erschrocken. Sie nickte schweigend. Thomas wurde kreidebleich. Irgendwie wusste er instinktiv, dass sie die Wahrheit sagte. Dennoch suchte er nach Worten. Er suchte nach Antworten in seinem Inneren, die eigentlich nur die Frau geben konnte, die neben ihm saß, die ihn schweigend anlächelte, deren Hände sich sanft, aber zielstrebig an seinem Overall zu schaffen machten. Und im Moment war er viel zu verwirrt, um alles neu ordnen zu können, was einer neuen Ordnung bedurfte. Ohne es eigentlich zu wollen, küsste er sie. Langsam und vorsichtig öffnete er ihren Overall, flüsterte einen vertrauten Namen, gegen den sie sich nicht mehr wehrte, dem sie entgegenkam wie dem Mann, den sie liebte.

Thomas erwachte aus dem Rausch der Nacht, als Deneb schon hoch am Himmel über Xythara stand. Neben sich spürte er die Wärme seiner Frau. Sie lag neben ihm und schlief noch fest. Er erinnerte sich an ihre Worte in der Nacht. Konnte es noch Zweifel geben? Seine in der Nacht völlig verwirrten Sinne kamen wieder in die gewohnte Ordnung und der Hobbydetektiv in Thomas stellte Fragen, suchte nach Beweisen. Vorsichtig, um die neben ihm schlafende Frau nicht zu wecken, hob Thomas die Bettdecke an und fand etwas, was er zuvor nie gesucht hatte: Die beiden unverwechselbaren Narben, die Gabriele am Rücken hatte. Thomas war erneut wie vom Blitz getroffen. Aber diesmal behielt er sich in der Gewalt und untersuchte seinen Fund näher. Nein, diese Narben waren echt. Thomas erinnerte sich, dass ihm der Polizist, der ihn vom Tod – vom angeblichen Tod – seiner Frau unterrichtet hatte, gesagt hatte, dass eine Identifikation wegen der vollständigen Verkohlung der Leiche durch ihn, den Ehemann, nicht erforderlich sei. Demnach konnte also niemand diese Narben von der Leiche abkopiert haben, um ihn irrezuführen. Die Narben waren ganz offensichtlich älter als zwei oder drei Erdenjahre. Sie stammten von einer Bandscheiben- und einer Nierenoperation, die Gabi Hansen noch vor ihrer Ehe mit ihm hatte machen lassen. Blieb also nur der Umstand, dass Gabi Hansen den Unfall sehr wohl überlebt hatte, aber unter falschem Namen gelebt hatte. Warum? Die Frage wurde immer drängender in Thomas. Dennoch weckte er Françoise – oder vielmehr Gabi – nicht. Ausgeschlafen redete es sich besser. Außerdem war es klüger, sie nicht direkt zur Rede zu stellen. Das konnte fatal wirken und das von ihm gewünschte Ergebnis zunichtemachen. Er hatte sie zurück und wollte sie nicht wieder hergeben.

Françoise alias Gabriele Hansen erwachte aus den wunderbaren Träumen der gemeinsamen Nacht, sanft geweckt von zärtlichem Streicheln.

„Guten Morgen, Gabi“, hörte sie Thomas’ warme, dunkle Stimme. Erschrocken drehte sie sie sich um.

„Woher …?“

„Von dir“, erwiderte Thomas leise. Ganz sachte fuhr seine Hand über ihr Gesicht, das ihm in der letzten Zeit so vertraut geworden war, was aber nicht ganz zu dem passte, was er manches Mal erwartet hatte. Gabi spürte einen sperrigen Kloß im Hals, hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand drücke ihr Herz zu und schnüre ihre Kehle ab. Es war der Moment, vor dem sie die größte Angst hatte. Am Abend zuvor hatte sie der Mut verlassen, und sie hatte ihn noch nicht wieder gefunden. Sie war Thomas sehr dankbar gewesen, dass er keine weiteren Fragen gestellt hatte, sondern einfach ihren Wunsch nach Liebe schweigend erfüllt hatte. Aber jetzt gab es kein Ausweichen mehr. Er hatte ganz offensichtlich den Schock von gestern überwunden und hatte Fragen, das war deutlich.

„Thomas …“, würgte sie und brach den schwachen Ansatz gleich wieder ab.

„Ja?“, erwiderte er mit einem unwiderstehlich zärtlichen Lächeln. Er sah die nackte Angst in ihren Augen.

„Bleib ruhig“, flüsterte er sanft und küsste sie ganz sacht auf die Wange. „Ich nehme nichts von dem zurück, was ich heute Nacht gesagt habe – ob du nun Françoise Debussy bist oder Gabriele Hansen, geborene Matthiesen.“

Thomas machte eine kurze Pause.

„Ich möchte nur wissen, wie es zu dem Wechsel gekommen ist“, sagte er dann.

Gabi schnappte heftig nach Luft, Thomas ließ ihr Zeit. Als sie sich beruhigt hatte, begann sie zu erzählen:

„Wie es dazu kam? Du weißt nur von einer Person, die in dem Golf verunglückte. Im Auto saßen aber zwei: Gabi Hansen und Françoise Debussy. Ich hatte mich mit meiner alten Schulfreundin Françoise getroffen, wir hatten zusammen gegessen, und ich brachte sie nach Hause. Ich dumme Kuh stelle das Auto da ab, wo man’s in meinem Job wahrlich nicht tun sollte. Mitten auf dem rechten Fahrstreifen! Hat sich ja auch prompt gerächt. Françoise stieg aus, ging vorn ums Fahrzeug herum, ich wollte auch gerade aussteigen, da brät uns einer in den Kofferraum. Mir flogen die Glassplitter nach Noten um die Ohren, Françoise wurde zwischen meinem Golf und dem Pinto vor mir eingeklemmt. Der verdammte Käfer, der aufgefahren war, verlor wohl Benzin, jedenfalls gab es eine furchtbare Explosion… und … und alle drei Fahrzeuge … Oh, verflixt, ich kann noch immer nicht …“, brach sie schluchzend ab.

Thomas zog sie nahe an sich und streichelte sie beruhigend.

„Schhh, schhh, schhh …“, flüsterte er in ihr Haar. „Erzähl’ nicht von dem Unfall. Die Story kenne ich. Frank Eichner hat mir davon erzählt – und du kannst dir vielleicht denken, dass es mir nicht besser ging als dir jetzt. Ich möchte nur wissen, warum du Françoises Identität angenommen hast“, sagte er leise. Gabi sah auf. Ihr Blick tauchte in den seinen, versank in warmen, braunen Augen.

„Warum?“, fragte sie. „Warum dieser Aufstand? Ich wollte die Scheidung nicht. Aber ich hatte Angst, du würdest mir auf der Nase herumtanzen, wenn ich die Scheidung einfach zurückgenommen hätte. Als neue Person brauchte ich die Befürchtung nicht zu haben, aber mein Plan ist gründlich danebengegangen.“

„Ich fass’ es nicht!“, stöhnte Thomas. „Hab’ ich mich so daneben benommen, dass du ernsthaft Angst hattest, ich würde dich für den Rest deines Lebens nicht mehr ernst nehmen?“, erkundigte er sich erschrocken.

„Ich hatte die Hoffnung, dich von deiner Fantasie zu heilen. Von UFOs hatte ich ja keine Ahnung und ich hatte auch kein Interesse dran. Also glaubte ich nicht daran und habe dich für – gelinde gesagt – bekloppt gehalten, weil es immer schlimmer wurde.“

Thomas’ Lippen verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen.

„Jetzt auch noch?“, fragte er.

„Nein“, gestand sie kleinlaut. „Hätte ich nur geahnt, dass das alles stimmte …“

„Und wozu dieses lange Versteckspiel?“, fragte er leise weiter und küsste sanft ihr Haar.

Gabi spürte, dass ihr Herzrasen sich unter Thomas’ sanften Zärtlichkeiten beruhigte.

„Ich hätte dir früher reinen Wein eingeschenkt, aber mir kam was dazwischen. Françoise hatte beim Konsulat gekündigt und eine Stelle bei der UNO angenommen. Später habe ich herausgefunden, dass sie es mir wohl an dem Abend sagen wollte, als der Unfall war. Es fiel mir nicht schwer, ihre Rolle zu spielen. Französisch konnte ich gut, ich kannte sie gut und wusste, dass sie so gut wie keine Familie mehr hatte. Alles, was ich nicht wusste, konnte ich mit Amnesie erklären. Als ich nach der Gesichtsoperation aus dem Krankenhaus entlassen wurde, fand ich den Vertrag und musste nach New York. Und von da an war es scheußlich schwer, mit dir in Kontakt zu kommen, ohne dass du den Braten gerochen hättest. Am Telefon hättest du meine Stimme sofort erkannt. Schreiben? Unmöglich! Meine Handschrift hättest du erkannt – und Liebesbriefe schreibt man, verdammt noch mal, nicht mit der Maschine. Ich wollte mich dir vorsichtig nähern, aber meine Abreise machte es unmöglich. Als ich dein Telegramm bekam, sah ich meinen Weizen blühen. Und außerdem war da der Hauch einer Chance, dass du doch nicht so verrückt warst, wie ich immer geglaubt habe. Aber du warst wie eine Muschel, die sofort zuklappt, wenn jemand sie berührt. Und nach der Nacht in Yonkers habe ich keine allzu große Hoffnung gesehen, jemals wieder ein Bett mit dir zu teilen.“

Thomas lachte leise.

„Wenn du wüsstest, was für ein schlechtes Gewissen du mir gemacht hast! Was du mir wirklich bedeutet hast, habe ich erst gemerkt, als eine gewisse Françoise Debussy mit mir anbandeln wollte. Wow, hattest du einen Augenaufschlag! Ich wurde einfach das Gefühl nicht los, Ehebruch zu begehen, als ich in Yonkers neben dir lag. Und da habe ich plötzlich gemerkt, wie sehr du mir fehlst“, flüsterte er vertraulich.

„Könnte … könnte das heißen, dass du mir die Kapriolen verzeihst?“, erkundigte Gabi sich vorsichtig. Thomas nickte schweigend.

„Sag’ es mir, sonst kann ich es nicht glauben“, bat sie.

„Gabi, mein Liebling, ich verzeihe dir.“

Einen Moment war Schweigen, dann lachte er wieder.

„Warum lachst du, Schatzi?“

„Weil ich mich buchstäblich in meine eigene Frau verliebt habe. Es gab so viele Dinge, die mich bei Françoise Debussy an meine Gabi erinnerten, dass ich schon geglaubt habe, ich hätte ‘ne Meise: Deine Art, dich einzurichten, dich zu kleiden – aber vor allem deine Stimme. Als ich in New York mit dir telefoniert habe, habe ich einen richtigen Schock bekommen. Aber das, was ich zu hören glaubte, konnte ja einfach nicht wahr sein; du warst doch tot und begraben – oder das, was von dir übrig war. Und dann fiel mir eine Begebenheit aus alten Schadenzeiten wieder ein. Damals hatte ich eine Kundin, die zu uns in die Halle kam und mir nach dem Regulierungsgespräch sagte, sie hätte mich am Telefon beinahe mit Hans-Werner angesprochen, weil ich genau die gleiche Stimme wie ihr Mann hätte. Da hab’ ich mir gesagt: Das wird so was Ähnliches gewesen sein, oder der Wunsch ist der Vater des Gedankens, ich hätte mir wohl einfach gewünscht, deine Stimme zu hören.“

Gabi richtete sich halb auf und strich ihm sanft über das Gesicht.

„Und wie lange hast du geglaubt, bescheuert zu sein?“

Thomas grinste frech.

„Bis vor zwei Stunden“, versetzte er.

„Wieso?“

„Weil ich vor zwei Stunden die alten Narben entdeckt habe, die ich in Yonkers gar nicht gesucht habe, weil es mir völlig absurd erschien. Aber als du mir heute Nacht zugeflüstert hast, wer du bist, da fielen mir diese kleinen Identifikationshilfen ein.“

„Du hast also keine Zweifel?“

„Nein, jetzt nicht mehr“, erwiderte er sanft und strich ihr zärtlich über die Nase. „Wie lange hat es eigentlich gedauert, bis du dich an dein neues Gesicht gewöhnt hast?“

Gabi seufzte schwer.

„Im Spiegel sehe ich noch immer meine Freundin. Nein, ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt“, sagte sie.

„Dein neues Gesicht ist zwar sehr hübsch, aber wenn ich ehrlich bin, gefiel mir dein anderes besser“, bemerkte Thomas und strich ihr sanft über die Wange.

Gabi hielt seine Hand fest.

„Meinst du, dass ich zu meiner alten Identität zurückkehren könnte?“

Thomas zuckte mit den Schultern.

„Es wäre schwierig, wenn es überhaupt geht. Wie hast du das eigentlich hinbekommen?“

„Ich hab’ denen vom Konsulat eins vom Pferd erzählt. Unsere Papiere waren vollständig vernichtet. Ich habe angegeben, Françoise Debussy zu sein, habe ein Foto aus Françoises Wohnung besorgen lassen – und erhielt ihr Gesicht. Die Papiere ersetzte das Konsulat schnell Sie glaubten felsenfest, mich zu kennen, also entfielen die Fingerabdrücke, die sonst eigentlich erforderlich wären. Und so wurde ich Françoise.“

„Na ja, äußerlich“, bemerkte Thomas und kniff ein Auge zu. „Kann es sein, dass dir deine neue Identität wie ein Mühlstein um den Hals hängt?“, Es war mehr Feststellung als Frage. Gabi nickte.

„Es gäbe zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir heiraten ganz einfach. Du könntest einen deutschen Vornamen annehmen – Gabriele zum Beispiel – du nimmst die deutsche Staatsbürgerschaft an, sofern es die noch gibt. Möglichkeit zwei: Wir versuchen die Behörden in Hamburg zu überzeugen, dass du einen so großen Filmriss hattest, dass du dich nach dem Unfall für deine beste Freundin gehalten hast, Ist zwar ‘ne großkalibrige Räuberpistole, aber solche Unfälle können derartige psychische Störungen auslösen, wenn du dich an die Seminare in Sachen Personenschaden erinnerst. Aber das wird ein Kräfte und Nerven zehrendes Verfahren sein“, erwiderte Thomas. Gabi seufzte.

„Ich möchte nicht nur einfach wieder deine Frau sein, ich möchte wieder Gabriele Hansen, geborene Matthiesen, sein.“

„Glaubst du, dass du das durchstehst, ohne den Verstand zu verlieren, Mäuschen?“

„Der geht mir täglich ein Stück mehr weg, wenn ich mich nicht bald selbst wieder im Spiegel sehe. Wenn du bei mir bist, werd’ ich’s packen.“

„Was hältst du von einem Erdurlaub, mein Schatz?“, fragte Thomas mit einem schelmischen Lächeln.

„Mit welchem Ziel?“

„Nun, zum einen, um aus dir wieder Gabi Hansen zu machen, dein Gesicht ein bisschen zu verändern. Von deinem Foto habe ich mich nie getrennt. Zum anderen wär’ ich diese kleinen Störenfriede, genannt Plasmis, gern los.“

Gabi lächelte. Alle Anspannung war gewichen.

„Und wann geht’s los?“, fragte sie lächelnd.

„Wenn du willst, direkt nach dem Frühstück. Lange genug dauert der Flug ja schließlich.“

Fünf Stunden später bestiegen Thomas und Françoise alias Gabriele die Transporterfähre zum Orbitaldock, wo sie in die Ganymed umsteigen würden. Gabi hatte ihren Freunden und Ratskollegen erklärt, sie werde wohl ein völlig neuer Mensch sein, wenn sie wieder nach Megara käme, aber nur Suli Kulibos ahnte, was Françoise damit wirklich meinte …

Ende

des 2. Abschnitts

Doch es geht weiter mit Abschnitt 3: Der Transponderschwindel

 

 

 

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