Am 5. Juli 2019 ist mein Vater im Alter von 90 Jahren verstorben. Es ist ein gesegnetes Alter, aber wenn ein Elternteil diese Welt verlässt, ist es irgendwie immer zu früh, ganz gleich, wie alt man selbst ist.
Mein Vater war ein großer Schweiger. Meine schon lange verstorbene Mutter pflegte gelegentlich zu sagen: „Lass uns von was anderem schweigen“, wenn er wieder mal den ganzen Tag kein Wort gesagt hatte. Bis zu einem gewissen Grad habe ich diese Kommunikationsschwäche von ihm geerbt, was bedeutet, dass ich nicht gerne telefoniere. Dabei ist die Kommunikation zwischen uns komplett auf der Strecke geblieben. Dazu die Entfernung und seine Demenz.
Was immer ich über Schifffahrt weiß, habe ich von ihm gelernt. Mit Salzwasser hat er alle drei Töchter geimpft. Meine ältere Schwester ist viele Jahre getaucht, meine jüngere Schwester ist gelernte Schifffahrtskauffrau, bei mir hat sich das in den „Fluch-der-Karibik“-Geschichten niedergeschlagen. Leider hat ihn das so wenig interessiert wie meine Schreiberei allgemein. Lesen war so gar nicht seins. Fachbücher ja, besonders in Sachen Seefahrt, Belletristik nur in jüngeren Jahren und wenn, dann Science-Fiction.
Dafür war er ein begnadeter Handwerker. Jahrzehntelang hat er Schiffsmodelle gebaut – keine Bausätze, sondern im Maßstab 1:100 nach Originalplänen der Werften aus Holz. Schicht für Schicht aus Lindenholzbrettern gesägt, geklebt und in Form geschliffen; mit Aufbauten aus Holz und Relings aus Silberdraht – handgebogen und gelötet. Es waren Arbeiten, die Monate dauerten und im Auftrag der jeweiligen Reederei erfolgten und ein nicht zu unterschätzender Nebenverdienst waren. Es war wohl das Schlimmste, was ihm passieren konnte, als er diesen Modellbau aufgeben musste, weil er den kleinen Fummelkram selbst mit der Lupe nicht mehr richtig sehen konnte.
Er hat mir die ersten Spielfiguren in der Dimension 1:32 mitgebracht, die die Gestalt von Konföderierten hatten, da war ich acht Jahre alt. Er hat damit etwas losgetreten, das er erst fast bereut hat, weil ich nicht aufhörte, Fragen zu stellen. Meine geplagten Eltern schenkten mir schließlich „Der Amerikanische Bürgerkrieg in Augenzeugenberichten“ in der Hoffnung, dass die Fragen aufhören würden, nur wurde ich immer neugieriger und fing an zu schreiben.
Ihm verdanke ich eine Menge Bücher zu Uniformen von der Antike bis zum II. Weltkrieg, die er mir von Dienstreisen aus Brüssel mitbrachte – nebst einem Wörterbuch für Französisch, denn die Bücher sind französische Versionen. Später habe ich mir die, die aus der Reihe auch auf Deutsch erschienen waren, nochmals gekauft, um nicht nur die Texte zu den Bildern zu verstehen, sondern den gesamten Inhalt.
Um mich dem Handwerk zuzuführen, bekam ich von ihm meine ersten Bürgerkriegs-Soldatenfiguren in der Dimension 1:87, die dazu passenden Farben und eine gründliche Schulung, wie man diese Minifiguren richtig bemalt. Ich habe diese Miniarmee immer noch, die sich zunächst auf Infanterie beschränkte, bis ich mir Kavallerie und Artillerie dazu selbst anschaffte.
Ein Western-Fort aus Zahnstochern und Rouladenspießen aus Holz verdankt seine Existenz der Modellbaukunst meines Vaters, der einen Freund von mir und mich anleitete, wie man aus jeweils 10 Stück davon genormte Bauteile machte, die auf einer Sperrholzplatte befestigt wurden. Am Ende waren es vier Türme aus den längeren Rouladenspießen und Palisaden aus Zahnstochern mit schwenkbarem Tor und angeklebtem Wehrgang.
Über einen amerikanischen Kollegen beschaffte er mir Bücher zum Amerikanischen Bürgerkrieg und brachte mir von einer Reise nach Washington einen Faksimile-Band eines Fotobuches von Matthew Brady mit, der Zeitzeuge war und haufenweise Fotos von beiden Seiten gemacht hat. Meine Bürgerkriegsgeschichte hätte ich ohne diese Literatur nicht schreiben können. Und weil die die Wurzel aller meiner Schreiberei ist, wäre ohne diese Grundlagen, die mein Vater mir verschafft hat, nichts davon entstanden.
Auch wenn er nichts aus meiner Feder bzw. Tastatur gelesen hat, so hat er doch die Grundlagen dafür gelegt, dass ich es konnte.
Danke, Papi!
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