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Die Verborgenen Lande – Martin von Wengland 1 – Heimkehr ins Exil – online

Updated: 17. Oktober 2022

Text korrigiert

Prolog

Man schrieb das Jahr 1195. Sieben Jahre zuvor hatte König Rudolf von Wengland seinen älteren Sohn Martin zur Erziehung an den Hof seines Schwagers Roland von Ibelin gegeben. Roland und seine Gemahlin Gaëlle lebten auf Château Ibelin in Saint-Martin-au-Bois in der Nähe von Chartres im Königreich Frankreich.

In der Familie Ibelin war es üblich, dass die Söhne außer dem Waffenhandwerk ein ziviles Handwerk erlernten. Roland von Ibelin hatte Schmied gelernt und auch seinen Zögling Martin eine Schmiedelehre gegeben. Der Junge hatte begierig aufgesogen, was immer sein Onkel ihn gelehrt hatte – sei es dessen erlerntes Handwerk oder dessen diplomatisches Verhandlungsgeschick, seine Güte, sein Pflichtbewusstsein, das Adelsprivilegien nicht als solche annahm, sondern daraus Pflichten ableitete. Martin hatte verinnerlicht, dass Ritter dazu da waren, andere zu beschützen; dass es Unrecht war, zu plündern. Und da ein Ritter dem Unrecht abschwor, bedeutete dies, dass ein Ritter nicht plündern durfte. Er hatte sich mit dem Zehnt zufriedenzugeben, von dem er sich zu ernähren und seine Gefolgsleute zu entlohnen hatte – einen wahren Zehnt, also zehn Prozent der Erträge, die seine Untertanen erwirtschafteten, nicht mehr und schon gar keine festen Mengen, denn Ernten konnten von Jahr zu Jahr schwanken. Martin hatte sich geschworen, diese Prinzipien spätestens dann auf Wengland zu übertragen, wenn er seinen Vater als König beerbte.

1192 war Martin mit seinen Erziehern ins Heilige Land gezogen, hatte miterlebt, dass sein Onkel einen Waffenstillstand zwischen den Kreuzrittern unter dem Kommando von König Richard von England und dem Sultan Saladin vermittelt hatte; er hatte miterlebt, dass Ali al-Efdal, Saladins Sohn, seinen Vater vergiftet hatte, um an dessen Krone zu kommen, hatte miterlebt, dass sein Onkel und dessen Verwandter Balian von Ibelin von Assassinen angegriffen worden waren. Sein Onkel Roland hatte die Attacke schwer verletzt überlebt, dessen Vater Balian nicht.

Wohl wissend, im Heiligen Land wegen seiner Friedensliebe weder von den Christen noch von den Sarazenen erwünscht zu sein, hatte Roland von Ibelin im Mai 1193 mit seiner Familie, seinem Zögling und seinen Rittern und deren Familien den Heimweg nach Frankreich angetreten. Nach einem Zwischenstopp bei Markgraf Bonifatius von Montferrat hatte die Familie Ibelin auch in Wengland Halt gemacht, wo Roland sich mit der Aufklärung eines Überfalls in Rätien auf den Bischof Bartholomäus von Wachtelberg einen Namen als kluger und diplomatischer Ermittler gemacht hatte. Er hatte die Ehre seiner Schwester, der wenglischen Königin Maria, im Duell gegen Peter von Limmenfels und Aribert von Karlsfeld verteidigt.

Im November 1193 war die Familie Ibelin samt Zögling Martin wieder in Frankreich gewesen. Dort hatte Roland ein alter Erbschaftsstreit eingeholt, den er zwar zunächst zu seinen Gunsten hatte entscheiden können, doch sein Kontrahent Jacques de Valpellier hatte sich an den König gewandt und dort den Vorwurf wiederholt, Roland von Ibelin gewähre Feinden des Königs Zuflucht und paktiere zudem mit Richard von England.

Tatsächlich hatte Roland seinem Freund Robin von Locksley und dessen sarazenischem Begleiter auf deren Heimreise aus dem Heiligen Land Gastfreundschaft geboten, bis Gaëlle – aus dem Haus Anjou stammend – über ihre Familie eine Überfahrt nach England hatte organisieren können. Daran war nichts falsch gewesen, denn heimkehrende Kreuzfahrer galten als Pilger, denen in einem christlichen Land jeder Obdach zu gewähren hatte. Zudem hatte Roland Richards Mutter Eleanor von Aquitanien Geld für das Lösegeld gegeben, das Kaiser Heinrich für die Freilassung des auf dem Heimweg gegen alle Gebote des Papstes gefangen genommenen König Richard von England verlangt hatte. Auch daran war nichts falsch gewesen, denn vor seiner Abreise nach England hatte Richard Löwenherz Roland im Heiligen Land Geld gegeben, um gefangene Engländer bei Sultan Saladin freizukaufen. Dazu war es nicht gekommen, und Roland hatte zugesagt, das Geld zurückzugeben, wenn etwas übrig blieb.

König Philippe II. von Frankreich, der Richards französische Lehen – das Angevinische Reich – einziehen wollte, weil er den König von England mehr fürchtete, als er zugeben wollte, hatte dies jedoch als Verrat betrachtet und Roland zum Tod im Angstloch verurteilt. Das ganze kleine Lehen bei Chartres hatte der König dem Erdboden gleichmachen lassen – sieben Dörfer waren ausradiert worden.

Von den ungefähr siebenhundert Einwohnern der Dörfer hatten etwa zweihundert überlebt, weil Martin und sein Freund Mathieu die Leute in den Kellern der Burgruine zwischen Restignac und Bonville hatten in Sicherheit bringen können. Anschließend hatte Martin seinen Onkel aus dem Angstloch in Chartres befreien können und dabei bewiesen, dass er mit seinen gut vierzehn Jahren ein ebenso mutiger wie geschickter Schwertkämpfer geworden war. Zudem hatte er in Robin einen erstklassigen Lehrmeister in Sachen Bogenschießen gehabt, dem er nur wenig nachstand.

Auf Vermittlung der Bischöfe von Chartres und Paris hatte König Philippe die Todesstrafe gegen Roland in Verbannung der gesamten Familie und ihrer überlebenden Untertanen umgewandelt und sie alle des Landes verwiesen. Martin hatte seinem Onkel, dessen Familie und den Überlebenden des Lehens Saint-Martin-au-Bois Exil in Wengland angeboten – ohne vorherige Rücksprache mit seinem Vater Rudolf, die wegen der Kürze der Frist aber auch nicht möglich gewesen wäre.

Nun, im Sommer 1195, befand sich das ganze überlebende Volk der Dörfer Bonville, Brechignon, Cambery, Chaumur, Monbartier, Restignac und Saint-Martin-au-Bois auf dem Weg von Frankreich nach Wengland.

A A A A A

 

 Heimkehr ins Exil

Exilanten

 

Die Sonne über der Reichsstadt Constantia* am Bodensee beschien in diesen Augusttagen des Jahres 1195 außerhalb der Stadtmauern das Zeltdorf der aus Saint-Martin-au-Bois und den anderen sechs Dörfern des Lehens vertriebenen Ibeliner und ihrer Familien. Gerade noch zwanzig Familien, bestehend aus etwa einhundertzwanzig Menschen, waren es, die es bis hierher geschafft hatten. Der Weg von der Grafschaft Blois war weit gewesen. Nur die Tatsache, dass König Philippe die ganze als Verräter an Frankreich verfemte Lehensgemeinschaft des Landes verwiesen hatte, hatte sie davor bewahrt, ernsthaft angegriffen zu werden. Dennoch war es ein anstrengender Weg voller Schmähungen gewesen.

Für Roland von Ibelin war es das vierte Mal, dass er von dort vertrieben wurde, wo er sich eigentlich hätte geborgen und zu Hause fühlen wollen. Jetzt war er fünfunddreißig Jahre alt. In ihm war völlige Leere. Doch hatte er eine Ehefrau, Gaëlle, und drei noch recht kleine Kinder: Jean-Raymond, Balian und Sophie. Jean-Raymond, der Älteste, war im Juli sechs, Balian im Juni drei Jahre und Nesthäkchen Sophie im Mai ein Jahr alt geworden. Er rechnete es zu den Wundern dieser Zeit, dass seine Söhne und seine Tochter bisher alle Gefahren überlebt hatten, denen ihre Eltern seit ihren Geburten ausgesetzt gewesen waren.

Sein Neffe Martin von Wengland, den er und Gaëlle seit fast sieben Jahren erzogen, war jetzt fast fünfzehn Jahre alt. Er war ein hübscher Junge geworden, der seinem Onkel so ähnlich war, dass er bei Fremden stets als dessen ältester Sohn durchging.

Er war ein Bild von einem jungen Mann: hochgewachsen, schlank, das hellbraune Haar kurz geschnitten. Über der schmalen Oberlippe zeigte sich allererster leichter, dunkler Bartflaum. Gerade dunkle Augenbrauen und schwarze Wimpern mit einer für eine männliche Person unglaublichen Länge schützten sanfte nussbraune Augen vor Sonne und Schweiß. Sein Gesicht war oval, die Wangen präsentierten sich zurückgezogen unter den Wangenknochen, Zeichen für ein Leben in körperlicher Betätigung. Die Schultern waren kräftig, die Hüften schmal, Beine und Arme lang, fast noch ein bisschen zu lang, um die richtigen Proportionen zu haben.

Sein Wappenrock über dem Kettenhemd zeigte die Farben des Hauses Ibelin. Dazu trug der junge Mann eine schwarze Hose und schwarze Stiefel. Ein dunkelbraun gegerbter Schwertgürtel, dessen Löcher mit Rosen aus silberfarbenem Metall verstärkt waren, vervollständigte die Ausrüstung. Das Schwert war gut eineinhalbhändig mit zweischneidiger Klinge und einem achteckigen, durchbrochenen Knauf, dessen Mitte eine goldene Lilie zierte.

Eigentlich waren er und sein bester Freund Mathieu im allerbesten Flegelalter, aber gerade die Fährnisse der letzten Zeit hatten beide Jungen vorzeitig zu verantwortungsbewussten jungen Männern reifen lassen, die keine Flausen im Kopf hatten. Zu sehr war das Häuflein der Soldaten seines Onkels geschmolzen, als dass der auf die Kampftüchtigkeit seines Neffen und des ältesten Sohnes seines Hauptmanns Alain hätte verzichten können.

Martin, dessen Idee es gewesen war, dass Roland und die Seinen in seiner Heimat Wengland um Aufnahme bitten wollten, war nervös – und seine Nervosität nahm mit jeder Meile zu, die sie sich dem Königreich Wengland näherten, das sein Vater Rudolf regierte. Der Junge hatte wachsende Sorge, dass sein Vater den Ibelinern das Gastrecht verwehren könnte, waren sie aus Frankreich doch als Verräter verjagt worden. Er brauchte Gewissheit, ob die Menschen, die er als seine Familie betrachtete, und deren Gefolgsleute in seinem Land tatsächlich willkommen waren.

„Onkel Roland?“, sprach er seinen geliebten Onkel an. Der sah ihn müde an. Es stand ihm geradezu ins Gesicht geschrieben, dass ihn die letzte Zeit körperlich und seelisch unendlich viel Kraft gekostet hatte. Seine sonst so warmen, braunen Augen waren stumpf. Im Moment hielt ihn nur die Verantwortung für seine Familie und die überlebenden Menschen aus den Dörfern seiner Vizegrafschaft aufrecht.

„Ja?“

„Ich … ich glaube, ich sollte meinen Vater fragen, ob …?“, setzte er an.

„Wir sind jetzt so weit gemeinsam gezogen, Martin. Wir schaffen auch die letzten hundert Meilen noch gemeinsam“, erwiderte Roland.

„Nein, das ist es nicht … weißt du, ich … ich habe …“

„… euch eingeladen, ohne meinen Vater zu fragen, ich weiß. Gräm‘ dich deshalb nicht. Es kann nichts Schlimmeres passieren, als dass dein Vater einfach nein sagt. Dann ziehen wir eben weiter“, erwiderte Roland resigniert.

„Weißt du, ich hab‘ mir gedacht, wenn Vater euch nicht aufnehmen will, dann könnten wir vielleicht von hier aus gleich nach Süden ziehen. Von den Leuten in der Stadt habe ich gehört, dass es von hier aus einen guten Weg über den Sankt-Gotthard-Pass nach Italien geben soll. Vielleicht wäre der Markgraf von Montferrat so gütig, uns aufzunehmen …“, schlug Martin vor. Roland rang sich ein Lächeln ab.

„Du machst dir Gedanken, welche anderen Möglichkeiten es noch gibt, mein Junge. Sehr gut. Ich danke dir, dass du es bei deinem Vater versuchen willst. Die Sache hat nur den Haken, dass ich deinem Vater versprochen habe, dich zu beschützen. Ich kann dich also nicht allein losziehen lassen. Auch Alain oder Michel könnten mich in dem Fall nicht ersetzen. Dein Vater wäre wohl erst recht davon überzeugt, dass ich nicht zuverlässig bin. Dem Verdacht möchte ich mich nie wieder aussetzen.“

Martin nickte und wandte sich mit hängendem Kopf ab. Roland hielt ihn zurück.

„Nein, bleib hier“, sagte er sanft. „Martin, als wir losgezogen sind, war dein Angebot unsere Hoffnung. Es war aber allen klar, dass du es ohne Erlaubnis deines Vaters gemacht hast. Wie hättest du sie auch einholen sollen? Niemand wird dir böse sein, wenn dein Vater nicht so großzügig sein sollte wie du. Du musst dich nicht schämen, du musst dir keine Gedanken machen. Sollte dein Vater uns nicht wollen, werden wir eine andere Lösung finden.“

Jetzt war es Martin, der nur ein dünnes Lächeln zustande brachte.

„Was ich an dir so bewundere, Onkel, ist deine Zuversicht, dass es irgendwie weitergehen wird. Selbst in den größten Schwierigkeiten gibst du die Hoffnung nie auf“, sagte er. „Ich wollte, ich wäre wie du.“

Roland stand auf und umarmte ihn.

„Das bist du, sonst wärst du gar nicht erst auf die Idee gekommen, uns Exil in Wengland anzubieten“, sagte er und drückte den Jungen fest an sich. Martin erwiderte die Umarmung.

„Eines Tages … werde ich … König sein. Wenn wir bis dahin keine neue Heimat gefunden haben, werdet ihr spätestens dann nach Wengland kommen können. Das verspreche ich dir“, flüsterte er mit versagender Stimme.

Zwei Tage darauf waren die Zelte auf den Wagen verstaut, der Proviant verpackt und die Wasserfässer verzurrt. Rolands Männer – es mochten noch dreißig seiner ehemals hundert Ritter und Reisigen* sein – teilten sich wie seit dem Aufbruch von Saint-Martin-au-Bois in zwei Gruppen, von denen eine an der Spitze des Zuges ritt und die andere die Nachhut bildete. Der Tross wandte sich nach Süden, um am südwestlichen Ufer des Bodensees in Richtung Rheintal nach Sankt Gallen weiterzuziehen.

Doch schon zwei Meilen nach ihrem Aufbruch stellten sich ihnen bei einem Ort namens Rickenbach* zornige Bauern in den Weg, die mit Dreschflegeln, Sensen und Spießen bewaffnet waren. Sie brüllten die Ibeliner in einer Sprache an, die die Vertriebenen nicht verstanden.

„Martin, was sagen diese Leute?“, fragte Roland, der sich zwar Mühe gegeben hatte, die Muttersprache seines Neffen zu lernen, aber angesichts dieser ihm unverständlichen Töne der Meinung war, sie noch lange nicht so weit zu beherrschen, wie es ihm nötig schien.

„Sie sprechen einen schwer verständlichen Dialekt, Onkel“, erwiderte der Junge. „Aber ich höre heraus, dass sie uns hier nicht durchlassen wollen. Scheint, als hätten sie Sorge um ihre Vorräte.“

„Wir haben nicht die Absicht, Euch etwas wegzunehmen. Wir wollen weiter nach Sankt Gallen!“, erwiderte Roland auf Deutsch, in das sich unüberhörbarer französischer Akzent mischte. Die Bauern schwangen ihre tödlichen Spieße und drangen auf die Ibeliner ein.

„Zurück!“, wies Roland seine Männer an. „Wir wollen hier keinen Streit!“

Er selbst und die vordersten Reiter richteten ihre Pferde rückwärts. Die Bauern fühlten sich dadurch offenbar ermutigt, weiter vorzugehen und noch lauter zu brüllen. Georg kam nach vorne. Er war ein ehemaliger Tempelritter, der sich Roland etwa zehn Jahre zuvor im Heiligen Land angeschlossen hatte und einer seiner treuesten Gefolgsleute war. Der junge Ritter, der mit vollem Namen Georg von Bärenfels hieß, stammte aus den südlichen deutschen Landen am oberen Rhein.

„Was ist los?“, fragte er.

„Hier sind ein paar zornige Bauern, die meinen, wir wollten ihnen ihre paar Äpfel wegnehmen. Sie bedrohen uns mit Spießen und allem möglichen, womit man Menschen ums Leben bringen kann. Ich will hier keinen Streit. Mir reicht, dass uns der König von Frankreich nicht mehr haben will“, erklärte Roland.

„Lass mich das machen, Roland“, erwiderte Georg und ritt ein Stück vor.

„Was wollt Ihr?“, fragte er die Bauern in dem gleichen Dialekt, in dem sie die Ibeliner anbrüllten.

„Was wollt Ihr hier?“, fragte der führende Mann.

„Wir sind auf dem Weg nach Sankt Gallen. Wir haben genügend Proviant bei uns und wollen euch nichts wegnehmen“, erwiderte Georg.

„Die letzten die hier durchkamen, haben das auch gesagt. Als wir sie passieren ließen, griffen sie uns an. Zehn von uns sind tot, fünf können noch immer nicht auf dem Feld arbeiten. Die hatten eine ganz ähnliche Fahne wie Ihr, nur weiß, statt gelb. Einige hatten auch eine oben schwarze und unten weiße Fahne. Wir haben genug von wortbrüchigem Kriegsvolk!“

„Das waren Tempelritter. Wir sind Ibeliner. Die Tempelritter sind auch unsere Feinde“, entgegnete Georg. Der führende Bauer schüttelte den Kopf.

„Ist mir egal, mit wem Ihr Feind oder Freund seid. Kriegsvolk kommt uns nicht mehr durch diesen hohlen Weg! Wir werden ihn mit unserem Leben verteidigen!“, grollte der Bauernführer.

Roland kam nach vorn geritten, die Bauern nahmen eine noch drohendere Haltung ein.

„Sie sind von Templern überfallen worden“, erklärte Georg. „Sie glauben nicht, dass wir uns besser benehmen werden.“

„Sag ihnen, dass wir uns den Durchgang nicht erzwingen werden, weil wir ihre Gründe respektieren. Sag ihnen auch, dass sie das nicht als Zeichen von Feigheit missverstehen sollen. Sollten sie uns angreifen oder auch nur weiter beschimpfen, wenn wir uns zurückziehen, werden wir das nicht hinnehmen. Sag ihnen das, bitte“, entschied der vertriebene Vizegraf auf Französisch. Georg nickte und übersetzte, was Roland ihm gesagt hatte.

„Sag deinem Herrn, dass wir uns ebenfalls zurückziehen werden. Wir wollen nur unsere Ruhe und Frieden“, erklärte der Bauernführer.

„Den sollt ihr haben. Friede sei mit Euch“, verabschiedete sich Georg.

Auf der anderen Seite der Reichsstadt Constantia hatten die Ibeliner mehr Glück. Dort gab es eine Fähre über den Arm des Bodensees, der Überlinger See genannt wird, nach Meersburg auf dem nordöstlichen Ufer des Sees. Meist am Ufer entlang, teilweise etwas weiter im Hinterland zogen sie weiter und kamen am späten Nachmittag in einen kleinen Ort namens Buchhorn*. Die Einwohner fürchteten fremdes Kriegsvolk ebenso wie die Bauern auf der anderen Seeseite bei Rickenbach, doch bat man sie hier etwas höflicher, noch einige Meilen weiter bis zur Burg Tettnang zu ziehen, wo der dortige Graf wohl bessere Möglichkeiten hatte, den gut zweihundert Personen ein Lager zu erlauben. Bis dort waren es noch sechs Meilen durch Wald und Felder, wobei der Weg vom See fort hinauf in das oberschwäbische Land führte.

Der von den gerüsteten Rittern unter dem Ibeliner Banner begleitete Tross war von der Burg Tettnang nicht zu übersehen. Der Kastellan, der die Burg Tettnang für seinen südlich des Sees in der Nähe des Rheins in Feldkirch residierenden Herrn, Hugo von Montfort, verwaltete, sandte eine größere Truppe aus, die die Ibeliner in respektvoller Entfernung zur Burg stoppten.

„Halt!“, wies der Anführer der Tettnanger Ritter die Reisenden aus Frankreich an. Roland ließ halten und näherte sich mit Martin und Georg dem Mann im weißen Waffenrock, auf dessen Brust ein schwarzgeränderter weißer Wappenschild mit einer dreilätzigen roten Kirchenfahne prangte.

„Wir kommen in friedlicher Absicht. Mein Herr, der Ritter Roland von Ibelin, und die Seinen sind auf dem Weg nach Steinburg im Königreich Wengland. Wir begleiten den Edelknappen Martin von Wengland nach Hause, der am Hofe meines Herrn zum Ritter erzogen wurde“, erklärte Georg auf Deutsch. Der Anführer der Tettnanger sah über die den vorderen Reitern folgenden Wagen.

„Euer Herr reist ja mit einem ansehnlichen Gefolge …“, bemerkte er.

„Es gilt, einen leibhaftigen Prinzen heimzugeleiten, Herr Ritter“, erwiderte Georg mit sanftem Lächeln.

„Nun gut, wenn Ihr in Frieden kommt, so sei es Euch erlaubt, dem Burggrafen von Tettnang Eure Aufwartung zu machen. Er wird darüber entscheiden, ob Ihr hier lagern dürft. Folgt mir!“, wies der Anführer der Tettnanger die Ibeliner an. Georg übersetzte für Roland und seine nur französisch oder arabisch sprechenden Kameraden. Roland gab dem Tross einen Wink, der Wagenzug setzte sich wieder in Bewegung. Die Tettnanger lotsten den Treck zu einem Hügel außerhalb des Ortes.

„Das hier ist der Lindenbuckel“, sagte der Anführer. „Stellt Eure Wagen einstweilen an dessen Fuß auf. Euer Herr und seine wichtigsten Begleiter kommen mit uns zum Kastellan der Burg Tettnang!“

Georg übersetzte für Roland, der seine Männer anwies, die Wagen zu einem Kreis zusammenzufahren, aber die Zugtiere noch eingeschirrt zu lassen, bis ihnen die endgültige Erlaubnis zu lagern gegeben war. Alain, Michel und Pierre blieben mit ihren Männern bei den Wagen, Roland, Martin und Georg mit seinen fünf Leuten folgten dem Anführer der Tettnanger Reisigen zur Burg.

In der Burg empfing der Kastellan die Franzosen.

„Wer seid Ihr, welche Absichten habt Ihr, wohin wollt Ihr?“, fragte der.

„Ich bin Georg von Bärenfels, Sohn des Freiherrn Bernhard von Bärenfels“, stellte sich Georg vor. „Vor etlichen Jahren schloss ich mich Kreuzfahrern an und traf im Heiligen Land auf den Baron von Ibelin. Sein unbedingter Wille zu einem Frieden, der allen gerecht wurde, die im Heiligen Land lebten, seine Treue zu König Balduin von Jerusalem und seine Tapferkeit im Kampf gegen Heiden und Verräter an diesem Frieden haben ihn berühmt gemacht. Ihm ist es zu verdanken, dass die Menschen Jerusalems nach der Eroberung durch Saladins Truppen nicht niedergemacht und versklavt wurden, sondern die Stadt lebend und gesund verlassen konnten. Als er das Heilige Land wie viele andere verlassen musste, habe ich mich ihm angeschlossen und ihm in seiner Eigenschaft als Vizegraf von Saint-Martin-au-Bois in der Grafschaft Blois in Frankreich gedient. Seine Schwester ist als Gemahlin des Königs Rudolf von Wengland die Königin dieses Reiches in Eurer – etwas weiteren – Nachbarschaft. König Rudolf bat meinen Herrn darum, seinen ältesten Sohn Martin zu erziehen und zum Ritter auszubilden. Diese Ausbildung ist nun beendet. Mein Herr, seine Familie und seine Gefolgsleute begleiten den Prinzen Martin heim nach Steinburg im Königreich Wengland, damit sein Vater ihm den Ritterschlag erteile“, erklärte er.

„Das ist aller Ehren wert. Weshalb habt Ihr nicht einen Boten gesandt, damit Ihr mit entsprechenden Ehren empfangen werdet?“, erkundigte sich der Kastellan. Georg übersetzte für Roland. Der hatte durchaus verstanden, was der Kastellan gesagt hatte. Offensichtlich hatten die Bauern auf der südwestlichen Seite des Sees einen fürchterlichen Dialekt, der nur schwer als eine der deutschen Sprachen erkennbar war – jedenfalls für einen Franzosen. Gegenüber dem Kastellan schien es ihm besser, im Moment nicht erkennen zu lassen, dass er die Sprache der Gegend sehr wohl beherrschte.

„Sag ihm, dass uns nicht bekannt war, ob der König von Wengland hier Freunde oder Feinde hat und wir deshalb lieber ohne Ankündigung reisen“, erwiderte der. Das war nur halb geschwindelt, aber sein ritterliches Gewissen plagte ihn dennoch prompt. Andererseits … er hatte zwar geschworen, die Wahrheit zu sagen, unabhängig davon, was das für ihn selbst bedeuten würde – aber er hatte keineswegs geschworen, andere mit in ein solches Unglück hineinzuziehen …

Georg übersetzte für den Kastellan, der zufrieden nickte.

„Frankreich ist weit. Ich kann verstehen, dass Ihr nicht genau wisst, was Euch hier erwartet hat. Natürlich dürft Ihr am Lindenbuckel bleiben. Ich werde Euch eine Empfehlung für meinen Herrn, den Grafen von Montfort in Feldkirch, mitgeben. Von dort kommt ihr rasch hinauf nach Wengland. In der Grafschaft Bregenz, zu der diese Lande hier schon gehören, werdet Ihr nicht mehr aufgehalten werden.“

Der Empfehlungsbrief des Tettnanger Kastellans bewirkte, dass die Ibeliner auf ihrem weiteren Weg über Lindau, Bregenz und Dornbirn nach Feldkirch stets freundlich empfangen wurden und ohne Probleme Proviant bekamen. Die Leute, die den Proviant lieferten, waren umso verblüffter, dass die französischen Reisenden darauf bestanden, alles zu bezahlen, was sie erhielten.

„Herr, ich will nichts heraufbeschwören, aber … das Recht des Gastes …“, setzte einer  der Bauern an, die ihnen von ihren Früchten gaben.

„Wo wir herkommen, ist es üblich, zu bezahlen, was man bekommt“, lächelte Roland, der die ihm fremde Sprache zunehmend besser verstand.

„Gott segne Euch, Herr!“, strahlte der Bauer. „Bitte … wie nennt man Euch?“

„Ich bin Roland von Ibelin.“

„Ihr werdet uns stets willkommen sein, Herr von Ibelin“, strahlte der Bauer.

Am Tag darauf gelangten die französischen Asylsuchenden an die Grenze Wenglands. Grenzwächter von der Burg Palparuva hielten sie auf.

„Halt! Wer seid Ihr?“, fragte der führende Ritter. Martin trieb sein Pferd nach vorn.

„Ich bin Martin von Wengland, König Rudolfs ältester Sohn“, stellte er sich vor. „Das hier sind Roland von Ibelin, seine edle Gemahlin Gaëlle und sein Gefolge, die mich heimbringen, nachdem ich bei ihnen in Frankreich erzogen wurde.“

„Prinz Martin! Willkommen daheim!“, grüßte der Mann. „Ich bin Wilfried von Eberstein, Burggraf von Palparuva. Kommt, wir haben noch mehr Gäste“, lud er ein.

Burg Palparuva war eine ausnehmend große Burg, für die außer dem engeren Burgbereich noch etwa eine Quadratmeile des Bergrückens befestigt worden war. Innerhalb dieses großzügig befestigten Ringes waren diverse große Häuser errichtet worden, die offensichtlich noch nicht sehr alt waren. Die Ibeliner, die Roland und Gaëlle beim ersten Besuch begleitet hatten, sahen sich verblüfft an. Hier war einiges geschehen, seit sie zwei Jahre zuvor hier zuletzt gewesen waren.

Über einem der Häuser wehte ein von weiß und rot geteiltes Banner, in dessen rotem Streifen eine goldene Lilie und im weißen Streifen eine blaue Lilie war – das Banner des Herzogtums Scharfenburg.

„Herr Wilfried – ist Herzog Ludwig bei Euch zu Gast?“, erkundigte sich Martin.

„Ja, mein Prinz – und nicht nur der Herzog, auch seine beiden Söhne und seine Tochter.“

„Was tun sie in Wengland?“

„Der Herzog war beim Turnier in Breitenstein. Sein älterer Sohn Heinrich hat das Turnier gewonnen.“

Im Stall der Burg, die Roland und Gaëlle noch von ihrem ersten Besuch acht Jahre zuvor in eher unangenehmer Erinnerung hatten, standen außer den Pferden der Burgbesatzung auch die Tiere der herzoglichen Familie Scharfenburgs. Der Burggraf wirkte etwas verlegen, als er dem Sohn seines Königs erklären musste, dass deren Pferde mit denen der Reisigen Scharfenburgs auf der Weide unterhalb der eigentlichen Burg bleiben mussten.

„Das macht nichts. Unsere Pferde sind es gewohnt, draußen zu sein“, erwiderte Martin. Dem Burggrafen fiel ein mittelschwerer Stein vom Herzen, hatte er doch mit Ärger gerechnet, wenn er verlangen musste, dass auch die Pferde des Prinzen und seiner Erzieher auf der Weide blieben. Zum Ausgleich bat er den Vizegrafen von Saint-Martin-au-Bois, seine Gemahlin und deren Zögling zu einem gemeinsamen Mahl mit den herzoglichen Gästen aus Scharfenburg.

Herzog Ludwig war ein Mann mittleren Alters, dessen einst­mals dunkles Haar grau geworden war. Seine dunklen Augen verrieten Ernst, aber auch Güte. Sein älterer Sohn Heinrich hatte hellbraune Locken und blaugraue Augen, die er von seiner Mutter Helene geerbt hatte. Heinrich war jetzt neunzehn Jahre alt und ein stattlicher junger Ritter. Simon war drei Jahre jünger als sein Bruder, hatte ebenfalls das hellbraune Haar und auch die blaugrauen Augen der Herzogin. Er war noch in Knappentracht, trug die Farben des Hauses Stolzenfels, jedoch ohne Lilien. Regina, die Tochter des Herzogs, galt als schönste Blüte des Herzogtums Scharfenburg und würde im Oktober vierzehn Jahre alt werden. Ihr wahrhaft engelhaftes Gesicht zog Martins Blick geradezu magisch an. Sanft geschwungene Lippen, die keine Schminke nötig hatten, zarte, nur leicht gebogene, dunkle Augenbrauen, blaugraue Augen mit langen, dunklen Wimpern … Sie hätte ein fantastisches Modell für eine Marienstatue abgegeben, fand Martin – insbesondere, weil sie eine himmelblaue Tunika mit goldener Borte an Hals- und Ärmelausschnitt über einem weißen Gewand mit ausgestellten Ärmeln trug, die an den Kanten ebenfalls mit goldener Borte geschützt waren. Ihr langes, dunkles Haar verdeckte ein zarter hellblauer Schleier mit goldener Borte, der von einem dunkelblauen, samtenen Jungfernkranz gehalten wurde.

Der Prinz erwischte sich bei einem leisen Seufzen. Bis jetzt hatten Mädchen ihn nicht interessiert. Mathieus jüngere Schwestern waren Spielkameradinnen gewesen, nichts weiter. Aber dieser wunderschöne Engel Scharfenburgs schlug eine Saite in seinem Inneren an, deren Klang er noch nie vernommen hatte.

Sie erwiderte seinen Blick und lächelte sacht. Auch die junge Prinzessin konnte den Blick von der zwar eher einfach, aber unverkennbar nobel gekleideten Gestalt des wenglischen Thronfolgers kaum abwenden. Die von sandgelb und dunkelrot gespaltene Knappentracht seines Onkels stand ihm hervorragend und saß wie angegossen. Die nussbraunen Augen und die mehr als nur ähnlichen Gesichtszüge von Roland und Martin ließen das Mädchen im ersten Moment glauben, Martin sei Rolands Sohn, doch sein hellbraunes Haar passte weder zu dem erwachsenen Mann neben ihm noch zu dessen Gemahlin.

„Ich bin glücklich, heute auf Burg Palparuva so bedeutende Gäste empfangen zu dürfen“, eröffnete Wilfried von Eberstein die Tafel. „Eure Hoheit, Herzog Ludwig von Scharfenburg, erlaubt mir, Euch den Vizegrafen von Saint-Martin-au-Bois, Roland von Ibelin, und seine Gemahlin Gaëlle von Ibelin vorzustellen. Sie hatten die Ehre, unseren Thronfolger Martin zu erziehen, den sie nun heim nach Steinburg begleiten. Eure Königliche Hoheit, Prinz Martin, hier sind meine weiteren Gäste: Herzog Ludwig von Scharfenburg, Prinz Heinrich von Scharfenburg und Prinz Simon von Scharfenburg sowie die bezaubernde Tochter unseres Nachbarreiches, Prinzessin Regina“, stellte Wilfried die Gäste einander vor.

„Vielen Dank, Herr Wilfried. Im Namen meines Vaters, König Rudolf, heiße ich Euch, Ludwig, Herzog von Scharfenburg und Eure Familie herzlich willkommen in Wengland“, erwiderte Martin. Es war unüberhörbar, dass sein Deutsch eine leichte französische Färbung hatte, was Heinrich und Simon zu spöttischen Bemerkungen veranlasste.

„Heinrich, Simon: Ihr hattet das Glück, eure Knappenzeit an meinem Hof zu verbringen. Martin wurde in Frankreich erzogen, hat viele Jahre im Ausland verbracht und seit langem nicht mehr deutsch gesprochen. Es ist völlig überflüssig, dass ihr euch darüber lustig macht!“, fuhr Ludwig seine Söhne an, die betreten schwiegen.

„Ich bitte um Verzeihung, Königliche Hoheit“, bat er den Prinzen dann um Entschuldigung. Martin lächelte freundlich.

„Das macht nichts, Herzog Ludwig. Ich habe das Glück gehabt, in Frankreich und im Heiligen Land neue Sprachen zu lernen und Menschen kennen zu lernen, deren Bekanntschaft ich nicht gemacht hätte, hätte mein Vater mich nicht zur Erziehung zu meinem lieben Onkel Roland und meiner geliebten Tante Gaëlle gesandt“, erwiderte er. „Herr Heinrich, Herr Simon, ich kann Euch einen Aufenthalt außerhalb Scharfenburgs nur empfehlen“, setzte er hinzu. Reginas Lächeln verstärkte sich und wurde richtig strahlend, als Martin ihr schweigend, aber sanft lächelnd zunickte. Auf ihren Wangen bildeten sich niedliche Grübchen, die den Prinzen beinahe vergessen ließen, dass er noch nicht zu Hause in Steinburg war.

„Ihr habt eine wunderschöne Tochter, Herzog Ludwig“, wandte er sich an den Vater, als er sich wieder in der Gewalt hatte. Ludwig sah seine Tochter liebevoll und vaterstolz an.

„Ja, das habe ich, edler Prinz. Werdet Ihr jetzt in Wengland bleiben oder kehrt Ihr mit Euren Verwandten nach Frankreich zurück?“

„Wir werden wohl bleiben“, sagte Martin.

„Wir?“, fragte Heinrich nach.

„Mein Onkel erwägt, nach Wengland zu übersiedeln.“

„Dann werden wir uns demnächst auf einem der Turniere begegnen?“, hakte Simon nach.

„Das könnte sein.“

„Ich freue mich darauf, Euch aus dem Sattel zu heben.“

„Wir werden sehen“, erwiderte Martin. „Eigentlich schlage ich mich nicht um der Prügelei willen. In den letzten Jahren habe ich vielleicht schon zu oft um mein Leben gekämpft, als dass ich mich zum Vergnügen schlage. Doch sollte mein Vater wünschen, dass ich an Turnieren teilnehme, werde ich das tun.“

Simon konnte ein spöttisches Lachen nicht unterdrücken.

„Hahaha, wenn sein Vater es wünscht …!“, prustete er. Ludwig verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.

„Statt über Prinz Martin zu spotten, solltest du dir ein Beispiel an ihm nehmen!“, fuhr der Herzog seinen jüngeren Sohn an.

„Ja, Vater“, zog sich Simon reumütig zurück.

A A A

 

Neue Heimat

Am folgenden Morgen zogen die Ibeliner nach Steinburg weiter. Drei Tage später erreichten sie Steinburg, die Hauptstadt Wenglands. Martin bat darum, außerhalb der Stadtmauer anzuhalten. Er sandte einen der Wächter am Tor zur Burg und bat durch diesen um eine Audienz beim König für sich selbst und seine Erzieher. Es dauerte nicht lange, bis der Wächter zurückkehrte und mitteilte, dass die Ibeliner in die Stadt kommen durften.

König Rudolf empfing Martin, Roland und Gaëlle im Thronsaal der Burg.

„Willkommen in Steinburg!“, sagte er und umarmte seinen Sohn. „Du bist groß geworden! Graf Roland, es ist mir eine Ehre, Euch wieder in Steinburg empfangen zu dürfen“, wandte sich der König an Roland, den er gleichfalls freundlich umarmte.

„Ich danke für den freundlichen Empfang“, erwiderte Roland auf Deutsch, wenngleich mit erkennbarem Akzent.

„Ich freue mich, dass ihr hier seid. Ich hoffe, ihr bleibt ein bisschen länger hier“, sagte Rudolf.

„Das ist sehr freundlich. Danke für die Einladung“, erwiderte Roland.

„Wo … wo ist Mutter, Vater?“, fragte Martin mit belegter Stimme, dem auffiel, dass zum einen seine Mutter noch nicht da war, obwohl seine Ankunft angemeldet gewesen war – und dass zum anderen im Thronsaal nur ein Thron stand und nicht mehr zwei. König Rudolf drückte seinen Sohn noch fester an sich.

„Mein Sohn, deine Mutter … ist im Winter gestorben. Sie hatte eine schreckliche Erkältung, die sie dahingerafft hat.“

„Nein!“, stieß Martin hervor. „Nein!“

Er brach in heiße Tränen aus. Gaëlle war es, die ihm jetzt Halt gab.

„Ich wollte sie wiedersehen!“, schluchzte er. „Ich hab‘ mir das so gewünscht! Das ist so ungerecht!“

Rudolf legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter.

„Ich wollte dir schreiben und dir mitteilen, dass es nicht gut um sie stand, aber sie wollte es nicht. Sie wollte sich etwas erholen, aber dazu kam es nicht mehr. Es tut mir Leid, mein Sohn. Sie wollte dich auch wiedersehen, aber Gott hat es nicht gewollt“, sagte er leise. Er wandte sich an Roland:

„Sie hat auch dich sehr vermisst, Roland. Schon deshalb hätte ich euch alle gern früher hier gehabt. Ihr seid mir jederzeit willkommen, liebster Schwager.“

„Danke“, sagte Roland mit recht gequält wirkendem Lächeln. Und auch das verlosch rasch wieder.

„Was ist?“, fragte der König.

„Majestät …“, setzte Roland an, aber Rudolf unterbrach ihn.

„Roland, du bist der Bruder meiner geliebten Frau. Sag einfach Rudolf.“

Der Franzose nickte.

„Rudolf … ich bin kein Graf mehr.“

„Was?“

„Ich habe … mein … mein … wie sagt man …, Martin?“, stotterte Roland, der in seiner Beklemmung über den Verlust seiner Heimat und so vieler Menschenleben die Vokabeln der ihm fremden Sprache seines Schwagers nicht mehr finden konnte.

„Der König von Frankreich hat Onkel Roland sein Lehen weggenommen und uns alle fortgejagt“, erklärte Martin.

„Und wieso?“, fragte Rudolf erschrocken.

„Onkel Roland hat Besuch von zwei Freunden aus dem Heiligen Land bekommen, die einige Zeit bei uns geblieben sind. Sie waren aus dem Kerker in Jerusalem aus muslimischer Gefangenschaft geflohen. Weil es Engländer waren und der König von Frankreich sich mit dem König von England erzürnt hat, hat er Onkel Roland Verrat vorgeworfen. Aber das ist nicht wahr. Vater, ich bitte dich, uns Ibelinern hier eine neue Heimat zu geben.“

Uns Ibelinern?“, fragte Rudolf verblüfft. „Bist du denn ein Ibeliner? Und kein Wengländer?“

„Vater … ich habe fast mein halbes Leben bei Onkel Roland und Tante Gaëlle verbracht. Ich habe unter dem Banner Ibelins für meinen Onkel gekämpft, und ich habe es gerne getan. Ich liebe sie beide, als wären sie meine Eltern. Ja, ich bin ein Ibeliner – aber ich bin auch Wengländer.“

Rudolf schmunzelte.

„Ist das so, Herr Roland?“, fragte er. Martin hatte eher langsam gesprochen, damit Roland ihn auch verstand.

„Ja.“

Der König nickte.

„Wengland ist ein gastliches Land. Dem Bruder meiner geliebten Königin weise ich nicht die Tür. Ihr seid hier willkommen“, sagte er. „Bleibt einstweilen hier in Steinburg. Ich stelle euch mein Jagdhaus im Siebensteinforst zur Verfügung. Es ist eine große Anlage, die hoffentlich allen, die mit euch gekommen sind, Platz bietet. Ich werde umgehend prüfen, ob es ein Lehen gibt, das ich dir geben kann, Roland.“

„Danke, mein … König.“

„Vater?“

„Ja?“

„Darf ich bei Tante Gaëlle und Onkel Roland bleiben?“

Rudolf sah seinen Sohn eine Weile an. Er war eigentlich froh, ihn wieder in Wengland zu haben. Es war auch unübersehbar, dass Martin das Ebenbild seiner Mutter war. Und genau das war es, was bei Rudolf die Entscheidung fallen ließ, Martin bei seinen Verwandten zu lassen. Er hätte es nicht ertragen, durch diese Ähnlichkeit täglich daran erinnert zu werden, wie sehr er Marie geliebt hatte, welche unendliche Leere ihr Tod hinterlassen hatte.

„Ja, mein Junge. Bleibe bei deinen Liebsten“, sagte er unter Tränen. Als er sich nach einer Weile wieder von seinem Sohn löste, sagte er:

„Roland, du und Gaëlle, ihr habt meinen ältesten Sohn erzogen. Ich möchte euch auch euer Patenkind Michael zur Erziehung anvertrauen. Er … er kommt mit dem Tod seiner Mutter gar nicht zurecht.“

„Das kann ich gut verstehen“, sagte Gaëlle. „Er müsste jetzt bald sieben Jahre werden, oder?“

„Richtig. Ich lasse ihn holen.“

Wenig später war Michael im Thronsaal. Unsicher sah der Junge auf die ihm fremden Leute. Roland und Gaëlle sahen sich an. Das war ein zweiter Martin! Michael sah seinem Bruder im gleichen Alter überaus ähnlich.

Roland ging in die Hocke.

„Guten Tag, Michael. Erinnerst du dich noch an uns? An Tante Gaëlle und mich?“, fragte er. Der Junge sah sie verblüfft an. Ganz weit hinten in seinem Kopf meldete sich eine verschwommene Erinnerung. Da war doch was gewesen … Schließlich erinnerte er sich doch noch an den Besuch der Verwandten zwei Jahre zuvor und nickte. Er sah den hochgewachsenen Martin an.

„Bist du Martin?“, fragte er vorsichtig. So groß hatte er seinen Bruder nicht in Erinnerung.

„Ja, der bin ich“, erwiderte der Ältere. Der Kleine ging auf ihn zu. Martin nahm ihn einfach auf den Arm.

„Ich hab‘ dich vermisst“, sagte er. Es war die Wahrheit, auch wenn ihm das erst in diesem Augenblick bewusst wurde.

„Wo warst du?“, fragte Michael.

„Ich war bei Tante Gaëlle und Onkel Roland. Sie haben mir alles beigebracht, was ein Ritter wissen muss. Aber sie waren auch wie Mutter und Vater für mich. Das werden sie auch für dich sein.“

„Darf ich mitkommen?“, fragte der Kleine. Es klang richtig begeistert.

„Ja“, sagte Martin und gab seinem kleinen Bruder einen Kuss.

Das Jagdhaus im Siebensteinforst Haus zu nennen, war eigentlich eine Untertreibung. Es war eine Anlage, die dem Herrenhaus von Ibelin in gewisser Weise ähnelte. Es war nach europäischen Maßstäben ein Vierseithof, also eine Hofanlage, die an allen vier Seiten von Häusern umgeben war. Der Hof lag auf einem kleinen Hügel, dessen Westseite leicht abfiel; hier befand sich auch die Herrenwohnung. Im Süden war die Toranlage, in der auch einige Zimmer eingebaut waren, im Osten befand sich ein größeres Haus mit zwei Stockwerken und zwei kompletten, großen Wohnungen, nach Norden war das vierte Haus, das hier – anders als in Ibelin – über die ganze Länge der Hofanlage reichte. Unten in diesem Nordhaus war der Stall, darüber zwei kleinere Wohnungen.

Insofern war das Haus zwar groß, aber für das ganze Volk von über hundert Personen reichte es einfach nicht aus. Gaëlle und Roland nahmen ins Haus, was ging. Letztlich waren es außer dem Ehepaar Ibelin hauptsächlich die Frauen, Mädchen und kleinen Jungen, die im Haus wohnten. Die Männer und die größeren Jungen bewohnten ein Zeltdorf rund um das Jagdhaus. Unter den größeren Jungen waren auch Martin, Michael und Rolands ältester Sohn Jean-Raymond der schlicht erklärte, dass er da wohnen wollte, wo sein großer Bruder Martin wohnte. Bis zum Winter wollten die Männer und Jungen Holzhütten fertig haben, damit sie auch während des Winters geschützte Wohnplätze haben würden.

Michaels siebenter Geburtstag, der 29. September, war ein Freitag. Weil der Freitag in der christlichen Tradition als Trauer-, wenigstens aber als Fasttag galt, wurde die Feier auf den folgenden Sonntag, den 1. Oktober, verschoben. Roland hatte mit dem zuständigen Pfarrer verabredet, dass es eine Freiluftmesse nur wenige Dutzend Klafter* vor dem Jagdhaus auf der Weide sein sollte. Den Altar hatten die Männer aus Feldsteinen errichtet und mit dem Tischschmuck der kleinen Kapelle versehen, die kaum hundert Klafter weiter im Wald lag.

Unter den Kreuzfahrern waren solche Freiluftmessen üblich gewesen, jedenfalls solange sie auf dem Weg nach Jerusalem oder heim nach Europa waren. Auch Roland und die Seinen hatten auf ihrem Weg von Frankreich nur auf diese Weise Messen feiern können. Während des Gottesdienstes wurde dem ehemaligen Vizegrafen von Saint-Martin-au-Bois dies erst richtig bewusst. Aber Steinburg sollte sein neues Heim werden … War es da überhaupt angebracht, immer noch unter freiem Himmel die Messe zu feiern? Er beschloss, sich darüber am folgenden Tag Gedanken zu machen.

Es wurde ein so großes Freiluftfest, bei dem den ganzen Tag nach der Messe im Freien fröhlich gefeiert wurde, wie es kaum jemand unter den Ibelinern und den Forstknechten jemals erlebt hatte.

„Ihr spielt gar seltsame Musik!“, bemerkte Karl, einer der einheimischen Forstknechte, zu Pierre. Der junge Ritter grinste. Er hatte während der Zeit, in der er zusammen mit Georg von Bärenfels die Vizegrafschaft für Roland verwaltet hatte, Deutsch gelernt.

„So beruhigt man im Heiligen Land panische Schafherden. Das ist eine israelitische Hirtenflöte“, erwiderte er und zeigte dem Forstknecht seine Flöte.

„Wie? Die ist aus … Ihr seid dort gewesen, Herr?“, stotterte Karl. Pierres Grinsen verbreiterte sich.

„Nicht nur dort gewesen, ich bin dort geboren. Ich stamme aus Samaria, wo unser Herr Jesus einst eine Samariterin um Wasser bat.“

Karl sah Pierre an, als wäre ihm ein Heiligenschein gewachsen.

„Dieses Land ist keine fromme Legende? Das gibt es wirklich?“

„Ja, ich bezeuge es gern.“

Karl sank auf die Knie. Die Forstknechte strömten in Windeseile zusammen, um den im Heiligen Land geborenen Ritter gebührend zu bewundern.

„Moment!“, wehrte Pierre ab. „Moment, bevor ihr mich gleich anbetet“, bremste er. „Gaëlle, geliebte Herrin, wärt Ihr wohl so freundlich …?“, rief er und winkte Gaëlle.

„Ja, Pierre?“

„Bitte, Herrin, kommt her!“

Sie kam näher, neugierig, was ihr treuer Pierre wollte.

„Seht her, meine Freunde aus dem schönen Wengland: Nicht nur ich komme aus dem Heiligen Land. Wir alle, die wir unter dem Banner Ibelins hergekommen sind, waren im Heiligen Land. Doch so wie ich selbst dort geboren bin, so ist auch meine geliebte Herrin Gaëlle, die Gemahlin meines geliebten Herrn Roland, ist – wie auch er selbst – im Heiligen Land geboren. Sie ist gar in Jerusalem selbst geboren. Auch unser kleiner Prinz, Balian, ist in Jerusalem zur Welt gekommen. Mein guter Freund Alain wurde in Ibelin geboren. Das liegt zwischen Jaffa und Jerusalem; ebenso seine Kinder Mathieu, Agnes und Amelie. Auch mein Freund Michel stammt von dort – ach, ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Ich sag’s anders herum: Mein lieber Freund Georg und unsere Prinzen Martin und Michael und die kleine Tochter meiner Herrschaft, Sophie, die sind nicht dort geboren. Die sind Europäer, wie ihr.“

„Und nun“, warf Georg ein, „sind wir Ibeliner in Wengland aufgenommen und werden unter unserem geliebten Herrn Roland eurem König Rudolf und – so Gott will – eines Tages auch eurem Kronprinzen Martin dienen, wenn er seinem Vater auf dem Thron nachfolgt.“

Die freundliche Art der Ibeliner, auf ihre neuen Nachbarn zuzugehen, sprach sich rasch herum. Einer der Gäste, die Roland und Gaëlle von Ibelin besuchten, war der greise Albin von Hirschfeld. Albin hatte keine Kinder und somit keinen Erben für die Grafschaft Hirschfeld, seine Provinz. Der alte Mann besuchte das gastfreie Haus im Siebensteinforst eher zufällig am 11. November, als Martin seinen fünfzehnten Geburtstag feierte.

„Es sind etwas … beengte … Verhältnisse, unter denen Ihr hier lebt, Herr Roland“, bemerkte er.

„Vergebt, dass wir Euch nichts Besseres bieten können, Mylord“, bat der Angesprochene um Vergebung. Albin lächelte sanft.

„Ihr versteht mich falsch, mein Freund. Es mag daran liegen, dass Ihr unsere Sprache noch lernt und sie noch nicht vollständig beherrscht. Ich meine, dass Ihr Besseres verdient habt.“

„Wir sind mit dem zufrieden, was man uns gibt, Mylord“, erwiderte Martin.

„Auch Ihr versteht mich falsch, mein Prinz, doch ich mache Euch keinen Vorwurf daraus“, lächelte Albin. „Roland, ich habe keine Söhne, denen ich meine Provinz vererben könnte; nicht einmal eine Tochter, die ich mit jemandem verheiraten könnte, der meine Grafschaft übernimmt, wenn ich einmal nicht mehr bin. Deshalb veranstalte ich seit acht Jahren das größte Turnier Wenglands, weil ich der irrigen Meinung war, ich könne aus den Siegern der Wettbewerbe meinem geliebten König einen guten Nachfolger präsentieren. Es war ein Fehlschlag, aber das Turnier ist in dieser Größe inzwischen im jährlichen Turnierkalender etabliert. Ihr konntet mich ja leider doch nicht mehr besuchen, als Ihr vor zwei Jahren auf Eurer Rückreise vom Heiligen Land hier Station gemacht habt. Ich sehe, was Ihr hier aufziehen könnt, um Eurem Neffen eine seinem hohen Stand angemessene Geburtstagsfeier herzurichten. Ihr könntet wohl auch ein Turnier in der Größe wie meines fortführen. Eure ritterliche Gesinnung steht außer Zweifel, wie ich vor zwei Jahren feststellen durfte, als ihr die Ehre unserer seligen Königin so trefflich verteidigt habt. Ich möchte König Rudolf deshalb vorschlagen, dass Ihr mit meiner Provinz Hirschfeld belehnt werdet, wenn ich sterbe. Seid Ihr einverstanden?“

Roland sah ihn verwirrt an.

„Wie bitte?“, fragte er. Martin übersetzte es für ihn, in der Meinung, sein Onkel habe die Worte des alten Albin nicht verstanden.

„Doch, doch, ich habe das schon verstanden, Martin“, wehrte Roland freundlich ab. „Graf Albin, wie komme ich zu dieser Ehre, dass Ihr mir Eure Provinz übertragen lassen wollt?“, erkundigte er sich dann bei dem alten Grafen.

„Mit Eurer Einstellung, mein Sohn; mit Eurer Freundlichkeit, mit Eurem Mut und Eurer Entschlossenheit, von der ich schon viel gehört habe. Ich will Euch auch den Nachteil nicht verschweigen …“

„Und der wäre?“

„Eigentlich sind es zwei: Hirschfeld ist etwas weiter von Steinburg entfernt. Limmenfels und Siebenberg liegen dazwischen. Wenn König Rudolf seinen Sohn künftig bei sich haben will, werdet Ihr recht weit von Eurem Neffen entfernt sein. Ich sehe, was er Euch bedeutet und was Ihr ihm bedeutet. Ihr seid ihm wohl mehr Vater als sein eigentlicher Vater. Der zweite Haken ist der Umstand, dass Graf Peter von Limmenfels dazu neigt, sein Territorium auf Kosten meiner Provinz vergrößern zu wollen. Peter ist stolz und eitel. Ihr hattet ja schon das zweifelhafte Vergnügen mit ihm, als er Euch und Eure selige Schwester bei Eurem letzten Besuch so schrecklich beleidigte. Er möchte die Fläche seiner Provinz soweit vergrößern, dass sie Sachstal als Grafschaft des Thronrates ablösen könnte. Der Thronrat ist der recht elitäre Zirkel der Grafen der sieben größten Provinzen dieses Landes. Sie beraten den König bei der Gesetzgebung und in diversen anderen Belangen unseres Reiches. Aber wenn ich überhaupt jemandem zutraue, Hirschfeld vor diesem gekrönten Gockel zu bewahren, dann seid Ihr es. Was würdet Ihr von einer Übersiedlung nach Turmesch halten?“

„Missversteht meine Frage jetzt bitte nicht als Gier nach Größe, Ruhm oder Bedeutung. Wie bedeutend ist Eure Provinz unter den wenglischen Grafschaften?“, erkundigte sich Roland. Albin lächelte.

„Meine Ländereien sind unbedeutend. Hirschfeld ist eher klein, die viertkleinste der Provinzen Wenglands. Das Turnier ist bedeutend, mein Freund.“

Roland lächelte.

„Dann werden Eure Ländereien zu mir passen. Ich bin auch unbedeutend und habe nicht die Absicht, bedeutend zu sein. Vielleicht kann man das Turnier künftig etwas kleiner gestalten …“

„Ihr seid also einverstanden?“

„Erlaubt mir, Eure Provinz zu besuchen und mir anzusehen, was Ihr mir anbietet.“

„Ihr kauft nicht gern die Katze im Sack, was? Ihr seid neu hier, Mylord Roland. Ich will nicht fremd sagen, weil das so … abwertend … klingt. Kommt mich in Turmesch besuchen. Kommt noch vor der Adventszeit, denn ich möchte Euch nicht mit Wasser und Brot abspeisen.“

Der 1. Advent war in diesem Jahr der 3. Dezember. Es blieben Roland und seiner Familie nach Martins Geburtstag noch gute drei Wochen, um den Grafen von Hirschfeld in seinem Residenzort Turmesch zu besuchen, ohne in die adventliche Fastenzeit zu geraten. Martins Geburtstag war ein Samstag gewesen. Der ehemalige Vizegraf überlegte nicht lange und bot Graf Albin an, ihn nach Hause zu begleiten.

 

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Ergänzung folgt

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Glossar

Erneut gibt es in dieser Geschichte einige Begriffe, die nicht jedem geläufig sind. Hier sind sie erklärt.

Cathay: alter Name für China

Eidam: altdt. für Schwiegersohn

Johanniter-Sanitäter: Es sei darauf hingewiesen, dass der Ritterliche Orden Sankt Johannis vom Spital zu Jerusalem, kurz Johanniterorden, als geistlicher Krankenpflegeorden gegründet wurde. Die Ritter des Ordens erhielten auch nach der zusätzlichen militärischen Ausrichtung der Ordensgemeinschaft grundsätzlich eine Ausbildung in Krankenpflege, es gab auch Ärzte innerhalb des Ordens. Zwar waren der militärische Zweig und der pflegende Zweig getrennt, doch das Wissen aus der Grundausbildung der Brüder um die Krankenpflege wurde – insbesondere im Orient – weiterhin neben den ritterlichen Fähigkeiten geübt.

Klafter: altes Längenmaß, ca. 1,80 m

Lanze:

  1. a) Stoßwaffe eines Ritters
  2. b) Kleinste Einheit ritterlicher Truppen von unterschiedlicher Stärke, mindestens aber aus dem Ritter selbst, dem Knappen, Degenkämpfer, Bogenschützen, Knecht und evtl. Fußvolk bestehend (Quelle: L. u. F. Funcken, Waffen u. Rüstungen, S. 90 f Orbis Verlag 1990).

Lohnherold: Der Heroldsberuf war kein Ehrenamt, das durch einen adligen Herrn vergeben wurde, sondern hing ausschließlich von den Fähigkeiten der diesen Beruf ausübenden Person ab. Insofern war er weder an einen bestimmten Stand gebunden noch war ein Herold gehalten, seinem Herrn lebenslang zu dienen. Es gab auch freiberufliche Herolde, die sich nur zeitweise einem Herrn andienten und nach Auslaufen des Vertrages einen anderen Arbeitgeber suchten. Herolde, die einem Herrn dauerhaft dienten, trugen dessen Tappert. Freiberufliche Herolde steckten sich dagegen einen kleinen Schild mit dem Wappen des aktuellen Arbeitgebers an einen neutralen Tappert.

Maß: Getränkeeinheit. In den Verborgenen Landen entspricht das Maß seit je her etwa einem metrischen Liter.

Persevant: Gehilfe eines Herolds, der einmal selbst Herold werden kann/wird.

Pfund: altes Gewichtsmaß, ca. 450 g

Reisige: Berittene, nichtadlige Kriegsknechte. Deutsche Entsprechung zu dem, was in Frankreich, England oder dem Heiligen Land Sergeanten genannt wurde.

Truchsess: im Hochmittelalter derjenige, der die fürstliche Tafel beaufsichtigte, aber auch der Tafelgesellschaft das Fleisch aufschnitt und vorlegte.

Waffen- bzw. Wappenrock: Waffen und Wappen haben etymologisch denselben Ursprung, auch wenn die Differenzierung ziemlich genau um die Zeit einsetzt, in der diese Geschichte spielt. Das althochdeutsche Wort wapen bedeutet nichts anderes als Waffe(n). Der Schild, auf dem das Wappen gemalt ist, ist eine Waffe, wenngleich eine defensive. Insofern sind Waffenrock und Wappenrock echte Synonyme.

 

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Hypothetische Besetzungsliste Martin von Wengland

 

Wie schon bei Brennender Himmel habe ich auch für die Charaktere in Martin von Wengland meine Vorstellungen, welche Schauspieler sie – theoretisch – spielen könnten. Kein Produzent auf dieser Welt würde mir diesen Cast bezahlen … Den letzten Anstoß für die Besetzung gab mir Pirates of the Caribbean – Salazars Rache. Mit Brenton Thwaites als Henry Turner, Sohn von Will und Elizabeth Turner, haben die Casting-Verantwortlichen jemanden gefunden, der beiden ähnlich genug sieht, um als deren Sohn durchzugehen, auch wenn es alterstechnisch nicht hundertprozentig passt – was allerdings hauptsächlich daran liegt, dass ausgerechnet den Mitgliedern Familie Turner konkrete Lebensalter ins Drehbuch geschrieben wurden, die mit denen ihrer Darsteller in keinem Fall zusammenpassen. Orlando Bloom ist tatsächlich sechs Jahre älter als seine Figur Will Turner; nahezu dasselbe gilt für Brenton Thwaites alias Henry Turner. Keira Knightley ist zwei Jahre jünger als die von ihr gespielte Figur und Kaya Scodelario, die nach gegenwärtigem Stand wohl Henrys Frau werden könnte, ist vier Jahre älter als die von ihr gespielte Carina Smyth-Barbossa.

Brenton Thwaites ist mir im Mai 2014 erstmals als Prinz Phillip in Maleficent begegnet. Schon zu der Zeit hatte ich den Eindruck, dass er sich als Martin gut machen würde. Aber als ich ihn als Film-Sohn meines Lieblings Orlando Bloom gesehen habe, war endgültig klar: Das ist mein Martin! Die häufig vorkommende Ansicht Dritter in den Geschichten, in denen Balian Roland von Ibelin und Martin von Wengland zusammen vorkommen, Martin könne Balian Rolands Sohn sein (was der stets dementiert, weil er der Sohn seiner Schwester ist), passt bei dieser Konstellation wie die Faust aufs Auge. Seht euch Pirates of the Caribbean – Salazars Rache an und ihr werdet mir Recht geben …

Aus Pirates of the Caribbean – Salazars Rache habe ich auch Lewis McGowan, der dort den zwölfjährigen Henry spielt und problemlos als Jean-Raymond, als älterer Sohn der Familie Ibelin, durchgeht. Und Flynn Bloom-Kerr ist nun mal tatsächlich Orlando Blooms Sohn (allerdings noch ohne Schauspielambitionen …).

Mit diesem Film habe ich auch meine Prinzessin Regina gefunden: Kaya Scodelario, die Henrys Freundin (künftige Frau?) Carina spielt. Regina ist wohl nicht so handfest wie Carina, aber Kaya und Brenton passen gut zusammen. Und deshalb sind sie meine Vorstellung von Regina und Martin.

Die weiteren „Rollen“ sind – was die Figuren, die mit denen aus Königreich der Himmel vergleichbar sind – bereits von diesen Schauspielern dargestellt worden. Auf den Rest trifft es nicht zu, doch scheinen mir diese Leute auf die entsprechenden Rollen zu passen.

Wie gesagt: Das würde mir kein Produzent bezahlen wollen … Das wäre einfach nur teuer.

 

Rolle

Darsteller(in)

Martin von Wengland Brenton Thwaites
Roland von Ibelin-Hirschfeld Orlando Bloom
Gaëlle von Ibelin-Hirschfeld Eva Green
Maria von Wengland Samantha Bloom
Pierre von Krummenfeld Peter Cant
Almaric von Rolandsmühl Velibor Topic
Peter von Limmenfels Tom Hiddleston
Heinrich von Scharfenburg Chris Hemsworth
Simon von Scharfenburg Liam Hemsworth
Richard von Rebmark Marton Csokas
Michel, Almarics Stellvertreter Michael Shaffer
Bertram von Ermeldorf Götz Otto
Raimund von Löwenstein Jason Isaacs
Bruder Wenzel von Löwenstein David Thewlis
Ludwig von Scharfenburg Viggo Mortensen
Havarik von Wilzarien Javier Bardem
Rudolf von Wengland/Owan Aldaron Leonardo DiCaprio
Mathieu von Rolandsmühl Freddie Highmore
Georg von Bärenfels (Ex-Templer) Matthew Rutherford
Volker von Skarpenborn Alfie Allen
Aribert von Karlsfeld Nikolaj Coster-Waldau
Alwin von Falkenstein Ken Stott
Fridolin von Rossensee Daniel Craig
Volker von Wutzbach Sam Claflin
Regina von Scharfenburg Kaya Scodelario
Sophie, ihre Leibdienerin Lucinda Drzizek
Bischof Bartholomäus von Wachtelberg Jonathan Pryce
Eckart von Ginsterborn Hugh Jackman
Ramses, Steinmetz und Bademeister Jamie Foxx
Jean-Raymond von Ibelin-Hirschfeld Lewis McGowan
Balian von Ibelin-Hirschfeld Flynn Bloom-Kerr

 

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