Inhalt
Prolog
Man schrieb das Jahr 1617. Wenn man die Landkarten dieses Jahres mit denen des 13. Jahrhunderts verglich, fiel – abgesehen davon, dass die modernen Karten erheblich präziser waren – eine gravierende Änderung auf: Die Königreiche Wengland und Wilzarien existierten nicht mehr. Sie waren einfach verschwunden, in das Heilige Römische Reich Deutscher Nation eingegliedert. Doch es gab noch die Grafschaften und Fürstentümer, aus denen diese Länder bestanden hatten. Wie war es dazu gekommen?
Wengland war ein glückliches Königreich, wenn es auch nicht immer mit vollkommenem Frieden gesegnet war. Nachdem König Ulrich nach fünf Jahren wilzarischer Besetzung mit Hilfe des Herzogs von Scharfenburg eine genügend große Armee gegen König Ranador von Wilzarien und sein als unbesiegbar geltendes Heer hatte senden können und die Wilzaren tatsächlich vernichtend geschlagen waren, war Wengland um die Provinz Aventur und um ein Problem reicher. Das Problem bestand darin, dass weder Ranadors direkter Erbe Sevur noch dessen Nachfolger diese Provinz aufgeben wollten.
Trotz eines starken Friedenswillens des wenglischen Königs kam es alle paar Monate zu ernsthaften Grenzkonflikten mit dem Nachbarn Wilzarien. Diese Grenzkonflikte waren aber die einzigen kriegerischen Auseinandersetzungen, denen sich Wengland ausgesetzt sah. Mit den anderen Nachbarn bestanden unter dem friedfertigen König Ulrich und seinen Erben nicht nur freundschaftliche Beziehungen, sondern zeitweise sehr enge familiäre Verbindungen. So hatte eine Tochter Ulrichs den Fürsten von Breitenstein geheiratet, sein jüngerer Sohn Berthold hatte die Grafschaft Löwenstein geerbt und war in Scharfenburg ein geachteter Graf und Richter, der die Tochter des Markgrafen von Rebmark heiratete. Seit dieser Zeit entspannte sich das Verhältnis des wenglischen Königshauses zum Rebmärker Grafenhaus, das immer noch die Herzöge von Scharfenburg stellte. In den internationalen Beziehungen standen nur der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und der König von Wilzarien nicht freundschaftlich zu Wengland. Der König von Wilzarien eben wegen der ehemals wilzarischen Provinz Aventur, der Kaiser wegen der unabhängigen Existenz des Königreichs Wengland, das allen Werbeversuchen widerstand, sich ins Kaiserreich eingliedern zu lassen.
Im Innern hatte Wengland Frieden und einen Wohlstand, der mit dem seiner Nachbarstaaten nicht zu vergleichen war. Wenglands Bauern und Bürger arbeiteten zuerst für ihren eigenen Geldbeutel, dann erst für König und Vaterland. Bereits seit den Tagen Martins II. galt ein einheitlicher Steuersatz von zehn Prozent aller Einnahmen der Bürger Wenglands. Niemand, nicht einmal der König oder seine Adligen, waren von diesen Steuern befreit. Diese Steuerpraxis verhinderte die Leibeigenschaft, die in fast sämtlichen Nachbarstaaten Wenglands üblich war, weil damit Fronarbeiten der Bauern und Bürger völlig unterbunden wurden. Kein Bauer musste an die Scholle gebunden* werden, wie es im Heiligen Römischen Reich untertreibend genannt wurde. Ganz gleich, wie hoch der Ertrag war, der Bauer war sicher, dass neun Zehntel seiner Ernte und seiner Viehbestände ihm ganz allein gehörten. Der Geldfluss war regelmäßig und reichlich. Zwar konnten die Bürger wählen, ob sie den Zehnt (in diesem Fall entsprach die Bezeichnung auch den tatsächlichen Abgaben) in Form von Bargeld oder als Naturalleistung erbringen wollten, aber zumeist wurde die Abgabe bar geleistet. Der königliche Schatzmeister – meist war es der Graf von Eschenfels – verwaltete das Staatsvermögen Wenglands, das in den Fundamenträumen der Steinburg aufbewahrt wurde. Um diesen steinernen „Tresor“ wussten nur der Schatzmeister und der König selbst – ebenso, wie um den Weg, der in die Schatzkammer führte.
König Ulrich hatte kurz nach seiner Krönung seine Gesetzessammlung, den Codex Rex Wenglandia, in Kraft gesetzt. Neben dem Umstand, dass die dreimonatigen Exerzitien für den Thronfolger nach dem Tod des Königs wegfielen, hatte er die Gerichtsbarkeit in Wengland neu geregelt. Zwar gab es nach wie vor das Adelsgericht, das Streitigkeiten unter Adligen entschied, und die Grafschaftsgerichte, die die Prozesse der Bürger untereinander entschieden und auch zuständig waren, wenn sich Bürger und Adel stritten, aber die Besetzung der Gerichte änderte sich ein wenig. Das Adelsgericht bestand immer noch aus dem Thronrat des Reiches, aber Ulrich verlangte von den Thronräten, dass sie die Gesetze kannten und danach richteten – und nicht nach eigenem Gutdünken, wie das früher der Fall gewesen war. Die Grafschaftsgerichte waren ursprünglich nur Sache des Provinzgrafen gewesen. Nun gab der Provinzgraf die Rechtsprechung an juristisch geschulte Leute ab, die nicht einmal zwangsläufig von Adel sein mussten. Voraussetzung für die Besetzung der Richterstelle war aber, dass der Kandidat lesen und schreiben konnte und die Gesetze Wenglands kannte. Sehr häufig wurden die Grafschaftsgerichte deshalb durch Geistliche besetzt. Um der Gefahr vorzubeugen, dass die geistlichen Richter statt des Gesetzbuches die Bibel zu Hilfe nahmen und mehr nach göttlichem Ratschluss als nach den Gesetzen des Landes richteten, ließ Ulrich den Richtereid auf den Codex Rex Wenglandia ablegen, den Treueid zum König auf die Bibel. Testamentarisch verpflichtete der König alle seine Nachfolger, diese unabhängige Gerichtsbarkeit zu achten.
König Ulrich hatte wie sein Großvater Wengland lange regiert. Die fünfundzwanzig Jahre seiner Herrschaft stellten eine Blütezeit des Handels und des Handwerks dar. Bauern, Händler und Handwerker machten Wengland reich. Diesen Reichtum behielt das Land aber nicht unbedingt für sich selbst, sondern gab ärmeren Nachbarn davon ab. Diese Praxis bewirkte, dass im Ausland kein rechter Neid gegen die Wengländer aufkam.
Aber es gab einen Feind, der auch Wengland unprovoziert angriff; einen Feind, der mit härterer Konsequenz zuschlug, als die Wilzaren es je getan hatten, der mehr Wengländer tötete, als sie in allen Kriegen gestorben waren, die Wengland in seiner nun fast fünfhundertjährigen Geschichte als Königreich hatte führen müssen; ein Feind, dem das wenglische Heer hilflos gegenüberstand, weil er mit Schwert und Lanze nicht zu bekämpfen war: Die Pest!
Die grauenhafte Pestepidemie, die in den Jahren 1348 bis 1352 fast ganz Europa überflutete und auf dem gesamten Kontinent etwa ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, wütete in Wengland besonders schlimm. Beinahe sieben Zehntel der wenglischen Bevölkerung wurden ein Opfer der entsetzlichen Krankheit, gegen die man kein Mittel hatte. Als man dahinter kam, dass die Ratten die Pest brachten, gab es nicht wenige, die herzhaft auf König Ulrich fluchten, der persönlich dafür gesorgt hatte, dass den Ratten nicht mit zu viel Härte nachgestellt wurde. Zu sehr hatte er sich daran erinnert, dass es eine Ratte gewesen war, die ihm einmal geholfen hatte, aus wilzarischer Gefangenschaft zu entkommen.
In der stets volksnahen königlichen Familie hatte die Pest schwere Opfer gefordert. Von der einst weit verzweigten Familie lebten 1353 noch der alte König Berthold, König Ulrichs jüngster Sohn, der bereits über achtzig Jahre zählte und Prinz Albert, ein Ururenkel von König Ulrich, der gerade mal sieben Jahre alt* war. Seit König Ulrichs Tod 1290 hatten nicht weniger als fünf Könige auf dem Thron Wenglands gesessen und ihn nach Ulrichs Vorbild verwaltet. Manche hatten es nur auf wenige Monate gebracht, manche hatten einige Jahre regiert. Aber die letzten fünf Könige hatten zum Teil nur für Wochen die Krone getragen, bevor die Pest sie tötete.
Wengland war ausgeblutet, die Ernte war mangels Ernteleuten nicht eingefahren, es herrschte bittere Not in dem vorher so glücklichen Land. In seiner Not wandte König Berthold sich an den Kaiser Karl IV. und bat ihn flehentlich um Hilfe. Kaiser Karl sandte einen Unterhändler, der mit weit reichenden Vollmachten ausgestattet war. Der Unterhändler, Fürst Michael von Breitenstein, selbst mit dem wenglischen Königshaus verwandt, hatte viel Verständnis für den alten, bereits vom Tode gezeichneten König. Aber der Kaiser sah in Wenglands Hilferuf die Gelegenheit, sich dieses Reich endlich untertan zu machen. So hatte er Fürst Michael die unmissverständliche Weisung mit auf den Weg gegeben, dass Wengland als unabhängiger Territorialstaat verschwinden solle, in seine dreizehn Provinzen aufzulösen sei und dem Reich einverleibt werden solle. Um dies zu erreichen, bezog sich der Kaiser auf ein ebenso unbestätigtes wie unwahres Gerücht, dass Berthold gar nicht Ulrichs Sohn war, sondern aus einer unehelichen Liaison zwischen Königin Adelheid und Graf Siegmar von Aventur entsprungen war. Da die wenglische Unabhängigkeit an einen König aus dem Hause Wengland-Steinburg gebunden war, war dies die Möglichkeit eben diese Unabhängigkeit in Frage zu stellen.
Michael war darüber ausgesprochen unglücklich, weil er den Schutz durch den bedeutenden , mächtigen und militärisch starken, aber doch so friedfertigen Nachbarn Wengland wesentlich mehr schätzte, als die Lippenbekenntnisse des weit entfernten Kaisers, der von Prag oder Luxemburg aus noch nie diese schöne und friedliche Region besucht hatte. Aber des Kaisers Wille war unabänderlich. So, wie er die Mark Brandenburg dem Reich einverleiben wollte, wollte er auch Wengland haben.
König Berthold nahm die Bedingungen des Kaisers zur Kenntnis. Es war unerheblich, dass er das Gerücht der unehelichen Herkunft durchaus widerlegen konnte. Er konnte die Bedingungen nur akzeptieren oder einen Krieg mit dem Kaiser riskieren, der sich ohnehin auf den Weg nach Italien machen wollte, um seine Ansprüche dort durchzusetzen. Wengland hätte dann auf seinem Weg gelegen. Berthold war klar, dass er eine Auseinandersetzung mit dem Kaiser und dessen mächtigem Vasallenheer verlieren würde. Schweren Herzens nahm er die Bedingungen an. Nur wenige Tage nach der Vertragsunterzeichnung verstarb König Berthold an Altersschwäche und – wie die meisten seiner noch lebenden Untertanen behaupteten – nicht zuletzt an gebrochenem Herzen, dass er das hatte aufgeben müssen, was fünfhundert Jahre zuvor mühsam erworben worden war: Wenglands Königskrone. Auf Bitten von Fürst Michael und der wenglischen Grafen gestand Kaiser Karl zu, Berthold als König von Wengland im Dom zu Steinburg beizusetzen. Fürst Michael erwies dem toten König noch einen letzten Dienst, indem er Königskrone, Amtskette, Schwert und Zepter beiseite schaffte, statt sie Berthold mit ins ungeschützte Grab zu geben. Zu groß war die Gefahr, dass der Kaiser sie vernichtete oder zweckentfremdete. Es war Bertholds letzter Wille gewesen, dass sie eines Tages wieder einen freien König Wenglands zieren würden.
Doch bis dahin schien der Weg unendlich, nachdem der Kaiser die Grafen Wenglands zu reichsunmittelbaren Fürsten erklärte und sie damit vom Hause Wengland-Steinburg trennte. Fürst Michael wurde als Thronverwalter des kleinen Albert eingesetzt, der nun nur noch Anspruch auf den Titel des Grafen von Steinburg hatte. Wenn die Grafen von Steinburg auch immer noch das edle Blut der Könige Wenglands hatten: Sie waren zur Bedeutungslosigkeit im Chor der Reichsfürsten verurteilt. Durch eine Ungeschicklichkeit zur Zeit der Reformation gingen die Grafen von Steinburg sogar zeitweilig der Reichsunmittelbarkeit verlustig und gewannen sie nur mühsam zurück. Fortan hielten sich die Grafen von Steinburg in ihrer politischen Meinungsäußerung sehr zurück und traten nach außen kaum noch in Erscheinung, um nicht den geringen Erfolg wieder in Frage zu stellen. Aber das Volk der Grafschaft liebte seine Grafen nach wie vor, denn so, wie sie als Könige gerecht gewesen waren, waren sie es auch als Grafen.
Wilzarien, das immer und immer wieder bei der Rückeroberung Aventurs erfolglos gewesen war, sah nach der Zerschlagung Wenglands seine Chance, sich die verlorene Provinz zurückzuholen – und scheiterte bitter. Doch diesmal waren es nicht Wengländer, die Wilzarien besiegten und es wieder freigaben, sondern Vasallenheere des Kaisers, die Wilzarien ebenso wie Wengland in seine Fürstentümer zerstückelten. Aber Wilzarien hatte noch mehr zu leiden. Wengland war ein christliches Land gewesen, Wilzarien verehrte immer noch die alten Götter, die die Wangionen – der ursprüngliche Stamm, der im Zuge der Völkerwanderung in die Verborgenen Lande gezogen war – mitgebracht hatten. Nach der Eroberung durch kaiserliche Truppen wurde das Land brutal christianisiert, die Ausübung des alten Glaubens unter Androhung der Todesstrafe verboten. In Wilzarien wütete die Heilige Inquisition so heftig, dass die Feuer kaum noch ausgingen. Aber auch Wengland wurde von der Inquisition nicht mehr verschont. Seine Könige hatten die Inquisitoren nie in ihren Grenzen geduldet, aber jetzt fielen sie auch dort ein und suchten mit Eifer nach Ketzern – und fanden sie auch, wenn sie Erfolge brauchten!
Gerade das nun zu Ende gegangene Jahrhundert war für die Grafschaften Wenglands und die Fürstentümer Wilzariens besonders grausam gewesen. Neue Glaubenslehren und die Gegenreformation der alten katholischen Kirche hatten schlimme Spuren hinterlassen. Die Grafschaften des ehemaligen Wengland waren mehrheitlich katholisch geblieben und hatten dafür mit den eher dem Protestantismus zuneigenden Fürsten Breitensteins öfter heftigen Streit gehabt. Doch welcher Zusammenhalt unter den Ex-Wengländern noch immer herrschte, wurde deutlich, wenn das evangelisch-lutherische Oberwengland einer benachbarten katholischen Grafschaft gegen protestantische Angriffe von außen zu Hilfe kam und wenn katholische Grafschaften umgekehrt aushalfen.
Nun war ein neues Jahrhundert angebrochen, aber ob es Frieden bringen würde, war ungewisser denn je. Man rechnete bereits mit einem europäischen Krieg in Glaubensfragen. Jeder, der sich in Europa mit Politik befasste, erwartete einen großen Konflikt am westlichen Rand des Reiches, in den Niederlanden. Ein Teil der Niederlande hatte sich nach langem und zähem Kampf gegen Spanien 1609 endlich selbstständig machen können und einen Waffenstillstand für zwölf Jahre erreicht. Aber niemand von politischer Bildung in Europa erwartete, dass Spanien auch nur einen Augenblick länger mit der Rückeroberung seiner wertvollen Provinzen an der Nordsee warten würde, als der Waffenstillstand es dazu zwang. Aber als der Konflikt dann kam, brach er ganz woanders aus, als erwartet: am entgegengesetzten Ende des Reiches, in Böhmen.
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Kapitel 1
Des Feldherrn Page
Es war im Frühjahr 1617, als ein schmächtiger Jüngling beim Grafen Tilly, einem Feldherrn des Herzogs von Bayern, vorsprach und um Aufnahme in dessen Dienste bat. Johann von Tilly ließ den Jungen eintreten.
„Wer bist du und was willst du?“, fragte der ältere General den Jungen.
„Ich bin Wolf von Steinburg und möchte in Euer Liebden Felddienste treten“, erwiderte der Junge mit einer Stimme, die den Stimmbruch knapp überstanden hatte. Wenn sie sich so weiterentwickelte, wie es jetzt den Anschein hatte, würde es einmal eine volle, recht angenehm klingende Stimme sein. Tilly betrachtete den Knaben genau. Wolf war lang aufgeschossen. Arme und Beine wirkten noch viel zu lang ohne eine entsprechende Muskulatur. Unter einem ungeordneten dunkelbraunen Haarschopf, der sehr kurz geschnitten war, fand der Graf ein noch jungenhaftes Gesicht, das die ersten Ansätze von Bartwuchs zeigte. Im völligen Gegensatz zu der noch jugendlichen Erscheinung standen die braunen Augen, die eine Ernsthaftigkeit ausstrahlten, die der General selten an einem so jungen Menschen gesehen hatte. Aber es war noch mehr darin: Intelligenz und Wissbegierde. Solch einen Augenausdruck kannte Tilly nur von einigen Mönchen. In der Regel waren es Jesuiten gewesen, die ihn so angesehen hatten. Er hätte sich den Jungen gut in einer Mönchskutte vorstellen können – aber seltsamerweise genauso im Lederkoller eines Musketiers.
„Wolf – du weißt, dass ich ein General der katholischen Liga bin, ein Feldherr des Herzogs von Bayern?“, fragte Johann von Tilly, um sicherzugehen, dass der Junge sich nicht in der Adresse geirrt hatte und eigentlich zum Kloster Andechs oder Engelberg wollte.
„Ja, Euer Liebden“, bestätigte Wolf in fast militärischem Tonfall.
„Willst du denn Soldat werden?“, hakte Tilly nach.
„Genau, Euer Liebden.“
Tilly schmunzelte vergnügt, als er an die nicht vorhandenen Muskeln dachte.
„Wenn ich dich so betrachte, Wolf von Steinburg, scheinst du mir für die schwere Arbeit eines Kriegsknechtes nicht recht geeignet“, gab der General zu bedenken.
„Meine Vorfahren waren berühmte Ritter, Euer Liebden. Sie alle haben irgendwann mit dem Gebrauch der ritterlichen Waffen begonnen – und bestimmt ist keiner von ihnen in einer Rüstung oder als Muskelpaket geboren“, erwiderte Wolf mit einem erstaunlichen Selbstbewusstsein. Graf Tilly lachte auf.
„Vielleicht hast du die Muskeln noch nicht, aber auf alle Fälle hast du das Herz eines Löwen, mein Junge“, sagte er lachend. „Aber bevor ich ja sage, möchte ich wissen, was deine Eltern dazu sagen, dass du mir dienen willst.“
„Ich kann sie nicht fragen, Euer Liebden, denn meine Eltern leben leider nicht mehr“, erwiderte der Junge mit einem mühsam beherrschten Anflug von tiefer Trauer.
„Woran sind deine Eltern gestorben und wer waren sie?“, fragte Tilly nach.
„Mein Vater war Graf Wolfgang von Steinburg, meine Mutter Gräfin Juliane von Steinburg. Als ich sieben Jahre alt wurde, gaben meine Eltern mich zur Schule in das Kloster Wachtelberg. Vor zwei Jahren erhielt ich die Nachricht, dass meine Eltern umgebracht wurden. Es gibt keine Erklärung, weshalb meine Eltern sterben mussten. Wir sind arm, bei uns gab es nichts zu stehlen. Mein Vater war zwar ein reichsunmittelbarer Graf, aber er war ohne Einfluss. Sein Tod konnte niemandem nützen, der meiner Mutter schon gar nicht. Der oder die Mörder wurden nicht gefunden. Aber eines Tages will ich meine Eltern rächen, Euer Liebden“, erwiderte der Junge mit mühsamer Selbstbeherrschung. Er war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Tilly nickte.
„Ich nehme dich an, mein Junge. Du wirst mir zunächst als Page dienen und dann sehen wir weiter.“
Wolf trat also in die Dienste des katholischen Generals, der die Truppen der katholischen Liga befehligte. Die Gründung dieser Vereinigung von katholischen deutschen Fürsten war eine Antwort auf die protestantische Union evangelischer Fürsten des Reiches, welche zur Verteidigung der Religionsfreiheit der Protestanten gegründet worden war. Maximilian von Bayern, das Haupt der Liga, war ein Eiferer für den katholischen Glauben, und es hieß, dass seine Besitzungen am wenigsten vom Protestantismus erfasst waren, der seit Luthers Reformation hundert Jahre zuvor in Europa heftig um sich griff. Die katholische Liga sollte den Katholiken ihre Rechte sichern – und nach Möglichkeit verirrte Schäfchen zum ihrer Ansicht nach rechten Glauben zurückführen, nötigenfalls mit Gewalt. Diese Aufgabe bedingte eine gute Ausbildung und Ausrüstung; Dinge, die der reiche Herzog von Bayern gut finanzieren konnte.
Graf Tilly stellte bald fest, dass sein neuer Page in seiner knappen Freizeit bei einem der Fechtmeister seiner Truppen Unterricht nahm. Der Unterricht fand meist in einer abgelegenen Ecke im Hof statt, die Tilly vom Fenster seines Arbeitskabinetts aber einsehen konnte. Er konnte nicht umhin, die Zähigkeit des Jungen zu bewundern, der offensichtlich keinen größeren Wunsch hatte, als fechten zu lernen. Es war auch deutlich, dass Wolf kein ahnungsloser Anfänger war. Er brachte gute Voraussetzungen mit, die der Fechtmeister vervollkommnete.
Schon im Jahr darauf, am 23. Mai 1618, geschah in Prag Entsetzliches: Die protestantischen Stände und Fürsten revoltierten gegen die Verletzung des Majestätsbriefes von 1609, in dem ihnen Religionsfreiheit und ständische Privilegien zugesichert worden waren. Jetzt, im Frühjahr 1618, hatten die kaiserlichen Statthalter Martinitz und Slavata einen Erlass unterschrieben, der eben diese Privilegien zu bedrohen schien. Der Erlass bezog sich darauf, in zwei zweifelhaften Fällen, die beide zu Lasten von Protestanten entschieden waren, jeden Widerstand im Keim zu ersticken und Unbotmäßige gleich hinter Gitter zu bringen. Der Erlass war kaiserlich gebilligt. Tatsächlich war eine Reihe von Leuten, die die Entscheidung nicht hinnehmen mochten, eingesperrt worden. Die Protestanten, an der Spitze ihr Wortführer Graf Thurn, fühlten sich in ihren Privilegien verletzt, durch die katholische Obrigkeit herausgefordert und handelten mit ähnlicher Grobheit: Graf Thurn und seine Getreuen brachen zornentbrannt mit solcher Macht in den Hradschin ein, die Prager Burg, auf der die kaiserlichen Statthalter residierten, dass die Wachen sie nicht aufhalten konnten. Den Statthaltern wurde ihr Erlass vorgehalten und die Herren samt ihrem Schreiber aus dem Fenster befördert. Zwar bremste ein unter dem Fenster befindlicher Misthaufen den tiefen Sturz der kaiserlichen Statthalter, aber der Würde der hohen Herren diente das Bad im Mist gewiss nicht. Damit nicht genug, feuerten die Aufständischen noch einige Schüsse auf die Fliehenden ab, die jedoch zu deren Glück nicht trafen.
Der Prager Fenstersturz von 1618 wäre sicher nur eine Episode mit unangenehmen Folgen für die unmittelbar Beteiligten gewesen, wären Graf Thurn und die mehrheitlich protestantischen Adligen nicht noch einen Schritt weitergegangen: Sie wollten keinen König, der den Majestätsbrief verletzte. So erklärten sie Erzherzog Ferdinand, den im Vorjahr auch von ihnen selbst gewählten König, Neffe des Kaisers und dessen voraussichtlicher Nachfolger auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, für abgesetzt und seiner böhmischen Rechte für ledig. An seiner Stelle wählten sie den jungen Kurfürsten Friedrich von der Pfalz zu ihrem König, einen erklärten Protestanten calvinistischer Prägung. Dieser Vorgang war der Tropfen, der das übervolle Fass der Konflikte in Europa zum Überlaufen brachte.
Mit dem Titel des Königs von Böhmen war die Kurfürstenwürde im Reich verbunden. Gerade der König von Böhmen konnte ausschlaggebend sein, welcher Konfession der nächste Kaiser sein würde. Mit einem katholischen König von Böhmen wäre die Wahl eines Habsburgers auf den Kaiserthron sicher gewesen. Mit einem protestantischen böhmischen Kurfürsten wäre der nächste Kaiser vielleicht protestantisch, mit Sicherheit aber nicht aus dem Hause Habsburg gewesen. Das konfessionelle und in diesem Fall auch politische Gewicht des böhmischen Thrones ergab sich daraus, dass die drei geistlichen Kurfürsten des Reiches – die von Köln, Mainz und Trier – Katholiken waren, während drei der weltlichen Kurfürsten – von Sachsen, Brandenburg und der Pfalz – protestantisch waren. Allein an der Person des böhmischen Königs entschied sich damit, wie die Stimmen bei der bevorstehenden Kaiserwahl verteilt sein würden. Und diese Wahl schien nicht mehr fern, denn Kaiser Matthias war bereits 61 Jahre alt und recht gebrechlich.
An der Person des künftigen Kaisers würde aber das Machtgefüge in Europa hängen. Und so wurde aus dem lokalen Aufstand ein Krieg, der sich immer mehr zu einem europäischen Flächenbrand ausweitete, bei dem es um völlig andere Interessen ging, als um die Frage, ob Protestanten Holz von katholischen Gütern nehmen durften.
Erzherzog Ferdinand erhielt zunächst Hilfe von seinen Verwandten in den spanischen Niederlanden, die ein Heer schickten. Die aufständischen Böhmen fanden Hilfe bei der Protestantischen Union und bei dem Berufsfeldherrn Mansfeld, der seine Truppen anbot. Mansfelds Truppen eroberten Pilsen und sicherten damit zunächst den Bestand des protestantischen Königreichs Böhmen. Ferdinands spanische Verwandte begannen, sich von ihm abzuwenden und waren nahe daran, einen anderen Kandidaten für den Kaiserthron zu favorisieren. Aber Kaiser Matthias starb am 20. März 1619, zu früh, um einen neuen Kandidaten zu bestimmen. Die Fürsten des Reiches weigerten sich auch beharrlich, Friedrich von der Pfalz als König von Böhmen anzuerkennen. So wurde der ursprüngliche katholische Kandidat Ferdinand zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt.
Nach der Wahl wollte Ferdinand den böhmischen Aufstand rasch beenden, aber dazu benötigte er mehr Hilfe als bisher. Kaiser Ferdinand hatte nicht die Mittel, seine böhmischen Rechte aus eigener Kraft zu sichern. Er fand in Herzog Maximilian von Bayern einen Helfer, der sowohl die Truppen als auch die Mittel hatte, dem vertriebenen König von Böhmen beizustehen. Maximilian beauftragte seinen Feldherrn Graf Johann von Tilly mit der Führung der Truppen der katholischen Liga, um die Protestanten in Böhmen und ihren nachgewählten König zu bekämpfen.
Wolf war nun zwei Jahre Page bei Johann von Tilly. Aus dem schlaksigen Jungen war ein junger Mann geworden, der sich als entwicklungsfähig und gelehrig erwiesen hatte. Graf Tilly hatte Gefallen an dem klugen, gebildeten und sehr ernsthaften Wolf. Er hielt nichts vom Wettsaufen und Huren, der Lieblingsbeschäftigung der Soldaten in den Lagern. Niemand konnte behaupten, ihn je beim Plündern gesehen zu haben. Wenn der General seinen Pagen mit dem Fouragieren* beauftragte, gab es wahrscheinlich ein Hühnerbein weniger, aber dafür war es den Bauern nicht gewaltsam abgepresst. Es gab Soldaten in Tillys Heer, die von dieser Art des Fouragierens nichts hielten, aber sooft jemand Streit mit Wolf suchte, musste er feststellen, dass sich unter dem stets gepflegten Äußeren des jungen Mannes nicht nur ein Kämpferherz, sondern auch die kräftigen Muskeln eines Kämpfers verbargen. Wenn andere sich in Kneipen und Hurenhäusern amüsiert hatten, hatte Wolf geduldig an seiner fehlenden Kraft gearbeitet. Er hatte Holz in einer Menge gehackt, dass auf Tillys Schloss der Heizvorrat für zwei Jahre nicht ausgehen würde. Er hatte Feldsteine mit dem Hammer zu Geröll zerbröselt. Tillys Schmied hatte Wolf ein Paar handliche Gewichte mit Griffstangen aus Eisen gemacht, mit deren Hilfe Wolf die Armmuskeln gezielt trainieren konnte. Mit dem Fechtmeister hatte er lange Waldläufe gemacht und galt als ausdauernder Läufer und erstklassiger Fechter. Wolf suchte zwar nie Streit, aber er ging keinem aus dem Wege, wenn er gefordert wurde. Schon bald hatte er sich den Ruf eines tapferen Soldaten und geschickten Fechters erworben.
Am 23. Juli 1620 überschritt Tillys Ligaheer die Grenze nach Österreich und kämpfte sich nach Prag durch, das böhmische Heer vor sich hertreibend. Anfang November 1620 hatten die Böhmen und die mit ihnen verbündeten Ungarn die Umgebung von Prag erreicht. Aber Herzog Maximilians Ligaheer unter Tilly war ihnen dicht auf den Fersen. Durch den Feuerschein von geplünderten Häusern sichteten Soldaten des Ligaheeres die böhmische Armee, die sich auf dem Weißen Berg verschanzte, einem Kalkberg, der Prag überragt und – hinter einem Flüsschen gelegen – für eine passable Verteidigungsstellung dienen konnte. Das Ligaheer war gewarnt, während die Protestanten von der Nähe ihrer Gegner noch nichts ahnten.
An einem nebligen 8. November war Wolf morgens mit einigen Leuten auf Kundschaft. Sie stöberten einige ungarische Reiter auf, die eilig ins Lager der Böhmen flüchteten und Alarm gaben. Fast gleichzeitig griffen die Ligatruppen unter heftigem Artilleriefeuer an. Zunächst sah es so aus, als würden Tillys Truppen auf dem linken Flügel scheitern, da sie die Stellung, die sie angriffen, nicht nehmen konnten und immer wieder zurückgeschlagen wurden. Unter den immer wieder anrennenden Ligasoldaten am linken Flügel war auch Wolf, der in dem verzweifelten Stürmen keinen rechten Sinn sehen konnte, kostete es doch mehr als genug Menschenleben. Doch bevor er dazu kam, seinem Herrn den Vorschlag zu machen, sich irgendwie von hinten heranzumachen, um die Seele des Widerstandes am linken Flügel, Christian von Anhalt junior, außer Gefecht zu setzen, den Sohn des kurfürstlich-pfälzischen Kanzlers Christian von Anhalt senior, hatten die Herren eine Kampfpause angeordnet und berieten über das weitere Vorgehen. Nach Stunden der Beratung, als die Protestanten schon glaubten, die Bayern würden keinen weiteren Versuch unternehmen, den Weißen Berg zu stürmen, wurde unten die Parole „Salve Regina!“ ausgegeben, die für den entscheidenden Angriff gelten sollte.
Erneut unter starker Artillerieunterstützung griffen die Ligatruppen an, wobei der linke Flügel unter General Tilly wieder arg ins Wanken geriet. Der Einsatz der Reserven kam für die Kaiserlichen zum rechten Zeitpunkt. Mit dieser Unterstützung gelang es den ersten Ligasoldaten, in die Stellung der Protestanten einzudringen. Wolf ignorierte, dass er eigentlich Musketier war, zog sein Rapier und griff mit der Fechtwaffe an. Schon nach wenigen Schritten in der Stellung geriet er an den bereits verwundeten Christian junior und verwickelte ihn in ein hartes Gefecht, dem der geschwächte Anhalter nicht standhalten konnte. Christian fiel, durchbohrt von Wolfs Rapier. Der Tod ihres Anführers löste bei den Böhmen Panik aus. Sie flohen und zerschlugen dabei noch den hinteren Verteidigungsring. Den siegreichen Kaiserlichen fielen das große königliche Banner, hundert Standarten der Böhmen und sämtliche Geschütze in die Hände. Christian von Anhalt senior konnte gerade noch entkommen und seinen Herrn davon überzeugen, dass es besser war, Prag auf der Stelle zu verlassen.
Wolfs Rolle bei der Erstürmung des Weißen Berges sprach sich schnell herum. Tilly beförderte ihn noch auf dem Schlachtfeld zum Fähnrich, was vorzeitig war, denn Wolf war noch nicht volljährig. Später am Abend, als der Hradschin von Maximilians Truppen besetzt war, stellte der General seinen Pagen und neuen Fähnrich dem Herzog von Bayern vor.
„Komm näher, mein Sohn“, winkte der Herzog Wolf heran. Gehorsam trat er näher und verneigte sich tief.
„General Tilly sagt mir, du seiest ein tüchtiger und tapferer Soldat, mein Sohn. Sag’ mir deinen Namen.“
„Wolf von Steinburg ist mein Name, Hoheit“, antwortete Wolf.
„Steinburg in der Grafschaft Bogen an der Donau? Du klingst nicht nach Niederbayern“, hakte Maximilian nach.
„Nein, Herr. Steinburg in der Grafschaft Steinburg im ehemaligen Königreich Wengland“, korrigierte Wolf.
„Bist du mit den Grafen von Steinburg verwandt, mein Junge?“
„Graf Wolfgang war mein Vater.“
„War?“ fragte der Herzog.
„Ja, Hoheit. Meine Eltern leben leider nicht mehr. Ich wurde im Kloster Wachtelberg erzogen.“
„Wirst du dein Erbe antreten?“
„Ja, Hoheit. Der Grafentitel ist alles, was meiner Familie – oder besser: mir – geblieben ist.“
„Hältst du das für zu wenig?“, fragte Maximilian mit tadelndem Unterton.
„Nun, solange es das Königreich Wengland gab, waren die Grafen von Steinburg die Träger der Krone. Aber das Königreich existiert nicht mehr und meine Familie ist verarmt. Deshalb sage ich, dass der Titel alles ist, was mir geblieben ist.“
„Würdest du dir wünschen, dass es Wengland wieder als Königreich gibt?“, forschte der Herzog. Wolf wurde misstrauisch. Wenn Maximilian seinen Wunsch nach einer Wiederherstellung Wenglands falsch deutete, wertete er das als Verrat. Wolf zuckte mit den Schultern.
„Selbst wenn ich es mir wünschen würde, Hoheit: Es ist nicht möglich. Mein Wunsch ist hier ohne Belang“, erwiderte Wolf. Maximilian gab sich mit Wolfs Erklärung zufrieden und entließ den jungen Mann.
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Kapitel 2
Die Last des Krieges
Kurz vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag erbat Wolf sich etwas Urlaub.
„Und was hast du vor, Wolf?“, fragte Tilly interessiert.
„Ich möchte mein Erbe antreten, Euer Liebden. Ich werde bald volljährig und kann den Titel des Grafen von Steinburg annehmen“, erklärte Wolf.
„Ist dein Erbe sonst noch etwas wert – außer dem Titel?“
Wolf schüttelte ernst den Kopf.
„Nein, Euer Liebden. Ihr wisst ja, meine Familie ist verarmt. Alles, was ich besitze, ist mein Pferd, der Sattel darauf und das, was ich am Leibe trage.“
„Habe ich dich so schlecht entlohnt?“, fragte der General, der sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
„Nein“, lächelte Wolf. „Aber ich werde wohl alles, was mir von der Löhnung geblieben ist, brauchen, um den Notar zu bezahlen.“
„Seltsam“, murmelte Tilly. „Ich habe einmal gehört, die Grafen von Steinburg seien sehr reich.“
„Das waren sie auch, Euer Liebden. Jedenfalls hält sich diese Sage beharrlich in Steinburg. Angeblich soll Graf Ralf, der sich sogar für einige Jahre die Reichsunmittelbarkeit verscherzte, das Geheimnis des Reichtums mit in das Grab genommen haben – und seither sind wir arm wie die Kirchenmäuse.“
„Wir sollten darüber noch einmal reden, wenn du wieder hier bist, mein Junge“, sagte Tilly und warf seinem Fähnrich eine Geldbörse zu. „Nimm einstweilen den Beutel, Wolf. Das sollte für die Reise genügen. Wann wirst du zurück sein?“
„Ich hoffe, alles in einem Monat geregelt zu haben.“
„Geh’ mit Gott, mein Sohn.“
Pünktlich wie angekündigt, kehrte Wolf einen Monat später mündig, volljährig, erwachsen, als Graf von Steinburg betitelt zu Tilly zurück. Sein Erbe hatte er angetreten, auch wenn der mit der Testamentsvollstreckung beauftragte Notar ihm nicht allzu viel Hoffnung gemacht hatte, dass der Königsschatz eines Tages auftauchen würde. Er hatte einen Verwalter für die Belange seiner Grafschaft eingesetzt, ohne dem Mann viel Lohn versprechen zu können. Für den Verwalter war der karge gräfliche Lohn mehr ein Zubrot zu seiner sonstigen Tätigkeit als Advokat.
Als er bei Tilly eintrat, wog er einen kleinen Geldbeutel in der Hand.
„Gott zum Gruße, Euer Liebden“, grüßte er freundlich.
„Gott zum Gruße, Wolf, Graf von Steinburg. Ich beglückwünsche Euch zu Eurem Erbe“, erwiderte der General höflich. Wolf war verwirrt.
„Euer Liebden, sonst habt Ihr mich geduzt“, bemerkte er. Tilly sah ihn lange an.
„Jetzt seid Ihr ein Graf, wir sind also gleichgestellt, auch wenn ich wesentlich älter bin als Ihr, Graf Steinburg“, erklärte er.
„Euer Liebden, ich bin nach wie vor Euer Fähnrich. Nennt mich bitte weiter beim Vornamen. Ihr seid mir ein väterlicher Freund; bitte erweist mir diese Ehre.“
„Wenn Ihr wollt, gern. Doch dann mache ich Euch das Gegenangebot, mich gleichfalls beim Vornamen zu nennen. Und lasst bloß Euer Liebden weg! Wenn ich eine Bezeichnung nicht leiden kann, dann diese!“
Wolf lachte auf.
„Ich diene Euch jetzt seit vier Jahren, Graf Tilly, aber das habt Ihr mir noch nie gesagt!“
„Kommt, Wolf, setzt Euch. Ich habe noch mehr mit Euch vor“, entgegnete Tilly und bot Wolf Platz an.
Wolf nahm den mit weißen und blauen Federn geschmückten breitkrempigen Hut ab und setzte sich.
„Wolf, Ihr seid mir in den vier Jahren, die Ihr jetzt in meinem Dienst steht, ans Herz gewachsen. Ihr erfüllt das, was ich von Euren Vorfahren gehört habe. Irgendwann waren Eure Vorfahren Könige, oder?“
Wolf nickte.
„Ja, aber das ist schon fast dreihundert Jahre her. Seither ist viel Wasser den Alvedra hinab geflossen“, erwiderte der junge Graf.
„Wolf, ich möchte Euch zu meinem Adjutanten machen. Ihr könnt lesen und schreiben, Ihr könnt mit Zahlen umgehen, was wahrhaft nicht jeder kann. Ihr seid ein gebildeter junger Mann, ein vorbildlicher Soldat und die Ritterlichkeit in Person. Mir ist noch kein Mann wie Ihr begegnet: Arm wie eine Kirchenmaus, aber stets vornehm und vor allem sauber gekleidet. Ihr versteht Euch auszudrücken, was mir altem Soldaten manchmal schwer fällt. Ich denke, Ihr könnt Euch auf politischem Parkett bewegen.“
„Oh, verschätzt Euch nicht … Johann“, gab Wolf zurück, vorsichtig vom Angebot seines Dienstherrn Gebrauch machend. „Der letzte meiner Vorfahren, der es riskierte, sich auf politischem Parkett, wie Ihr es nennt, zu bewegen, hat es mit zehn Jahren Kerkerhaft und für fünfzehn Jahre mit der Reichsunmittelbarkeit bezahlt.“
„Habt Ihr Angst, Euren Titel einzubüßen?“, lächelte Tilly. Wolf nickte.
„Oh, Wolf – Ihr seid katholisch, der Herzog von Bayern ist es auch und der Kaiser ist einer der gläubigsten Katholiken, die mir je begegnet sind. Ihr seid ein tapferer Kämpfer für den Herzog und den Kaiser. Wie sehr Maximilian Euch schätzt, zeigt das edle Pferd, das er Euch nach der Schlacht am Weißen Berge geschenkt hat.“
„Ich bin vorsichtig, Johann. Bei wirklich hohen Herren ist man sich der Gunst nie ganz sicher. Gerade wir Steinburger haben das in den letzten dreihundert Jahren allzu oft erfahren. Zeitweise gehörten wir zum Fürstentum Schwarzenstein, das davor nie etwas mit Wengland zu tun hatte. Der Fürst von Schwarzenstein hat keine Gelegenheit ausgelassen, auch das Grafenhaus kräftig zu pressen.“
„Verwechselt mir nicht meinen allergnädigsten Herrn, den Herzog Maximilian von Bayern, mit dem Schwarzensteiner!“ lachte Tilly auf. „Aber davon abgesehen: Ihr seid jetzt vier Jahre mein Page und Ihr habt nicht die niedrigsten Arbeiten getan. Ihr seid eigentlich mehr mein Sekretär als mein Page gewesen. So ähnlich wird Eure Aufgabe als mein Adjutant sein, nur, dass ich noch Euren militärischen Sachverstand nutzen möchte. Ich habe noch immer Euer Gebrummel in den Ohren, wie man eine Stellung nur bergauf berennen kann, ohne den Versuch zu machen, den Feind zu umgehen und ihm von hinten in die Waden zu beißen. Vielleicht hätte der Versuch ein paar hundert Leute weniger gekostet.“
„Nun, wenn Ihr es wünscht, will ich Euer Adjutant sein“, erwiderte Wolf lächelnd.
„Euch muss man fast zu Eurem Glück zwingen, Wolf. Außerdem bin ich der Meinung, dass Ihr allmählich Leutnant werden solltet. Als Adjutant geziemt sich dieser Rang. Nehmt Ihr an?“
„Ihr würdet es nicht vorschlagen, wärt Ihr nicht der Meinung, dass ich diesen Posten ausfülle. Ja, ich nehme an, Graf Tilly.“
Tilly schob Wolf ein Pergament hin, das ihn als Leutnant in Diensten der katholischen Liga auswies und einen Vertrag darstellte, der zunächst für fünf Jahre galt. Das entsprach der Übung, nach der sich ein Soldat seinem Feldherrn persönlich verdingte und schriftlich versprach, ihm eine gewisse Zeit als Soldat zu dienen. Der Vertrag konnte aber auch vorzeitig enden, etwa, wenn ein Soldat in Gefangenschaft geriet oder seine Fahne erobert wurde. In diesen Fällen konnte der Soldat sich auch für die Gegenseite entscheiden, was oft genug vorkam, wenn der Gegner besser zahlte. Wolf unterschrieb den Vertrag, Tilly zeichnete dagegen, womit der Vertrag gültig wurde. Der alte General sah seinen Adjutanten eine Weile nachdenklich an.
„Wisst Ihr“, sagte er dann, „Ihr habt mir zwar gerade nur einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben, aber ich glaube, Ihr gehört nicht zu der wetterwendischen Sorte von Soldat, der sich nach Ablauf des Vertrages beim Gegner anbietet.“
Wolf grinste freundlich.
„Auf die Idee wäre keiner meiner Vorfahren gekommen. Mir würde die Ritterehre so etwas verbieten“, versetzte er. „Oh, bevor ich es vergesse: Dieses Beutelchen Gold habt Ihr mir gegeben, als ich fortritt. Ich danke fürs Ausleihen“, sagte er dann und schob Tilly den Beutel zu.
„Das war nicht als Darlehen, sondern als Geschenk gedacht, mein Junge“, erwiderte der alte Graf lächelnd und zwirbelte den weißen Schnurrbart.
„Das kann ich nicht annehmen, Graf Tilly“, wehrte Wolf ab. Tilly lehnte sich zurück.
„Doch, das könnt Ihr, Graf Steinburg. Ihr seid jung und braucht eine gute Grundlage für Eure Zukunft. Ihr seid nicht mein erster Page. Ich habe es immer so gehalten, dass meine Pagen, wenn sie erwachsen wurden, so ein Beutelchen Gold als Geschenk bekamen. Außerdem könnt Ihr es bestimmt gut gebrauchen.“
Wolf versenkte das Ledersäckchen in seinem Wams.
„Dank Euch, Graf Tilly. In der Tat, ich kann es gebrauchen. Als Euer Leutnant brauche ich wohl ein eigenes Rapier*.“
„Dann sucht Euch etwas Gutes aus und nehmt keinen Ramsch. Wartet noch eine Weile. Es könnte sich ergeben, dass wir nach Westfalen kommen. In Solingen gibt es die besten Klingenschmiede. Meister Balduin macht besonders gute Klingen.“
„Es wäre mir ein Vergnügen, mit Balduin zu feilschen“, grinste Wolf.
Doch bis sich Wolfs Wunsch erfüllte, bedurfte es noch verschlungener Pfade durch die deutschen Lande – und auch eines heftigen Streites mit seinem Dienstherrn. Tillys Ligaheer hatte am 6. Mai 1622 den mit Friedrich von der Pfalz verbündeten Markgrafen von Baden und dessen Truppen geschlagen und zog wieder gen Bayern, in die Oberpfalz, die Maximilian von Bayern außer Oberösterreich für seine Hilfeleistung vom Kaiser verpfändet worden war. Es blieb umstritten, ob der Kaiser Gebiete verpfänden durfte, die nicht sein Kronland waren – und die Oberpfalz an der Grenze zu Böhmen war kein Kronland, sondern das Land des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz. Kaiser Ferdinand hatte ohne Bedenken Ländereien der Aufständischen zur Deckung seiner Kosten eingezogen. Nun sollten Tillys Truppen dem neuen Landesherrn in der Oberpfalz Respekt verschaffen, einem Gebiet, das im Norden etwa von dem Ort Weiden begrenzt wurde, im Süden zwischen Regensburg und Cham lag und dessen westlichsten Rand die Umgebung der freien Reichsstadt Nürnberg bezeichnete.
Weil der Sold schon frühzeitig, nämlich schon im Laufe des Jahres 1621, nur unpünktlich und teilweise unvollständig gezahlt worden war, war aus den ursprünglich disziplinierten Truppen der Liga ein beutegieriger Soldateskahaufen geworden. Erschwerend kam hinzu, dass die Bauern in der Oberpfalz den Katholiken unter Tilly nicht selten Unterkunft und Verpflegung verweigerten. Nur allzu oft fielen die Männer hungrig über Dörfer und Städte her, plünderten, brandschatzten, hinterließen nicht wieder gutzumachende Verwüstungen. Wolf von Steinburg brachte Plünderei in Wut. In der Nähe von Cham hatte er einen plündernden bayerischen Hauptmann derartig verprügelt, dass der Mann für Tage ans Bett gefesselt war. Tilly ließ seinen Adjutanten vom Profos* verhaften.
„Was bildet Ihr Euch eigentlich ein, Graf Steinburg?“, herrschte Tilly Wolf an. „Wie könnt Ihr es wagen, Hauptmann Eggner lazarettreif zu schlagen?“
„Ich kam dazu, wie Eggner eine schon am Boden liegende Bäuerin mit der Reitgerte weiter schlug, um von ihr das Versteck ihres Geldes zu erfahren. Ich habe eingegriffen, und weil Eggner sich dagegen sträubte, musste ich Gewalt anwenden“, erklärte Wolf mit erzwungener Ruhe.
„Das ist nicht Eure Sache, sondern die des Profos!“, wetterte Tilly zornig.
„Der Teufel soll mich holen, wenn ich je zulasse, dass ein ausgewachsener Mann mit einer Gerte auf eine zierliche Frau losgeht, Euer Gnaden! Bis unser Profos auf einen Alarm reagiert, hat eine alte Sau sieben Mal geferkelt! Außer, man verhaftet ehrbare Leute!“, rief Wolf erbittert.
„Der Teufel wird Euch holen, wenn Ihr weiter Eure Kompetenzen überschreitet!“, donnerte Tilly.
„Sagt, Johann: Gegen wen führen wir eigentlich Krieg? Gegen den falschen König von Böhmen oder gegen seine hilflosen Untertanen? Wir pressen die Bauern bis zum letzten Blutstropfen aus und wundern uns, dass sie uns die Unterkunft verweigern…“
„Wir sollen das Land für den Herzog sichern!“, wies Tilly Wolf zurecht. „Wir müssen hier hart durchgreifen.“
„Hart durchgreifen? Indem unsere Männer straflos Frauen vergewaltigen? Indem unsere Soldaten die Bauern erbarmungslos foltern, um an ein paar Pfennige Geldes heranzukommen, das für die Soldaten eher ein Taschengeld ist, den Bauern aber das Überleben sichert? Ist das unser Krieg, Johann? Wenn das so ist, hoffe ich, dass meine fünf Jahre bald um sind, damit ich nach Steinburg zurück kann, um meinen Bauern ein ähnliches Schicksal zu ersparen!“
„Wolf! Ihr seid Soldat! Ihr habt zu gehorchen!“, fuhr Tilly seinen Adjutanten an.
„Heißt das, dass Ihr Hauptmann Eggner den Befehl gegeben habt, diese Bauern so zu quälen? Was ist das für eine Welt, in der man sich an den Schutzlosesten vergreift? Kennt Ihr noch den Rittereid, Graf Tilly? Sei ohne Furcht im Angesicht deiner Feinde! Sei tapfer und aufrecht, auf dass Gott dich lieben möge! Sprich immer die Wahrheit, auch wenn es deinen eigenen Tod bedeutet! Beschütze die Wehrlosen – und tue kein Unrecht! Der Ritter schwört, dass er Unterdrückten und Hilflosen seinen Schutz gewährt. Nichts anderes habe ich getan, als eine hilflose Frau zu schützen, getreu meinem Rittereid! Ich habe ihn noch geschworen, diesen Eid. Zwar nicht einem Landesherrn, aber Gott. Und mir als gläubigem Katholiken bedeutet das etwas, Graf Tilly!“
„Schweigt! Ich verbiete Euch, so mit mir als Eurem Dienstherrn zu reden, Graf Steinburg! Profos, Graf Steinburg hat drei Tage scharfen Arrest bei Wasser und Brot! Und sollten Euch solche Flausen wieder einfallen, endet es das nächste Mal mit Stockhieben, verstanden?“
„Nur zu! Mit den Methoden vergrätzt Ihr nicht nur das Volk, sondern die letzten ritterlich denkenden Soldaten!“, versetzte Wolf ätzend.
„Profos, Graf Steinburg bekommt drei Stockhiebe!“, knurrte Tilly.
Zornbebend verließ der alte General das Zelt des Profos. Das Schlimmste war, dass Wolf Recht hatte. Tilly selbst war auch gegen Plünderei, aber es war die einzige Chance, noch die Gewalt über das Heer insgesamt zu behalten, wenn er seinen Soldaten die Plünderungen mit all ihren Scheußlichkeiten erlaubte. Wenn die Soldaten hungerten und keine Unterkünfte hatten, würden sie bald meutern und nicht nur den Bauern zu schaffen machen, sondern auch den Heerführern. Da fiel die Wahl nicht schwer, die Unannehmlichkeiten auf das Volk zu übertragen, zumal, wenn man damit argumentieren konnte, man strafe die Bauern nur dafür, dass sie den Soldaten des Landesherrn keine Unterstützung gegeben hatten.
Der Profos war nicht zimperlich. Wolf bekam drei Hiebe mit einer starken Weidenrute auf das bloße Gesäß und konnte nach der Bestrafung nicht mehr sitzen. Er ging in dem offenen Pferch zornig auf und ab, was aber beinahe genauso schmerzhaft war, wie sich zu setzen. Wolf versuchte, seine wütenden Gedanken zu ordnen. Er erkannte Tilly nicht wieder. Diese Verwüstungen waren mehr als unnötig. Vor allem würden sie das Volk der Oberpfalz gewiss nicht für den Herzog einnehmen. Wolf wünschte sich, dass Tilly ihm mehr Freiheiten geben möge, damit er die Bauern und Bürger diplomatisch überzeugen konnte, dass Max von Bayern kein so unangenehmer Herr war. Andererseits waren die Bewohner der Oberpfalz eher dem Protestantismus zugeneigt als dem katholischen Glauben – und Maximilian von Bayern duldete kein Abweichen von dem Glauben, den er als den richtigen ansah. Bayern war nicht die Grafschaft Steinburg, wo Wolf seinem Verwalter ausdrücklich religiöse Toleranz befohlen hatte und nicht das Königreich Wengland, in dem jeder glauben konnte, was ihm beliebte, solange er nicht den Teufel anbetete.
Wolf musste einsehen, dass er keine Chance hatte, die Bewohner eines Landes zu schützen, solange er ein Offizier und Adliger niederen Ranges war. Es bedurfte schon des Ranges eines Obersten, um mäßigend einwirken zu können – und einer Menge Geld, denn wer das Geld gab, konnte Weisung geben, was damit zu geschehen hatte. Aber Wolf war arm und wollte nicht selbst zum Plünderer werden, um den Krieg zu beeinflussen.
Die Verstimmung zwischen Graf Tilly und seinem Adjutanten hielt gute drei Wochen an, dann entspannte sich ihr Verhältnis wieder. Johann Terclaes von Tilly hatte keine Freude an Plünderungen, aber er sagte es nicht so geradeheraus wie Wolf. Immer wieder schrieb er um die fälligen Löhnungen, immer wieder wurde er vertröstet.
„Wolf“, sagte er schließlich, „ich gebe zu, dass ich mit meinem Latein am Ende bin. Die Oberpfalz ist leer geräumt, der Herzog schickt keine Löhnungen, keinen Nachschub. Was soll ich tun? Gebt mir einen Rat.“
„Täusche ich mich, oder sind wir nur wenige Meilen von niederbayerischem Gebiet entfernt?“, fragte Wolf.
„Niederbayern ist nur einen Katzensprung von hier. Worauf wollt Ihr hinaus?“
„Nun, der Herzog von Bayern unterhält die Truppen der katholischen Liga. Was läge näher, als die Truppen nach Niederbayern zu führen, wo sie sowohl mit Unterkunft als auch Verpflegung rechnen könnten?“, schlug Wolf vor.
„Wolf, das meint Ihr nicht ernst!“, entfuhr es Tilly entsetzt. „Die Armee in dem Zustand nach Niederbayern zu führen, würde bedeuten, dass sie Niederbayern bis zum letzten Grashalm plündert!“
Wolf grinste in einer Weise, die nur zynisch zu nennen war.
„Ich kann mir denken, dass das weder dem Volk noch dem Herzog passen wird. Das Volk, das gebe ich zu, kann nichts dafür. Genauso wenig, wie die Bauern und Bürger der Oberpfalz etwas für die Fehler ihres alten Herrn können. Wir haben sie bis zum letzten Blutstropfen ausgepresst. Nach unserer Lesart sind sie genauso Untertanen des Herzogs von Bayern wie die Leute in Niederbayern. Der Herzog, Johann, der hat diese Misere verursacht, wenn er Euch ohne Löhnungen und Nachschub lässt. Dummerweise wird er davon sehr wenig spüren, denn bevor Armut seinen Tisch erreicht, gibt es keinen lebenden Bauern mehr. Ihr habt mir mit Rutenstreichen beigebracht, dass einem das Hemd näher ist als das Wams. Folglich lässt man einen anderen für die eigenen Probleme bluten. Was also liegt näher, als dass wir uns unsere Verpflegung von den niederbayerischen Bauern geben lassen?“, erklärte er. Tilly sah den jungen Mann eine Weile an.
„Ihr seid von bestechendem Scharfsinn, Wolf. Stimmt, Ihr habt Recht. Ihr hattet auch Recht, als Ihr mir Eure Meinung zu Plünderung und Brandschatzung gesagt habt. Wie können wir verhindern, dass die Armee den Bezirk Regen ausnimmt wie eine Weihnachtsgans?“
„Zwei Möglichkeiten: Erstens: Die Armee zieht gleich weiter nach Westen in Richtung Pfalz. Das hätte den möglicherweise den Effekt, dass Friedrich aus dem dänischen Exil zurückkehrt, um seine Ländereien zu verteidigen. Er wird nicht allein kommen. Ich vermute, dass Christian von Dänemark gleich mitkommt. Christian ist ein gläubiger Protestant, sieht sich wie Gustav Adolf von Schweden als Verteidiger der protestantischen Glaubensfreiheit. Wie stark er ist, vermag ich nicht zu schätzen. Wir hätten jedenfalls aus dem reichsinternen Krieg einen europäischen gemacht. Ich weiß nicht, ob dies im Sinne des Herzogs oder des Kaisers ist. Diese Möglichkeit sollten wir nur wählen, wenn unsere Herren es ausdrücklich wünschen. Möglichkeit zwei: Ich reite nach Burg Weißenstein bei Regen und verhandle mit dem Herrn über Quartiere für die Soldaten und Verpflegung für wenigstens drei Monate. Solange sie etwas zu beißen haben, kommen sie nicht auf die Idee, zu plündern. Wir könnten den Herren wieder etwas Disziplin beibringen. Vor allem müssen Marketender heran, die unabhängig von ihrer Regimentszugehörigkeit für Nachschub sorgen können, indem sie es den Bauern einfach abkaufen.“
„Seid Ihr Euch im Klaren, was das kostet, Wolf?“, hakte Tilly nach.
„Hängt davon ab, wie die Einkäufer feilschen können. Ich stelle mich gern zur Verfügung. Im Feilschen habe ich Übung. Mir ist schon klar, dass es etwas mehr kostet als bisher. Aber ich würde diesen Weg empfehlen, Johann.“
„Und woher nehmen wir das Geld?“
„Marketender sind Kaufleute, Johann. Wenn sie einkaufen, verkaufen sie auch. Wenn wir wirklich drei Monate Zeit haben, unsere Organisation aufzubauen, könnten wir es schaffen. Ich stelle mir vor, dass wir den Glasmachern in Zwiesel anbieten, ihre Waren zu verkaufen – via Marketender …“
„Wolf, hört auf! Wir sind Soldaten und sollen für unseren Herzog Krieg führen, nicht Handel treiben!“, unterbrach Tilly Wolf.
„Nach meiner Einschätzung haben wir die Wahl zwischen einem europäischen Krieg und drei Monaten Handel mit anschließender Unabhängigkeit der Armee von regelmäßigen Zuwendungen des Herzogs. Ich verstehe selbst vom Verkaufen nichts, aber das hindert mich nicht, die Fähigkeit derer, die das können, zu nutzen“, erwiderte Wolf lächelnd.
Nach zwei Tagen Bedenkzeit erhielt Wolf die Erlaubnis, nach Weißenstein zu reiten, das südlich des Marktes Regen auf den Höhen des Pfahls lag, einem aus weißem Quarz bestehenden Höhenzug, der einen Großteil des Böhmerwaldes von Nordwest nach Südost durchzog. Sein Weg führte den Grafen von Norden her kommend an der Stadt Regen vorbei, deren weit durch das Regental sichtbares Wahrzeichen der strahlend weiße Wehrturm der Pfarrkirche Sankt Michael war, ein trutziger Bau, der immerhin schon rund zweihundert Jahre alt war.
Der Hausherr auf Burg Weißenstein, der herzogliche Pfleger, war mit Wolfs Ansinnen einverstanden und sagte ihm und dem Heer der katholischen Liga Hilfe zu.
„Zwischen der Burg und dem Talabhang hinter Sumpering ist viel Platz, Graf Steinburg. Dort kann Euer Heer lagern. Die Wiesenfläche nördlich vom Thurnhof ist auch sehr geeignet, um Zelte aufzuschlagen. Es gibt reichlich Wild, und es sollte möglich sein, auch anderweitig Proviant zu beschaffen. Ich werde die Ratsherren von Regen herbestellen, um nach Marketendern zu suchen“, bot der Pfleger an. Wolf nahm an und konnte bald annehmbare Bedingungen aushandeln, zu denen Tillys Armee sich regenerieren konnte.
A A A
Kapitel 3
Verhandlungsgeschick
Das Quartier, das Wolf für die Truppen der Liga gefunden hatte, war gut, und seit längerer Zeit bekamen die Männer wieder ausreichende Rationen, ohne plündern zu müssen. Als es wieder Frühjahr wurde, trafen auch die Marketender ein, die für die Zwieseler Glasmacher gute Geschäfte getätigt hatten und jetzt als Nachschubeinkäufer mit den Truppen der Liga weiterziehen sollten. Zu den bayerischen Marketendern hatte sich auch ein Mann aus Solingen gesellt, der mit Rapieren, Haudegen und Pikenspitzen handelte, die aus der Schmiede von Meister Balduin in Solingen kamen. Wolf war schon einige Male um den Stand des Händlers gegangen, aber was in der Auslage war, entsprach ganz und gar nicht Wolfs Geldbeutel.
„Sucht Ihr etwas Bestimmtes, Euer Gnaden?“, fragte der Händler beflissen, als er Wolfs interessiertes Suchen bemerkte.
„Ja. Ich suche ein Rapier“, gab der zur Antwort.
„Ich habe die besten Rapiere, die Ihr Euch wünschen könnt, Euer Gnaden. Was wollt Ihr anlegen?“
Wolf nahm den Geldbeutel von der Seite, sah hinein und sagte:
„Zwanzig Reichstaler**.“
Der Händler legte den Kopf schief.
„Nicht eben üppig, Herr.“
„Vielleicht, aber ich bin nur ein armer Soldat, Meister. Außerdem sind für diesen Preis ohne weiteres gute Klingen zu bekommen.“
„Beim hiesigen Dorfschmied vielleicht“, versetzte der Händler. „Meine Klingen verkaufe ich nicht für diesen läppischen Preis.“
Wolf zog höflich den Hut.
„Gut, dann werde ich mich halt beim Dorfschmied bewaffnen“, sagte er und wollte gehen. Der Händler erschrak. So einfach wollte er sich zwanzig Taler doch nicht entgehen lassen.
„Wartet, vielleicht kann ich Euch doch helfen.“
„Zwanzig Taler, keinen Groschen mehr!“, warnte Wolf. „Das ist mein ganzer Reichtum.“
Der Händler winkte ihm und führte ihn in sein Lager, das er im Wagen hinter dem Stand hatte. Dort zeigte er Wolf einige Rapiere.
„Hier, das kann ich Euch für zwanzig Taler bieten.“
„Gehänge?“, fragte der junge Graf.
„Das käme dazu“, erwiderte der Händler.
„Ich glaube, Ihr habt mich falsch verstanden, Meister. Zwanzig Taler für eine gebrauchsfertige Waffe. Dazu gehört wenigstens eine vernünftige Lederscheide mit Dorn.“
Der Händler seufzte.
„Gut, Scheide mit Dorn zum Einhängen inbegriffen“, schnaufte er. Wolf prüfte die vorgelegten Waffen.
„Nichts für ungut, Händler, aber Meisterwerke der Waffenschmiedekunst sind diese Stücke nicht“, sagt er nach einer Weile.
„Nun, Meisterwerke werdet Ihr für den Preis, den Ihr anlegen wollt, gewiss nicht erhalten“, erwiderte der Händler. Wolf nahm eine der Klingen und bog sie durch. Die schmalen Klingen verbogen sich bei einem heftigen Gefecht leicht. Eine gewisse Durchbiegefähigkeit war deshalb unerlässlich, wenn die Klinge nach einem Gefecht wieder geradegebogen werden sollte. Die Waffe, die Wolf in der Hand hielt, zeigte bedrohliche Risse.
„Diese Klinge überlebt keine drei Gefechte, Meister. Sie ist schlicht minderwertig. Die ist keine zwanzig Taler wert. Die beiden anderen sind nicht gerade. Wenn Ihr mir für zwanzig Taler nichts Besseres bieten könnt, suche ich mir wirklich einen anderen Lieferanten“, erklärte er.
Der Händler war verblüfft, dass ein offensichtlich so junger Mann so viel von Waffen verstand. Recht zögernd gab er eine Auswahl von Klingen heraus, denen der Preis angemessen war. Schließlich hatte Wolf ein Rapier gefunden, das seinen Preis- und Qualitätsansprüchen genügte. Er zählte aus dem Beutel zwanzig Taler ab und schob sie dem Händler hin.
„Ihr seid ein Schwindler, Herr!“, entfuhr es dem Händler. „Ihr sagtet, Ihr hättet nur zwanzig Taler.“
„Zwanzig Taler sind mein Reichtum, Meister, mein Überfluss. Vom Rest muss ich mir noch ein Mittagessen leisten“, lachte Wolf auf und ging fort.
Auf dem Weg kam er bei einem Goldschmied vorbei. Sein Blick fiel auf den schmucklosen Griffkorb seines neuen Rapiers. Kurz entschlossen trat er bei dem Goldschmied ein.
„Gott zum Gruße, Meister. Ich würde mir gern dieses Rapier verzieren lassen. Was nehmt Ihr für eine goldene Wappenlilie?“
„Grüß Gott, Euer Gnaden. Das kommt ganz auf die Größe der Lilie an. So groß wie Euer Ring macht es zehn Taler und drei für das Befestigen.“
„Zehn Taler für eine daumennagelgroße Lilie? Ihr scherzt. Ich gebe Euch drei für die Lilie und einen halben für ‘s Montieren.“
„Drei Taler? Da kostet mich das Material ja mehr, als Ihr mir für die ganze Arbeit bezahlen wollt!“, widersprach der Goldschmied. „Acht und einen für die Montage.“
„Ihr habt hier fertige Lilchen mit Regenbogen, die sollen vier Taler kommen“, sagte Wolf und nahm aus einem Körbchen eine etwas mehr als daumennagelgroße Lilie mit einem Regenbogen darüber in die Hand. Es war das Regener Stadtwappen. „Da sind sogar schon Zapfen zum befestigen dran. Ich nehme diese Lilie hier, erlasse es Euch, den Bogen abzuzwacken und gebe Euch für alles fünf Taler.“
„Sechs“, forderte der Schmied.
„Abgemacht, aber dann ohne den Bogen.“
Mit unüberhörbarem Seufzen stimmte der Goldschmied zu.
„Nur … wo soll ich die Lilie befestigen, Herr?“
Wolf sah sich das Rapier näher an, bemerkte dann, dass sich in dem großen Griffkorb ein schwarzer Lederschutz auf der Fehlschärfe befand. Er zog die Waffe aus der Scheide, zog mit etwas Mühe den Lederschutz ab und gab ihn dem Goldschmied.
„Da dran hätte ich’s gern.“
Wenig später kam Wolf aus dem Goldschmiedeladen mit einem hübsch verzierten Rapier wieder heraus. Er hatte für einen geradezu lächerlichen Preis ein meisterhaft geschmiedetes Rapier mit einer Lilienverzierung bekommen, wie es sich für einen Grafen von Steinburg gehörte. Er erinnerte sich, dass sein Vater für sein Rapier glatte fünfzig Gulden** und für die Wappenverzierung noch einmal zwanzig Gulden bezahlt hatte. Obwohl der Reichstaler etwa eindreiviertel Steinburger Gulden wert war, hatte er kaum Zweidrittel dessen bezahlt, was sein Vater schon vor sieben oder acht Jahren hatte anlegen müssen.
Seines Vaters Rapier – das einzige Stück außer dem Original-Siegelring, das bei dem Überfall auf seine Eltern abhanden gekommen war. Wolf geriet wieder ins Grübeln, wer so ein Interesse an diesen Dingen gehabt haben konnte, dass er dafür zwei Menschen bestialisch ermorden musste. Oder war es einfach nur Zufall gewesen? Der Siegelring war der Grafenring gewesen, ein sehr altes Stück, das zwar historischen Wert hatte, aber eigentlich ausgemustert werden sollte, weil die Siegelfläche nach fast fünfhundert Jahren ständigen Gebrauchs abgenutzt war und das Metall des Ringes durch häufiges Umarbeiten brüchig geworden war. Nur der chronische Geldmangel hatte Graf Wolfgang daran gehindert, den Ring zu ersetzen. Das Rapier war keine besonders wertvolle Klinge, neigte zum Rostansatz und musste deshalb ständig geputzt werden. Nur die Perlmuttereinlage im Griff, in die noch eine Lilie eingelegt war, gab der Waffe einen gewissen Wert. Aber weder der Ring noch das Rapier würden dem Räuber viel Geld einbringen. Wolf brach den Gedanken ab, weil er sich wie so häufig mit den Überlegungen im Kreis drehte, ohne eine Lösung zu finden.
Als er zu Tilly zurückkehrte, bemerkte der das neue Rapier und bat Wolf, ihm das neue Stück zu zeigen.
„Was habt Ihr dafür bezahlt?“, fragte Tilly interessiert.
„Zwanzig Taler und sechs für die Verzierung.“
„Ho, Ihr seid besser als ein Muselmann!“, lachte der General auf. „Klingen aus Solingen, speziell die von Meister Balduin, sind sonst nicht unter sechzig Talern zu haben – ohne Scheide versteht sich.“
Tilly war endgültig überzeugt, dass Wolf aus seinem chronischen Geldmangel etwas zu machen gelernt hatte. Noch nie hatte er den jungen Mann unordentlich oder unsauber gekleidet gesehen. Wolf war von altem Adel und war sich dessen bewusst, dass bestimmte Verhaltensweisen und Äußerlichkeiten von ihm erwartet wurden.
Die politischen Verhältnisse hatten sich Anfang 1623 ein wenig gewandelt. Die Oberpfalz war für Maximilian gesichert, die Aufständischen von Böhmen waren verhaftet, die Anführer hingerichtet worden. Nur die Spitze des Königreiches Böhmen hatte sich retten können. Friedrich von der Pfalz war mit wenigen Getreuen nach Holland geflüchtet. Sein Weg hatte ihn in die protestantischen Niederlande geführt, da auch seine Ländereien in der westlichen Pfalz insgesamt an den Herzog von Bayern gegeben worden waren. Zwar blieb die Besitzung in der Familie, da Friedrich wie Maximilian aus dem Hause Wittelsbach war, aber verfassungsrechtlich konnte man darüber streiten, ob der Besitz auf einen Vetter übertragen werden konnte, wenn der ursprüngliche Lehensmann politisch missliebig geworden war. Doch Kaiser Ferdinand hatte erhebliche Schulden bei Herzog Max. Und da Friedrich nicht willens war, den Kaiser um Verzeihung zu bitten, wurde er mit der Reichsacht* und Entzug seiner Ländereien bestraft, was die protestantischen Fürsten auch nicht ohne weiteres hinnehmen wollten. Sie machten sich daran, eine europäische Koalition gegen den Kaiser und seine katholischen Verbündeten zu schmieden.
Im Frühjahr 1623 hatte sich das Geschehen nach Westen verschoben, wo diese Koalition sich bereit machte, Ferdinand und seine Verbündeten anzugreifen. Dazu kam, dass zwei geistliche Fürstentümer, nämlich Halberstadt und Osnabrück, gerade vakant geworden waren und nun beide Parteien danach strebten, diese Lehen für sich zu gewinnen. Durch verloren gegangene Briefe der Koalitionspartner, die zu deren Unglück dem Kaiser selbst bekannt wurden, war Ferdinand unterrichtet und hatte einen greifbaren Grund, Maximilian von Bayern zu ersuchen, seine Truppen nach Nordwesten in Marsch zu setzen. Herzog Max entsandte seine Ligatruppen, nun auch noch verstärkt um kaiserliche Truppen.
Die kaiserlich-ligistischen Truppen rückten aus Niederbayern ab und erreichten die Grenze des niedersächsischen Reichskreises, der sich zwischen Weser und Elbe erstreckte, am 13. Juli 1623. Dort, im niedersächsischen Kreis, befand sich Christian von Braunschweig, der Anspruch auf das Bistum Halberstadt erhob, das Kaiser Ferdinand aber schon für seinen Sohn Leopold verplant hatte. Christian war entschlossen, sich dieses Bistum mit Hilfe des Feldherrn Ernst von Mansfeld und dessen Truppen zu sichern. Doch die erhoffte Hilfe Mansfelds blieb aus, und Christian blieb nichts übrig, als vor Tillys anrückenden Truppen zu fliehen, da die kaiserlich-ligistische Armee der seinen zahlenmäßig deutlich überlegen war. Christian setzte sich in Richtung niederländische Grenze ab, konnte sie aber nicht mehr erreichen, weil die Vorhut von Tillys eilig marschierender Armee ihn am 6. August bei Stadtlohn einholte und zum Kampf stellte.
Der kluge General, von seinem Adjutanten über den beginnenden Kampf unterrichtet, ließ Artillerie und Fußtruppen langsam nach vorn rücken, verstärkte die bereits im Kampf befindliche Vorhut, die die Braunschweiger Truppen derart attackierte, dass die an den Flanken stehende Reiterei Christians schließlich in die Flucht getrieben wurde – und die Flucht sämtlicher Braunschweiger verursachte. Das gesamte Material zurücklassend, konnten sich gerade mal zweitausend Braunschweiger mit ihrem wegen ihres Versagens zornigen Anführer Christian über die holländische Grenze retten. Über viertausend von ihnen gerieten in Gefangenschaft.
Unter den Verwundeten des kaiserlichen Heeres befand sich auch Wolf von Steinburg. Er war bei seinen Bemühungen, Graf Tilly über die Entwicklung auf dem Laufenden zu halten, allzu tollkühn an der vordersten Frontlinie entlang geritten und war von einer Kugel in die rechte Schulter getroffen worden. Noch eine Stunde nach seiner Verwundung hatte er einen Bericht abgegeben, war aber Tillys Ordonnanz in die Arme gefallen. Der eilig herbeigerufene Feldscher hatte Wolfs Bewusstlosigkeit ausgenutzt und die Kugel aus der Schulter operiert. Er erwachte im Zelt seines Dienstherrn, als die Schlacht schon gewonnen war. Tilly war mit einigen Schriftstücken beschäftigt, als er bemerkte, dass sein Adjutant in die Wirklichkeit zurückfand.
„Nun, wie fühlt Ihr Euch?“, fragte er und legte die Papiere beiseite.
„Teufel auch!“, entfuhr es Wolf. „Mir tut die rechte Schulter weh! Sollte ich mir bei der ewigen Feuchtigkeit Rheumatismus oder Gicht geholt haben?“
Johann von Tilly lachte schallend.
„Hier, das ist Euer Rheuma: Blei!“, prustete er und zeigte Wolf die deformierte Kugel, die der Arzt aus der verletzten Schulter geholt hatte. Wolf nahm die Kugel mit der gesunden Linken und betrachtete sie genau.
„Ich erinnere mich an einen Schlag an der rechten Schulter, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, die Lage zu prüfen, als mich um die Schulter zu kümmern. In der Anspannung habe ich es wirklich nicht bemerkt. Ich dachte, mich hätte ein Stein oder ein Holzstück getroffen. Als es passierte, explodierte gerade ein Pulverwagen in der Nähe“, sagte er. „Verfolgen wir die Braunschweiger?“, fragte er dann unternehmungslustig.
„Ihr werdet mir jedenfalls nicht in der Vorhut traben! Bei Euch pickt wohl der Buntspecht!“, bremste Tilly. „Ihr werdet zunächst Eure Wunde auskurieren und dann bleibt Ihr erst einmal in meiner Nähe.“
„Lagerleben ist so schrecklich langweilig! Ich brauche Arbeit!“, maulte Wolf.
„Die habt Ihr hier mehr als genug!“, versetzte der General. „Kommt aus Wolkenkuckucksheim wieder zurück und werdet wieder vernünftig. In erster Linie seid Ihr mein Adjutant und habt mir bei der Führung dieser Armee zu helfen. Ich lasse Euch gern mal am langen Zügel laufen, weil die Jugend nun einmal Bewegung braucht, aber jetzt muss ich Euch wieder an die Kandare nehmen, sonst werdet Ihr übermütig. Vor allem brauche ich Euch gelegentlich einen gesunden Adjutanten. Das ist in letzter Zeit recht selten bei Euch.“
Wolf setzte sich auf.
„Gewiss, Ihr habt Recht. Aber Freiheit ist wie eine Sucht. Einmal davon geschmeckt, möchte man mehr davon.“
„Ihr seid ein guter Kundschafter, das ist nicht zu bestreiten. Es gibt nur wenige, die so kühn kundschaften wie Ihr. Aber Ihr seid manchmal etwas zu risikobereit, Leutnant von Steinburg. Ich muss Euch bremsen, sonst brauche ich bald einen neuen Adjutanten. Und so einen wie Euch finde ich nur schwer wieder.“
„Ich seh ‘s ein“, seufzte Wolf. Er zuckte im Reflex mit den Schultern, was sich sofort rächte, weil ihm die Verwundung starke Schmerzen verursachte.
„Wir werden noch zwei oder drei Tage hier bleiben. Mansfeld sitzt mit seinen Truppen nordwestlich von Münster. Ich möchte ihm nicht zu viel Gelegenheit geben, sich abzusetzen und den Krieg gegen uns wieder aufzunehmen, nachdem er uns Christian von Braunschweig so freundlich überlassen hat. Wir haben für heute Abend eine Einladung zu Adolf von Braunsberg, einem Grafen hier ganz in der Nähe. Fühlt Ihr Euch gut genug, um zum Siegesfest bei Graf Braunsberg mitzukommen?“
„Was soll ich dort?“, fragte Wolf verblüfft. Er war es nicht gewohnt, zu Festen eingeladen zu werden. Und ein Siegesfest zu diesem Zeitpunkt schien ihm etwas übertrieben.
„Oh, Wolf, mein Ahnungsloser: Das gehört mit zu Euren gesellschaftlichen Verpflichtungen“, erinnerte Tilly. „Aber wenn Ihr Euch nicht gut genug fühlt …“
„Ach was! Wenn Ihr noch Berthold mitnehmt, sitze ich allein vorm Schachbrett. Danke, nein. Ich komme mit.“
A A A
Kapitel 4
Die Rose von Stadtlohn
Am Abend trafen Graf Tilly, sein junger Adjutant und Diener Berthold auf dem Gut von Graf Braunsberg wenige Meilen außerhalb von Stadtlohn ein. Diener in kostbaren Livreen nahmen den Soldaten die Mäntel ab und wiesen ihnen den Weg in den Festsaal.
„Guter Himmel!“, entfuhr es Wolf leise. „Johann, das muss ein Stück vom Paradies sein! Wenn wir unsere Truppen hier nicht satt bekommen, weiß ich nicht, wo das möglich sein soll!“
„Braunsberg soll der Geiz in Person sein, habe ich gehört. Der rückt freiwillig nichts ‘raus“, widersprach Tilly ebenso leise.
„Was soll dann dieses Fest?“
„Das weiß ich nicht. Hört Euch um, Wolf.“
Tilly wurde schnell von anderen hohen bayerischen Offizieren in Anspruch genommen, und Wolf sah dem munteren Treiben im Ballsaal zu. Nur wenige Gäste waren Soldaten des Kaisers oder der Liga, die meisten anderen – so vermutete Wolf – waren Bürger von Stadtlohn, die froh waren, dass ihre Stadt verschont geblieben war.
‚Will Braunsberg die katholischen Soldaten mit dem Fest beruhigen, sie davon abhalten, die Stadt zu plündern? Wenn ja, hätte er uns besser nicht hierher eingeladen. Der Luxus hier reizt doch sehr, sich was einzustecken’, dachte Wolf. Er lehnte sich an einen Pfeiler, beobachtete die Leute und korrigierte gelegentlich seine rutschende Armschlinge.
„Ihr seid so allein, mein Herr“, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme neben sich. Wolf kam aus seinen Gedanken zurück und verneigte sich höflich, verzichtete aber auf einen tiefen Kratzfuß.
„Verzeiht, wenn ich mich nicht tiefer verbeuge, aber das fällt mir im Moment schwer“, sagte er und deutete einen höfischen Handkuss mit der linken Hand an. Der Handkuss galt einer jungen Frau, die ungefähr in Wolfs Alter sein mochte. Weiches, dunkles Haar fiel ihr in lockeren Wellen auf die schmalen Schultern, Graugrüne Augen lächelten den jungen Grafen an.
„Erlaubt mir die unverschämte Frage, wer Ihr seid?“, fragte die junge Dame.
„Ich bin Wolf von Steinburg, Adjutant Seiner Exzellenz General Graf Tilly“, antwortete Wolf.
„Seid Ihr dann Offizier?“
„Ja, ich bin Leutnant. Und wer seid Ihr?“
„Ich bin Katharina von Braunsberg, die Tochter des Hausherrn“, antwortete sie. Wolf verneigte sich erneut.
„Euer Vater muss ein glücklicher Mann sein, wenn er eine so schöne Tochter hat“, machte er ihr ein ehrlich gemeintes Kompliment. Er war sicher, noch nie eine so schöne Frau gesehen zu haben. Das weiche Haar umrahmte ein ebenmäßiges Gesicht mit zarter Pfirsichhaut, die zum Streicheln geradezu einlud. Katharina zuckte leicht mit den Schultern.
„Manchmal glaube ich, er hätte lieber einen Jungen gehabt, der die Ware besser schützen kann als ein Mädchen“, seufzte sie.
„Euer Vater ist Adliger – und Kaufmann?“, wunderte sich Wolf. Das passte mit dem Selbstverständnis des europäischen Adels nicht zusammen, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen.
„Seht das nicht so eng, Leutnant. Adel allein macht nicht satt“, erwiderte sie lächelnd.
„Da habt Ihr nur zu Recht!“, seufzte Wolf und dachte an seinen stets dünnen Geldbeutel.
„Euer Glas ist leer“, bemerkte die junge Frau. „Möchtet Ihr noch etwas Wein?“
„Ja, gern, aber ich hätte auch gern etwas Wasser zum Verdünnen“, bat er.
„Holla, ein Soldat, der nicht trinkfest ist?“, lachte sie.
„Ich habe heute Nacht noch viel zu tun. Irgendwer muss General Tilly wieder nach Haus bringen. Dafür muss ich halbwegs nüchtern sein“, erwiderte er ernsthaft.
„Ihr seid so ernst, Leutnant von Steinburg. Alles amüsiert sich und ist fröhlich – nur Ihr nicht. Freut Ihr Euch nicht über den Sieg?“
Er lächelte leicht. Das sanfte Lächeln und die Wärme seiner braunen Augen erzeugten bei ihr einen wohligen Schauer. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ein Mann sie je so angeschaut hatte.
„Euer Vater lässt unseren Sieg in einer Schlacht feiern, als hätten wir den Krieg gewonnen. Ich fürchte, der Krieg ist noch nicht vorbei. Aber davon abgesehen: Vielleicht denke ich zu viel nach, aber ich muss es tun. Tilly braucht einen Adjutanten, auf den er sich verlassen kann“, entgegnete Wolf zurückhaltend.
„Verzeiht, dass ich so aufdringlich bin, aber seit Kriegsbeginn waren hier nur alte Männer oder ausgesprochen raue Soldaten. Ihr seid so anders, Leutnant von Steinburg. Wollt Ihr mir die Ehre des nächsten Tanzes geben?“
„Fern sei es von mir, Euch zu beleidigen, Fräulein von Braunsberg, aber ich fürchte, meine kleine Behinderung wäre einem schönen Kontertanz mit Euch nicht zuträglich“, entschuldigte sich Wolf und wies auf den verwundeten Arm.
„Seid Ihr schwer verwundet?“, fragte Katharina besorgt nach. Er schüttelte lächelnd den Kopf. Es war ein wundervolles Lächeln, das sie schlicht verzauberte.
„Nein, zum Glück nicht; aber es ist schmerzhaft“, sagte er leise.
„Darf ich dem armen, verwundeten Soldaten trotzdem Gesellschaft leisten?“, fragte sie sanft.
„Ich habe nichts einzuwenden. Wollt Ihr mir den Gefallen tun, mich einfach Wolf zu nennen?“
Ihr gefiel der warme Schimmer in den braunen Augen ihres Gegenübers. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber sie hätte nicht sagen können, woher sie glaubte, ihn zu kennen.
„Wenn Ihr mir die Ehre tut, mich Katharina zu nennen, will ich Euch gern beim Vornamen nennen“, erwiderte sie freundlich.
„Haltet mich bitte nicht für einen Gierhals, aber habt Ihr etwas dagegen, einen Happen mit mir zu speisen?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Durchaus nicht“, sagte sie. „Das Büfett ist nicht zum Anschauen da.“
Er bot ihr den gesunden linken Arm, in den die Komtesse sich auch gern einhakte. Er geleitete sie zu dem reichhaltigen Büfett. Die jungen Leute nahmen sich von den appetitlichen Häppchen und speisten gemeinsam im Stehen.
„Erzählt mir ein bisschen von Euch, Wolf“, bat sie.
„Ihr seid neugierig, Komtesschen“, erwiderte er mit herzlichem Lächeln.
„Oh, jemand wie Ihr macht neugierig. Ihr müsstet der jüngste Adjutant sein, den Tilly jemals hatte. Gestattet mir die Frage nach Eurem Alter?“
„Ich bin dreiundzwanzig“, gab er zurück. „Und Ihr?“
„Wolf – so etwas fragt man eine Dame nicht!“, entrüstete sich Katharina. Gleichzeitig war ihr sein Interesse sehr angenehm.
„Wenn sie selbst neugierig ist, schon. Also?“, erwiderte er und neigte sich leicht zu ihr.
„Zwanzig“
„Schön, Ihr habt mir meine Frage beantwortet; also stille ich auch Eure Neugier: Ich bin der letzte noch lebende Nachkomme eines alten Adelsgeschlechtes, der Grafen von Steinburg. Meine Eltern starben früh und ich wusste nichts Besseres, als unbedingt Soldat werden zu wollen. Mit siebzehn Jahren trat ich als Page in Tillys Dienste und war noch ein recht schmächtiges Kerlchen. Als ich volljährig wurde, konnte ich meinen Grafentitel zwar annehmen, aber Ihr habt schon Recht, dass Adel allein nicht satt macht. Die Ländereien meiner Familie wurden eingezogen, nachdem einer meiner Vorfahren im Ritterkrieg 1525 den Fehler gemacht hatte, sich auf die Seite der Aufständischen zu schlagen und auch noch Protestant wurde. Obendrein verlor er auch noch die Reichsunmittelbarkeit. Der Fehler wurde zwar revidiert, und Graf Ralf kehrte reumütig in die Arme der katholischen Kirche zurück, aber es war zu spät. In den fünfzehn Jahren, die Steinburg nicht selbstständig war, haben die Herzöge von Schwarzenstein uns so ausgesogen, dass die Familie verarmte und der Verlust auch nicht aus den zurückgegebenen Ländereien gedeckt werden konnte. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus und besitze kaum mehr als das, was ich auf dem Leibe trage. Mein General bezahlt mich gewiss nicht schlecht, aber davon wird man nicht gerade Fugger persönlich. Ich will mich nicht beklagen, ich hungere nicht, aber ich könnte mir Besseres vorstellen.“
„Man sieht es Euch nicht an, dass Ihr nicht gerade im Geld schwimmt“, entgegnete Katharina, deren Blick über Wolfs Kleidung glitt. Seine Sachen wirkten dezent und sauber, seiner Stellung als Adjutant des Generals und seinem Rang als Graf aber angemessen. Sie sahen keinesfalls billig oder minderwertig aus.
„Ich gebe mir Mühe, Katharina. Außerdem habe ich das Talent eines orientalischen Basarhändlers.“
„Habt Ihr das schon einmal eingesetzt, um etwas zu verkaufen?“
„Nein, nur zum Einkaufen. Ich erstehe Euch die schönsten Stücke zum halben Preis, da habe ich keine Schwierigkeiten. Aber mit Verkaufen verdiente ich nicht das Salz zum Brot, geschweige denn die Butter“, erwiderte er mit warmem Lächeln.
„Mein Vater ist Tuchhändler. Er hat mit der alten Tradition gebrochen, dass Adlige eben Müßiggänger oder Soldaten sind. Er ist recht zufrieden damit.“
„Glaube ich gern, wenn ich mich hier so umsehe. Schützt Euren Reichtum nur gut vor den Horden der Protestanten“, schmunzelte er.
„Nun, Herr Adjutant – wir hoffen, dass Ihr das für uns übernehmt“, lächelte sie süß.
„Daher weht also der Wind für die Einladung, hm?“ forschte er mit schelmischem Lächeln.
„Kann man so sehen“, erwiderte die Komtesse spitzbübisch.
„Erzählt Ihr mir doch ein wenig von Euch und Eurem Handel“, bat er.
„Oh, mein Vater kommt ursprünglich aus dem Herzogtum Preußen, aus Braunsberg eben. Er war früher Protestant, hatte aber in dem polnischen Lehen seine Schwierigkeiten, die auch nicht aufhörten, als er zum Katholizismus konvertierte. Er ist aus Preußen ausgewandert und suchte in der Grafschaft Eichgau eine neue Heimat. Aber er musste von etwas leben und erkannte, dass Adel zwar alle Türen öffnet, aber den Magen nicht füllt. So hat er angefangen, mit Tuchen zu handeln, musste aber feststellen, dass Eichstadt dafür nicht die richtige Gegend war. Er versuchte es in Hamburg, in Bremen, in Amsterdam. Man nahm ihn dort nicht auf, weil er Katholik war. Deshalb versucht er es nun von Stadtlohn aus und es geht einigermaßen. Er sucht nach einem Nachfolger, weil er nicht glaubt, dass ich das Geschäft übernehmen kann.“
„Gibt es erbrechtliche Hindernisse?“
„Den genauen Hintergrund kenne ich nicht. Er hofft jedenfalls, mich reich zu verheiraten.“
„Darunter macht er ’s nicht, hm?“
„Kaum“
„Jetzt werde ich vollends neugierig: Wie sieht Eure Mitgift aus?“
„Wolf, das genügt erst einmal“, bremste Katharina.
Er sah sie eine Weile an.
„Ihr wärt eine Frau, für die ein Mann alles tun würde“, sagte er dann langsam.
„Und Ihr? Würdet Ihr das auch tun?“, hakte sie nach.
„Nun, ich halte mich für ritterlich und behaupte einfach, ich würde mein Leben für Euch wagen.“
Sie winkte belustigt ab.
„Oh, Herr Leutnant, Soldaten sagen so viel daher“, lachte sie.
„Ich verlange nicht, dass Ihr mir jedes Wort glaubt, liebe Katharina, aber vielleicht habe ich irgendwann Gelegenheit, Euch die Aufrichtigkeit meiner Worte zu beweisen“, erwiderte er leise.
„Lieber Wolf“, entgegnete Katharina sanft und legte ihm vertraulich eine Hand auf den gesunden Arm, „Soldaten stehen in dem Ruf, erstens bei jeder Gelegenheit aufzuschneiden und zweitens nicht treu zu sein.“
Er zuckte mit der gesunden Schulter.
„Was immer ich jetzt sage, um Euch klar zu machen, dass ich zu der Sorte Mann gehöre, die meint, was sie sagt – Ihr würdet mir doch nicht glauben. Also warte ich auf eine bessere Gelegenheit“, sagte er leise. Er war nahe daran, sie einfach zu küssen.
„Hoffentlich nicht auf die Gelegenheit, meine Tochter zu entführen, Herr!“, polterte eine dunkle, scharfe Stimme neben den jungen Leuten. Die vertrauliche, schon fast romantische Stimmung war schlagartig fort.
„Kathrin, wir haben noch andere Gäste. Kümmere dich um sie!“, befahl Graf Braunsberg.
„Ja, Vater“, erwiderte Katharina mit gesenktem Kopf. „Ihr wollt mich bitte entschuldigen, Graf Steinburg?“
„Gewiss, Komtesse.“
Wolf verneigte sich höflich, als sie ging. Dann wandte er sich an Graf Braunsberg.
„Ihr habt eine wunderbare Tochter. Ich beglückwünsche Euch zu diesem Juwel.“
„Ihr seid der Graf Steinburg?“
„So ist es“, bestätigte Wolf.
„Man sagt, Ihr wärt nicht eben reich“, stellte Braunsberg fest.
„Stimmt. Ich verdiene mir mein Brot als Adjutant von General Tilly.“
„Sieh an: Landsknecht!“, erwiderte Braunsberg. Die Berufsbezeichnung spie er aus wie Gift und Galle.
„Soldat, verehrter Graf Braunsberg“, korrigierte Wolf den Hausherrn ungerührt. „Jeder muss leben. Ihr habt Euch aufs Handeln verlegt, ich überlebe immer noch mit der Waffe in der Hand.“
„Manchmal nur knapp, was?“ spöttelte der Tuchhändler mit deutlichem Hinweis auf Wolfs Verwundung.
„Berufsrisiko“, entgegnete Wolf kühl. „So, wie Euch eine Ladung Tuch gestohlen werden kann, kann mich eine Kugel treffen.“
Einen Moment war Schweigen, in dem die Männer sich eher lauernd beobachteten.
„Sagt, Graf Braunsberg, was würdet Ihr davon halten, wenn ich um die Hand Eurer Tochter anhalten würde?“, fragte Wolf schließlich.
„Nichts!“, entgegnete Braunsberg kalt. „Ihr seid nichts und Ihr habt nichts, Graf Steinburg.“
„Dass ich nichts habe, ist zunächst einsichtig, aber dass ich nichts bin, trifft nicht zu. Ich bin von altem Adel“, versetzte Wolf.
„Die Grafen von Steinburg, werter Herr, sind seit Jahrhunderten bedeutungslos. Der Königsschatz scheint nur Legende zu sein. Solange Ihr den nicht ans Tageslicht gebracht habt, gebe ich Katharina lieber einem bürgerlichen Kaufmann zur Frau, der ihr einen angemessenen Rahmen bieten kann, als einem adligen Schwiegersohn, der nicht weiß, wie er die Mäuler seiner Familie am nächsten Tag stopfen soll. Im Übrigen bin ich allergisch gegen Erbschleicher!“
„Herr von Braunsberg, Ihr mögt reicher sein als ich, aber das gibt Euch nicht das Recht, mich einen Erbschleicher zu nennen!“, knurrte Wolf gallig.
„Oh, habt Ihr mich so missverstanden? Das tut mir Leid. Das war nicht auf Euch gemünzt – im Moment jedenfalls nicht. Nehmt aber bitte zur Kenntnis, dass ich Euch die Hand meine Tochter nicht überließe. Entschuldigt mich bitte, Graf Steinburg.“
Der adlige Tuchhändler verschwand im Gedränge seiner Gäste, ohne dem Adjutanten Tillys Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben.
Wolf war es gewöhnt, nicht gerade mit stiefelleckendem Buckeln behandelt zu werden, aber diese Arroganz schlug seiner Ansicht nach dem Fass den Boden aus. Er brauchte alle Beherrschung, um nicht vor Wut den Büfetttisch zu zerkleinern. Die gute Laune, die sich beim Gespräch mit Katharina eingestellt hatte, war dahin. Ein leises Seufzen der Resignation entrang sich dem jungen Mann. Wenn Katharina eine Rose war – und daran gab es für Wolf keinerlei Zweifel – dann war ihr Vater der dazugehörige Dornenstiel …
A A A
Kapitel 5
Eine Frage der Ehre
A„Wolf, was ist mit Euch? Seit wir bei Braunsberg waren, seid Ihr nicht mit Mostrich zu genießen!“
Tillys recht knurrige Feststellung riss Wolf aus seinen immer noch zornigen Gedanken. Entgegen Tillys ursprünglicher Absicht war die Armee noch nicht nach Norden weitergezogen. Der General erwartete noch Kundschaftermeldungen, bevor er Ernst von Mansfelds derzeit herrenlose und damit umso gefährlichere Armee aufstöbern konnte.
„Es ist nichts“, knurrte Wolf zurück.
„Wolf, jetzt seid ehrlich zu Euch selbst, mein Junge: Ihr habt Euch in das Mädchen verliebt“, mutmaßte Tilly. Wolf fiel vor Schreck die Feder aus der Hand, dass sein Dienstherr den Grund seines Zornes kannte. Der alte General deutete Wolfs jetzige Reaktion allerdings falsch.
„Noch gar nicht gemerkt, wie?“, schmunzelte er. „Wolf, ich war doch auch mal jung wie Ihr. Ihr habt diesen verliebte-Kater-Blick. Seit wir bei dem Fest waren, seid Ihr kaum ansprechbar. Ihr reagiert nur noch, wenn ich Euch wirklich anstoße. Ich kenne das – so war ich als junger Spund auch. Da hilft nur die schnelle Entscheidung“, empfahl Johann von Tilly.
Wolf rieb sich müde die Augen. Er hatte seit dem Fest drei Tage zuvor nicht besonders gut geschlafen.
„An mir liegt es nicht, Johann. Graf Braunsberg hat eine vorsichtige Erkundung meinerseits mit der Gewalt von zehn Batterien Artillerie zurückgeworfen“, sagte der junge Mann. Tilly strich sich durch den weißen Kinnbart.
„Ihr seid nicht vermögend, mein Junge“, sagte er dann langsam.
„Stimmt“
„Ihr schämt Euch dessen nicht, das ehrt Euch. Aber Graf Braunsberg hält Euch deshalb für jemanden, der nur auf die Mitgift scharf ist, der seinen Reichtum abstauben will.“
Wolf wollte etwas einwenden, aber Tilly winkte ab.
„Ich weiß, dass Ihr das nicht seid, Wolf. Ich bin sogar davon überzeugt, dass Ihr Katharina ein Leben ermöglichen würdet, das sie nicht spüren ließe, wie wenig Geld Ihr habt. Aber was nützt es, wenn Adolf von Braunsberg sich in den Kopf gesetzt hat, seine Kathi nur einem vermögenden Mann zur Frau zu geben? Ehrlich, gebt es auf“, empfahl Johann.
„Johann, es wird mir furchtbar schwer fallen, die Maid zu vergessen. Sie ist nicht wie die anderen Frauen, die mir begegnet sind, nicht wie die, die hier im Lager herumschleichen und sich den Männern für Geld anbieten. Sie ist klug und redegewandt, eine Frau, mit der man stundenlang reden kann. Hätte ihr Vater uns nicht so grob getrennt, hätten wir diesen Abend in netter Plauderei verbracht.“
„Ihr wärt tatsächlich nicht weitergegangen, Wolf?“, fragte Tilly schmunzelnd. Wolf sah seinen Dienstherrn offen und gerade an.
„Ich gebe mir Mühe, trotz meines Berufes ein vornehmer Mensch zu sein. Das schließt Ritterlichkeit gegenüber Damen ein. Es käme mir nicht in den Sinn, eine Dame um einer Nacht willen zu verführen“, versetzte er.
Tilly sah den jungen Mann nachdenklich an.
„Es gibt Gerede über Euch, Wolf, ich will Euch das nicht verheimlichen. Ihr seid kein Schluckspecht – was ich im Übrigen sehr begrüße, denn mir ist ein nüchterner Adjutant lieber, als einer, der ständig volltrunken unter dem Tisch liegt. Ihr hurt nicht wie jeder andere Soldat. Ich kenne Euch, und weiß, dass Ihr es nicht macht, weil Ihr ein Ehrenmann seid. Aber es gibt Leute, die daraus falsche Schlüsse ziehen.“
Wolf sprang auf.
„General, nennt mir die Namen dieser Verleumder, damit ich sie am Tratschen hindere!“
„Wenn Ihr es mit Heinrich von Grünenfels aufnehmen wollt …?“, sagte Tilly achselzuckend. Von Grünenfels war ein wahrhaft vierschrötiger Kerl, der mit seinem Bidenhander* stets in vorderster Reihe stand. Und wo Heinrich stand, gab es Tote – allerdings in den seltensten Fällen in den eigenen Reihen. Wolf war sich im Klaren darüber, dass seine noch nicht ganz gefestigte Autorität als Offizier durch Verleumdungen böse ins Wanken geraten konnte. Schon deshalb musste er Grünenfels einen Denkzettel verpassen. Es half nichts, wenn Tilly die böswilligen Äußerungen untersagte; das hätte Wolf zusätzlich zu den schlimmen Behauptungen noch den Ruf eines Muttersöhnchens eingetragen.
„Wollt Ihr so gut sein und Herrn von Grünenfels meine Duellforderung überbringen?“, bat er den General.
„Gern, aber ich würde empfehlen, dass Ihr Eure Schulter erst richtig auskuriert, bevor Ihr Euch mit Heinrich schlagt. Es könnte ganz böse enden, wenn Ihr wegen einer nicht ausgeheilten Verletzung unterliegt.“
Der Abzug der Armee verzögerte sich weiter und drei Wochen später war die Schussverletzung völlig ausgeheilt. General Tilly befahl Heinrich von Grünenfels zu sich. Wenig später stand Grünenfels, ein Mann wie ein Bär, in Tillys Zelt.
„Es sind schlimme Gerüchte im Umlauf, die Graf Steinburg betreffen“, eröffnete Tilly.
„Ihr sprecht von unserem warmen Muttersöhnchen, Euer Liebden?“
„Eben deshalb habe ich Euch kommen lassen. Ich bin der Sache nachgegangen und musste feststellen, dass sämtliche Gerüchte, die über Herrn von Steinburg kreisen, auf Euer Ausstreuen zurückgehen. Ich werde Euch nicht einfach verbieten, so niederträchtig zu reden …“
„Das ist gut, Euer Liebden. Ich würde nämlich weitermachen!“, lachte Grünenfels schallend.
„Schweigt, Ihr dummer Tropf!“, schalt Tilly zornig. Grünenfels schwieg erschrocken.
„Graf Steinburg fordert Genugtuung, aber er gibt Euch Gelegenheit, ihn um Entschuldigung zu bitten und öffentlich zu erklären, dass Ihr Eure Gerüchte frei erfunden habt“, erklärte Tilly. Grünenfels lachte wieder dröhnend.
„Da fällt die Wahl nicht schwer. Duell mit dem Bürschchen! Ich serviere ihn Euch in vier Teilen, Euer Liebden. Wollt Ihr Ihn schräg oder gerade geteilt?“, dröhnte Grünenfels.
„Ich würde es vorziehen, wenn er Euch Euer loses Schandmaul stopft!“, versetzte Tilly eisig. „Morgen Mittag auf dem Lagermarkt könnt Ihr zeigen, ob Ihr wie ein Ehrenmann zu fechten versteht oder ob Ihr nur den Holzfäller spielen könnt. Eure Saufkumpane werden weit genug weg sein, um Euch beide nicht zu behindern.“
„Dank Euch, Euer Liebden. Da ich der Geforderte bin, darf ich die Waffe wäh…“
„Nein, dürft Ihr nicht!“, unterbrach der General kalt. „Die Waffe bestimme ich! Rapiere und Dolche!“, entschied er dann.
„Aber ich kämpfe sonst mit dem Bidenhander“, wandte Heinrich ein.
„Das weiß ich wohl, Ihr ungeschlachter Bär!“, donnerte Tilly. „Hier geht es um ein Duell unter Ehrenmännern, falls Ihr wisst, was das ist! Rapiere und Dolche und sonst nichts, verstanden?“
„Ja, Euer Liebden!“
„Raus!“, befahl der General barsch.
Am folgenden Mittag hatte der Profos den Lagermarkt räumen lassen. Die Profoswache sperrte den Platz soweit ab, dass die Duellanten auch sicher auf sich allein gestellt waren. Der Profos prüfte die Duellwaffen und befand sie für ordnungsgemäß. Die Gegner erschienen ohne Lederkoller, nur mit Hemd, Hose und Stiefeln bekleidet. Wolf hatte die Ärmel halb aufgekrempelt. Dabei wurde an den kräftigen Unterarmen sichtbar, dass unter dem Hemd keineswegs mehr der Schwächling steckte, als der er bei Tilly einmal angefangen hatte. Auf das Zeichen des Profos nahmen die Fechter ihre Waffen und begaben sich auf den Duellplatz. Wolf wirkte ernst wie immer. Heinrich verteilte grobe Scherze über das, was er mit seinem Gegner machen wollte. Wolf schien es nicht zu hören. Heinrich tönte, den Hänfling von Gegner in spätestens drei Minuten entwaffnet und wie eine Laus zerquetscht zu haben.
„En garde!“, kommandierte der Profos. Die Duellanten kreuzten die Klingen. Mit einem zweiten Kommando gab der Profos das Gefecht frei. Schon nach dem ersten Vorgeplänkel bemerkte Grünenfels, dass der von ihm so geschmähte junge Graf ein ernstzunehmender Gegner war und nicht nur wegen seiner schönen Handschrift oder seines guten Aussehens der Adjutant des Generals war. Der junge Mann war zäh und ausdauernd. Was der vierschrötige Riese mit Kraft bewirken wollte, neutralisierte Wolf mit Beweglichkeit. Die Klingen schwirrten sirrend durch die Luft, ab und zu versuchte einer der Fechter, einen Dolchhieb mit der linken Hand anzubringen. Dieser Linke-Hand-Dolch hatte den Schild aus der Ritterzeit ersetzt, der eine reine Defensivwaffe gewesen war. Jetzt war es möglich, auch mit der verteidigenden Hand anzugreifen. Der Linke-Hand-Dolch erforderte aber viel Beweglichkeit des Fechters – und Heinrich tapste wie ein Tanzbär durch den Ring. Wolf wich seinen wuchtig geführten Hieben geschickt aus. Plötzlich flog Heinrichs Dolch nach einem schraubenartigen Hieb seines Kontrahenten im hohen Bogen davon. Ein Profosgardist konnte gerade noch ausweichen, sonst wäre er getroffen worden. Ein anderer Profoswächter sicherte die Waffe. Wolf sprang an die Seite und drückte seinen Dolch einem Wächter mit einem:
„Haltet bitte mal!“,
in die Hand und eilte in die Mitte des Rings zurück.
Heinrich versuchte, den Degen mit beiden Händen zu führen, wie er es von seinem Bidenhander gewohnt war. Bei einer Waffe mit Griffkorb war das aber schwierig, vor allem weil Heinrich wahre Bärenpranken als Hände hatte. Die beidhändig gehaltene Waffe war zu starr, um die Klingenelastizität auszunutzen. Nach wenigen Hieben brach Heinrichs Rapier mit scharfem Misston in der Mitte durch. Wolf sah das Duell damit als beendet an. Ein Duell führte er nicht bis zum Tod, wenn es nicht sein musste.
Er grüßte den Schiedsrichter, als Heinrich ihn wie ein Panther von hinten ansprang und zu Boden riss. Wolf verlor den Degen, nach dem Heinrich sofort angelte, um dem eingeklemmten Wolf die Kehle durchzuschneiden. Doch während Heinrich noch an das Rapier zu kommen versuchte, rammte Wolf ihm beide Knie in empfindsame Teile, was auch für einen Elefanten wie Heinrich von Grünenfels zu viel war. Aufjaulend rollte er von Wolf herunter, der sein Rapier dem Profos zuschob und den überraschten Heinrich im Nahkampf anging. Grünenfels bekam eine solche Serie von Ohrfeigen, dass ihm Hören und Sehen verging. Ein wuchtiger Kinnhaken ließ Von Grünenfels zu Boden gehen, Wolf setzte hinterher. Schließlich hatte Wolf ihn an der Gurgel zu fassen und drückte zu. Schon ganz blau im Gesicht wedelte Heinrich hilflos mit den Unterarmen, denn auf den Oberarmen kniete Wolf. Die Beine bekam er trotz angestrengter Versuche nicht hoch, weil sein gut mit Bier gefütterter Bauch dies verhinderte.
„Gut“, sagte Wolf keuchend. „Heinrich, ich möchte von dir hören, dass du zurücknimmst, was du Beleidigendes gesagt hast“, forderte er. Grünenfels gurgelte etwas.
„Lauter!“, befahl Wolf und lockerte den Würgegriff etwas.
„Ich nehme es zurück!“ hustete Heinrich.
„Was im Einzelnen? „
„Dass Ihr Sodomit* seid.“
„Was noch?“
„Dass Ihr ein Muttersöhnchen seid.“
„Was noch?“
„Dass Ihr gar nicht von Adel seid.“
„Hast du noch etwas in Umlauf gesetzt?“
„Ich weiß es nicht mehr genau. Aber sollte ich noch etwas Beleidigendes gesagt haben, nehme ich es hiermit zurück.“
„Du gibst dich geschlagen?“
„Ja“
„Und du wirst mich nicht mehr angreifen?“
„Nein“
„Gut“
Wolf stand auf und gab Von Grünenfels frei, der noch immer ganz blau nach Atem rang. Nach Grünenfels’ Zusage, er werde ihn nicht mehr angreifen, wagte Wolf es, ihm den Rücken zuzukehren und zum Richterpult zu gehen. Als er die dort abgegebenen Waffen entgegennahm, hörte er einen Warnruf:
„Achtung, Graf: Grünenfels!“
Wolf drehte sich um und sah Grünenfels mit erhobenem Bidenhander auf sich zu stürmen. Vor Verblüffung fast starr, hob Wolf mehr im Reflex das Rapier, dem Heinrich nicht mehr ausweichen konnte; dazu war er zu nahe heran und hatte ob seines Körpergewichtes einen zu langen Bremsweg. Das Rapier durchbohrte ihn fast bis zum Heft. Mit erstauntem Blick sah Heinrich auf Wolf und die Waffe in dessen Hand und seiner Brust. Dann brach sein Blick und er stürzte tot zu Boden, das Rapier noch immer in der Brust. Alles stand wie gelähmt. Jeder, der das Duell beobachtet hatte, war Zeuge gewesen, dass Wolf das Duell bereits lange für beendet angesehen hatte und dass Grünenfels es gewesen war, der seine Niederlage nicht hatte hinnehmen wollen. Der Profos winkte auf Wolfs fragenden Blick ab.
„Es ist nicht Eure Schuld, Leutnant von Steinburg. Grünenfels hat Euch nach Beendigung des Duells angegriffen. Ihr habt Euch gewehrt, und Ihr hattet das Recht, ihn zu töten.“
Wolf nickte wortlos, zog sein Rapier aus Heinrichs Brust und ging fort. Wenn es noch jemanden gab, der an Wolf von Steinburg in irgendeiner Form gezweifelt hatte, sah er spätestens jetzt ein, dass Tilly einen besseren Adjutanten nicht haben konnte. Dennoch wollte bei Wolf keine rechte Freude über das gewonnene Duell aufkommen. Er hatte – wenn auch in Notwehr – einen guten Soldaten getötet. Heinrich von Grünenfels’ Tod würde eine große Lücke in die Vorhut reißen.
A A A
Kapitel 6
Hochzeit
Wenige Tage darauf hielten einige Männer aus Tillys Heer einen vornehmen Reisewagen an. Trotz zeternden Protestes des Passagiers wurde der Wagen samt seinem Reisenden ins Lager der Liga gebracht. Wutschnaubend entstieg dort ein alter Mann in vornehmer Kleidung dem Gefährt.
„Was hat das zu bedeuten?“, fauchte er. „Ich habe einen Reisebrief des Kaisers!“
„Beruhigt Euch; ich möchte Euch nur ein paar Fragen stellen. Kommt bitte mit ins Zelt“, forderte Wolf ihn auf. Der alte Mann baute sich mit krummem Rücken vor dem jungen Grafen auf.
„Ich habe doch nicht mein Leben lang hart gearbeitet, um dann Eurer Soldateska in die Hände zu fallen!“, schrie er. Wolf lächelte nachsichtig.
„Ich habe nicht vor, Euch foltern zu lassen, bester Herr. Aber ich habe ein paar Fragen an Euch. Also?“
Als der Greis weiterzeterte, wurde Wolf laut:
„Jetzt hört endlich auf zu meckern, sonst ziehe ich andere Saiten auf!“, fuhr er ihn an. Das wirkte. Der Alte verstummte erschrocken.
„Also: Wer seid Ihr?“
„Friedrich Seppensen“, knurrte der Reisende.
„Woher kommt Ihr?“
„Aus Dreibeck im Lüneburgischen.“
„Wohin wollt Ihr?“
„Zum Gut Braunsberg bei Stadtlohn.“
„Womit handelt Ihr?“
„Das kann auch nur jemand fragen, der das Lüneburgische nicht kennt! Mit Salz natürlich!“, grunzte Seppensen.
„Wollt Ihr hier Ware erwerben? Ihr habt kein Salz dabei.“
„Ich bin auf Brautschau.“
„Auf Brautschau!?“, entfuhr es Wolf erstaunt. Sein Ton und sein Gesichtsausdruck verrieten grenzenloses Erstaunen.
„Erlaubt mir die Frage nach Eurem Alter, Herr Seppensen“, hakte er nach.
„Achtundsiebzig; im besten Alter, um sich eine hübsche junge Frau zu suchen. Und Kaufmann Braunsberg hat so ein niedliches kleines Mäuschen.“
Seppensen lachte meckernd.
‚Arme Kathi!’, durchzuckte es Wolf. Im ersten Impuls wollte er den Alten nicht nach Gut Braunsberg lassen. Doch eine innere Stimme wies ihn zurecht und gemahnte ihn an seine Pflichten als Ritter. Er hatte keinen greifbaren Grund, den Mann nicht weiterziehen zu lassen …
„Habt Ihr unterwegs Truppen der Protestanten gesehen?“, fragte er nach einer längeren Pause.
„In der Nähe von Münster bin ich schon von Mansfelds Leuten mit ähnlich dummen Fragen belästigt worden. Kann ich jetzt endlich weiterfahren? Zeit ist Geld!“
„Sind Euch danach noch Soldaten begegnet?“, fragte Wolf unbeeindruckt.
„Nur Eure Horden, die mich ohne viel Federlesens aus dem Wagen geholt haben. Ich hatte nicht mal die Zeit, sie mit dem Stock zu züchtigen!“
Wolf seufzte. Ihm wollte nichts mehr einfallen, womit er Seppensen noch länger hätte festhalten können.
„Danke, das ist alles. Ihr könnt weiterfahren. Gute Reise, Herr Seppensen“, entließ Wolf ihn schweren Herzens. Brummelnd und knurrend stieg der Kaufmann wieder in seine Kutsche und ließ weiterfahren. Wolf sah ihm unschlüssig nach und fragte sich ernsthaft, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte.
Vier Tage darauf bekam Tilly eine Einladung Graf Braunsbergs zur Hochzeit seiner Tochter mit dem Kaufmann Seppensen.
„Ich hab’s Euch ja gesagt: Er sucht einen vermögenden Mann“, sagte Tilly, als er die Einladung in der Hand hielt.
„Katharina tut mir Leid. Ihr hättet dies Greislein sehen sollen: Fast achtzig, klein und verhutzelt! Mit so was verkuppelt man nicht ein Juwel wie Kathi“, sagte Wolf.
„Ho, mein Freund, ich bin auch nicht mehr der Jüngste!“, lachte Tilly auf.
„Ihr seid kaum fünfundsechzig und seid ein drahtiger Soldat. Das ist was anderes!“, versetzte Wolf.
„Und Ihr seid noch nicht ganz vierundzwanzig und würdet eigentlich viel besser zu der jungen Maid passen, wie?“, fragte Tilly schmunzelnd. Wolf nickte.
„Ach, Wolf, mein Ahnungsloser! Geld, mein Junge, Geld lässt den ältesten Greis zum wohlgestalten Jüngling werden – jedenfalls in den Augen des Brautvaters!“, erklärte der Brabanter Graf mit der Weisheit seines Alters.
„Das lasse ich nicht zu!“, drohte Wolf finster. Tilly legte seinem Adjutanten beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Was könnt Ihr gegen die Heirat vorbringen, Wolf?“, fragte er. „Katharina ist Euch nicht versprochen. Sie hat Euch bisher nicht gesagt, dass sie Euch liebt oder wenigstens zugetan ist. Ihr habt keinen Grund, die Heirat zu verhindern.“
Ein tiefes Seufzen begleitete Wolfs Kopfschütteln.
„Es ist schwer für Euch, das glaube ich Euch. Aber Braunsberg scheint das noch nicht zu reichen. Er will es noch härter für Euch machen. Ihr seid ausdrücklich mit eingeladen.“
„Nein, verlangt das nicht von mir!“, protestierte Wolf.
„Leutnant von Steinburg, nehmt Euch zusammen!“, befahl Tilly scharf.
„Jawohl, Euer Liebden!“, entgegnete Wolf ebenso scharf.
Johann von Tilly wusste nur zu gut um die Qual seines Adjutanten, aber Wolf musste sich der Einladung fügen oder es gab einen Skandal. Graf Braunsberg war einflussreich und unterstützte die Liga mit erheblichen Geldern. Zu groß war die Gefahr für den jungen Grafen von Steinburg, wenn er sich weigerte, mitzukommen.
Die Brautmesse war für Wolf schlimmer als eine Auspeitschung. Doch bei der Trauung selbst sah er eine winzige Chance, aufzumucken. Der Pfarrer stellte die übliche, eigentlich mehr rhetorische Frage:
„Wenn jemand etwas gegen diese Verbindung vorzubringen hat, dann rede er jetzt oder schweige für immer!“
Tilly reagierte zu spät, um seinen Adjutanten zu hindern.
„Ich!“, rief Wolf laut. Augenblicklich war es in der Kirche so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
„Hochwürden, es ist ein Verbrechen, eine junge Frau von zwanzig Jahren mit einem Greis zu verheiraten, der keine Voraussetzung für die Ehe erfüllt! Ihr dürft diese Ehe nicht schließen!“
Der Moment des ersten Schrecks war vorüber, und Tillys Leibwächter reagierten auf das Nicken ihres Herrn, überwältigten Wolf mit einiger Mühe und brachten ihn gewaltsam zum Schweigen.
„Los, schafft ihn hier ‚raus!“, befahl Tilly leise, aber mit zornigem Blick auf Wolf. Er hatte einen Eklat verursacht. Vier Wächter hatten erhebliche Schwierigkeiten, den Grafen aus der Kirche zu bringen, weil er sich heftig wehrte.
Katharina drehte sich nach ihm um, aber ihr Vater hielt sie am Altar fest.
„Du bleibst hier!“, zischte er. „Und wage nicht, auf irgendeine der Fragen des Priesters mit nein zu antworten!“
Es dauerte einen Moment, bis sich das empörte Volksgemurmel in der Kirche wieder gelegt hatte. Der Priester setzte die Trauungszeremonie fort. Auf seine Frage, ob sie frei und ungezwungen gekommen sei, antwortete Katharina zwar mit ja, aber es war eine glatte Lüge, die sie nur Augenblicke später heftig bereute. Die Nähe ihres Vaters hinderte sie, zu sagen, was sie wirklich empfand. Als der Priester die Ehe für geschlossen erklärte und Seppensen die Erlaubnis gab, die Braut zu küssen, brach Katharina ohnmächtig zusammen.
Tilly war den Leibwächtern sofort gefolgt, die Wolf in die hinterste Ecke des Friedhofs schleppten. Noch immer wehrte er sich, aber schließlich hatten ihn die vier Männer so im Griff, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Vor Verzweiflung brach er in Tränen aus.
„Verdammt, lasst mich da ’rein!“, rief er.
„Euer Gnaden! Ihr beschwört Unglück herauf!“, warnte einer der Leibwächter, denen Wolf richtig Leid tat. Er sank in sich zusammen und weinte nur noch. Tilly, der dazukam, wollte zu einer Schimpfkanonade ansetzen, aber er unterließ es, als er bemerkte, dass sein Adjutant einen Nervenzusammenbruch hatte.
„Bringt ihn ins Lager und betet, dass Braunsberg uns keinen Ärger macht“, sagte der General leise. Er machte sich selbst Vorwürfe, dass er Wolf praktisch gezwungen hatte, die Hochzeit mit ansehen zu müssen. Er hätte Braunsberg nur bestellen brauchen, Wolf sei aus immer welchen Gründen unterwegs und leider nicht rechtzeitig zum Hochzeitstermin zurück, dachte der alte Brabanter Graf bitter. Damit, dass er Wolf zu der Feier getrieben hatte, hatte er selbst gewisse Mitschuld an dem Skandal.
Wolf fand in die Wirklichkeit zurück, als es bereits dunkel war. Er hatte sich die Augen leergeheult, hatte keine Tränen mehr. Er fühlte sich erschöpft, wie seit langem nicht mehr. Dennoch ging er im Zelt auf und ab wie ein Löwe im Käfig. Dann wurde ihm klar, dass er sich den gesamten Kummer, der sich seit dem gewaltsamen Tod seiner Eltern aufgestaut hatte, auf einmal abgeweint hatte. Damals, vor acht Jahren, hatte er nicht weinen können. Er merkte nicht, dass Tilly ins Zelt kam.
„Mit Herumtigern wird die Angelegenheit nicht leichter, Wolf“, sagte der alte General. „Setzt Euch, Ihr macht mich ganz nervös.“
Wolf setzte sich und sah seinen Dienstherrn fragend an.
„Ich weiß, es war grausam, Euch zur Hochzeit einzuladen und es war noch grausamer von mir, Euch zur Annahme der Einladung zu zwingen. Ich kann mir vorstellen, wie Ihr leidet.“
„Danke für Euer Verständnis, aber ein zerfetztes Herz heilt’s nicht.“
„Weiß ich“, gab Tilly zurück. „Ich glaube, Ihr braucht Luftveränderung, mein Junge. Was würdet Ihr davon halten, wenn ich Euch eine Weile an Wallenstein ausleihe?“
„Weshalb? Ich bin Euer Adjutant“, widersprach Wolf.
„Wolf, ich habe schlechte Nachrichten für Euch“, sagte er langsam.
„Sprecht es nur aus, Johann. Noch schlimmere Nachrichten als Katharinas Heirat mit diesem Greis kann es nicht geben“, erwiderte Wolf müde.
„Braunsberg will sich beim Herzog beschweren wegen des Skandals, den Ihr ausgelöst habt. Ich weiß nicht, wie nahe er daran ist, Euren Kopf zu fordern.“
„Das heißt?“
„Das heißt, Ihr wärt besser weit, weit weg“, erklärte Tilly seufzend. „Ich gebe Euch nicht gern her, Wolf. Nie wieder finde ich einen Adjutanten wie Euch. Aber Ihr müsst weg! Wenigstens für eine Weile. Maximilian ist, was Verfehlungen seiner Leute anbetrifft, von recht kurzem Gedächtnis. Wenn Gras über die Angelegenheit gewachsen ist, kehrt Ihr zurück.“
„Johann, wenn dieser aufgeblasene Tuchhändler Einfluss hat, bringt er unseren allergnädigsten Herrn schnell dazu, mich von der Last meines Kopfes zu befreien. Und wenn Ihr mich fortschickt, wohin immer auch, habe ich noch den Vorzug, mit der Acht gesegnet zu sein – oder ähnliches. Vor allem könnte es Euren Kopf kosten, wenn ich nicht mehr da bin“, warnte Wolf.
„Ich denke, das würde sich der Herzog wohl doch zweimal überlegen, ob er lieber den Krieg gewinnen will oder das Risiko eingeht, ihn zu verlieren, wenn er mich hinrichten lässt. Ich dachte mir, ich würde Euch für eine Weile an Wallenstein ausleihen. Ihr könntet mir als Verbindungsmann dienen.“
„Wie schnell müsst Ihr das entscheiden?“
„Wolf, die Truppen sind auf die Unterstützung durch Braunsberg angewiesen. Er hat mich gleich nach der Trauung angesprochen und mir mitgeteilt, dass er Unterkunft und Verpflegung verweigern wird, wenn ich Euch nicht entlasse“, erwiderte Tilly. Wolf nickte müde.
„Ich hab’ verstanden. An mir soll kein Soldat verhungern“, sagte er leise.
„Ihr ruht Euch noch zwei Tage aus, dann habt ihr Euch hoffentlich soweit beruhigt, dass Ihr wieder klar denken könnt. Die Luftveränderung bekommt Euch bestimmt ganz gut Dann versteht Ihr diese Weisung hier auch besser.“
Tilly gab Wolf ein Pergament. Darin empfahl er Wolf als Kundschafter an Wallenstein. Wolf las die Empfehlung mehrmals, konnte aber keine Geheimnisse darin entdecken.
„Ich verstehe wirklich nicht.“
„Wolf, Wallenstein steht mit seinem Heer in der Nähe von Lüneburg. Erinnert Ihr Euch dunkel, woher Seppensen war?“
„Aus Dreibeck, wieso?“
„Liebeskummer lässt den schärfsten Verstand stumpf werden, ist klar“, grinste Tilly. „Also – Wallensteins Heer liegt vor Amelinghausen. Das ist nur wenige Meilen von Dreibeck entfernt. Könnt Ihr folgen?“
Wolf begriff noch nicht recht. Er schüttelte den Kopf.
„Kaufmann Seppensen hat sein Haus in Dreibeck. Das ist eine strategisch wichtige Stadt. Wallenstein wird sie also besetzen wollen. Wenn er Dreibeck nimmt, gehört Kathi Euch“, erklärte Tilly. Wolf seufzte tief.
„Wenn’s das alleine wäre, würde ich den Reisewagen überfallen und mir Kathi holen. Aber Ihr wisst, dass ich so etwas nicht tue.“
„Meine Güte, seid Ihr heute vernagelt!“, knurrte Tilly. „Nein, das meine ich nicht!“, setzte er unwillig hinzu. „Ihr kennt Wallensteins rauen Haufen nicht. Wenn sie eine Stadt einnehmen, beanspruchen sie die Frauen für sich. Wenn Ihr dort wärt, könntet Ihr Katharina schützen. Den richtigen Beschützerinstinkt habt Ihr und mit dem Rapier könnt Ihr umgehen.“
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Kapitel 7
Wallenstein
Bei Tagesanbruch des folgenden Tages ritt Wolf von Steinburg mit einem Schreiben von General Tilly in Richtung Nordosten. Während Wolf nach Amelinghausen eilte, rollte der Reisewagen des frischgebackenen Ehepaars Seppensen in Richtung Dreibeck, das von Wolfs Reiseziel nicht allzu weit entfernt war. Friedrich Seppensen tätschelte die Hand seiner Frau.
„Ei, das war eine feine Hochzeitsnacht“, säuselte der alte Mann. „Ich habe zu meiner Freude festgestellt, dass du nicht mit viel Spaß bei der Sache warst. Das ist gut so, denn die Fortpflanzung darf in einem guten lutherischen Hause nicht Vergnügen sein, sondern ist ernste Pflicht“, setzte er hinzu. Katharina sah ihren Mann völlig verblüfft an.
„Wollt Ihr mir das näher erklären, mein Gemahl?“
„In einem guten lutherischen Haus geschieht so etwas nach der Notwendigkeit und Möglichkeit der Fortpflanzung, nicht zur Lust. Nichtsdestoweniger werden wir ein gemeinsames Schlafzimmer haben. Ich erwarte von dir, dass du mir noch einen männlichen Erben schenkst.“
Katharina konnte ihr Entsetzen nur schlecht verbergen.
„Verzeiht, Friedrich, Ihr sagt lutherisch. Ich bin Katholikin und wir haben katholisch geheiratet“, erwiderte sie erschrocken.
„In Dreibeck hat das Weib des Mannes Konfession!“, grunzte Friedrich. „Du wirst konvertieren oder du landest als Papistin am Pranger. Der katholischen Trauung habe ich nur zugestimmt, damit ich Teilhaber deines Vaters werden konnte.“
Wenn im Wageninneren eine Granate explodiert wäre, hätte Katharina kaum entsetzter sein können.
„Wie bitte?“
„Wohl, wohl, die Rettung seiner Tuchfirma war deinem Vater dein Händchen wert, Kathrin.“
„Großer Gott!“, entfuhr es Katharina. „Sagt, was war ich Euch wert, Friedrich?“
„Sagen wir, die Teilhabe an der Firma deines Vaters. Anteile an einer Tuchfirma fehlten mir noch in meinem Handelshaus. Dein Vater schuldete mir ohnehin sechzigtausend Taler auf Wechsel, die ich seinen Gläubigern abgekauft habe. Gegen Streichung dieser Schulden und weiteren zwanzigtausend Talern gehören mir einundfünfzig Prozent der Firma deines Vaters. Dein Vater suchte händeringend nach einem finanzstarken Bräutigam für dich, mein Herzchen. Und das Schönste ist, dass die Ehefrau nach dreibeckschem Recht nichts erbt, nicht einen Groschen! Ich kann also über die Anteile frei verfügen! Bin gespannt, wie lange ich brauche, um dieses marode Unternehmen unter die Leute zu bringen!“
Seppensen lachte meckernd.
Katharina war wie gelähmt. Hatte ihr Vater vielleicht eine Rieseneselei gemacht, als er sie an seinen Hauptgläubiger … verkauft hatte? Katharina konnte es nicht anders betrachten. Einen Moment dachte sie an Wolf, Tillys jungen Adjutanten. Er war arm, gewiss, aber er war so sparsam, dass er sich von seinem knappen Geld immer noch vornehme Kleidung kaufen konnte. Katharina hielt ihn auch für einen Ehrenmann, denn niemand anders als ein Ehrenmann hätte sich ungestört so lange mit einer ungeschützten Frau unterhalten, ohne deutliche Annäherungsversuche zu machen. Sie war sicher, dass Wolf mit den Anteilen an der Tuchfirma nicht hausieren gegangen wäre. Seppensens Vorhaben zielte doch nur darauf ab, ihren Vater völlig zu ruinieren und ihn auch um den mageren Rest seines Vermögens zu bringen. Nein, so hinterlistig wäre Wolf bestimmt nicht gewesen …
Wolf erreichte Amelinghausen, genauer: Wallensteins Lager in der Nähe der lüneburgischen Stadt, relativ schnell. Er hatte kaum mehr als einen Monat von Stadtlohn gebraucht. Ein Wachtposten hielt den ihm fremden Reiter an.
„Halt! Parole!“, forderte er.
„Gott zum Gruße, Soldat. Ich bin Wolf von Steinburg, Leutnant in des Bayernherzogs Diensten und suche den Oberst von Wallenstein, den Grafen von Friedland.“
„Woher kommt Ihr?“
„Von General Johann von Tilly, und ich habe eine Botschaft für den Herrn Oberst.“
Der Posten beäugte den Ankömmling misstrauisch.
„Steig‘ vom Pferd und komm mit. Hände weg von Dolch und Degen!“, wies er ihn an. Wolf stieg langsam vom Pferd und folgte dem Posten, der ihn zu einem großen Zelt in der Mitte des Lagers brachte. Der Wächter ließ Wolf warten und verschwand im Zelt. Wenig später kam er wieder und winkte Wolf.
„Seine Gnaden lässt bitten.“
Wolf drückte einem herbeigeeilten Pferdeknecht die Zügel seines Pferdes in die Hand, nahm den Hut ab und betrat das große Zelt.
„Na los, kommt her, Herr!“, forderte Wallenstein unwirsch und hastig, wie es für ihn üblich war. Wolf übergab den gesiegelten Brief.
„Von General Graf Tilly für Euer Liebden“, sagte er dazu.
„Her mit dem Wisch!“, knurrte der kaiserliche Oberst. Er nahm Wolf das Schreiben heftig ab und brach sogleich das Siegel auf, las den Brief durch. Er nickte, ohne dass erkennbar war, ob er mit dem Inhalt zufrieden war oder nicht.
„Kennt Ihr den Inhalt dieses Briefes?“, fragte Wallenstein den Boten.
„Nein, Euer Liebden“, entgegnete Wolf.
„Tilly warnt mich vor einem möglichen Zugriff der Protestanten auf Dreibeck. Gut und schön; nur etwas spät, würde ich sagen, denn Dreibeck hat sich der Protestantischen Union vor drei Monaten angeschlossen! Gleichzeitig leiht Tilly Euch für ein Jahr als Kundschafter und Verbindungsoffizier an mich aus. Was haltet Ihr davon?“
„Graf Tilly fragte mich, ob ich einverstanden wäre, Euch ein Jahr als Kundschafter zu dienen und gleichzeitig eine Verbindung zwischen den Truppen der katholischen Liga und den kaiserlichen Truppen herzustellen. Ich war einverstanden, so bin ich hier“, antwortete Wolf.
„Und dieser Blödsinn mit der Warnung?“, fauchte Wallenstein.
„Der Inhalt des Schreibens war mir nicht bekannt, Euer Liebden.“
„Jetzt ist er Euch bekannt, Herr! Also äußert Euch!“, donnerte der Oberst.
„Graf Tilly hat vor etwa einem Monat erfahren, dass Mansfelds Truppen auf dem Weg ins Lüneburgische seien. Er sah sich veranlasst, Euch zu warnen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
„Für einen Kundschafter ist das nicht üppig!“, knurrte der ungeduldige Oberst.
„Diese Erkenntnisse sind nicht auf meine Qualitäten als Kundschafter zurückzuführen“, erwiderte Wolf mit einer gewissen Schärfe.
„Wer glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid?“, donnerte Wallenstein.
„Wie genau wollen Euer Liebden das wissen?“, fragte Wolf angriffslustig.
„Sagt mir Euren Namen!“
„Wolf von Steinburg, Graf von Steinburg, Leutnant bei den Truppen der katholischen Liga, Adjutant von General Tilly!“
„Ich werde Euch schon Manieren beibringen, Leutnant von Steinburg! Ihr gehört von heute an zu meinem Kundschaftertrupp!“, grunzte Albrecht von Wallenstein. „Lasst Euch von Aldringen, diesem Tintenkleckser, dort einführen!“
„Jawohl, Euer Liebden.“
Wallenstein winkte seinem Sekretär Aldringen, der Wolf aufforderte, ihm zu folgen und ihn zum Lagerplatz der Kundschafter brachte.
„Heda! Wo kommt der denn her?“, rief einer der zehn oder zwölf Männer, die an langen Tischen vor ihren Zelten saßen, als er Wolf bemerkte.
„Einen guten Tag wünsche ich Euch. Ich bin Wolf von Steinburg und soll für den Herrn Oberst kundschaften“, stellte Wolf sich vor.
„Ha! Hört Euch das an! Er soll kundschaften, der grüne Junge!“, grölte der Mann. Er saß rücklings zum Tisch und hielt einen noch knapp zur Hälfte gefüllten Bierkrug in der Hand. Er hatte sich kurz zu seinen Kumpanen umgesehen, um sich die Bestätigung zu holen, dass er weiterpöbeln sollte. Doch als er sich umdrehte, stand der Neuling direkt vor ihm, packte ihn grob an der Kehle und drückte ihn rückwärts auf den Tisch.
„Ich habe mich höflich vorgestellt und erwarte eine entsprechend höfliche Antwort, mein Herr! Also, wer seid Ihr, Herr Pöbelmann?“, fragte Wolf eisig. Der Pöbler gurgelte nur noch. Seine Zechkumpane lachten laut. Ein anderer stand auf und kam zu Wolf, legte ihm vorsichtig die Hand auf den Arm, der den Pöbler im Würgegriff hielt.
„Wartet, mein Freund. Bitte, lasst den Herrn von Buchenberg los“, sagte er begütigend. Wolf ließ den Mann los und sah den anderen an.
„Ist bei Euch eine solche Begrüßung üblich?“, fragte er.
„Nur, wenn Manfred von Buchenberg den Neuen zuerst sieht. Seht es ihm nach.“
„Ich erwarte eine Entschuldigung oder Genugtuung für einen solchen Gruß, mein Herr“, erwiderte Wolf kühl.
„Nun, Herr von Buchenberg hat bereits einige Krüge Bier verschluckt. Er ist betrunken und wäre Euch in diesem Zustand weder gewachsen noch ist er recht Herr seiner Sinne. Seht es ihm nach“, bat der andere. Wolf sah misstrauisch auf den Pöbler, der inzwischen trunken unter den Tisch gefallen war.
„Gut, weil Ihr mich so höflich drum bittet. Wollt Ihr mir Euren Namen sagen?“
„Ich bin Thomas von Altenburg, ebenfalls Kundschafter des Herrn von Wallenstein – wie wir alle hier. Seid willkommen, Herr von Steinburg“, erwiderte der andere und bot Wolf die Hand, die dieser auch gerne ergriff und herzhaft drückte.
„Kommt, setzt Euch. Mögt Ihr ein Bier?“
„Ich hätte Hunger. Kann ich was zu essen bekommen?“
„Gewiss, Herr von Steinburg.“
Von Altenburg winkte einem Diener, der Wolf auch gleich Brot und Fleisch anbot. Wolf bediente sich von dem Holzbrett mit der darauf bereit liegenden Gabel, legte das gebratene Fleisch auf das Brotstück und biss davon ab.
„Hmm, sehr gut!“, lobte Wolf die Kochkunst des Dieners, der dankbar nickte.
„Sagt, Herr von Altenburg, seid Ihr aus Eichgau?“, fragte Wolf dann seinen neuen Bekannten. Von Altenburg verschluckte sich fast.
„Grmpf! Woran merkt Ihr das?“
„Ihr habt einen wenglischen Akzent, Herr von Altenburg“, erwiderte Wolf und biss erneut von seinem gut belegten Brot ab. Altenburg sah ihn einen Moment verblüfft an.
„Moment! Wenglisch? Steinburg? Ihr seid doch nicht etwa … etwa der Graf von Steinburg?“, würgte er.
„Doch, genau der bin ich.“
Von Altenburg sah in die Runde der Kundschafter, die wieder fröhlich schwatzend dasaßen und sich um den Neuen nicht weiter kümmerten, da er offenbar in guten Händen war.
„Nehmt Euer Brot und kommt mal mit“, forderte Von Altenburg Wolf auf. Mit zweifelndem Blick folgte Wolf dem Altenburger um die nächste Zeltecke.
„Guter Gott, das gibt’s ja gar nicht!“, entfuhr es Von Altenburg, als sie dort allein waren. „Ich habe die Ehre, einen leibhaftigen Nachkommen der Könige Wenglands kennen zu lernen!“
„Sicher bin ich das; aber was bringt Euch so aus dem Häuschen?“
„Der Umstand, dass auch Ihr von Wengland sprecht.“
„Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, auch wenn Wengland als selbstständiges Land nicht mehr existiert und ich gewiss kein Anrecht darauf habe, mich als etwas Besseres zu betrachten, nur weil ich der Graf von Steinburg bin“, versetzte Wolf freundlich. „Sagt, kennt Ihr eventuell noch mehr Wengländer?“, fragte er dann.
„Nun, soviel ich weiß, ist Wilfried von Artenberg aus Karlsfeld, also ebenfalls Wengländer. Nach meinen Informationen gibt es in allen Teilen des kaiserlichen Heeres Wengländer – und lasst Euch gesagt sein: Alle warten darauf, Wengland endlich wiederzuvereinigen!“
Wolf sah Von Altenburg eine Weile an.
„Jeder Wengländer wünscht das, Herr Thomas, aber wir sollten sehr vorsichtig sein, wo wir so etwas äußern. Es gibt Leute, die verstehen das falsch“, sagte er.
„Ihr meint, die betrachten unseren legitimen Wunsch als Verrat am Kaiser?“
„Genau das“, lächelte Wolf. „Es war der Wunsch meines Vaters, aber er hat sich – jedenfalls solange ich noch bei meinen Eltern war – nicht getraut, es offen auszusprechen. Zum einen, weil ein Steinburger Graf sich sicher die Krone wünschte und er als armer Schlucker nicht besonders sicher sein konnte, ob der Rest der wenglischen Grafen diesen Wunsch teilte. Zum anderen, weil er den kurzfristigen Verlust der Reichsunmittelbarkeit vor fast hundert Jahren noch nicht vergessen hatte.“
Thomas von Altenburg schüttelte den Kopf.
„Mein Vater ist Baron von Altenburg, Herr Wolf. Er ist nicht reichsunmittelbar, wie Ihr. Aber auch die freien Reichsgrafen Wenglands wünschen eine Vereinigung des Landes unter einem Herrn, der noch zwischen Ihnen und dem Kaiser steht – vorzugsweise natürlich die Wiederherstellung eines unab…“
Weiter kam Thomas nicht. Wolf hielt ihm einfach den Mund zu.
„Haltet den Mund, Herr von Altenburg! Ihr bringt Euch mit solchen Reden in einem kaiserlichen Lager direkt aufs Schafott!“, warnte er leise.
„Weiß Gott, Ihr habt Recht. Mir sind die Pferde durchgegangen, tut mir Leid“, erwiderte Von Altenburg ernüchtert.
Wolf hielt ihm die Hand hin.
„Wengländer halten zusammen, Katholiken und Protestanten. Ich biete Euch Freundschaft, Thomas.“
„Wengländer halten zusammen. Ich nehme Euer Freundschaftsangebot an, Wolf.“
In der folgenden Zeit gingen Wolf und Thomas häufig gemeinsam auf Kundschaft. Bald waren sie wirklich gute Freunde, die sich blind aufeinander verlassen konnten. Es dauerte keine volle Woche, bis die jungen Männer bereits beim vertraulichen du waren.
Mit Manfred von Buchenberg, jenem Lümmel, der ihn gleich zu Beginn angepöbelt hatte, verband Wolf dafür eine ausgesprochen tiefe Abneigung. Zwar versuchte Wolf, ihm einigermaßen neutral zu begegnen, aber Buchenberg wies ihn schroff ab. Niemand außer Buchenberg war in dem Kundschaftertrupp feindlich gegen Wolf, im Gegenteil – bald konnte er sie alle als Freunde bezeichnen. Doch irgendwann stellte er fest, dass Buchenberg auch Thomas mit Feindseligkeit begegnete. Da Thomas ein ausgesprochen liebenswürdiger Mensch war, der sonst überall freundlich begrüßt wurde, konnte Wolf sich noch keinen Reim auf Buchenbergs Ablehnung ihrer Personen machen. Etwas an ihm kam Wolf bekannt vor, aber er konnte nicht sagen, was es war oder woran Buchenberg ihn erinnerte. Aber es schien geradewegs aus irgendwelchen Albträumen zu sein.
Er ahnte nicht einmal, wie Recht er hatte, als er die Feindschaft Buchenbergs auf einen Albtraum schob. Es war ein sehr alter, wenglischer Albtraum …
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Kapitel 8
Dreibeck
Wolf war – meist zusammen mit Thomas – ein erfolgreicher Kundschafter, der Wallenstein wertvolle Informationen beschaffte. Der böhmische Oberst konnte bald feststellen, dass Tillys Empfehlung gut gewesen war und setzte Wolf speziell dann ein, wenn die Mission heikel zu werden drohte. Ungefähr zwei Monate, nachdem Wolf als Späher bei Wallenstein angefangen hatte, hatte er nahezu alle Freiheiten. Zu dieser Zeit suchte er Oberst einen Freiwilligen, der die strategisch wichtige Stadt Dreibeck ausspionierte. Die Kundschafter waren vollständig bei Oberst von Wallenstein versammelt.
„Ihr Herren Kundschafter, ich suche einen Freiwilligen, der in die Stadt Dreibeck eindringt, die Stärke der Bewachung und die Anzahl der Kanonen auf den Mauern feststellt und wieder zurückkehrt“, gab Wallenstein den Auftrag bekannt. Wolf dachte nur kurz nach. Nach Dreibeck einzudringen bot ihm die Chance, heimlich Katharina aufzusuchen und ihr zu sagen, dass er in der Nähe war. Er hob die Hand und trat einen Schritt vor.
„Ich bin dabei, Euer Liebden.“
Wallenstein nickte beifällig. Thomas von Altenburg meldete sich gleichfalls. Manfred von Buchenberg wollte auch dabei sein.
„Einer würde genügen. Treten zwei der Herren freiwillig zurück?“, fragte der böhmische Graf. Thomas zog seine Meldung zögernd zurück, Buchenberg sehr widerwillig.
Als es dunkel wurde, schlich Wolf sich von dem versteckten Platz etwa eine Meile östlich von Dreibeck, wo er seinen Pferdeknecht zurückgelassen hatte, zu Fuß zur Stadtmauer. Der Knecht hatte die Anweisung, kurz vor Tagesanbruch ins Lager zurückzukehren, falls Wolf bis dahin nicht wieder ausgebrochen war. Die Nacht war dunkel, weil Wolken den Halbmond verdeckten. Der junge Graf erklomm leise die Stadtmauer an einer starken Efeuranke unterhalb einer Turmausbuchtung. Falls der Mond doch erscheinen sollte, bot die Mauerverbreiterung einen ausreichenden Schatten, um den Spion zu schützen.
Oben auf dem Wehrgang der Mauer tappten Schritte entlang. Wolf wartete geduldig, bis der Posten weitergegangen war, dann schwang er sich über die Mauerkrone. Im Schutz der Dunkelheit beobachtete er das Treiben in den mit Fackeln trüb erleuchteten Straßen der Stadt. Die wenigen Soldaten die unterwegs waren, waren schlecht bewaffnet und teilweise zerlumpt. Dabei belagerten die Kaiserlichen Dreibeck noch nicht einmal! Wolf empfand beinahe Mitleid mit den nicht sehr glücklich aussehenden Soldaten der Stadt, die beständig vor sich hin brummelten, wie schrecklich die Kaiserlichen bestimmt in Dreibeck hausen würden.
‚Sie glauben also, keinen Widerstand leisten zu können’, dachte Wolf. ‚Interessant.’
Ganz langsam schob sich der Mond durch die Wolken. Auf dem hinteren Teil der Wehrmauer sah Wolf einen Posten, der kurz vom Mond beschienen wurde und den dann wieder Dunkelheit verschluckte. Der Posten konnte ihn noch nicht gesehen haben, aber so, wie das Mondlicht gespenstisch wanderte, war es nur eine Frage von Minuten, wann Wolf entdeckt sein würde. Er entschloss sich, den Ronden-Trick anzuwenden und ging mit festen Schritten auf den Wächter zu.
„Ronde!“, rief er dem Wächter zu. „Sag‘ Er die Parole!“
Der Wächter war der Meinung, den Rondenoffizier vor sich zu haben, der mehrmals in der Nacht die Posten zu kontrollieren hatte, ob diese auch das Losungswort noch wussten. Erschrocken nahm er Haltung an und sagte:
„Lauenburg!“
„Danke, weitermachen!“, befahl Wolf und stieg seelenruhig die Treppe von der Stadtmauer hinunter.
Als er unten war, fiel ihm ein, dass er keinerlei Ahnung hatte, wo sich das Haus von Kaufmann Seppensen befand. Zunächst streifte er eine gute Stunde unerkannt durch die teilweise sehr engen Gassen der Salzstadt. Einige Male gelang es ihm nur knapp, sich vor dem Unrat in Sicherheit zu bringen, der aus den Häusern auf die Straße gekippt wurde, ohne dass darauf geachtet wurde, ob unten jemand vorbeiging. In der Stadt war ein unbeschreiblicher Gestank von Unrat. Wolf hatte mancherlei in den letzten Jahren zu sehen bekommen, aber den Zustand einer Stadt im direkten Angesicht des Feindes noch nicht. Zwar war das Lager der Kaiserlichen außerhalb der Sichtweite der Stadt, aber die gleichwohl spürbare Nähe der feindlichen Soldaten prägte doch das Bild in den Straßen – und damit auch die Unratbeseitigung, die seit der Ankunft der Truppen Wallensteins offensichtlich gelitten hatte. Die Bürger der Stadt sahen besser aus als die Soldaten, sehr viel besser, stellte Wolf fest.
‚Hier scheint man Soldaten kurz zu halten’, mutmaßte er in Gedanken.
Gerade wollte er um eine Ecke biegen, als er die ebenso vertraute wie unwillkommene Gestalt des Herrn Seppensen erkannte, der aus dem Rathaus kam und mit einem anderen Herrn, der Halskrause nach offenbar einem Ratsherrn, die Straße entlangging. Wolf folgte ihnen unauffällig. Aus dem Gespräch, das die Herren führten hörte Wolf heraus, dass am folgenden Tag eine Ratsdelegation zum Herzog von Lauenburg reisen wollte, um ihn um Unterstützung gegen die Kaiserlichen zu bitten.
‚Gut, das zu wissen’, dachte Wolf und schlich weiter hinter den Männern her, bis Seppensen in einem Haus mit einer Speichereinrichtung unter dem Dach ging.
Der kaiserliche Spion wusste genug und wollte um das Haus herum, um von der Rückseite her einzusteigen, als er angerufen wurde:
„Halt, wer da? Parole?“
„Lauenburg“, erwiderte Wolf ungerührt.
„Was habt Ihr da zu suchen?“, fuhr ein Posten ihn an.
„Einen Besuch beim Kaufmann Seppensen machen, ihr Herren“, antwortete Wolf, doch sein Steinburger Akzent verriet ihn, wenn er mehr als drei Worte sprach.
„Alarm! Ein Kaiserlicher!“, rief der Posten, zog blank und griff Wolf an. Auf den Alarmruf eilten gleich noch vier oder fünf andere Stadtsoldaten herbei, Rapiere zuckten im fahlen Licht der Blendlaternen. Wolf wehrte sich, aber gegen sechs Mann hatte er letztlich doch keine Chance. Zwei der Dreibecker konnte er zwar fällen, aber die verbliebenen vier überwältigten ihn. Ein harter Schlag mit der Hellebarde auf den Kopf beendete den ungleichen Kampf. Es wurde dunkel um ihn.
Wolf wurde wach, als man mit einem Eimer Wasser nachhalf. Er fand sich auf eine Streckbank gefesselt wieder. Ein Mann mit sorgsam gestärkter Halskrause trat neben die Streckbank, damit der Gefangene ihn auch gut sehen konnte.
„Da Ihr nun wach seid, werden wir uns unterhalten, Spion“, sagte er. „Ich lege Wert auf Umgangsformen, deshalb frage ich Euch zunächst nach Eurem Namen, Herr Spion.“
„Wolf von Steinburg“, antwortete Wolf. Er vergab sich nichts mit dieser Auskunft.
„Ich habe gehört, dass ein Graf von Steinburg im kaiserlichen Heer dient. Seid Ihr das?“
„Ja“
„Gut, da wir die Formalitäten erledigt haben, kommen wir zur Sache …“
„Moment …“, warf Wolf ein.
„Liegt Ihr nicht bequem?“
Wolf grinste mit gewissem Galgenhumor. Die Befragung würde ausgesprochen unangenehm werden, das war ihm klar. Er gestand sich ein, Angst zu haben, aber er wollte es nach außen nicht zeigen. Es gelang ihm sogar einigermaßen.
„Ich lege gleichfalls Wert auf Umgangsformen. Ungern rede ich mit jemandem, dessen Namen ich nicht kenne. Wollt Ihr mir Euren Namen nennen?“
Der Mann mit der Halskrause zuckte mit den Schultern.
„Mein Name tut nichts zur Sache, aber da Ihr ohnehin nicht lange leben werdet, könnt Ihr ihn auch gern wissen. Ich bin Kilian Jacobsen, Ratsherr und Richter von Dreibeck. Genügt Euch das?“
Wolf nickte.
„Nun, also …“, sagte der Richter und gab dem Henkersknecht am Handrad der Folter ein Zeichen. Mit einigen Umdrehungen des Holzkreuzes drehte der maskierte Mann die Streckbank straff.
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Kapitel 9
Kerkerliebe
Katharina Seppensen erwachte davon, dass unten an der Haustür laut geklopft wurde. Noch schlaftrunken stand sie auf und zog sich rasch einen Morgenrock über.
„Kaufmann Seppensen!“, hörte sie von unten rufen. Sie öffnete das Schlafzimmerfenster und sah auf die noch im Halbdunkel liegende Straße. Der Tag brach eben an.
„Was wollt Ihr um diese Zeit?“, rief Katharina. „Ihr wisst doch, dass mein Mann gestern Abend nach Lauenburg gereist ist!“
„Frau Seppensen, wir müssen einen Gefangenen bei Euch einlochen.“
Katharina warf den Fensterladen ärgerlich zu und stieg nach unten in die Halle. Sie hasste es, Gefangene im Haus zu haben, denen sie lieber die Freiheit geschenkt hätte, als sie für den Henker zu bewahren.
Sie war entsetzt, als sie die Tür öffnete und in dem grausam zugerichteten Gefangenen Wolf von Steinburg erkannte. Die Wachen deuteten Ihren Blick falsch, dafür entschuldigend. Sie nahmen an, dass der Anblick des gefangenen Kaiserlichen, der immer noch ohne Bewusstsein schlaff zwischen den Wächtern hing, die Frau so erschreckt habe.
„Kommt herein“, sagte sie. Die Wächter gingen gleich den ihnen bekannten Weg in den Kerkerkeller. Seppensen hatte einen Kellerraum als Gefängnis in seinem rattenfreien Haus zur Verfügung gestellt, damit man Gefangene unterbringen konnte, die die Hinrichtung noch erleben sollten. Allzu oft war es schon passiert, dass zum Tode verurteilte Gefangene, die vom Kampf oder von der Folter verwundet waren, bereits von den Ratten gefressen worden waren, womit die Stadtwache um die Hinrichtung gebracht worden war.
Katharina schloss die Zelle auf, die Wächter schleppten Wolf herein und ließen ihn einfach auf den Strohsack fallen, den einzigen Einrichtungsgegenstand des Kerkers. Einer der Wächter wandte sich an die Hausfrau:
„Frau Seppensen, der Rat beauftragt Euch, den Spion am Leben zu erhalten. Ich braucht ihn nicht gesund zu pflegen, aber wir möchten alle wenigstens einmal zum Zuschlagen kommen“, sagte er. Beinahe hätte die Hausherrin die Posten mit dem Besen aus dem Haus gejagt, aber sie besann sich rechtzeitig.
„Ich will sehen, was ich tun kann“, versprach sie und brachte die Wächter wieder nach oben zum Ausgang.
Kaum waren die Männer fort, als Katharina sich eine Lampe nahm und wieder in den Keller eilte.
„Wolf!“, flüsterte sie entsetzt, als sie ihm das zerfetzte Hemd ausgezogen hatte und feststellte, wie furchtbar er zugerichtet war. „Mein Gott, Wolf!“
Ohne es eigentlich zu wollen, strich sie ihm sanft durch das verschwitzte Haar. Er regte sich nicht, aber er lebte. Zwar sträubte sich alles in der jungen Frau, den Gefolterten nur zu pflegen, damit man ihn zu Tode quälen konnte, aber sie konnte die schlimmen Verletzungen auch nicht unbehandelt lassen, weil er daran sicher sterben würde. So holte sie sich heißes Wasser, Salbe und Verbandszeug und wusch zunächst die Wunden gut aus.
Während sie noch beim Reinigen war, erwachte er aus der Bewusstlosigkeit. Er schrie auf.
„Nein! Ich hab‘ Euch doch alles gesagt!“
„Beruhigt Euch, Wolf. Ich will Euch nur helfen“, sagte sie leise. Sie unterbrach ihre Arbeit und streichelte ihn sanft. Mühsam, sehr mühsam, schlug er die Augen auf.
„Das kann nicht sein! Ich habe Albträume!“, flüsterte er.
„Sehe ich so schrecklich aus?“, fragte sie mit traurigem Lächeln.
„Kathrin, seid Ihr es wirklich?“
„Ja“, erwiderte sie sanftmütig und wusch ihm ganz vorsichtig das verschwitzte Gesicht ab.
„Wo bin ich eigentlich?“
„Im Speicherhaus des Kaufmanns Seppensen, in Dreibecks Kerker für Gefangene, die dem Henker gehören“, antwortete sie.
„Dann war das nicht nur ein böser Traum! Bitte, Katharina, gebt Euch keine Mühe mit mir. Lasst mich sterben“, bat er.
„Wollt Ihr so leicht aufgeben, Wolf?“
„Es hat keinen Zweck, meine Wunden zu pflegen, wenn ich doch hingerichtet werde.“
„Ich weiß. Es fällt mir auch nicht leicht, Euch nur am Leben zu erhalten, damit es Euch umso grausamer genommen werden kann. Aber ich mag Euch auch nicht einfach sterben lassen.“
Er ließ den Kopf, den er mühsam halb erhoben hatte, wieder auf das Strohlager sinken und schloss erschöpft die Augen.
„Dann tut, was Ihr nicht lassen könnt“, sagte er leise.
„Wolf?“
Er sah sie noch einmal an.
„Ja?“
„Ich muss Euch noch wehtun, weil ich Eure Wunden säubern muss“, warnte Katharina. Der Gefangene nickte ergeben.
Sie war vorsichtig und sanft, aber trotzdem war die Behandlung schmerzhaft. Dass sie ihm nicht gern noch mehr Schmerzen zufügte, war in ihrem Gesicht deutlich zu sehen. Schließlich war sie fertig und verteilte reichlich Salbe auf die Wunden, die Ruten und Brandeisen hinterlassen hatten. Zu guter Letzt verband sie ihn vorsichtig.
„Wolltet Ihr Eure Pläne nicht preisgeben?“
Er nickte.
„Dann erwartet Euch noch Schlimmeres“, warnte die junge Frau.
„Ich hab‘s nicht ausgehalten“, erwiderte er leise. Er schämte sich, das war deutlich zu hören.
„So, wie man Euch zugerichtet hat, wundert es mich nicht, dass Ihr nicht geschwiegen habt. Ich hatte Gefangene zu betreuen, bei denen hat eine Umdrehung der Streckbank gereicht, um sie zum Reden zu bringen. Ich habe noch von keinem gehört, der sein Geheimnis mit ins Grab genommen hätte. Ihr braucht Euch dessen nicht zu schämen“, erwiderte sie beruhigend. „Wie kommt Ihr eigentlich hierher? Ihr seid doch Tillys Adjutant“, wunderte sie sich dann. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht recht.
„Tilly hat mich für ein Jahr an Wallenstein ausgeliehen. Ich wollte in Eurer Nähe sein, Katharina.“
„Was?“, platzte sie heraus.
„Ich habe mich für diesen Auftrag freiwillig gemeldet, weil ich Euch sehen wollte.“
„Ihr seid von allen guten Geistern verlassen! Lieber Graf Steinburg, nehmt bitte zur Kenntnis, dass ich eine verheiratete Frau bin – und dass ich Protestantin bin!“, entgegnete sie scharf, aber es klang nicht echt. Er überlegte, ob er weitersprechen sollte, doch sein völlig erschöpfter Körper nahm ihm die Entscheidung ab. Er schlief ermattet ein.
‚Es kann nicht sein, dass er sich meinetwegen in solche Gefahr gebracht hat’, dachte sie. Sanft und liebevoll deckte sie den Schlafenden zu, erhob sich leise und verließ die Zelle. Sie war sicher, dass er einige Stunden schlafen würde.
Als sie gegen Mittag nach dem Gefangenen sah, musste sie feststellen, dass ihn ein starkes Fieber gepackt hatte. Hochrot im Gesicht, heftig mit den Zähnen vor Schüttelfrost klappernd, warf er sich unruhig auf seinem Strohlager hin und her. Katharina ging zum Brunnen im Hof, holte eine Schüssel kaltes Wasser, nahm ein sauberes Leintuch von der Wäscheleine und kehrte wieder in die Zelle zurück. Leise schloss sie die Tür, setzte sich wieder an das Strohlager. Vorsichtig und sanft tupfte sie ihm den Schweiß von der glühendheißen Stirn und kühlte sie mit dem feuchten Tuch.
Nach einer Weile registrierte sie, dass es ihn etwas beruhigte, wenn sie ihn an der Schulter streichelte. Leicht und sanft liebkoste sie seine kräftige Schulter und bemerkte die ungewöhnliche Stellung seiner Schultergelenke.
‚Hier komme ich allein nicht weiter. Hedwig muss mir helfen’, dachte sie und rief nach der Köchin. Wenig später war Hedwig im Keller.
„Ihr habt gerufen, Frau Seppensen?“
„Hedwig, der Rat hat uns beauftragt, diesen Gefangenen zu versorgen. Ich meine, er hat ausgerenkte Schultern. Hast du nicht Jobst letzte Woche die Schulter eingerenkt?“
Die Köchin nickte.
„Soll ich sie ihm auch wieder einrenken?“, fragte sie dann.
„Ja“
Hedwig besah sich Wolfs Schultern und renkte sie mit zwei schnellen, harten Griffen wieder ein. Der Gefangene kam hoch, schrie einmal heftig auf, sackte wieder zurück und regte sich nicht mehr. Er hatte wieder das Bewusstsein verloren.
„Geht das nicht weniger grob? Richter Jacobsen und seine Knechte haben ihn schon genug gequält“, fragte Katharina. Einen Augenblick wollte die Köchin fragen, ob das bei einem Feind nicht sowieso egal sei, aber als ihr Blick wieder auf den Gefangenen fiel, tat er ihr plötzlich Leid.
„Nein, Frau Seppensen. Aber es war sicher weniger schmerzhaft als das Ausrenken auf der Folterbank“, erwiderte sie. Katharina nickte geistesabwesend.
„Danke, Hedwig, du kannst gehen“, entließ sie die Köchin. Hedwig knickste höflich und ging wieder in die Küche hinauf.
Katharina nahm wieder nahe bei Wolf Platz. Es dauerte einige Zeit, bis er aus der Ohnmacht wieder erwachte. Er kam aber nur ganz kurz zu sich und fiel wieder in flachen Dämmerschlaf. Wieder wurde er unruhig und es gelang ihr nur mit Mühe, ihn zu beruhigen und das starke Fieber unter Kontrolle zu bringen. Schließlich wachte er ganz auf. Sein fiebergetrübter Blick fand eine traurig lächelnde Katharina Seppensen an seiner Seite.
„Kathi“, flüsterte er matt.
„Nein, nicht sprechen. Das kostet Euch zu viel Kraft“, mahnte die junge Frau leise. Sanfte Finger strichen über seine trockenen Lippen. Er überließ sich willig ihren weichen Händen.
„Es tut mir so Leid für Euch, Wolf“, sagte sie. „Was immer geschieht: Ihr müsst vergessen, dass ich in Dreibeck bin.“
„Wie könnte ich Euch vergessen, Katharina?“, presste er heraus. „Ich bin aus Liebe nach Dreibeck gekommen.“
„Für so kopflos hätte ich Euch nicht gehalten, Wolf von Steinburg!“, entgegnete sie erschrocken. „In Stadtlohn erschient Ihr mir nüchtern und zurückhaltend. Was hat Euch nur zu solch unbedachtem Handeln gebracht?“
Er rang sich ein Lächeln ab.
„Ein Engel, schön wie ein Frühlingsmorgen, sanft wie der Sommerwind“, murmelte er. „Ihr habt mich verzaubert, Kathrin. Auch wenn Ihr es nicht wollt – wäre ich nicht Gefangener in diesem Kerker, wäre ich immer noch der Gefangene Eures Herzens.“
„Wolf, Ihr müsst das vergessen!“, bat sie eindringlich. „Ihr habt im Fieber gesprochen. Wenn das andere Leute hören, kommen wir beide in Teufels Küche! Ich mag Euch sehr, Wolf, vor allem, weil Ihr mir sehr überzeugend bewiesen habt, dass Ihr bereit seid, für mich das Leben zu riskieren.“
Er wollte etwas sagen, aber sanfte, schmale Finger verboten es ihm voller Liebe. Er drückte einen gefühlvollen Kuss auf ihre streichelnden Finger.
„Lieber Wolf, ich bin verheiratet“, erinnerte sie ihn. „Ich bin für Euch unerreichbar.“
„Zunächst“, bemerkte er mit einem deutlichen Ächzen.
„Ihr hofft, dass Seppensen schon bald das Zeitliche segnet?“
Er nickte.
„Mein Mann ist achtundsiebzig und nicht bei bester Gesundheit, aber im Moment sieht es eher danach aus, dass Ihr diese Welt vor ihm verlassen werdet“, versetzte sie. „Aber ich bete, dass die Ratsdelegation sich gründlich verspätet. Dann habt Ihr eine kleine Chance.“
„Wenn Ihr verheiratet seid und Ihr konvertiert seid, warum liegt Euch dann so viel daran, dass ich eine Chance habe, wie Ihr es ausdrückt? Ihr pflegt mich mit so viel Aufmerksamkeit und Sanftheit, dass ich nicht glauben kann, dass Ihr mir den Tod wünscht, zu dem ich verurteilt bin.“
„Ich bringe es nicht heraus, Wolf. Ich kann Euch nicht sagen, was ich für euch empfinde und was Ihr mir bedeutet.“
„Gebt mir nur Hoffnung, Katharina. Mit Hoffnung stirbt es sich vielleicht leichter“, bat der junge Mann leise.
„Ich kann nur geben, was ich habe, Wolf. Und Hoffnung habe ich keine mehr.“
Er schlug die Augen auf und sah sie aufmerksam an. Im Moment wirkte sie hilflos und verlassen. Langsam spürte er, dass er nicht mehr ganz so kraftlos war. Die Schmerzen hatten nachgelassen, und er konnte allmählich wieder klar denken.
„Was meint Ihr genau?“, hakte er sofort nach.
„Mein Vater hat mich praktisch verkauft, Wolf.“
Vor Schreck kam er hoch, sackte aber gleich wieder mit einem Wehlaut zurück.
„Sagt mir, was Euch bedrückt, liebe Kathrin. Ihr braucht keine Sorge vor Verrat zu haben. Entweder hüte ich Eure Sorge noch im Grab oder Ihr seid eines Tages die meine.“
Sie sah ihn skeptisch an.
„Wollt Ihr meine Sorge so hüten wie Euren Auftrag?“, fragte sie anzüglich.
„Danke, das war deutlich“, seufzte er. „Und Ihr sagt, ich bräuchte mich nicht zu schämen, dass ich‘s nicht ausgehalten habe! Sehr trostreich!“, versetzte er mit wiedererwachender Ironie.
Sie stand auf.
„Ich sollte Euch nicht erlauben, so viel zu reden. Schlaft besser noch“, sagte sie und ging fort.
Drei Tage später ging es Wolf etwas besser. Die Heilsalbe tat ihre Wirkung und die schrecklichen Wunden begannen zu heilen. Katharina hatte es sorgsam vermieden, auf ihre eigenen Probleme hinzuweisen, wenn sie bei ihm war. Doch er wollte wissen, was die Frau bedrückte, die er liebte.
„Frau Seppensen“, sprach er sie an. Sie zuckte bei der Nennung des Namens sichtlich zusammen.
„Warum sprecht Ihr mich so an?“
„Ist es nicht Euer Name?“
„Es ist der Name meines Mannes, den ich in der Hochzeit annahm, ja. Aber hatten wir uns nicht darauf geeinigt, uns beim Vornamen zu nennen?“
„Mögt Ihr den Familiennamen nicht?“, fragte er ohne auf ihren Hinweis einzugehen.
„Wolf, ich liebe meinen Mann nicht. Ich habe ihn aus Vernunftgründen geheiratet“, gab sie zurück. Vorsichtig schloss sie den Verband um seinen Leib.
„Kathrin, was vergebt Ihr Euch, wenn Ihr mir von Euren Sorgen erzählt? Wem sollte es schaden, wenn Ihr es mir sagt?“
„Uns beiden, Wolf. Ihr habt Schwierigkeiten, zu schweigen, ich …“
„Katharina – ich habe den Fragen des Herrn Jacobsen nicht widerstehen können, weil er ausgesprochen schmerzhafte Methoden hat, einen Gefangenen auszuhorchen. Ich wüsste nicht, wer Interesse daran haben könnte, Eure Sorgen aus mir herauszufoltern.“
„Seppensen vielleicht“, erwiderte sie. „Ich weiß, dass er mir nicht traut. Wenn er den Verdacht hat, ich könnte Ehebruch begangen haben, würde er allen Einfluss einsetzen, um …“
„Das würde voraussetzen, dass er Euch im Verdacht hat, mit mir eine Liaison zu haben. Wer sollte ihm diesen Verdacht nahe bringen?“
„Unser Hauspersonal möglicherweise.“
„Ich hatte in den letzten Tagen den Eindruck, als wäre wenigstens Eure Köchin ganz froh, dass der alte Pfeffersack nicht im Hause ist. Euer anderes Personal kenne ich nicht. Aber so, wie ich Herrn Seppensen kennen gelernt habe, glaube ich nicht, dass er ein liebenswürdiger Dienstherr ist, dem ein Diener alle Neuigkeiten erzählt.“
Gedankenverloren strich Katharina über den frischen Verband. Wolf nahm vorsichtig ihre Hand.
„Sagt mir, was Euch sorgt“, bat er.
„Ich habe Angst um meinen Vater, Wolf. Ich glaube, Seppensen will ihn ruinieren.“
„Warum? Mit welchen Mitteln?“
„Warum weiß ich nicht. Vielleicht macht es ihm Spaß, andere Leute in den Bankrott zu treiben. Hier in Dreibeck hat er schon den Kaufmann Dammann um sein Vermögen gebracht. Dieses Haus hat einmal Herrn Dammann gehört – einschließlich des Personals. Mit welchen Mitteln? Seppensen hat mit gesagt, dass mein Vater ihm sechzigtausend Taler schuldete. Mit noch weiteren zwanzigtausend Talern kaufte er sich in das Geschäft ein und nahm meine Hand als Gegenleistung für die Streichung der Schulden. Er ist jetzt Besitzer des größeren Anteils am Tuchgeschäft meines Vaters. Aber es scheint ihm nicht zu genügen. Ich fürchte, er will die Anteile weiterverkaufen und damit Uneinigkeit in die Firma bringen, um so den Ruin herbeizuführen. Alles, was mein Vater noch erreichen konnte, war eine katholische Trauung. Und dann hat Seppensen mich gezwungen, zum lutherischen Glauben zu konvertieren.“
„Zugegeben, von Wirtschaft verstehe ich nicht so viel wie mein jetziger Dienstherr“, sagte Wolf. „Wenn Seppensen jetzt sterben würde, ohne dass Ihr ihm noch ein Kind geboren habt – wer würde erben? Ihr?“, fragte er dann.
„Ihr habt den Gedanken, ihn einfach zu beseitigen, Wolf. Pfui, so etwas darf man nicht einmal denken!“, wies Katharina den jungen Grafen zurecht. Er lächelte sanft.
„Ich würde beinahe alles tun, um Euch glücklich zu machen, Kathrin. Einen Mord würde ich dafür allerdings nicht begehen“, erwiderte er. Leicht und sanft streichelte er ihre schmale Hand. Sie ließ es geschehen. Seine Zärtlichkeit war zu schön, um sie zurückzuweisen. Unbewusst rückte sie nahe an ihn heran.
„Nein, ich erbe keinen Groschen“, sagte sie leise.
„Also müsste man ihm die Teilhaberurkunde stehlen, damit er damit kein Unheil anrichten kann, sehe ich das richtig?“, forschte er. Sie bemerkte, wie wieder Leben in den Gefolterten kam, der sich schon fast aufgegeben hatte.
„Was meint Ihr, Wolf?“
„Ohne das Dokument hat er nichts zu verkaufen und nichts in der Hand, um Eurem Vater in seinen Handel hineinzureden. Nur wer das Dokument hat, kann verfügen.“
Er spürte erneute Schwäche aufsteigen, weil ihm sein malträtierter Körper noch nicht den gleichen Dienst erwies wie sein wieder klarer Verstand. Erschöpft machte er eine Pause.
„Die Sache hat nur einen Haken: Ich sitze hier fest und es geht mir nicht besonders gut“, brummelte er.
„Wolf – in dem Zustand kommt Ihr nicht weit. Ihr untertreibt gewaltig, wenn Ihr nur meint, es ginge Euch nicht besonders gut“, lächelte sie.
„Ist das Dokument hier im Hause?“
„Ja“
„Zeigt es mir, bitte.“
„Erholt Euch erst, Wolf“, bremste die junge Frau seinen aufkommenden Eifer. Ihre Hand legte sich sacht auf seine Schulter.
„Überanstrengt Euch nicht. Ihr seid schwer verletzt“, mahnte sie. Ihr Blick, der zunächst traurig gewirkt hatte, war warm geworden; warm und zärtlich. Er tätschelte ihre streichelnde Hand.
„Komme, was will: Kathrin, ich will für Euch da sein“, versprach er. Er hob ihre Hand an seine Lippen und küsste sie zart. Kein Gedanke mehr daran, dass er noch drei Tage zuvor am liebsten gestorben wäre! Wolf wollte leben – und er wollte eine Möglichkeit finden, sich dem ihm zugedachten grausamen Tod zu entziehen, allerdings ohne Katharina zu gefährden.
Sie pflegte Wolf mit Aufmerksamkeit und Liebe. Die schmerzenden Wunden der Folter heilten unter ihren zärtlichen Händen. Von Tag zu Tag wurde deutlicher, dass die junge Frau sehr viel mehr für den eingekerkerten Wolf empfand, als sie jemals zugeben durfte. Als seine Genesung fortschritt, konnte sie mit ihm nicht mehr die Zeit verbringen, die sie sich beide wünschten. Es wäre zu auffällig gewesen, wenn die Frau Seppensen zu lange bei dem wieder gekräftigten Gefangenen aufhielt. Aber wenn sie bei ihm war, widmete sie seinen heilenden Wunden aufmerksame Zärtlichkeit. Eine der furchtbaren Brandwunden wollte nicht recht heilen und bedurfte noch ihrer wirklich liebevollen Pflege. Die anderen Verletzungen waren nach zwei Wochen soweit vernarbt, dass ein Verband nicht mehr notwendig war. Wolf konnte sich soweit bewegen, dass es ihm schon möglich war, die Arme hinter dem Kopf zu verschränken, ohne dass er noch Schmerzen in den Wunden oder in den Schultern spürte. Wenn Katharina die noch immer nässende Brandwunde behandelte, brachte er sich in diese für ihn sehr bequeme Position, die ihr noch Platz verschaffte. Katharina tat es mit inzwischen sehr geübten, leichten und sanften Bewegungen. Es tat wohl, so empfand er es. Verzaubert schloss er die Augen.
„Es tut gut“, sagte er.
„Dann genießt es“, erwiderte sie leise. Er schnurrte zufrieden, spürte, dass sie wieder einen neuen Verband auflegte und dann unendlich sanft die bereits verschorften Wunden streichelte.
„Kathi“, flüsterte er vertraulich, „was du tust, ist schön.“
„Es soll auch schön sein“, erwiderte sie weich. „Zwei Wochen seid Ihr jetzt hier. Die Ratsdelegation hat uns den Gefallen getan, sich zu verspäten. Zwei Tage noch und Ihr seid soweit hergestellt, dass man Euch ins eigentliche Gefängnis bringen wird. Dort werdet Ihr es nicht so gut haben wie hier. Ich werde Euch vermissen, Wolf.“
Er lächelte und strich ihr sanft über das Gesicht.
„Ich Euch auch. Seid gewiss: Ich breche aus! Aus dem Gefängnis habe ich weniger Gewissensbisse, als aus Eurem Hause. Würde ich hier ausbrechen, würde ich mir große Sorgen darum machen, was mit Euch geschieht.“
„Ich wünsche Euch viel Glück, Wolf. Denkt ab und zu an mich“, bat sie mit Tränen in den Augen.
„Kathi, ich werde nicht ruhen, bis du an meiner Seite vor dem Traualtar stehst“, bekräftigte er. Sie liebkoste ihn sanft. Es löste ein unwiderstehliches Verlangen bei beiden aus.
„Wolf, ich liebe dich“, flüsterte sie. Er richtete sich auf und umarmte die sanfte junge Frau.
„Ich liebe dich seit dem Festabend bei deinem Vater“, gestand er ebenso leise. Er strich ihr zart über das Gesicht und vergewisserte sich mit einem scheelen Blick zur Kellertür, dass niemand bei ihnen war. Dann zog er sie an sich und küsste sie.
Die letzte Barriere war niedergerissen, es gab kein Halten mehr. Sie liebten sich auf seinem Strohlager. Nach der Liebe mit Katharina war Wolf sicher, sogar Spießrutenlaufen klaglos zu ertragen. Sie gab ihm viel Kraft. Katharina wiederum gewann die Hoffnung, eines Tages von Seppensen frei zu sein. Schließlich machte sie sich aus seinen Armen frei, in denen sie noch eine Weile träumend geruht hatte.
„Ich muss gehen, Wolf.“
Er nickte und ließ sie los.
„Geh nur“, sagte er leise und küsste sie leicht auf die Wange.
A A A
Kapitel 10
Flucht
Am folgenden Tag kamen zehn Soldaten der Stadtwache, um den Gefangenen abzuholen. Sie hatten schwere Ketten mit, die den Spion fesseln sollten.
„Habt Ihr solche Angst vor mir? Zehn Mann Bewachung, hundert Pfund Eisenketten?“, spottete Wolf.
„Wir möchten sichergehen, dass Ihr Euch nicht zu dünn macht“, entgegnete der Kommandeur der Truppe. „Wie fühlt Ihr Euch?“
„Ich lebe noch – trotz der Folter. Das ist alles“, versetzte Wolf eisig. Zwei der Wächter legten ihm Hand- und Fußfesseln an.
„Übermorgen wird der Bürgermeister mit der Delegation zurück sein und in vier Tagen geht Ihr unter die Haselruten, Spion. Los, vorwärts!“
Ein Wächter stieß Wolf grob voran, aber er blieb wie angewurzelt stehen, griff sich den Mann und schüttelte ihn einmal durch, ehe die anderen reagierten.
„Höre, Soldat! Ich bin willens, mit Euch zu kommen, also hört auf, mich zu stoßen!“, herrschte er den verdutzten Posten an, stellte ihn wieder auf die Füße und ging mit entschlossen wirkenden Schritten hinaus, soweit die Fußfesseln dies zuließen.
Oben am Hauseingang stand Katharina. Wolf verbeugte sich höflich.
„Ihr wart eine gute Wärterin, Frau Seppensen. Ich danke für die Behandlung und hoffe, dass ich Euch nicht zu sehr belastet habe.“
Sie sah ihn mit erzwungener Kühle an.
„Es geht, Spion. Bildet Euch auf die Behandlung nichts ein. Ihr seid ein Gefangener wie andere auch!“, erwiderte sie. Nur Wolf verstand die tatsächliche Bedeutung ihrer Worte. Er verbeugte sich noch einmal und ließ sich dann abführen.
Die zehn Stadtsoldaten brachten Wolf in einer Art Triumphzug durch die ganze Stadt zum Gefängnisturm, der eigentlich nur eine halbe Meile vom Speicherhaus entfernt war. Die Bürger der Stadt säumten die Straßen, manche pöbelten, manche warfen sogar Steine nach dem gefangenen kaiserlichen Soldaten. Wolf gab sich alle Mühe, trotz der schweren Ketten aufrecht zu gehen. Bei vielen Bürgern löste seine Haltung eine gewisse Bewunderung aus. Einer von denen war ein großer Kerl, den Wolf schon einmal gesehen hatte. Er gehörte zum Seppensen’schen Haushalt.
In der Zelle im Gefängnisturm nahm ihn Richter Jacobsen in Empfang.
„Ich sehe, Ihr habt Euch gut erholt, Herr von Steinburg“, begrüßte der Richter den Gefangenen.
„Es war nicht einfach, die Folgen Eurer Fragen zu überwinden, zumal Frau Seppensen nicht eben begeistert war, einem Papisten das Fell zu flicken“, log Wolf. Er wollte Katharina über jeden Verdacht erhaben wissen.
„Man sagt, sie habe sich gut um Euch gekümmert“, erwiderte Jacobsen.
„Ihr hattet sie dazu verpflichtet, wie sie mir sagte. Gern hat sie es nicht getan, aber ich habe ihr offenbar so schlimm die Ohren vollgejammert, dass sie sich schließlich doch meiner Verletzungen erbarmt hat“, versetze Wolf. Das war nur halb geschwindelt. Der Richter grinste kalt.
„Es wird meinen Leuten und der Stadtwache ein umso größeres Vergnügen sein, Euch zu richten. Seid gewiss, dass das noch schmerzhafter wird als unsere Unterhaltung neulich“, sagte er.
„Und? Was wollt Ihr noch?“, fragte Wolf beinahe herausfordernd.
„Der Zweck meines Besuches ist erfüllt. Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass Ihr stark genug seid, um uns eine gute Hinrichtung zu gewährleisten. Nach Eurem letzten Wunsch wird man Euch am Abend vor der Hinrichtung befragen, wenn der Bürgermeister Euer Todesurteil unterschrieben hat.“
„Soll ich hier in Ketten sitzen bleiben?“
„Nein, das ist nicht nötig“, erwiderte Jacobsen und winkte einem Wächter, der die Ketten aufschloss und sie Wolf abnahm. Unwillkürlich rieb sich der junge Mann die Handgelenke.
„Übrigens: Euer schönes Rapier hat einen Ehrenplatz im Sitzungssaal des Rathauses gefunden“, bemerkte der Richter.
„Aha“
„Ja, es hängt bei den anderen Beutewaffen, die wir schon kaiserlichen Spionen abgenommen haben.“
„Ganz oder zerbrochen?“
„Es wird zerbrochen, wenn das Urteil vollstreckt ist.“
„Lasst es bleiben, Herr Jacobsen. Es ist eine zu gute Klinge, um sie wegzuwerfen“, warnte Wolf.
„So ist es in Dreibeck Tradition, so wird es weitergeführt“, entgegnete Jacobsen mit gewisser Schärfe.
„Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, ich käme von hier weg. Was würde mit dem Rapier geschehen?“
„Es würde im Ratssaal hängen bleiben, bis wir Euch wieder eingefangen hätten. Aber macht Euch darum keine Gedanken. Von hier ist noch keiner entkommen.“
„War auch nur eine Frage“, grinste Wolf. Jacobsen verließ die Zelle, die hinter ihm mehrfach verriegelt wurde.
Wolf wartete keinen Augenblick länger, als bis er sich überzeugt hatte, dass der Gang vor seiner Zelle leer war. Er suchte die Zelle ab und fand sein Essgeschirr, zu dem auch ein Blechlöffel gehörte.
‚Himmel, sind die hier bescheuert!’, dachte er, als er probeweise damit am Mörtel des Gitterfensters kratzte. Es dauerte nicht lange, da hatte er eine Gitterstrebe freigekratzt, so weich und brüchig war der Zement in dem alten Gemäuer. Aber noch war Tageslicht. Er wollte bei Einbruch der Dunkelheit fliehen.
Als der Tag sich neigte und die Dämmerung einsetzte, wurde die Tür aufgeschlossen. Wolf setzte sich in das Fenster. Die Mörtelspuren hatte er mit Hilfe der alten Wolldecke, die ihm als Zudeck dienen sollte, beseitigt. Der große Mann, den er mit dem Haushalt des Kaufmanns Seppensen in Verbindung gebracht hatte, kam mit einer Schüssel herein.
„Euer Abendessen, Spion“, sagte er laut. Der Gefangene stutzte. Es war deutlich zu laut, wie der Mann sprach. Er trat zu ihm.
„Frau Seppensen schickt mich“, flüsterte er. „Sie schickt Euch dies hier“, sagte er leise und hob das Tuch an, unter dem sich zwei Scheiben frisches Brot befanden – und darunter ein kleiner Dolch.
„Sie bittet Euch, bald wiederzukommen – in Frieden“, setzte der Mann hinzu.
Wolf war nicht sicher, ob nicht jemand Katharina eine Falle stellen wollte. Sie hätte ihm am gestrigen Abend, als sie immerhin zwei schöne Stunden bei ihm gewesen war, sicher einen Hinweis gegeben, wenn sie ihm beim Ausbruch behilflich sein wollte.
„Frau Seppensen würde sich nicht für einen zum Tode verurteilten Spion in Gefahr bringen. Sie dürfte mich mit jeder Faser ihres Herzens hassen, Soldat.“
Der Mann lächelte freundlich.
„Ich bin Hans, der Hufschmied des Herrn Seppensen, Herr von Steinburg. Wir alle, einschließlich unserer Herrin, hassen diesen Mann. Als sie gestern von Euch kam, hat sie die Diener zusammengerufen und einen Freiwilligen gesucht, der Euch beim Ausbruch von hier hilft. Sie liebt Euch sehr.“
„Ihr lügt.“
„Wenn Ihr ausbrecht, seid vorsichtig mit den Wachen auf dem Turmgang. Sie sind gut bewaffnet. Ich werde einen Radau in der Kneipe gegenüber dem Turm veranstalten, um die Wachen abzulenken.“
„Ich glaube Euch kein Wort“, versetzte Wolf und hoffte gleichzeitig, dass der Mann die Wahrheit sagte.
„Ihr werdet sehen“, lächelte Hans und ging fort. Gleich darauf wurde die Kerkertür wieder fest verrammelt.
Wolf steckte das Brot und den Dolch ein, prüfte nochmals den Gang vor seiner Zelle, fand den Gang leer und vollendete sein Werk am Fenster. Dann entfernte er die Stange, schob sich leise durch den Spalt, setzte die Stange von außen wieder ein und sprang auf den Turmgang hinunter. Niemand war zu sehen. Wolf drückte sich in den Schatten, den der Vollmond warf und sah sich zunächst um. Bis zur Stadtmauer war es weit. Er musste fast ans andere Ende der Stadt, also brauchte er eine Tarnung. Er hörte einen Wächter kommen und drückte sich noch tiefer in den Mauerschatten. Der Mann machte den Fehler, direkt vor der Nische stehen zu bleiben, in der Wolf sich versteckt hatte. Wolf schlich sich an, packte ihn mit der Linken von hinten, hielt ihm den Mund zu und rammte ihm den Dolch von hinten in die Rippen. Der Wächter bäumte sich noch einmal auf und sackte dann leblos zusammen. Wolf nahm ihm Koller, Hut und Rapier ab und eilte die nächste Treppe hinunter in die Stadt.
Im selben Moment gab es in der Kneipe gegenüber vom Gefängnisturm einen Krawall.
„Dich werd‘ ich lehren, meinen lieben Herrn Seppensen zu beschimpfen!“, brüllte eine Stimme. Die Tür wurde aufgestoßen und ein Mann flog im hohen Bogen heraus. Hans, der Schmied kam hinterher und drosch – anscheinend mit voller Wucht – auf einen anderen Mann ein. Die Posten am Turm wurden aufmerksam, und Wolf nutzte die Chance, um zwischen sich und den Turm möglichst viel Raum zu bringen. Schließlich erreichte er die Stadtmauer, prüfte Anzahl und Stellung der Wachen und der Kanonen, als er ein gutes Versteck unter dem Südostturm gefunden hatte, wo er wohl sehen konnte, aber nicht gesehen wurde. Wolf prägte sich die Gegebenheiten ein und schwang sich dann beherzt in den Efeu, der die Mauer hochrankte. Unten eilte er zu einem Gebüsch und wartete zunächst. Ein ahnungsloser Dreibecker Reiter, der an der Mauer vorbeitrabte, bekam etwas Hartes an den Kopf und fiel aus dem Sattel. Wolf sprang gleich hinzu und verschnürte den Reiter, den er mit einem gezielten Steinwurf außer Gefecht gesetzt hatte, wie ein Paket und ließ ihn im Gebüsch liegen, als er eilig davon galoppierte.
A A A
Kapitel 11
Rückkehr
Thomas von Altenburg war mehr als nur beunruhigt, dass Wolf noch nicht aus Dreibeck zurückgekehrt war. Er hatte nur bis zum Morgengrauen bleiben wollen, wäre also etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang wieder im Lager gewesen. Als er am Abend noch immer nicht zurück war, suchte Thomas Wallenstein auf.
„Was wollt Ihr, Altenburg?“, fragte der ungehalten.
„Euer Liebden, Kundschafter von Steinburg ist noch nicht zurückgekehrt.“
„Ist Euch das auch schon aufgefallen?“, erwiderte der Oberst bissig.
„Ich möchte ihn suchen, Euer Liebden.“
„Seid Ihr verrückt?“, fuhr Wallenstein Thomas an. „Steinburg hat gewusst, in welche Gefahr er sich begibt. Wenn er bis jetzt nicht da ist, haben die Dreibecker ihn geschnappt. Und wenn sie ihn gefangen haben, ist er tot, weil er entweder die Folter nicht überlebt oder weil man ihn hingerichtet hat. Ein Suchkommando ist völlig überflüssig. Holt die Kundschafter zusammen. Ich brauche einen anderen, der Dreibeck ausspioniert“, wies der Oberst Von Altenburg an.
„Ich hoffe, Ihr findet jemanden“, erwiderte Thomas und wollte gehen.
„Hier geblieben! Ihr wolltet doch unbedingt mit!“, schnauzte Wallenstein.
„Wenn ich jetzt nach Dreibeck gehe, Herr Oberst, dann, um Leutnant von Steinburg zu finden“, versetzte Thomas eisig.
„Dann holt Buchenberg her! Der war genauso wild darauf.“
Thomas nickte.
„Darf ich gehen, Euer Liebden?“
„Seid Ihr noch nicht weg? Rapido!“, donnerte Wallenstein hinter ihm her.
Wenig später war Manfred von Buchenberg mit Von Altenburg im Zelt des Kommandeurs.
„Buchenberg, Ihr wolltet doch unbedingt in Dreibeck kundschaften. Leutnant von Steinburg ist nicht zurückgekehrt. Vermutlich wurde er gefangen genommen. Übernehmt Ihr seinen Auftrag.“
„Ich werde Euch bessere Informationen beschaffen als dieser Hinterwäldler Euch geben könnte“, versprach Buchenberg und verbeugte sich. Wallenstein entließ ihn und Thomas sah nur schäumend vor Wut hinterher.
Von Altenburgs Zorn legte sich, als Buchenberg am nächsten Morgen mit einer Beule am Kopf zurückkehrte und mitteilen musste, dass die Dreibecker ihn nicht mal über die Mauer gelassen hatten.
„Seit Steinburg sich hat schnappen lassen, scheinen sie besonders auf der Hut zu sein. Ich hab’ den Kerl im Verdacht, dass er uns verraten hat“, schloss Buchenberg seinen Bericht ab. Wallenstein sah ihn zornig an.
„Der Umstand, dass Ihr es nicht geschafft habt, einzudringen, heißt nicht, dass Leutnant von Steinburg ein Verräter ist. Das beweist mir erst. Zunächst sehe ich nur Eure Unfähigkeit, Euer Versprechen zu erfüllen. Ihr wolltet mir bessere Informationen beschaffen als Von Steinburg. Also? Wo sind sie?“
„Immerhin bin ich wieder da“, gab Buchenberg zu bedenken.
„Das nützt mir auch herzlich viel, Herr!“, brüllte Wallenstein. „Marsch! Zurück nach Dreibeck! Und kommt mir ja nicht ohne ein brauchbares Ergebnis zurück!“
Thomas, der mit im Zelt war, schüttelte den Kopf.
„Hört, Euer Liebden …“, sagte er.
„Was denn, Altenburg?“, fragte der Oberst unwirsch.
„Leutnant von Buchenberg könnte Recht haben, wenn er meint, dass die Dreibecker jetzt besonders auf der Hut sind. Ich beziehe das aber weniger auf einen möglichen Verrat durch Leutnant von Steinburg als einfach auf die Tatsache, dass sie mit Wolf einen kaiserlichen Spion geschnappt haben und jetzt eben eine Weile besser aufpassen, was sich an ihren Mauern tut. Vielleicht wäre es angeraten, einige Tage zu warten und es dann erneut zu probieren“, empfahl Von Altenburg ruhig. Wallenstein ließ sich davon überzeugen, zumal noch keine unmittelbare Notwendigkeit bestand, sich der Stadt Dreibeck zu bemächtigen, solange kein Entsatz für die Protestanten in Sicht war. Er beschloss, zwei Wochen abzuwarten.
Zwei Wochen später, gegen Mittag, ritt ein Mann in zerrissener Kleidung auf den Posten am Lagereingang zu. Der Posten hielt ihn mit vorgehaltener Hellebarde auf.
„Halt! Wer da?“
„Wolf von Steinburg!“, rief der abgerissene Reiter.
„Unmöglich!“, entfuhr es dem Wächter. „Wolf von Steinburg ist tot!“
„Ich fühle mich sehr lebendig!“, sagte Wolf und parierte das erbeutete Pferd direkt vor dem Wächter. „Los, bringt mich zum Oberst.“
„Sagt mir noch die letzte Parole vor Eurem Verschwinden“, forderte der Posten.
„Friedland“, erwiderte der junge Graf. Der Wächter war zufrieden und ließ Wolf passieren.
Wallensteins Sekretär Aldringen glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können, als der seit zwei Wochen vermisste Kundschafter vor ihm stand. Außer der abgerissenen Kleidung zierte den jungen Mann jetzt ein Bart, da er seit dem Tag seiner Gefangennahme nicht mehr rasiert war. Der Vollbart stand ihm gut – im Gegensatz zu dem zerfetzten Hemd.
„Steinburg! Ihr lebt! Mein Gott, wo wart Ihr solange?“, fragte er.
„Ich habe eine ausnehmend unangenehme Nacht in der Folterkammer und zwei Wochen Kerker hinter mir, Herr von Aldringen. Ist der Oberst zu sprechen?“, erwiderte Wolf. Aldringen nickte.
„Wartet, ich melde Euch“, sagte er und ging kurz fort. Unerwarteter weise kam der Sekretär nicht allein, sondern mit dem Grafen von Friedland zurück. Wallenstein maß Wolf mit gewisser Bewunderung.
„Wir hatten Euch tot geglaubt. Wo wart Ihr?“, fragte er grußlos.
„Einen guten Tag, Euer Liebden. Ich bin in die Stadt Dreibeck eingedrungen, wurde gefangen genommen und bin erfolgreich wieder ausgerissen.“
„Was habt Ihr feststellen können, Steinburg?“
„Herr von Aldringen, habt Ihr ein Stück Papier und etwas Zeichenkohle für mich?“, fragte der Kundschafter. Der Sekretär gab ihm die verlangten Sachen. Wolf zeichnete eine schematische Darstellung der Festung Dreibeck. Dann begann er seinen Bericht:
„Dreibeck verfügt über eine rundum laufende Stadtmauer, die etwa fünf Klafter* hoch ist. Die Mauerkrone hat eine Breite von einem Klafter. Die Stadt selbst bildet ein Quadrat, auch die Mauer hat gleichlange Seiten. In der Nordmauer finden sich zwei Tore, in den anderen je ein Tor. Die Ecken sind mit Türmen bewehrt, der nördliche Abschnitt der Mauer am westlichen Tor mit zwei zusätzlichen Türmen. Üblicherweise sind zwei Wächter auf jeder Seite der Mauer. Jede Mauerseite verfügt über fünf Schießscharten für Artillerie. Zurzeit waren aber nur zwei kleine Vierpfünder an der Südmauer. Auf den anderen Wehrgängen war keine Kanone zu entdecken. Das Pulvermagazin muss sich im Südostturm befinden. Die Mauern sind erheblich stärker, außerdem habe ich Spuren von losem Pulver um den Turm gefunden. Vermutlich lagern dort auch die restlichen Kanonen und kleinere Waffen. Die Soldaten sind schlecht bewaffnet und miserabel gekleidet – im Gegensatz zu den Bürgern. Nach den Gesprächen, die ich belauscht habe, glauben sie nicht, lange Widerstand leisten zu können. Aber ich konnte erfahren, dass Dreibeck eine Delegation zum Herzog von Lauenburg geschickt hat, um Unterstützung für die Stadt zu bekommen. Die Delegation ist gestern zurückgekehrt. Das Ergebnis des Besuchs kenne ich aber nicht. Leider konnte ich auch nicht feststellen, über wie viel Mundvorräte Dreibeck verfügt. Aber es gibt einige Lagerhäuser in der Stadt.“
Wallenstein nickte befriedigt.
„Gute Arbeit, Steinburg. Was ist mit Euch selbst? Ihr seht recht mitgenommen aus. Wo habt Ihr gesteckt?“, fragte er.
„Im Kerker. Sie haben mich leider entdeckt. Ich hoffe, dass sie an ihren Verteidigungsmaßnahmen nichts ändern, wenn sie merken, dass ich ausgerückt bin“, antwortete Wolf. Wallenstein sah ihn streng an.
„Habt Ihr etwa Euren Auftrag preisgegeben?“, fragte er scharf. Wolf öffnete sein zerfetztes Hemd, das er eng um den Körper gewickelt hatte.
„Ich habe der Folter nicht widerstanden, Euer Liebden. Wenn Ihr das für Verrat haltet, straft mich. Schlimmer kann das auch nicht sein“, gestand er ohne Zögern. Albrecht von Wallenstein begutachtete die Spuren der Folter.
„Nach Euren Verletzungen seid Ihr noch recht schweigsam gewesen. Ich kenne Leute, die haben sich nicht so zurichten lassen wie Ihr und haben geredet wie ein Wasserfall. Was habt Ihr denen noch erzählt?“
„Nur meinen Auftrag. Zum Glück kannte ich Eure Pläne nicht. Ich gestehe, ich hätte sie nicht für mich behalten können.“
„Ihr seid wenigstens ehrlich, Steinburg. Gut, bei künftigen Aufträgen für Euch werde ich Euch nur noch Dinge bekannt geben, die Ihr unbedingt wissen müsst, um Eure Mission zu erfüllen. Das ist kein persönliches Misstrauen gegen Euch, versteht das nicht falsch.“
„Nein, es wäre besser, wenn ich nicht allzu viel weiß“, erwiderte Wolf. Er war keineswegs beleidigt, von Plänen ausgeschlossen zu werden.
„Euer Liebden, ich hätte eine Bitte“, sagte Wolf nach einer kurzen Pause.
„Nur zu.“
„Falls wir Dreibeck angreifen, würde ich gern dabei sein.“
„Ihr seid Kundschafter, Steinburg“, erinnerte Aldringen.
„Schon, aber ich möchte dem Richter gern persönlich zeigen, was ich von seinen Verhörmethoden halte“, erwiderte Wolf.
„Ihr fühlt Euch stark genug? Eine Eurer Wunden ist noch nicht geheilt“, wunderte sich der Sekretär. „Ich stelle fest, dass die Verletzungen sonst gut behandelt wurden. Wie kommt das?“, fragte er dann forschend.
„Der Rat von Dreibeck hatte mich zum Spießrutenlaufen verurteilt. Man wollte, dass ich ausreichend Kraft habe, um die Gasse wenigstens einmal zu gehen. Deshalb hat man die Frau des Kaufmanns Seppensen, der einen Kellerraum als Kerkerzelle unterhält, verpflichtet, sich um mich zu kümmern. Die Dreibecker haben damit den Bock zum Gärtner gemacht, denn ich kenne Frau Seppensen gut. Sie ist die Tochter des Grafen von Braunsberg aus Stadtlohn. Sie hätte lieber mich als ihren doch sehr alten Mann geheiratet. Ich hatte nur das Pech, nicht besonders vermögend zu sein. Ihr könnt Euch denken, dass sie mich nicht gerade mit Widerwillen behandelt hat“, erklärte Wolf. Wallenstein sah ihn fragend an.
„Braunsberg ist Katholik und unterstützt die Liga sehr. Wie kommt er dazu, seine Tochter an einen erklärten Protestanten zu verheiraten?“, wunderte sich der Oberst.
„Ich kenne die Einzelheiten nicht genau, Euer Liebden, aber es könnte etwas mit dem Geschäft selbst zu tun haben. Darüber bin ich aber nicht genau unterrichtet“, antwortete Wolf zurückhaltend. „Ich hätte noch eine Bitte, Euer Liebden.“
Wallenstein machte eine auffordernde Handbewegung.
„Ich bitte Euch, Katharina Seppensen zu verschonen, wenn wir Dreibeck erobert haben“, bat Wolf. Wallenstein zuckte mit den Schultern.
„Leutnant von Steinburg, das liegt nicht an mir allein. Meine Soldaten haben mein unwiderrufliches Versprechen, dass die Frauen einer eroberten Stadt ihnen gehören. Wenn Euch diese Frau etwas bedeutet, dann schützt sie, so gut Ihr es vermögt. Katharina Seppensen wird dem gehören, der sie sich in Dreibeck holt“, gab der Friedländer hart zurück. Wolf konnte seine Abscheu über diesen Befehl kaum verbergen.
„Sagt, Euer Liebden, ist es schon vorgekommen, dass sich zwei Eurer Männer um eine Beute gestritten haben?“, fragte er dann.
„Durchaus“
„Wie entscheidet Ihr in solchen Fällen?“
„Das entscheide nicht ich, sondern ein Duell, das von den Streitenden ausgefochten wird“, antwortete Wallenstein. Wolf nickte. Wenn die Sachlage so war, standen seine Chancen nicht schlecht. Trotzdem wollte er versuchen, ins Speicherhaus zu kommen, um Kathrin und ihr treues Gesinde zu schützen, bevor jemand anders dort eindrang,
Mit Wolfs Feststellungen konnte Wallenstein die Einnahme Dreibecks planen. Den noch nicht vollständig genesenen Kundschafter wies er an, sich von seinem Leibarzt behandeln zu lassen, damit er beim Angriff gesund sei. Wolf stellte sich also bei Wallensteins Arzt vor, der ihn gründlich untersuchte und dann eine Kräuterabkochung zur weiteren Wundbehandlung verschrieb. Die erste Versorgung machte der Arzt gleich.
„Erstaunlich“, murmelte er beim Verbinden.
„Was meint Ihr, Herr Doktor?“
„Das ist eine scharfe Essenz. Eigentlich müsstet Ihr vor Schmerz schreien.“
„Natürlich brennt es wie Feuer, Doktor. Ich hatte nur angenommen, ich wäre jetzt überempfindlich und habe mir einen Schrei nur mühsam verkneifen können. Muss das sein? Frau Seppensen hatte eine sehr milde Salbe, die wirklich gut getan hat“, versetzte Wolf mit unterdrücktem Stöhnen.
„Nun, geheilt ist Eure Wunde nicht“, bemerkte der Arzt grinsend.
„Sie ist auch gerade zwei Wochen alt. Brandwunden brauchen ihre Zeit.“
„Es wird keine zwei weitere Wochen dauern und Ihr seid vollständig genesen. Ihr habt eine robuste Natur, Graf Steinburg. Kommt morgens nach dem Frühstück zu mir zur weiteren Behandlung.“
Als Wolf das Zelt des Arztes verließ, hoffte er nur, bald nach Dreibeck zurückzukommen, damit Katharina sich um seine Wunde kümmern konnte. Von diesem Quacksalber wollte er sich ungern traktieren lassen.
Die Kundschafter begrüßten Wolf herzlich und mit ehrlicher Wiedersehensfreude. Nur Buchenberg war wie üblich gegen ihn.
„Lässt sich wie ein Kaninchen fangen und braucht nur gekitzelt zu werden, um drauflos zu plaudern. Du bist ein Waschlappen, Steinburg!“, lachte Manfred Wolf aus, als der berichtet hatte.
„Hat jemand eine schöne Weidenrute da?“, fragte Wolf mit verhaltenem Zorn. „Dann haue ich Manfred gleich windelweich.“
Siegfried von Bravadur, ein Mann aus der Grafschaft Alvedra, bremste Wolf.
„Lass den Spinner spotten. Den hättest du erleben sollen, als er am Tag nach deiner Gefangennahme nach Dreibeck ’rein wollte! Manfred hat für drei gejammert und hatte nur eine Beule am Kopf!“, lachte er.
„Ach, sieh an!“, schnaufte Wolf.
„Ich habe jedenfalls meinen Auftrag nicht verraten und ich habe mich nicht wie ein Vogel fangen lassen!“, zischte Buchenberg.
„Schade, dass sie dich nicht geschnappt haben. Für das Vergnügen, dich auf der Streckbank zu sehen, hätte ich sogar noch eine Nacht in der Folterkammer in Kauf genommen“, versetzte Wolf kalt. Buchenberg sprang auf, Wolf kam gleichfalls hoch. Thomas von Altenburg und Siegfried von Bravadur konnten die Kampfhähne gerade noch festhalten, um eine handfeste Prügelei zu verhindern.
„Auseinander, ihr Narren!“, fauchte Thomas. „Ihr benehmt Euch wie Räuber, nicht wie Soldaten des Kaisers!“
Schon zwei Tage darauf wurde Wolf zu Wallenstein gerufen. Er ging gleich vom morgendlichen Arztbesuch zum Oberst, der ihm sein neues Kommando übergab.
„Ihr hattet darum gebeten, beim Angriff auf Dreibeck mitzumachen. Ich erfülle Euren Wunsch und gebe Euch ein Fähnlein* Fußsoldaten, Leutnant von Steinburg. Es wird Eure Aufgabe sein, die Mauern zu stürmen und das Tor zu öffnen. Ich weiß, ich kann mich auf Euch verlassen. Nur lasst Euch bitte nicht wieder gefangen nehmen.“
„Ich werde mich bemühen, Euer Gnaden.“
„Es sollte Euch ein Ansporn sein, dass Euer bisheriger Kamerad Buchenberg ebenfalls um ein Angriffskommando gebeten hat. Ich weiß, Ihr zwei könnt Euch nicht leiden. Ich halte die Konkurrenz zwischen Euch für eine treibende Kraft bei der Eroberung der Stadt“, ergänzte der Friedländer. Wolf nahm das zur Kenntnis. Buchenberg sollte besser nicht in seine Nähe kommen. Wallenstein ritt mit dem neuen Fähnleinführer zu dessen Truppe, um Wolf dort vorzustellen. Zur Verblüffung des jungen Grafen waren etwa hundertachtzig seiner dreihundert Leute aus einer der ehemals wenglischen Grafschaften.
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Kapitel 12
Kampf um Dreibeck
Am folgenden Tag formierte sich das kaiserliche Regiment Wallensteins zum Angriff auf Dreibeck. Wolfs Fähnlein sollte von Südosten her angreifen und hatte sich bereits vor dem Morgengrauen auf den Weg gemacht. Wolf führte seine Truppe in das Gebüsch, von wo aus er den Dreibecker Reiter niedergeschlagen hatte.
„Feldwebel!“, rief Wolf leise und winkte seinen Chefunteroffizier heran.
„Euer Gnaden?“
„Ich brauche die zehn besten Musketiere hier im Gebüsch, damit sie uns Deckung geben können“, sagte Wolf.
„Was habt Ihr vor, Euer Gnaden?“
Wolf wies auf die Mauer.
„Ich werde mit dreißig Leuten die Efeuranken hinaufgehen und versuchen, den Südostturm und die Südmauer zu besetzen. Die zehn Musketiere bleiben hier im Gebüsch und schießen auf alles, was sich oben auf der Mauer bewegt, solange wir noch nicht oben sind. Wenn wir uns oben festgesetzt haben, folgt Ihr uns über die Strickleitern, die wir hinunterwerfen. Wir werden dann versuchen, an das Tor zu kommen, um es für das nachrückende Regiment zu öffnen. Einer von uns dreihundert wird schon dorthin durchkommen“, erklärte er seinen Plan. Der Feldwebel nickte.
„Ich suche Euch die Leute aus, Euer Gnaden.“
„Für die, die mit mir die Mauer ’raufgehen, hätte ich gern Freiwillige, Feldwebel“, lächelte Wolf freundlich. Der Mann nickte erneut.
„Ich kann Euch versichern, dass alle Wengländer sofort mit Euch die Wand da hochgehen – ich auch.“
„Ihr werdet hübsch hier bleiben und das tun, was ich Euch gesagt habe“, erwiderte Wolf, immer noch lächelnd.
„Natürlich, Euer Gnaden“, bestätigte der Feldwebel.
„Gut, ruft die Männer zusammen.“
Die Truppe versammelte sich um ihren Leutnant. Er ermahnte sie, Plünderungen zu unterlassen, worüber sie zunächst murrten, dann aber versprachen, es diesmal nicht zu tun.
„Also – für Gott und Kaiser Ferdinand! Zum Angriff!“, kommandierte Wolf. Der Fahnenträger, seine dreißig Mann Vorhut und er selbst stürmten über den etwa zwanzig Klafter weiten, freien Platz bis zur Mauer. Die Verteidiger oben auf der Mauer versuchten die anstürmenden Kaiserlichen mit Musketenfeuer aufzuhalten, aber Wolfs Scharfschützen trieben die Dreibecker von der Wehrmauer zurück, so dass Wolf und seine Männer die Mauer vollzählig erreichen konnten. Mauerhaken flogen hinauf, griffen in die Schießscharten, an den daran hängenden Seilen hangelten sich die ersten Kaiserlichen zur Mauerkrone hinauf. Wolf und fünf weitere seiner Männer stiegen über die starken Efeuranken zum Südostturm.
Vom Turm aus versuchten einige gut geschützte Dreibecker, die Ranken abzureißen, aber es gelang ihnen nicht mehr. Die Kaiserlichen erreichten die Mauerkrone. Nun waren sie ohne den Feuerschutz der unten zurückgebliebenen Musketiere und gerieten dafür in den Beschuss der Stadtverteidiger. Eine Abteilung der Stadtwache stürmte von unten zur Mauerkrone hoch, in den engen Gassen gingen Musketiere und Arkebusiere in Stellung und feuerten auf die Eindringlinge, die auf dem Wehrgang kaum Deckung fanden. Die erste Salve aus der Stadt tötete vier von Wolfs Männern, sechs andere wurden verwundet. Die Kaiserlichen erwiderten das Feuer, so gut es ihnen möglich war. Wolf winkte dem Feldwebel, fünf seiner Leute sicherten die Mauerhaken, damit die Verstärkung nachrücken konnte.
„In den Turm!“, befahl Wolf. Mit einem Holzbalken, den sie vom Wehrgang abrissen, rammten drei seiner Männer unter dem Schutz der nachgestiegenen Musketiere die Tür zum Südostturm ein – und standen mitten im Pulvermagazin. Von der Galerie des Turmes fielen Schüsse. Einer von Wolfs Musketieren schoss zurück. Vom Luntenschloss seiner Muskete sprangen Funken auf einige Pulversäcke, die sofort Feuer fingen. Wolf scheuchte seine Leute zurück:
„’Raus hier! Gleich knallt ‘s!“
Er und seine Soldaten hatten den Turm gerade verlassen, als eine gewaltige Stichflamme in den Morgenhimmel schoss und der Südostturm in einer ungeheuren Explosion auseinanderbrach. Zwei der Kaiserlichen wurden noch von Mauerbrocken getroffen und schwer verletzt. Kaiserliche und Dreibecker warfen sich hin und warteten flach an den Boden gedrückt, dass der Hagel der Mauersteine aufhörte. Als sich die Staubwolken der Explosion verzogen, gähnte an der Stelle des Südostturmes ein riesiges Loch in der Stadtmauer. Die Dreibecker waren wie gelähmt vor Schreck, die Kaiserlichen fassten sich schneller. Wolf und fünfzig seiner Männer stürmten zum nahe gelegenen Südtor, rangen die wenigen dort verbliebenen Wächter in kurzem Kampf nieder und öffneten das Tor, durch das Wallensteins Regiment mit lautem Hurra-Geschrei einfiel. Die Verteidiger zogen sich zurück und suchten ihr Heil im Gassenkampf, aber sie waren den dreitausend Kaiserlichen, die in immer neuen Wellen durch das Südtor und die Mauerbresche in die Stadt strömten, zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen.
Wolf rief seine Soldaten zusammen, soweit eine Verständigung bei dem herrschenden Kampflärm möglich war. Er erteilte dem Feldwebel den Befehl, mit der Hälfte des Fähnleins zum Speicherhaus vorzudringen und es abzuriegeln. Er selbst ging mit der anderen Hälfte zunächst zum Rathaus. Er wollte sein Rapier wiederhaben. Das gute Stück hatte zu harte Verhandlungen gekostet, als dass er es den Dreibeckern kampflos überlassen wollte. Die Stadtwächter vor dem Rathaus fochten zwar entschlossen, aber Wolfs halbes Fähnlein trieb sie in das Gebäude hinein. Auf sämtlichen Fluren und Gängen des Rathauses wurde heftig gekämpft. Wolf kämpfte sich zum Ratssaal durch. Die Wachen wichen vor dem wütend fechtenden kaiserlichen Leutnant zurück.
Er erreichte den Ratssaal. Richtig, der Richter hatte nicht geschwindelt. Da hing sein Rapier mitsamt Scheide und Gurt! Wolf fand noch die Zeit, die Waffe kurz zu untersuchen. Sie war unbeschädigt. Er nahm das Rapier, das er dem Wächter bei seiner Flucht abgenommen hatte, von der Seite, warf sich den Gurt seiner eigenen Waffe über und hängte das Dreibecker Rapier an die Stelle. Er hatte wieder die vertraute Fechtwaffe in der Hand, als Kilian Jacobsen in den Saal stolperte.
„Ha! Jetzt geht‘ s dir an den Kragen, Spion!“, rief der Richter. Wolf zuckte herum und kreuzte fast im Reflex mit Jacobsen die Klingen.
„Interesse am Rapier?“, fragte Wolf spöttisch. „Dann kommt, Herr Jacobsen. Wir haben ein Hühnchen miteinander zu rupfen!“
Wolf machte einen Ausfall, dem Jacobsen nur knapp ausweichen konnte. Er griff seinerseits an, scheiterte aber an einer gekonnten Parade des Kaiserlichen. Die scharfen Klingen sirrten durch die Luft, die Fechter gingen über Stühle und Bänke. Der Richter war ein guter Fechter, aber gegen Wolf von Steinburg kamen schon die wenigsten an, wenn er nicht im Zorn focht. Jetzt hieb er voller Wut auf den Mann ein, der ihn in der Folterkammer verhört hatte. Jacobsen wurde an den Ratstisch gedrängt und konnte nicht mehr weiter ausweichen. Ein mit aller Kraft geführter Hieb seines Gegners riss seine Deckung auf, Wolf nutzte die Gelegenheit ohne Erbarmen und rammte dem Richter das Rapier in die Brust. Tödlich verwundet ging Jacobsen röchelnd zu Boden und verlor den Degen.
Wolf kniete neben ihm nieder.
„Eigentlich ist das zu gnädig für Euch. Ich hätte Euch gern noch ein paar Brandmarken verpasst“, bemerkte er. „Wie komme ich von hier am schnellsten ins Speicherhaus?“
„Ins … Spei… cher… haus?“, ächzte der Sterbende. „Was wollt Ihr dort?“
„Frau Seppensen, die Ihr so mit mir belastet habt, hat es nicht verdient, von zügelloser Soldateska angefallen zu werden. Ich will sie schützen“, gab Wolf zurück. Der Sterbende packte Wolf am Arm.
„Sagt mir noch: Habt … Ihr mir … damals … die Wahrheit gesagt?“, fragte er matt. Wolf nickte.
„Ihr habt ganze Arbeit geleistet“, versicherte er. „Wie komme ich dorthin?“, hakte er dann nach.
„Es gibt einen … Geheimgang … von hier. Drückt gegen … gegen das Bild dort … rechts an… der Wand. Der Gang dahinter… führt… direkt zum Speicherhaus.“
„Danke, Herr Jacobsen. Ich vergebe Euch. Der Herr schenke Euch die ewige Ruhe und leuchte Euch das ewige Licht.“
Jacobsens klammernder Griff ließ plötzlich nach, er war tot.
Wolf drückte ihm die brechenden Augen zu, sprang auf, rief nach seinem Korporal und warf sich gegen das Bild, das Jacobsen ihm gezeigt hatte. Das Bild drehte sich weg und gab einen Gang frei.
„Hennes! Vier Mann zu mir, ich gehe durch den Gang zum Speicherhaus! Räum‘ du mit dem Rest hier auf!“
„Ja, Herr Leutnant!“, rief der Korporal zurück.
Vier seiner Männer folgten dem Leutnant in den Gang. Sie kamen in der Kellerzelle heraus, die jetzt unverschlossen war. Vom Erdgeschoss dröhnte Kampflärm herunter. Wolf und seine vier Mann stürmten nach oben. Einige Wächter, die mehr zufällig am Speicherhaus waren, leisteten erbitterten Widerstand gegen Kaiserliche.
‚Mit einem Angriff aus dem Haus heraus haben sie nicht gerechnet, sonst hätten sie die Kellertür verschlossen‘, dachte der junge Graf.
„Ergebt Euch, Dreibecker!“, rief er. Seine Rechnung ging auf, denn die Stadtwachen gaben erschrocken auf. Die Kaiserlichen entwaffneten die Stadtwächter, die völlig überrascht waren, als sie bemerkten, dass nur vier Mann von hinten gekommen waren.
Wolf erkannte zu seinem Schrecken unter den Kaiserlichen Manfred von Buchenberg.
‚Wo sind Manfreds eigene Leute?‘, durchzuckte es ihn. Eilig zog er sich ins Haus zurück, um Katharina zu finden. Binnen Minuten war das Speicherhaus von kaiserlichen Soldaten überschwemmt. Wolf suchte fieberhaft, fand aber nur Seppensen selbst im Kontor hinter der Halle.
„Wo ist Kathrin?“, fragte er den alten Mann.
„In Sicherheit“, gab der zurück und hob die Arme, um sich zu decken.
„Es gibt in ganz Dreibeck keinen sicheren Platz, Seppensen! Ich will Kathrin schützen.“
„Das glaube ich nicht“, erwiderte der alte Kaufmann. „Ihr seid doch auch nur ein kaiserlicher Soldat! Ihr wollt sie vergewaltigen!“, erboste er sich.
„Es gibt welche, die wollen das“, entgegnete Wolf. „Kathrin hat mir sehr geholfen. Ich schulde ihr mein Leben, lieber Seppensen. Ihr wisst gar nicht, was für ein Juwel Ihr geheiratet habt.“
„Wie?“
Wolf wurde es zu viel. Er nahm den Alten beim Schlafittchen und setzte ihm das Rapier an die Kehle.
„Wo ist sie, verdammt noch mal?“, fragte er mit verhaltenem Zorn.
Bevor Seppensen zum Antworten kam, hörte Wolf Katharina rufen:
„Nein! Wolf!“
Der Ruf kam aus dem Speicherboden.
„Bleib wo du bist, Kathi!“, rief Wolf hinauf. „Ich tue ihm nichts!“, versprach er. Dann wandte er sich an Friedrich Seppensen:
„Ich hätte gern die Teilhaberurkunde, die Euch zum Partner von Graf Braunsberg macht.“
„So eine Urkunde existiert nicht“, behauptete der Kaufmann zitternd.
„Es muss sie geben, denn sonst hättet Ihr Braunsberg nicht sechzigtausend Taler Schulden erlassen und ihm noch weitere zwanzigtausend bar auf die Hand gegeben, um sein Teilhaber und Kathrins Ehemann zu werden! Ihr seht, ich bin informiert. ’Raus damit!“, knurrte Wolf.
„Was wollt Ihr damit?“
„Graf Braunsberg aus den Klauen Eurer Erpressung befreien“, antwortete Wolf grimmig. Seppensen tastete nach dem Sekretärschrank.
„Bitte, lasst mich los. Ihr bekommt die Papiere“, bat er mit zitternder Stimme.
Wolf gab ihn frei und schob das Rapier in die Scheide. Seppensen schloss den Sekretär auf und gab dem Grafen ein Pergament. Wolf überflog die Urkunde und schüttelte den Kopf.
„Das ist nur die Hälfte“, sagte er. Seppensen gab auf und händigte Wolf auch den zweiten Teil des Dokuments aus, der beide Teile sorgsam in seinem Lederkoller verstaute. Seppensen wurden die Knie weich, er ging zu Boden. Wolf fing ihn auf und setzte ihn auf einige Gewürzsäcke, die der Kaufmann als Warenproben im Kontor liegen hatte.
„Ruht Euch aus, Herr Seppensen“, empfahl der junge Mann freundlich.
Ein fürchterlicher Schrei aus dem Speicherboden schreckte ihn auf:
„Wolf! Hilfe!“
Er riss den Degen wieder aus der Scheide, stürmte zum Speicherboden hinauf und brach die Tür auf, als sie sich nicht öffnen ließ. Buchenberg war vor ihm dort eingedrungen und war dabei, sich über Katharina herzumachen. Sie lag unter ihm und wehrte sich verzweifelt. Wolf überlegte nicht lange, warf das Rapier beiseite, riss Buchenberg gewaltsam hoch und verpasste ihm einen rechten Schwinger, der den Mann in Richtung Tür zu Boden warf.
„Lass deine Pfoten von der Dame!“, fuhr Wolf ihn an. Buchenberg rappelte sich auf und wischte sich Blut aus dem Mundwinkel. Er hatte die Hose offen.
„Ich hab‘ sie erobert! Sie gehört mir!“, schrie Buchenberg und wollte wieder auf Katharina losgehen, aber Wolf fing ihn ab, boxte ihm grob in die Magengrube, verpasste ihm einen Pferdekuss auf die offen aus der Hose stehenden empfindsamen Körperteile und versetzte ihm dann eine Serie von Ohrfeigen, dass Manfred Hören und Sehen verging.
„Du wärst hier überhaupt nicht drin, wenn du dich nicht hinter meinen Männern hergeschlichen hättest! Raus hier, du Lump!“
Wolf drängte ihn aus dem Dachboden und warf ihn die Treppe hinunter. Buchenberg kollerte die steile Holzstiege hinunter und blieb am Treppenabsatz benommen liegen.
Von Steinburg kehrte in den Dachboden zurück, um sich um Katharina zu kümmern. Sie lag mit zerfetztem Kleid weinend auf den Dielen. Wolf hob sein Rapier auf, steckte es ein, kniete neben ihr nieder und strich ihr sanft durchs Haar.
„Kathrin“, sprach er sie leise an.
„Seppensen?“
„Nein, ich bin es. Wolf.“
„Was ist mit Seppensen?“, fragte sie, ohne sich umzudrehen.
„Er ist müde, aber er lebt. Ich habe ihm nichts getan“, erwiderte er leise. Katharina fand die Kraft, sich aufzurichten. Er umarmte sie sanft.
„Hab’ keine Angst, Kathi“, flüsterte er beruhigend in ihr zerzaustes Haar. Sie klammerte sich verzweifelt an ihm fest.
„Bitte, Wolf, tu uns nichts“, flehte sie unter Tränen.
„Nein, das werde ich nicht“, versprach er sanftmütig. Er hielt sie so sicher in seinen Armen, dass Katharina sich im Moment geschützt fühlte.
„Dieser andere Mann …“, setzte sie an und begann wieder zu weinen.
„Ich habe ihn hinausgeworfen. Hat er dir etwas getan, mein Liebling?“
Bitterlich weinend klammerte sie sich an ihm fest.
„Du bist zu spät gekommen!“, schluchzte sie. „Es war furchtbar!“
„Hat er …?“, fragte er entsetzt. Sie bebte vor Schauder und Schluchzen.
„Er war schon eine ganze Weile hier. Ich habe schon einmal nach dir gerufen, weil ich dich unten gehört hatte. Dann hat er mir den Mund so fest zugehalten. Ich konnte mich gegen ihn nicht wehren.“
„Oh, Gott, Kathrin!“, entfuhr es Wolf. Den jungen Mann packte das schiere Entsetzen. Wie viele Frauen wurden vergewaltigt, ohne dass jemand wie er helfen konnte?
„Er wird dich nicht mehr belästigen“, versprach er – ohne zu wissen, ob er das Versprechen halten konnte. Buchenberg würde eine schon eroberte Beute nicht ohne weiteres einem anderen überlassen.
Katharina brauchte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Wolf hob sie auf seine Arme, sie legte ihm die Arme um den Nacken und ließ sich von ihm tragen. Nichts und niemand hätte ihr im Augenblick mehr Geborgenheit geben können. Vorsichtig manövrierte er sich die steile Treppe hinunter. Buchenberg war nicht mehr am Stiegenfuß. Im Speicherhaus war Ruhe eingekehrt, gespenstische Ruhe. Er setzte sie ab und küsste sie leicht auf die Wange.
„Wo ist Seppensen?“, fragte sie besorgt.
„Im Kontor, auf seinen Pfeffersäcken“, antwortete er.
Sie eilte ihm voraus ins Kontor – und machte einen grausigen Fund: Seppensen lag mit durchschnittener Kehle auf den Probesäcken. Katharina schrie auf und drehte sich um, hinter ihr stand Wolf, der den Toten ungläubig und entsetzt ansah.
„Wolf! Wie konntest du so lügen? Wie konntest du das tun? Mörder!“, schrie sie und trommelte mit ihren kleinen Fäusten auf seine Brust. Er wurde bleich.
„Ich war es nicht Katharina! Er lebte, als ich zu dir hinaufging!“, rief er, aber sie schlug weiter zu. Seine noch nicht ganz verheilten Wunden schmerzten. Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie.
„Ich bin Soldat, aber kein Mörder! Seppensen war sehr alt und er war unbewaffnet. Das hätte ich nicht getan!“, rief er. Sie brach mit einem Weinkrampf zusammen. Er fing sie auf und hob sie wieder auf seine Arme, drückte sie sanft an sich.
„Kathrin, ich liebe dich“, flüsterte er vertraulich, „Ich möchte dich heiraten, aber ich wäre nicht auf die Idee gekommen, deinen Mann dafür zu morden.“
Sie schwieg und weinte nur noch. Auch Wolfs unmittelbare Nähe konnte sie nicht mehr trösten. Der Mord an Seppensen schien Katharina weiter als je zuvor von ihm zu entfernen.
Irgendwann war sie in seinem Arm eingeschlafen. Wolf trug sie ins Schlafzimmer hinauf und legte sie vorsichtig in eines der Betten. Eigentlich wollte er bei ihr bleiben, aber unten wurde es wieder laut.
„Leutnant von Steinburg? Seid Ihr noch hier?“, hörte er seinen Feldwebel rufen. Er erhob sich vorsichtig und ging leise hinunter.
„Könnt Ihr nicht noch lauter brüllen?“, knurrte er.
„Oberst von Wallenstein möchte Euch sprechen – wegen der Quartiere, Euer Gnaden“, sagte der Feldwebel. Wolf nickte.
„Wo sind eigentlich die Gesindeleute dieses Hauses?“, fragte er dann.
„Hinten im Hof.“
„Gebt sie frei. Sie sollen der Hausfrau helfen, hier wieder Ordnung zu schaffen“, wies er den Unteroffizier an.
„Herr, wollt Ihr hier Quartier beziehen?“, erkundigte sich sein Gegenüber.
„Ja“
„Ich wünsche es Euch, aber Leutnant von Buchenberg hat bereits Ansprüche angemeldet. Deshalb wollen Seine Gnaden Euch auch sprechen.“
„Sagt der Köchin, dass ihre Herrin ohnmächtig ist. Sie soll sich um sie kümmern. Ich gehe sofort zu Wallenstein, um die Ansprüche zu klären“, gab Wolf zurück und war im nächsten Moment auch schon zur Tür hinaus.
A A A
Kapitel 13
Quartiergerangel
Wolf kam gerade noch rechtzeitig, um seinen Oberst an einer zu schnellen Unterschrift unter den Beutebrief zu hindern.
„Ihr wolltet mich sprechen, Euer Liebden?“, platzte er in den Ratssaal. Wallenstein legte die Feder wieder weg. Buchenberg, der vor Wallensteins Schreibtisch stand, warf dem Rivalen einen vernichtenden Blick zu.
„Ihr seid noch nicht dran, Steinburg!“, zischte er. Wolf beachtete ihn nicht.
„Ihr hattet mich wegen des Speicherhauses rufen lassen, Herr Oberst?“
Wallenstein nickte.
„Hauptmann von Waldenfels hat mich informiert, Eure Leute hätten das Speicherhaus besetzt, dann kam Leutnant von Buchenberg und meldete Quartier dort an. Was habt Ihr dazu zu sagen, Steinburg?“
„Es stimmt, meine Leute waren in dem Haus. Herr von Buchenberg ist mit eingedrungen – ohne seine Männer – und hat sich über die Frau des Hauses hergemacht. Ich melde Quartier im Speicherhaus an, weil meine Leute zuerst drin waren und Herr von Buchenberg dort nichts mehr zu suchen hatte“, erklärte Wolf.
„Ist es die Frau, von der Ihr mir erzählt habt?“
„Ja“
„Ihr scheint beide ein Anrecht auf dieses Quartier zu haben. Herr von Buchenberg war an keine bestimmte Aufgabe gebunden, im Gegensatz zu Euch. Ihr habt beide tapfer gekämpft. Streitigkeiten dieser Art werden unter meinen Offizieren mit dem Degen geregelt. Ich setze dafür ein Duell an, das morgen Mittag auf dem Marktplatz stattfindet. Bis zur Entscheidung steht das Haus unter dem Schutz des Profos – und Ihr habt beide dort nichts zu suchen, bis geklärt ist, wem die Beute zusteht“, sagte Wallenstein. Er sah von einem zum anderen.
„Damit Ihr nicht in Versuchung geratet, Euch gleich vor der Tür wie die Wildkatzen anzufallen, werdet Ihr das Rathaus einzeln in Begleitung von je zwei Profosgardisten verlassen. Für heute Nacht ist Euer Platz eine Einzelzelle im Gefängnisturm. Das geschieht nicht zur Strafe, sondern um Euch von Dummheiten abzuhalten“, ergänzte der Oberst. „Profos!“
Der Profos trat ein.
„Euer Liebden?“, meldete er sich. Wallenstein machte eine ausladende Geste zu den beiden Soldaten, die vor ihm standen.
„Diese beiden Herren bekommen eine kommod eingerichtete Zelle im Gefängnisturm. Sie werden nicht eingesperrt, sondern lediglich getrennt. Sie können Besuche jeder Art in beliebiger Dauer empfangen, einschließlich Damenbesuch. Reicht ihnen ein gutes Nachtmahl, aber bewacht diese Kampfhähne gut, damit sie sich nicht vorzeitig und unkontrolliert zerfleischen“, wies der Oberst den Profos an.
„Jawohl, Euer Liebden.“
Der Profos drehte sich um und rief nach der Eskorte.
„Euer Liebden, könnte jemand im Speicherhaus Bescheid sagen, dass ich nicht komme?“, fragte Wolf.
„Die Frau erfährt früh genug, wem sie zu willen sein muss, Steinburg!“, knurrte Wallenstein. „Raus mit Euch!“
Auf dem Weg zum Gefängnisturm sah Wolf den Schmied Hans, der jemanden zu suchen schien. Er winkte ihm.
„Wartet bitte“, bat er die Wächter. Sie blieben tatsächlich stehen.
„Hans!“, rief er. Der Schmied reagierte schnell und eilte zu Wolf.
„Ihr seid es. Ich habe Euch schon gesucht. Frau Seppensen möchte Euch sprechen“, sagte Hans.
„Ich kann nicht kommen. Bestellt ihr bitte, ich käme heute nicht mehr heim, weil ich diese Nacht im Gefängnis verbringen darf. Wenn sie möchte und in der Lage ist, kann sie mich besuchen.“
„Im Gefängnis?“
„Ja.“
„Ich werde es ihr ausrichten“, versprach der Schmied. Einer der Wächter stupste Wolf.
„Können wir gehen?“
Wolf nickte schweigend und folgte den Profosgardisten in den Gefängnisturm.
Wenig später befand Wolf sich in der Zelle, aus der er wenige Tage zuvor ausgebrochen war. Der Gitterstab saß immer noch locker. Wenn er gewollt hätte, hätte er gleich wieder aussteigen können, um zum Speicherhaus zu gehen. Er unterließ es, um das Recht, das er auf die Beute hatte, nicht durch Ungehorsam zu verwirken. An der Tür knarrte der Schlüssel im Schloss. Ein Posten erschien.
„Ist Euch alles so recht, Euer Gnaden?“, fragte der Mann. Wolf sah sich um. Er hatte alles, was seiner Bequemlichkeit dienen konnte, einschließlich eines guten Bettes.
„Im Augenblick fällt mir nichts ein“, sagte er.
„Möchtet Ihr noch etwas essen?“
„Was habt Ihr zu bieten, Herr Gardist?“
„Lammkeule und Weizenbrot. Unser italienischer Koch hat sich alle Mühe gegeben, ein Mahl herzurichten, das dem Sieg von heute angemessen ist.“
„Wenn Ihr dazu noch einen Krug frisches Bier auftreiben könnt, wäre es wirklich ein Festmahl.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann, Euer Gnaden. Darf ich gehen?“
Wolf nickte und der Wächter verschloss die Tür wieder.
Einige Zeit später brachte der Wächter Wolf sein wohl reichhaltigstes Gefängnisessen. Wolf ließ sich Zeit damit. Es war lange her, seit er zuletzt wirklich in Ruhe und ohne Hast gegessen hatte. Er erinnerte sich daran, dass es beim Festbankett von Graf Braunsberg gewesen war, dass er zum letzten Mal ohne jeden Zeitdruck hatte essen können. Die Sonne schien in die oben im Turm liegende Zelle. Es war später Nachmittag und wärmendes Licht drang in den an sich kalten Kerker. Mit Lammkeule, Weizenbrot, Bier und rotgoldenem Sonnenlicht, wirkte sogar eine Kerkerzelle recht anheimelnd, fand Wolf. Schließlich war er gut gesättigt und klopfte an die Tür. Der Posten öffnete und nahm dem jungen Mann das Geschirr ab.
„Noch einen Wunsch, Euer Gnaden?“
„Eine Schüssel Wasser und Seife, wenn’s keine Umstände macht.“
Der Wächter besorgte auch das. Wolf wusch sich Hände und Gesicht, danach fühlte er sich beinahe zufrieden, wäre nicht seine Sorge um Katharina gewesen. Es war verrückt, sie ins Gefängnis zu bestellen! Was konnte einer Frau in einer vom Feind besetzten Stadt alles passieren! Er machte sich Vorwürfe, Hans überhaupt angesprochen zu haben.
Es mochte eine Stunde vergangen sein, seit der Wächter das Waschzeug gebracht hatte, da klopfte es an der Tür, dann quietschte wieder der Schlüssel in dem rostigen Schloss. Der diensthabende Posten ließ eine bleiche, verstört wirkende Katharina Seppensen ein und schloss wieder diskret die Tür.
„Wolf! Warum seid Ihr schon wieder eingesperrt?“, fragte sie verwirrt.
„Ich bin nicht eingesperrt, liebe Katharina. Aber – waren wir nicht schon mal beim Du? Ich möchte es gern dabei lassen“, erwiderte Wolf verblüfft.
„Bevor ich wieder vertraulich werde, möchte ich den Mord an Kaufmann Seppensen geklärt wissen“, versetzte Katharina kühl. Wolf zuckte mit den Schultern.
„Ich fürchte, das wird nicht zu klären sein. Es scheint keine Zeugen zu geben“, sagte er.
„Ihr habt ihn umgebracht, damit Ihr mich heiraten könnt!“, behauptete Katharina scharf.
„Nein“, widersprach der junge Mann. „Seppensen hatte mir die Geschäftsanteile Eures Vaters gegeben, als ich Euren Hilfeschrei hörte. Ich bin sofort nach oben gelaufen. Als ich die Wohnhalle verließ, war Seppensen unverletzt. Er war müde und erschöpft, wohl auch verängstigt vom Kampf, aber er war unverletzt und lebte. Ich schwöre es“, sagte er und hob die rechte Hand zum Schwur. Katharina war im Zweifel.
„Ihr hattet Grund, ihn zu töten“, bohrte sie weiter. Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich habe Euch gesagt, dass ich Euch liebe, dass ich Euch heiraten will. Aber ich hätte die Geduld gehabt, auf das natürliche Ableben des alten Herrn zu warten. Mag sein, dass ich in Euren Augen nur ein Söldner bin; aber nicht jeder Soldat ist ein Säufer, Hurenbock und Lump. Seppensens Tod war ohne Zweifel ein eiskalter Mord. Mord in dieser Form bleibt Mord – auch unter den Bedingungen, die die Eroberung einer Stadt mit sich bringt. Ich bin Katholik, Katharina. Mord ist und bleibt eine Todsünde für mich. Ich schwöre, ich habe Seppensen nicht getötet.“
Er sank auf die Knie, wieder die rechte Hand zum Schwur hebend.
Bei ihr waren noch nicht alle Zweifel ausgeräumt.
„Wenn man Euch des Mordes nicht beschuldigt, warum seid Ihr dann im Gefängnis?“, fragte sie. Wolf seufzte schwer.
„Kathrin, es fällt mir nicht leicht, Euch zu sagen, was sich morgen entscheidet.“
„Wessen klagt man Euch an? Dass Ihr wegen der grausamen Folter geredet habt?“, hakte sie weiter nach.
„Es gibt keine Anklage. Ich bin nicht eingesperrt.“
„Aber …“
„Jetzt haltet bitte für fünf Minuten Euer süßes Schnäbelchen und hört mir bitte zu“, sagte Wolf leise und legte der jungen Witwe sanft die Hand auf die rosigen Lippen, die ihn so sehr zum Küssen reizten.
„In den Söldnerheeren gibt es ein Beutegesetz, dass für die Besiegten alles andere als schön ist. Wer eine Beute gemacht hat, dem steht sie zu – gleich, ob es Wertsachen, ein Haus, Geräte oder Gesinde und Frauen sind“, erklärte er. Katharinas Augen weiteten sich vor Schreck.
„Bitte?“, keuchte sie.
„Manfred von Buchenberg, der Lump, der Euch Gewalt antat, beansprucht das Speicherhaus mitsamt Inhalt – also auch Euch. Weil meine Leute es waren, die das Speicherhaus erobert haben und ich ihm Euch nur über meine Leiche überlassen werde, habe ich ebenfalls Ansprüche angemeldet. Buchenberg und ich werden uns morgen Mittag auf dem Marktplatz duellieren. Wir hassen uns abgrundtief. Deshalb hat Wallenstein verfügt, dass wir für diese Nacht sauber getrennt sein sollen und hat uns als Quartier eine gut eingerichtete Zelle zugewiesen“, fuhr er fort. Katharina wurde noch bleicher.
„Mit anderen Worten: Ich werde Eigentum desjenigen, der das Duell gewinnt“, stellte Katharina ernüchtert fest.
„So ist es“, bestätigte Wolf.
„Und Ihr spracht von Liebe!“, fauchte sie und wollte davon stürmen.
Er hielt sie sanft, aber unnachgiebig am Arm fest.
„Kathrin, bitte, lauft nicht weg“, bat er. „Das, was Ihr mutmaßt, trifft sicher zu, wenn Buchenberg das Duell gewinnt. Wenn ich gewinne, seid Ihr frei. Kathrin, ich liebe Euch. Es ist nicht meine Absicht, Euch zu knechten oder zu Dingen zu zwingen, die Ihr nicht wollt. Wenn ich gewinne, mögt Ihr Euch frei entscheiden, ob Ihr dann ein Gemach mit mir teilen wollt oder nicht. Nur um ein Dach über dem Kopf für mich kommt Ihr nicht herum. Wenn Ihr Euch gegen mich entscheidet, dann werde ich Euch in Ruhe lassen und im Frühjahr mit dem Regiment aufbrechen und Ihr hört nie wieder etwas von mir – so schwer mir das auch fallen wird“, versprach er.
„Wolf, ich bin so verwirrt“, sagte Katharina mit Tränen in den Augen. „Ich habe Euch in den letzten Tagen sehr vermisst und gleichzeitig habe ich gefürchtet, dass Ihr zurückkehrt.“
„Warum? Was habe ich Euch getan?“
„Nicht Ihr selbst, Euer Beruf macht mir Angst.“
„Mein Beruf macht mich nicht zum Teufel in Menschengestalt. Wenn ich getötet habe, geschah es im Kampf. Ich habe noch nie eine Frau vergewaltigt, und ich habe nicht vor, ausgerechnet bei der Frau damit anzufangen, die ich von Herzen liebe. Ich habe noch nie einem Bauern die letzten Brotkrümel oder sein Geld weggenommen, sonst wäre ich nicht so arm wie ich bin. Soldat bin ich nicht aus Gewinnsucht, sondern weil alle meine Vorfahren Ritter – oder später – Soldaten waren. Bisher habe ich mich bemüht, nach dem Ehrenkodex meiner Ahnen zu leben. Darin heißt es, Frauen zu ehren und zu respektieren, Waffenlose nie mit der Waffe anzugreifen und nie zu stehlen. Kathrin, ich begehre Euch, ja; das streite ich nicht ab. Aber ich liebe Euch und würde Euch nie zu etwas zwingen, was Ihr nicht wollt. Bitte, glaubt mir das.“
„Gebt mir etwas Zeit, Wolf“, bat sie leise. Er nickte.
„Ich bitte Euch nur um eines: Gebt mir ein kleines Zeichen Eurer Huld, damit ich weiß, wofür ich morgen kämpfe“, sagte er ebenso leise.
In Katharinas Gesicht spiegelten sich noch immer Zweifel. Einen langen Augenblick kämpfte sie mit sich, das war deutlich. Dann legte sie sanft ihre Hände an sein Gesicht, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn.
„Solltet Ihr morgen im Duell fallen, werde ich Euch folgen, Wolf.“
Er nahm zärtlich ihre schmalen Hände.
„Diesen Gedanken solltet Ihr schleunigst verwerfen, meine Liebste“, erwiderte er leise.
„Ich habe Vertrauen zu Euch, Wolf. Ich habe es wieder gefunden. Aber diesem anderen Mann, nein, dem werde ich mich nicht ausliefern.“
„Dann bete für mich, Kathi“, bat er vertraulich. Sie nickte schweigend und küsste ihn wieder. War der erste Kuss noch zaghaft und scheu, war dieser ein zärtlicher, warmer, langer Kuss. Wolf umarmte die geliebte Frau und drückte sie fest an sich.
„Ich verspreche dir: Buchenberg wird mich töten müssen, um dich zu bekommen“, schwor er leise.
„Er wird mich nicht bekommen“, erwiderte Katharina leise. Die letzten Sonnenstrahlen fanden das junge Paar in enger, zärtlicher Umarmung leidenschaftlicher Liebe. Als sie sich sehr viel später verabschiedete, war jeder Zweifel und Verdacht, der sie gequält hatte, verschwunden.
Rein vorsorglich hatte Wolf um einen Priester gebeten, um zu beichten. Buchenberg verschmähte dieses Angebot. Er kämpfte zwar für den Kaiser, aber der Glaube bedeutete ihm nichts – jedenfalls nicht dieser Glaube. Er hatte nur einen unbändigen Hass auf Wolf, den er am folgenden Tag einzusetzen gedachte. Während Wolf in der Liebe mit Katharina Kraft suchte und fand, suchte Manfred jedes Gran seines unversöhnlichen Hasses zusammen.
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Kapitel 14
Hahnenkampf
So strahlend schön, wie sich der Tag verabschiedet hatte, so strahlend begann der Tag des Duells. Katharina erwachte ungewöhnlich früh, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Schlitze der Fensterläden fielen. Der Tag war wert, mit Liebe gekrönt zu werden. Die Stunden, die sie am Abend zuvor ungestört mit Wolf verbracht hatte, hatten ihren Entschluss bestärkt, wieder Katholikin zu werden. So war sie getauft und erzogen, so war ihr Glaube.
Sie stand auf, machte sich fertig und holte aus ihrer persönlichen Truhe von ganz unten ein kleines Schmuckkästchen, dessen Existenz Seppensen nicht einmal geahnt hatte. Es enthielt nur einen einzigen Gegenstand: Einen Rosenkranz. Dieser Gegenstand wies den Katholiken aus, weshalb die junge Frau ihn vor ihrem erzprotestantisch eingestellten Mann verborgen gehalten hatte. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn Seppensen die papistische Devotionalie entdeckt hätte. Katharina nahm ihn heraus, steckte ihn in eine Tasche ihres Kleides und suchte nach Hans.
Hans, der Schmied, war auch so etwas wie Katharinas Leibwächter geworden. Wie die Hausfrau selbst war auch Hans ein verkappter Katholik, der nur oberflächlich den lutherischen Glauben angenommen hatte. Sie bat ihn, sie zur Pfarrkirche zu begleiten, die Wallenstein gleich eine Stunde nach der Eroberung der Stadt für die Katholiken beschlagnahmt hatte und die nur eineinhalb Stunden nach dem Fall Dreibecks neu geweiht war.
Katharina bat dort einen der fünf Priester, die die Kirche nun betreuten, ihr die Beichte abzunehmen und sie in die heilige katholische Kirche aufzunehmen.
„Der Herr errettet seine verlorenen Schäfchen“, sagte der Priester. „Aber, liebe Tochter, sagt mir, was Euch überzeugt hat, zum wahren Glauben zurückzukehren.“
„Ich bin als Katholikin geboren, getauft und erzogen, Hochwürden. Umstände zwangen mich, Lutheranerin zu werden. Es reut mich, dass ich nicht widerstanden habe. Bitte, gewährt mir die Rückkehr.“
Der Priester erfüllte ihre Bitte. Katharina betete zum Dank den Glorreichen Rosenkranz. Dann verließ sie erleichtert die Kirche – mit dem ebenfalls rekonvertierten Hans; aber nicht, ohne vorher eine Kerze für den glücklichen Ausgang des bevorstehenden Duells zu stiften. Jetzt war sie mit Wolf im Glauben eins. Nichts wünschte sie sich mehr, als dass Wolf das Duell gewann und dass sie bald auch vor Gott mit dem jungen Grafen eins sein würde.
Die Mittagsstunde rückte näher. Wolf und Manfred bekamen ihre Waffen ausgehändigt und konnten – einzeln und wieder in Begleitung von Profosgardisten – das Gefängnis verlassen. Der Marktplatz war weiträumig abgesperrt, zahlreiche Schaulustige bevölkerten die umliegenden Gassen und den nicht geräumten Teil des Platzes. Zwei der Häuser am Markt waren bei den Kämpfen des gestrigen Tages ausgebrannt, aber in den anderen Häusern, die intakt waren, war kein Fenster unbesetzt. Die Profosleute bahnten sich rücksichtslos den Weg durch die Menge, die schon Wetten auf den Ausgang des Duells abschloss.
Ein Arm langte aus der Menge und hielt Wolfs rechten Ärmel fest. Er wollte schon aufbrausen, als er seinen Freund Thomas erkannte.
„Dass du mir ja gewinnst, Wolf!“, mahnte Thomas grinsend. „Ich habe richtiges Geld auf dich gewettet.“
„Mach’ dir darum keine Sorgen! Schreib’ es ab!“, erwiderte Wolf. Thomas drückte ihm aufmunternd die Schulter – und Wolf spürte einen stechenden Schmerz.
‚Guter Gott!’, durchzuckte es ihn. ‚Die Schulter ist noch nicht in Ordnung. Ich sollte nicht fechten’, dachte er. Aber gleich darauf verwarf er den Gedanken ärgerlich und über sich selbst erschrocken. Heute nicht zu fechten, bedeutete, dass Kathrin diesem Lümmel ausgeliefert war! Nein, er musste kämpfen! Thomas hatte die Reaktion nicht bemerkt.
„Ich beteilige dich am Gewinn!“, rief er noch hinter Wolf her, der schon weitergegangen war.
Der junge Graf betrachtete den Turnierplatz mit grimmiger Freude. Er war sicher, dass keiner von Buchenbergs Kumpanen ihm in den Rücken fallen konnte. Der Profos prüfte die Waffen. Die Kontrahenten waren nur mit den Rapieren bewaffnet. Der sonst übliche Linke-Hand-Dolch fehlte auf ausdrücklichen Befehl von Wallenstein.
Der Profos schickte die Duellanten auf ihre Plätze und gab nach formeller Begrüßung das Gefecht frei. Zunächst lieferten Wolf und Manfred sich ein ausgeglichenes Gefecht, bei dem keiner die Oberhand zu behalten schien. Beide waren ausgezeichnete Fechter, die schon manchen Kampf auf Leben und Tod mit dem Rapier siegreich bestanden hatten. Im hellen Sonnenlicht blinkten die rasiermesserscharfen Klingen, sirrten wie bösartige Insekten durch die Luft.
Eine Viertelstunde mochte in hitzigem Gefecht vergangen sein, als Wolf wieder Schmerzen in der Schulter spürte. Er versuchte, sie zu ignorieren; aber die Schmerzen zu unterdrücken und sich gleichzeitig auf das Gefecht konzentrieren, wollte ihm nicht vollständig gelingen. Buchenberg fand doch öfter eine Lücke in Wolfs Deckung, als dem lieb sein konnte. Ein Hieb zerfetzte Wolf den linken Hemdärmel und verletzte ihn leicht am Oberarm. Manfred kam näher, die Rapiere verkeilten sich ineinander. Im direkten Kräftevergleich schien Manfred der Stärkere zu sein. Wolf stemmte sich verzweifelt dagegen, aber der Schmerz in der noch nicht von der Verrenkung genesenen Schulter war zu stark. Er ging allmählich in die Knie.
Durch die Menge der Zuschauer ging ein Raunen, manchen stockte der Atem angesichts des Ringens auf dem Platz. Buchenberg grinste teuflisch.
„So ist’s recht. In die Knie, elender Wengländer!“
Trotz seines Unwohlseins wurde Wolf hellhörig.
„Wie kommst du ausgerechnet jetzt darauf, dass ich Wengländer bin?“, fragte er mit unterdrücktem Ächzen.
„Ein Wilzare wird nie vergessen, wer seine wahren Feinde sind. Das waren und bleiben Wengländer“, zischte Manfred und wollte Wolf ganz hinunter drücken. Aber wenn Buchenberg einen entscheidenden Fehler gemacht hatte, dann den, von Wilzaren und Wengländern zu sprechen.
Wolf wich plötzlich zur Seite aus, Buchenberg stolperte nach vorn, konnte den Stolperschritt zwar abfangen, aber der Steinburger war frei.
„Ah, von dem Berg weht der Wind!“, entfuhr es ihm. „Ich habe nie gewusst, weshalb du mich so hasst, Manfred von Buchenberg. Das ist die Erklärung!“
„Ist es dir etwa entgangen, dass in Wilzarien auch deutsch gesprochen wird und dass Wilzaris jetzt Buchenberg heißt?“, spottete Buchenberg. Wolf antwortete nicht. Er umkreiste Buchenberg lauernd und machte dann einen Panthersatz auf Buchenberg zu, griff ihn mit größerer Heftigkeit an als bisher in diesem Gefecht. Als Wengländer bezeichnet zu werden, wirkte geradezu stimulierend auf Wolf. Aller Schmerz war vergessen.
Manfred wurde nervös. Er hatte einen Trumpf ausgespielt, der keiner war. Jetzt hatte er sein Geheimnis verraten und musste sehen, dass der Gegner, den er schon fast am Boden gehabt hatte, wie ein Stehaufmännchen hochkam und ihn mit einer Macht attackierte, die er nach Wolfs Schwächeanfall nicht mehr vermutet hatte. Buchenberg wich zurück. Den Hagel von Hieben, den er jetzt abbekam, konnte er nicht mehr vollständig abwehren, so dass Wolf durch Manfreds Deckung drang und ihm kleinere Verletzungen beibrachte.
Aber auch Buchenberg gab nicht auf. Verbissen kämpfte er weiter, doch Wolf durchschaute seine Finten nun mit traumwandlerischer Sicherheit. Manfred ging weiter rückwärts, blieb schließlich an einem aus dem Straßenpflaster herausragenden Stein hängen und stürzte. Noch bevor er sich wegrollen konnte, war Wolf heran und trat ihm heftig auf die Waffenhand. Buchenberg ließ das Rapier mit einem schrillen Schrei los, das Wolf sofort mit dem Fuß in unerreichbare Entfernung stieß. Schwer atmend setzte er Manfred die scharfe Klingenspitze an die Kehle.
„Gibst du auf?“, fragte er keuchend.
„Ja“, ächzte sein Gegner, gleichfalls vor Anstrengung hechelnd. Wolf trat zurück und nahm die Waffe weg.
„Steh’ auf und erkläre dem Profos, dass du verloren hast.“
„Du wirst mich nicht angreifen?“
„Wilze! Ich bin Wengländer! Ein wenglischer Edelmann greift keinen Waffenlosen an!“, fauchte Wolf.
Buchenberg erhob sich hustend, immer mit einem vorsichtigen Blick auf Wolf und gestand vor dem Profos seine Niederlage ein.
Mit lauter Stimme erklärte der Profos Wolf zum Sieger im Duell mit der Folge, dass ihm das Speicherhaus samt Inhalt gehöre. Viele der Zuschauer jubelten laut über den Ausgang des Kampfes, obwohl sie die Kontrahenten gar nicht kannten und mehr auf gut Glück gewettet hatten. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung gratulierte der Profos dem jungen Grafen und übergab ihm den Beutebrief.
Die Formalitäten waren geregelt. Wie in Trance machte Wolf sich auf den Weg zum Speicherhaus. Er hörte nicht einmal Thomas’ Rufe nach ihm. Am Speicherhaus angekommen, klopfte er höflich an. Katharina öffnete ihm. Sie war bleich vor Sorge. Wortlos gab er ihr den Beutebrief, der ihn zum Herrn des Hauses machte. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie realisierte, was der Beutebrief bedeutete, dann umarmte sie ihn unter Freudentränen.
„Wolf!“, flüsterte sie tränenerstickt. „Ich hatte solche Angst um dich!“
Immer noch schweigend erwiderte er ihre Umarmung. Er hatte Tränen der Erschöpfung und des Glücks in den Augen. Zum Reden war er viel zu müde. Das hitzige Gefecht mit Buchenberg hatte zu viel Kraft gekostet. Manfreds Bemerkung hatte beinahe mehr Kraftreserven freigesetzt, als Wolf zur Verfügung gestanden hatten. Er war völlig ausgepumpt. Schweigend machte er sich sanft aus Katharinas Umarmung frei und stolperte ins Haus, erklomm mit schweren Schritten die Treppe ins Obergeschoss, fiel auf eines der Betten im Schlafzimmer und war im nächsten Moment in den tiefen Schlaf völliger Erschöpfung gefallen – vollständig angezogen und bewaffnet.
Katharina wollte ihm besorgt folgen und hatte gerade die Tür wieder geschlossen, als es abermals klopfte. Vorsichtig öffnete die junge Frau die Sichtklappe der Haustür und sah draußen einen jungen Mann stehen, der etwa in Wolfs Alter sein musste.
„Wer seid Ihr?“, fragte sie.
„Ich bin Thomas von Altenburg, ein Freund von Wolf.“
„Und was wollt Ihr?“
„Ist Wolf schon hier?“, fragte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.
„Ja, er ist da. Was wollt Ihr von ihm?“
„Ich habe etwas für ihn. Bei den Kampfwetten vorhin habe ich auf Wolf gesetzt und dank seiner grandiosen Fechtkunst viel Geld gewonnen. Er soll seinen Anteil haben“, erklärte Von Altenburg.
„Herr von Steinburg hat sich schlafen gelegt und ist jetzt nicht zu sprechen. Wollt Ihr es mir aushändigen, damit ich es ihm gebe?“
Thomas druckste. Er mochte einer Frau nicht ins Gesicht sagen, dass er ihr nicht traute. Bei Männern hatte er damit keine Schwierigkeiten.
„Sagt, seid Ihr die Frau, für die Wolf sein Leben riskiert hat?“, fragte er.
„Was meint Ihr, Herr von Altenburg?“
„Wolf hat mir erzählt, dass er sich für den Kundschafterdienst gemeldet hat, weil er eine Frau besuchen wollte, die er sehr liebt. Wenn Ihr diese Frau seid, schätzt Euch glücklich. So, wie ich Wolf kenne, würde er alles für Euch tun. Er ist ein treuer Freund, wie man keinen besseren finden kann. Wenn ich bedenke, wie oft er mir schon den Hals gerettet hat … Und ich gebe zu, dass ich ihn beneide. Ich bin selbst mit einer schönen Frau verheiratet, aber Ihr seid noch schöner. Bitte, gebt ihm diesen Beutel. Ich glaube, sein Inhalt wird Wolf sehr freuen“,
„Darf ich fragen, wie viel es ist?“
Thomas sah sich vorsichtig um. Als er niemanden auf der Straße entdecken konnte, beugte er sich vor und flüsterte geheimnisvoll:
„Zwanzigtausend Taler! Die Hälfte des Gewinns.“
Kathrin erschrak. So viel Geld hatte Wolf noch nie besessen!
„Dank Euch, Herr von Altenburg. Er wird es auf den Pfennig bekommen“, versprach sie. Er entschied sich, ihr zu vertrauen, reichte ihr den Beutel mit dem Gewinn durch das Guckfenster und sah sie eine Weile aufmerksam an.
„Verzeiht, meine Dame, darf ich Euch nach Eurem Namen fragen?“
„Katharina Seppensen, geborene Von Braunsberg“, gab sie zur Antwort.
„Ihr habt viel Ähnlichkeit mit einer Frau, die mir viel bedeutet. Seid Ihr irgendwie mit den Siebeneichs verwandt?“
„Sagt, wer soll das sein? Der Name sagt mir nichts“,
„Meine Mutter ist eine geborene Von Siebeneich. Ihr habt viel Ähnlichkeit mit ihr“, erwiderte er nachdenklich.
„Dann seid Ihr der Baron aus der Grafschaft Eichgau, von dem Wolf mir erzählt hat, vermute ich. Doch ich glaube, ich muss Euch enttäuschen. Mein Vater hat zwar einige Jahre in Eichgau gelebt, aber weder mein Vater noch meine Mutter stammen aus Eichgau. Wir sind aus Braunsberg in Preußen.“
„Schade. Es wäre mir eine Ehre gewesen, Euch zu meiner Verwandtschaft zu zählen“, seufzte Thomas. „Solltet Ihr die Frau sein, die mein Freund Wolf so verehrt, dass er dafür sogar Folter in Kauf genommen hat, und solltet Ihr ihn genauso mögen wie er Euch, wird Steinburg eine glückliche Grafschaft sein, Frau Katharina. Ich empfehle mich und wünsche einen guten Tag!“, sagte er, zog den federgeschmückten, breitrandigen Hut und machte einen eleganten Kratzfuß in der Art, wie er am Hofe König Ludwigs XIII. von Frankreich üblich war und zog sich rückwärts zurück. Katharina sah ihm nach.
‚Ein sympathischer Mensch. Ich kann verstehen, weshalb Wolf ihn so mag’, dachte sie und schloss das Guckfenster wieder.
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Kapitel 15
Ruhe nach dem Sturm
Mit dem schweren Beutel in der Hand stieg sie die Treppe hinauf und sah nach Wolf. Er schlief tief und fest.
„Hedwig?“, rief sie hinunter. „Hast du Wasser heiß?“
„Ja, Frau Seppensen!“, kam es aus der Küche.
„Bring‘ mir bitte eine Schüssel voll herauf. Auch Seife und Handtücher!“, wies Katharina die Köchin an. Hedwig kam aus der Küche und sah nach oben.
„Haben wir eine Geburt im Hause?“, fragte sie verblüfft.
„Nein, Graf Steinburg möchte sich gerne waschen“, erwiderte die junge Frau. Hedwig knickste höflich und kehrte in die Küche zurück, aber nur, um gleich darauf mit einer großen Schüssel voll heißem Wasser, einigen Handtüchern und einem großen Stück Seife wieder herauszukommen. Vorsichtig balancierte sie damit ins Obergeschoß. Katharina nahm ihr die Sachen vor der Schlafzimmertür ab.
„Danke, Hedwig. Du kannst gehen“, sagte sie.
„Braucht Ihr noch etwas?“
„Nein. Und ich möchte nicht gestört werden“, lächelte Kathrin.
Die Köchin knickste noch einmal und ließ die Hausfrau dann allein.
Katharina betrat leise das Schlafzimmer, schloss ebenso leise die Tür. Dann zog sie Wolf die durchgeschwitzten Kleider aus, wusch ihn und trocknete ihn sorgsam ab. Die Verletzung am linken Arm reinigte sie mit besonderer Sorgfalt, behandelte sie mit einer Salbe und verband sie vorsichtig, aber fest. Schließlich war sie fertig und stellte das Waschzeug beiseite, setzte sich wieder an das Bett, deckte den Schlafenden liebevoll zu. Ohne dass sie es bewusst wollte, begann sie, ihn zärtlich zu streicheln, verlor das Zeitgefühl. Schließlich wurde es langsam dunkel, aber sie bemerkte es kaum, weil ihre ganze Aufmerksamkeit dem erschöpft schlafenden Mann gehörte.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon bei ihm saß, als Wolf erwachte. Im trüben Licht eines kleinen Talglämpchens sah er sie neben sich sitzen. Eine Weile sah er sie nur schweigend an. Sie lächelte und strich ihm sanft über das Gesicht. Er nahm ihre Hand und drückte einen beinahe scheuen Kuss darauf.
„Kathi“, sagte er leise, „du bist frei.“
Sie schüttelte lächelnd und schweigend den Kopf.
„Nein, das bin ich nicht“, sagte sie schließlich. Er stützte sich auf den Unterarmen hoch.
„Ich hatte es dir versprochen: Du wirst frei sein. Ich habe das Duell gewonnen; nun bist du frei.“
Sie lächelte immer noch sanft. Ganz leicht zeichnete sie mit dem Zeigefinger die Narben auf seinem Leib nach, die noch immer verschorft waren. Die sachte Berührung seines kräftigen Körpers machte Lust auf mehr. Ihre Hände glitten in zärtlicher Liebkosung über seine Haut. Er ließ sich wohlig seufzend wieder in die Kissen sinken, ihre Zärtlichkeit sichtlich genießend.
„Du hast mir einmal gesagt, du wärst nicht frei, auch wenn du nicht eingekerkert wärst. Du wärst immer noch ein Gefangener meines Herzens. Es geht mir nicht anders. Mag sein, dass ich frei bin, weil der mir aufgezwungene Mann nicht mehr lebt, weil du mich nicht als deine Beute betrachten magst. Aber weil du ich liebst und ich dich liebe, bin ich nicht frei. Ich bin eine Gefangene deines Herzens – und das nicht einmal ungern“, sagte sie weich.
Er richtete sich auf und zog sie nahe an sich. Sie ließ es gern geschehen, rückte ganz nahe an seinen warmen Körper heran, streichelte ihn zart.
„Welche Tageszeit haben wir eigentlich?“, fragte er leise.
„Es ist längst dunkel. Du hast lange geschlafen, mein Liebling.“
„Willst du das Gemach mit mir teilen, Kathi?“, hörte sie seine Frage flüsternd an ihrem Ohr. Seine warmen Lippen berührten vorsichtig ihr Ohrläppchen.
„Ich tue es die ganze Zeit, seit du heute Nachmittag heimgekommen bist“, gab sie zärtlich zurück. „Es ist schön, dich sanft zu berühren“, setzte sie wispernd hinzu.
„Möchtest du, dass ich dich auch so berühre?“, fragte er flüsternd und küsste sie sanft auf die Wange.
„Ja“, erwiderte sie weich und wandte ihm den Mund zu. Sie küssten sich lange und voll zärtlicher Leidenschaft. Katharina kam Wolf entgegen, als er sie vorsichtig in die Kissen zog und langsam ihre Bluse aufschnürte …
Zärtliches Lieben, geflüsterte Liebesworte, wunderbare Zärtlichkeiten und innige Leidenschaft ließen das Paar alle Widrigkeiten der letzten Zeit vergessen. Sie gehörten einander. Niemand würde sie wieder voneinander trennen. Dicht aneinandergeschmiegt überließen sie sich schließlich einem erholsamen Schlaf.
Wolf erwachte, als eine Amsel vor dem Fenster laut zwitscherte. Katharina lag dicht an ihn gekuschelt, ihr warmer Atem streifte seine breite Brust. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, legte er den rechten Arm um sie.
Die morgendliche Stille im Haus, das Vogelkonzert im Garten unter dem hinteren Fenster, der Sonnenschein, der mit dem rötlichen Glanz des frühen Lichtes durch die Ritzen der vorderen Fensterläden fiel – das alles wirkte so friedlich, dass er beinahe vergaß, dass Dreibeck eine besetzte Stadt war, die erst zwei Tage zuvor unter Anwendung brutaler Gewalt für den Kaiser erobert worden war. Er hatte bekommen, was er wollte. Zwar hatte er dafür buchstäblich hart kämpfen müssen, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Katharina gehörte ihm offiziell – als sächliches Eigentum, als Leibeigene. So stand es im Beutebrief, so wollte es das brutale Kriegsrecht. Wolf hatte das zwar zur Kenntnis genommen, aber er hatte nicht vor, seine Rechte aus diesem Beutebrief wirklich geltend zu machen.
Katharina und er hatten sich in dieser Nacht zärtlich geliebt, er hatte sie nicht besessen, wie es sicher andere Beuteeigentümer mit ihren Beutefrauen gemacht hatten. Er betrachtete sich mehr als Schutzherrn des Speicherhauses und der Menschen, die darin lebten, insbesondere natürlich der Dame des Hauses, die er liebte. Nachdem er nun den Beutebrief hatte, würde keiner mehr wagen, ihm Katharina streitig zu machen.
Er überlegte, ob er nicht um Rückversetzung zu Tilly bitten sollte. Tillys Ligaheer – so fehlerhaft es manchmal sein mochte – lag ihm mehr, als der in der Eroberung so ungezügelte Haufen des Obersten Wallenstein. Wallenstein griff zwar hart durch, wenn seine Männer außerhalb einer eroberten Stadt plünderten und marodierten, aber er förderte solche Eskalationen, wenn es darum ging, einen eroberten Ort gefügig zu machen. Tilly hatte in dieser Hinsicht mehr Gewissensbisse. Außerdem verband Wolf und den alten General Tilly eine wirklich herzliche Freundschaft, die er zu dem unnahbaren Wallenstein nie würde aufbauen können. Katharina könnte zurück nach Stadtlohn oder – noch besser – nach Steinburg. Dort waren sie und ihr Gesinde sicher besser aufgehoben als im besetzten Dreibeck, das schon bald wieder den Besitzer wechseln konnte.
Vor allem wollte er sie so schnell wie möglich zu seiner Gräfin machen. Sie sollte sich nicht wie eine Hure vorkommen. Der einzige Wermutstropfen an diesem wundervollen Morgen waren seine schmerzenden Glieder. Ihm taten sämtliche Knochen und Muskeln weh.
Katharina erwachte langsam aus den wunderbaren Träumen der zärtlichen Liebesnacht. Neben sich spürte sie Wolfs Wärme. Ein tiefes Glücksgefühl erfasste die junge Frau. Sie hatte nicht nur geträumt! Ganz dicht kuschelte sie sich an den still daliegenden jungen Mann und streichelte ihn verliebt.
„Guten Morgen, Wolf“, sagte sie leise.
„Guten Morgen, Kathrin“, erwiderte er ebenso leise, drehte sich zu ihr und küsste sie. „Hast du gut geschlafen?“, fragte er mit verliebtem Lächeln. Sie nickte lächelnd.
„Und du?“
„Oh, ja“, antwortete er genießerisch.
„Und wie fühlst du dich heute Morgen?“
„Schrecklich! Mir tun sämtliche Knochen weh!“, klagte er. „Das war das härteste Duell, das ich jemals ausgefochten habe.“
„War es so schlimm?“, fragte Kathrin besorgt.
„Es hat nicht viel gefehlt und ich hätte verloren. Buchenberg hatte mich fast am Boden.“
„Oh Gott!“, entfuhr es ihr. „Was ist passiert?“
„Buchenberg ist ein grandioser Fechter, daran gibt es keinen Zweifel. Wir haben uns lange einen ausgeglichenen Kampf geliefert, bis ich meinen Fechtarm spürte. Ich glaube, ich habe die Schulterverletzung noch nicht ganz überstanden. Jedenfalls hatte ich höllische Schmerzen im rechten Arm. Buchenberg bemerkte meine Schwäche, verdoppelte seinen Einsatz, drückte mich in die Knie. Hätte er in dem Moment nicht von Wilzaren und Wengländern gesprochen, hätte er mich besiegt“, erklärte er.
Katharina packte ein Schauer, als er von dem knappen Ausgang berichtete. Allzu leicht hätte er verlieren können! Aber die Bemerkung von Wilzaren und Wengländern hatte sie noch nicht begriffen.
„Wilzaren und Wengländer? Was soll das mit dem Duell zu tun haben?“, wunderte sie sich.
„Vielleicht ist das schwer zu verstehen. Bei dem Fest deines Vaters sind wir ja recht grob unterbrochen worden, sonst hätte ich es dir vielleicht damals schon erzählt. Du weißt, dass ich der Graf von Steinburg bin“, sagte er und sah sie an. Sie nickte.
„Bis vor etwa dreihundert Jahren gehörte die Grafschaft Steinburg zum damals selbstständigen Königreich Wengland – und die Grafen von Steinburg waren die Könige dieses Reiches.“
Ihre Augen weiteten sich.
„Dann bist du eigentlich ein königlicher Prinz?“, fragte sie verwundert. Er schüttelte den Kopf.
„Leider nicht“, sagte er. „Denn das Königreich Wengland gibt es nicht mehr, seit die große Pest vor fast dreihundert Jahren wütete. Die Bevölkerung war größtenteils ausgerottet, das Reich zu schwach, um sich gegen den Kaiser zu wehren. So wurde Wengland in das Heilige Römische Reich eingegliedert und in seine dreizehn Grafschaften aufgelöst. Nein, ein königlicher Prinz bin ich nicht; nur ein armer Graf, mein Herz.
Wengland hatte einen Nachbarn, mit dem es ständig Reibereien gab, das Königreich Wilzarien. Soweit es sich in unseren Bibliotheken verfolgen lässt, ging Wilzarien kurz nach der Auflösung Wenglands in einem Krieg mit dem Reich unter, wurde in grober Weise christianisiert. Aber die alte Feindschaft mit Wengland hat den Untergang des wilzarischen Reiches überdauert. Manfred von Buchenberg ist der Nachkomme eines Wilzarengeschlechtes, möglicherweise sogar der Erbe des letzten Königshauses – so wie ich. Da war mir klar, weshalb er mir vom ersten Tag an spinnefeind war.
Als er im Gefecht äußerte, Wengländer seien und blieben die Feinde aller Wilzaren und auch noch hinzufügte er sei ein Nachkomme eines Wilzarengeschlechtes, da hatte er den entscheidenden Fehler begangen. Als Wengländer bezeichnet zu werden, setzte alle Kraftreserven frei, die ich hatte. Es ist mir jedenfalls gelungen, ihn zu besiegen. Wie viel Kraft mich das Gefecht gekostet hat, habe ich erst gemerkt, als ich wieder hier war und die Spannung nachließ. So erschöpft war ich meinen Lebtag noch nicht.“
Sie strich ihm sanft durchs Haar.
„Du hast kein einziges Wort gesagt, hast mich einfach umarmt, bist hier heraufgegangen, hast dich gestiefelt und gespornt ins Bett fallen lassen und bist sofort eingeschlafen. Du hast nicht mal bemerkt, dass …“
Sie bekam einen Anflug von Röte, als sie an den gestrigen Nachmittag dachte.
„So etwas habe ich noch nicht erlebt. Du solltest dich wirklich gut ausruhen“, beendete sie den Satz, ohne auf ihr Tun einzugehen. Es war unnötig, er hatte verstanden. Er hatte gewisse Liebkosungen also nicht nur geträumt! Er stützte sich hoch, beugte sich über sie und küsste sie. Sanfte Lippen erwiderten den Kuss.
„Kathrin, willst du meine Frau werden?“, fragte er, als er sich vorsichtig aus dem Kuss zurückzog.
„Geht das denn überhaupt? Ich bin eine Bürgerliche, noch dazu laut Beutebrief die Leibeigene des Herrn von Steinburg. Darf ein uradeliger Mann wie du so ein Nichts heiraten?“, erinnerte sie ihn. Wolf lächelte verliebt. Zärtlich spielte er mit einer Locke ihres offenen Haars, kitzelte sie sanft unter der Nase.
„Du bist weder eine Bürgerliche noch ein Nichts von Leibeigener, meine liebste Kathrin. Du bist eine geborene Komtesse, also adlig. Daran ändert deine Heirat mit Herrn Seppensen nichts. Davon abgesehen sind Ehen zwischen Adligen und Bürgerlichen nicht verboten und der Adlige geht seines Titels deshalb nicht verlustig. Leibeigene, mein Liebling, bist du nur wegen dieses dummen Beutebriefes, den ich brauchte, um dich aus den Klauen des Herrn von Buchenberg zu befreien. Ich habe nicht vor, das, was ich nach diesem dämlichen Pergament tun dürfte, wirklich auszuüben. Du bist frei. Ich habe es dir versprochen – und ich pflege meine Versprechen zu halten“, erwiderte er und küsste sie wieder.
Diesmal befreite sie sich ganz sanft aus dem Kuss.
„Sag’: Was dürftest du tun?“, fragte sie mit einem spitzbübischen Lächeln.
„Das willst du bestimmt nicht in Einzelheiten wissen“, wehrte er ab.
„Doch“, widersprach sie. Er seufzte.
„Du gehörst mir mit Haut und Haar. Wenn ich dir keine entsprechende Erlaubnis gebe, dürftest du nicht einmal das Bett verlassen, ich könnte dich sogar anketten, dich straflos schlagen, wenn du nicht willst wie ich. Ich könnte dich verkaufen, wenn es mir Spaß macht oder ich Geld brauche. Wäre ich verheiratet, wäre unser Tun von heute Nacht nicht einmal Ehebruch gewesen. Ich habe das Recht, dich an einen anderen auszuleihen, wenn ihn die Sehnsucht plagt, einschließlich des Rechtes, dafür Geld zu verlangen. Ich bin – laut Beutebrief – berechtigt, dich zu töten, wenn du mir zu viel wirst. Das gleiche gilt für dein Gesinde.
Ich brauche dieses Dokument nur, damit kein anderer kommt und behauptet, du wärst seine Beute. Was drin steht interessiert mich nur insoweit, als es mir das Recht gibt, jeden selbst zu strafen, der sich an dir, deinem Gesinde oder deinem Eigentum vergreift. Alles andere ist für meine Zwecke völlig unerheblich“, sagte er. Er nahm ihre rechte Hand und küsste sie sanft.
„Ich möchte – wenn du einverstanden bist – dass diese schmale, sanfte Hand ein hübscher Goldring ziert, in den mein Name eingraviert ist. Und ich verstehe einen solchen Ring nicht als Kette, sondern als gegenseitiges Versprechen, denn ich möchte das Gegenstück dazu tragen – mit deinem Namen darin“, setzte er hinzu.
Einen langen Augenblick sahen sie einander in die Augen, dann beugte er sich wieder zu ihr herunter und küsste sie, zuerst sacht, vorsichtig, zart liebkosend auf die weichen Lippen, die sich langsam öffneten. Der Kuss wurde intensiver, sie rückten ganz nahe zusammen, versanken in wonniger Liebe.
Es dauerte eine Weile, bis sie wieder zur Ruhe kamen.
„Ich hätte nur einen Wunsch, Kathrin“, sagte er nach einer ganzen Weile, die sie schweigend dagelegen hatten.
„Ja?“
„Mit wäre es lieber, wenn du weder Katholikin wärst“, sagte er.
„Das Problem hat sich erledigt. Ich bin gestern Morgen rekonvertiert. Und außerdem habe ich ein Kerzlein extra dafür angesteckt, dass du mich heiratest“, erwiderte sie leise.
„Kathrin?“
„Hmm?“
„Hältst du mich noch immer für einen Aufschneider?“, fragte er vorsichtig. Sie sah ihn verblüfft an.
„Das habe ich nie“, erwiderte sie erstaunt.
„Bei dem Fest damals erschien es mir so“, bemerkte der junge Graf. „Du sagtest damals, Soldaten würden so viel daherreden.“
„Es war nicht so gemeint, entschuldige bitte.“
„Da ist nichts zu entschuldigen. Ich möchte nur wissen, ob du deine Meinung geändert hast.“
„Was dich betrifft schon lange. Spätestens, als du mir gesagt hast, du wärst nur meinetwegen nach Dreibeck gekommen. Ich hoffe nur, du hast dich nicht wegen meiner Bemerkung zu dieser Leichtsinnstat hinreißen lassen.“
„Nein, gewiss nicht. Ich wäre auch ohne diese Herausforderung in Dreibeck eingestiegen.“
„Tu‘ so etwas nie wieder!“ beschwor sie ihn.
„Wenn es sich vermeiden lässt …“, gab er zu bedenken. Sie sah ihn erschrocken an.
„Kathrin – ich bin Soldat“, präzisierte er. „Ich kann mich aus einer Gefahr nicht einfach davonstehlen.“
„Nicht auszuschließen“, räumte sie ein. „Aber du musst dich nicht mutwillig hineinbegeben, das meine ich.“
„Ich gehöre nicht zu der übermütigen Sorte von Soldat“, wehrte er ab.
„Och, Herr von Altenburg hat mir verrückte Sachen erzählt …“, schmunzelte Kathrin.
„Das hast du dem Schwindelschwan doch nicht geglaubt?“
„Er klang sehr überzeugend, fand ich.“
„Thomas ist ein großer Geschichtenerzähler“, warnte er.
„Dann soll ich also auch nicht ernst nehmen, dass du der treueste Freund bist, den man finden kann, dass du Herrn Thomas schon ein paar Mal aus brenzligen Situationen geholfen hast?“
Er räusperte sich.
„Wenn er so etwas sagt, nun gut; aber ich würde es für mich nicht in Anspruch nehmen“, erwiderte er mit rotem Kopf.
„Ich möchte dieser Hymne noch eine Strophe hinzufügen: Du bist ein wunderbarer Liebhaber, Wolf. Nach den Katastrophen mit Seppensen und Buchenberg habe ich nicht geglaubt, mich je wieder einem Mann freiwillig hinzugeben. Danke.“
Eine Weile war wieder Schweigen.
„Wolf“, sagte sie schließlich, „im Frühling wirst du gehen. Wann werde ich dich wieder sehen?“, fragte sie. Gewisse Angst lag in ihrer Frage.
„Wer weiß, ob ich wirklich mit Wallenstein weiterziehe? Außerdem könntest du mitkommen. Es ist üblich, dass die Soldaten ihre Frauen und ihr Gesinde mitnehmen.“
„Nein, Wolf, Lagerleben wäre nichts für mich. Außerdem wäre da wieder ein gewisser Herr von Buchenberg in erheblich gefährlicherer Nähe, als ich schätze. Du bist Wallensteins Kundschafter. Ich würde dich trotzdem kaum zu Gesicht bekommen, fürchte ich.“
„Oh, ich muss nicht bei Wallenstein bleiben“, entgegnete er. „Tilly hat mich nur ausgeliehen, bis sich des Herzogs Zorn über den Hochzeitseklat gelegt hat. Ich war Tillys Adjutant, und er meinte, er würde so einen wie mich nicht wieder finden.“
„Mag sein, aber da wäre immer noch das Lagerleben, was ich überhaupt nicht leiden kann“, beharrte sie.
„Vielleicht gelingt es mir, in einer katholischen Gegend ein Stadtkommando zu bekommen. Wäre dir damit gedient?“, fragte er. Sie nickte.
„Aber wer bietet einem jungen Mann von knapp vierundzwanzig Jahren das Kommando über eine ganze Stadt an. Dafür wäre doch wohl ein General nötig, oder?“, zweifelte sie dann.
„Nicht zwangsläufig. Es gibt auch Hauptleute, denen eine Stadt anvertraut wurde.“
„Falls das nicht klappen sollte: Wann sehe ich dich wieder?“, bohrte sie unnachgiebig weiter. Er seufzte.
„Ich wünschte, ich könnte es dir sagen, Kathi. Niemand kann sagen, wie lange ein Krieg dauert, wohin er einen führt, welche Opfer er kosten wird. Bisher brauchte ich mir um diese Frage keine Gedanken zu machen, denn ich war allein, hatte niemanden, der irgendwo auf mich gewartet hat und hatte die Verwaltung meiner Grafschaft einem Advokaten überlassen, der von mir mehr schlecht als recht bezahlt wird. Seit du in meinem Leben bist, hat sich das geändert. Ich möchte dich nicht mehr missen, Kathrin. Deshalb will ich mich um ein Stadtkommando bewerben, sobald eines angeboten wird“, sagte er leise.
Sie spürte, dass es ihm damit genauso ernst war, wie mit seiner Liebe zu ihr. Sie schmiegte sich dicht an ihn, spürte einen sanften Kuss auf dem offenen Haar.
„Ich muss bald gehen, mein Liebling“, flüsterte er.
„Wohin denn?“, fragte sie, beinahe erschrocken.
„Zu Wallenstein. Ich muss mich bei ihm melden und mitteilen, wie das Duell ausgegangen ist.“
„Weiß er das noch nicht?“
„Der Profos hat ihm davon sicher noch gestern berichtet, aber auch die Duellanten müssen darüber Rapport geben“, erklärte er.
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Kapitel 16
Der Stadthauptmann
Trotz seiner Absicht entschied Wolf sich erst sehr viel später zum Aufstehen und verließ nach einem ausgedehnten Frühstück erst am Nachmittag das Speicherhaus. Oberst von Wallenstein ließ den jungen Grafen nicht lange warten.
„Nun, Graf Steinburg?“, fragte der Graf von Friedland.
„Es ist mir gelungen, Herrn von Buchenberg im Duell zu schlagen“, vermeldete Wolf kurz und bündig. Wallenstein lehnte sich zurück und sah den jungen Mann eine Weile an. Der hohe Wuchs und seine schlanke Gestalt des kaiserlichen Leutnants täuschten über seine Kräfte hinweg.
„Ich habe vom Profos gehört, Ihr wärt beinahe unterlegen“, bemerkte der Friedländer nach einer Weile.
„Stimmt. Ich hatte noch starke Schmerzen in der verrenkten Schulter“, gab Wolf zu.
„Wie habt Ihr Euch herausdrehen können?“, forschte der Oberst interessiert.
„Schwer zu sagen, Euer Liebden. Ich mochte mich einfach nicht geschlagen geben“, erwiderte Wolf zurückhaltend. Von dem wundersamen Effekt, den die Bezeichnung Wengländer hervorgerufen hatte, sagte er vorsichtshalber nichts. Wallenstein hatte politischen Einfluss – und wer politischen Einfluss hatte, verhinderte diesen tunlichst bei anderen, die noch nicht in dieser Lage waren. Durchblicken zu lassen, dass Wolf an der Wiederherstellung des territorialen Wengland interessiert war, konnte eine ausgesprochen gefährliche Neuigkeit in den Ohren des Herrn von Wallenstein sein.
„Manfred von Buchenberg ist einer der besten Fechter, die ich kenne. Es gibt nicht viele, die ihm standhalten können“, stellte Wallenstein mit Bewunderung fest. „Ich nehme mit einiger Befriedigung zur Kenntnis, dass Ihr ihn nicht getötet habt. Es wäre ein großer Verlust gewesen, denn wir hätten einen guten Soldaten verloren. Aber ich warne Euch: Wenn Buchenberg hinter einer Beute her ist, gibt er nicht auf, bis er sie hat“, setzte er hinzu.
„Er hat das Duell verloren“, erinnerte Wolf.
„Schon“, räumte der Oberst ein, „aber das interessiert ihn nicht.“
„Das hättet Ihr mir früher sagen sollen!“, schnaufte Wolf.
Wallenstein stand auf und ging im Ratssaal auf und ab. Sein offenes Bein bereitete ihm Unbehagen. Er schüttelte unwillig den Kopf.
„Ihr hättet ihn aufgespießt, Graf Steinburg. Das ist weder in meinem noch in des Kaisers Interesse“, erwiderte der Friedländer. Er blieb stehen und sah Wolf sehr direkt an.
„Übrigens: Der Beutebrief sprach Euch eine Frau zu. Hat sich das Duell gelohnt, Graf Steinburg, oder habt Ihr Euch einen Drachen gefangen?“
„Es hat sich gelohnt. Katharina ist eine wunderbare Frau.“
„Ihr kennt sie länger?“
„Ich hatte Euch von ihr erzählt, Euer Liebden. Ja, ich kenne sie länger, und ich liebe sie.“
„Wenn das so ist, dann gebt gut auf das Mädchen Acht, besonders, wenn sie Eure Liebe erwidern sollte. Findet Euch damit ab, dass Buchenberg Euer Rivale bleiben wird, selbst wenn Ihr die Maid heiratet“, warnte Wallenstein. Er setzte seinen Marsch durch den Ratssaal fort.
„Sagt, Euer Liebden, welche Grenzen akzeptiert Herr von Buchenberg eigentlich?“, knurrte Wolf.
„Nur seine eigenen – und die sind weit gesteckt“, gab Wallenstein zurück. „Ich werde Euch besuchen, Euch und Euer neu erworbenes Haus. Wenn Ihr heiraten wollt, tut es bald, damit Ihr Eure Herzdame nicht zu sehr in Verlegenheit bringt“, empfahl er dann und lächelte versonnen. Wahrscheinlich dachte er gerade an seine Frau, Isabella von Harrach, die er sehr verehrte, vermutete Wolf.
„Nach dem, was Ihr mir von Herrn Manfred erzählt habt, hättet Ihr ihm diesen Rat nicht gegeben, Euer Liebden!“, entfuhr es ihm.
„Vielleicht; vielleicht auch nicht. Aber eines ist sicher, Graf Steinburg: Buchenberg ist im Gegensatz zu Euch alles andere als ritterlich. Er hätte Euer Leben nicht geschont und ich wage mir nicht vorzustellen, wie lange Euer Mädchen Buchenbergs Gesellschaft überlebt hätte“, sagte Graf Albrecht. Wolf schnaufte heftig.
„Wenn mein Gefühl für Gerechtigkeit jemals einen Stoß bekommen hat, dann jetzt!“, sagte er. „Ich bin entsetzt, wenn ich ehrlich bin! Ihr lasst diesen Lümmel wahrhaftig gewähren?“
Wallenstein blieb an dem kostbar verzierten Kamin stehen und wärmte sich die Hände an den prasselnden Flammen.
„In erster Linie, Graf Steinburg, sind die Leute, die mit mir unserem allergnädigsten Herrn, Seiner Majestät Kaiser Ferdinand II., dienen, Soldaten – und keine Mönche!“, versetzte er. „Buchenberg ist ein erfolgreicher Soldat, deshalb ist er für den Kaiser wichtig, deshalb kann und werde ich sein Tun nicht unterbinden. Jeder meiner Männer ist auf seine Weise wichtig und erfolgreich. Ihr auch – und das besonders. Aber Ihr seid anders als die meisten meiner Männer. Ihr seid ritterlich und ehrenhaft. Es ist mein Wille, dass der Soldat Ehre habe, Herr von Steinburg. Ich möchte Euch von Herrn von Buchenberg trennen und schlage Euch deshalb folgendes vor:“
Er kam vom Kamin und blieb direkt vor Wolf stehen.
„Ich glaube, dass Ihr ein Mann seid, der es fertig bringen könnte, eine Stadt für den Kaiser zu erhalten und sie gegen eine Rückeroberung durch die Truppen der Union zu schützen – oder die Dänen oder sonst wen. Ihr habt Euch tapfer geschlagen, und es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Kaiser es nicht zuletzt Eurem Mut verdankt, dass Dreibeck überhaupt eingenommen werden konnte“, sagte er.
Er trat zu Aldringens Tisch an der Seite des Ratssaales und nahm ein Pergament zur Hand.
„Leutnant von Steinburg – kraft der mir übertragenen Vollmachten befördere ich Euch zum Hauptmann. Dieses Dokument hier gibt Euch die kaiserlichen Vollmachten des Stadthauptmanns von Dreibeck. Es sind sehr umfassende Vollmachten. Nutzt sie weise. Ihr seid noch jung, Hauptmann Steinburg, aber ich glaube, dass Ihr ein kluger Mann seid, der Dreibecks Bürger davon überzeugen kann, dass der Kaiser – und sonst kein Herrscher der Welt – ihr Herr ist“, sagte er und überreichte Wolf das Pergament.
„Ich danke Euch für das Vertrauen, das Ihr mir entgegenbringt, Euer Liebden“, bedankte Wolf sich höflich und verbeugte sich. Wallenstein hob abwehrend die Hände.
„Dankt mir nicht, Graf Steinburg! Stadthauptmann zu sein, ist nicht immer ein Vergnügen. Ich hab’s leidvoll als Gubernator von Böhmen erfahren. Ich stelle Euch drei Fähnlein Fußsoldaten und ein Fähnlein Reiterei zur Verfügung. Das sollte reichen, um Dreibeck zu sichern.“
„Das klingt, als wolltet Ihr Dreibeck verlassen, Euer Liebden“, mutmaßte Wolf.
„Stimmt“, bestätigte Wallenstein. „Es ist Oktober; die Zeit könnte noch reichen bis nach Celle oder Lüneburg vorzustoßen. Das Regiment wird weiter nördlich sein Winterquartier beziehen. Ich habe feststellen müssen, dass Dreibeck ein ganzes Regiment Soldaten, immerhin über dreitausend Mann, nicht ernähren kann, selbst, wenn die Bürger von heute an keinen Krümel mehr bekommen. Ihr werdet es nicht leicht haben, denn es sind Krämerseelen, die freiwillig nichts hergeben“, sagte der Oberst.
Wolf packte ein Schauder. Verdammt wollte er sein, wenn er Menschen hungern ließ, um sich selbst den Bauch vollzuschlagen. Es musste doch Mittel und Wege geben …
„Darf ich einen Wunsch äußern, Euer Liebden?“, bat er. Wallenstein machte eine auffordernde Handbewegung.
„Nur zu“, sagte er.
„Lasst mir bitte das Fähnlein des Leutnants von Altenburg hier. Ich habe gehört, er hätte ebenfalls ein Truppenkommando bekommen.“
Der Oberst strich sich nachdenklich durch den Kinnbart.
„Seid Ihr mit Von Altenburg befreundet?“, fragte er. Wolf nickte.
„Verstehe. Ihr braucht Leute, auf die Ihr Euch verlassen könnt. Gut. Von Altenburg wird Eurem Kommando unterstellt“, sagte Graf Albrecht. Er sah Wolf wieder einen Moment an.
„Ich gebe Euch ungern her, Hauptmann Steinburg“, sagte er. „Ihr seid ein kühner und gewissenhafter Kundschafter. Ich gebe zu, dass ich Tillys warmer Empfehlung zuerst nicht ganz getraut habe, weil ich weiß, dass Herzog Maximilian nicht eben ein Freund von mir ist. Böhmischer Bauer nennt er mich – und er weiß nicht einmal, dass er mich damit nicht beleidigt, denn in Böhmen gilt ein Mann nur, wenn er einige Hufen* Land unter den Füßen sein eigen nennt. Aber Tilly hat mit Euch nicht geschwindelt. Ihr seid ein wirklich mutiger Mann und Ihr könnt einiges einstecken. Ich hoffe, dass Ihr einmal wieder in den Kreis meiner Männer zurückkehrt. Gott schütze Euch, Graf Steinburg.“
Wolf kehrte gegen Abend zum Speicherhaus zurück. Es war etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, als er das Fachwerkhaus betrat. Hedwig, die Köchin, machte einen beinahe unterwürfigen Knicks.
„Guten Abend, Euer Gnaden“, sagte sie leise.
„Guten Abend, Hedwig. Habt Ihr noch einen Happen vom Abendessen übrig?“, fragte er freundlich, hängte das Rapier aus und ließ es samt Hut an die Garderobe im Wohnraum.
„Frau Seppensen hat auf Euch gewartet, Euer Gnaden“, erwiderte die Köchin schüchtern.
„Ist sie im Speisezimmer?“
„Nein, Hochwohlgeboren, sie ist oben.“
„Danke, Hedwig“, sagte er und sprang, zwei Stufen auf einmal nehmend, ins Obergeschoß, klopfte höflich an Katharinas Zimmertür an. Sie öffnete ihm.
„Guten Abend, Frau Seppensen“, sagte er lächelnd.
„Guten Abend, Herr Graf“, erwiderte sie leise. „Wollt Ihr nicht hereinkommen?“
Er trat ein, schloss leise die Tür, umarmte sie und küsste sie lange und zärtlich.
„Kathi“, sagte er dann, „ich bleibe in Dreibeck.“
Sie sah ihn fragend an.
„Wallenstein hat mich zum Hauptmann befördert und mich zum Stadthauptmann von Dreibeck ernannt“, erklärte er. Wortlos drückte sie den geliebten Mann an sich und weinte vor Freude. Er küsste sanft die Tränen von ihren Wangen.
„Morgen früh bestellen wir das Aufgebot, mein Herz“, versprach er leise. „Ich werde dich nicht zur Hure machen. Du wirst meine Frau.“
Einige Zeit später begleitete Wolf Katharina in die Halle des Hauses. Sie rief das Gesinde zusammen. Die Bediensteten versammelten sich schnell und sahen die Hausfrau und den Grafen an. Verwundert bemerkten sie, dass der Graf einen Schritt hinter Frau Seppensen stand. Wirklich, wie ein Eroberer führte er sich nicht auf; eher wie ein Gast, der vor einem Unwetter Schutz gesucht hatte und der möglichst unbemerkt bleiben wollte. Katharina wartete, bis alle in der Halle waren.
„Ich habe euch allen eine Mitteilung zu machen: Graf Steinburg ist zum Stadthauptmann von Dreibeck ernannt worden und wird bei uns bleiben. Nicht nur als Gast“, erklärte sie. Die Gesindeleute sahen sich an. Ihre Ahnung, dass zwischen dem jungen Grafen und ihrer ebenso jungen Herrin mehr war, als beide nach außen scheinen ließen, bestätigte sich. Katharina wandte sich an Wolf:
„Wollt Ihr noch etwas hinzufügen, Euer Gnaden?“
Er nickte und trat einen Schritt vor.
„Ihr wisst, dass mir Haus und Gesinde als Beute übergeben worden sind“, sagte er. Die Gesindeleute sahen betreten zu Boden, wagten nicht, den Herrn des Hauses anzusehen.
„Ich betrachte euch aber nicht als Beute, sondern als das Gesinde der Frau, die ich liebe. Ich habe Katharina, Frau Seppensen, die Möglichkeit eingeräumt, sich für oder gegen mich zu entscheiden. Zu meinem großen Glück hat sie sich für mich entschieden. So brauche ich nicht im Heustadel zu schlafen. Genauso lasse ich euch die Wahl, hier zu bleiben, oder euch eine andere Herrschaft zu suchen. Dort, wo ich herkomme, gibt es keine Leibeigenschaft, und ich werde Diener in meinem Hause nie als mein Eigentum betrachten. Katharina und ich sind katholisch und wir werden es niemandem verübeln, wenn ihr euch lieber eine protestantische Herrschaft suchen wollt. Nichtsdestoweniger möchte ich, möchten wir, dass ihr bleibt. Wir werden heiraten und benötigen gute, treue Diener, solche wie euch. Doch ich sage auch gleich, dass ich nicht für alle Zeit hier in Dreibeck bleibe. Eines Tages – ich hoffe bald – gehe ich nach Steinburg zurück, um von dort wieder meine Grafschaft zu regieren. Und ich wäre glücklich, wenn ihr dann mitkämet. Aber ich werde niemanden dazu zwingen und auch keinen zurückweisen – auch keinen bekennenden Protestanten, denn in meiner Grafschaft gilt Glaubensfreiheit“, sagte er.
Die Gesindeleute sahen sich erstaunt an. Die meisten von ihnen wurden zum zweiten Mal Beute. Als Kaufmann Seppensen das Speicherhaus von dem von ihm in den Ruin getriebenen Kaufmann Dammann übernommen hatte, hatte er keinem der Diener die Möglichkeit gegeben, die Herrschaft zu wechseln. Er hatte sie als Kapitalanlage betrachtet und entsprechend ausgenutzt, Hans sogar dazu gezwungen, Lutheraner zu werden. Wolf deutete die verblüfften Blicke der Diener falsch.
„Ihr müsst euch nicht sofort entscheiden“, setzte er hinzu. Hedwig, die an sich recht resolute Köchin, fand als erste die Sprache wieder.
„Nein, nein, Euer Gnaden, wir sind nicht im Zweifel, ob wir bleiben sollen. Ich bleibe auf alle Fälle. Ihr seid gewiss kein reißender Wolf“, sagte sie. Als er schmunzelte, fiel ihr sein Vorname ein und sie wurde feuerrot ob des Wortspiels, das ihr versehentlich entrutscht war.
„Verzeiht Herr, … das … das ist mir so herausgerutscht“, entschuldigte sie sich. Sein Grinsen wurde breiter.
„Nein, ich bin ein fast handzahmer Schäferhund. Lass’ es gut sein, Hedwig, ich bin dir deshalb nicht böse“, lachte er belustigt auf. Seine Fröhlichkeit steckte die Diener an, und alle erklärten, bleiben zu wollen.
Am folgenden Tag bestellten Wolf und Katharina das Aufgebot, dann trat er seinen Dienst als Stadthauptmann an und nutzte die Gelegenheit, die ihm nun unterstellten Truppen zu ermahnen, jegliches Pressen der Bürger zu unterlassen und insbesondere die Finger von den Damen der Stadt zu lassen. Dann besuchte er den Gefängnisturm und bot den gefangenen Stadtwächtern Übernahme in kaiserliche Dienste an. Bis auf wenige Offiziere nahmen die Männer das Angebot an und wurden sofort freigelassen. Damit hatte Wolf mehr als tausend Mann zur Verfügung, falls braunschweigische oder lüneburgische Truppen eine Rückeroberung Dreibecks versuchen sollten.
Von seinen ursprünglich neunhundert Mann waren die weitaus meisten aus den ehemals wenglischen Grafschaften, darunter sogar zwei andere Grafen, nämlich Martin von Eschenfels und Lothar von Südwengland. Beide machten keinen Hehl daraus, dass sie – wie alle anderen Wengländer – eine baldige Wiederherstellung des territorialen Wengland wünschten. Und beide sagten, sie wollten einen Herrn aus dem Hause Wengland-Steinburg als regierenden Fürsten haben!
Wolf war zunächst skeptisch, ob er diesen Worten glauben sollte. Es war gewiss besser, zuerst alle wenglischen Grafen zu versammeln und zu beratschlagen, wie man den Kaiser davon überzeugen sollte, Wengland wieder zu einem geschlossenen Staat zu machen. Vor allem musste geklärt werden, ob die anderen Grafen wie Martin, Lothar und Wolf ein Verbleiben im Reich wünschten oder ob es nicht welche darunter gab, die Wengland am liebsten ganz vom Reich gelöst hätten – so wie die Eidgenossenschaft zum Beispiel. Wohl gehörte die Eidgenossenschaft der Schweizer offiziell noch zum Reich, aber es war mehr eine formelle Zugehörigkeit als dass die Reichsbehörden über die Eidgenossen tatsächliche Macht ausübten. Ein vollständiges Verselbstständigen Wenglands, das war Wolf klar, würde Wengland auf die Seite der Kaisergegner treiben – und dort wollte er auf keinen Fall hin!
A A A
Kapitel 17
Erinnerungen
Eine Woche später besuchte Wallenstein, wie er angekündigt hatte, das Speicherhaus. Mit einigem Erstaunen nahm der Oberst zur Kenntnis, dass im Speicherhaus ein sanfter Ton herrschte, dass die Weisungen des jungen Grafen nicht nur ohne Murren, sondern offenbar freudig befolgt wurden.
„Es freut mich, dass Ihr dieses gute Gesinde nicht fortgejagt habt, Graf Steinburg“, sagte Wallenstein beiläufig.
„Ich hätte mir und meiner Verlobten einen sehr schlechten Dienst erwiesen, Euer Liebden, denn bessere Diener hätte ich nicht finden können. Sie sind im Übrigen alle freiwillig geblieben, dazu habe ich keinen zwingen müssen.“
„Sie sind Euer Eigentum, Graf“, wunderte sich der Oberst.
„Das mag nach geltendem Recht so sein, Euer Liebden. Ich betrachte das Verhältnis von Dienern und Herren etwas anders. Aber das liegt wohl daran, dass es im Königreich Wengland, das meine Ahnen einmal regiert haben, keine Leibeigenschaft gegeben hat. Auch Diener waren dort freie Menschen, die ihrem König freiwillig dienten – und es gern taten, weil sie nicht geknechtet wurden. In dieser Tradition bin ich erzogen, Euer Liebden“, erklärte Wolf.
„Wenn ich mich recht erinnere spracht Ihr einmal davon, dass Ihr früh verwaist wärt“, warf Wallenstein ein. „Wie passt das mit Eurer Erziehung zusammen?“
„Mein Vater wollte eine gute Ausbildung für mich, weil auch die Verwaltung einer armen Grafschaft Geschick erfordert. Als ich sieben Jahre alt war, gab mein Vater mich an die Klosterschule von Wachtelberg, an der nicht nur geistliche Lehre verbreitet wird, sondern auch weltliches Wissen weitergegeben wird. Dort habe ich die Chroniken meiner Vorfahren studiert, wurde in deren Geist erzogen, wobei ich einige Zeit sogar die Möglichkeit gesehen habe, es dem Prinzen Michael gleichzutun, der um 1230 Bischof von Steinburg war. Ich hätte die Schule erst zu meinem zwanzigsten Lebensjahr oder zu meinem Amtsantritt als Graf von Steinburg verlassen sollen. Aber als ich gerade fünfzehn war, wurden meine Eltern umgebracht. Ich habe nie erfahren, warum. Mein Vater war ein armer Mann, der nichts besaß, was sich zu stehlen lohnte. Außer seinem Uralt-Siegelring und einem rostanfälligen Rapier ist auch nichts abhanden gekommen. Mein Vater war kein bedeutender Reichsfürst, dessen Tod etwas bewirken konnte. Der oder die Mörder meiner Eltern wurden nie gefunden. Die Behörden haben sich wohl auch nicht allzu viel Mühe damit gegeben, schließlich zahlte mein Vater in Anbetracht seiner chronischen Geldnot nicht besonders gut. Ich wollte eines Tages den Tod meiner Eltern rächen, wie es sich für einen guten Sohn gehört – vor allem, wenn man der Einzige ist. Dazu musste ich unbedingt fechten lernen. Im Kloster fand sich ein Bruder, der mir Fechtunterricht gab. Dann kam mir nach zwei weiteren Jahren zu Ohren, der General Tilly sei in der Nähe. Ich verließ das Kloster, ohne meine Ausbildung abzuschließen und schloss mich Tilly an, der mich als Page annahm. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich durchaus in der Tradition meiner Vorfahren erzogen, und ich gebe mir Mühe, nach dem von König Ulrich erlassenen Ehrenkodex zu leben – auch wenn ich nur ein armer Graf bin.“
„Mir ist etwas von einer größeren Geldsumme zu Ohren gekommen, die Ihr gewonnen haben sollt, Graf Wolf. Ist etwas dran?“, fragte Wallenstein.
„Stimmt. Aber ich habe nicht vor, das zu verprassen. Vielleicht muss es für längere Zeit reichen, bis ich wieder Einkünfte aus den wenigen Ländereien beziehe, die mir noch zur Verfügung stehen. Mein Vater hat leider vieles verpfänden müssen, und ich kann die Pfänder nicht einlösen. Mein Verwalter schrieb mir, dass der Krieg für die letzten drei Ernten nicht zuträglich war. So besteht derzeit keine Aussicht auf Besserung meiner finanziellen Situation. Ich muss also sorgsam haushalten.“
Wallenstein grinste breit.
„Ihr habt ein Vermögen übertragen bekommen, Graf Steinburg. Seppensens Besitz ist der Eure“, sagte er. „Ihr seid Millionär, Steinburg.“
Wolf schüttelte den Kopf.
„Ich betrachte mich als Verwalter dieses Vermögens, nicht als dessen Eigentümer. Ich weiß, dass Seppensen hier mindestens einen Kaufmann in den Ruin getrieben hat. Deshalb sollte das Vermögen besser dazu dienen, Dreibeck zu helfen. Ich möchte diese Stadt für den Kaiser sichern, Euer Liebden, und ich glaube, dass ich das am besten kann, wenn die Bürger Dreibecks davon überzeugt sind, dass der Kaiser ein Ohr für ihre Sorgen hat – und wenn das Ohr nur der kleine Stadthauptmann ist und das Hören in Form von direkter Hilfe zu spüren ist. Der Winter ist nahe und ich möchte vermeiden, dass es eine Hungersnot gibt“, erwiderte Wolf. Wallenstein nickte.
„Ich bin sicher, ich könnte Euch im Münzkonsortium einbringen. Habt Ihr Interesse?“
„Münzkonsortium? Sagt, was ist das?“
„Meine Gesellschafter und ich haben das kaiserliche Münzregal* für Böhmen, Mähren und Niederösterreich. Wir prägen Münzen für den Kaiser und zahlen dafür jährlich eine Pacht von sechs Millionen Gulden. Der Gewinn ist allerdings erheblich höher. Nun?“
Wolf lächelte kühl.
„Ich habe von solchen Münzpachten gehört, Euer Liebden. In Wengland gab es sie nicht. Auch in den Einzelgrafschaften gab es solche Einrichtungen nicht, wenn der Kaiser dem Grafen das Münzregal erteilt hatte. Eine Münzpacht macht doch nur dann einen Sinn, wenn das Geld tatsächlich weniger wert ist, als die Prägung ausweist, damit der Pächter einen Gewinn davon hat. Folglich prägt Ihr – vergebt mir den Ausdruck – schlechtes Geld, das nicht wirklich den Wert darstellt, der aufgeprägt ist. Euer Geld ist kein echter Gegenwert zum gekauften Gut; damit wird man später mehr von dem schlechten Geld fordern, um den tatsächlichen Wert zu erhalten. Die Folge ist, Ihr prägt noch mehr davon – und so weiter.“
„Wäre gewiss der Fall, wenn bekannt würde, dass der Taler oder Gulden nicht mehr seinen Wert in Silber enthält. Aber solange die Münze für das akzeptiert wird, als was sie geprägt wurde, bekommt jeder das, was er will.
Mir ist folgende Geschichte erzählt worden, was Geld anbelangt – und ich gebe sie Euch weiter: Ein böhmischer Bauer hatte sich seine Kutsche reparieren lassen, dafür schuldete er dem Stellmacher zehn Gulden. Als der Stellmacher kam, um zu kassieren, war der Bauer auf dem Feld, seine Frau hatte im Geldversteck gerade noch ein Zehn-Gulden-Stück am Morgen entdeckt – und das gab sie dem Stellmacher. Das Geldstück war falsch, es war nicht aus Silber, es war aus Zinn – also überhaupt keine Münze im Sinne des Münzregals. Die Bauersfrau hatte es nicht gemerkt, der Stellmacher merkte auch nichts. Der seinerseits hatte zehn Gulden Schulden beim Krämer des Dorfes. Der Krämer nahm das falsche Zehn-Gulden-Stück und trug es zum Käser, bei dem er um zehn Gulden Käse gekauft hatte. Auch der Käser merkte den Betrug nicht und gab das Geldstück der Bauersfrau, die von ihrem Mann geschickt war und noch zehn Gulden abholen wollte für die Milch, die der Bauer dem Käser geliefert hatte. Sie kam heim, legte das Geldstück in das Versteck. Der Bauer, der als Einziger davon wusste, dass die Münze falsch war, weil er sie selbst gegossen hatte, kam vom Feld, holte die Münze aus dem Versteck und schmolz sie reumütig ein, um nicht noch bestraft zu werden, wenn jemand entdeckte, dass er dem Münzherrn Konkurrenz machte. Die Bauersfrau wurde böse und stellte ihren Mann zur Rede, was das solle, sie seien doch schon arm genug. Er erzählte ihr, was es mit der falschen Münze auf sich hätte und dass er froh sei, dass sie sie nicht gefunden und damit etwas bezahlt hatte, denn sonst hätten sie sicher Strafe zu befürchten. Da erzählte ihm die Bäuerin, dass sie schon seine Kutschenreparatur damit bezahlt hatte, und dass der Käser mit eben dieser Münze gekommen sei. Beide waren sehr verlegen, aber die falsche Münze hatte allen geholfen, die Schulden auszugleichen. Ihr seht, es kommt nicht darauf an, was eine Münze ist, sondern für was sie gehalten wird!“, lehrte Wallenstein. Wolf lächelte freundlich.
„Mag sein, dass das im Märchen funktioniert. In der Realität, Euer Liebden, glaube ich nicht recht daran“, erwiderte er.
„Nun, ich habe auch gehört, dass man in China soweit ist, dass sogar Papier Zahlungsmittel ist. Der Kaiser von China garantiert, dass auf Vorlage eines solchen Papierscheines eine bestimmte Summe in Gold gezahlt wird. So ist dieses Papier ebenso viel wert, wie der aufgedruckte Betrag und wird entsprechend verwendet.“
„Gewiss, das ist mir auch bekannt. Doch besteht ein Unterschied zwischen Eurer Münzpacht und der kaiserlich-chinesischen Garantie des Gegenwertes: Ihr und Eure Gesellschafter garantiert doch den Wert des Geldes nicht – oder versprecht Ihr den Abnehmern Eurer Münzen, Ihnen den tatsächlichen Wert in Silber zu geben? Wohl kaum, denn dann hättet Ihr keinen Gewinn davon“, gab Wolf zu bedenken.
„Wie ich Euch sagte: Eine Münze hat den Wert, den man ihr zumisst, nicht unbedingt den, den ihr der Gehalt an Edelmetall gibt. Überlegt es Euch. Ich habe auch nicht sofort zugegriffen, weil ich ähnliche Bedenken hatte wie Ihr. Und was Eure Sorge um Dreibeck betrifft, ehrt Euch dies gewiss sehr, doch überträgt Euch der Beutebrief das Vermögen des Kaufmanns Seppensen zu uneingeschränktem Eigentum, Graf Steinburg. Warum wollt Ihr das nicht zu Eurem Vorteil nutzen?“
„Nun, Graf Wallenstein, ich bin ein vorsichtiger Rechner geworden in den Jahren, in denen ich kaum etwas zu beißen hatte. Ich habe gelernt, meine Taler zusammenzuhalten ohne Geiz zu entwickeln. Insofern werde ich mit dem mir übertragenen Reichtum sicher sorgsam umgehen“, wehrte Wolf kühl ab. Wallenstein lächelte.
„Wann wollt Ihr heiraten?“, fragte er.
„Das Aufgebot ist bestellt, der Hochzeitstermin wird nächste Woche sein.“
„Ich nehme an, Ihr werdet die Hochzeit feiern, wie es einem Grafen zukommt.“
Wolf lächelte freundlich.
„Katharina und ich haben vor, die Hochzeit in kleinem Rahmen zu begehen. Es werden also nicht hunderte von Gästen erscheinen und keine Berge von Speisen aufgetragen werden. Aber wenn es Euch nicht stört, dass es kaum zwei Dutzend Leute sein werden und dass nur ein einziger Braten von Hedwig zubereitet wird, seid Ihr uns als Gast herzlich willkommen“, lud Wolf ein. Wallenstein strich sich durch den Kinnbart.
„Gern will ich Euer Gast sein. Doch erlaubt mir, der Brautführer zu sein, wenn Ihr nicht auch Verwandtschaft Eurer Gemahlin eingeladen habt.“
Wolf sah Katharina an. Sie nickte.
„Gern, Euer Liebden“, gab Wolf zur Antwort. Wallenstein erhob sich, Wolf und Katharina taten es ihm gleich. Der Graf von Friedland nahm Katharinas Hand und deutete einen Handkuss an.
„Vergebt, dass ich mich bereits verabschieden muss, aber die Amtsgeschäfte rufen mich. Ich weiß, dass Ihr Graf Wolf unter recht unglücklichen Umständen zum Mann bekommt, doch glaubt mir eines: Ihr habt das große Los gezogen, meine Dame. Ich könnte mir keinen besseren Gatten für Euch vorstellen, als meinen ebenso kühnen wie treuen Kundschafter. Ich bin sicher, er wird Euch glücklich machen“, verabschiedete er sich von Katharina. Sie knickste freundlich.
„Verehrter Graf Wallenstein, seid versichert, dass ich keinesfalls unglücklich bin, dass Graf Wolf mein Gemahl wird. Meine erste Ehe war ausgesprochen unglücklich, weil mein Mann mir wirklich aufgezwungen wurde. Wolf und ich heiraten aus Liebe, nicht, weil der Beutebrief mich zu seinem Eigentum macht“, gab sie zurück.
„Ganz ehrlich: Graf Wolf hat es mir gesagt“, lachte Wallenstein auf. „Ich bin sehr froh darüber, dass er ein Ehrenmann ist, der einer Frau nie zu nahe treten würde. Gehabt Euch wohl.“
Als Wallenstein fort war, entließ Katharina die letzten Diener und folgte Wolf ins Obergeschoss. Er stand am Fenster, sah auf die nächtliche Straße und schien nicht wahrzunehmen, dass sie heraufgekommen war.
„Wolf, was ist?“, fragte sie leise und nahm seine Hand.
„Nichts, ich bin nur müde“, gab er zurück. Er sah auch so aus, fand sie. Aber zum ersten Mal entdeckte sie in seinen Augen den Willen, dieses so lange zurückliegende Verbrechen endlich zu klären. Katharina lehnte sich an ihn, spürte die Wärme seines Körpers. Wolf umarmte sie zärtlich. Diese Geste war so selbstverständlich zwischen ihnen, genauso wie der zärtliche Kuss, der dieser Umarmung folgte.
„Du hast dich heute an den Mord an deinen Eltern erinnert“, stellte sie leise fest. Wolf nickte schweigend und küsste Kathrin wieder. Ihre schmale Hand schob sich in sein aufgeschnürtes Hemd, liebkoste zart seine Haut.
„Es bedrückt dich“, fuhr sie fort. Er sagte nichts, sondern hob sie einfach auf seine Arme. Katharina legte ihm die Arme um den Nacken und sah ihn offen an.
„Komm“, flüsterte er ihr ins Ohr und drückte einen beinahe scheuen Kuss auf ihre Wange.
„Wolf, ich mache mir Sorgen um dich. Und ich glaube, du willst fort“, setzte sie ihre Feststellungen fort. Er schüttelte den Kopf.
„Nein, Kathi. Der Mord liegt nun bald zehn Jahre zurück. Ich glaube nicht, dass dieses Verbrechen noch aufzuklären ist.“
„Ist es das, was dich so traurig macht?“
„Ja, es bedrückt mich, dass der oder die Mörder meiner Eltern nie gefunden wurden. Ich weiß bis heute nicht, warum meine Eltern sterben mussten. Mein Vater hatte politisch keine Bedeutung, gestohlen wurde nur ein Siegelring, der so alt war, dass das Siegel schon kaum noch zu erkennen war und Vaters wertloses Rapier, das ständig Rost ansetzte. Soviel ich weiß, hatte mein Vater keine Feinde. Das ist es, was mich so quält.“
„Hast du Sorge, du könntest auch einem Mordanschlag zum Opfer fallen?“
„Nicht nur ich – du vielleicht auch. Solange ich nicht weiß, warum meine Eltern umgebracht wurden, muss ich sowohl für mich als auch für meine Frau – oder eventuell meine Kinder – fürchten.“
„Ein altes Rapier und ein noch älterer Siegelring …“, sinnierte Katharina. „Wolf, mir fällt etwas ein. Mein Vater erzählte mir einmal eine alte Eichgauer Sage, nach der ein alter Siegelring und eine Fechtwaffe der Schlüssel zum Versteck eines Schatzes sein sollen“, sagte sie. Wolf lächelte sanft.
„Das ist keine Eichgauer Sage, das ist uraltes wenglisches Sagengut, mein Schatz. Gemeint ist wohl der wenglische Königsschatz. Es ist Unsinn, glaub‘ mir. Mein Vater kannte die Sage auch, er hatte Ring und Rapier – aber gefunden hat er nichts“, erwiderte er.
„Mag ja sein, dass der Schatz nicht existiert – aber könnte es nicht sein, dass der Mörder deiner Eltern genau hinter diesem Schatz her war? Ring und Rapier sollen der Schlüssel dazu sein; diese Dinge sind gestohlen worden. Könnte das nicht der Grund sein?“
„Möglich. Aber die Sage gibt weder Auskunft, worin der Schlüssel bestehen soll, noch ob es ausgerechnet der Siegelring … Oh, mein Gott, du hast Recht!“
Er war blass geworden.
„Was ist?“
„Der Siegelring war der älteste, den Wengland überhaupt hatte – er stammte noch von König Philipp! Der könnte der Schlüssel sein. Aber weshalb eine Fechtwaffe, die Jahrhunderte später geschmiedet worden ist?“
„Haben Rapier und Ring Gemeinsamkeiten?“
„Ja, die Wappenlilie. Aber wie gesagt, mein Vater hat jahrelang vergeblich mit diesen Dingen nach dem Königsschatz gesucht. Er hätte ihn gut gebrauchen können. Schließlich war er arm wie eine Kirchenmaus.“
„Den Grund wissen wir jetzt: Der oder die Mörder waren hinter dem Königsschatz her. Sie haben den möglichen Schlüssel. Meinst du, dass du weiterhin um dein oder das Leben deiner Angehörigen fürchten musst?“, fragte Katharina. Er zuckte mit den Schultern und setzte sie vorsichtig wieder ab, behielt sie aber in seinen Armen.
„Nun, nehmen wir mal an, derjenige findet mit dem angeblich so sicheren Schlüssel nicht, was er sucht. Dann könnte er doch versuchen, das Geheimnis von mir erfahren zu wollen“, mutmaßte er.
„Und wenn er den Schatz gefunden hat?“
„Ich glaube es nicht. Wenn die Sage nicht schwindelt, ist der Schatz unermesslich. Das muss man erst mal wegschaffen. Vor allem wäre es auffällig, wenn jemand plötzlich derart viel Gold und Edelsteine sein eigen nennt.“
„Wenn er den Schatz wirklich in vollem Umfang aus dem Versteck herausholt“, gab Katharina zu bedenken.
„Trotzdem: Es müsste auffallen, wenn sich jemand entsprechend bereichert. Das kann keiner geheim halten“, widersprach Wolf. „Kathi, ich bin müde. Lass‘ uns schlafen gehen“, gähnte er. Sie lächelte sanft.
„Schon genug aufgeklärt, Herr Graf?“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, die Sache bedarf weiterer Nachforschung, aber nicht mehr heute Abend. Außerdem habe ich Sehnsucht nach dir“, erwiderte er und küsste sie wieder. Katharinas streichelnde Hand hatte mehr erreicht, als sie vielleicht an diesem Abend selbst gewollt hatte. Sie versanken in rauschhafter Wonne …
Spät in der Nacht schreckte Katharina von einem Albtraum gepeinigt hoch. Sie hatte von der Vergewaltigung durch Buchenberg geträumt, hatte ihn gar mit dem Mord an Wolfs Eltern in Verbindung gebracht. Neben ihr schlief Wolf ruhig und entspannt. Im ungewissen Licht, das von den Öllampen auf der Straße durch die Fensterläden drang, konnte sie seine Gesichtszüge schemenhaft erkennen. Ihr wurde bewusst, dass sie nur einen bösen Traum gehabt hatte. Gleichzeitig spürte sie auch, dass selbst Wolfs unendliche Zärtlichkeit und das gemeinsame Erleben mit ihm die furchtbare Erinnerung an den völlig rücksichtslosen und brutalen Buchenberg nicht auslöschen konnte. Schutzsuchend schmiegte sie sich an ihn. Seine Wärme, das unmittelbare Fühlen seiner Haut gaben ihr wieder etwas von dem Frieden, den sie empfunden hatte, als sie sich am Abend so zärtlich geliebt hatten. Sie rief sich das Glück in seinen Armen ins Gedächtnis, um den schrecklichen Traum zu verdrängen. Unbewusst klammerte sie sich so fest an ihn, dass er davon wach wurde.
„Hm, was ist, Schatz?“, fragte er verschlafen und legte den Arm um sie.
„Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht wecken, Liebster“, flüsterte sie tränenerstickt.
„Was ist denn? Hast du schlecht geträumt?“, erkundigte er sich. Katharina nickte schweigend. Eine Träne rollte auf Wolfs Brust.
„Sag‘ mir, was dich bedrückt“, bat er liebevoll und strich ihr sanft über das verweinte Gesicht.
„Buchenberg“, brachte sie mühsam heraus.
„Hast du von dem geträumt, was er mit dir gemacht hat?“
„Ja“, presste sie weinend heraus. Er umarmte sie ganz und drehte sich zu ihr.
„Ich hatte gehofft, meine Liebe könnte es dir erleichtern“, sagte er leise.
„Wolf, du bist so wunderbar sanft, wenn du mich liebst. Ich hatte auch so gehofft, die Freude mit dir könnte den Schrecken mit Buchenberg überdecken.“
Er streichelte sie sanft.
„Es ist schwer, Grausamkeiten zu vergessen. Ich weiß es nur zu gut. Ich habe oft Albträume vom Dreibecker Kerker. Sie sind weniger geworden, seit ich meine Nächte mit dir teilen darf, aber ab und zu kommt es noch vor. Ich hatte sehr gehofft, es würde dir nicht so gehen.“
Sie beruhigte sich nur langsam, aber schließlich war sie ganz dicht an ihn gekuschelt wieder eingeschlafen, wo sie friedlicher träumte. Er lag noch eine Weile wach. In ihm war ein beinahe unbändiger Rachedurst erwacht.
‚Das nächst Mal schone ich das Schwein nicht!’, schwor er sich in Gedanken. Schließlich fiel auch er wieder in sanften Schlaf, träumte von der wunderbaren Liebe mit Katharina.
Der Morgen fand das Paar in zärtlicher Umarmung. Katharina erwachte vom beginnenden Vogelgezwitscher. Wolf schlief noch. Sie sah lange das entspannte, ebenmäßige Gesicht an. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er noch immer den Vollbart trug, der ihm in der Gefangenschaft gewachsen war. Der Bart machte ihn etwas älter, als er tatsächlich war, aber er stand ihm sehr gut und war wunderbar weich. Katharina erfasste ein tiefes Glücksgefühl, zu diesem Mann zu gehören. Nach den Erfahrungen, die sie mit Söldnern und ihren Offizieren gemacht hatte, waren es raue Burschen, stets zu groben Scherzen, Trinkgelagen und Hurerei aufgelegt – im Grunde das genaue Gegenteil eines Wolf von Steinburg.
Je länger sie ihn ansah, desto mehr hatte sie das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Es war sehr lange her. Und dann fiel ihr ein, dass ihr Vater einen uralten Lederband hatte, in dem die Sagen des alten Wengland gesammelt waren. Darin waren auch verschiedene Miniaturen, die Könige Wenglands zeigten. Wolf hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Männern, die auf diesen Miniaturen dargestellt waren. Sie erinnerte sich jetzt, dass den Königen Wenglands nachgesagt wurde, sie hätten eine solche Ähnlichkeit mit ihren jeweiligen Vorgängern, dass manche schon vermuteten, es sei immer ein und derselbe, der einfach unsterblich sei.
Wenn diese Ähnlichkeit nicht nur Äußerlichkeiten betraf und seine Ahnen den gleichen Charakter wie er gehabt hatten, musste Wengland ein glückliches Königreich gewesen sein. Wengland! Sie verband damit etwas, aber sie konnte nicht sagen, was es war. Es war nichts Fremdartiges, sondern etwas Vertrautes, aber sie wusste nicht, was. Sie schob es darauf, dass sie Wolf liebte und er ihr viel von Wengland, vielmehr dem ehemaligen Wengland, erzählt hatte, aber auch vom Wunsch seines Vaters, Wengland wieder zu einen. Zwar hatte er es bislang nicht ausgesprochen, aber ihr schien es, als wolle der Sohn das Werk des Vaters fortsetzen.
Dann dachte sie wieder an das Gespräch vom Abend zuvor. Soweit sie sich an die Sage erinnerte, sollte der, der den Schatz fand, auch Wengland wiedervereinigen. Je länger sie über das Buch nachdachte, desto klarer wurde ihre Erinnerung. Der Sage nach war es die Fechtwaffe von Graf Ralf, die zusammen mit dem Ring den Schlüssel zum Schatz barg. Ralf hatte den Schatz einst verloren, so hieß es in der Sage. Es musste also eine Verbindung zwischen Waffe und Ring geben. Worin sie bestand, gab die Sage nicht her. Vermutlich hatte Graf Ralf das Geheimnis um den Schlüssel zum Schatz soweit hüten können, dass nicht alle Details bekannt geworden waren. Katharina erinnerte sich auch noch, dass Graf Wolfgang endgültig erklärt haben sollte, der Schatz sei Sage. Vermutlich sei damit nicht Gold und Edelstein gemeint, sondern die Einheit des Landes. Katharina beschloss, es dabei zu lassen. Vielleicht hatte Wolfs Vater wirklich Recht gehabt und jemand anders hatte das nicht hinnehmen wollen.
Eine Woche darauf fand die Trauung der jungen Leute in der katholischen Kirche von Dreibeck statt. So vorsichtig und sanft, wie er sie in der Nacht liebte, so sachte schob Wolf Katharina den Trauring auf den rechten Ringfinger.
„Ihr dürft die Braut küssen, Graf“, forderte der Priester ihn auf. Er hob den Schleier seiner Braut an, sah in ein glückstrahlendes Lächeln und küsste sie zärtlich. Niemandem der Gäste konnte entgehen, dass das Paar viel Übung in dieser Liebkosung hatte.
„Meine Kathi“, sagte der junge Graf leise.
„Mein Wolf“, erwiderte sie ebenso leise. Jetzt waren sie endgültig ein Paar. Freiwillig hätte er sie schon vor der Hochzeit nicht mehr hergegeben. Aber vor bösen Überraschungen war man nie sicher …
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Kapitel 18
Machtkampf mit dem Stadtrat
So, wie sich der Herbst 1624 mit Stürmen und frühem Schneefall Ende Oktober anließ, drohte ein harter Winter in diesem Jahr. Wolf von Steinburg fühlte sich als Stadthauptmann nicht nur für die Belange des Kaisers und seiner Soldaten zuständig, sondern auch für das Wohl der Bürger der unter seiner Statthalterschaft befindlichen Stadt. Er wollte keinen Unterschied machen, ob es seine eigene Grafschaft war, die er verwaltete oder eine Stadt, die er als Soldat mit erobert hatte. In beiden Fällen waren die Bewohner Untertanen des Kaisers, den auch er als seinen Herrn ansah.
Dank des Seppensen’schen Vermögens gelang es ihm, die beutehungrigen Soldaten ruhig zu stellen und dafür zu sorgen, dass sie ordentlich bezahlten, wenn sie fouragierten. Plünderungen gab es nicht mehr in Dreibeck, ebenso wenig wurden Frauen belästigt. Der junge Stadthauptmann hatte angeordnet, dass ein Soldat, der einer Frau allzu nahe getreten war, sie entweder heiratete oder – wenn er selbst bereits verheiratet war – eine so große Entschädigung zahlte, dass es ihm erstens weh tat und zweitens der Frau ein einigermaßen sorgloses Leben ermöglichte. Um gesellschaftlicher Ächtung lediger Mütter vorzubeugen, hatte er von seinen kaiserlichen Vollmachten mit einem entsprechenden Gesetz Gebrauch gemacht. Danach war sicherzustellen, dass Frauen, die nach einer Vergewaltigung Mutter wurden, weder an den Pranger gestellt wurden, noch von kirchlichen oder weltlichen Festen ausgeschlossen wurden – was andernorts nahezu tägliche Praxis war, wenn eine Frau in Schande gebar, also unverheiratet war, wenn sie ein Kind zur Welt brachte. Sowohl die Moralhüter der Stadt in Gestalt des Stadtrates als auch die kirchlichen Würdenträger beider Konfessionen hatten dem Hauptmann dieses Gesetz zunächst übel genommen. Doch nachdem Wolf sie gefragt hatte, wie oft einer Frau eigentlich ungestraft Gewalt angetan werden dürfe, hatten sie entrüstet gesagt, dass das nicht ein einziges Mal geschehen dürfe.
„Gut“, hatte er gesagt. „Ich stimme Euch zu, Ihr Herren. Aber Ihr tut es täglich aufs Neue, wenn Ihr eine Frau verachtet, deren einzige Schuld es ist, gebären zu können. Wir sind uns doch darüber einig, dass diese Frauen schuldlos in diese Lage geraten sind; denn es geht nicht um Huren, sondern um ehrbare Frauen, die brutal vergewaltigt wurden. Keine Frau ist in der Lage, ihre Fruchtbarkeit zu unterbrechen, wenn ein Mann sich dieser Frau nur deshalb bemächtigt, weil er einfach der körperlich Stärkere ist und sie sich gegen ihn nicht wehren kann. Nicht nur, dass sie mit dieser grässlichen Erinnerung leben muss; nein, sie wird doppelt gestraft, wenn sie auch noch ein Kind empfängt und es irgendwann allein aufziehen muss. Dreifach wäre die arme Frau gestraft, wenn ihr die gesellschaftlichen Kräfte, die sie vor der Vergewaltigung nicht schützen konnten, auch noch die nötige Unterstützung verweigerten, gar vierfach gestraft, wenn man sie auch noch aus dem öffentlichen Leben ausschließt, weil sie angeblich in Schande lebt. In Wahrheit ist es Euch doch nur peinlich, dass Ihr es nicht verhindern konntet und nun nicht mehr an Eure Schande erinnert werden wollt! Mein Gesetz sorgt zum einen dafür, dass diese armen Frauen angemessen entschädigt werden – soweit sich so ein Verbrechen mit Geld überhaupt gutmachen lässt – zum zweiten, dass sie weiterhin in die Kirche gehen dürfen und wenigstens bei Gott Trost finden, wenn die Menschen ihr den nicht geben können und zum dritten, dass ihr der ihr zustehende Platz in den Ständen nicht auch noch geraubt wird. Was, bitte, spricht dagegen?“
Weder die Kirchen- noch die Stadtvertreter hatten vernünftige Argumente dagegenzusetzen gehabt und hatten das Gesetz – wenn auch würgend – geschluckt.
Nun drohte ein harter Winter und Wolf wollte niemanden in der Stadt hungern sehen. Er suchte deshalb den Stadtrat auf, um zu erfahren, über welche Vorräte Dreibeck verfügte, um sie eventuell noch aufzustocken. Der Bürgermeister Hansen zeigte sich stur.
„Ihr werdet von uns keine Auskünfte darüber erhalten!“, knurrte er zum wiederholten Mal an diesem Tag.
„Nun gut!“, seufzte Wolf. „Es gibt drei Möglichkeiten, herauszufinden, über welche Vorräte die Stadt verfügt: Erstens: Ihr seid vernünftig und gebt mir die Auskünfte, die ich haben möchte. Zweitens: Eine genaue Befragung eines der werten Herren in Eurem Kerkerturm auf der Streckbank. Unter meinen Leuten finden sich genügend, die mit solcherlei Verhör Erfahrung haben – nicht nur aus dem Blickwinkel des Befragten, übrigens.“
Er ließ die Drohung erst einige Augenblicke wirken. Mancher Ratsherr fuhr sich mit unbehaglichem Gesichtsausdruck unter die gestärkte Halskrause. Allesamt waren ein wenig blass um die Nase geworden.
„Drittens:“, fuhr er dann fort, „Wir können die Schuppen auch aufbrechen und den Inhalt von Fässern, Kisten und Säcken direkt nachprüfen. Danach wären die Waren aber nicht mehr lange haltbar und müssten bald verbraucht werden. Das wäre zwar wie Ostersonntag und Weihnachten auf einem Tag, aber danach hungert Dreibeck. Diese Möglichkeit halte ich für die allerschlechteste und würde sie nur anwenden, wenn ich anders wirklich nicht mehr weiterkäme.“
Der Bürgermeister schluckte hart.
„So stellt Ihr uns vor die Wahl, einen oder mehrere von uns unter der Folter zu befragen oder in die Vorratshäuser einzubrechen? Das ist unglaublich, Graf Steinburg!“, erboste er sich.
„Vergesst nicht die Möglichkeit, mir freiwillig Auskunft zu geben, Herr Bürgermeister!“, versetzte Wolf. „Werte Herren – ich bin für Dreibeck verantwortlich, ob Ihr es wahrhaben wollt oder nicht. Meine Pflichten nehme ich ernst. Und dazu gehört auch die Sorge um die Bewohner dieser Stadt. Meine Soldaten haben auch ohne Eure Vorräte genug zu beißen – aber was ist mit den Bürgern? Mir liegt daran, dass in Notzeiten alle von den Vorräten was abbekommen und nicht nur die, die auf den Schlüsseln für die Vorratshäuser sitzen! Also gebt Ihr mir entweder die verlangten Auskünfte – oder ich muss grob werden“, sagte er in einer Schärfe, die ungewohnt war. „Wir können gegeneinander arbeiten, meine Herren. Wir können die Bevölkerung aber auch gemeinsam schützen. Es liegt an Euch!“, setzte er hinzu.
Der Bürgermeister sah den Stadthauptmann lange an.
„Dreibeck ist eine vom Feind besetzte Stadt, Hauptmann von Steinburg. Wir arbeiten nicht mit dem Feind zusammen!“, fauchte er.
„Dann darf ich Dreibecks Bürgern wohl mitteilen, dass ihr eigener Stadtrat sie als Feind bezeichnet“, schmunzelte Wolf.
„Wie ist das zu verstehen?“, fragte Hansen verblüfft.
„Mir scheint, Herr Bürgermeister Hansen, dass Ihr schlichtweg auf Euren Ohren sitzt!“, schimpfte Wolf. „Ihr habt offenbar nicht begriffen, dass es nicht um meine Soldaten geht! Die sind versorgt. Es geht um Eure Bevölkerung, um die Bürger dieser Stadt, die Euch mehr oder weniger freiwillig ihr Wohl anvertraut haben. Ich möchte sicherstellen, dass alle Bürger Dreibecks etwas von den Vorräten abbekommen, wenn es ernst wird. Habt Ihr das jetzt endlich begriffen?“, wetterte der junge Mann.
„Dreibecks Bürger gehen Euch nichts an, Graf Steinburg“, entgegnete der Bürgermeister kühl.
„Gut, Ihr Herren, Ihr habt gewählt!“, erwiderte Wolf so kalt, dass den Ratsherren doch unwohl wurde, und erhob sich vom Ratstisch.
„Ich gewähre Euch eine letzte Frist von vierundzwanzig Stunden. Dann ziehe ich andere Saiten auf! Gehabt Euch wohl.“
Er nahm seinen federgeschmückten Hut, setzte ihn schwungvoll auf und wandte sich zum Gehen. In der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Überlegt es Euch. Ihr wisst, wo Ihr mich findet“, sagte er. Die schwere Eichentür krachte hinter ihm ins Schloss.
„Wenn einer von Euch etwas über Dreibecks Vorräte preisgibt, ist er ein Verräter, der den Tod zu erwarten hat!“, drohte der Bürgermeister finster. Ratsherr Dammann erhob sich.
„Wir haben die Wahl“, sagte er. „Entweder, wir geben die Auskünfte, oder der Stadthauptmann lässt die Vorratshäuser öffnen oder einen von uns solange foltern, bis er damit herausrückt, welche Bestände wir haben. Wir sollten die kaiserlichen Soldaten nicht zu sehr reizen. Sonst könnte Hauptmann Steinburg doch noch auf die Idee kommen, für die Folter Rache zu nehmen.“
„Und die Soldaten plündern munter unsere Vorräte?“, keifte Hansen. „Das könnte Euch so passen, Ratsherr Dammann!“
„Bisher haben sich die Kaiserlichen hier – von der Eroberung mal abgesehen – anständig benommen. Hauptmann Steinburg hat verfügt …“
„Ach, hört auf!“, wetterte der Bürgermeister. „Kann ja alles sein! Auch dass er die Bevölkerung vor irgendetwas schützen will. Aber er bleibt, verdammt noch mal, unser Feind!“, beharrte er.
„Wie kann ein Mann, der alles daran setzt, die Bürger einer Stadt vor Nachteilen zu schützen, ein Feind sein?“, fragte Dammann. „Unsere Stadtwache hat auch nichts anderes versucht, sie waren für uns keine Feinde. Und vergesst bitte nicht, dass Wachtmeister Ebersen – immerhin der Befehlshaber der Stadtwache Dreibecks – mit dem größten Teil seiner Leute zu Steinburg übergewechselt ist“, erinnerte der Ratsherr.
„Der elendige Verräter, der!“, schnaubte Hansen zornig. „Den betrachte ich nicht mehr als einen Bürger Dreibecks!“
„Herr Bürgermeister, Ihr kennt die Kriegsartikel*. Ein besiegter Soldat darf frei und ohne Zwang in den Dienst des Siegers eintreten, ohne dass ihm von seinem ehemaligen Herrn Verrat vorgeworfen werden darf!“, gab Dammann zu bedenken. „Keiner der Soldaten, die zu Steinburg übergewechselt sind, ist ein Feind dieser Stadt – ebenso wenig wie Graf Steinburg selbst. Oder hätte er sonst die Witwe des alten Seppensen geheiratet? Davon aber abgesehen, kenne ich keinen aufrichtigeren Menschen als Graf Steinburg. Wenn ich irgendwem in dieser Stadt glaube, was er sagt, dann ist es Graf Steinburg.“
„Er ist ein Kaiserlicher, verdammt noch mal!“, schrie Hansen erbittert.
„Darf ich Euch daran erinnern, dass die Ernennung der Dreibecker Ratsherren vom Herzog von Lüneburg vorgenommen wird, der sein Lehen vom Kaiser hat?“, bemerkte Dammann scharf. „So gesehen, sind auch wir Kaiserliche, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht!“
„Der Kaiser ist Papist und wir sind Protestanten!“, brüllte Hansen.
„Herr Bürgermeister, es reicht jetzt! Wir können nur mit dem Hauptmann oder gegen ihn arbeiten! Für unsere Bürger wäre es nicht gut, wenn wir gegen den Grafen arbeiten. Wir würden ihre Sicherheit aufs Spiel setzen – und das Risiko ist mir zu groß!“, entgegnete Dammann wütend.
„Ihr verlangt allen Ernstes, dass wir Von Steinburg die Bestände aufgeben?“, fragte der Bürgermeister keifend.
„Genau das!“, versetzte Dammann.
„Ihr seid ein Verräter, Dammann!“, brüllte der Bürgermeister.
„Und Ihr verratet die Bürger, wenn Ihr sie unnötig in Gefahr bringt!“, donnerte Dammann zurück. Hansen sprang auf, Dammann ebenfalls.
Die beiden Streithähne waren kurz davor, sich zu prügeln, als die anderen Stadträte eingriffen und sie trennten.
„Das genügt jetzt, meine Herren!“, sagte Ratsherr Jasper scharf. „Es führt zu nichts, wenn wir uns jetzt untereinander bekriegen. Dreibeck ist jetzt gute zwei Monate besetzt. Von Steinburgs Soldaten pressen das Volk nicht, sie bezahlen, was sie brauchen. Die Bauern in der Umgebung sind alles andere als unglücklich mit den Kaiserlichen, weil sie selten so gut an ihren Ernten verdient haben. In anderen Gegenden haben die Kaiserlichen anders gehaust! Unsere Salztransporte sind besser geschützt als je zuvor. Und was Eure Abneigung gegen den Glauben des Grafen anbelangt: Unter Steinburgs Soldaten gibt es eine ganze Menge Protestanten, die für den Kaiser kämpfen. Wir sollten uns wirklich nicht ausgerechnet darauf berufen, dass wir Protestanten und die kaiserlichen Soldaten Katholiken sind. In dieser Ausschließlichkeit stimmt es nämlich einfach nicht! Und eines sollten wir bedenken, Herr Bürgermeister: Wallenstein kann die Besatzung durchaus gegen eine rauere Truppe austauschen, wenn Von Steinburg Eure Widerspenstigkeit zu viel wird. Schon aus purem Eigennutz sollten wir uns Graf Steinburg erhalten. Und wenn Ihr, meine Herren, Eure Fehde jetzt nicht auf der Stelle begrabt, verbringt Ihr die Nacht zur Beruhigung im Kerkerturm!“
„Jasper, auch Ihr habt mich zum Bürgermeister gewählt!“, schnaufte Hansen.
„Zum Bürgermeister, aber nicht zu einem Despoten“, stellte Jasper klar. „So aber führt Ihr Euch auf. Ich muss Euch wohl nicht daran erinnern, dass ein gewählter Bürgermeister auch abgewählt werden kann. Benehmt Euch, wie es einem dreibeckschen Kaufmann zukommt und bleibt sachlich!“, wies Jasper den erzürnten Bürgermeister kühl zurecht. „Ich bin dafür, dass wir Graf Steinburg die verlangten Auskünfte geben“, setzte er hinzu. Die weit überwiegende Mehrheit des Stadtrates stimmte Jaspers Vorschlag zu, nur der Bürgermeister war aus Prinzip dagegen, war aber überstimmt. Der Rat bestimmte den Ratsherrn Jasper dazu, zum Speicherhaus zu gehen und mit Graf Steinburg zu reden – allen Erklärungen zum Trotz, mit denen der Bürgermeister auch nach der Abstimmung noch versuchte, die Ratsherren von ihrem Vorhaben abzubringen.
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Kapitel 19
Erkenntnisse
Als Wolf den Ratssaal verließ, wartete draußen Thomas von Altenburg auf ihn. Wolf sah ihn und hob in einer recht hilflosen Geste die Hände.
„Sturer als eine Herde Esel!“, seufzte er.
„Gib‘ die keine Mühe, Wolf. Ratsherren sind immer bockig, bis einer auf der Streckbank liegt“, grinste Thomas. Wolf schüttelte den Kopf.
„Ich will keine groben Mittel anwenden, wenn es nicht unumgänglich ist, Thomas. Ich hoffe, sie kommen noch zur Vernunft.“
„Wolf, wir sind nicht gekommen, um hier Ringelreihen zu tanzen“, erinnerte Thomas seinen Vorgesetzten.
„Möglich, aber auch nicht dazu, Dreibecks Bevölkerung durch Terror noch weiter vom Kaiser wegzutreiben“, entgegnete Wolf. „Wir sollen die Stadt für den Kaiser sichern. Wenn ich das mit vernünftigen Mitteln erreichen kann, sehe ich nicht ein, weshalb ich die Bürger grundlos pressen sollte.“
„Mit Vernunft scheinst du nicht viel Erfolg zu haben“, warnte Thomas.
„Abwarten. Ich habe ihnen eine letzte Frist von vierundzwanzig Stunden gegeben. Wenn sie dann noch immer unwillig sind, müssen wir eben etwas grober werden. Darf ich dich zum Abendessen einladen?“
„Da sage ich nicht nein. Wie geht es Kathrin eigentlich?“
„Überzeuge dich selbst, wie gut es ihr geht. Sie sagt mir, sie sei glücklich.“
Der Abend war bitterkalt, aber in den Feuerstellen des Speicherhauses brannten wärmende Feuer. Auf dem Herdfeuer in der Küche wartete das Abendessen auf den Herrn des Hauses. Katharina war schon unruhig von einem Fenster zum anderen gegangen, weil Wolf so lange ausblieb. Sie ertappte sich beim Aufatmen, als sie ihn und Thomas im ungewissen Licht der wenigen Straßenlaternen kommen sah. Sie eilte hinunter ins Erdgeschoss und öffnete die Tür.
„Guten Abend, mein Schatz“, begrüßte er sie leise und küsste sie.
„Guten Abend, Liebling. Du hast Besuch mitgebracht?“, erkundigte sie sich, als sie sich aus dem Kuss löste. Er nickte.
„Thomas von Altenburg muss ich dir ja nicht mehr vorstellen“, sagte er.
„Nein, gewiss nicht. Seid willkommen, Herr von Altenburg.“
Thomas zog höflich den federgeschmückten Hut.
„Ich wünsche Euch einen guten Abend, edle Frau. Ich beneide nicht nur meinen Freund Wolf um seine Frau, ich beneide auch die Grafschaft Steinburg um ihre schöne Gräfin. Schade nur, dass Eure Untertanen Euch noch gar nicht kennen.“
„Wer weiß, wie eilig sie es eigentlich haben, den Grafen überhaupt zurückzuhaben, Herr von Altenburg“, lächelte sie. „Habt ihr schon etwas gegessen?“, wandte sie sich an Wolf. Er schüttelte den Kopf.
„Nein, bis vor einer halben Stunde habe ich noch mit dem Stadtrat diskutiert. Wir hatten noch keine Gelegenheit, zu essen. Ich habe mir erlaubt, Thomas einfach einzuladen.“
„Dann kommt, meine Herren. Hedwig hat das Abendessen fertig“, lud die junge Frau ein. „Dankwart, du kannst auftragen!“, rief sie dann. „Und leg‘ noch ein Gedeck für Herrn von Altenburg dazu!“
„Ja, Frau Gräfin“, bestätigte Dankwart und beeilte sich, dem Wunsch der Hausfrau nachzukommen.
Wolf, Katharina und Thomas nahmen im Speiseraum Platz, wo Dankwart die Suppe servierte. Thomas sah Katharina aufmerksam an. Vieles an ihr erinnerte ihn an seine Mutter, doch brachte er es im Moment einfach nicht fertig, Katharina darauf anzusprechen. Er hatte es ihr schon gesagt, sie hatte es dementiert, und er hatte im Augenblick keine Beweise für oder gegen seine Vermutung, mit ihr in irgendeiner Weise verwandt zu sein.
Nach einem gemütlichen Essen zogen Wolf und Thomas sich in das hinter dem Speiseraum gelegene Kontor zurück, um den Einsatz der zur Verfügung stehenden Kräfte für die nächste Zeit zu planen.
„Wir brauchen Sicherheit, dass die Lüneburger, Braunschweiger und Lauenburger bleiben, wo sie sind“, sagte Wolf und tippte auf die an der Wand hängende, handgemalte Karte, die Dreibeck und die weitere Umgebung bis nach Göttingen und Hildesheim zeigte.
„Thomas, sende von deinen Reitern Patrouillen aus, am besten mit ortskundigen Dreibeckern zusammen“, wies Wolf seinen Untergebenen an. Von Altenburg grinste.
„Ich hab’s einfach schon mal getan. Wegen der Sitzung mit dem Stadtrat konnte ich dir noch nicht berichten“, sagte er. Dann erlosch sein jungenhaftes Grinsen. „Wolf: Es gibt eine verflixt große Gefahr!“, warnte er dann.
„Werd’ deutlicher“, forderte Wolf ihn auf. Er trat nahe an die Karte.
„Meine beiden Patrouillen, die ich nach Norden und Nordosten geschickt habe, haben hier, bei Braunschweig fremde Truppen entdeckt. Vermutlich sind es Leute von Mansfeld, aber das ist nicht ganz sicher. Das ist das eine. Das andere ist eine Gefahr aus ursprünglich eigenen Reihen. Meine Leute haben in der Nähe von Hildesheim Freund Buchenberg getroffen – und sind ihm nur knapp entwischt. Buchenberg scheint seine eigene Suppe zu kochen. Er trägt kein kaiserliches Feldzeichen mehr. Dafür hat er eins, das ich längst ausgestorben wähnte. Gelbes Feld mit schwarzem, rotbezungtem Drachen. Erinnert es dich an das gleiche Wappen, an das ich auch denke?“
Wolf wurde bleich.
„Das wilzarische Wappen! Großer Gott! Das lässt der Kaiser zu?“, entfuhr es ihm mit deutlichem Keuchen. Thomas sah seinen Freund mitleidig an.
„Wolf, der Kaiser weiß unter Umständen noch nicht mal was davon. Und wenn er es wissen sollte: Mit wessen Hilfe sollte er einen abtrünnigen Offizier daran hindern, sein eigenes Feldzeichen zu führen? Dieser Krieg ist die Unübersichtlichkeit in politischer Person. Jeder kämpft gegen jeden. Fürsten gegen den Kaiser, Katholiken gegen Protestanten, Soldaten gegen das Volk. Nimm den Kurfürsten von Bayern: Max hat den Kaiser dazu gebracht, ihm die Kurwürde seines protestantischen Verwandten zu geben. Bist du absolut sicher, dass der Kaiser erstens das Recht dazu überhaupt hatte und zweitens, dass es rechtens von Max war, diesen Preis für eine von ihm als kaiserlicher Vasall ohnehin geschuldeten Hilfe zu verlangen?“
Wolf sah Thomas eine Weile an. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
„Nein, ich glaube nicht, dass es rechtens war, den Preis zu fordern und ihn zu geben. Aber ich bin des Kaisers Graf …“
„Halt, versteh’ mich nicht falsch, Wolf. Ich will nicht, dass du jetzt auch noch den Dienst aufkündigst. Ich meine etwas anderes: Wenn Ferdinand Max diesen Preis bezahlt hat, könnte es nicht sein, dass Buchenberg eine ähnliche Forderung gestellt hat, vielleicht mit dem Preis, Wilzarien wiederzuvereinigen?“, bremste Thomas.
„Wenn das zutreffen würde, warum greift Buchenberg dann Leute an, die erklärtermaßen Männer des Kaisers sind?“, fragte Wolf. „Mir riecht es eher danach, dass Freund Buchenberg sich vom Dänen die Garantie für Wilzarien hat geben lassen“, gab er zu bedenken.
„Nehmen wir mal an, Buchenberg hätte eine kaiserliche Garantie, würde aber nur zum Schein auf Seiten des Kaisers stehen und eigentlich gegen ihn und seine Interessen arbeiten. Wir Wengländer wären doch auch gern wieder ein Volk. Wäre das nicht die Chance, dem Kaiser die Anerkennung einer territorialen Einheit Wenglands abzuringen?“
„Thomas, der Thron Wenglands wäre – rein erbrechtlich – mein Erbe. Ich bin mir aber nicht sicher, dass alle anderen Grafen wieder einen König aus dem Hause Wengland-Steinburg wünschen. Martin von Eschenfels und Lothar von Südwengland wären dafür, wenn ich die Krone bekäme, aber wie denken die anderen darüber? Es gibt außer uns dreien immerhin noch zehn weitere Grafen Wenglands. Es wäre fatal, wenn um die Krone Wenglands noch ein zusätzlicher Streit entstehen würde, der uns Wengländer in einen zwölf-Fronten-Krieg bringt und dazu noch die Bedrohung von außen bleibt. Bevor wir dem Kaiser eine solche Garantie abnötigen, möchte ich sicher sein, dass alle wenglischen Grafen an einem Strang ziehen. Und wenn es so sein sollte, dass Buchenberg einen Eid gebrochen hat, könnte sein, dass Ferdinand sehr vorsichtig ist, wem er irgendwelche territorialen Garantien für versprochene Treue oder Leistungen gibt.“
„Wolf, die Grafen, mit denen ich bisher gesprochen habe wären für eine Regierung durch einen Fürsten aus dem Hause Steinburg. Fast jeder glaubt an diese alte Weissagung, dass nur ein Fürst aus deinem Hause Wengland als territoriale Einheit wiederherstellen kann. Die überlieferten Sagen halten sich beharrlich. Und ich persönlich könnte mir keinen besseren König vorstellen als dich.“
Wolf lächelte.
„Danke für die Blumen. Du würdest damit auch nichts aufgeben, schließlich bist du nicht reichsunmittelbar wie die Grafen“, gab er zu bedenken.
„Stimmt natürlich. Aber wenn ich Martin und Lothar richtig verstanden habe, sind die Grafen der Meinung, dass ihr Wort mehr Einfluss haben würde, wenn sie nicht mehr im Reichstag reden müssten, sondern im wenglischen Grafenrat. Da wären sie nur dreizehn – so sind es hunderte. Die einzelne Stimme hat da nicht viel Gewicht.“
„Dennoch: Wir sollten die Grafen insgesamt hören, bevor wir dem Kaiser ein Angebot machen“, beharrte Wolf. „Weißt du, wo die Grafen stecken?“
Thomas dachte einen Moment nach.
„Lothar und Martin sind hier in Dreibeck. Robert von Bauzenstein ist, soviel ich weiß, in Bauzenstein und versucht, Unheil von seiner Grafschaft fernzuhalten. Mein Grundherr, der Graf von Eichgau, soll sich beim Kaiser in Wien aufhalten, wohl als Mitglied des Hofkriegsrates oder als Adjutant von einem der Hofkriegsräte. Und sonst weiß ich absolut nichts über den Verbleib der hohen Herren“, erwiderte Thomas schulterzuckend.
„Wilfried von Artenberg weiß doch über alles und jeden Bescheid. Er ist Wengländer und könnte wissen, wo die Grafen sind“, mutmaßte Wolf dann. Er klingelte, Dankwart erschien.
„Ihr habt geläutet, Herr?“
„Dankwart, ist Willibald im Hause?“, fragte Wolf.
„Ja, Herr.“
„Hol’ ihn her.“
„Sofort, Herr.“
Wenig später war Willibald, Wolfs persönlicher Bursche, zur Stelle.
„Euer Gnaden haben mich rufen lassen?“
„Willibald, geh’ zu Wilfried von Artenberg und sage ihm, dass ich ihn sprechen möchte.“
„Bin schon unterwegs, Euer Liebden“, rief Willibald und war schon hinaus. Es dauerte auch nicht lange, bis er mit Wilfried von Artenberg zurückkehrte. Wilfried war – wie Wolf und Thomas – ein ehemaliger Kundschafter, der nach der Eroberung Dreibecks ein Truppenkommando bekommen hatte.
„Wilfried, du bist der beste Verbindungsmann zu den übrigen Wengländern“, sagte Wolf, als er Von Artenberg begrüßt hatte. „Weißt du, wo die anderen wenglischen Grafen sind?“
„Sicher“
„Dann nimm dir die drei besten Pferde, die wir hier haben, und reite los, um sie nacheinander zu besuchen. Ich lade die Grafen hierher ein, um mit ihnen über die Zukunft Wenglands zu beraten.“
„Ich werde kaum vor dem Frühjahr zurück sein, es sei denn, du willst das auf den Frühling verschieben.“
„Würde ich gerne, aber ich weiß nicht, was Manfred von Buchenberg bis dahin angestellt hat“, erwiderte Wolf. „Deshalb möchte ich die Grafen möglichst bald sprechen.“
„Ich reite in drei Tagen, wenn ich alles nötige zusammengepackt habe“, sagte Von Artenberg.
„Danke, Wilfried; ich weiß, ich kann mich auf dich verlassen“, erwiderte Wolf und drückte dem Karlsfelder die Hand, der auch gleich fortging.
Der Stadthauptmann sah ihm seufzend nach.
„Aber bis dahin müssen wir erst einmal Dreibeck gut verwalten. Hoffentlich kommt morgen einer vom Stadtrat“, sagte er. Thomas grinste.
„Du scheinst nicht sehr darauf versessen zu sein, ihnen deine Striemen heimzuzahlen“, bemerkte er.
„Das ist erledigt. Herrn Jacobsen, der diese nette Verzierung veranlasst hat, habe ich bei der Eroberung zu seinen Ahnen versammelt“, gab Wolf zurück. „Deine Patrouillen sollen auf jeden Fall Acht geben, was Freund Manfred anstellt. Ich will den Kerl nicht in Dreibeck haben, sonst spieße ich ihn auf. Ich wäre mir nicht sicher, dass er Kathrin nicht wieder an die Wäsche will“, setzte er dann hinzu.
„Keine Sorge, wir werden darauf achten“, versprach Thomas.
Von Altenburg verabschiedete sich zu später Stunde. Wolf und Katharina zogen sich in die Abgeschiedenheit ihres gemeinsamen Schlafzimmers zurück.
„Seit Herr von Altenburg fort ist, bist du so still und in dich gekehrt, Wolf. Was hast du?“, fragte sie besorgt. Er sah seine Frau eine Weile an. Sollte er ihr von der möglichen Gefahr durch Buchenberg erzählen?
„Wolf, etwas quält dich. Lass mich dir helfen, Liebster“, sagte sie leise und strich ihm zart über die Wange. Er zog sie sanft an sich und umarmte sie.
„Ich fürchte, mein Liebling, das ist nicht so einfach“, seufzte er dann.
„Und warum nicht? Hast du kein Vertrauen mehr zu mir?“
Er lächelte und strich ihr zärtlich über das offene Haar.
„Nein, mein Schatz. Das ist es nicht. Es geht nicht um mich, sondern um dich. Thomas hat mich gewarnt, dass Manfred von Buchenberg sich offenbar selbstständig gemacht hat. Wallenstein hat mich schon gewarnt, dass Buchenberg die Duellentscheidung wohl nicht hinnehmen wird. Deshalb hat er ihn auch weggeschickt. Aber nachdem ich nun von Thomas erfahren habe, dass er sich hier in der Gegend herumtreibt und offensichtlich ohne Herrn ist, der ihm Befehle gibt, mache ich mir große Sorgen, wie ich dich wirksam schützen kann“, sagte er leise und küsste sie zart. Katharina schmiegte sich schutzsuchend an ihn. Zu gut war ihr die Brutalität des Herrn von Buchenberg in Erinnerung.
„Ich wollte dir das gar nicht sagen, damit du dich nicht noch mehr ängstigst, mein Häschen“, setzte Wolf hinzu. Katharina seufzte tief.
„Vielleicht ist es gut, dass du es mir sagst. Ich werde auf alle Fälle sehr vorsichtig sein, wenn ich Soldaten sehe, die nicht zum Stadtkommando gehören.“
Er hob ihr Kinn vorsichtig an.
„Sei ehrlich – kennst du die wirklich alle?“, erkundigte er sich.
„Wolf, ich bin ein schrecklich neugieriger Mensch, wie du mir beim Fest meines Vaters bestätigt hast. Ich habe ein gutes Personengedächtnis und vergesse nie ein Gesicht. In den zwei Monaten, die du jetzt Stadtkommandant von Dreibeck bist, sind mir sämtliche Soldaten deines Kommandos bekannt geworden. Außerdem haben die Männer mitbekommen, dass ich nun deine Frau bin und begegnen mir mit einer gewissen Ehrerbietung. Es fällt deshalb sofort auf, wenn ein fremder Soldat in Dreibeck ist“, erklärte sie. Er sah sie noch zweifelnd an. Sie lächelte ihn zärtlich an, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Seine Sorgen lösten sich diesmal nicht ganz in der Zärtlichkeit seiner Frau auf, aber sie wurden etwas weniger wichtig – wenigstens für die Spanne einer Nacht.
A A A
Kapitel 20
Vorratsplanung
Am darauf folgenden Tag ließ sich schon morgens um acht Uhr der Ratsherr Jasper melden. Wolf ließ den Ratsherrn bitten.
„Guten Morgen, Ratsherr Jasper“, begrüßte Wolf den Stadtvertreter. „Was führt Euch zu mir?“, erkundigte er sich dann interessiert und bot Jasper Platz im Kontor an.
„Danke, Euer Gnaden“, sagte der Ratsherr und setzte sich in den Sessel vor dem Kamin, in dem ein wohlig wärmendes Feuer flackerte.
„Wir haben gestern Abend, nachdem Ihr uns ein so unmissverständliches Ultimatum gesetzt habt, darüber beraten, und sind zu dem Schluss gekommen, dass es für uns wohl gesünder ist, Euch die erbetenen Auskünfte zu geben. Der Rat hat mich beauftragt, Euch dieses Verzeichnis zu übergeben“, kam er dann zum Grund seines Besuchs. Jasper überreichte Wolf ein dickes, in Leder gebundenes Buch.
„Ihr erlaubt?“, fragte Wolf, nahm dem Ratsherrn das schwere Exemplar ab und öffnete die Verschlüsse. Dann sah er sich die verschiedenen Positionen an.
„Nicht eben üppig, Herr Jasper“, seufzte der junge Graf nach einer Weile, die er in dem Verzeichnis geblättert hatte.
„Sagt, Herr Jasper: Sind das wirklich die gesamten Vorräte der Stadt? Das erscheint mir – angesichts der Ernte des letzten Jahres – viel zu wenig.“
Der Besucher suchte nach passenden Worten, um Wolf die Lage zu erklären.
„Hört, Herr Jasper, ich habe beileibe nicht vor, die Bestände für meine Soldaten zu requirieren. Der Winter lässt sich recht kalt an, und ich befürchte, er wird hart werden. Bei diesen Beständen wird Dreibecks Bevölkerung spätestens im Februar jeden Krümel Brot hinuntergeschluckt haben. Wenn das wirklich alles ist, was Dreibeck zur Verfügung steht, müssen wir die Vorräte schleunigst ergänzen, sonst hungert die Stadt ab April“, setzte Wolf hinzu, als Jasper nicht antwortete.
„Ihr meint, wir müssten dann rationieren?“, fragte Jasper vorsichtig.
„Nicht dann. Wenn das hier bis April reichen soll, ist ab morgen in Dreibeck Fastenzeit!“, versetzte Wolf. „Bei – sagen wir – normalen Rationen sind diese Vorräte zu Weihnachten weg!“
„Die Bürger haben auch eigene Vorräte, Euer Gnaden“, bemerkte Jasper. „Das hier sind nur die städtischen Bestände an Lebensmitteln.“
„Weiß ich. Die privaten Vorräte sind mir bekannt, Herr Jasper, weil meine Soldaten bei Dreibecks Bürgern einquartiert sind und die Dreibecker etwas kooperativer sind als ihr Stadtrat. Ich habe diese privaten Lebensmittelbestände auch schon in die Kalkulation einbezogen. Also – das kann’s nicht gewesen sein! In welchen Kellern steckt das Gros der Ernte?“, erwiderte Wolf. Jasper zuckte hilflos mit den Schultern.
„Das sind sämtliche Vorräte, Graf Steinburg. Tut mir Leid, dass ich Euch nichts Besseres bieten kann.“
„Herr Jasper, es widerstrebt mir, ganz Dreibeck auf den Kopf zu stellen, um nachzusehen, wo ungefähr zwei Drittel der Ernte und des Schlachtviehs geblieben sind!“, knurrte Wolf. „Begreift bitte, dass es mir um Dreibecks Bürger geht, gleich, ob sie dem Kaiser treu sind oder sich mehr den Fürsten der Protestantischen Union verbunden fühlen. Ich möchte nicht, dass die Bürger dieser Stadt hungern müssen, wenn der Winter wirklich so schlimm wird, wie er sich anlässt.“
„Das, was in diesem Buch verzeichnet ist, sind die gesamten städtischen Bestände, Graf Steinburg“, beharrte Jasper.
„Na gut“, seufzte Wolf. „Ich will es Euch glauben. Ich bitte Euch, im Stadtrat darauf zu dringen, dass die Vorräte dann umgehend ergänzt werden – mindestens um das Dreifache. Noch gibt es in der Umgebung genug zu kaufen. Aber Gnade Euch Gott, wenn es zu einer Hungersnot kommt, und einer von Euch Pfeffersäcken will seine gehorteten Vorräte zu Wucherpreisen verkaufen! Ich garantiere Euch, dass derjenige den Tag seiner Geburt verfluchen wird!“, drohte Wolf finster. Jasper schluckte trocken.
„Wenn ich einen dabei erwische, dass er mit der Not der Menschen seinen Reibach machen will, geht es ihm schlecht. Ich weiß, dass Kaufleute für gewöhnlich mit ihrem Handel Gewinn erwirtschaften wollen und ein Handelshaus keine kirchliche Almosenstätte ist, aber alles hat seine Grenzen, verstanden?“, fuhr der Stadthauptmann grimmig fort. Der Ratsherr nickte betreten.
„Der Rat mag mich und meine Männer als Feinde betrachten – der größte Teil der Bürger dieser Stadt tut es nicht mehr, weil meine Männer sich hier gesittet aufführen, brav Miete bezahlen und nicht stehlen. Es hat mich eine gewisse Mühe gekostet, meine Leute dahin zu erziehen. Wünscht Euch nicht die reißenden Wölfe zurück, als die sie hergekommen sind“, warnte der Graf schließlich.
„Ist das eine Drohung?“, fragte Jasper erschrocken.
„Nein, eine Warnung. Meine Männer sind gezähmt. Die von Hauptmann Buchenberg nicht, die von Hauptmann Dernberger auch nicht. Vermutlich würde mein Oberst Hauptmann Dernberger schicken, wenn ich das Kommando aufgebe. Wünscht es Euch nicht.“
„Hauptmann von Steinburg – es hat mich viel Mühe gekostet, den Bürgermeister und einige andere Ratsherren davon zu überzeugen, dass es besser ist, mit Euch zusammenzuarbeiten als gegen Euch zu agieren. Bitte, bremst nicht die beginnende Entspannung mit solch finsteren Drohungen“, warnte nun Jasper. „Werdet nicht unklug.“
„Sagt, wem untersteht die städtische Vorratshaltung im Rat?“
„Dem Ratsherrn Dammann.“
„Dann bittet Herrn Dammann, er möge mich heute im Laufe des Tages aufsuchen. Ich möchte mit ihm über diese Zahlen sprechen.“
„Ich werde es ihm ausrichten, Herr Graf. Übrigens: Wie gefällt es Euch in Dreibeck?“
„Meine erste Bekanntschaft mit Dreibeck war schmerzhaft. Aber dank meiner Frau hat sich meine Betrachtungsweise geändert. Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass es mir hier nicht gefällt“, erwiderte Wolf.
„Es kommt nicht oft vor, dass ein Katholik eine Protestantin liebt, Graf Steinburg“, warf der Ratsherr ein.
„Vielleicht“, gab Wolf zurück. Die genaueren Hintergründe brauchte der Stadtrat Jasper nicht zu wissen. Niemand konnte wissen, wohin die launische Fortuna ihr Füllhorn noch drehen konnte. Da war es besser, zu schweigen. So ließ Wolf Jasper über die tatsächlichen Gründe für die Heirat im Ungewissen. Der Ratsherr verabschiedete sich, und Wolf widmete sich wieder seinen sonstigen Abrechnungen. Seine Tätigkeit als Tillys Adjutant dem jungen Mann dabei wirklich zugute.
Es war wohl drei Uhr am Nachmittag, als Ratsherr Dammann erschien. Caspar Dammann wirkte noch ein wenig verschlafen nach dem Mittagsschläfchen, als er das Kontor betrat.
„Gott zum Gruße, Ratsherr Dammann. Danke, dass Ihr gekommen seid. Nehmt doch Platz“, begrüßte Wolf den Ratsherrn.
„Danke“, sagte Dammann mit belegter Stimme und setzte sich. „Es gab Zeiten, da habe ich meinen Gästen in diesem Sessel Platz angeboten“, setzte er mit wehmütiger Stimme hinzu.
„Hat das Speicherhaus einmal Euch gehört?“, erkundigte sich Wolf. Dammann nickte.
„Ja, bis Seppensen mich in den Ruin trieb. Gott sei Dank habe ich Freunde gehabt, die mir geholfen haben, so dass ich den Großteil meines Vermögens zurückgewinnen konnte – aber das Speicherhaus, das konnte ich nicht zurückkaufen. Doch das ist eine ganz andere Sache. Ihr wolltet mich sprechen, Graf Steinburg?“
Wolf nickte und nahm den Lederband aus dem Regal hinter sich, den ihm Jasper am Morgen gebracht hatte.
„Ratsherr Jasper war heute Morgen hier und überbrachte mir dieses Verzeichnis. Dazu teilte er mir mit, dies seien die gesamten Vorräte, die Eigentum der Stadt Dreibeck wären. Ich werde den fatalen Verdacht nicht los, dass das nur ein gutes Drittel von dem ist, was ich an Ernte gesehen habe, als die kaiserliche Armee noch weit vor den Toren Dreibecks auf eine gute Gelegenheit wartete, die Stadt zu erobern. Herr Dammann, Ihr seid für die Vorratshaltung verantwortlich, hat man mir gesagt. Und so frage ich Euch: Wo ist der Rest?“, fragte Wolf.
Dammann lächelte kümmerlich.
„Es gibt keinen Rest, Hauptmann Steinburg. Ihr fragt Euch, wohin er gekommen ist und gibt eine einfache Erklärung dafür. Der Herzog von Lauenburg, der sich als Schutzherr der Protestanten in dieser Gegend versteht, brauchte Vorräte für sein Heer. Kurz, bevor Dreibeck erobert wurde, war eine Ratsdelegation beim Herzog, um mit ihm zu verhandeln. Er verlangte drei Viertel aller Nahrungsmittel der Stadt und drohte, sie sich gegebenenfalls zu holen. Wir boten ihm die Hälfte. Es reichte ihm nicht. Wir boten zwei Drittel, um wenigstens etwas zu behalten und um eine Einquartierung der Lauenburger zu vermeiden. Er war auch damit nicht zufrieden und drohte, er werde uns den Kaiserlichen ausliefern, wenn wir nicht mehr herausrückten. Wir wollten die Bürger der Stadt befragen, sandten aber schon den angebotenen Teil an den Herzog. Zu mehr sind wir dann nicht mehr gekommen, weil Ihr dann ans Tor geklopft habt. Wie Ihr seht, hat der Herzog keinen Finger für uns krumm gemacht. Nun seid Ihr hier, und Dreibeck wird in diesem Winter nicht nur fremde Soldaten in seinen Mauern haben, sondern auch noch hungern“, erklärte der Ratsherr.
„Und der Lauenburger gibt vor, Euch eigentlich schützen zu wollen?“, entfuhr es Wolf. „Der Teufel soll ihn holen!“
„Glaubt mir, die Kaiserlichen sind auch nicht besser. Ausnahmen wir Ihr bestätigen eher die Regel“, entgegnete der Ratsherr.
Wolf seufzte.
„Dann müssen wir uns wohl gemeinsam etwas einfallen lassen, wie wir Dreibeck durch den Winter bekommen“, sagte er.
„Wie ist das zu verstehen, Graf Steinburg?“, fragte Dammann verblüfft nach.
„Ich möchte nicht, dass auch nur ein Bürger dieser Stadt hungert, Herr Dammann. So ist das zu verstehen“, gab der Graf zurück. „Wie sieht es mit Geld aus?“
Dammann stutzte.
„Bitte?“
„Herr Dammann – Ihr braucht nicht misstrauisch zu sein. Ich habe nicht vor, Euch Eures Stadtvermögens zu berauben. Mir geht es darum, dass wir Vorräte einkaufen müssen und ich dann gern wüsste, wie viel Geld zur Verfügung steht.“
„Wir … wir haben gute Einkünfte aus dem Salzhandel“, rückte Dammann vorsichtig heraus. Wolf grinste.
„Verblüffend präzise Auskunft, Herr Dammann. Ihr traut mir nicht, weil ich ein Kaiserlicher bin. Ist Euer gutes Recht. Ihr versprecht Euch eine Rückeroberung der Stadt durch die Protestanten, oder?“
Dammann wich Wolfs forschendem Blick aus.
„Danke, das genügt“, lächelte der Graf. „Glaubt mir nur eines: Vor dem Frühling wird der Herzog von Lauenburg es nicht versuchen. Und ob Dreibecks Bevölkerung etwas davon hätte, wage ich mal anzuzweifeln. Die Stadt würde erneut unter einer grausamen Soldateska leiden“, warnte er.
„Nun, Eure Leute kamen auch nicht gerade als Unschuldsengel hier an, Graf Steinburg“, erinnerte Dammann.
„Ich bestreite das nicht, Herr Dammann. Aber ich denke doch, dass Dreibecks Bürger seit wenigstens zwei Monaten ruhig schlafen können“, erwiderte Wolf.
„Gewiss, Ihr habt Recht, Hauptmann. Aber Eure Leute sind katholisch – größtenteils jedenfalls. Lauenburgs Männer sind nun einmal Protestanten, wie wir Dreibecker auch. Und warum sollte es nicht wieder einen Stadthauptmann geben, der seine Leute so gut im Griff hat, wie Ihr?“
„Ich würde es Euch wünschen, Herr Dammann. Besonders den Frauen dieser Stadt. Seit beleidigte Vertreter Eurer Konfession im Zorn die kaiserlichen Statthalter in Prag aus dem Fenster geworfen haben, sind nun sechs Jahre vergangen. Ich habe, seitdem ich in Graf Tillys Dienste getreten bin, allzu oft erlebt, dass Katholiken katholische Dörfer und Städte ausgeraubt und geplündert haben und Protestanten protestantische Ortschaften niedergebrannt haben. Lehrt mich den Krieg kennen! Ich mache ihn seit sechs Jahren mit!“, sagte Wolf mit einem so ernsthaften Gesichtsausdruck, dass dieser eigentlich nicht zu den jungenhaften Zügen passen mochte. „Vielleicht glaubt Ihr mir nicht, weil Ihr einem Papisten aus Prinzip nicht glaubt – aber ich mag Dreibeck; seine knauserigen Händler und gierigen Marktschreier. Genauso, wie ich die wortkargen Bauern und buckeligen Handwerker Steinburgs mag. Ich würde keinen von ihnen hungern lassen. Nicht, weil sie mir als ihrem Grafen untertan sind, sondern weil ich diese Menschen mag. Und das gilt auch für Dreibeck. Andererseits weiß ich, dass nicht alle Edelleute so denken wie ich. Ich kenne genügend Menschen meines Standes, die nicht eher aufhören, ihr Volk zu pressen, bis der letzte Blutstropfen aus ihm herausgequetscht ist. Der Kurfürst von Bayern ist genauso zu dieser Sorte zu zählen, wie der Herzog von Lauenburg oder der von Braunschweig. Es ist ihnen herzlich egal, ob sie Protestanten oder Katholiken die letzten Krümel aus den Taschen ziehen.“
„Leider ändert das nichts daran, dass Ihr offiziell unser Feind seid. Wir haben Krieg mit Euch“, gab Dammann zu bedenken.
„Vielleicht kommen einmal andere Zeiten, Herr Dammann. Dann möchte ich den Menschen, denen ich einmal als Stadthauptmann vorgestanden habe, immer noch ins Gesicht sehen können“, erwiderte Wolf.
Dammann zuckte hilflos mit den Schultern.
„Ihr setzt uns alle zwischen die Stühle, Graf Steinburg!“, sagte er, beinahe verzweifelt. „Eure Leute pressen uns nicht; unsere Salztransporte sind besser geschützt, als je zuvor. Und ich will nicht verhehlen, dass man besonders von Eurer Person mit großer Achtung spricht – der Bürgermeister wohl ausgenommen. Aber Ihr seid ein Papist!“
Wolf lächelte freundlich.
„Das will ich auch bleiben, Herr Dammann. Gleichwohl halte ich den ausgebrochenen Streit zwischen denen, die meinen, die Kirche bedürfe einer gründlichen Reform, und denen, die meinen, sie solle so bleiben, wie sie ist, für baren Blödsinn. Wir glauben alle an denselben Gott, der uns geschaffen hat. Wir streiten uns um Kleinigkeiten in der Auffassung und Ausübung der Religion. Es ist nichts Weltbewegendes, das uns trennt. Was wirklich richtig ist, Herr Dammann, werden wir alle erst wissen, wenn wir vor dem Allmächtigen stehen. Mein Kampf, Herr Dammann, hat mit Religion nur in zweiter Linie etwas zu tun. Zuvörderst bin ich ein Soldat des Kaisers, dessen Untertanen wir alle sind, die wir im Reich leben. Ferdinand mag ein Erzkatholik sein, was manchem im Reich nicht schmeckt, aber er ist der gewählte Herrscher. Ich habe ihm als kleiner Graf dieses Reiches die Treue geschworen. Dafür stehe ich ein – nicht dafür, wie der Kaiser die Messe feiert.“
„Bedeutet Euch der Glaube denn nichts?“, erkundigte sich Dammann vorsichtig.
„Oh doch, ich betrachte mich als gläubigen Katholiken – aber es fiele mir nicht in Albträumen ein, anderen Menschen meinen Glauben aufzuzwingen. Im Übrigen halte ich es für Widersinn in Fässern, wenn Protestanten andere Protestanten zum Hungern zwingen, um sich selbst die Bäuche vollzuschlagen. Katholiken sind nicht besser, ich weiß – und das ist das Paradoxe an diesem Krieg. Es gab einmal Zeiten, da haben Wengländer Wilzaren ausgeplündert oder umgekehrt – aber keiner wäre auf die Idee verfallen, seine eigenen Leute auszunehmen und möglicherweise zu foltern, wenn sie denn nichts herausrücken mochten“, sagte Wolf und klappte den dicken Lederband zu. „Warum, zum Teufel, habt Ihr mir von dieser Misere nicht schon gestern Abend erzählt?“, fragte er dann.
„Unser Bürgermeister mag Euch gar nicht, Herr Graf. Er sieht in Euch nur den Kaiserlichen, den Katholiken. Ich habe mich deshalb gestern Abend mit ihm so furchtbar gestritten, dass die anderen Ratsherren uns nur mühsam von einer handfesten Prügelei abhalten konnten. Er wollte partout nicht damit heraus. Er hätte es wohl eher riskiert, dass Ihr die Vorratshäuser öffnet oder einen von uns hättet foltern lassen“, erwiderte Dammann.
Wolf sah den Ratsherrn eine Weile an.
„Wenn die Vorratshäuser geöffnet worden wären, hätte der gesamte Proviant verteilt werden müssen, damit er nicht verdirbt, nachdem die Fässer und Säcke offen wären. Euer Bürgermeister hätte also beste Gelegenheit gehabt, dem Lauenburger den restlichen geforderten Proviant zukommen zu lassen – und zwar, ohne, dass wir großartigen Verdacht geschöpft hätten. Schlau, der Herr Bürgermeister Hansen. Die hungernden Bürger hätten recht laut nach den Lauenburgern gerufen, vielleicht sogar ohne zu ahnen, dass die sich gerade mit den Winterreserven Dreibecks gesättigt hätten. Das böse Erwachen wäre allerdings spätestens dann gekommen, wenn die Lauenburger hier gewesen wären – und keiner mehr was zu beißen gehabt hätte. Ich denke, der Schuss wäre wohl nach hinten losgegangen“, sinnierte Wolf.
Dammann zuckte erschrocken zusammen. Der Hauptmann hatte innerhalb weniger Augenblicke begriffen, was Bürgermeister Hansen dem Rat nach dem heftigen Streit am Abend zuvor in fast einer Dreiviertelstunde mühsam erklärt hatte. Nur hatte Hansen die Konsequenzen nicht ganz so weit übersehen, wie der Hauptmann von Steinburg.
„Aber Dreibeck ist nicht nur der Bürgermeister Hansen“, fuhr Wolf fort, noch bevor Dammann sich ganz von dem Schreck erholt hatte. „Herr Dammann, ich möchte Euch helfen, wenn sich der Rat und die Stadt Dreibeck von uns Kaiserlichen helfen lassen. Klärt das bitte im Rat. Ich möchte ungern einen Plan entwerfen, wie wir zu möglichst günstigen Preisen genügend Lebensmittel bekommen können, wenn der Rat erklärt, er nehme von Papisten aus Prinzip nichts an und der Bevölkerung vielleicht noch verbietet, sich von uns helfen zu lassen. Aber wenn Ihr wollt, sind wir für Euch da. Allerdings nur für Dreibeck – nicht für die Leute des Lauenburgers!“
Dammann atmete sichtlich auf. Der Hauptmann wollte sein Wissen offenbar nicht dazu nutzen, dem Bürgermeister einen Verratsprozess anzuhängen.
„Wir werden im Rat darüber sprechen“, sagte er. „Und noch eine persönliche Bitte, Graf Steinburg: Dieses Haus bedeutet mir viel. Habt bitte gut Acht darauf“, setzte der Ratsherr hinzu. Wolf lächelte.
„Meine Frau hat mir gesagt, dass Euch Seppensen aus diesem Hause vertrieben hat. Ihr habt es mir auch bestätigt. Wenn ich Dreibeck einmal verlasse, Herr Dammann, dann erhaltet Ihr dies Haus zurück – unbeschädigt und von mir nicht weiter verändert. Ich stelle nur eine Bedingung: Sollte ich später mal in Freundschaft nach Dreibeck kommen, dann möchte ich hier Wohnrecht haben.“
„Ihr … Ihr meint, dass Ihr uns nach dem Krieg besuchen wollt? Als Freund? Ist das Euer Ernst?“, fragte Dammann verblüfft nach. Wolf nickte nur.
„Euer Gnaden, Ihr werdet mir persönlich jederzeit willkommen sein“, versprach Dammann mit fast leuchtenden Augen. „Erzählt nur niemandem etwas von unserer kleinen Abmachung. Falls Dreibeck doch noch an die Lauenburger fällt, wäre ich sonst reif fürs Schafott!“, setzte er dann bittend hinzu.
„Eine Hand wäscht die andere, Herr Dammann“, gab Wolf verbindlich lächelnd zurück.
Ratsherr Dammann verabschiedete sich in dem Bewusstsein, dass Dreibeck mit Wolf von Steinburg einen Stadthauptmann hatte, dem das Wohl der Bürger näher lag, als jedem anderen, dem der Kaiser oder ein protestantischer Feldherr diesen Posten hätte anvertrauen können.
Der Stadtrat von Dreibeck beriet schon zwei Tage später über Wolfs Vorschlag, die Vorräte für Dreibecks eigenen Bedarf schnell aufzustocken. Bürgermeister Hansen war wiederum aus Prinzip dagegen, aber die anderen Stadträte dachten etwas pragmatischer und stimmten dem Vorhaben zu. Wolf hatte schon vorsorglich eine entsprechende Planung ausgearbeitet und schickte seine Soldaten mit einigen Bürgern zum Einkaufen los, sobald er die Zustimmung des Stadtrates in Händen hielt. Innerhalb von zwei Wochen waren die Vorräte soweit aufgefüllt, dass sie ohne strenge Rationierung bis zur nächsten Ernte reichen würden.
Die Vorräte waren kaum eingelagert, als ein Schneesturm hereinbrach, der drei Tage lang anhielt und jegliches Leben erlahmen ließ. Nur, wer unbedingt musste, verließ sein warmes Haus. Wolf ließ die Wachen auf den Stadtmauern im Stundenrhythmus abwechseln, damit sich niemand Erfrierungen zuzog.
Während es draußen stürmte und schneite, war es im Speicherhaus gemütlich warm. Mit einiger Dankbarkeit vermerkte Wolf, dass Kaufmann Dammann das Haus gut hatte abdichten lassen. Es zog nicht, ließ sich aber bei Bedarf gut lüften. Der junge Graf kam endlich zur Ruhe, Katharina konnte die furchtbare Erinnerung an die brutale Vergewaltigung allmählich verarbeiten. Die zärtliche Liebe ihres Mannes half ihr dabei sehr. Er war vorsichtig und sanft, wenn sie sich liebten. Die Momente, in denen sie sich genossen, gerannen zu paradiesischen Ewigkeiten. Nach seiner Meinung hätte es so bleiben können, bis der Herr ihn abberief. Von Dreibeck zog ihn im Moment nichts fort. Er war einfach glücklich. Wilfried von Artenberg und seine Mission hatte er schon fast vergessen. ..
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Kapitel 21
Dunkle Wolken am Horizont
Es war Januar 1625, es herrschte bittere Kälte, als ein völlig erschöpfter und halberfrorener Soldat ans Stadttor klopfte.
„Wer da?“, rief der Torposten hinunter.
„Wil… Wilfried von Artenberg!“, kam es von unten.
„Öffnet das Tor! Herr von Artenberg ist zurück!“, befahl der Posten oben und die Wache unten tat, wie ihr geheißen.
„Herr von Artenberg!“, entfuhr es dem Posten unten, als er den elenden Zustand des Herrn von Artenberg bemerkte.
„Heinrich, bring’ mich zum Hauptmann!“, flüsterte Von Artenberg und fiel dem Posten in die Arme. Zu dritt schleppten ihn die Wachsoldaten zum Speicherhaus. Wolf war völlig überrascht, hatte er Von Artenberg doch noch weit weg vermutet.
„Graf Steinburg, ich … ich komme, um… um Euch zu warnen! Der General Tilly …“, stammelte Von Artenberg und kippte um wie ein gefällter Baum, ohne den Satz zu beenden. Wolf und einer der begleitenden Wachsoldaten konnten Wilfried gerade noch auffangen, bevor er auf dem Boden aufschlug. Sie trugen ihn in das Gästezimmer.
„Dankwart!“, rief der Hausherr. „Sag’ Hedwig Bescheid, dass sie eine Kanne von ihrem guten Kräutertee kocht. Ich glaube, der gute Wilfried hat’s nötig!“
Dankwart eilte davon, während Wolf Wilfried von den schneenassen Kleidern befreite. Er kannte Von Artenberg als einen rundlichen Mann, der keine Mahlzeit ausließ und der große Mengen verdrücken konnte. Aber jetzt wirkte er abgemagert und ausgemergelt. Offenbar hatte er lange nichts gegessen. Der Graf spürte eine sanfte Hand auf der Schulter und sah hoch. Katharina war bei ihm und sah Von Artenberg mitleidig an.
„Was ist mit ihm?“, fragte sie leise.
„Ich glaube, er ist kurz vorm Verhungern“, erwiderte er mit deutlichem Seufzen in der Stimme.
„Du machst dir Sorgen, Wolf“, stellte sie fest. Er nickte.
„Im Moment weiß ich nicht, um wen ich mir mehr Sorgen machen soll: Von Artenberg, Tilly und meinen alten Haufen – oder Dreibeck“, sagte er.
„Was meinst du damit?“
„Er wollte mich vor irgendetwas warnen. Wenn Tilly in der Nähe ist und die alle so aussehen, sind unsere Vorratskammern schneller leer, als wir bis drei zählen können. Nicht, dass ich ihnen nichts zu beißen gönne, aber dann hungert Dreibeck, und alle Bemühungen hier waren umsonst. Wir haben erst Januar. Der Winter ist noch lang!“
„Du befürchtest, Tilly könnte genauso Proviant fordern, wie der Herzog von Lauenburg?“, hakte sie nach. Er nickte schweigend.
„Warte, bis er aufwacht. Dann wird er dir schon sagen, wovor er dich warnen wollte“, empfahl die junge Frau.
Hedwig kam mit dem Tee.
„Der Tee, Euer Gnaden.“
Wolf klopfte Von Artenberg mit einiger Mühe wach. Er stützte ihn, während Katharina ihm vorsichtig den Tee löffelweise einflößte. Langsam kam wieder Leben in Wilfried.
„Gute Güte! Wo bin ich eigentlich?“, fragte er.
„In Dreibeck“, gab Wolf grinsend zurück.
„Oh, ja. Langsam kommt ‘s wieder“, murmelte Von Artenberg. „Wolf, ich muss Euch warnen! Mir ist ein furchtbares Missgeschick passiert, das Euch vielleicht den Kopf kosten kann.“
„Was ist los?“
„Ich wurde drei Wochen nach meinem Aufbruch von Wegelagerern überfallen. Ich konnte zwar drei von den fünf Burschen aufspießen, aber sie haben meine Tasche gemopst. In der Tasche waren die Liste mit den Adressen der wenglischen Grafen und Euer Empfehlungsschreiben. Ich konnte mich zwar an die Adressen erinnern, aber ich konnte die Grafen nicht antreffen. Die Liste muss in unrechte Hände gefallen sein, denn die Grafen sind alle verhaftet worden und die Grafschaften unter kaiserliche Zwangsverwaltung gestellt. Auf dem Rückweg bin ich noch von kaiserlichen Truppen unter dem Befehl von General Tilly geschnappt worden. Sie sind auf dem Weg nach Dreibeck, um Euch gefangen zu nehmen. Man bezichtigt Euch des Verrates am Kaiser!“, presste Von Artenberg keuchend hervor. Wolf wurde bleich.
„Mein Gott! Warum bist du nicht gleich zurückgekehrt?“, stieß er hervor.
„Ich konnte nicht ahnen, wer meine Tasche geraubt hatte. Ich wollte die Grafen trotzdem herbitten“, verteidigte sich Von Artenberg.
„Wolf, Herr Wilfried konnte doch wirklich nicht wissen, dass die Räuber, die ihn ausgenommen haben, an dem an sich wertlosen Brief interessiert waren“, half Katharina aus. Wolf schüttelte den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Wilfried musste sicher annehmen, dass sie hinter Geld her waren“, sagte er. „Augenscheinlich haben sie den Brief und die Liste zu Geld gemacht, wie man sieht“, seufzte er dann. „Wo ist Tilly jetzt?“
„Bei Minden, in einem Dorf namens Weserbrück.“
„Was weißt du von seinen Plänen?“
„Er will über den Winter in Weserbrück bleiben und erst Ende März weiterziehen. Gute Gelegenheit für Euch, zu fliehen und heim nach Steinburg zu gehen.“
„Nein!“, widersprach Wolf. „Wenn ich jetzt fliehe, würde ich den Vorwurf geradezu bestätigen. Ich habe den Kaiser nicht verraten – und ich werde mich dem Gericht stellen.“
„Wolf, das ist verrückt!“, warnte Wilfried. „Ihr wisst doch, wie Prozesse im Reich ablaufen! Man fragt Euch, ob Ihr von selbst gesteht. Tut Ihr das nicht, endet Ihr zwangsläufig in der Folterkammer! Sie werden Euch solange foltern, bis Ihr alles zugebt, was sie Euch anhängen wollen!“
„Man wird mir aber eröffnen müssen, wer eigentlich Klage gegen mich erhebt. Als reichsunmittelbarer Graf habe ich dieses Recht. Ohne Prozess kann mir auch der Kaiser die Reichsunmittelbarkeit nicht aberkennen. Und ich wüsste nur einen, der ein Interesse daran haben könnte, ein Wiedererstehen Wenglands zu verhindern, weil er der Einzige ist, der eine Ahnung haben könnte, was das überhaupt bedeutet – und das ist Manfred von Buchenberg!“, erwiderte Wolf.
Wilfried und Katharina sahen ihn verblüfft an.
„Weshalb hast du Buchenberg im Verdacht?“, erkundigte sich sie. „Und was sollte es dir nützen, zu wissen, wer dich anklagt?“
„In meinem Schreiben habe ich nur davon unterrichtet, dass wir in einer wenglischen Angelegenheit beraten sollten. Kein Fürst dieses Reiches kann daraus schließen, dass die Wengländer Verrat planen – denn heute weiß niemand mehr, dass es einmal ein Reich dieses Namens gab! Die Bezeichnung Wengland sagt keinem mehr etwas, außer, dass es eine Landschaft an der Elbe gibt, die einen ähnlichen Namen trägt, die mit dem früheren Königreich Wengland aber nichts zu tun hat. Über eine Angelegenheit zu beraten, die diese Landschaft vielleicht betreffen könnte, wäre gewiss kein Verrat oder ein Verdachtsmoment für einen Außenstehenden. Manfred von Buchenberg kann sich aber sehr wohl zusammenreimen, was es bedeutet, wenn dreizehn Grafen zusammenkommen sollen, die alle aus dem ehemaligen Wengland stammen. Denn Manfred weiß noch von dem alten Königreich Wengland, wie er mir beim Duell um die Ohren schlug. Und von Buchenberg weiß ich, dass er wieder das alte Wappen Wilzariens führt. Ein wiedererstehendes Wengland aber wäre ihm gewiss nicht recht, denn es gab immer Gebiete, um die sich Wilzaren und Wengländer gestritten haben, die er mit Sicherheit für Wilzarien beansprucht – also Südwengland, Aventur, Karlsfeld, Hirschfeld, Limmenfels, der südliche Teil der Grafschaft Steinburg. Das zum Verdacht. Und was es mir nützen sollte? Die Wilzaren haben teilweise einmal den Teufel als ihren Gott angebetet. Sollte Manfred tatsächlich der sein, der mich anklagt, zahle ich mit einer nicht weniger unangenehmen Münze zurück und bezichtige ihn der Teufelsanbetung.“
Katharina und Wilfried wurden bleich. Jemanden der Teufelsanbetung zu beschuldigen, bedeutete nicht weniger, als ihn von vornherein zum Tode zu verurteilen.
„Aber du weißt doch gar nicht, ob das überhaupt wahr ist, Wolf!“, wandte sie ein.
„Natürlich weiß ich das nicht. Aber es wäre für mich recht hilfreich, weil Buchenberg damit als Ankläger unglaubwürdig wäre. Wenn wir uns nämlich gegenseitig beschuldigen, würde ein gerichtlicher Zweikampf angesetzt. Wer gewinnt, ist ohnehin frei. Und wenn er den anderen dabei ersticht, erspart er ihm noch die Unannehmlichkeit der Folter. Sollte ich Buchenberg dabei töten, muss er sich nicht bei lebendigem Leibe verbrennen lassen. Zugegeben, das gönne ich nicht mal ihm.“
„Aber Wolf, das wäre doch eine unwahre Anklage!“, ereiferte sich seine Frau.
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. So, wie du einmal nur an der Oberfläche Protestantin geworden bist, sind sehr viele Wilzaren nur an der Oberfläche Christen geworden. Und Manfred von Buchenberg hat sich nun wirklich nicht sehr christlich benommen, wenn du dich dunkel erinnerst, Liebste“, versetzte er.
„Mein ist die Rache, spricht der Herr!“, mahnte sie. Er lächelte.
„Ich betrachte mich auch nur als des Herrn Werkzeug dabei!“, erwiderte er kühl.
„Wilfried, gilt die Verfolgung nur mir oder auch Katharina und anderen Wengländern?“, wandte er sich dann an Von Artenberg.
„Zunächst Euch. Es ist bei Hofe wohl nicht bekannt, dass Ihr geheiratet habt. Wallenstein ist wegen eines Gichtanfalls auf seinen Besitz in Gičin zurückgekehrt und hält Euch wohl nicht für bedeutend genug, um dem Kaiser über Eure Heirat zu berichten. Doch wenn der Kaiser erfahren sollte, dass Ihr mit Frau Katharina verheiratet seid, dann könnte auch sie in Verdacht geraten. Aber sonst wird niemand beschuldigt. Mich hat man nur gefangen genommen, weil ich als Euer Bote galt. Das hat mir jedenfalls General Tilly gesagt. Er war nicht sehr glücklich, Euch verfolgen zu müssen. Man hat mich nur sehr oberflächlich bewacht. Vielleicht wollte er Euch auf diese Weise warnen, damit Ihr entkommen könnt, Graf Wolf.“
„Tilly weiß ebenso wie ich, dass eine Flucht den Verdacht gegen mich und die anderen Grafen nur verstärken würde. Nein, er will prüfen, ob was dran ist. Und deshalb muss ich zu ihm. Aber ich werde Katharina nicht gefährden. Kathrin, wenn ich zum Kaiser gehe, bringe ich dich vorher zu deinem Vater nach Stadtlohn. Wir werden ihm gegenüber einstweilen nicht erwähnen, dass du meine Frau bist. Die Heiratsurkunde gebe ich Thomas von Altenburg in Verwahrung. Sollte ich verurteilt werden, bist du die Witwe Seppensen und unheimlich reich. Deinem Vater mit seiner chronischen Geldnot käme das sicher zupass.“
„Wolf, das darfst du nicht einmal denken!“, protestierte sie.
„Was? Das mit der Geldnot? Ist doch Tatsache, oder?“
„Nein, dass ich mich einfach abstellen lasse wie einen Karren! Ich habe geschworen, dir die Treue zu halten – in guten und in bösen Tagen.“
„Das, Kathi, zweifle ich auch in keiner Weise an. Aber es ist für dich im Augenblick lebensgefährlich, mit mir in Verbindung gebracht zu werden. Es geschieht zu deiner Sicherheit. Wenn ich mit Gottes Hilfe davonkomme, hole ich dich in Stadtlohn ab. Und dann will ich auch deinem Vater die Heiratsurkunde vor die Nase halten, damit er mir glaubt. Du wirst so viel Geld mitbekommen, dass er nicht auf die Idee verfällt, dich wieder reich zu verheiraten. Und ich lasse dir Hans da. Sollte dein Vater auf dumme Gedanken kommen, wird er dich schützen und nötigenfalls Thomas alarmieren.“
„Und wenn du mich nach Steinburg bringst?“
„Wilfried hat erklärt, dass die Grafschaften unter Zwangsverwaltung gestellt wurden. Du wärst dort nicht sicher“, erklärte er. Sie nickte ergeben. Wolf rief nach Willibald und beauftragte ihn, die Grafen Martin von Eschenfels und Lothar von Südwengland zu ihm zu bitten.
Wenig später waren Martin, Lothar und auch Thomas von Altenburg bei ihm, der ihnen von der Verfolgung der Wengländer berichtete.
„Nein!“, widersprach Lothar, als Wolf sagte, er wolle sich stellen. „Wir müssen uns in Wengland sammeln und unsere Einheit eben mit Waffengewalt durchsetzen.“
„Lothar, sei nicht albern, das können wir nicht!“, versetzte Wolf. „Außer uns dreien sind alle anderen Grafen verhaftet worden. Wir haben ganze drei Fähnlein Soldaten zur Verfügung, mit denen wir Dreibeck halten sollen. Außerdem … wenn wir auch nur den Versuch machen, bestätigen wir nur den Verdacht, der gegen uns erhoben wurde. Ihr beiden bleibt vorläufig hier in Dreibeck und haltet die Stadt, wie Wallenstein es uns befohlen hat. Ich werde versuchen, Tilly zu überreden, dass er euch einfach übersieht und mir freies Geleit beim Kaiser verschafft, wenn ich mich als Hauptbeschuldigter stelle. Euer Aufenthaltsort ist offiziell unbekannt, weil keiner genau in die Listen von Wallensteins Regiment geschaut hat. Der ist in Gičin und wird dort seine Gicht pflegen. Ihr werdet rechtzeitig erfahren, ob ich noch lebe oder nicht.“
Wolf wartete einige Wochen und sandte, als das Wetter es zuließ, einen Boten zu Tilly mit dem Versprechen, er werde sich stellen, sobald die Straßenverhältnisse die Reise einer kleinen Truppe zuließen. Tilly empfing den Boten und las das Schreiben mit ungläubigem Erstaunen.
„Kehrt zu Eurem Herrn zurück und sagt ihm, er hat bis zu mir freies Geleit. Ich will versuchen, es beim Kaiser ebenfalls zu erreichen. Sagt ihm, sein Mut beeindruckt mich sehr, obwohl ich ihn kennen sollte.“
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Kapitel 22
Alte Gulden
Trotz des Briefes an Tilly hatte Wolf das Gefühl, dass die Zeit drängte. Die Fastenzeit hatte eben begonnen, da hatte der junge Graf keine Ruhe mehr. Er rief Lothar und Martin wieder zu sich. Die beiden Grafen erschienen in der Hoffnung, Wolf habe es sich überlegt, ob er sich wirklich stellen wolle.
„Doch, das will ich noch immer“, sagte er auf Lothars Frage. „Es wird für mich jetzt Zeit, meine Frau in Sicherheit zu bringen. Ich nehme mir Thomas von Altenburg, Siegfried von Bravadur und weitere neun Mann als Eskorte mit. Lothar, du vertrittst mich als Stadtkommandant. Die Einteilung der Vorräte ist dir bekannt. Gib Acht, dass sie so fortgesetzt wird. Lass’ dich nicht auf das Jammern der Stadträte ein, mehr herauszugeben. Wenn die Vorräte reichen sollen, dürfen die Rationen nicht vergrößert werden.“
„Ich werde darauf achten, Wolf. Wann bist du zurück?“
Wolf zuckte mit den Schultern.
„Möglicherweise kehre ich gar nicht mehr zurück. Entweder, weil man mich einen Kopf kürzer gemacht hat, oder weil ich dann nach Wengland gehe, um dort die Vorbereitungen für die Wiedervereinigung zu treffen“, erwiderte er. „Ich lasse euch in jedem Falle Nachricht zukommen, wenn ich nicht nach Dreibeck zurückkomme. Martin, du übernimmst die Soldaten des Stadtkommandos. Ich habe feststellen müssen, dass es nicht ganz einfach ist, sowohl die Stadt als auch die Soldaten zu kontrollieren. Nimm dich besonders der übergelaufenen Dreibecker an. Manchmal habe ich das Gefühl, sie sind nicht ganz auf unserer Seite. Lass’ sie aber den Verdacht nicht unmittelbar spüren.“
Martin nickte.
„Wolf, wenn du nach Eschenfels kommst und den kaiserlichen Verwalter einlochen darfst, sperr’ ihn nicht in die unterste Zelle, sondern eine Etage höher ein. Die unterste Zelle hat einen Geheimausgang“, bat er mit schelmischem Grinsen.
Wolf lächelte.
„Nicht das Bärenfell verteilen, bevor der Bär gefangen ist“, warnte er.
Noch am Nachmittag begannen Wolf und Katharina mit den Reisevorbereitungen. Neben dem normalen Gepäck packte er noch eine namhafte Summe Geldes in eine kleine Truhe, um sie Katharina mitzugeben. Als er die Gold- und Silbermünzen aus Seppensens Geldschrank nahm, stutzte er plötzlich, wühlte in der Reisetruhe, bis er die Münze wieder gefunden hatte, die ihm eben aufgefallen war. Es war ein Goldstück im Wert von einem Goldgulden**, dessen Vorderseite das alte wenglische Königswappen zierte. Aufgefallen war sie ihm zunächst, weil sie eine geprägte Zahl zeigte, was bei Reichstalern oder Reichsgulden als Großmünzen nicht gängig war.
„Kathrin!“, rief er. „Komm doch bitte mal!“
Sie kam um die Ecke.
„Was ist?“
„Sieh mal. Diese Münze dürfte gar nicht existieren“, sagte er und zeigte ihr das Geldstück. Sie nahm es und sah es einige Zeit an.
„Verstehe ich nicht. Was meinst du?“, fragte sie.
„Diese Münze, liebste Kathi, ist eine altwenglische Prägung. Diese Münzen sind seit gut dreihundert Jahren nicht mehr im Umlauf. Weißt du zufällig, woher dein Verblichener sie hat?“
„Bei meinem Vater habe ich sie häufiger gesehen. Er wollte mit diesen Münzen etwas bezahlen, aber der Händler, dem er sie geben wollte, wollte sie nicht annehmen. Ich weiß, dass er sie eigentlich zur Münzstätte bringen wollte, um sie umprägen zu lassen, auf sechs Reichsgoldgulden**, glaube ich. Bei Seppensen habe ich diese Art Münzen nur einmal gesehen. Kann sein, dass mein Vater damit bei Seppensen einiges gültiges Bargeld eingetauscht hat, um wieder flüssig zu sein“, erklärte sie. Er spielte nachdenklich mit der Münze.
„Wie kommt dein Vater an eine Münzsorte, die seit Jahrhunderten nicht mehr in Gebrauch ist? Ich glaube, ich werde ihm einige Fragen stellen müssen“, sagte er langsam. Er durchsuchte den Geldschrank gründlich und fand wenigstens hundert Münzen dieser Prägung.
„Du weißt nicht zufällig, für welchen Wert Seppensen die Münzen angenommen hat?“, fragte er dann Katharina.
„Doch, sechs Reichsgoldgulden. Es war der Kurs, zu dem Vater sie umprägen lassen wollte.“
Wolf schüttelte den Kopf.
„Die Leute sind doch noch bescheuerter als ich dachte. Wenn es die Münzen sind, die ich darin vermute, sind sie pro Stück zwölf Taler wert. Sie bestehen nämlich aus fast reinem Gold. Ich glaube, jemand wollte deinen Vater übers Ohr hauen – und es ist ihm gelungen.“
Am folgenden Tag fuhr der Seppensen’sche Reisewagen wieder in Richtung Stadtlohn, diesmal begleitet von zwölf gut ausgerüsteten Soldaten, die für Sicherheit sorgen würden. Ohne Zwischenfälle erreichte die Reisegesellschaft etwa einen Monat später das Gut Braunsberg bei Stadtlohn. Graf Braunsberg empfing die kaiserlichen Soldaten und seine Tochter mit einigem Misstrauen.
„Was hat das zu bedeuten, Leutnant?“, knurrte er. Wolf lächelte verbindlich.
„Verzeiht, wenn ich Euch korrigiere, doch bin ich zwischenzeitlich Hauptmann geworden“, sagte er. „Und was es zu bedeuten hat? Eure Tochter war in Dreibeck nicht besonders sicher, nachdem Wallensteins Truppen die Stadt erobert hatten und ihr greisenhafter Ehemann dabei ums Leben kam. Das Seppensen’sche Erbe wird ihr zufallen, wenn die Ansprüche endgültig geklärt sind. In Kenntnis des Testaments darf sie sich aber nicht wieder verheiraten, damit sie des Anspruchs nicht verlustig geht. Zur Überbrückung habe ich einen Teil des Geldes beim Testamentsverwalter auslösen können. In dieser Truhe hier sind fünfzigtausend Taler – ausreichend, um ihr und Euch zunächst ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Macht also keinen Fehler.“
Braunsberg stand wie erstarrt vor der Kiste mit dem Gold.
„Was soll das? Mit den Münzen kann ich nicht mal Brot kaufen!“, schnaubte er, als er obenauf die wenglischen Münzen sah.
„Oh, die wollte ich Euch nur zeigen. Was drunter ist, ist der eigentliche Schatz“, gab Wolf zurück. „Ich wollte Euch eigentlich nur fragen, woher Ihr die Münzen habt.“
„Was geht Euch Habenichts das eigentlich an?“
„Nun, es handelt sich um Münzen, die vor mehr als dreihundert Jahren in der damaligen wenglischen Münzstätte zu Steinburg geprägt wurden. Sie tragen noch das Königswappen. Diese Münzen sind seit dem Zusammenbruch des Königreichs Wengland 1353 nicht mehr im Umlauf. Also: Woher stammen sie?“, hakte Wolf nach. Braunsberg lächelte kalt.
„Wohl wahr, dass sie nicht mehr im Umlauf sind!“, zischte er. „Das habe ich dann auch festgestellt, als ich mit der Bezahlung Eures Vaters einkaufen wollte. Sämtliche Eichgauer Händler haben mich lauthals ausgelacht. Euer Vater hat mich schändlich betrogen – aber gut, wenn Ihr denn der Erbe seid, fordere ich die Schuld von Euch ein.“
„Um welche Summe geht es?“
„Fünfhundert Reichstaler.“
„Mein Vater hätte nie eine Bestellung über eine solche Summe getätigt. Er hatte kaum das Geld, um unser tägliches Brot zu finanzieren“, versetzte Wolf.
„Er hat es getan.“
„Zeigt mir die Bestellung und die Rechnung.“
„Das ist solange her, diese Unterlagen habe ich nicht mehr.“
„Pech für Euch. Dann könnt Ihr Eure Ansprüche mir gegenüber auch kaum beweisen.“
„Von meinem Hof!“, brüllte Braunsberg. „Lasst Euch hier ja nicht wieder blicken, sonst spieße ich Euch auf!“
Wolf blieb äußerlich unbeeindruckt, nickte nur, fischte die wenglischen Münzen aus der Truhe und stupste den Deckel zu.
„Wie viel habt Ihr noch von den Münzen?“, fragte er dann.
„Was, zum Teufel, geht Euch das an?“, schrie Braunsberg.
„Ich mache Euch ein Angebot: Ihr gebt mir die restlichen Münzen, die Ihr von meinem Vater erhalten habt und ich gebe Euch den geprägten Wert in Reichstalern eins zu zwölf.“
„Ich habe keine mehr.“
„Gut, ich lege Euch noch zweihundert Reichstaler für diese Münzen dazu, betrachte damit jegliche Schuld Euch gegenüber als getilgt und empfehle mich“, erwiderte Wolf, winkte Thomas, der Graf Braunsberg zweihundert Reichstaler in die Kiste zählte. Dann stiegen die Soldaten auf die Pferde.
„Die Kutsche, Herr von Braunsberg, ist Eigentum von Frau Seppensen, also keineswegs geeignet, unbewiesene Ansprüche gegen mich zu befriedigen!“, warnte Wolf. Damit zog er artig den Hut, verbeugte sich vor Katharina.
„Verzeiht, wenn Euch eine solche Szene geboten wurde. Es wird nicht wieder vorkommen, edle Dame. Servus.“
Es kostete Wolf unendliche Überwindung, Katharina bei ihrem Vater zurückzulassen, aber nach seiner Überzeugung war es für sie der sicherste Ort. Er drückte seinem Pferd die Absätze in die Weichen und galoppierte, gefolgt von seinen Männern, davon. Erst, als sie am Abend rasteten, ließ er seinen Gefühlen freien Lauf und weinte sich aus. Thomas, sein treuer Freund, schirmte den Grafen ab, ließ niemanden zu ihm. Weit entfernt, in Stadtlohn, erging es Katharina ebenso – nur, dass sie ganz heimlich in ihr Kopfkissen weinte, um niemanden bemerken zu lassen, was Wolf ihr bedeutete.
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Kapitel 23
Prager Geheimnisse
Es war kurz vor Ostern 1625, als Wolf mit einer kleinen Truppe von zehn Mann – ausschließlich Wengländer, darunter Thomas von Altenburg –, bei Tilly eintraf. Der alte General empfing ihn mit einer Herzlichkeit, die Wolf wegen des Haftbefehls nicht vermutet hatte.
„Wolf, es ist schön, Euch gesund wieder zu sehen!“, freute er sich und umarmte seinen ehemaligen Adjutanten, der die Umarmung genauso herzlich erwiderte.
„Johann, ich danke Euch für die Ausleihe an den Grafen von Friedland. Ihr ahnt nicht, welche Freude Ihr mir damit gemacht habt.“
Tilly grinste und wies auf Wolfs rechte Hand.
„Ich sehe es an dem bescheidenen Ringlein, das Ihr tragt, Wolf. Ist Katharina von Braunsberg die Glückliche, die das Gegenstück trägt?“
Der junge Graf stutzte, sah auf seine Hand und wurde schamrot. Diese dumme Nachlässigkeit, den schon so gewohnten Ring nicht abzunehmen, machte das kunstvolle Versteckspiel zunichte.
„Johann, kann ich Euch vertrauen, wie immer?“, fragte er vorsichtig.
„Wenn Ihr diesen dämlichen Verdacht meint, der Euch den vermaledeiten Haftbefehl eingetragen hat: Ich glaube keinen Augenblick daran, dass ausgerechnet Ihr den Kaiser verraten habt.“
„Dann will ich Euch anvertrauen, dass Kathrin tatsächlich meine Frau ist. Doch bitte, behaltet es für Euch. Ich will sie nicht in Gefahr bringen.“
„Ihr meint, man könnte sie als Eure Frau mit hineinziehen?“, mutmaßte Tilly.
„Ja“
„Verstehe. Ich verrate Euch nicht. Aber nehmt den Ring ab. Und dann sagt mir: Ist etwas an dem Verdacht, Ihr wolltet ein neues Reich gründen?“, fragte der alte General dann direkt.
„Ich werde es Euch sagen, wenn Ihr mir zuhört und mich nicht harsch unterbrecht“, erwiderte Wolf.
„Sprecht. Ich höre zu.“
„Erstens: Es ist richtig, dass ich die anderen Grafen des ehemaligen Reiches Wengland nach Dreibeck eingeladen habe, um mit ihnen über eine gemeinsame Zukunft aller Wengländer zu beraten. Es trifft zu, dass wir daran interessiert sind, Wengland wiederzuvereinigen. Zweitens: Nach meinem Willen soll ein neues Reich Wengland im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verbleiben, wie immer auch der Titel des Fürsten lauten mag. Ich wusste aber nicht genau, ob alle Grafen das wollten oder nur die wenigen, mit denen zu sprechen ich bereits Gelegenheit hatte. Für eine Loslösung vom Reich hätte ich mich nicht hergegeben“, erklärte Wolf.
„Wärt Ihr bereit, das zu beschwören?“, fragte Tilly. Wolf hob die rechte Hand zum Schwur.
„Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe“, sagte er.
„Gut. Da Ihr geschworen habt, habt Ihr auch freies Geleit beim Kaiser. Er erwartet Euch in Prag.“
Der Prager Hradschin wurde in goldenes Sonnenlicht getaucht, als die Wengländer, begleitet von General Tilly und einem Fähnlein Reiterei auf den Wenzelsplatz zuritten. Trommelwirbel brach eben ab, dann hörten die Ankömmlinge das unverwechselbare Geräusch eines niedersausenden Henkersbeiles!
„Großer Gott! Graf Robert von Bauzenstein!“, entfuhr es Thomas erschrocken, als er den fallenden Kopf erkannte. Die Wengländer sahen sich entsetzt an.
„Ich fürchte, das war ein Fehler, Wolf“, bemerkte Thomas leise. Wolf hielt sein Pferd an und drehte sich zu Johann von Tilly um.
„Hatte Graf Robert auch freies Geleit?“, fragte er.
„Nein. Soviel ich weiß, hat man den in seiner Burg verhaftet und in Ketten hergeschleppt“, erwiderte Tilly.
„Für wann ist unsere Audienz bei Seiner Majestät vorgesehen, Johann?“, erkundigte sich Wolf.
„Für übermorgen, Wolf. Was habt Ihr vor?“
„Ich muss mit den anderen Grafen reden – so sie überhaupt noch leben.“
Johann von Tilly sah seinen früheren Adjutanten verblüfft an.
„Was wollt Ihr von den Grafen, denen Ihr wahrscheinlich nicht mehr helfen könnt?“, fragte er.
„Ob das möglich ist oder nicht, könnte sich aus ihren Antworten ergeben, Johann. Graf Martin, Graf Lothar und ich wollen Wengland unter dem Kaiseradler wiedervereinigen. Wollen die jetzt gefangenen Grafen das auch, werde ich unserem allergnädigsten Herrn das klarmachen und ihn dazu überreden, sie freizugeben. Wollen sie das nicht, ist mir das Hemd näher als die Hose und ich gehe zum Kaiser, ohne für sie um Gnade zu winseln.“
General von Tilly sah eine eisige Entschlossenheit in Wolfs Augen, die er nie zuvor an dem jungen Mann bemerkt hatte. Zum ersten Mal glaubte Tilly, Wolf sei ebenso ein Machtmensch wie nahezu alle anderen Adligen seiner Zeit – ein Umstand, den er ihm nicht einmal zum Vorwurf machen konnte.
„Ich weiß, dass Ihr in der Regel durchsetzt, was Ihr Euch vorgenommen habt, Wolf, doch ich rate Euch speziell in dieser Sache zur Vorsicht. Der Kaiser hat die Todesurteile gegen die Grafen bestätigt. Wenn Ihr mit Seiner Majestät Händel anfangt, kann ich Euch vielleicht nicht schützen. Vergesst nicht, dass Ihr selbst unter Anklage des Verrates steht!“, warnte Tilly väterlich. „Die Grafen sind im Kerker des Hradschin eingelocht. Wenn Ihr vor der Audienz bei Seiner Majestät dorthin geht, wird er das erfahren und möglicherweise falsche Schlüsse daraus ziehen“, setzte er hinzu.
„Ihr meint, wir müssten heimlich dort hinein, Euer Liebden?“, erkundigte sich Thomas. Tilly nickte. Wolf nickte auch. Er hatte verstanden.
„Suchen wir uns zunächst ein Quartier“, schlug er vor. „Wir bereden alles Weitere dort.“
Nicht lange darauf hatten sie Unterkunft in einem Gasthof am Stadtrand von Prag gefunden, wo man Deutsch verstand und wo sie auch die Pferde gut unterbringen konnten. Kaum hatten Wolf und seine Männer ihr Quartier bezogen und etwas gegessen, versammelten sich die Wengländer und der brabantische Graf Tilly in einem abgeschiedenen Raum der Herberge. Wolf wollte den kaiserlichen General dabeihaben, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er plane doch Übles gegen das Kaiserhaus.
„Also:“, eröffnete Wolf. „Wir müssen ein paar Dinge klären. Erstens: In den Kerker kommen wir nicht als Wengländer, wenn wir auch wieder ‘raus wollen. Im Gewande der Geistlichkeit wird es gehen. Wilfried: Beschaff’ mir drei Mönchskutten, am besten Franziskanerkutten; die sind schließlich auch in Wachtelberg zu Hause. Thomas, Johann und ich gehen in den Kutten in den Kerker und reden mit den Grafen. Zweitens: Johann, wer hat mich eigentlich angeklagt?“
„Ein Manfred von Buchenberg“, gab Tilly Auskunft. Wolf grinste.
„Schön. Siegfried und Edwin: Ihr beiden geht zum Hradschin und lasst die Eingänge nicht aus den Augen, bis der Herr von Buchenberg den Palast verlässt. Geht ihm dann nach und beobachtet ihn. Ich will wissen, was er macht, wo er wohnt, womit er sich umgibt. Jede Einzelheit kann für uns wertvoll sein. Achtet mir bitte genau auf Zeichnungen und Symbole“, wies er die Männer an. Wilfried, Siegfried und Edwin nickten und gingen fort. Johann von Tilly sah ihn einen Moment an.
„Wollt Ihr mir verraten, was Ihr vorhabt, Wolf?“, fragte er.
„Euch immer, Johann“, erwiderte der Wengländer. „Doch sagt mir vorher noch: Hat Buchenberg für seine Anklage eine Belohnung bekommen? Ein Fürstentum mit dem Namen Wilzarien vielleicht? Mit einem schwarzen, rotbewehrten Drachen in goldenem Feld als Wappen?“
„Potztausend! Seid Ihr ein Hellseher? Genau das hat sich Herr von Buchenberg ausgebeten. Der Kaiser hat sogar schon die Urkunde gesiegelt“, entfuhr es Tilly.
„Wann war das?“
„Vor einem Monat, wie mir meine Boten berichteten.“
Wolf nickte.
„Vor einem Monat“, sagte er langsam. „Johann, was würdet Ihr davon halten, wenn dieser Mensch schon im Herbst letzten Jahres das Wappen geführt hat, das ich Euch beschrieben habe? Wenn ich Euch sage, dass dieses Wappen seit etwa dreihundert Jahren nicht mehr existent ist, weil das Königreich Wilzarien, dessen Wappen dies einmal war, vom Reich – nun, sagen wir – übernommen wurde und es mit Manfred von Buchenbergs Hauswappen nicht identisch ist?“, fragte er dann.
„Ich würde daraus schließen, dass Herr von Buchenberg bereits zu diesem Zeitpunkt die Absicht hatte, dieses Reich wiedererstehen zu lassen – wie Ihr es auch mit Wengland wollt“, erklärte Tilly.
„Mit dem kleinen Unterschied, dass Herr von Buchenberg im Herbst bereits kaiserliche Truppen bekämpft hat, während wir treu über Dreibeck gewacht haben, das Oberst Wallenstein unter Hauptmann von Steinburgs Statthalterschaft stellte“, versetzte Thomas mit kühlem Grinsen.
„Wenn das so ist, wird der Kaiser vermutlich umdenken, aber er wird Beweise verlangen, Herr von Altenburg. Ob er Eure Aussage akzeptieren wird, weiß ich nicht. Ihr seid Wolfs Untergebener und sein bester Freund. Ich fürchte, da muss mehr heran“, gab Tilly zu bedenken. Wolf nickte.
„Wenn Siegfried und Edwin das mitbringen, was ich hoffe, ist Manfred selber fällig“, knurrte er.
„Was habt Ihr vor?“, erkundigte sich der General.
„Nun, die Anklage beruht doch offensichtlich auf der Glaubwürdigkeit der Person des Herrn von Buchenberg, Johann. Ich habe vor, sie zu untergraben – aber mit beweisbaren Indizien.“
Wilfried kehrte mit den Mönchskutten zurück und am folgenden Morgen in aller Frühe gingen Wolf, Thomas von Altenburg und Graf Tilly als Franziskanermönche verkleidet zum Schloss. Der Wächter am Haupttor hielt sie auf.
„Halt, wohin wollt Ihr?“, fuhr er die „Mönche“ an.
„Gott zum Gruße, lieber Bruder“, kam es aus einer der Kapuzen. „Wir sind Mönche vom Kloster Wachtelberg. Uns wurde bekannt, dass zehn Grafen, darunter auch der Graf von Wachtelberg, unser Landesherr, unter der Anklage des Verrates eingekerkert wurden. Wir wollen ihm geistlichen Trost spenden und die Beichte abnehmen, damit er nicht in Sünde vor den Herrn trete.“
Der Wächter überlegte eine Weile. Dann ließ er die vermeintlichen Mönche ein. Ein anderer Wächter brachte sie zu Philipp von Wachtelberg. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, als Wolf sich bei dem Gefangenen niederließ und die Kapuze halb abnahm. Wachtelbergs Augen weiteten sich.
„Pscht! Verratet mich nicht unnötig“, zischte Wolf warnend. Wachtelberg nickte schweigend.
„Philipp, wenn Wengland wieder eins wäre, sollte es beim Reich bleiben oder daraus gelöst werden?“, fragte Wolf leise.
„Habt Ihr Euch etwa noch zum Inquisitor hergegeben, Wolf? Einem Prinzen aus dem Hause Wengland-Steinburg hätte ich das nicht zugetraut!“, erwiderte Wachtelberg mit einem deutlichen Knurren. „Ich wäre nicht für eine Loslösung gewesen, aber so, wie diese Bastarde mich jetzt behandelt haben, bin ich eher für eine Selbstständigkeit Wenglands“, versetzte er dann.
„Und wenn ich den Kaiser dazu bringe, Wengland anzuerkennen, als Fürstentum seines Reiches, wärt Ihr dabei?“
„Wenn Ihr der Fürst seid, bin ich zu fast allem bereit. Lasst Euch eines sagen, Wolf: Euer Vater selig wollte Wengland wiedervereinigen. Seine Mörder waren schneller, denn er hatte eine neue Verfassung fertig ausgearbeitet. Wenige Tage vor seinem Tod sagte er mir noch, er habe endlich das gefunden, wonach er suchte, genauer ist er aber nicht geworden. Wie wir alle wollte Graf Wolfgang ein Verbleiben Wenglands im Reich, weil wir uns alle im Klaren darüber waren, dass wir uns nicht ohne Kampf vom Reich lösen können. Die Gelegenheit wäre jetzt günstig, es zum endgültigen Bruch kommen zu lassen, aber Ihr seid Eures Vaters Sohn – fast seid Ihr sein Ebenbild. Ihr würdet dabei nicht mitmachen. Und Wengland kann nur erfolgreich wiedervereinigt werden, wenn ein Fürst aus dem Hause Wengland-Steinburg auf dem Thron sitzt. Wenn Ihr dann dem Kaiser die Urkunde von Kaiser Arnulf vorhaltet,…“
„Verteilt das Fell nicht, solange es am lebendigen Bären wächst“, warnte Wolf grinsend. „Aber ich danke Euch. Ich weiß, dass ich nun mit dem Kaiser reden kann. Habt Mut. Entweder bringe ich den Kaiser dazu, Euch und die anderen Grafen freizulassen, oder ich teile ab morgen Eure Zelle.“
„Ihr wollt Euch doch nicht etwa dem Gericht des Kaisers stellen, Wolf!“, entfuhr es Philipp von Wachtelberg. „Da könnt Ihr Euch gleich freiwillig zum Schafott begeben!“
Wolf lächelte nur und drückte Philipp die Hand.
„Bis morgen – so oder so“, sagte er.
Am Abend saßen Wolf und Thomas noch in der Schankstube des Gasthauses und warteten auf die Männer, die Buchenberg beobachten sollten. Die Uhr einer nahe gelegenen Kirche schlug neun Uhr, als sich die Tür öffnete und Siegfried und Edwin eintraten.
„Gott sei Dank, Ihr seid noch wach, Euer Gnaden!“, entfuhr es Edwin. „Seht Euch das an! Habt Ihr schon mal so was gesehen?“, sagte er und hielt Wolf eine Zeichnung hin.
„Oh, mein Gott! Drudenfuß, umgekehrtes Kreuz, ein schwarzer Hahn – Zeichen der Teufelsanbeter! Lass’ das sofort verschwinden, Edwin, wenn dir dein Leben lieb ist! Woher habt ihr das?“
„Eins nach dem anderen“, sagte Siegfried, nahm Edwin das Papier ab und steckte es ein. „Also: Wir sind Freund Buchenberg wie die Schatten gefolgt. Er hat sich keine große Mühe gegeben, uns abzuhängen. Er ist schnurstracks in die alte Gesandtschaft Wilzariens beim König von Böhmen gegangen. Wir haben uns erkundigt. Die alte Gesandtschaft ist heute im Besitz von Manfred von Buchenberg; er wohnt dort, wenn er in Prag weilt. Diese Zeichen haben wir auf einer Tafel im Garten der Gesandtschaft gefunden, die ziemlich versteckt ist. Wir hätten sie so nicht gefunden, aber wir haben Manfred beobachtet, wie er sich dort eine ganze Weile aufgehalten hat. Als er im Haus verschwunden ist, haben wir uns die Stelle näher angesehen und Edwin hat das hier abgemalt. Könnt Ihr etwas damit anfangen?“
„Allerdings!“, sagte Wolf mit deutlicher Erleichterung. „Damit ist es keine unwahre Anschuldigung mehr, die ich gegen Manfred erheben will. Danke, Freunde, ihr habt gute Arbeit geleistet.“
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Kapitel 24
Kaiserliches Gericht
Am folgenden Tag erschien Wolf, von General Tilly eskortiert und begleitet von den Baronen Thomas von Altenburg und Siegfried von Bravadur vor dem Kaiser. Kaiser Ferdinand II. saß auf dem erhöhten Thronsitz im großen Saal des Hradschin, diverse Höflinge und Hofkriegsräte umgaben den Kaiser.
„Der gefangene Rebell Wolf von Steinburg!“, verkündete der Ausrufer, den Wolf sich gleich griff und einmal durchschüttelte. Erschrocken schwieg der Ausrufer. Die im Saal anwesenden Höflinge sprangen auf, die Hände zuckten zu den Rapieren. Tilly stand wie starr, unfähig, sich zu bewegen.
„Euer Majestät!“, rief Wolf laut. „Ich bin Wolf von Steinburg, Euer Majestät ergebener reichsunmittelbarer Graf. Ich lasse mich nicht einen Rebellen nennen, solange ich nicht von Eurer Majestät wegen Aufruhrs verurteilt bin. Ich bin gekommen, um mich Eurem Gericht zu stellen, um Euch davon zu überzeugen, dass weder ich noch andere Grafen meines Volkes gegen Eure Majestät einen Aufruhr planen oder durchführen. Deshalb erwarte ich, dass der Ausrufer – oder der, der ihm die Anweisung gegeben hat, mich so zu nennen – mich um Entschuldigung bittet!“
„Diese Anweisung kam von mir – und ich habe nicht die Absicht, auch nur ein Wort davon zurückzunehmen, Rebell!“, kam es von der rechten Seite des Thronsaales. Manfred von Buchenberg trat vor.
„Du erhebst die Klage, das weiß ich wohl. Aber solange deine Behauptung nicht bewiesen ist, hast du nicht das Recht, mich derart zu beschimpfen, Manfred von Buchenberg.“
Buchenberg wandte sich an den Kaiser.
„Ihr hört, mein Kaiser, der Rebell bestreitet. Nun muss ihm wohl das Wortgeständnis entrissen werden. Ich bitte um Eure Genehmigung, den verstockten Gefangenen der Folter zu übergeben.“
„Eure Majestät“, schaltete sich General Tilly ein, „vergebt, wenn ich mich zum Fürsprecher dieses aus freiem Willen hergekommenen Angeklagten mache. Bislang weiß Graf Steinburg nur, dass er der Rebellion gegen Eure Majestät beschuldigt wird. Einzelheiten konnte ich ihm mangels eigener Kenntnis der Anklage nicht nennen. Bevor Graf Steinburg mit Folter bedroht wird, sollte ihm zunächst eröffnet werden, wessen man ihn im Einzelnen anklagt.“
„Tragt vor, was Ihr anklagt, Prinz Manfred“, forderte Kaiser Ferdinand Buchenberg auf.
„Wolf von Steinburg hat an die Grafen Wenglands – des ehemaligen Königreiches Wengland – geschrieben, er lade sie ein, eine Angelegenheit Wenglands zu besprechen. Nachdem ich dieses Schreiben in Händen hielt, habe ich die Angeschriebenen befragt. Sie haben zunächst geleugnet, aber unter der Folter letztlich doch gestanden, dass sie das Königreich Wengland wiedervereinigen wollen und dass sie sich auf die Seite der Gegner Eurer Majestät stellen wollen.“
Tilly wollte etwas sagen, aber Wolf legte ihm sachte eine Hand auf den Arm.
„Wartet, lasst mich zunächst machen. Ich gebe Euch gern ein Zeichen, wenn ich nicht mehr weiterkomme“, flüsterte er. Tilly nickte.
„Was habt Ihr zu den Anschuldigungen zu sagen, die Prinz Manfred gegen Euch erhebt?“, fragte der Kaiser.
„Bevor ich darauf eingehe, lasst mich bitte den Herrn Ankläger fragen: Wie seid Ihr an den Brief gekommen, den ich an andere Grafen schrieb und den ich einem berittenen Boten mitgab?“
„Das ist doch unerheblich!“, stieß Manfred hervor.
„Das finde ich durchaus nicht, Herr von Buchenberg. Dieser Brief, dessen Inhalt als solchen ich nicht bestreite, wurde meinem Boten durch Wegelagerer gestohlen, die ihn überfielen. Wie also seid Ihr an diesen Brief gekommen? „
„Wichtig ist, dass ich ihn habe, nicht, wie ich an ihn herangekommen bin“, erwiderte Buchenberg kalt.
„Dann beschuldige ich Euch und Eure Leute, bereits seit Oktober gegen den Kaiser zu agieren!“, gab Wolf zurück.
„Zu den Hirngespinsten eines Rebellen äußere ich mich nicht“, tat Manfred Wolfs Einlassung ab. „Es gibt keine Beweise dafür.“
„Für meine angebliche Rebellion habt Ihr nur diesen Brief in der Hand – und ein paar Geständnisse, die Ihr den Grafen unter Folter abgepresst habt. Ihr dürft gern zugeben dass Ihr sie solange habt schinden lassen, bis sie alles bestätigt haben, was Ihr ihnen vorgesagt habt. Solche Geständnisse haben keinen Wert. Für Eure Treulosigkeit habe ich bessere Beweise.“
„Moment, Graf Steinburg – vorderhand geht es um eine Anschuldigung gegen Euch. Könnt Ihr bestreiten, was Prinz Manfred behauptet?“, fuhr ein Höfling dazwischen.
„Hört, Herr Hofrat, es ist mir neu, dass ein reichsunmittelbarer Graf gezwungen ist, seine Schuldlosigkeit zu beweisen. Bei uns gilt das römische Recht, verankert in der Reichsverfassung von 1495, verkündet von Kaiser Maximilian I. Danach ist einem Angeklagten seine Schuld zu beweisen“, erwiderte Wolf kühl.
„Graf Steinburg, wollt Ihr den Vorwurf bestreiten?“, fragte der Kaiser. „Dann sagt etwas dazu. Mit einer Gegenbeschuldigung erreicht Ihr nichts.“
„Dann, Majestät, will ich es tun. Ich bitte Euch, mich nicht zu unterbrechen und Unmutsbekundungen freundlichst zu unterbinden.“
„Es sei. Sprecht, Graf Steinburg“, versprach der Kaiser.
„Mein Vater – Gott sei seiner Seele gnädig – hatte, wie alle anderen Grafen von Steinburg, wie alle Grafen des früheren Königreichs Wengland, den Wunsch, dieses schöne Land eines Tages wieder vereint zu sehen, doch nicht so, wie man uns vorwirft. Mein Vater war ein treuer Graf des Reiches, wie ich es auch bin. Nicht einen Augenblick haben mein Vater oder ich daran gedacht, ein vereinigtes Wengland aus dem Reich zu lösen, wie es vor der Eingliederung ins Reich war. Nichts anderes wollte ich mit den anderen Grafen meines Volkes besprechen, als ich diesen Brief schrieb“, erklärte Wolf.
Manfred lachte laut auf, aber der Kaiser verbot ihm weitere abfällige Bemerkungen mit einer harschen Handbewegung.
„Ihr habt gehört, dass die anderen Grafen den geplanten Verrat gestanden haben“, hielt er Wolf vor.
„Nun, Majestät, ich wüsste gern, was die Grafen im einzelnen gestanden haben, damit ich mich dazu detailliert äußern kann“, gab Wolf zurück.
„Prinz Manfred, wollt Ihr bitte vortragen?“, forderte Kaiser Ferdinand Buchenberg auf. Buchenberg nahm eine Schriftrolle und trug die Geständnisse vor, Sie hatten alle denselben Wortlaut, der lediglich besagte, dass die wenglischen Grafen eine Wiedervereinigung und Loslösung Wenglands wollten.
„Was habt Ihr dazu zu sagen?“, fragte Ferdinand.
„Eure Majestät – diese Geständnisse wurden den Grafen vorgelegt. Sie haben unter der Folter nur bestätigt, was Manfred hören wollte. Dies sind nicht die Worte der Grafen“, entgegnete Wolf.
„Ist es nicht gleichgültig, ob ein Angeschuldigter ein vorbereitetes Geständnis unterschreibt oder ob er es selbst zu Papier bringt?“, fragte Ferdinand verblüfft.
„Durchaus nicht, Majestät. Es ist doch ein himmelweiter Unterschied, ob jemand eine Beichte ablegt, die er selbst – vor Gott oder einem irdischen Richter – formuliert, oder ob er einen vorgegebenen Satz aus dem Katechismus oder dem Gesetz unterschreibt, der die Sünde möglicherweise nur unvollkommen beschreibt. Wenn Ihr, Majestät, zu Eurem Beichtvater geht, legt Ihr ihm doch nicht den Katechismus vor und deutet auf diese oder diese Passage, sondern sagt mit Euren eigenen Worten, worin Ihr vor Gott gefehlt habt – wie es jeder gute Christ tut. Der irdische Richter darf sich dann auch nicht auf ein vorgeschriebenes Geständnis verlassen, das der Angeschuldigte nur unterschrieben hat, weil man ihm Schmerzen zugefügt hat und droht, damit fortzufahren, wenn er das nicht unterschreibt. Solltet Ihr an eine Wahrheitsfindung unter Folter glauben, Majestät, kann ich Euch aus eigener Erfahrung bestätigen, dass der Mensch in seiner Schmerzempfindlichkeit dazu neigt, unter Folter alles zu sagen, was der Richter von ihm hören will. Ob es wahr ist, ist eine ganz andere Frage. Aus diesem Grunde hatten meine Vorfahren die Folter in Wengland schon vor fast vierhundert Jahren als Methode der Wahrheitsfindung abgeschafft. Doch wenn ich einmal von der Abpressung der Geständnisse absehe, überzeugt Euch vielleicht folgendes: Die Grafen hätten gar nichts von sich aus gestehen können. Eine Besprechung, bei der eine Rebellion gegen Euch geplant wurde, hat nämlich nie stattgefunden! Herr von Buchenberg hat die Grafen verhaften lassen, bevor sie meinen Brief überhaupt erhielten“, erklärte Wolf.
„Auch der Versuch einer Rebellion ist strafbar. Vergiss das nicht, Rebell!“, fuhr Buchenberg Wolf an.
„In den seltsamen Geständnissen, die Ihr da vorgetragen habt, ist nicht von einem Versuch die Rede, sondern von Rebellion; nicht von geplanter, sondern von schlicht und einfach Rebellion. Ihr wart ein bisschen voreilig, lieber Herr von Buchenberg. Denn das, was Ihr da habt unterschreiben lassen, hat nie stattgefunden! Ihr habt Euch einfach unterschreiben lassen: ‚Ich, Name, habe gegen den Kaiser rebelliert, indem ich das frühere Königreich Wengland neu formiere und aus dem Reich löse.’ Keiner der Grafen hat das frühere Königreich Wengland neu formiert und aus dem Reich gelöst – denn dazu gehören zwölf andere Grafen, die alle eine entsprechende Urkunde unterschreiben müssten. Ihr habt aber nur von acht Grafen Geständnisse! Schade auch, dass Ihr Euch nicht recht auf ‘s Formulieren versteht“, versetzte Wolf. Buchenberg wurde zornrot.
„Majestät, das ist Wortklauberei!“, beschwerte er sich. Ferdinand schüttelte den Kopf.
„Durchaus nicht. Es ist sehr wohl ein Unterschied, ob jemand eine Rebellion plant oder ob er sie durchgeführt hat“, sagte er. „Ihr bleibt also dabei, dass Ihr keine Loslösung vom Reich wünscht?“, wandte er sich an Wolf
„So ist es, Majestät.“
„Wozu dann überhaupt eine Wiedervereinigung und unter welchem Fürsten sollte sie geschehen?“, erkundigte sich der Kaiser.
„Nun, Majestät – fragt doch am besten Prinz Manfred. Wilzarien ist doch offenbar wiedervereinigt unter dem Banner des Kaisers“, schlug Wolf vor.
„Nein, das möchte ich von Euch selbst hören. Ihr habt mir doch gerade erklärt, was vorgesagte Geständnisse wert sind“, entgegnete der Kaiser mit dem Anflug eines Schmunzelns.
„Majestät, wir wenglischen Grafen sind zu dreizehnt im Reichstag vertreten. Wir reden mit dreizehn Stimmen – aber unter hunderten anderer. Für die wenglischen Grafen wäre es leichter, sich auf eine gemeinsame Politik zu einigen, wenn sie einen Vertreter im Reichstag hätten, der dort für sie sprechen würde. Die Stimme dieses einen Vertreters hätte mehr Gewicht, wenn er nicht nur für sich allein, sondern für insgesamt dreizehn Grafen spräche. Ich wäre – das Einverständnis aller Grafen vorausgesetzt – so kühn, den Titel des Vertreters zu beanspruchen, denn meine Vorfahren hatten den Thron Wenglands inne, solange es ihn gab“, erklärte Wolf. Ferdinand hob eine Augenbraue.
„In der Tat, das wäre ein bedeutsames Gewicht, wenn jemand in Regensburg* nicht allein für sich, sondern noch zwölf andere spricht, die eine große Bevölkerung und viel Kriegsvolk repräsentieren. Doch wer sagt, dass der Kaiser eine solche Machtfülle dulden kann? Einigkeit im Reich ist mehr denn je gefragt.“
„Gerade, weil Einigkeit gefragt ist, Majestät, kann es für Euch nur positiv sein, wenn Ihr im Reichstag mit einer Person verhandeln müsst, die von insgesamt dreizehn Grafen die Vollmacht hat, in deren Namen zuzustimmen, statt mühsam alle dreizehn hinter Euch zu bringen“, warb Wolf.
„Was die Meinung der anderen Grafen anbelangt, würdet Ihr Euch dafür verbürgen, Graf Steinburg?“, fragte der Kaiser.
„Ja“
„Mit Eurem Kopf?“
„Ja“
„Gut. Ich nehme das zur Kenntnis. Ihr hattet vorhin von einer angeblichen Treulosigkeit Prinz Manfreds gesprochen. Nun, zeigt mir, was wenglische Beweisführung vermag. Dann überdenke ich die Verwertung der unterschriebenen Geständnisse“, sagte Ferdinand.
Buchenberg schrak zusammen.
„Majestät werden diese haltlosen Behauptungen doch nicht glauben?“, entfuhr es ihm.
„Wenn Ihr Euch recht erinnert, habt Ihr mir nicht mehr gezeigt, als jenen Brief. Ich habe nur aufgrund Eurer Behauptung, es handle sich um eine Rebellion gegen mich, die Haftbefehle erlassen, die Euch die Möglichkeit gaben, die Grafen unter Folter zu verhören. Ohne diese Verhöre hättet Ihr heute nichts vorzuweisen gehabt. Warum also sollte ich einem anderen das gleiche Recht verweigern?“, wies Ferdinand Manfred zurecht. „Also, Graf Steinburg, führt mir auf wenglische Art Euren Beweis“, forderte der Kaiser Wolf auf.
„Gern, Majestät. Im Oktober letzten Jahres wurde das Fähnlein von Herrn von Buchenberg im Hildesheimischen unter einem Banner gesehen, das ein gelbes Feld hat, in dem ein rotbewehrter, schwarzer Drache die Fänge reckt. Dieses Wappen ist nicht mit dem Hauswappen derer von Buchenberg identisch, die einen silbernen Turm im schwarzen Feld führen. Offiziell gehörte Herr von Buchenberg zu diesem Zeitpunkt noch zu dem Regiment des Obristen Albrecht von Wallenstein, der ihm nie die Erlaubnis erteilt hat, dieses Wappen als Feldzeichen zu führen. Vielmehr handelt es sich um das Wappen des ehemaligen Königreiches Wilzarien, das vor seiner Eingliederung in das Reich dafür bekannt war, ein Reich der Ketzer zu sein. Für das Wappen benenne ich Baron von Altenburg und sämtliche Männer seines Fähnleins zu Zeugen. Damit nicht genug, können diese Männer bezeugen dass sie auf verschiedenen Patrouillen von Herrn von Buchenbergs Männern unter eben diesem Feldzeichen angegriffen wurden, obwohl sie sich unter deutlich sichtbarem Feldzeichen Eurer Majestät befanden. Ein Angriff auf Männer des Kaisers kann doch nur als Treulosigkeit gegenüber Eurer Majestät bezeichnet werden. Ich bitte Euch, die Zeugen dazu zu hören, Majestät. Schickt einen Boten nach Dreibeck, der das Fähnlein von Herrn von Altenburg herbeiholt“, erklärte Wolf.
„Moment, Graf Steinburg“, unterbrach der Kaiser, „Baron von Altenburg begleitet Euch doch. Wir können Ihn doch gleich dazu hören“, warf er ein.
„Nein, denn Baron von Altenburg hat den Vorwurf direkt gehört. Er wäre nicht mehr objektiv im Sinne einer wenglischen Beweisführung“, antwortete Wolf.
Ferdinand zog eine Augenbraue hoch, Zeichen für sichtliches Erstaunen.
„In der Tat: Die wenglische Beweisführung ist anspruchsvoll“, sagte er anerkennend. „Graf Eggenberg: Gebt Weisung, dass man das Fähnlein des Barons von Altenburg her befehle!“, wies er dann seinen Kanzler an. Eggenberg verneigte sich.
„Es wird umgehend geschehen, Majestät“, versprach der Kanzler.
„Gut. Wie verfahrt Ihr weiter, Graf Steinburg?“, erkundigte sich der Kaiser dann.
„Zugegeben, es wird einige Zeit dauern, bis der Prozess im Hinblick auf die bislang vorgetragene und unter Zeugenbeweis gestellte Treulosigkeit des Herrn von Buchenberg fortgesetzt werden kann, doch es gibt noch mehr, was mein Kaiser wissen sollte – und das ist ganz kurzfristig unter dem Beweis des Augenscheins an den Tag zu bringen. Manfred von Buchenberg wohnt, wenn er in Prag weilt, in dem Gebäude, das zu Zeiten des Königreichs Wilzarien die Gesandtschaft dieses Landes beherbergte. Das trifft doch zu, Herr von Buchenberg?“
„Natürlich! Warum sollte ich das leugnen?“, grunzte Buchenberg.
„Gut“, nahm Wolf die Antwort zur Kenntnis. „Im Garten dieses Hauses befindet sich eine Tafel, auf der Symbole eingemeißelt sind, die im Hexenhammer* der Heiligen Inquisition als Teufelssymbole dargestellt sind. Bekanntermaßen wurden die Wilzaren nach der Auflösung des Königreichs als Ketzer verfolgt und schließlich zum Christentum bekehrt. Manfred von Buchenberg wurde gestern Abend vor eben dieser Tafel beobachtet – und er machte keine Anstalten sie zu beseitigen. Ich beschuldige Herrn von Buchenberg hiermit der Teufelsanbetung!“
Einige Augenblicke lang war im Saal Totenstille. Buchenberg war leichenblass geworden, der Kaiser und seine Höflinge ebenfalls. Unbewusst rückten die, die in der Nähe von Buchenberg standen, von ihm ab.
„Du weißt, dass das eine verdammte Lüge ist, Steinburg!“, fauchte Buchenberg.
„Du beschuldigst mich des Verrates am Kaiser, ich bezichtige dich der Ketzerei, Buchenberg. So einfach ist das. Nur – ich habe Beweise, im Gegensatz zu dir“, versetzte Wolf eisig.
„Majestät“, wandte sich Buchenberg an den Kaiser, „es wäre müßig, zu leugnen, dass sich die beschriebene Tafel im Garten meines Hauses befindet. Eure Majestät würde es bei einer gründlichen Besichtigung des Gartens sehen. Es ist auch zutreffend, dass ich gestern Abend bei dieser Tafel war. Doch habe ich diese Tafel erst am gestrigen Abend entdeckt. Sie liegt recht versteckt zwischen hohen Büschen. Es ist auch richtig, dass mein Volk bei seiner Eingliederung ins Reich mit Feuer und Schwert vom christlichen Glauben … überzeugt … wurde. Doch bedeutet das noch lange nicht, dass ich den Teufel als meinen Gott anbete. Dies bestreite ich allen Ernstes“, erwiderte Buchenberg auf die Anklage des Steinburger Grafen. Kanzler Eggenberg sah Buchenberg streng an.
„Herr von Buchenberg, der von Graf Steinburg genannte Hexenhammer bietet eine ganze Reihe von Prüfungsmöglichkeiten, mit denen ermittelt werden kann, ob jemand der Hexerei oder der Teufelsanbetung schuldig ist oder nicht. Ihr wolltet Graf Steinburg doch auch das Wortgeständnis entreißen, als er bestritt, gegen den Kaiser Verrat geübt zu haben“, sagte er.
Alle waren so auf Manfred konzentriert, dass niemand bemerkte, dass Wolf mit Tilly flüsterte.
„Mein Herr und mein Kaiser!“, mischte sich der alte Brabanter Graf jetzt ein. „Darf ich einen Vorschlag machen, Eure Majestät?“
Ferdinand sah den verdienten General wohlmeinend an.
„Sprecht, Graf Tilly“, forderte er den General auf.
„Es stehen zwei Beschuldigungen im Raum, die nicht mit letzter Sicherheit zu beweisen oder zu entkräften sind. Ich schlage deshalb einen gerichtlichen Zweikampf zwischen Herrn von Buchenberg und Herrn von Steinburg vor, um zu ermitteln, wer von beiden die Wahrheit sagt, welche von beiden Anschuldigungen wahr ist.“
Alle Anwesenden nickten erleichtert, insbesondere der Kaiser, der sich in diesem Fall gern vor der Verantwortung eines Richterspruchs drücken wollte. Ferdinand II. war im Grunde ein schwacher Kaiser, der seine kaiserliche Autorität nicht durch seine Überzeugungskraft oder sein Charisma durchsetzen konnte, sondern dazu Soldaten brauchte – und das nicht einmal wirklich aus eigener Kraft finanzieren konnte …
„Das ist ein ausgezeichneter Vorschlag, Graf Tilly“, sagte er. „Wir werden so verfahren. Eggenberg, gebt mir doch noch einmal das Dokument für Prinz Manfred.“
Eggenberg reichte dem Kaiser ein reich verziertes Pergament.
„Prinz Manfred, Ihr hattet darum ersucht, Eurem Fürstentum außer den früheren Provinzen auch die Grafschaften Aventur, Südwengland, Limmenfels und Hirschfeld, sowie den südlichen Teil der Grafschaft Steinburg zuzuordnen. Ich habe dies einstweilen aus der Urkunde weggelassen. Ich stelle noch folgendes zur Disposition: Wenn Ihr gewinnt, ist Graf Steinburg schuldig – und mit ihm die übrigen Grafen des früheren Wengland. In diesem Falle würde ich Euch die gesamten ehemals wenglischen Grafschaften zur Eingliederung in Euer Fürstentum überlassen. Die Grafen gehen dann ihrer Reichsunmittelbarkeit verlustig und sind Euch lehenspflichtig. Graf Steinburg: Wenn Ihr gewinnt, seid Ihr und Eure Grafenkollegen unschuldig, was den Verrat anbelangt. In diesem Falle hebe ich die Todesurteile gegen die Grafen auf und entlasse sie aus der Haft. Dann wird Wengland ein erbliches Fürstentum unter Eurer Führung mit – wie gewünscht – dreizehn reichsunmittelbaren Grafen, die Ihr als Fürst – oder eine von Euch beauftragte Person – im Reichstag vertretet. Prinz Manfred wird dann schuldig sein und ich brauche wohl nicht auf die dann drohende Strafe hinzuweisen. Geht und bereitet Euch vor. Der gerichtliche Zweikampf wird allein mit Rapieren ausgetragen und findet in drei Tagen im Hof des Hradschin statt.“
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Kapitel 25
Herrenduell
Zum Wort des Kaisers gab es nichts mehr zu sagen – im Thronsaal jedenfalls nicht. Die Gerichtsversammlung löste sich auf, die Wengländer kehrten in ihr Gasthaus am Rande Prags zurück, Graf Tilly folgte ihnen auf einem anderen Weg. Er war fest überzeugt, dass Wolf im Recht war. Verrat am Kaiser hätte er seinem früheren Adjutanten zu allerletzt zugetraut.
„Wolf, ich habe fast grenzenloses Vertrauen in dich und deine Fechtkünste“, sagte Thomas, als Tilly eintrat. „Aber wenn du dieses Gefecht verlierst, schneide ich dir noch als Leiche die Löffel ab. Ich tanze lieber auf dem Blocksberg mit dem Teufel Ringelreihen, als künftig unter Wilzarenherrschaft zu leben!“
Bevor Wolf auf Thomas’ Vorhalt eingehen konnte, sah er Tilly eintreten und winkte seinen Mentor herbei.
„Setzt Euch, Johann“, lud er ein. „Karel, bring einen Krug Bier für den Herrn von Tilly!“
Tilly setzte sich zu den Wengländern, die ihn zunächst erschrocken ansahen.
„Nein, macht Euch keine Gedanken, Ihr Herren aus dem Wengland. Ich kenne Euren Wolf von Steinburg schon so lange, dass ich ihm einen Verrat nicht wirklich zutraue. Ich stehe auf Eurer Seite.“
„Seid vorsichtig, Herr General, was Ihr von Euch gebt!“, warnte Siegfried von Bravadur lachend. „Nicht, dass Ihr uns noch militärisch unterstützen müsst!“
Wolf winkte ab.
„Wenn wir es nicht alleine schaffen, haben wir Pech gehabt. Ich will Johann als meinen alten Lehrmeister nicht mit hineinziehen“, sagte er. „Thomas, ich habe Buchenberg schon einmal geschlagen“, wandte er sich dann an seinen Freund. Von Altenburg winkte ab.
„Wolf, das Gefecht findet nicht irgendwo auf ‘ner wenglischen Alm oder auf dem holperigen Marktplatz von Dreibeck statt, sondern im Hof des Hradschin, wenn du richtig hingehört hast. Hast du dir den mal angesehen? Glatt wie ein Kinderpopo! Du hast Buchenberg geschlagen, weil er über eine Bodenunebenheit, einen Pflasterstein, gestolpert ist. Das Gefecht damals hat dich die letzten Kraftreserven gekostet, während Manfred sich noch am selben Nachmittag schon zwei andere Raufereien geliefert hat!“, erinnerte Thomas heftig. Wolf grinste.
„Thomas – hast du schon mal gefochten, nachdem dir dein Fechtarm ausgerenkt worden war?“, fragte er. Sein Freund wurde bleich.
„Himmel, das hätte ich nicht riskiert!“, schnaubte er.
„Als du mir damals vor dem Gefecht so freundschaftlich die rechte Schulter gedrückt hast, mein Freund, wäre ich beinahe die Wände hochgegangen, solche Schmerzen habe ich plötzlich gehabt. So gut Kathi mich gepflegt hat: Die Schulterverletzung war noch nicht verheilt, als ich um Kathi gegen Buchenberg kämpfen musste. Aber ich hatte nur die Möglichkeit, zu kämpfen und vielleicht zu gewinnen oder Katharina ganz sicher an diesen Lumpen zu verlieren. Jetzt, lieber Thomas, bin ich gesund – und ich schwöre dir, wie ich es damals Kathrin geschworen habe: Buchenberg wird mich töten müssen, um Wengland zu bekommen. Ich habe ihm nicht meine Frau überlassen, ich überlasse ihm nicht das Erbe meiner Väter, nicht mein Volk! In der Hinsicht solltest du mir vertrauen, Thomas.“
Von Altenburg machte eine wegwerfende Handbewegung, als wolle er andeuten, Wolf sei nicht zu helfen. Er stand auf und ging auf sein Zimmer. Die anderen verabschiedeten sich und gingen gleichfalls schlafen. Nur Wolf und Johann von Tilly saßen noch in der Gaststube, tranken von ihrem Pilsner Bier. Tilly sah seinen ehemaligen Adjutanten eine Weile an.
„Und ich habe mir mal Gedanken gemacht, Ihr hättet mit einer verletzten Schulter gegen Heinrich von Grünenfels keine Chance. Habe ich Euch so unterschätzt, Wolf?“, schmunzelte er. Wolf erwiderte das Lächeln seines väterlichen Freundes.
„Es geht vielen so, Johann. Aber es kommt drauf an, worum es geht. Gegen Heinrich ging es nur um meine Ehre. Das ist zwar nicht unerheblich, aber Ehre und Autorität ist nicht alles. Bei dem ersten Gefecht gegen Manfred von Buchenberg ging es um meine Frau – und die hätte ich ihm nur als Leiche überlassen. Jetzt geht es um etwas vielleicht noch Gewichtigeres; um das, was wir Wengländer uns seit dem Jahre 1353 alle wünschen: Um die Wiedervereinigung unseres Landes. Wenn ich diesen Kampf verliere, Johann, dann habe ich wirklich versagt, weil Wengland dann ein Teil Wilzariens sein wird – und die Wilzaren sind, seit es Wengland gibt – unsere Todfeinde. Fragt mich nicht, woher das kommt, aber es ist so. Und Wengland wird Manfred nur bekommen, wenn er mich aufspießt, denn lebend gebe ich es nicht her“, erwiderte er ernst. „Ich möchte nicht, dass hier etwas schiefläuft“, sagte er dann. „Ich brauche zum üben jemanden, der keinerlei Rücksicht auf mich nimmt. Thomas oder Siegfried sind sehr gute Fechter, aber sie sind meine besten Freunde. Die würden nie ernsthaft mit mir kämpfen. Bitte, Johann, gebt mir Euren Fechtmeister, damit ich noch gründlich üben kann, bevor ich mich mit Manfred messe.“
„An der Übung wird’s nicht scheitern. Ihr bekommt den Fechtmeister“, versprach Tilly. „Aber ich hätte eine Bitte an Euch, Wolf: Wenn Ihr Fürst von Wengland werdet, bitte ich Euch, mir ein Regiment Soldaten zu geben. Ich habe mich von der Güte und dem unbedingten Kampfeswillen der Wengländer überzeugt – und ich möchte sie nicht mehr missen. Kommt zu mir zurück, Wolf.“
„Mein Vertrag gilt noch, Johann. Doch sollte es mir gelingen, zu gewinnen, muss ich erst zu Hause Ordnung schaffen, bevor ich mich wieder ins Getümmel stürze. Ich fürchte, das wird dauern. Lasst meinen Vertrag einstweilen ruhen“, bat Wolf. Johann nickte nur.
In den folgenden beiden Tagen trainierte Wolf mit Tillys Fechtmeister hart. Thomas und Siegfried waren kritische Beobachter seiner Bemühungen und wiesen ihn gnadenlos auf Fehler hin. Der bevorstehende Kampf entschied das Schicksal aller Wengländer, da durfte kein Fehler gemacht werden. Wolf war zwar ein Fechter, dem nur Wenige etwas entgegensetzen konnten, aber zu diesen Wenigen gehörte eben Manfred von Buchenberg.
„Du öffnest zu leicht die linke Seite, Wolf“, mahnte Thomas, als Wolf völlig verschwitzt eine Pause machte und auch der Fechtmeister nur noch erschöpft japste.
„Was meinst du?“, keuchte Wolf.
„Wenn du einen Angriff auf die linke Seite erwartest, machst du auf, in der Hoffnung, deinem Gegenüber die Deckung aufzureißen. Ich sage dir: Das klappt nicht! Manfred spießt dich auf wie ein Spanferkel, wenn du das morgen machst!“
„Was sollte ich deiner Meinung nach tun?“, fragte Wolf, immer noch atemlos.
„Zumachen und den Dolch benutzen“, erwiderte Thomas.
„Nach den Duellbedingungen, die ich heute Morgen durch einen kaiserlichen Boten bekommen habe, gilt das Duell nur für Rapiere. Linke-Hand-Dolche dürfen nicht benutzt werden. Ich kann nicht auf eine Waffe üben, die ich nicht habe, Thomas“, gab Wolf zurück. Langsam beruhigte sich sein heftiger Atem.
„Also die gleichen Bedingungen wie im Oktober?“, fragte Von Altenburg. Wolf nickte.
„Genau die“, antwortete er.
„Dann präsentiere ihm nicht wieder deine linke Seite auf dem Silbertablett. Mir ist in Dreibeck ganz schlecht geworden, als ich gesehen habe, wie leichtsinnig du warst. Damals ist es mit einer harmlosen Stichverletzung im Oberarm abgegangen. Diesmal spießt er dich auf!“, warnte Thomas erneut.
„Im Oktober ging es mir nicht besonders gut. Jetzt bin ich gesund“, versetzte Wolf. Thomas verdrehte resigniert die Augen.
„Ich glaub’s nicht!“, seufzte er laut, „Wolf, du Hornochse hast eben genau das getan, was du im Oktober auch gemacht hast: Du hast Jaromir die ungeschützte linke Flanke geradewegs hingehalten!“, erinnerte er dann eindringlich.
„Na schön, zeig ‘s mir“, seufzte nun Wolf und nahm sein Rapier wieder auf.
Thomas nahm den Umhang ab und gab ihn zusammen mit dem federgeschmückten Hut Siegfried. Thomas und Wolf bezogen Position, Von Altenburg griff an und zielte gleich auf die linke Seite. Wolf öffnete tatsächlich, wie Thomas befürchtet hatte, aber der schraubenartige Hieb seines Freundes drehte ihm den Degen glatt aus der Hand.
„Oha!“, entfuhr es ihm, als er nach wenigen Momenten ohne Waffe dastand.
„Thomas, glaub’ mir eins: Wenn ich mit dem Bratspieß nicht umgehen könnte, wäre ich längst Würmerfraß“, grinste Wolf.
„Ich bete nur, dass du morgen nicht an Manfreds Bratspieß enden wirst!“, knurrte Von Altenburg.
In der Nacht vor dem entscheidenden Duell träumte Wolf vom letzten Duell gegen Buchenberg. Im Traum sah er durch Manfreds Hemd einen Drudenfuß, ein Pentagramm, leuchten – ein Zeichen der Teufelsanbeter! Wolf schreckte hoch. Ob dem Kaiser wirklich klar war, dass er sich mit einem Ketzer verbünden wollte? Es dauerte eine Weile, bis Wolf sich soweit beruhigt hatte, dass er wieder schlafen konnte.
Das Duell war zur Mittagsstunde angesetzt. Wolf betrat in Begleitung von Thomas und Siegfried den Hof des Hradschin und musste sich einer gründlichen Durchsuchung auf andere Waffen als das zugelassene Rapier unterziehen. Der Wächter fand nichts und ließ ihn passieren. In dem abgesperrten Kreis befand sich bereits Manfred von Buchenberg, gänzlich in Schwarz gekleidet. Das kalte Grinsen Buchenbergs passte hundertprozentig zu dem von Wolf erhobenen Verdacht der Ketzerei.
‚Warum macht Buchenberg das nur?’, fragte Wolf sich in Gedanken, als der Kaiser das Wort ergriff, die Bedingungen noch einmal erklärte und Gottes Hilfe für den wahrhaftigen Duellanten erflehte.
„Diesmal spieße ich dich auf, Steinburg!“, knurrte Buchenberg, als er auf seinen Platz ging. Wolf antwortete nicht, prüfte nur die Elastizität seiner Solinger Klinge. Ein verstohlener Seitenblick zeigte ihm, dass Kaiser Ferdinand eher auf Seiten Buchenbergs stand. Viel zu wohlgefällig war der Blick des Monarchen in Richtung Buchenberg.
Der vom Kaiser zum Schiedsrichter bestellte Graf Eggenberg gab das Duell frei und die Gegner kreuzten die Klingen. Die Äußerungen der in der Zuschauerloge sitzenden Höflinge zeigten dem Wengländer, dass Buchenberg hier die Sympathie genoss, während ein erfolgreicher Hieb oder Stoß seinerseits mit Unmutsbekundungen quittiert wurde. Die Klingen sirrten durch die Luft, zwei fast gleichwertige Fechter schenkten sich nichts. Dennoch spürte Wolf, dass er Buchenberg leicht überlegen war. Er war gesund, er hatte ausreichend geübt. Es blieb nur die Frage, ob er den entscheidenden Stoß ansetzen konnte – denn Wolf wollte Buchenberg nicht lebend davonkommen lassen. Da war noch eine Rechnung von Katharina offen …
Das Gefecht zog sich hin. Buchenberg schien darauf zu hoffen, dass sich bei Wolf wieder Ermüdungserscheinungen zeigten, doch Wolf enttäuschte ihn. Manfred spürte schließlich seinen Fechtarm und bekam eine Ahnung, dass das Duell nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Auch er hatte nicht mehr und nicht weniger vor, als Wolf diesmal zu töten. Als Buchenberg merkte, dass er allein mit dem Rapier gegen Wolf nicht ankam, wollte er die Sache abkürzen und zog mit einer fließenden Bewegung einen Dolch aus dem Stiefel und stieß damit nach Wolf, der den Dolch jedoch mehr im Reflex als gekonnt mit einem scharfen Fußtritt abwehrte. Buchenberg sprang nach vorn, erwartete er doch, dass Wolf nun stürzen würde, doch der tat ihm auch diesen Gefallen nicht. Im Gegenteil, er fing sich elegant auf dem rechten Fuß ab, die Klingen der Fechter verkeilten sich ineinander. Wieder versuchte Buchenberg, Wolf in die Knie zu drücken, aber es gelang ihm nicht. Der Wengländer hielt stand, wich plötzlich zur Seite aus, Buchenberg stolperte vorwärts und konnte sich nur knapp halten. Er drehte um und sprang Wolf mit einem zirkusreifen Satz an, scheiterte aber an Wolfs Parade, die ihm auch noch die Deckung aufriss, das Rapier beiseite drückte. Mit einem raschen Schnitt zerfetzte Wolf ihm das Hemd. Unter dem Hemd zeigt sich das auf der Brust eingebrannte Pentagramm der Ketzer!
„Satansbraten!“, fauchte er und griff mit noch größerer Heftigkeit an. Buchenberg suchte sein Heil wieder in einem gesprungenen Gegenangriff, prallte aber erneut an Wolfs gekonnter Parade ab, die ihn wiederum der Deckung beraubte. Buchenberg sah das Verhängnis kommen, aber er konnte den Sprung nicht mehr in eine andere Richtung drehen – und sprang Wolf direkt in die nadelspitze Klinge seines Rapiers, das ihn bis zum Heft durchbohrte. Mit letzter Kraft gelang es ihm noch, seinem Kontrahenten an der linken Seite einen kleinen Schnitt beizubringen. Wolf zog das Rapier heftig zurück, ein Blutstrahl schoss aus Buchenbergs tödlicher Wunde und traf den jungen Grafen, der mit bluttriefender Klinge und rot benetztem Hemd vor dem zusammenbrechenden Buchenberg stand. Noch im Fallen versuchte der Wilzare, Wolf zu durchbohren, doch der wehrte den Stoß mit einer leichten Bewegung seines Degens ab. Das Rapier fiel Manfred aus der Hand, er ging ganz zu Boden und regte sich nicht mehr.
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Kapitel 26
Der Fürst von Wengland
Die Zuschauer sprangen auf, ein lauter Schrei des Entsetzens ging durch die Menge der Höflinge und Wächter. Wolf drehte sich zu Ferdinand um und verneigte sich ehrerbietig. Der Kaiser bleib stumm, wirkte bleich und verstört. Der Graf wartete einen Moment, sah den Kaiser nur fragend an. Als Ferdinand nach einer ganzen Weile noch immer nicht reagierte, wog Wolf das Rapier leicht in seiner Hand und sagte:
„Majestät – ich habe das Duell offensichtlich gewonnen!“
Ferdinand zuckte sichtlich zusammen, erhob sich aber, räusperte sich.
„Ich erkläre Euch zum Sieger, Graf Steinburg“, sagte er schließlich.
„Das heißt, die wenglischen Grafen und ich sind nicht schuldig, die Grafen werden freigelassen, die wenglischen Grafschaften werden als Fürstentum unter Eurer Majestät Banner wiedervereinigt und ich erhalte den Fürstentitel?“, hakte Wolf nach.
„Ihr werdet als Fürst von Wengland bestätigt, Wolf von Steinburg. Doch erwarte ich noch als Beweis Eurer Loyalität ein gutes Heer zu meiner Verfügung“, erwiderte Ferdinand.
„Beweis meiner Loyalität?“, rief Wolf erbittert. „Ich muss beinahe an der Loyalität Eurer Majestät zu mir als Reichsgrafen zweifeln! Ich habe Euch vor Augen geführt, mit wem Ihr Euch fast eingelassen hättet. Weil ich den allerletzten Beweis noch nicht führen konnte, weil Zeugen erst in einigen Wochen hier eingetroffen wären, wurde dieser Zweikampf angesetzt – allein auf Rapiere! Mich hat man akribisch nach zusätzlichen Waffen durchsucht, Herr von Buchenberg konnte einen Dolch ganz offensichtlich behalten! Der Herr Schiedsrichter hat ausgesprochen deutlich Partei für meinen Gegner ergriffen, als er ihn direkt aufforderte, mich aufzuspießen! Das, Majestät, kann ich nicht gleiche Bedingungen und Loyalität nennen! Jetzt erwarte ich, dass Eure Majestät zum gegebenen Wort stehen und ohne weitere Spitzfindigkeiten die gemachte Zusage erfüllen!“
Es war einfach unerhört, dass ein Graf seinen Kaiser so öffentlich und lautstark anklagte. Der Moment war gefährlich, denn es bestand die Gefahr, dass die kaiserlichen Posten den Befehl bekamen, Wolf und seine Begleiter zu verhaften.
Ferdinand war wohl kurz davor, es zu tun, als am Tor des Hradschin gut fünfzig Männer in Waffen erschienen, denen General Tilly voranging. Eggenberg machte Ferdinand auf die anscheinend drohende Gefahr aufmerksam und der Kaiser entschloss sich, den Verhaftungsbefehl hinunterzuschlucken. Er verließ die Loge und trat auf den Duellplatz. Wolf schob das Rapier ungereinigt in die Scheide und stieg über den toten Buchenberg hinweg, verneigte sich vor dem Kaiser. Ferdinand winkte einige Pagen hinzu, die den neuen Fürstenhut und den Hermelinmantel brachten. Auf ebenfalls von Pagen getragenen Kissen lagen die Amtskette sowie das Zepter der wenglischen Könige. Wolfs Blick fiel auf Kette und Zepter, die er von den Gemälden in der Steinburg gut kannte.
„Erlaubt die Frage, woher Ihr Zepter und Kette habt, Majestät?“, fragte er, als Ferdinand ihm die Insignien präsentierte. Der Kaiser lächelte freundlich.
„Kette, Zepter und Krone Eurer Vorfahren wurden dem letzten König Wenglands mit in Grab gegeben. Von dort wurden sie sichergestellt“, erklärte er.
„Sichergestellt!“, entfuhr es Wolf mit deutlichem Vorwurf. „Nun gut, ich habe sie zurück“, setzte er dann hinzu.
„Ihr vertraut mir nicht recht, scheint es mir, Graf Steinburg“, bemerkte Ferdinand.
„Ich bin etwas vorsichtiger geworden, Majestät. Doch seht Euch den Leichnam meines Gegners etwas genauer an; dann werdet Ihr wissen, dass mein Sieg gerecht war. Manfred von Buchenberg trug das Zeichen der Ketzer.“
Ferdinand folgte Wolfs Aufforderung und betrachtete das Brandzeichen in Buchenbergs Brust. Mit einem Schlag war dem Kaiser klar, dass er als Vorkämpfer des katholischen Glaubens beinahe einen schrecklichen Fehler begangen hätte.
In diesem Moment kam ein leicht abgehetzt wirkender General Tilly zum Kaiser, machte eine tiefe Kniebeuge.
„Verzeiht, wenn ich so spät erscheine, Majestät. Ich habe leider verschlafen und wurde erst von Hauptmann Eggner geweckt. Hat das Duell schon stattgefunden?“
Ein erleichtertes Lachen ging durch die Reihen der Höflinge, dass der Brabanter nicht vorhatte, den Kaiser anzugreifen.
„Ihr kommt jedenfalls rechtzeitig, um den Hauptakt anzusehen, Graf Tilly“, sagte Ferdinand. Er wandte sich an Wolf:
„Kniet nieder, Wolf von Steinburg!“
Gehorsam kniete der junge Mann sich auf das Pflaster des Burghofes. Auf Ferdinands Zeichen erhielt er Fürstenhut und Hermelinmantel. Die Kette legte der Kaiser dem neuen Fürsten selbst um und übergab ihm auch das Zepter.
„Wir, Ferdinand II., von Gottes Gnaden Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und deutscher König, geben Euch das Fürstentum Wengland zum erblichen Lehen. Die Grenzen Eures Reiches sind dieselben Grenzen, in denen das Königreich Wengland bis zu seiner Eingliederung in Unser Reich in der Regierungszeit Kaiser Karls IV. existierte“, verkündete der Kaiser. „Schwört Ihr mir als dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Treue?“, fragte er dann.
„Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe!“, bekräftigte Wolf. Ferdinand hielt ihm die behandschuhte Hand hin, die der neue Fürst als getreuer Lehnsmann ehrerbietig küsste.
„Erhebt Euch, Fürst Wolf von Wengland. Kommt bitte in zwei Stunden in meine Gemächer.“
„Jawohl, mein Kaiser und König“, bestätigte der neue Fürst.
Kaiser und Hofstaat verließen den Hof des Hradschin, Wächter trugen den toten Buchenberg fort. Schließlich standen nur noch die Wengländer, ihr junger Fürst und Graf Tilly mit seinen Soldaten im Hof der Prager Burg. Erst jetzt, nachdem der Kaiser und die Höflinge fort waren, begriffen sie, dass ihr jahrhundertealter Traum wahr geworden war. Jubelnd beglückwünschten Thomas, Siegfried und die anderen Wengländer, die nach und nach zum Turnierplatz gekommen waren, Wolf zu seiner neuen Würde. Auch Tilly stand nicht zurück.
„Der Traum Eures Vaters ist erfüllt, Wolf. Wengland ist wieder eins – und hat wenigstens einen Fürsten als Landesherrn. Ich bin stolz, dass Ihr ausgerechnet an meine Tür geklopft habt, als Ihr Euch die Sporen verdienen wolltet“, sagte der alte Graf gerührt. Nicht nur er, alle Anwesenden hatten Tränen in den Augen.
„Ich danke Euch, Johann, dass Ihr es damals mit mir überhaupt riskiert habt, denn Ihr wart nicht recht überzeugt, dass ich tatsächlich zum Soldaten tauge.“
„Es wäre fast mein größter Fehler gewesen!“, lachte Tilly auf. „Was werdet Ihr jetzt tun, Hoheit?“, fragte er dann.
„Nach Wengland reisen, sofern hier alle Formalitäten geregelt sind – und dann meine Fürstin nach Steinburg holen. Und dann – wenn es geht, zu unserem hochgeschätzten 11. Juli – die anderen Grafen um ihre förmliche Anerkennung bitten“, erklärte Wolf mit einem glücklichen Lächeln. Er sah an sich herunter. Unter dem roten, hermelinbesetzten Mantel nahm sich sein vom Kampf beschädigtes und blutbespritztes Hemd seltsam aus. Der Fürstenhut auf dem verschwitzten Kopf über einem noch immer schweißnassen Gesicht hatte gleichfalls etwas Untypisches an sich. Krone und Mantel wollten einfach nicht zu der ramponierten Erscheinung des Fürsten passen.
„Im Moment möchte ich nur baden, mir etwas Frisches anziehen und mich dann zu Kaiser Ferdinand begeben“, sagte er dann.
„Was will der noch?“, fragte Thomas heftig.
„Das werde ich dann erfahren. Du und Siegfried, ihr beiden kommt mit.“
Wie bestellt fand sich Wolf mit seiner kleinen Begleitung Thomas von Altenburg und Siegfried von Bravadur im Thronsaal des Hradschin ein. Alle drei hatten ein Bad genommen und sich frisch gekleidet. Tillys Leibarzt hatte die leichte Verletzung an Wolfs linker Seite behandelt. Der junge Mann trug jetzt ein dunkelgrünes Tuchwams mit passender Hose und überknielangen, schwarzen Reitstiefeln. Dazu trug er einen einfachen, schwarzen Filzhut mit einem roten und einem grünen Federbuschen im dunkelgrünen, samtenen Hutband. Aus dem Wams lugte der breite, aber unverzierte Kragen eines blütenweißen Hemdes hervor. Die Wamsärmel waren von der Schulter bis zum Ellenbogen geschlitzt, aus den Schlitzen leuchteten die weißen Ärmel des Hemdes hervor. Es war eine Tracht, die Wolf nur zu besonderen Gelegenheiten trug, der einzig wirklich teure Anzug, den er besaß. Seine beiden Begleiter erschienen neben ihrem Fürsten geradezu prunkvoll gewandet. Ihre reich verzierten Brokatwämser wiesen sie als regelrecht reich aus.
Ein Page erschien in dem sonst menschenleeren Thronsaal und bat die Wengländer in einen Nebenraum, der gegenüber dem hallenartigen Thronsaal eine eher private Atmosphäre hatte. Der Ausrufer verkündete das Erscheinen Seiner Majestät. Die drei Wengländer beugten ehrerbietig die Knie, zogen die federgeschmückten Hüte – wenn Thomas von Altenburg auch leise knurrte.
„Erhebt Euch!“, forderte der Kaiser seine Besucher auf. Die Männer erhoben sich. Ferdinand setzte sich in einen der bequemen Sessel und bat die Wengländer, Platz zu nehmen. Abwartend setzten sie sich.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Kaiser das Wort ergriff. Die Wengländer hatten schweigend auf eine Reaktion des Kaisers gewartet.
„Das Reich ist in einer schweren Krise, Fürst Wolf. Wir brauchen Geld und Soldaten. Wengland kann Uns beides bieten. Wir bitten Euch um Eure Hilfe“, eröffnete Ferdinand das Gespräch. Der junge Fürst hob fragend eine Augenbraue.
„Wengland besteht – was die Grafen anbelangt – einstweilen nur aus meiner Person, Majestät, denn die Grafen meines Landes – so sie noch leben – sind noch nicht aus der Haft entlassen. Bislang gibt es noch keinen Entlassungsbefehl Eurer Majestät“, gab Wolf mit leisem Vorwurf zu bedenken. Ferdinand seufzte.
„Die Urkunde habe ich eben unterschrieben, Fürst Wolf. Die Grafen werden heute noch freigelassen.“
„Danke, Majestät“, lächelte Wolf mit einem freundlichen Nicken. „Ich gebe nur zu bedenken, dass die Grafen bis eben im Kerker waren und in mehr oder minder regelmäßigen Abständen rabiat gefoltert wurden, um von ihnen das falsche Geständnis zu erpressen, sie hätten Verrat begangen oder begehen wollen. Eure Majestät werden hoffentlich Verständnis dafür haben, dass die bislang inhaftierten Grafen keinen größeren Wunsch haben werden, als heimzukommen, um ihre Familien zu sehen und um ihre Grafschaften wieder aus der bisherigen Zwangsverwaltung zu übernehmen. Ich bitte Eure Majestät, mir und den übrigen Grafen für Eure Verwalter in den Grafschaften schriftliche Erklärungen mitzugeben, dass uns die Grafschaftsverwaltung rückübertragen wird.“
„Lehnt Ihr Hilfe ab?“, erkundigte sich Ferdinand erschrocken. Wolf schüttelte den Kopf.
„Nein, Majestät, nicht grundsätzlich, versteht mich bitte nicht falsch. Aber es ist Tatsache, dass Wengland in den letzten etwa dreihundert Jahren in dreizehn Grafschaften zersplittert war, die eine sehr unterschiedliche Entwicklung genommen haben. Manche Grafschaften sind – wie Steinburg – völlig verarmt, andere – wie Wachtelberg – sind dagegen sehr reich. Vier Grafen wurden nach den abgepressten Geständnissen hingerichtet, so dass ich zunächst prüfen muss, ob noch Erben der Grafenhäuser da sind, die die Regentschaft übernehmen können oder ob ich einen neuen Grafen einsetzen muss. Die Vereinheitlichung der Maß- und Gewichtssysteme und die Abschaffung der Zölle unter den Grafschaften werden eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, ebenso die Zusammenziehung der wenglischen Soldaten, insbesondere auch die Feststellung, wie viele Soldaten die Grafschaften überhaupt noch hergeben können, ohne dass die Landwirtschaft darunter unnötig leidet. Nach letzten Nachrichten haben die meisten Grafschaften Wenglands im letzten Winter erbärmlich gehungert, Steinburg soll schwer zerstört sein, wobei ich noch nicht weiß, wer für die Zerstörung verantwortlich ist. Wengland wird zunächst eine Bestandsaufnahme machen müssen, bevor ich genau sagen kann, in welchem Rahmen Wengland Eurer Majestät Hilfe geben kann. An unserer Treue sollten Majestät deshalb nicht zweifeln“, erklärte Wolf ruhig.
„Das tue ich nicht. Ihr habt mir Eure Wahrhaftigkeit mit dem Duell eindrucksvoll bewiesen. Ich bin tief betroffen, mit Ketzern verhandelt zu haben. Aber die Beschuldigung gegen Euch stand im Raum; ich konnte nicht einfach darüber hinweggehen. Doch nun sind Wengland und seine Grafen voll rehabilitiert und niemand wird mehr sagen dürfen, Wenglands Adel habe Verrat am Kaiser über wollen. Natürlich bekommt Ihr die schriftlichen Erklärungen für die Grafschaftsverwalter. Was die militärische Seite anbelangt, Fürst Wolf, bitte ich Euch um Hilfe. Friedrich von der Pfalz, der Ungehorsame, der sich zum König von Böhmen wählen ließ, ist von Holland nach Dänemark geflohen und hat König Christian um Hilfe gebeten. Christian ist ein hundertprozentiger Protestant, der sich nicht lange bitten lassen wird. Zudem ist Christian auch noch Herzog von Holstein und damit Reichsstand*. Der Krieg, den ich schon beendet gehofft hatte, wird also weitergehen. Die Dänen sind stark, und ich muss ihnen etwas entgegensetzen, um die unbotmäßigen Reichsstände zur Räson zu bringen. Ihr könntet mir aus einer prekären Lage helfen, da Graf Tillys Truppen nicht im richtigen Gebiet sind und auch Oberst Wallenstein noch nicht wieder aus Gičin zurück ist. Ihr könntet die Dänen aufhalten.“
„Ich hätte meine Zweifel, dass wir eine schlagkräftige Armee zusammenstellen können, bevor Christians Truppen allzu tief ins Reich eingedrungen sind. Jedenfalls will ich meinem Kaiser nicht mehr versprechen, als ich halten kann“, antwortete Wolf. „Wir werden uns bemühen, aber ich möchte keine Hoffnungen wecken, die ich vielleicht nicht erfüllen kann.“
„Ich biete Euch die Stellung eines kaiserlichen Generals“, lockte Ferdinand.
„Ein General ohne Soldaten ist nicht viel wert, Majestät. Ich bin nicht der Graf von Friedland, Albrecht von Wallenstein, dem ein Titel über alles geht. Ich will Eure Majestät nicht erpressen“, erwiderte Wolf.
„Den Rang biete ich Euch freiwillig, nicht unter Zwang“, gab Ferdinand zurück.
„Dennoch wäre es doch sehr peinlich, wenn ich Eurer Majestät eine Armee verspreche und bekomme dann nur ein knappes Regiment zusammen“, lächelte Wolf.
Der Kaiser seufzte.
„Fürst Wolf, Ihr seid recht genau das Gegenteil der Leute, die mich sonst umgeben. Sie reißen sich um Titel und Ränge, versuchen sich gegenseitig auszustechen. Es wäre keiner darunter, der ein solches Angebot ausschlagen würde.“
„Majestät, im Herbst letzten Jahres hat mich der Oberst von Wallenstein zum Hauptmann befördert, einem Rang, der meinem nahezu jugendlichen Alter von knapp fünfundzwanzig Jahren eher angemessen ist, als der eines Generals. Er hat mir schon eine mehr als hohe Ehre erwiesen, als er mich zum Stadthauptmann von Dreibeck bestellte. Ein Stadtkommando wird eher erfahreneren Kommandooffizieren anvertraut. Und ich wage nicht, mich mit einem Mann wie General von Tilly zu vergleichen.“
„Ihr seid Ritter, Ihr wart Tillys Adjutant, Ihr habt ein Stadtkommando gehabt, Ihr geltet als sehr tapferer Offizier, wie Tilly mir ausdrücklich sagte. Gerade, weil Ihr bei Tilly gelernt habt, bin ich überzeugt, dass Ihr ein kaiserliches Heer führen könnt“, erwiderte der Kaiser.
„Dann helfe mir Gott, dass ich Eure Majestät nicht enttäusche. Erlaubt mir nur, dass wir zunächst in Wengland ein wenig Ordnung schaffen, bevor wir anderen helfen. Keinesfalls will ich mein Volk schutzlos zurücklassen. Das Wohl meines Volkes ist mir sehr wichtig. Wenglands Volk hat sich stets auf seinen König verlassen können. Auch, wenn ich kein König bin, bin ich für mein Volk verantwortlich, weil es von mir und meinen Grafen Schutz erwartet“, antwortete Wolf.
„Dann kehrt rasch heim, damit ich nicht mehr allzu lange auf Wenglands Soldaten verzichten muss“, schloss Ferdinand. Die drei Wengländer erhoben sich, dem Beispiel des Monarchen folgend und verbeugten sich. Der Kaiser entließ sie und sie verließen eilig den Hradschin.
A A A
Kapitel 27
Heimkehr
Wolf verließ am darauf folgenden Tag Prag und reiste mit seiner Begleitung, den aus der Haft entlassenen Grafen und General Tilly, zunächst nach Burg Weißenstein bei Regen, in deren Nähe wie schon zwei Jahre zuvor ein Teil von Tillys Truppen lagerte und das Ende des Winters abwartete. Der Burgherr von Weißenstein nahm die Wengländer gastlich auf. Die ehemaligen Häftlinge waren von Haft und Folter sehr geschwächt und sollten sich noch eine Weile erholen, bevor sie die Reise nach Wengland antraten.
Von Weißenstein aus sandte Wolf Wilfried mit einem Schreiben an den Oberst Wallenstein, in dem er ihn bat, die in Dreibeck verbliebenen Wengländer an Wolf endgültig abzutreten. Wolf bot Wallenstein eine Ablösesumme von insgesamt dreißigtausend Talern, was rund hundert Reichstalern pro Mann entsprach. Hundert Taler waren eine Summe, die ein gutes Handgeld für neu angeworbene Männer darstellte, Wallenstein würde sich dem Angebot kaum entziehen können. Andere Boten ritten mit Kopien der kaiserlichen Freigabeerlasse in die Hauptstädte der wenglischen Grafschaften, um die Zwangsverwalter auf das Kommen der alten Herren vorzubereiten. Wieder andere eilten zu den übrigen Teilen des katholischen Heeres, um auch von dort Wengländer loszukaufen.
Tatsächlich nahm der Graf von Friedland den Handel an, wie er in einem Schreiben mitteilte, das er Von Artenberg mitgab.
„Wovon willst du dreißigtausend Taler bezahlen?“, fragte Thomas erschrocken, als er Wallensteins Antwort las.
„Erstens werde ich Lothar von Südwengland schreiben, dass er sich mit Martin und sämtlichen Wengländern hierher auf den Weg machen soll und die Stadt einstweilen bis zum Eintreffen der Verstärkungen von Graf Albrecht an Leutnant von der Meden übergeben soll und mit hunderttausend Talern, die wir vom Vermögen eines gewissen Herrn Seppensen durchaus flüssig haben, herkommen soll. Das Gesinde hole ich später persönlich ab und rechne dann auch die verbleibenden Vermögenswerte mit Dammann ab. Damit bezahlen wir die Ablöse an Wallenstein und haben noch genug Geld, um den Sold fortzuzahlen.“
„Und später? Du schwimmst nicht im Geld, Wolf“, mahnte Thomas. Wolf zog sein Säckchen mit den wenglischen Münzen aus dem Wams.
„Sieh dir das mal an“, sagte er. Thomas prüfte die Münzen.
„Lieber Strohsack! Das sind altwenglische Münzen!“, entfuhr es Von Altenburg. Wolf grinste.
„Wo die her sind, gibt es noch mehr, da bin ich absolut sicher. Graf Braunsberg hat sie von meinem Vater erhalten, der bei ihm damit etwas bezahlt hat. Braunsberg ahnt nicht mal, welchen Wert sie haben. Er wollte die Ein-Gulden-Stücke zu je sechs Reichsgoldgulden-Münzen umprägen lassen. Dabei sind sie pro Stück fast fünfzehn Reichsgulden wert, weil diese Münzen fast eine ganze Unze* reines Gold enthalten. Und Graf Wachtelberg hat im Gefängnis angedeutet, dass mein Vater wohl gefunden hätte, was er gesucht hat, wenn du dich erinnerst. Vielleicht hat er den Schatz gefunden.“
„Fantast!“, schnaubte Thomas geringschätzig.
„Thomas, mein Vater war arm wie eine Kirchenmaus, der nie ein Goldstück besessen hat, solange ich daheim war. Diese hundert Münzen hier …“, Wolf wog eine der Goldmünzen leicht in der Hand „müssen aus dem Schatz stammen, weil sie bereits 1300 geprägt wurden. Wenn mein Vater für mindestens fünfhundert Gulden bei Braunsberg bestellt hat, dann hatte er wesentlich mehr Geld. Er hätte nie über seine Verhältnisse gelebt. Wenn er Geld hatte, dann muss er den Schatz gefunden haben, weil er keinerlei andere Einkommensmöglichkeiten hatte.“
Das leuchtete Thomas ein.
„Bis dahin verstanden“, sagte er. „Aber wenn dein Vater nun so viel Geld hatte, warum hat er dann nicht seine anderen Verbindlichkeiten bezahlt?“
„Ich befürchte, dass der Mord an meinen Eltern mit dem Geld hier zusammenhängt. Ich vermute, mein Vater hat auch noch bei anderen Gläubigern damit bezahlt. Jeder in Steinburg musste wissen, dass das Auftauchen dieser Münzen das Auftauchen des angeblich so sagenhaften Schatzes bedeutete. Lumpen gibt es genug auf der Welt, Geldgier auch. Also wird einer von denen, die das mitbekommen haben, meine Eltern in einem Anfall von Habgier umgebracht haben“, resümierte Wolf.
„Dann dürfte der den Rest des Schatzes haben“, mutmaßte Thomas.
„Das werde ich dann erfahren, wenn ich wieder in Steinburg bin. Und Gnade dem, der sich an meinen Eltern und meinem Erbe vergriffen hat!“
Lothar und Martin trafen mit einem Kontingent von gut vierhundert Mann – Wengländer, aber auch interessierte Dreibecker – nur wenige Wochen später in Weißenstein ein. Die Boten, die Wolf zu den anderen Truppen gesandt hatte, waren teilweise noch unterwegs, andere hatten aber Wengländer in unterschiedlicher Zahl mitgebracht. Insgesamt tausend Mann hatte Wolf jetzt zur Verfügung. Was noch ausstand, waren die Boten, die Wolf in die wenglischen Grafschaften gesandt hatte. Nach und nach trafen auch sie ein und überbrachten Empfangsbekenntnisse der Zwangsverwalter, die den alten Grafen die Übergabe der Amtsgeschäfte zusagten. Ein Graf nach dem anderen verließ Weißenstein, um in seiner Grafschaft Ordnung zu schaffen. Allein der Bote, den Wolf nach Steinburg geschickt hatte, kehrte nicht zurück.
Zwei Monate nach dem Aussenden riss Wolf der Geduldsfaden.
„Es reicht, ich kehre jetzt ohne das Einverständnis des kaiserlichen Verwalters nach Steinburg zurück – aber mit genügend Soldaten!“, knurrte er. Er bat den Burgherrn von Weißenstein, den noch fehlenden Boten in Empfang zu nehmen, ihn zu bewirten und dann nach Steinburg zu senden, falls er nach Wolfs Abreise doch noch erscheinen sollte. Der Burgherr versprach, dies zu tun, und Wolf reiste mit seinen ständigen Begleitern Thomas von Altenburg und Siegfried von Bravadur und etwa dreihundert Mann nach Steinburg ab.
Von Weißenstein bis nach Steinburg war es ein Weg von gut einer Woche zu Pferd, wenn man sich beeilte. Wolf hatte es eilig. Sechs Tage nach ihrem Aufbruch von Burg Weißenstein sahen Wolf und seine Leute als Erstes den Turm des Bergfrieds der Steinburg. Thomas parierte sein Pferd heftig durch.
„Sieh dir das an!“, keuchte er. „Der Wilzarendrache!“
Schon von weiten war zu erkennen, dass die wilzarische Landesflagge über dem Bergfried wehte.
„Dann ist mir auch klar, weshalb der Bote nicht zurückgekehrt ist!“, knurrte Wolf. Er drehte sich um.
„Siegfried, nimm dir fünfzig Mann und umgeh’ die Stadt. Nimm dir den Außenposten Siebenstein vor. Wir benötigen möglicherweise die Kanonen des Außenpostens, wenn die Wilzaren nicht freiwillig die Burg räumen“, befahl er Von Bravadur. Siegfried zog zweifelnd eine Augenbraue hoch.
„Als ob Wilzaren jemals freiwillig einen Flecken wenglischen Bodens geräumt hätten!“, sagte er. „Tut mir nur Leid um dein künftiges Heim“, setzte er hinzu, suchte sich fünfzig Leute und ritt in einem weiten Bogen nach Süden davon.
„Thomas, du nimmst dir ebenfalls fünfzig Mann und gehst von Norden an die Stadt heran. Sprengt das Stadttor, wenn sie es nicht freiwillig öffnen. Der Rest geht mit mir direkt von hier auf das Osttor zu.“
Thomas nickte, winkte seinem Feldwebel, nahm seine Leute und ritt nach Norden. Leutnant von Usten, Wolfs Stellvertreter in seinem Fähnlein, sah den Hauptmann fragend an.
„Werden wir lange bitten, Hoheit?“, erkundigte er sich.
„Ich frage ein einziges Mal. Wenn sie dann nicht mitspielen, ist das Tor fällig“, knurrte der Fürst grimmig. „Vorwärts! Nach Steinburg!“, rief er dann.
Zehn Minuten später ritten zweihundert gut bewaffnete Soldaten unter wenglischer Fahne auf das Stadttor zu. Wolf ließ auf Rufweite halten.
„Wer immer da auf der Mauer Wache hält: Hier ist Wolf von Steinburg, Graf von Steinburg und Fürst von Wengland. Öffnet das Tor!“, rief er.
Ein Wächter erschien.
„Wolf von Steinburg ist ein Verräter und wird steckbrieflich gesucht. Der würde sich hier nicht her trauen, solange Paul von Buchenberg hier der Statthalter ist!“, erwiderte der Wächter.
„Von Buchenbergs Statthalterschaft ist erledigt. Ich habe einen Freigabeerlass des Kaisers, weil sowohl ich, als auch die anderen Grafen unschuldig sind. Den Erlass habe ich per Boten zustellen lassen. Also: Öffnet das Tor“, gab Wolf zurück.
„Wir werden nicht öffnen!“, erklärte der Wächter. Wolf nahm das nickend zur Kenntnis.
„Usten: Mauerhaken heraus, Feldwebel Morgenstern: Zehn Musketiere als Feuerschutz absitzen. Korporal Hennes: Du und deine Männer kommen mit mir auf die Mauer! Wilfried, du bleibst mit zehn Mann bei den Pferden!“, verteilte er die Aufgaben. Eilig saßen die Männer ab, luden die Musketen.
Der Wächter auf dem Tor nahm das mit Schrecken wahr und ließ Alarm blasen. Aber bevor die Stadtwächter auf den Alarm reagieren konnten, waren Wolf und fünfzig wenglische Soldaten auf der Mauer. Die Wengländer feuerten sofort auf die heraneilenden Wilzaren, von denen die meisten in der gut gezielten Salve getroffen zusammenbrachen. Fast im gleichen Augenblick flog das Nordtor mit donnerndem Krachen in die Luft, von der Außenbastion Siebenstein krachten Schüsse. Die verwirrten Wilzaren wussten nicht, wohin sie zuerst laufen sollten und entschieden sich letztlich für die Burg. Von drei Seiten her getrieben, schafften sie es gerade noch, hineinzukommen. Die Burgbesatzung schlug den nachdrängenden Wengländern das große Tor direkt vor der Nase zu.
„Diese verdammten Bastarde!“, fluchte Thomas herzhaft und warf seinen Degen wütend zu Boden.
„Beruhige dich“, erwiderte Wolf. „Es gibt noch einen anderen Weg.“
Er wollte seine Leute eben einteilen, als ihn ein Mann vorsichtig am Ärmel zupfte.
„Wer seid Ihr, Euer Liebden? Ich habe Euch hier noch nicht gesehen, aber Ihr habt Ähnlichkeit mit Graf Wolfgang – Gott sei seiner Seele gnädig“, fragte der Mann zaghaft. Wolf lächelte.
„Ihr habt seinen Sohn Wolf vor Euch. Wer seid Ihr?“
„Armandus Weinmacher, Euer Liebden Vater Hoflieferant für Weine“, antwortete der Mann mit einer Verbeugung.
„Wollt Ihr Schulden eintreiben, Herr Hoflieferant?“, fragte Wolf. Armandus schüttelte den Kopf.
„Nein, mich nur vergewissern, dass der rechtmäßige Herr der Burg wieder in Steinburg ist. Herr, bitte, kommt auf den Marktplatz. Zeigt Euch dem Volk, das Eure Ankunft so sehnlichst erwartet“, bat Weinmacher.
„Wolf, die Bürger haben uns sehr geholfen, indem sie einige der Wächter aufgehalten haben. Tu, was er verlangt“, gab Thomas zu bedenken. Wolf nickte. Er folgte, begleitet von den meisten seiner Männer, dem Winzer zum Marktplatz.
Armandus sprang auf den trockenen Marktbrunnen.
„Bürger von Steinburg, hört her! Unser Graf ist zurückgekehrt! Graf Wolf ist da! Er ist mit seinen Soldaten gekommen, um uns von den unrechtmäßigen Herren zu befreien. Die Not hat ein Ende!“, rief der Winzer laut. Jubel erhob sich. Armandus winkte Wolf.
„Kommt, Herr, zeigt Euch den Leuten.“
Wolf stieg auf den Marktbrunnen.
„Ich bin zurückgekommen, wie alle meine Vorfahren, die Steinburg einmal verlassen haben, immer zu Euch zurückgekehrt sind. Und ich komme mir einer guten, einer sehr guten Nachricht: Wengland ist eins!“, rief er. Die Stimme drohte ihm zu versagen, er hatte Tränen in den Augen.
„Und in seiner Güte hat der Kaiser mich, Wolf von Steinburg, zum Fürsten von Wengland ernannt. Ich sehe, dass mein geliebtes Steinburg sehr gelitten hat, seit ich vor so vielen Jahren nach Wachtelberg ging, um zu lernen, was ein Graf wissen sollte. Irgendwie werden wir Steinburg wieder aufbauen und wieder zu Wenglands Hauptstadt machen. Das verspreche ich Euch. Ebenso, wie ich Euch verspreche, dass ich Steinburg nur noch einmal für kurze Zeit verlassen werde, um Eure Fürstin herzuholen. Euer Leid hat ein Ende, denn wir, meine Soldaten, die ebenso Wengländer sind wie Ihr, und ich, wir werden es nicht zulassen, dass jemand Euch ausplündert, schädigt oder presst!“
„Hoch, Fürst Wolf!“, rief Armandus, die Leute auf dem Marktplatz stimmten in den Hochruf ein und jubelten ihrem jungen Fürsten zu.
„Aber zuerst müssen die Wilzaren aus der Burg ‘raus. Tun wir erst die nötigste Arbeit!“, rief Thomas dazwischen. Ein vielstimmiger Jubelschrei beantwortete den Ruf. Männer nahmen Wolf auf die Schultern, trugen ihn zum Burgtor. Die Soldaten, die mitgekommen waren, folgten ebenso wie die Leute, die sonst auf dem Marktplatz gewesen waren. Zornige Bürger hämmerten mit Fäusten an das verschlossene Tor. Siegfried und Wolf konnten sie gerade noch wegreißen, bevor eine Ladung siedendes Öl auf das Pflaster klatschte. Der Hauptmann sah hoch
„Ist das Paulchens Antwort?“, rief er hinauf.
„Ist es!“, kam es von oben.
„Wie wollt Ihr jetzt Euer Recht durchsetzen, Herr?“, fragte Armandus.
„Ist das alte Kloster frei?“, fragte Wolf, ohne auf Armandus’ Frage einzugehen.
„Paul von Buchenberg hat es aufgelöst. Es steht jetzt leer“, gab Armandus Auskunft.
„Bewacht?“
„Nein.“
Wolf grinste hämisch.
„Paulchen ist genauso vernagelt wie alle, die die Steinburg in ihrer langen Geschichte je besetzt hatten. Komm, Thomas. Usten: Ihr haltet hier die Stellung, bis wir Euch das Tor aufmachen.“
„Ihr wollt doch nicht etwa selbst …? Hoheit, das ist viel zu gefährlich!“, rief Leutnant von Usten noch hinterher, aber Thomas und Wolf waren schon um die Ecke verschwunden. Zornig hämmerten die Steinburger Bürger weiter ans Tor. Es war die Höhe, dem rechtmäßigen Burgherrn den Zutritt zu verweigern!
Eilig liefen die Freunde zum direkt benachbarten Kloster, das von der Burg nur durch eine Straße getrennt war.
„Was hast du vor?“, fragte Thomas, als sie das offene Klostertor unbehindert passierten.
„Wirst du gleich sehen“, erwiderte Wolf geheimnisvoll. Sie gingen durch das verlassene Kloster. Die Seitenkapelle im Kreuzgang mit der Mutter Gottes war zerstört und entweiht. Wolf schauderte es.
„Wirklich, hier waren Wilzaren zugange. Überall Teufelssymbole! Ihr Luzifer hole sie alle!“, knirschte er.
„Wie willst du von hier in die Burg? Die ist doch auf der anderen Straßenseite!“, fragte Von Altenburg ungeduldig.
„Komm!“, winkte ihm Wolf und zog das Rapier. Thomas tat es ihm gleich und folgte seinem fürstlichen Freund um den Kreuzgang, bis sie zu einer Tür kamen, die nicht einmal an der Straßenseite des Klosters lag und die beim Öffnen so fürchterlich quietschte, dass Wolf sich besorgt umsah, ob nicht jemand sie bemerken würde – aber es blieb alles still. Hinter der Tür waren zwei Stufen, die in einen Gang hinunterführten, der nach nur wenigen Klaftern im Nichts an einer Mauer zu enden schien. Thomas schüttelte heftig den Kopf, dass die Federn an seinem Hut flogen, war er doch im Zweifel, ob Wolf wirklich wusste, was er tat. Sein Freund drückte auf einen gewöhnlich aussehenden Mauerstein, der nicht mal ein Zehntelzoll weiter aus der Wand stand als seine Brüder. Für das unwissende Auge war die Verwerfung kaum zu erkennen oder war zur Mauertoleranz zu rechnen. Der Mauerstein senkte sich einige Zoll in die Mauer und ein verborgener Mechanismus öffnete eine Wandtür. Dahinter wurde ein weiterer Gang sichtbar, der um die Ecke in Richtung Burg schwenkte.
„Und ich hab’ immer gedacht, diese Geheimtüren gehörten ins Reich der Sagen!“, entfuhr es Thomas leise. Wolf ging nicht auf Thomas’ Verblüffung ein. Aus einem Wanddepot nahm er eine Fackel, schlug mit einem Feuerstein und Zunder Feuer und entzündete die Fackel, winkte Thomas herein und verschloss die Geheimtür wieder mit einem gleichartigen Mechanismus von innen.
Sie gingen den unterirdischen Tunnel weiter, bis sie wieder an eine glatte Wand kamen, aus der Wolf erneut mit einem Geheimmechanismus eine Wandtür öffnete. Sie standen in der geheimen Schlosskapelle, die aber offensichtlich entdeckt worden war. Fünf Männer in schwarzen Gewändern feierten gerade eine schwarze Messe, riefen um das Erscheinen Beelzebubs, als sich die Geheimtür zu ihrem Entsetzen auftat und zwei Soldaten mit gezogenen Rapieren auf sie losstürzten. Wolf und Thomas fragten nicht, sie hatten genug gehört. Mit der Bemerkung, dass sie das Erscheinen Luzifers gern haben könnten und der Teufel sie holen solle, spießten sie die völlig überraschten Satansjünger auf. Wolf schloss die Geheimtür. Dann stieg er auf den blutbesudelten Altar und hob die Deckenkassetten probeweise an. Eine gab nach. Darüber befand sich ein Hohlraum, in den Wolf mit seiner Fackel hineinleuchtete, lächelte und Thomas die Fackel hinunterreichte. Der machte große Augen, als Wolf aus dem Deckenversteck ein Schwert herausholte.
Die mit Leder und Metallbeschlägen verzierte Samtscheide war verblichen und schon leicht abgeschabt, aber der Griff des Schwertes, den ein Knauf mit einer Lilie abschloss, glänzte, wie eben geputzt.
„Erschreck’ dich nicht!“, warnte Wolf. Ein kurzes Herausziehen des Schwertes aus der Scheide im Versteck hatte ihm gezeigt, dass das wenglische Königsschwert nichts von seinen besonderen Eigenschaften eingebüßt hatte – auch wenn es jetzt rund siebenhundert Jahre alt war. Er zog das Schwert aus der Scheide und augenblicklich erstrahlte die Kapelle in einem grünlichen Licht. Das Schwert war ein Meisterwerk frühmittelalterlicher Schmiedekunst und verdankte sein geheimnisvolles Leuchten einer Flüssigkeit, die sich in einem Schwämmchen befand, das innen am Scheidenmund befestigt war und das Schwert beim Herausziehen benetzte. Die Klinge war für ein Schwert des ausgehenden 9. Jahrhunderts schmal, dafür aber länger als die damals üblichen Klingen – und unglaublich scharf. Er wog das Schwert kurz in der Hand, dann packte er sein Solinger Rapier in das Deckenversteck und hängte die Schwertscheide in den Scheidenträger an seiner linken Seite.
„Gott im Himmel steh’ mir bei!“, rief Thomas. „Was ist das für ein teuflischer, fauler Zauber?“
„Das ist das wenglische Königsschwert, mein Freund, kein fauler Zauber und schon gar nicht teuflisch“, grinste Wolf. „Steck’ die Fackel da in die Wandhalterung. Das Schwert gibt genügend Licht“, wies er Thomas dann an. Von Altenburg tat, wie ihm geheißen, konnte aber den Blick nicht von dem geheimnisvoll leuchtenden Schwert abwenden.
„Ich erkläre es dir, wenn ich genügend Zeit dazu habe“, wehrte Wolf den fragenden Blick seines Freundes ab. Schulterzuckend folgte Thomas ihm in den nächsten Gang.
„Ich war der Meinung, du wärst seit bald zwanzig Jahren nicht mehr hier gewesen“, murmelte Von Altenburg, als Wolf ihn durch ein Gewirr von Gängen führte, als täte er den ganzen Tag nichts anderes, als Führungen durch Geheimgänge zu machen.
„Ich habe als Kind mehr Zeit in den Geheimgängen dieser Burg verbracht als in meinem Kinderzimmer. Ich glaube, es gibt keinen Gang, den ich nicht kenne“, erklärte der Fürst leise, während sie weitergingen.
Der Gang, den sie entlanggingen, endete im Weinkeller. Der dort anwesende Kellermeister bekam fast einen Schreikrampf, aber Wolf hatte ihn blitzschnell gepackt, hielt ihm den Mund zu und wollte zuschlagen, als Thomas ihn zurückhielt.
„Warte, ich glaube, er hat dich erkannt!“
Vorsichtig ließ Wolf den erschrockenen Mann los.
„Guter Gott, Graf Wolf! Seid Ihr endlich da?!“, entfuhr es dem Kellermeister erleichtert, wenn auch noch sehr ängstlich. „Ihr seid immer noch so ungestüm wie früher.“
„Konrad?“, fragte er.
„Richtig, Konrad Siebenstern, Graf Wolfgangs Kellermeister – jetzt der Eure.“
„Entschuldige, Konrad, aber mit der Augenklappe habe ich dich gar nicht erkannt.“
„Kunststück!“, seufzte Konrad. „Seit mich Manfred von Buchenberg um mein rechtes Auge gebracht hat, erkennt mich kaum jemand – und ich hab’ auch meine Schwierigkeiten damit.“
„Verzeih mir, Konrad“, bat Wolf. Siebenstern nickte.
„Wie viele von denen sitzen in der Burg?“, erkundigte sich Wolf dann.
„Ich schätze dreißig Mann. Für Euch beide wohl zu viele, aber das Personal wird sofort bockig, wenn es erfährt, dass Ihr zurück seid, Herr. Prinz Manfred ist mit den meisten seiner Leute nach Prag gereist“, erklärte der Kellermeister.
„Der kommt auch nicht mehr wieder!“, knurrte Wolf. „Konrad, verbreite unter dem Personal, dass ich hier bin. Wir werden zunächst das Tor öffnen, damit zweihundert wenglische Soldaten hier aufräumen können. Und dann werde ich mich um Paulchen kümmern. Wo steckt der Kerl?“
„Er ist im Arbeitskabinett. Herr, überlasst das Tor mir“, gab Siebenstern zurück. Wolf sah ihn zweifelnd an.
„Konrad, du bist halbblind!“, warnte er.
„Ich habe gelernt, damit umzugehen, Herr. Und ich habe den Wunsch, diesen Kröten heimzuzahlen, was sie mir angetan haben.“
Der Fürst war noch im Zweifel, aber Thomas ergriff für Konrad Partei.
„Lass ihn, wenn er unbedingt will“, sagte er. „Sei glücklich, dass es Bürger in dieser Stadt gibt, die für ihren Grafen und Fürsten eintreten.“
„Na gut“, sagte Wolf. „Ich wünsche dir viel Glück, Konrad, denn was du vorhast, ist nicht ungefährlich.“
„Oh, Paul von Buchenberg zu zweit anzugreifen ist ungleich gefährlicher“, erwiderte Siebenstern. Wolf hob mit einem Grinsen sein leuchtendes Königsschwert.
„Damit eher für die Usurpatoren! Los, Thomas, komm!“
Er stürzte aus dem Weinkeller, Thomas konnte ihm gerade noch folgen. Wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde gnadenlos aufgespießt oder erschlagen. Einen größeren Trupp konnten sie dank Wolfs Kenntnissen der heimischen Burg durch einen parallel zum Flur verlaufenden Geheimgang umgehen. Wolf und Thomas wollten gerade durch den Hauptflur weiter schleichen, als Dienstboten die Wilzaren mit lautem Geschrei angriffen. Die beiden Soldaten verständigten sich mit Blicken und griffen die Wilzaren von hinten an. Die Wilzaren fanden sich von zwei Seiten her attackiert und konnten sich gar nicht so schnell verteidigen, wie insbesondere Wolf zuschlug. Er wütete mit dem Schwert seiner Väter fürchterlich unter ihnen. Thomas und er stürmten weiter in Richtung Arbeitskabinett, begleitet von Dienstboten, die mit Küchenmessern, Beilen und Holzhämmern bewaffnet waren. Der Weg, den die kleine Truppe durch die Burg nahm, glich dem eines Amokläufers: Wo sie vorbeikamen, blieben nur Tote zurück. Die meisten Soldaten Buchenbergs waren so überrascht, dass sie keine Gelegenheit zur Gegenwehr fanden.
Paul von Buchenberg studierte im Arbeitskabinett eine Karte, die sein Bruder mit einer erweiterten Grenze Wilzariens versehen hatte. Diese Grenze schloss die südöstlichen Grafschaften Wenglands bis nach Steinburg ein. Zufrieden schlürfte Paul sein Bier, als hinter ihm die Tür polternd aufgestoßen wurde und sein Leibwächter ihm mit einer klaffenden Wunde im Kopf direkt vor die Füße fiel. Paul ließ den noch halbgefüllten Bierkrug fallen und zog sein Rapier, als er den Eindringling erkannte. Zu oft hatte er die genauen Porträts der alten Könige Wenglands in der Galerie der Burg gesehen – und der Mann vor ihm hatte verdammt viel Ähnlichkeit mit vielen davon. Der eisige Blick, der absolute Entschlossenheit demonstrierte, erschreckte Paul schon heftig, aber noch mehr versetzte ihn das leuchtende Schwert in Angst, das sein Gegenüber in der Hand hielt.
„‘Raus aus meiner Burg, sonst schicke ich dich deinem Bruder hinterher zu eurem Luzifer, Paulchen!“, fauchte Wolf wütend. Der Blick auf den toten Leibwächter überzeugte Paul, dass er mit seinem eher zerbrechlichen Rapier überhaupt eine Chance gegen den wie ein Berserker mit dem Schwert zuschlagenden Wolf hatte. Paul ließ den Degen fallen und wich zum Balkon zurück. Wolf hob das Rapier auf und warf es Thomas zu, der hinter ihm stand.
„Such dir deine Pappsoldaten zusammen und verschwinde aus meinem Fürstentum!“, forderte Wolf. „Wenn ich je wieder einen von euch Wilzaren in diesem Lande erwische, ohne dass ich ihn eingeladen habe, zerteile ich ihn in zwei Hälften!“
„Wir … wir sollten das Land im Auftrag des Kaisers verwalten“, versuchte Paul die Situation zu retten. Wolf packte ihn grob am Wams und schüttelte ihn einmal kräftig durch.
„Ich habe vor zwei Monaten einen Boten mit einer Kopie des kaiserlichen Freigabeerlasses geschickt. Den Boten habe ich gefunden – tot, im Kerker unten. Ich weiß ja, dass ihr Wilzaren es einfach nicht lassen könnt, uns Wengländer ärgern zu wollen, aber dass ihr kaiserliche Erlasse ignoriert, ist der Gipfel der Unverschämtheit. Und jetzt wirst du auch noch frech. Ich gebe dir und deinen Rittern von der traurigen Gestalt fünf Minuten, um diese Burg zu verlassen – aber ohne eure Waffen. Und sei sicher, Paulchen: Der Kaiser wird erfahren, dass ihr euch seinem Erlass widersetzt habt. Das wird euch was kosten!“
Paul von Buchenberg fragte nicht, wie viele Leute sein Kontrahent hatte. Es schienen genug zu sein, um mit ihm und der Burgbesatzung fertig zu werden.
Er rappelte sich am Ende der Treppe auf, die Wolf ihn hinunterbefördert hatte und rannte, als ob Beelzebub persönlich mit ihm Fangen spielte, hinaus auf den Burghof. Wolf öffnete eine Wandtür zu einer kleinen Waffenkammer, holte sich eine Armbrust heraus, spannte sie und trat damit auf den Balkon vor dem Arbeitskabinett. Im Hof sammelten sich noch etwa zehn Mann von Pauls Soldaten. Ein Arkebusier auf der gegenüberliegenden Mauer wollte noch auf Wolf schießen, aber die umständliche Bedienung der wenig handlichen Schusswaffe gab dem Hausherrn die Gelegenheit, den Mann mit der Armbrust anzuvisieren. Der Bolzen zischte durch die Luft, der Arkebusier wurde vom Einschlag des Pfeils rücklings von der Burgmauer geworfen und stürzte in den Burgsee.
„Der nächste trifft euer Oberhaupt, wenn ihr nicht abschnallt und die Beine in die Hand nehmt!“ rief Wolf hinunter. Einen Augenblick standen die Wilzaren wie erstarrt, hatten nicht erwartet, dass jemand noch mit einer Armbrust umgehen konnte. Dann schnallten sie eilig ihre Waffen ab und ließen sie fallen, wo sie gerade standen. Just in dem Moment kamen die Bedienten und Wolfs Soldaten in den Hof und wollten die Wilzaren angreifen.
„Halt!“, schrie Wolf. „Lasst sie laufen!“, befahl er. Gehorsam blieben Soldaten und Dienstboten stehen und ließen die Wilzaren passieren. Dennoch trafen einige faule Äpfel und ein paar Steine die Flüchtenden.
Er wartete noch einen Moment auf dem Balkon, bis die wilzarischen Soldaten außer Sicht waren. Dann ging er in das Arbeitskabinett zurück, wo Thomas gerade den letzten Soldaten untersuchte, den Wolf gefällt hatte.
„Ich habe immer gewusst, dass du mit dem Rapier fast nicht zu schlagen bist, aber ich habe noch niemanden solche Streiche austeilen sehen, wie heute dich“, sagte er und sah zu Wolf hinauf. Die eiskalte Entschlossenheit, die seinen Freund eben noch fest im Griff gehabt hatte, wich dem freundlichen Lächeln, dem keiner widerstehen konnte. Der Fürst reinigte die blutige Klinge an dem ohnehin verdorbenen, zerschlissenen Fußbodenbelag und schob sie langsam in die Scheide.
„Ein kluger Mann hat einmal gesagt: Ein Mann, der sein Haus verteidigt, ist hundertmal mehr wert als ein gekaufter Söldner. Bis heute war ich der Söldner. Heute habe ich in meinem Hause aufgeräumt“, sagte er. Thomas wies auf den Toten.
„Was machen wir mit dem und den anderen?“, fragte er.
„Die werden anständig begraben und dann mag sie ihr Beelzebub holen. Und dann habe ich noch etwas zu erledigen.“
„Und was?“
„Den Schatz suchen, Thomas.
„Wolf, der ist nur Legende“, versuchte Thomas seinen Freund erneut zu überzeugen.“
„Die Münzen sprechen für sich. Sie existieren, also muss auch der Schatz existieren. Damit könnten wir nicht nur Wengland, sondern auch Ferdinand helfen.“
„Willst du dem Haderlumpen wirklich unter die Arme greifen? Das Duell war alles andere als fair!“, protestierte Thomas.
„Ich möchte ihm beweisen, dass er Wengland großes Unrecht getan hat, als er die Grafen des Verrates verdächtigte“, erklärte Wolf.
„Gib dir keine Mühe. Ferdinand wird aus deiner Hilfe nur entnehmen, dass er ein paar unliebsame Leute mundtot gemacht hat. Deine ehrliche Ritterlichkeit erkennt dieser Intrigant doch gar nicht!“, warnte er dann.
„Vielleicht“, räumte Wolf ein. „Nichtsdestoweniger habe ich ihm als meinem Kaiser und Lehnsherrn den Treueid geschworen – und ich werde ihn nicht brechen.“
Thomas gab achselzuckend auf. Hoffnungsloser Fall!
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Kapitel 28
Das Geheimnis der Lilie
Wolf verteilte seine Soldaten zunächst auf Burg und Stadt, setzte einen Trupp ein, der die Schäden in Steinburg feststellen sollte. Als er am Tag darauf endlich Zeit fand, suchte er mit Thomas sämtliche, ihm bekannte Geheimgänge der Burg ab. Die Suche blieb ergebnislos. Drei Tage lang wanderten die Freunde durch die Burg, ohne den Weg zum Schatz zu finden.
„Ernsthaft, Wolf. Gib es auf. Er existiert nicht“, sagte Thomas zum wiederholten Male. Wolf schüttelte den Kopf.
„Nein, eine Chance haben wir noch: das alte Observatorium im Bergfried“, beharrte Wolf.
Thomas seufzte tief. Wie sollte er seinen Freund nur davon überzeugen, dass er Gespenstern nachjagte? Im Moment fiel ihm dazu nichts ein und er folgte Wolf, wenn auch widerwillig, in den Bergfried. Die Tür quietschte markerschütternd, als Wolf sie öffnete. Dahinter war ein Raum, in dem es vor Gerümpel kaum noch Platz zum Stehen gab. Stapel von lederbezogenen Büchern lagen verstreut auf dem Boden und auf dem Tisch, die astronomischen Geräte waren in der Fensterecke zusammengedrängt. Dicker Staub lag auf allem, was sich im Raum befand.
Wolf stieg vorsichtig über die uralten Bücher und arbeitete sich zum Tisch durch. Auf dem Tisch lagen Notizen, die sein Vater geschrieben hatte. Skizzen von allen möglichen Räumen der Burg waren ebenfalls auf dem Tisch – aber nicht von der Hand Graf Wolfgangs. Sie wirkten sehr viel älter. Wolf sah sie durch, dann stockte er. Er hatte eine Zeichnung in der Hand, in der die Schatzkammer eingezeichnet war!
„Sieh mal“, sagte er und zeigte Thomas die Karte. Von Altenburg sah die Karte eine Weile an.
„Und wer sagt, dass sie echt ist?“, zweifelte er. Wolf seufzte.
„Deine Eltern hatten mit deinem Namen hundertprozentig Recht: Der ungläubige Thomas!“, sagte er. „Hier unten ist ein Vermerk des Herstellers: Daniel von Doberheim. Er war der Alchimist, Hofmagier und Astronom König Rudolfs I. und Martins II. Die Karte stammt von 1203, dem Jahr, in dem die Schatzkammer eingerichtet wurde.“
Thomas bekam große Augen und sah sich die Zeichnung näher an. Die Skizze zeigte den Gang zur Geheimkapelle, die Geheimkapelle – und gestrichelt eine Treppe, die ziemlich genau in der Mitte der Kapelle war.
„Hm“, brummte Thomas, „der Eingang scheint mitten in der Kapelle zu sein. Mir ist aber nichts aufgefallen.“
„Mir auch nicht“, gestand Wolf. „Aber das muss uns nicht hindern, die Kapelle nochmals zu untersuchen. Los, komm!“
Sie eilten den Turm hinunter, bis sie in den Weinkeller kamen, und nahmen den Geheimgang zur Kapelle. Sie suchten die Wände nach einem versenkbaren Stein ab, aber sie fanden nichts. Wolf stand nachdenklich vor dem entweihten Altar. Sein Blick fiel auf die verdreckte Lilie, die vorn angebracht war. Es war in Wengland üblich gewesen, Kirchenaltäre mit der Lilie zu schmücken, die sowohl das Symbol der Jungfrau Maria war, wie sie auch das Landeswappen darstellte. Ungewöhnlich waren nur die Blütenstände, die aus dem Zentrum neben dem zentralen, hoch stehenden Blatt wuchsen. Normalerweise wurde diese, die spanische Variante der Wappenlilie, in Wengland nicht verwendet. Zunächst aber wollte Wolf noch mal oben im Deckenversteck nachsehen, ob dort eventuell die Mechanik für die Geheimtür zur Schatzkammer war.
Er erklomm den massiven Block aus ursprünglich weißem Marmor. Dabei stieß er mit dem Stiefel an einen der Blütenstände der Wappenlilie. Die Blütenstände bewegten sich – und der Altarblock schwang zur Seite und gab einen Treppenabgang frei. Wolf verlor das Gleichgewicht und stürzte ab. Thomas konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er hart auf dem Boden aufschlug. Die beiden jungen Männer sahen sich verblüfft an.
„Sapperlot!“, entfuhr es Wolf. „Deshalb sollte die Lilie der Schlüssel zum Schatz sein!“
Vorsichtig untersuchte der Fürst die Wände des Treppenabgangs. Ein farblich gekennzeichneter Stein markierte den Schubmechanismus. Wolf betätigte ihn probeweise, der Altar schwang langsam zurück zur Ausgangsposition, bei erneutem Drücken öffnete sich die Geheimtür wieder. Wolf atmete tief durch.
„Ich gehe ‘runter. Gib auf die Mechanik Acht“, sagte er und stieg die Treppe hinab. Das leuchtende Schwert seiner Ahnen zeigte ihm den Weg, während Thomas den Zugang mit gezogenem Rapier bewachte. Die Treppe führte etwa zehn Klafter weit hinunter. Am Fuß der Treppe führte nur ein Gang nach links unter das Fundament des Bergfrieds. Wolf ging ihm im Licht des Leuchtschwerts nach – und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen: Er stand am Eingang einer gewaltigen Felsenhöhle, die von Gold schier überschwemmt zu sein schien. Truhen voller Gold, Silber und Edelsteine standen zu hunderten an den Wänden der Höhle.
„Oh, mein Gott!“, stieß Wolf leise hervor. „Und mein Vater hat jahrzehntelang nicht gewusst, wovon er am nächsten Tag Brot kaufen sollte!“
Eine kurze Untersuchung der Münzen zeigte, dass Gold und Silber echt waren. Die Münzen waren genau die altwenglische Prägung, die noch aus dem Königreich Wengland stammte, die Wolf bei Seppensen im Geldschrank gefunden hatte. Eine Seite zeigte das wenglische Wappen, die andere den Wert. Wenn er diese Münzen zum offiziellen Zahlungsmittel erklärte, konnten sie so verwendet werden, wie sie waren. Nur die Silbermünzen mussten vom Belag der Jahrhunderte gereinigt werden. Das konnte nach und nach erledigt werden. Wolf konnte sein Glück kaum fassen. Was in dieser Felsenhöhle lagerte, mochte ausreichen, um das Heilige Römische Reich käuflich zu erwerben, ohne auch nur einen Gulden schuldig zu bleiben!
Er nahm den Beutel von der Seite und griff in die erste Truhe – randvoll mit Goldmünzen in hohem Wert – und nahm zwei Handvoll Münzen heraus. Schon diese geringe Entnahme, die keine sichtbare Spur in der Füllung der Truhe zurückließ, war mehr, als er in seinem ganzen bisherigen Leben sein eigen genannt hatte; denn Kaufmann Seppensens Vermögen mochte er nicht als sein Eigentum betrachten – es gehörte Kathrin.
Er ging weiter durch die Halle. Auf einem plangeschliffenen Felsblock in der Mitte der Höhle lagen Königskrone, Zepter und Königskette. Wolf untersuchte sie. Die Kette war wesentlich schwerer als die, die er als Amtskette um den Hals trug. Mit einiger Ehrfurcht nahm Wolf die kostbare Originalkette von ihrem Lagerplatz. Unter der Kette sah er die Ecke eines Pergamentes unter der samtgefütterten Krone herausschauen. Wolf legte die Kette zurück, schob die Krone vorsichtig beiseite und nahm das Pergament hervor. Es trug das Siegel des Fürsten von Breitenstein und die Unterschrift von Fürst Michael, der 1353 im Auftrag des Kaisers Wengland aufgelöst hatte. Es war eine Nachricht an den, der Wengland wiedervereinigte und damit praktisch an Wolf persönlich gerichtet:
Fürst Michael von Breitenstein, durch kaiserliche Anordnung Liquidator des Königreichs Wengland grüßt den Unbekannten, dem es gelingt, die dreizehn Grafschaften wieder zu vereinigen!
Heil Dir, Du vom Glück Erkorener! Dies, o unbekannter Fürst, ist Dein Eigentum. Krone, Kette und Zepter sind Dein, wie auch Wengland Dein ist. Hüte diese Insignien, die ich eigens für Dich hier hinterlegt habe. Ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass Wenglands kostbare Amtszeichen in die falschen Hände geraten. Dein Ahn, König Berthold, mag mir verzeihen, wenn ich ihn mit billigen Kopien dieser würdevollen Stücke ins Grab lege, aber ich bin mir sicher, dass der Kaiser das Grab schänden lassen wird, um die Zeichen der Einheit Wenglands auf immer verschwinden zu lassen.
Wer immer Du sein wirst, Erbe Wenglands, gib Acht: Der Kaiser ist mächtig, der Kaiser ist falsch. Was immer er tut, es wird darauf gerichtet sein, Dich und Dein Volk zu unterjochen. Aber wenn es Dir gelungen ist – endgültig – Dein Reich aus den Klauen des Kaisers zu lösen, dann lass die Jahreszahl der Wiedervereinigung unter das Jahr meißeln, das auf diesem Block die Spaltung bezeichnet.
Wisse noch, mein unbekannter Fürst: Es war der schlimmste Auftrag, den der Kaiser mir geben konnte, denn ich habe Wengland geliebt.
Michael, Fürst von Breitenstein
Steinburg, im Jahre des Herrn 1353
Wolf betrachtete das Pergament eine Weile, dann nahm er die Kette und tauschte sie gegen die Kopie, die ihm der Kaiser gegeben hatte. Wengland war wieder eins, ob mit oder ohne König. Und die Jahreszahl, die wollte er umgehend in den Felsblock gravieren lassen. Krone und Zepter sollten einstweilen in der Schatzhöhle verbleiben, denn sie sollten – so Gott es zuließ – eines Tages wieder einen freien König Wenglands zieren. Wolf war klar, dass er selbst das nicht sein würde, aber kommende Generationen sollten sich diesem Ziel gern widmen.
Als er zurückging, bemerkte er im Staub der Jahrhunderte, dass außer seinen eigenen Spuren nur eine einzige Spur bis zu der ersten Goldtruhe verlief und von dort wieder zurückführte. Es musste die Spur seines Vaters sein, der diese Höhle gefunden hatte, sich einmal bedient hatte und danach offenbar nie wieder diesen Raum betreten hatte. Er kam in der Kapelle heraus. Thomas sah ihn fragend an.
„Geh’ lieber nicht da hinunter. Das haut dich um!“, warnte Wolf.
„Der Schatz?“, erkundigte sich Thomas. Wolf nickte.
„Er ist praktisch unentdeckt geblieben. Außer einer Spur, die nur bis zur ersten Goldtruhe führt, ist nichts zu sehen.“
„Darf ich mir das ansehen?“, bat Thomas. Wolf stieg die letzten drei Stufen hoch in die Kapelle.
„Wenn du möchtest …“, sagte er.
Von Altenburg stieg hinunter, verschwand in der Schatzhöhle und blieb eine Weile verschwunden. Als er zurückkam, stand ihm das Staunen im Gesicht geschrieben.
„Ich bin ja nicht gerade arm, aber das übersteigt mein Fassungsvermögen!“, keuchte er.
„Ich hoffe, du hast dir deinen Lohn eingesteckt“, lachte Wolf, dem nicht entging, dass Thomas’ Hut nicht mehr ganz auf dem Kopf saß und sich leicht beulte. Von Altenburg schüttelte zwar den Kopf, aber er war rot bis unter die Haarwurzeln. Unter seinem Hut machte sich ein Smaragd selbstständig und fiel zu Boden. Wolf hob ihn mit wissendem Grinsen auf. Schuldbewusst nahm Thomas den Hut ab. Gut eine Handvoll großer Smaragde und Rubine kam zum Vorschein.
„Ich bin nun mal ein Landsknecht“, sagte Thomas entschuldigend.
Wolf nahm den Hut und ließ den Smaragd, den er aufgesammelt hatte, demonstrativ in den Hut hineinfallen.
„Du bist ein Mensch und kein Heiliger. Habgier ist dem Menschen einfach angeboren. Aber du hast es dir verdient. Behalte die Steine. Wenn ich nicht gewollt hätte, dass du dir deinen Lohn nimmst, hätte ich dich nicht dort hineingelassen“, erwiderte Wolf.
„Ich wollte dich, meinen besten Freund, bestehlen!“, hustete Thomas.
„Thomas – du behältst die Klunkern! Du wirst diese Steine zu Geld machen“, gab Wolf befehlend zurück.
„Du beschämst mich.“
„Wir kennen uns seit langem, Thomas. Du hast ein paar Mal meinen Hals gerettet. Und dann sollte nicht unerwähnt bleiben, dass deine Geldbörse mich vor einer finanziellen Peinlichkeit bewahrt hat.“
„Was meinst du?“
„Ohne den Gewinn, den du mit mir geteilt hast, hätte ich die Hochzeit nicht bezahlen können. Ich besaß keinen roten Heller. Und außerdem habe ich noch einen Teil der Vorräte für Dreibeck davon bezahlt – bevor mir Seppensens Vermögen zugesprochen wurde. So konnte ich verhindern, dass unsere Soldaten die Stadt noch schlimmer plünderten und konnte die Bürger davon überzeugen, dass wir Kaiserlichen für sie die beste schlechte Lösung sind. Das verdanke ich dir, Thomas.“
Von Altenburg sah mit hochrotem Kopf die Steine an. Was er im Hut hatte, mochte das Zehnfache dessen wert sein, was er Wolf damals als Gewinn ausgezahlt hatte. Während er noch starr vor Staunen dastand, schloss Wolf den Zugang zur Schatzhöhle.
„Wengland wird leben, mein Freund! Die Mittel sind da!“, sagte er leise.
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Kapitel 29
Abrechnungen
Thomas wollte mit seinen Pfunden wuchern und die Edelsteine außerhalb Wenglands verkaufen. Schon wenige Tage nach dem Schatzfund ritt er von Steinburg nach Nordwesten. Der Baron hatte von den Edelsteinschleifern in Idar-Oberstein gehört und wollte seine Smaragde und Rubine dort zu Geld machen.
In mancher Hinsicht hatte die enge Freundschaft zu Wolf auf Thomas abgefärbt – jedenfalls was das Handelsgeschick anbetraf. Von Altenburg konnte die Steine so gut verkaufen, dass er dafür umgerechnet fast eine halbe Million Gulden erhalten konnte.
Zu Beginn des Sommers 1625 kehrte Thomas mit zwei hochbeladenen Packpferden nach Steinburg zurück. Steinburg hatte sich verändert: Die Straßen waren gepflastert, ein Teil der neuen Fachwerkhäuser bezugsfertig, ein weiterer Teil stand im Rohbau und würde vor dem nächsten Winter fertig sein. In den Straßen herrschte ein lebhaftes Gewimmel, das bewies, dass es den Steinburgern sehr viel besser ging als ein Jahr zuvor. Thomas ritt gleich zur Burg und wurde vom Torposten auch eingelassen.
Wolf studierte den Fortschritt der Arbeiten an der Burg und der Stadt. Er war zufrieden. Steinburg erholte sich von den Kriegsschäden, die Bauern bestellten wieder die Felder, die von allen Teilen des katholischen Heeres zusammengetrommelten Soldaten Wenglands schützten das Land vor den unliebsamen Besuchen der Protestantischen Union oder ihrer dänischen Verbündeten. Sämtliche amtierenden Grafen hatten Wolf zwischenzeitlich als Fürst anerkannt und ihm Treue geschworen. Nach seinem Amtsantritt hatte der junge Fürst Religionsfreiheit für Wengland verkündet, was die noch bestehenden Bedenken des lutherisch orientierten Grafen von Oberwengland gegen einen katholischen Fürsten restlos beseitigt hatte. Die Wiedereinführung des vom Silbergehalt gegenüber dem Reichsgulden wertvolleren wenglischen Guldens als Zahlungsmittel bewirkte einen Wohlstandsschub, weil viele Wengländer immer noch Geld aus der Königszeit besaßen, das nun wieder gültig wurde. Der von König Ulrich geschaffene Codex Rex Wenglandia war wieder gültiges Gesetz in Wengland, Adelsgericht und Thronrat wieder eingesetzt – wenn auch noch ein neuer Graf von Eichgau fehlte, weil der hingerichtete letzte Graf keine Erben mehr hatte. Mit der Neubesetzung dieser Grafenstelle wollte Wolf sich aber Zeit lassen und den neuen Grafen sorgsam auswählen, wenngleich er auch schon eine Idee dafür hatte. Alles, was ihm zu seinem Glück noch fehlte, war seine Fürstin. Jetzt waren es bald fünf Monate, seit er Katharina zu ihrem Vater gebracht hatte, um sie vor den Fährnissen der Wiedervereinigung zu schützen.
Der junge Fürst saß über einer längeren Abrechnung von Baukosten, als es klopfte.
„Herein!“, rief Wolf. Die schwere Eichentür des Arbeitskabinetts wurde geöffnet und Thomas von Altenburg trat strahlend ein. Ein schwerer Sack plumpste Wolf vor die Füße.
„Du ahnst ja nicht, was deine Steine wert sind!“, platzte Thomas grußlos heraus.
„Grüß dich, Thomas. Sag nur, dass das der Erlös ist?“, begrüßte Wolf den Freund.
„Ein knappes Fünftel. Mehr konnte ich nicht tragen. Der Rest ist noch auf den Packpferden. Fünfhunderttausend Gulden in Reichswährung hat ‘s gebracht!“
„Wie viel?“, fragte Wolf erschrocken nach.
„‘Ne halbe Million! Wengland ist stinkreich!“, grinste Von Altenburg.
„Du bist reich“, erwiderte Wolf ebenso grinsend. Thomas schüttelte den Kopf.
„Nein, das kann ich nicht annehmen. Das verbietet mir selbst der sonst so geldgierige Landsknecht in mir. Und wenn du das Geld nicht selbst zurücknimmst, stifte ich zweihunderttausend für den allgemeinen Wiederaufbau.“
„Topp – angenommen!“, lachte Wolf. „Es wächst, Thomas, es wächst!“, setzte er dann mit fröhlicher Geste hinzu. Thomas nickte.
„War nicht zu übersehen. Hauptsache, die Dänen bleiben, wo sie sind“, sagte er.
Wolfs Lächeln verlor sich.
„Hast du unterwegs was Neues gehört?“, erkundigte er sich.
„Die Gerüchte mehren sich, dass König Christian von Dänemark Friedrich von der Pfalz Hilfe gibt und zu seinen Gunsten eingreift. Was dann die Vereinigten Niederlande tun, will keiner prognostizieren“, erklärte Thomas. Wolf seufzte.
„Es wird höchste Zeit, dass ich Kathrin hole.“
„Ich dachte, die wär’ längst hier!“, wunderte sich Von Altenburg.
„Hier ist es ein wenig drunter und drüber gegangen, als du fort warst. Die Wogen haben sich geglättet, ich bin anerkannt; aber so lange konnte ich nicht fort, ohne Graf Georg-Wilhelm von Oberwengland beruhigt zu haben. Er ist Lutheraner und wollte das auch bleiben. Er hatte schreckliche Angst, ich würde ihn zwingen, zum Katholizismus zu konvertieren. Ich habe Religionsfreiheit verkündet, aber es hat noch wochenlange Verhandlungen mit Georg-Wilhelm gekostet, bis auch er bereit war, seinen Untertanen eine freie Religionswahl zuzugestehen.“
„Verstehe nicht. Heißt das, jeder kann glauben was er will?“, fragte Thomas verblüfft nach. Es war schier unerhört, dass ein Landesherr darauf verzichtete, den Glauben seiner Untertanen zu bestimmen und seine nächsten Lehensleute dazu verpflichtete, es ebenfalls zu tun.
„Thomas, der Konflikt, der uns im Reich beschäftigt, ist daraus entstanden, dass einer dem anderen seinen Glauben aufzwingen will. Hätten die kaiserlichen Statthalter in Prag nicht so dämlich reagiert, Protestanten verbieten zu wollen, Holz von katholischen Kirchengütern nehmen zu wollen, das sie auch noch bezahlt hätten, dann wäre es nicht zum Aufruhr in Böhmen gekommen, wäre Ferdinand nicht als König von Böhmen abgesetzt worden, wäre Friedrich von der Pfalz nicht zum Gegenkönig gewählt worden. Das ganze Übel ist der Umstand, dass sich die einzelnen religiösen Bekenntnisse ihre Art, Gott zu verehren, gegenseitig als allein seligmachend aufdrängen wollen. Und wer sich nicht freiwillig überzeugen lässt, dem wird der Kopf eingeschlagen. Der Kaiser will die Fürsten katholisieren, die protestantischen Fürsten sträuben sich beharrlich, quaken laut nach religiöser Freiheit. Sie sind aber ebenso wenig bereit, ihren Untertanen zu erlauben, sich den Glauben frei zu wählen, sondern handeln nach der Devise cuius regio, eius religio – wen ich regiere, dessen Religion bestimme ich. Und genau das ist der furchtbare Irrtum, dem sie unterliegen. Was ich für mich selbst fordere, muss ich auch meinen Untertanen zugestehen. Wenn ich die Art, wie wir heute unseren Gott verehren, mit dem vergleiche, was man von den frühen Christen weiß, dann sind wir allesamt – ob wir Katholiken, Lutheraner, Calvinisten, Zwinglianer, Wiedertäufer, Baptisten oder Anglikaner sind – sehr weit davon entfernt.
Ich gebe mich und mein Volk nicht für solche Kinkerlitzchen her, als da ist die Frage, ob denn der normalsterbliche Christ den Kelch bei der Kommunion bekommt oder sich mit der Hostie zu begnügen hat; die Frage, ob der Schmuck einer Kirche Eigentum der Kirche oder Eigentum Gottes ist, das die Kirche für ihn verwaltet; die Frage, ob ein Priester heiraten darf oder nicht. Ich schätze, was richtig ist, werde ich erst wissen, wenn ich vor meinem Schöpfer stehe. Solange glaube ich, dass meine, die katholische Art, die richtige ist – aber dazu werde ich niemanden zwingen, der meint, es gäbe eine bessere Art, Gott zu verehren. Teufelsanbeter haben allerdings nach wie vor nichts in Wengland zu suchen, ebenso solche, die Gott leugnen.“
„Und was ist mit der Heiligen Inquisition?“, fragte Thomas vorsichtig nach.
„Kommt mir nicht ins Land, und wenn ich mich mit dem Papst persönlich erzürne!“, versetzte Wolf.
„Du weißt, was es bedeutet, sich mit der Inquisition anzulegen, wenn man gut katholisch ist und nicht ganz unabhängig ist?“, warnte Thomas.
„Natürlich weiß ich das. Aber, selbst wenn es mit Exkommunikation endet – diese abergläubischen Pfaffen richten nicht über Wengländer. Wer ‘ne schwarze Katze im Haus hat, läuft Gefahr, von den Dominikanern geröstet zu werden. Nein, kommt nicht in Frage! Teufelsanbeter fallen hier unter die weltliche Gerichtsbarkeit – und die erhebt Beweis nach wenglischer Art und nicht mit der Eisernen Jungfrau“, entgegnete Wolf mit einiger Leidenschaft.
„Verzeih mir die Frage, aber welche Strafe droht einem Teufelsanbeter eigentlich in Wengland?“, fragte Thomas.
„Die Todesstrafe, wie jedem Kapitalverbrecher gemäß dem Codex Rex Wenglandia. Nur, dass er hier nicht bei lebendigem Leibe verbrannt wird sondern schlicht und einfach hängt.“
„Die Inquisition behauptet, dass Teufelsbesessene damit nicht zu töten wären, sondern sich an den Richtern rächen“, gab Thomas zu bedenken.
„Dann erlaube ich mir die Freiheit, das wenigstens auszuprobieren. Mögen sich die Geister dann freundlichst an mich wenden. Freund Buchenberg war zweifelsohne einer, der den Teufel angebetet hat. Bislang hat sich sein Geist nicht zu Wort gemeldet – und seit ich ihn aufgespießt habe, sind mehrere Vollmonde vergangen. Nein, Thomas, an solche Hirngespinste glaube ich nicht.“
„Nun, wenn der Körper verbrannt ist, kann der Geist nicht mehr in ihn zurück, um die Lebenden zu ärgern, oder nicht?“
Wolf sah seinen Freund mitleidig an.
„Sie sind ja alle so vernagelt und merken es nicht mal!“, seufzte er. „Komm mal mit“, forderte er dann Thomas auf, der ihm verwirrt folgte.
Wolf führte ihn in die wieder gereinigte und neu geweihte Seitenkapelle des Klosters, in der sich die Sarkophage mit den sterblichen Überresten königlicher Kinder befanden, die gestorben waren, bevor sie volljährig geworden waren. Er wies auf das Sterbedatum 1325 und wuchtete einen Sargdeckel beiseite. Muffiger Leichengestank erhob sich wie eine Wolke. Im Sarg lagen noch ein paar Knochen und die waren auch schon im Verfall begriffen.
„Sieh mal: Es ist nur noch Staub vorhanden. Am Aschermittwoch bekommen wir regelmäßig gesagt: Siehe Mensch, du bist aus Staub und zum Staub wirst du zurückkehren. Dennoch glauben wir daran, dass auch diese Toten am Jüngsten Tage in ihren Körpern auferstehen werden – obwohl ihr Körper gar nicht mehr existiert, weil er inzwischen zu Staub zerfallen ist. Ob der Körper in hunderten von Jahren zu Staub zerfällt oder gleich zu Asche verbrannt wird, macht dann keinen Unterschied. Nein, Thomas, es ist nicht so, dass nur Feuer den Teufelsanbeter vernichtet. Das ist eine Erfindung der Herren Inquisitoren. Und ich habe die ernsthafte Befürchtung, sie ordnen die Verbrennung nur deshalb an, weil es der grausamste Tod ist, den man einem Menschen bereiten kann – es sei denn, man lässt sich gleich drei Tage Zeit damit und quält ihn langsam zu Tode. Und so etwas lasse ich in meinem Lande einfach nicht zu. Und ich lasse auch nicht zu, dass man sich in diesem Lande wegen unterschiedlicher Glaubensauffassungen bekriegt.“
Eine Woche später war Wolf mit den Vorbereitungen für eine Reise nach Stadtlohn fertig, hatte noch ein Brautgeschenk der besonderen Art eingepackt – die Teilhaberurkunde am Tuchgeschäft von Graf Braunsberg und weitere fünftausend Gulden. So ritten zwanzig Reiter in grünroten wenglischen Uniformen* und unter wenglischem Banner in Richtung Nordwesten, wo Stadtlohn lag. Fürst Wolf und Thomas von Altenburg, sein persönlicher Adjutant, führten die kleine Truppe an. Unangefochten erreichten sie nach einer längeren Reise schließlich das Gut Braunsberg, nur wenige Meilen außerhalb von Stadtlohn. Der Diener, der die ihm unbekannt uniformierten Soldaten kommen sah, erschrak heftig, stürzte ins Haus und schlug Alarm.
Binnen Augenblicken tauchten aus sämtlichen, den Hof umgebenden Gebäuden Bediente auf, die mit allem bewaffnet waren, was dazu geeignet war, einen Menschen ums Leben zu bringen. Rapiere waren genauso vertreten wie Sensen und Dreschflegel. Graf Braunsberg trat mit blankgezogenem Rapier vor das Haupthaus und maß den Anführer der fremden Soldaten mit aller Verachtung.
„Verschwindet!“, befahl er grantig. „Marodierende Soldaten haben auf meinem Hof nichts zu suchen!“
„Da gebe ich Euch Recht, Graf Braunsberg“, entgegnete Wolf und zog höflich den Hut. „Aber meine Leute und ich haben nicht vor, Euch auszunehmen.“
„Wer seid Ihr?“, grunzte Braunsberg unfreundlich.
„Ihr seid kurz von Gedächtnis. Eigentlich solltet Ihr mich kennen, Graf Braunsberg. Aber ich stelle mich gern nochmals vor: Wolf von Steinburg bin ich, Graf von Steinburg und inzwischen durch kaiserlichen Erlass Fürst von Wengland.“
„Und was wollt Ihr?“, knurrte Braunsberg.
„Graf Braunsberg, als ich im Februar herkam, brachte ich etwas zu Euch, auf das ich nicht mehr verzichten mag – Eure Tochter.“
Braunsberg stutzte.
„Katharina? Was habt Ihr mit Ihr zu schaffen?“
Wolf stieg vom Pferd, nahm sein Rapiergehänge ab und gab es Thomas.
„Ich habe Euch damals nicht die ganze Wahrheit gesagt, weil ich Katharina außerhalb jeglicher Gefahr wissen wollte. Jetzt aber kann ich sie dorthin bringen, wohin sie eigentlich schon im Februar gehört hätte. Katharina ist meine Frau, meine Fürstin. Ich komme in Frieden und möchte in Frieden wieder gehen – aber nur mit Katharina.“
„Katharina ist mit dem Kaufmann Seppensen verheiratet. Ihr könnt nicht ihr Mann sein!“, entfuhr es Braunsberg.
„Oh, doch, denn ich habe Euch bereits damals gesagt, dass Seppensen beim Sturm auf Dreibeck leider ums Leben kam. Ich habe die Witwe des Kaufmanns Seppensen mit dem Segen der katholischen Kirche geheiratet, doch konnte ich mich im Februar nicht zu dieser Ehe bekennen, weil Katharina damit in großer Gefahr gewesen wäre.“
„Und was ist mit dem Seppensen’schen Vermögen?“, fragte Braunsberg. Wolf lächelte gewinnend.
„Wurde offiziell mir übertragen, doch betrachte ich es als Katharinas Erbe. Ich musste ein bisschen schwindeln, um Euch davon abzuhalten, Eure Tochter ein zweites Mal zu verkaufen.“
„Wohl, Ihr Habenichts. Kann sein, dass Euch irgendein Pfaffe mit meiner Tochter zusammengeschrieben hat. Aber Ihr habt Katharina ohne meine Einwilligung geheiratet. Damit ist Eure so genannte Ehe mit Katharina nicht mehr wert als Eure Landsknechtsehre – und was ich von Landsknechten und Erbschleichern halte, wisst Ihr!“
Wolf zog ein Pergament aus dem Wams.
„Wisst Ihr, was das ist?“, fragte er. Braunsberg schüttelte unwillig den Kopf.
„Nein, es interessiert mich auch nicht!“
„Schade. Ich habe viel Mühe aufgewandt, um dieses Pergament von Herrn Seppensen zu bekommen. Wenn Ihr vernünftig seid, Graf Braunsberg, gebe ich Euch die Anteile zurück.“
„Und wenn nicht?“, fragte Braunsberg lauernd.
„Dann dürft Ihr einundfünfzig Prozent Eures kaum vorhandenen Gewinns an das Fürstentum Wengland abführen. Könnt Ihr Euch das leisten?“, erkundigte sich Wolf. Braunsberg lief rot an.
„Ihr seid noch schlimmer als Seppensen!“, fauchte er.
„Graf Braunsberg: Katharina ist meine Frau, auch wenn ich es seinerzeit aus blanker Sorge um sie verschwiegen habe. Im Gegensatz zu Seppensen hat man Katharina zur Ehe mit mir nicht zwingen müssen. Ich habe ihr die Wahl gelassen, mich zu heiraten oder es bleiben zu lassen. Und außerdem bin ich willens, Euch die Anteile zurückzugeben, die Seppensen Euch seinerzeit abgepresst hat. Warum sträubt Ihr Euch nur dagegen, dass Katharina glücklich wird?“
„Ich habe es Euch schon einmal gesagt, weshalb ich gerade Euch nicht als Katharinas Ehemann akzeptieren werde: Ihr seid nichts und Ihr habt nichts!“, beharrte Braunsberg.
„Beides ist offensichtlich unzutreffend, Graf Braunsberg. Inzwischen bin ich vom bitterarmen Grafen zum Fürsten mit gewissem Vermögen avanciert. Außerdem bin ich derzeit im Besitz einer Urkunde, die mich zum bestimmenden Teilhaber an Eurem Tuchgeschäft machen würde, wenn ich es wollte. Ich weiß um Eure Situation, Braunsberg – und die ist alles andere als rosig. Ich kann diese Situation ändern, wenn Ihr es wollt. Das schließt übrigens Aufträge für Uniformtuche ein.“
„Ich lasse mich nicht erpressen!“, fauchte Braunsberg. Wolf steckte die Urkunde wieder ein.
„Seltsam – einem achtundsiebzig Jahre alten Greis habt Ihr Katharina für achtzigtausend Gulden und einundfünfzig Prozent der Geschäftsanteile verkauft, um Euer Geschäft zu retten. Seppensen wollte Euch endgültig ruinieren, indem er Käufer für diese Anteile suchte. Eure Tochter hat er unglücklich gemacht, indem er sie zwang, zum evangelischen Bekenntnis zu konvertieren. Ich möchte Euch Eure Geschäftsanteile zurückgeben, biete Euch Aufträge, die Euren Umsatz und Gewinn erheblich steigern könnten – und ich möchte Katharina glücklich machen. Den von Euch geforderten Lebensstil kann ich ihr bieten, wenn ich auch weiß, dass ihr daran nichts liegt. Was also hindert Euch daran, ins Haus zu gehen und Katharina zu sagen, dass Ihr Mann gekommen ist, um Wenglands Fürstin zu holen?“
„Ich glaube Euch kein Wort.“
„Vielleicht überzeugt Euch das“, sagte Wolf und winkte seinen Soldaten.
Drei Mann stiegen von den Pferden und hoben eine kleine Kiste herunter, die sie vor Braunsberg abstellten. Wolf öffnete die Kiste. Sie war mit wenglischen Goldmünzen bis zum Rand gefüllt, obenauf lag die Heiratsurkunde.
„Das hier sind fünftausend wenglische Goldgulden. Sie enthalten zwei Lot Gold pro Stück. Nach dem Silberwert des Reichstalers guter Prägung sind es sechzigtausend Reichstaler. Bei dem deutlich verringerten Silbergehalt der gegenwärtigen Münzen dürfte es noch mehr sein. Die allein sollten genügen, um Euer marodes Handelsgeschäft wieder auf feste Beine zu stellen. Sie sollen eine Anzahlung für den Auftrag sein, den ich Euch geben will. Und das hier …“
Wolf nahm die Urkunde in die Hand
„Das ist der Beweis, dass ich Katharinas Ehemann bin.“
Braunsberg ignorierte die Heiratsurkunde, bekam aber angesichts des Goldschatzes ein gieriges Leuchten in den Augen und wollte in die Kiste greifen, aber Wolf stieß den Deckel zu und ließ den bestiefelten Fuß auf der Kassette stehen.
„Katharina gegen Geld, Anteile und Auftrag“, sagte er kühl. „Nur zu, Ihr habt Übung, sie zu verkaufen.“
„Von meinem Hof!“, schnaufte Braunsberg zornig.
„Nicht ohne meine Frau!“, erwiderte Wolf, nicht weniger scharf.
„Nur über meine Leiche!“, keifte Braunsberg.
„Ich habe mir schon einmal beinahe Katharinas Feindschaft eingehandelt, weil sie mich im Verdacht hatte, ich hätte Seppensen getötet. Ich habe ihr nur mit einiger Mühe beweisen können, dass ich es nicht war. Lasst es nicht soweit kommen, dass sie mich nur deshalb ablehnt, weil ich gezwungen war, ihren Vater aufzuspießen. Diesmal möchte ich in Frieden und ohne Kampf meine Frau in die Arme schließen dürfen. Gebt mir Katharina freiwillig heraus.“
Wenn Wolf gehofft hatte, seinen Schwiegervater damit zu beruhigen, hatte er sich bitter getäuscht. Von Braunsbergs Rapier zuckte durch die Luft. Wolf konnte gerade noch ausweichen, aber die Spitze der Klinge traf ihn eben noch an der linken Stirnseite.
„Graf Braunsberg, zwingt mich nicht, mit Euch zu fechten!“, beschwor Wolf den Vater seiner Frau.
„Einer ist hier zu viel, Graf Steinburg – und das seid Ihr!“, schrie Braunsberg und griff Wolf heftig an, der aber zur Seite sprang und Braunsberg ins Leere laufen ließ.
Thomas von Altenburg warf Wolf sein Rapier zu, der zog blank und warf die leere Scheide wieder zu Thomas zurück. Von Altenburg fing sie auf uns zog sein eigenes Rapier.
„Thomas, das geht nur Braunsberg und mich was an! Halt’ die Bedienten auf!“, befahl Wolf.
„Ja, Hoheit!“, gab Thomas zurück. Die Begleitsoldaten zogen ihre Waffen und bildeten einen weiten Ring um die Fechter, damit die noch unschlüssigen Bedienten nicht mehr eingreifen konnten. Wolf bemühte sich redlich, sich seinen Schwiegervater nur vom Leib zu halten und ihn sich müde toben zu lassen. Er hatte nicht vor, den Vater seiner Frau ernsthaft zu attackieren. Braunsberg machte Wolfs Bemühungen aber in heftigen und lebensbedrohlichen Hieb- und Stichangriffen zunichte. Wolf blutete bereits aus einigen, wenn auch nur oberflächlichen Wunden, als er einen Hieb Adolf von Braunsbergs gerade noch parieren konnte. Die Klingen der Gegner verkeilten sich, blockierten sich gegenseitig. Wolfs Blick fiel auf den Griffkorb am Rapier seines Kontrahenten, der genau in seiner Augenhöhe war. Er sah direkt auf eine in Schildpatt eingelegte, ganz offensichtlich wenglische Lilie.
„Täusche ich mich, oder ist Euer Wappen die Tuchschere?“, fragte er keuchend. Braunsberg grinste maliziös.
„Ihr kennt diese Waffe?“, fragte er.
„Wie kommt Ihr an eine wenglische Lilie in Eurem Rapier, wenn es üblich ist, sich die Fechtwaffe mit dem eigenen Wappen zu kennzeichnen? Und warum tragt Ihr einen derart verschlissenen Smaragdring mit einer eingeschliffenen Lilie, wenn Ihr angeblich so reich seid, dass Ihr mir Katharina nie freiwillig zu Frau geben wollt, weil ich Euch zu arm bin?“
„Eine kleine Erinnerung an jemanden, der noch penetranter war, als Ihr. Und er hat sich auch nur sehr ungern von diesen Stücken getrennt. Sagen wir, ich habe sie als Pfand genommen für die Schulden, die Euer Vater bei mir hatte. Er wollte einfach nicht mit dem Versteck des Schatzes heraus. Schade auch.“
„Dann seid Ihr derjenige, der meine Eltern tötete?“, erkundigte sich Wolf hechelnd. Langsam ließ er sich von Braunsberg herunterdrücken, um ihm ein gewisses Überlegenheitsgefühl zu geben. Überlegenheit konnte Unvorsicht auslösen. Wolf hatte es bei Buchenberg mit Erfolg ausprobiert. Braunsberg ging dem jungen Fürsten auf den Leim. Er grinste hässlich.
„Hihi. Ich habe sie auf diesem Rapier aufgespießt. Genauso, wie ich jetzt den Sohn mit der väterlichen Klinge hinterherschicke!“
Braunsberg drückte noch stärker, aber Wolf ließ sich fallen, machte eine elegante Rolle rückwärts, Braunsberg stolperte nach vorn und konnte sich nur mühsam fangen. Als der Stadtlohner Gutsherr die Augen seines Gegners sah, bemerkte er den tödlichen Fehler, den er gemacht hatte, denn von einem Augenblick zum anderen waren Wolfs Augen fast schwarz vor Zorn.
„Mörder!“, fauchte er. Es gab keinen Grund mehr für Wolf, Braunsberg zu schonen. Er griff ihn heftig an, deckte ihn mit einem solchen Hagel von Hieben ein, dass Braunsberg nicht wusste, gegen welchen er sich zuerst wehren sollte. Wolf war wie ausgewechselt. Eben noch bereit, sich hinhaltend zu verteidigen, schlug er nun gnadenlos zu. Braunsberg fand sich in die Defensive gedrängt. Sein voreiliges Geständnis war ein gravierender, tödlicher Fehler gewesen. Verzweifelt nahm er alle Kräfte zusammen, um sich gegen den heftig angreifenden Wolf zur Wehr zu setzen, aber es war vergeblich. Der Wengländer riss seine Deckung ohne Erbarmen auf, als Braunsberg einen Ausfallschritt nach vorn machte. Er lief Wolf direkt in die Klinge. Das Letzte, was Braunsberg auf dieser Welt noch sah, war das verschwitzte, zornige Gesicht seines Schwiegersohnes. Dann sackte er zusammen und war schon tot, bevor er auf dem Boden aufschlug.
A A A
Kapitel 30
Geschenke
A„Gott ist mein Zeuge: Hätte er nicht das Rapier meines Vaters benutzt und dessen Ring getragen – ich wäre nicht darauf gekommen, dass er etwas mit dem Mord zu tun gehabt hätte!“, sagte Wolf leise. Sein Blick suchte den Hof ab. Die Bedienten hatten ihre Waffen sinken lassen. Graf Braunsberg gehörte auch nicht unbedingt zu der Sorte von Gutsherrn, für die die Bedienten ihr Leben riskierten. Wolf griff sich den ersten Dienstboten im Kreis
„Wo ist Katharina?“, fuhr er ihn an.
„Herr! Tut mir nichts! Ich bringe Euch zu ihr, aber tut mir nichts!“, stieß der Diener angstschlotternd hervor. Wolf schubste ihn voran, während seine Soldaten die anderen Diener im Hof entwaffneten. Mit zitternden Knien brachte der Diener Wolf zu einer Dachkammer, die der junge Fürst einfach auftrat, als er die Tür verschlossen fand. Katharina prallte erst erschrocken zurück, aber dann erkannte sie Wolf.
„Wolf!“, rief sie in freudigem Schrecken, fand sich im nächsten Augenblick schon in seinem Arm wieder, weinte einige Zeit nur vor Freude. Er hielt sie tröstend im Arm, streichelte sie sanft und ließ sie sich ihren Kummer von der Seele weinen.
„Gott sei Dank! Du lebst! Wo warst du solange?“, presste sie unter Tränen heraus. Er drückte sie liebevoll an sich. Sie beruhigte sich allmählich.
„Es hat seine Zeit gedauert, bis ich den schrecklichen Verdacht von mir weisen konnte, den der Kaiser gegen mich hatte. Und dann war ich zu Hause – aber Steinburg war so gerupft, dass ich dich nicht holen mochte, bevor wir nicht wenigstens aufgeräumt hatten. Es tut mir Leid, dass es nicht schneller ging“, bat er um Entschuldigung.
„Wolf, gib Acht! Braunsberg hat sich vorgenommen, dich zu töten!“, warnte sie. Er sah sie an.
„Er hat es bereits versucht. Wie du siehst, lebe ich noch“, gab er zurück.
„Kathrin …“, sagte er dann nach einer Pause langsam, „ich … ich habe deinen Vater getötet. Ich …“
Sie hatte sich jetzt wieder in der Gewalt. Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, das hast du nicht“, erwiderte sie.
„Wie bitte?“, stotterte er.
„Wenn du damit Braunsberg meinst: Er ist nicht mein Vater.“
„Aber …“
„Ich weiß es auch erst seit kurzer Zeit. Ich habe es zufällig in einem alten Lederband entdeckt. Graf Braunsbergs Frau war unfruchtbar und konnte keine Kinder gebären. Er wollte ein Kind adoptieren – und Fahrende boten sich ihm an, ihm ein Kind zu … besorgen. Die Zigeuner haben sich wohl vergriffen, als sie mich bei den Braunsbergs anschleppten, denn Braunsberg wollte einen Sohn haben. Aber ich habe wohl Kleider getragen, die mich wie einen Jungen aussehen ließen, als sie mich raubten. Wie ich dem Tagebuch meiner Adoptivmutter entnommen habe, wollte sie mich aber nicht wieder hergeben und behandelte mich wie ihr eigenes Kind. Adolf von Braunsberg gewann mich dann wohl auch lieb, aber er wollte mich eben reich verheiraten, damit er sein Tuchgeschäft retten konnte. Die letzten Monate war ich allerdings hier eingesperrt, weil ich an dich geschrieben habe, Braunsberg Hans abfangen ließ und aus dem Brief erfuhr, welches Verhältnis wir beide wirklich haben. Ich bin so unsagbar froh, dass du mich aus dem Albtraum befreit hast.“
„Also keine Vorwürfe wie bei Seppensen?“, erkundigte sich Wolf.
„Nein, ich habe keinen Grund dazu. Wolf, du bist verletzt. Komm, ich behandle deine Wunden.“
„Gleich, ich habe noch etwas zu erledigen.“
„Was?
„Komm mit.“
Sie folgte ihm in den Hof, wo die Dienstboten den toten Braunsberg gerade wegtragen wollten. Wolf trat an die Bahre und nahm dem Toten den Ring ab.
„Dürfen wir unseren Herrn begraben, Euer Gnaden?“, bat einer der Diener. Er nickte.
„Ja. Meine Aufgabe habe ich erfüllt und über den Tod hinaus empfinde ich keine Feindschaft.“
„Welche Aufgabe, Euer Gnaden?“
„Graf Braunsberg hat zugegeben, meine Eltern getötet zu haben, weil er an einen Schatz heranwollte“, versetzte er. Die Diener schwiegen erschrocken und trugen Braunsberg zu dem kleinen Familienfriedhof, um die Beerdigung vorzubereiten. Wolf drehte sich zu seiner Frau um. Thomas umarmte Katharina gerade in einer fast brüderlichen Geste.
„Dem Himmel sei Dank! Euch ist nichts geschehen“, sagte er.
„Nun, es war höchste Zeit, Herr von Altenburg. Wolf, was wolltest du denn hier?“
Er hob das Rapier auf und zeigte Ring und Rapier seiner Frau.
„Der Siegelring und die Fechtwaffe meines Vaters. Braunsberg hat mir gestanden, dass er meine Eltern auf dem Gewissen hat. Da habe ich dann keinen Grund mehr gesehen, ihn zu schonen. Hast du etwas davon gewusst?“
„Nein. Ich habe nach dem plötzlichen Tod meiner Pflegemutter angefangen, in besagtem Tagebuch zu lesen; das war, kurz bevor wir uns kennen lernten. Aber es umfasst viele Bände und ich bin jetzt erst bei meiner eigenen Kindheit angelangt.“
Thomas sah die junge Frau verblüfft an.
„Wie? Seid Ihr etwa gar nicht Braunsbergs Tochter?“
„Nein. Ich bin zuerst geraubt und dann von Braunsbergs adoptiert worden.“
„Geraubt“, sinnierte Thomas laut. „Wann war das ungefähr?“
„Ich zeige es Euch gleich. Komm, Wolf. Ich will noch deine Verletzungen behandeln. Dann kann Herr von Altenburg sich gleich das Tagebuch ansehen.“
„Oho, das interessiert mich auch!“, versetzte Wolf und folgte Katharina wieder ins Haus.
Während sie Wolfs Verletzungen in der Badestube behandelte, setzte Thomas sich mit dem Stapel ledergebundener Tagebücher der verstorbenen Gräfin dazu und studierte das Buch, das sie ihm bezeichnete.
„Also, danach seid Ihr im Alter von etwa zwei Jahren in diesen Haushalt gekommen und nach den Aussagen der Zigeuner, die Euch geraubt haben, wärt Ihr aus der Grafschaft Eichgau, aus der Nähe des Dorfes Altenburg. Über Eure Eltern ist hiernach nichts bekannt. Es heißt, man habe Euch in den Kleidern eines kleinen Jungen übergeben bekommen“, bemerkte er.
„Ja, soweit habe ich das aus dem Tagebuch auch entnommen“, bestätigte sie seine Forschung.
„Existieren die Kleider vielleicht noch?“, fragte er nach.
„Ja. Ich habe mal in der Truhe meiner Adoptivmutter gestöbert und die hier genannten Kleidungsstücke gefunden.“
„Würdet Ihr sie mir zeigen, edle Fürstin?“, bat er. Sie lachte.
„Lasst das, Thomas. Ihr seid ein guter Freund von Wolf. Sagt einfach Katharina zu mir“, bat die junge Frau. Wolf sah mit gewisser Eifersucht zwischen seinem Freund und seiner Frau hin und her. Was, zum Teufel, wollte Thomas eigentlich? Kathrin ging kurz hinaus und kam mit den alten Kleinkindersachen wieder, gab sie Thomas und widmete sich wieder Wolfs Wunden, die sie vorsichtig reinigte und dann verband.
Thomas untersuchte die Sachen genau. Plötzlich grinste er über das ganze Gesicht.
„He, was grinst du so unverschämt?“, rief Wolf. Thomas kümmerte sich nicht um die aufkommende Eifersucht seines besten Freundes.
„Ihr sagt, Eure Eltern sind nicht bekannt, Kathrin. Ich kann es Euch jetzt sagen – und zwar anhand dieser Sachen.“
Wolf und Katharina sahen den Baron verblüfft an.
„Dann sprecht, lieber Herr von Altenburg, denn ich würde meine leiblichen Eltern gern kennen lernen.“
„Nun, sicher ist, Ihr seid aus der Grafschaft Eichgau, aus der Nähe von Altenburg geraubt. Ihr seid eine Wengländerin, schöne Katharina. Eure Eltern waren – Verzeihung – sind recht hochgestellte Leute, die nicht ganz arm sind.“
„Erzählt mir jetzt nicht, ich sei das Ergebnis eines Fehltritts des Grafen Wolfgang von Steinburg!“, sagte sie erschrocken. Er lächelte.
„Bewahre, nein! Außerdem würde dann wenigstens Euer Vater nicht mehr leben. Aber der ist alles andere als tot. Ich kann Euch auch genau sagen, wann Ihr geboren seid: Am 3. Oktober im Jahre des Herrn 1601 in Altenburg.“
„Thomas, du wirst mir nicht weismachen, dass du das aus den uralten Sachen liest!“
Von Altenburg grinste noch breiter.
„Oh, doch, lieber Wolf. Du musst wissen, diese Hose habe ich selbst mal getragen. Es ist ein kleines Stoffetikett mit den sieben Eichblättern meines Familienwappens darin.“
„Vielleicht solltest du nicht in Rätseln sprechen, sondern dich deutlicher ausdrücken“, forderte Wolf ihn auf.
„Gut, aber ich muss dann weiter vorn anfangen: In Altenburg gibt es ein schönes Schloss, das dem Baron von Altenburg gehört, meinem Vater. Unser Familienwappen sind sieben goldene Eichblätter in blauem Feld. Baron Julius von Altenburg, mein Herr Vater, ist verheiratet mit Baronin Sieglinde von Altenburg, meiner Frau Mutter. Ich bin der älteste Sohn und darf mich deshalb ebenfalls Baron nennen. Ich habe noch einen jüngeren Bruder, Stefan mit Namen und ich hatte eine Schwester, die meine Eltern Julia nannten. Julia verschwand einige Tage vor ihrem zweiten Geburtstag, als sie an der Eichach spielte, dem Fluss, der an Schloss Altenburg vorbeifließt. Damals waren zwar Zigeuner in der Nähe, aber mein Vater hat immer geglaubt, Julia wäre ertrunken. Die Eichach fließt sehr schnell, die Leiche hätte nicht einmal gefunden werden müssen. Alles, was unsere Diener noch fanden, war eine Mütze. Julia war an diesem Tag mit abgetragenen Sachen von mir bekleidet. Ich war für meine dreieinhalb Jahre recht groß geraten und meine Schwester hatte die zweifelhafte Ehre, meine Sachen aufzutragen. Es waren genau diese Sachen, die ich jetzt in der Hand halte“, erklärte Thomas.
„Moment, das heißt, ich wäre … Eure … deine … Schwes… ter?“, stotterte Katharina.
„Genau das, liebe Katharina. Du bist meine seit über zwanzig Jahren verschollene Schwester“, gab er preis. Sie konnte nicht anders. Sie umarmte den ihr ohnehin sehr sympathischen jungen Mann, der ihr Bruder war.
„Und ich hab’ mir immer Geschwister gewünscht!“, schluchzte sie.
„Du hast Geschwister, Kathrin. Zwei Brüder“, erwiderte er sanft und drückte seine Schwester an sich. „Vermutet habe ich das schon, als ich dich das erste Mal in Dreibeck gesehen habe, weil du eine unglaubliche Ähnlichkeit mit unserer Mutter hast. Du hast es damals abgestritten, mit den Siebeneichs verwandt zu sein – du hast es eben nicht besser gewusst.“
Wolfs Eifersucht war mit einem Schlag beseitigt. Aber er seufzte trotzdem.
„Was ist, mein Freund? Gönnst du mir das Wiederfinden meiner Schwester nicht?“, fragte Thomas, während er seine Schwester freudig knuddelte.
„Natürlich gönne ich dir das. Ich frage mich nur, was euer Vater dazu sagen wird, wenn er erfährt, dass seine seit über zwanzig Jahren verschollene Tochter ausgerechnet den Grafen von Steinburg geheiratet hat?“
„Erklär’ mir das näher, Wolf.“
„Thomas, dein Vater ist – soweit ich unterrichtet bin – nicht unbedingt ein Freund meines Vaters gewesen. Warum sie sich erzürnt haben, weiß ich nicht genau, es soll angeblich mit irgendwelchen Wasserrechten zusammenhängen. Dein Vater wird toben, wenn er erfährt, dass ausgerechnet Graf Wolfgangs Sohn seine Tochter geehelicht hat!“
„Quatsch!“, gab Thomas zurück. „Erstens bist du nicht dein Vater, zweitens bin ich noch da, drittens ist Kathi volljährig, und viertens hört sie heute zum ersten Mal überhaupt davon, dass Baron von Altenburg ihr Herr Papa ist.“
„Jedenfalls möchte ich das umgehend geklärt haben. Wir sollten auf dem Rückweg in Altenburg Station machen“, sagte Wolf.
„Gerne. Aber lass wenigstens meinen Vater leben!“, gab Thomas lachend zurück. Wolf drohte seinem Freund scherzhaft mit der Faust und umarmte Katharina.
Wolf und seine kleine Truppe bleiben einige Tage auf dem Braunsberg’schen Gut. Dank Katharinas liebevoller Pflege heilten Wolfs Verletzungen schnell. Etwa eine Woche nach Graf Braunsbergs Tod hatte sie den Nachlass ihres Adoptivvaters geordnet und hatte sich zur Universalerbin eingesetzt gefunden. Nach Abzug der Verbindlichkeiten blieben keine Reichtümer, aber der Verkauf des Hofes warf doch noch einen Batzen Geld ab. Die Diener folgten Kathrin in ihre neue Heimat nach Steinburg.
In Altenburg machte die Reisegesellschaft Rast. Thomas ritt voraus, um seinen Eltern den Besuch des Fürstenpaares anzukündigen.
„Musste nicht unbedingt sein“, knurrte Julius von Altenburg. „Aber wir dürfen dem Landesherrn nun einmal nicht die Tür weisen, solange er uns selbst nichts getan hat. Na gut, ich empfange ihn.“
„Und dann, Vater, habe ich meine Schwester Julia wieder gefunden.“
Baron und Baronin von Altenburg sprangen auf.
„Julia? Wo ist sie, Thomas?“
„In Begleitung des Fürsten – genauer: Sie ist seine Frau.“
„Wie konnte das passieren?“, fragte Sieglinde von Altenburg erschrocken. Thomas berichtete es ihnen kurz.
„Dann lass’ sie eintreten, mein Sohn“, forderte Julius von Altenburg seinen Sohn mit tränenfeuchten Augen auf.
Er eilte hinaus und war wenig später mit dem Fürstenpaar zurück. Als er sie miteinander bekannt machte, hatte Wolf nicht den leisesten Zweifel, dass Katharina die Tochter der Altenburgs war, so groß war die Ähnlichkeit mit der Mutter. Überglücklich schlossen sie die junge Frau in die Arme.
„Wir hatten dich Julia taufen lassen“, sagte Julius von Altenburg gerührt, „aber Katharina passt viel besser zu dir, mein Kind. Ich muss deinen Adoptiveltern dankbar sein.“
Er sah den jungen Fürsten an.
„Eure Hoheit sind also mein Schwiegersohn. Der Teufel soll mich holen, wenn ich das freiwillig zugelassen hätte!“, knurrte er. Wolf lächelte verbindlich.
„Katharinas Adoptivvater war auch nicht begeistert, mich zum Schwiegersohn zu haben. Es wäre mir aber lieb, wenn ich mich mit meinem tatsächlichen Schwiegervater vertrage. Ich weiß, Ihr hattet Probleme mit meinem Vater. Wenn es möglich ist, möchte ich diese Probleme aus der Welt schaffen. Sagt mir, was Euch den Streit mit meinem Vater einbrachte.“
„Ihr kennt den Siebensteinforst?“
„Ja“
„Auch das Schloss im Forst?“
„Es ist das Jagdschloss meiner Familie.“
„Stimmt. Euer Vater hat es mir verpfändet, als er sich von mir Geld geliehen hat. Er konnte das Pfand nicht einlösen, aber er hat mir auch nie die Besitzurkunde überschrieben. Weil Steinburg eine fremde Grafschaft war, konnte ich mein Recht nicht durchsetzen. Und jetzt sagt mir: Muss ich meine Rechte vor dem Adelsgericht einklagen?“, erklärte Baron von Altenburg.
„Um welche Summe geht es?“
„Zehntausend Gulden.“
„Ich nehme an, Ihr habt einen von meinem Vater unterschriebenen Schuldschein.“
„Allerdings. Und ich verlange zwanzig Prozent Zinsen pro Jahr!“, schnaubte Altenburg und stapfte zu seinem Sekretär, holte den alten Schuldschein heraus. Wolf prüfte den Schuldschein. Die Unterschrift seines Vaters war echt.
„Gut. Ich löse das Pfand ein. Nur Eure ungeheuren Zinsen, die schlagt Euch aus dem Kopf, Baron. Zwanzig Prozent sind Wucher, für den Ihr selbst einen berufsmäßigen jüdischen Geldverleiher hängen lassen würdet. Ich mache Euch ein Angebot: Ich habe Katharina ohne Eure Zustimmung geheiratet. Aber irgendwann hättet Ihr sie verheiraten müssen und Ihr hättet die Hochzeit bezahlen müssen, weil das Sache des Brautvaters ist. Ihr seid drumherum gekommen, weil ich sie ausgerichtet habe. Ich erlasse es Euch, Euch die Kosten für die Hochzeit nachträglich aufzubrummen und ihr streicht die Zinsen dagegen, wenn wir von acht Prozent Zinsen ausgehen. Was meint Ihr?“
„Euer Vater schuldete mir das Geld schon zehn Jahre, wie Ihr aus dem Schuldschein seht. Das wären achttausend Gulden! Nein, das hätte ich für eine Hochzeit nicht ausgegeben!“, widersprach Julius.
„Gut. Ich erweitere mein Angebot. Ihr wisst, Eichgau ist ohne Grafen, weil der letzte Graf keinen Erben hinterlassen hat. Ich biete Euch den Grafentitel für die Grafschaft Eichgau zum Ausgleich der verbleibenden Zinsen, nachdem wir angemessene Hochzeitskosten abgezogen haben“, bot Wolf weiter an. Julius von Altenburg sah den jungen Fürsten einen Moment misstrauisch an.
„Ich soll die Grafenwürde kaufen?“
„Baron von Altenburg: Eure Zinsforderung halte ich für ausgesprochen unchristlich. Wenn Ihr sie wirklich einklagt, habe ich Zweifel, ob Ihr sie tatsächlich bekämet, seien es zwanzig oder auch acht Prozent. Der Grafentitel eröffnet Euch gewisse Einnahmequellen, die Ihr ohne diesen Titel nicht habt, weil zehn Prozent der Grafschaftssteuer Euch allein gehören. Ich denke, das ist auf Dauer gesehen mehr wert, als die zweifelhafte Zinsforderung.“
Julius wollte noch überlegen, aber seine Frau unterbrach ihn in seinen Gedanken.
„Julius, da gibt es nichts zu überlegen: Grafentitel werden nicht auf dem Marktplatz angeboten. Außerdem haben wir unsere Tochter wieder und den Fürsten in der Verwandtschaft. Sei nicht so krämerhaft!“
„Gut. Ich akzeptiere und schwöre Euch, Fürst Wolf, Treue als Euer Graf von Eichgau“, sagte er, hob die rechte Hand zum Schwur. Wolf lächelte. Er hatte wieder einmal gut gehandelt, denn den Grafentitel hatte er ohnehin für Thomas eingeplant. Er hatte dem alten Baron nicht mehr gegeben, als er sowieso hatte geben wollen.
Es dauerte noch Jahre, bis Wengland wieder einigermaßen aufgebaut war. Fürst Wolf gelang es einigermaßen, das neue Fürstentum aus den Schrecken des sich immer mehr ausweitenden Krieges herauszuhalten. Zwar konnte er schon zwei Jahre später dem Kaiser ständig ein ganzes Regiment guter Soldaten zur Verfügung stellen, aber Wengland selbst blieb von den marodierenden Horden verschont.
– Und Wengland war wieder ein Land. –
Ende
A A A
Glossar
Auch in dieser Geschichte finden sich wieder diverse Wörter, deren Bedeutung nicht jedem Leser bekannt ist, weil es sich um Fachausdrücke oder alte Begriffe handelt. Ich habe daher ein Glossar erstellt, um diesem Problem abzuhelfen.
* Allgemeines Lexikon:
Alter des Königs: Während in anderen europäischen Staaten der Grundsatz galt (und bis heute gilt!), dass der Thronerbe auch im Kindesalter zum König gekrönt werden konnte, war die Königskrönung in Wengland seit den Tagen König Philipps immer an die Volljährigkeit des Thronerben gebunden. Bis zur Volljährigkeit eines Thronprätendenten wurde ein älterer Verwandter aus einer Nebenlinie zum König auf Zeit ernannt bzw. verwaltete ggf. ein Reichsverweser oder Bailli das Reich. Bis zum Ende des 1. Königreiches ist dies nur für den unmündigen Albert v. Wengland erforderlich gewesen.
Bidenhander: mit beiden Händen geführtes Schwert
Fähnlein: Kompanie, ca. 300 Mann
Fouragieren: Beschaffen von Proviant.
Hexenhammer: Prozessordnung für Hexenprozesse, 1489 von den Dominikanern Insistoris und Sprenger entwickelt.
Hufe: altes Flächenmaß, in der Regel 30 Morgen (~ 15 – 20 ha)
Klafter: altes Längenmaß, zwischen 1,80 und 2,50 m.
Kriegsartikel: Vertrag, den Feldherr und angeworbener Soldat miteinander schlossen. Dieser Vertrag regelte die gegenseitigen Rechte und Pflichten und war im Grunde ein Arbeitsvertrag, wie er heute noch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen wird. Diese Verträge wurden für eine bestimmte Zeit geschlossen. Danach konnte der Vertrag verlängert werden oder lief einfach aus. Der Soldat konnte nach Ablauf seines Vertrages in die Dienste eines anderen Feldherrn treten oder sich auch als Kriegsunternehmer selbstständig machen, wenn er wollte.
Aus dieser rein vertraglichen Bindung heraus ergab sich auch die Bestimmung, dass ein Soldat, dessen Fahne erobert worden war (damit war in der Regel der Verlust der Schlacht verbunden), sich frei dem Sieger anschließen konnte, ohne dass ihm etwa Verrat vorgeworfen werden konnte.
Stehende Heere im Sinne nationaler Armeen, wie wir sie heute kennen, gab es im Mittelalter und der frühen Neuzeit noch nicht. Die Lehensleute waren nur für vierzig Tage im Jahr zur Heeresfolge verpflichtet. Die großen Heere dieser Zeit waren praktisch reine Söldnerheere, die von einzelnen Feldherren wahrhaft auf eigenes privates Risiko angeworben wurden. Feldherren wie Manstein, Tilly oder Wallenstein waren genau genommen freie Unternehmer, die einem Fürsten ihre Dienste als Kampftruppenführer anboten.
Lot: Alte Gewichtseinheit, ca. 16 g.
Münzregal: Nein, das ist kein Holzgestell… Ein Regal ist ein königliches Recht. Die Prägung von Münzen gehört zu den königlichen Rechten. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war der Kaiser gleichzeitig auch König und Inhaber dieser Regalien. Er konnte sie aber auch an Lehensleute vergeben, als Ehre oder gegen Geld. Das Münzregal wurde oft verpachtet. Damit die Pächter von dem ihnen übertragenen Recht etwas hatten – letztlich ging es immer nur ums Geschäft – verringerten sie den Silbergehalt der Münzen, die immer schlechter wurden. Daraus ergeben sich auch die Wertschwankungen zwischen Gold- und Silbermünzen.
Profos: Militärpolizist im Mittelalter, Militärgerichtsbarkeit im Dreißigjährigen Krieg.
Rapier: Fechtwaffe mit schmaler, langer Klinge und Griffkorb.
Regensburg: Ort des ständigen Reichstages.
Reichsacht: Im Mittelalter und der frühen Neuzeit sowohl Strafe als auch Mittel zur Durchsetzung von Gerichtsurteilen. Derjenige, über den die Acht verhängt war, war geächtet, galt damit als vogelfrei und war rechtlos. Jeder aus der Gemeinschaft war aufgerufen, den Geächteten dingfest zu machen oder auch zu töten. Wer dem nicht folgte und einem Geächteten half, fiel selbst in die Acht. Die Acht galt zunächst für ein Jahr und einen Tag und konnte durch Erbringen der ausgeurteilten Schuld gelöst werden. Wurde die Schuld dann nicht eingelöst, verfiel der Geächtete der zunächst nicht lösbaren Aberacht, einer noch verschärften Form der Acht.
In der frühen Neuzeit wurde die Acht hauptsächlich wegen Nichterbringen bestimmter Reichssteuern, Majestätsverbrechen, Landfriedensbruchs und Ungehorsams einer Partei vor Gericht (z. B. Nichtbefolgen einer Vorladung) verhängt.
Reichsstand: Mitglied im Reichstag
Schollenbindung: Bauern war es im Mittelalter verboten, das Stück Land zu verlassen, das sie bebauten, um in eine andere Gegend zu ziehen oder gar das Bauernleben aufzugeben. Was heute wie eine Willkürmaßnahme wirkt, war anfangs eine Notmaßnahme, um die Ernährung des Volkes sicherzustellen und die Landflucht einzudämmen. Besonders nach der großen Pestepidemie 1348 – 1352 wurde die Landflucht zu einem ernsthaften Problem. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Bindung an die Scholle zu echter Unfreiheit und verkam schließlich zur Leibeigenschaft.
Sodomit: alte Bezeichnung für Homosexuelle, die zwischen dem 13. und dem 18. Jh. gebraucht wurde. Homosexualität galt noch bis ins Jahr 1969 in Deutschland als Straftat, die mit Zuchthaus geahndet wurde (glaubt man kaum, ist aber Tatsache). Erst 1994 wurde der §175 des Strafgesetzbuches abgeschafft und die Strafverfolgung von Homosexuellen aufgehoben. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (dazu gehört auch die Zeit des Dreißigjährigen Krieges) endeten Homosexuelle auf dem Scheiterhaufen …
Uniform: Korrekterweise muss angemerkt werden, dass es eine Uniform im modernen Sinn während des Dreißigjährigen Krieges noch nicht gab. Regelrechte Uniformen wie wir sie heute kennen – also eine spezielle Kleidung, die für die Angehörigen einer bestimmten Einheit gleichartig ist und sich von Angehörigen anderer Einheiten durch Abzeichen oder Form und/oder Farbe gegenüber anderen Armeen in irgendeiner Form unterscheidet – gibt es erst seit der 2. Hälfte des 17. Jh., wurde dann aber fast zeitgleich in Frankreich, England und den Ländern des Reiches eingeführt.
Letztlich entwickelten sich diese regelrechten Uniformen aber aus Erkennungszeichen, die es schon während des Dreißigjährigen Krieges gab. Kaiserliche Soldaten aus Spanien zum Beispiel waren in der Regel an einer roten Schärpe und roten und gelben Federn zu erkennen, Kaiserliche aus dem eigentlichen Reich oftmals an einer weißen Schärpe, bayerische Soldaten an weißen und blauen Federn am Hut, Schweden an einer blauen Schärpe und blauen und gelben Federn. Die Kleidung entsprach ansonsten aber der üblichen Mode jener Zeit, die durch Schutzteile wie Lederkoller (ein Lederwams aus starkem Leder) oder Kürasse (Harnische ohne Armteile) verstärkt wurde.
Als Ursprungsland der Uniform kann Frankreich betrachtet werden. Die Musketiere des Königs und des Kardinals waren praktisch die Ersten, die mit Überwürfen ausgerüstet wurden, die eine Unterscheidung dieser Einheiten und eine Abgrenzung zu anderen Gruppen im In- und Ausland verdeutlichten. Diese Überwürfe, die beide mit einem Kreuz in der Brustmitte versehen waren, basierten auf den Wappenröcken der Ritterzeit.
Die Wengländer sind hier im Grunde die Ersten, die eine einheitliche Kleidung tragen und nicht nur einzelne gemeinsame Teile wie Schärpe und Federn.
Unze: Alte Gewichtseinheit, 31,1 g
** Währungen:
Goldgulden: Erscheint vordergründig als Pleonasmus, weil Gulden nach golden klingt, ist aber keiner, da es Guldenmünzen sowohl in Form von Silber- als auch von Goldmünzen gab.
Reichsgulden: Allgemeine Reichswährung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der sowohl als Goldmünze (dann auch Goldgulden↑ genannt) oder als Silbermünze geprägt wurde. Mit der Reichsmünzordnung von 1559 wurde der Gulden dem Taler↑ als Reichswährung gleichgestellt, doch hatte der Gulden mit rd. 22 g einen geringeren Silbergehalt als der Taler. Als Wechselkurs zwischen Gulden und Taler galt 1 Gulden = ⅔ Taler, 1 Taler = 1 ¾ Gulden.
Die übliche Stückelung des Guldens bestand aus 60 Kreuzern.
Wenglischer Gulden: Auch in Wengland ist der Gulden übliches Zahlungsmittel. Allerdings muss man zwischen alten Gulden und neuen Gulden unterscheiden. Der neue Gulden wurde ab 1500 geprägt und entspricht in seiner Wertigkeit und Stückelung dem Reichsgulden – jedenfalls dann, wenn der Reichsgulden sein ursprüngliches Silbergehalt von 22 g hat. Der alte wenglische Gulden wurde bereits seit der Reichsgründung 887 geprägt und bestand bis zur Reichsauflösung aus 2 Lot↑ oder 1 Unze↑ Feinsilber … Diese altwenglischen Silbergulden sind mit ihren 31,1 g Silbergehalt 1 Gulden und 24 Kreuzer der Reichswährung wert.
Der wenglische Goldgulden besteht aus nahezu purem Gold und ist ein richtig dickes Ding. Der Reichsgoldgulden hatte ein Goldgewicht von rd. 4 g, war also eine relativ kleine Münze. Der altwenglische Goldgulden wog ebenso viel wie der Silbergulden, also 31,1 g, bestand aber aus 21-karätigem Gold (875/1000 Anteile Gold in der Legierung), mithin aus 27 g Feingold. Zur Prägungszeit hatte Gold gegenüber Silber einen Wert von 1:12. Dieser altwenglische Goldgulden hat demnach den Gegenwert von 12 Reichstalern bei 27 g Silbergehalt oder 16 Reichsgulden bei 22 g Silbergehalt.
Anzumerken ist noch, dass die altwenglischen Gulden als Prägung der Aversseite (Vorderseite) das wenglische Wappen zeigen, während die sonst üblichen Münzen bis ins 16. Jh. ein Heiligenbild präsentierten, später dann ein Bild des Herrschers. Die Reversseite (Rückseite) der altwenglischen Münzen zeigt einen Wert, nämlich 1, 6 oder 12 Gulden, und nicht – wie sonst – das Landes- oder Reichswappen. Der altwenglische Goldgulden diente dazu, große Geldsummen leichter transportieren zu können, wobei auch hier das Verhältnis von Gold und Silber 1:12 gilt. Ein Goldgulden mit der Prägung 12 entspricht 12 Goldgulden, also 144 Silbergulden.
Siehe auch Artikel → Wenglischer Gulden
Reichstaler: Ab 1519 ursprünglich als Guldengroschen geprägte Großsilbermünze mit ca. 27 g Feinsilbergehalt. Weil diese Guldengroschen wegen der örtlich vorhandenen reichen Silbervorkommen hauptsächlich im böhmischen Joachimsthal geprägt wurden, wurden diese Münzen bald Joachimsthaler genannt. Dieser Name wiederum verkürzte sich rasch auf Thaler, später auf Taler. Der Taler war zusammen mit dem Gulden↑ offizielle Reichswährung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, hauptsächlich aber in der nördlichen Reichshälfte gebräuchlich.
Gegenüber dem Gulden galt, dass 1 Taler 1 ¾ Gulden der Reichswährung wert war.
Die übliche Stückelung des Talers bestand aus 24 Groschen = 48 Sechser = 96 Dreier = 288 Pfennige.
Bei der Währungsumstellung von Talern auf Reichsmark 1871 galten 10 Mark = 3 ⅓Taler. Zur Zeit der Umstellung auf Reichsmark galt die Regel, dass aus 500 g Silber 30 Taler geschlagen wurden, also der einzelne Taler dann 16,666 g Silber enthielt. Der ursprüngliche Taler war damit 1,63 Taler unmittelbar vor der Währungsreform wert.
Bei 24 Talern Jahreseinkommen lag im 18. Jh. die Armutsgrenze. Davon war es nicht möglich, sich auch nur zwei möblierte Zimmer und die notwendigen Nahrungsmittel für ein Jahr zu leisten. Dafür musste man ca. 100 – 120 Taler aufwenden; ein Handwerksmeister verdiente je nach Branche 200 – 600 Taler. Für 1 Taler konnte man 1 Hemd, 1 Paar Schuhe oder 3 Paar Wollsocken kaufen.
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