Gundolfs Bibliothek

Offener Brief an Ilkay Gündoğan und Mesut Özil

Sehr geehrter Herr Gündoğan, sehr geehrter Herr Özil,

seit Sie, Herr Özil, mit dem Gewinn der U-21-Europameisterschaft im Fußball im Jahr 2009 zusammen mit Ihren späteren A-Nationalmannschaftskameraden Jerome Boateng, Mats Hummels, Manuel Neuer, Sami Khedira, Marcel Schmelzer und anderen in den Blick der deutschen Öffentlichkeit traten und Sie, Herr Gündoğan, in der Saison 2011/2012 zu Borussia Dortmund wechselten, sind Sie beide mir als Fußballer ein Begriff. Bei jemandem wie mir, der seit dem Jahr 1966 ständiger Beobachter von Welt- und Europameisterschaften im Fußball ist und sich jedenfalls als Fußball-Teilzeitverrückter betrachtet, sollte das auch normal sein.

Bei Ihnen beiden, aber auch was Sami Khedira oder Jerome Boateng betrifft, wird aber auch sehr deutlich, was Integration bedeutet und was Sie und Ihre Kameraden dafür geleistet haben. Schon deshalb bin ich ein mehr als nur normaler Fan der aktuellen deutschen Fußballnationalmannschaft. Es freut mich einfach, dass Kinder von Zuwanderern in dieses Land einen Sprachakzent haben, der sich von dem ihrer Nachbarn, deren Vorfahren schon immer oder seit Jahrhunderten dieses Land bevölkert haben, nicht unterscheidet. Wenn Sie beide den Mund aufmachen, ist Ihr Geburtsort Gelsenkirchen nicht zu überhören.

Sie beide haben ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft, denn Sie beide gehören zu den Jahrgängen, die sich für die eine oder die andere Staatsbürgerschaft entscheiden mussten. Sie beide haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, und ich unterstelle, dass dies geschah, weil Sie beide in Deutschland Ihre Heimat sehen. Bei Ihnen, Herr Gündoğan, steht auf der Sie beschreibenden Wikipedia-Seite ganz ausdrücklich, Sie hätten ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit. Daraus kann auch geschlossen werden, dass bereits Ihre Eltern ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit hatten, dass also die türkische Staatsangehörigkeit für Sie nie zur Debatte stand.

Wie immer es auch ist, ob es eine bewusste Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit war oder ob die deutsche Staatsangehörigkeit Ihnen buchstäblich in die Wiege gelegt wurde, dann ist es mindestens seltsam, dass Sie sich mit dem Präsidenten eines Staates treffen, in dem Sie weder in Ihrem Beruf als Fußballer arbeiten noch dessen Wähler Sie sein können, weil Sie nicht die Staatsangehörigkeit haben, die Ihnen die Mitwirkung an einer Wahl in jenem Staat ermöglichen würde.

Dann ist es umso fragwürdiger, dass Sie, Herr Gündoğan, diesem Präsidenten ein Trikot Ihres aktuellen Arbeitgebers schenken, das eine Widmung trägt, die „Mit Respekt für meinen Präsidenten“ lauten soll. Ich selbst bin der türkischen Sprache nicht mächtig und muss mich diesbezüglich auf das verlassen, was hoffentlich sachkundige Pressevertreter aus der Aufschrift herausgelesen haben. Wie kann Herr Erdogan Ihr Präsident sein, wenn Sie nicht die türkische Staatsangehörigkeit haben? Das erschließt sich mir nicht wirklich.

Wenn Sie diesen Satz ernst meinen, dann wird das mindestens jene auf den Plan rufen, die die Integration von Migranten oder deren hier bereits geborenen Nachkommen schon immer nur als Illusion betrachtet haben, jene, die wirklich fremdenfeindlich sind und nur nach Gründen suchen, um deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund zu verunglimpfen.

Mir tut das weh, denn ich betrachte gerade die Vielfalt unserer aktuellen Fußballnationalmannschaft als einen großartigen Beweis, dass diese Leute falsch liegen.

Sie werden – und das ist mir wichtig – für dieses Foto nicht deshalb kritisiert, weil Sie Türken sind, denn das sind Sie beide nicht. Sie werden kritisiert, weil Sie Deutsche sind und es keinen Grund für einen normalen deutschen Staatsbürger gibt, sich ohne zwingende Notwendigkeit mit dem Präsidenten eines anderen Staates so zu präsentieren, ihn gar „mein Präsident“ zu nennen. Das wäre vergleichbar mit einer Situation, in der ich mich in solcher Pose mit US-Präsident Trump ablichten lassen wollte (wovor Gott mich behüten wolle …)

Es mag Gründe geben, weshalb ein Bürger eines bestimmten Staates sich mit dem Staatsoberhaupt eines anderen Landes fotografieren lässt, aber solche Gründe tragen Sie nicht vor. Sie, Herr Gündoğan, engagieren sich für den Fußballverein des Ortes in der Türkei, aus der Ihre Familie stammt. Das ist aller Ehren wert und hat sicher auch zur Folge, dass jemand, der sich finanziell im Ausland engagiert, auf das Wohlwollen der örtlichen Politik angewiesen ist. Das wäre so ein Grund, sich als prominenter Ausländer mit dem Staatspräsidenten eines anderen Landes zu zeigen – nur tragen Sie genau das nicht vor. Schade.

Ihre Erklärung, Herr Gündoğan, dass mit dem Besuch kein politisches Statement beabsichtigt war, mag für Sie beide sogar zutreffen. Für den, mit dem Sie sich haben fotografieren lassen, war es ein politisches Statement. Er hat damit vor seinem Volk und denen, die hier sowohl mit der deutschen als auch der türkischen Staatsbürgerschaft leben, beweisen wollen, dass ein Türke ein Türke bleibt, selbst wenn er nicht in der Türkei geboren ist und nicht die türkische Staatsbürgerschaft hat. Dem von Ihnen beiden selbst angestrebten Projekt einer Integration haben Sie mit diesem Treffen keinen guten Dienst erwiesen, nicht einmal dann, wenn die Widmung auf dem Trikot nicht so gemeint war oder gar falsch übersetzt wurde.

Zu dem, was in der Öffentlichkeit nach diesem Foto geschehen ist:

Dass die DFB-Spitze und auch der Bundestrainer dazu zunächst geschwiegen haben, dann gesagt haben, es sei erledigt, hat mit Sicherheit gute Gründe. Jegliche Kritik an Ihnen beiden vor der WM wäre nur dann nicht als zerstörerisch betrachtet worden, wenn der Weltmeistertitel mit Glanz und Gloria verteidigt worden wäre. Bei einem weniger guten Ergebnis – und sei es nur ein Unterliegen im Finale gewesen – hätte es dazu geführt, dass dem DFB und dem Bundestrainer der Vorwurf gemacht worden wäre, die Kritik an Ihnen sei schuld daran, dass es mit der Titelverteidigung nichts geworden ist. Ganz von dem zu schweigen, was über die Herren hereingebrochen wäre, wenn vor dem historisch frühen Ausscheiden Kritik an Ihnen wegen des Treffens mit Herrn Erdoğan gestanden hätte. DFB und Trainerteam wären in der Luft zerrissen worden.

Ihr Vortrag vom 22. Juli 2018, Herr Özil, dass Sie sich in der Mannschaft nicht mehr wohlfühlen, weil Sie sich rassistischen Vorwürfen ausgesetzt sehen und deshalb die Konsequenzen ziehen, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Sie behaupten, Sie seien immer dann als Deutscher betrachtet worden, wenn Sie mit der Mannschaft gewonnen hätten und als Migrant, wenn Sie verloren hätten. Wann ist das so gesagt worden? Ich kenne keine einzige Stellungnahme von DFB-Verantwortlichen oder der Sportpresse – aktuell oder früher – in denen Ihnen Ihre türkischen Wurzeln als entscheidend vorgeworfen wurden, wenn ein Spiel verloren wurde.

Mir scheint das eher ein Ablenkungsmanöver zu sein, um den Schwarzen Peter nun dem DFB zuzuschieben.

Das Treffen mit Herrn Erdoğan bereuen Sie nicht, Sie würden es wieder so machen, weil in Ihrer Brust zwei Herzen schlagen, sagen Sie. Wissen Sie was? Die Rassisten reiben sich ob dieser Aussage vergnügt die Hände. Sie sind für Ihre genialen Torvorlagen bekannt, Herr Özil. Hier haben Sie ein Eigentor geschossen. Sie haben denen, die Integration als Illusion von Romantikern beschimpfen, eine Steilvorlage erster Güte serviert, und der Ball zappelt im Netz. Denn Sie bestätigen mit Ihrer Aussage nur deren Vorurteil, gegen das ich mich wehre, seit mir vor über fünfzig Jahren ein rabenschwarzer nigerianischer Arzt in einem Hamburger Krankenhaus den Blinddarm herausoperiert hat und mir damit das Leben gerettet hat.

Sie sagen, Sie haben dies aus Respekt vor dem Land der Herkunft Ihrer Eltern getan. Was ist mit dem Respekt vor dem Land, dessen Staatsbürger Sie sind? Ist Ihnen entfallen, wie übel Herr Erdoğan Ihr Land und die Regierung dieses Landes wiederholt beleidigt hat?

Ihr Einwand, auch die britische Premierministerin oder die Queen hätten sich schließlich auch mit Herrn Erdoğan gezeigt, hilft Ihnen nicht gegen Kritik an diesem Treffen. Denn – wie Sie richtig anmerken – sind Sie kein Politiker. Politiker oder Monarchen, die Staatsoberhäupter sind, haben keine Wahl, als sich mit einem führenden Politiker eines anderen Landes zu zeigen, denn Politiker sind unter anderem dazu da, Beziehungen zu anderen Staaten zu pflegen. Für den Normalbürger – auch wenn er/sie wie Sie ein prominenter Sportler ist, der viel erreicht hat – gilt das nicht. Sie sind dazu nicht gezwungen. Sie haben das freiwillig getan. Als Deutscher, der dem Politiker, mit dem er sich getroffen hat, keinerlei Entgegenkommen schuldet.

Was Ihre Kritik am Umgang mit Lothar Matthäus‘ Treffen mit Herrn Putin und anderen kritikwürdigen Staatenlenkern betrifft: Auch da lenken Sie nur ab. Herr Matthäus ist kein aktueller Nationalspieler, er hat keine Funktion beim DFB, er ist aktuell nicht einmal Trainer einer Fußballmannschaft. Was er dort getan hat, mag er als Privatmann getan haben. Es ist in der Presse durchaus kritisch bemerkt worden. Von der Öffentlichkeit in Gestalt von Politik und Fußballverband nicht, denn er mit beiden derzeit nichts zu tun. Ich halte solche Treffen nicht für angebracht, denn Herr Matthäus schuldet Herrn Putin ebenso wenig Respekt wie Sie Herrn Erdoğan. Herr Matthäus ist kein Russe und Sie kein Türke. Es hat aber ein anderes Gewicht, wenn ein ehemaliger Weltfußballer ohne jegliche aktuelle Funktion der Einladung eines kritikwürdigen Staatspräsidenten zu einer Fußballveranstaltung folgt, als wenn ein aktueller Nationalspieler sich außerhalb einer Fußballveranstaltung mit einem fremden Staatspräsidenten auf Wahlkampftour trifft, und das völlig unabhängig davon, was von der Politik dieses wahlkämpfenden Politikers zu halten ist.

Sie haben sich mit dem Treffen mit Herrn Erdoğan keinen Dienst erwiesen und mit Ihrer Reaktion auf die öffentliche Kritik daran noch weniger.

Ich habe diesen Brief zu schreiben begonnen, als die WM 2018 noch nicht angefangen hatte. Dass unsere deutsche Mannschaft so historisch früh ausgeschieden ist, hat nicht an einzelnen Personen gelegen. Die Mannschaft hat gemeinsam gespielt, sie hat gemeinsam verloren. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand aus einer Familie stammt, die seit undenklichen Zeiten in den Grenzen dieses Landes lebt, ob er zu einer Familie gehört, die seit zwei oder drei Generationen hier lebt oder ob er selbst gerade gestern die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat; ob er helle Haut hat oder dunkle; ob er Christ, Muslim oder Jude ist oder ob er mit höheren Wesen gar nichts anfangen kann. Es ist – mit anderen Worten – völlig egal, ob jemand Migrationshintergrund und/oder eine andere Religion hat, als die welche die Wurzel unserer Kultur ist. Hauptsache, er spielt Fußball und kann diesen Beruf ausfüllen. Punkt.

Deshalb wäre dieser Brief nicht anders ausgefallen, als er jetzt ist. Er wäre auch so ausgefallen, wenn diese Mannschaft einschließlich Ihnen beiden den Titel verteidigt hätte.

Mit freundlichen Grüßen

Gundula Wessel

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