Rassismus – Problem oder Totschlagargument?

In der heutigen Zeit fällt sehr oft der Begriff Rassismus. In der Regel dann, wenn Fremdenfeindlichkeit ausgeübt oder jedenfalls vermutet wird. Und vermutet wird sie oft. So oft, dass es schon inflationär ist.

Doch was ist Rassismus eigentlich genau? Das Lexikon „Brockhaus“ definiert Rassismus so:

 

Gesamtheit aller Theorien und politischen Lehren, die Zusammenhänge zwischen anthropologischen Merkmalen von Menschenrassen und Kulturentwicklung behaupten und dabei kulturelle Fähigkeiten und historische Entwicklungen nicht auf politische und soziale, sondern auf biologische Ursachen zurückführen; im engeren Sinne alle Lehren, die solchen Zusammenhängen eine Über- bzw. Unterlegenheit einer menschlichen Rasse gegenüber einer anderen behaupten.

 

So weit, so schlecht. Die Definition macht deutlich, dass es rassistisch ist, einen Menschen wegen seiner Hautfarbe, seiner Augen-, Nasen- oder Lippenform als minderwertig zu betrachten und diesem Menschen selbstverständliche Menschenrechte vorzuenthalten – und zwar bewusst und gewollt.

Die oben angeführte Definition stammt aus der Ausgabe des Jahres 2000, deren Redaktionsschluss im Januar 2000 war. In unserer Zeit, in der ein Telefon mit Computerfunktion – ein Smartphone – nach zwei, spätestens drei Jahren als Steinzeitprodukt gilt, scheint die Annahme aufzukommen, dass die Definition eines Sachverhaltes, die älter als drei Jahre ist, mindestens ebenso veraltet ist wie ein drei Jahre altes Smartphone …Tatsächlich ist eine deutliche Ausweitung des Begriffes Rassismus zu beobachten.

Wenn heute in einer Film-, Fernseh-, Theater-, Musical- oder Opernproduktion nicht alle denkbaren Hautfarben unter den Darstellenden vorkommen, schreit garantiert jemand, das sei rassistisch. Die Sorge vor solchen Rassismusvorwürfen führt dabei zu der absurden Vorstellung, dass auch Änderungen in der ursprünglichen Konzeption eines Stückes oder Drehbuchs vorgenommen werden müssen, um sich bloß nicht diesem Vorwurf auszusetzen. Selbst historische Umstände sind nicht davor gefeit, wegen dieser Sorge geflissentlich ignoriert zu werden.

Kürzlich lief ein Musical mit dem Titel „Hamilton“, das auf der Lebensgeschichte von Alexander Hamilton fußte. Darin wird Hamiltons Ehefrau von einer schwarzen Schauspielerin verkörpert. Der historische Alexander Hamilton war mit Elizabeth Schuyler verheiratet, deren Eltern niederländischen Hintergrund hatten. Sie war wie ihr Mann eine Weiße. Insofern ist die Verkörperung einer Weißen durch eine Schwarze unzutreffend.

Es gibt gegenwärtig häufig Beschwerden von Vertretern der indigenen Bevölkerung der USA, dass in amerikanischen oder europäischen Filmen Weiße als Indianer auftreten. Das sei rassistisch. Wenn es also rassistisch ist, wenn Weiße Indianer spielen, dann ist die Darstellung einer Weißen durch eine Schwarze wohl kaum weniger rassistisch.

 

Mitte Oktober 2020 wurde bekannt, dass eine evangelische Kirchengemeinde in Ulm in Baden-Württemberg drauf und dran war, die heiligen drei Könige aus der Krippe zu streichen, weil einer davon schwarz ist und man Sorge hatte, sich Rassismusvorwürfen auszusetzen. Man wollte sich im folgenden Jahr 2021 Gedanken darüber machen, wie man mit der Figur des Melchior (der schwarze der drei Könige) umgehen soll. Für 2020 wollte man die Könige gar nicht erst zur Krippe stellen.

Die Figur schien nach dem Bild, das ich am 12.10.2020 in der Morgenpost fand, etwas verunglückt zu sein. Der Verantwortliche in der Gemeinde meinte, „die dicken Lippen und die unförmige Statur seien aus heutiger Sicht eindeutig als rassistisch anzusehen“. Bei der unförmigen Statur war und bin ich geneigt zu sagen, der Schnitzer oder Gießer war nicht bei der Sache und hat sich in den Proportionen vertan. Was dicke Lippen betrifft, ist es einfach Tatsache, dass ein guter Teil der Menschen afrikanischer Abkunft sie realiter haben. Es kommt doch keiner auf die Idee, Filme oder Bilder, in bzw. auf denen Filmschauspieler David Gyasi zu sehen ist, zu retuschieren, weil der Mann erstens rabenschwarz ist und zweitens richtig dicke Lippen hat!

Wenn die Figur bezüglich der Gestalt verunglückt war, wäre eine Neufertigung mit besseren Proportionen angebracht gewesen, aber doch nicht das Totschweigen der heiligen drei Könige (oder auch Weisen aus dem Morgenland). Es hätte sich doch gewiss ein Holzschnitzer finden lassen, der das bis zum 6. Januar 2021 hingekriegt hätte – aber bitte schwarz, denn gerade, dass Könige (oder Sterndeuter, wie es in der Bibel heißt) aller in der Antike bekannten Hautfarben dem Jesuskind huldigen und ihm Geschenke bringen, macht doch die allumfassende Gleichheit der Menschen vor Gott deutlich. Einen dunkelhäutigen Menschen, der Jesus als Sohn Gottes anbetet, wegzulassen, bedeutet doch unter dem Strich, den schwarzen Menschen insgesamt abzusprechen, Christ sein zu dürfen. Das wäre rassistisch, nicht dessen Anwesenheit an der Krippe als schwarzer Mensch, noch dazu in der herausgehobenen Stellung eines Wissenschaftlers oder Königs!

 

Vor einigen Monaten zog der Ravensburger Verlag ein Begleitbuch zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ zurück, nachdem Rassismus-Vorwürfe erhoben worden waren. Die Geschichte sei rassistisch, weil sie das Schicksal der indigenen Bevölkerung der USA beschönigend darstelle. Ich habe den Film nicht gesehen, das gebe ich zu. Das Buch kann ich nicht kennen, weil es eben gar nicht veröffentlicht wurde.

Am 13.12.2023 las ich einen Artikel von Watson, veröffentlicht bei t-online.de, mit der Überschrift: „Deutsche Kinos wollen umstrittenen Film plötzlich nicht mehr zeigen“. Es ging darum, dass der Film „Winnetou I“ 60 Jahre alt wurde und zu diesem Anlass eine technisch bearbeitete und mit 4k verfügbare Version hergestellt worden war, die am 14. Dezember 2023 hätte in die Kinos kommen sollen. Lediglich neun Kinos, überwiegend im Norden, haben daran überhaupt Interesse gezeigt. Das Desinteresse wird der Diskussion zugerechnet, die um die Karl-May-Filme der Sechzigerjahre entstanden ist. Dass es auch die Befürchtung sein kann, einen teuer aufgebrezelten Film in 4k-Technik zu zeigen, der sattsam bekannt ist und heute wohl keinen mehr dazu bringt, dafür noch Geld im Kino auszugeben, wenn der Film entweder in der eigenen DVD-Bibliothek steht (wie bei mir) oder er in gewissen Abständen noch im Fernsehen gezeigt wird und man dafür nichts extra bezahlt, weil dies in der GEZ-Gebühr bereits enthalten ist, darauf kommt wohl keiner.

 

Die „Tageszeitung“, kurz taz, hält Karl Mays Romanen vor, sie seien „rassistisch, deutschtümelnd und frauenfeindlich“; Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) schreibt über die Bewertung des Films „Der junge Häuptling Winnetou“ mit dem Prädikat „besonders wertvoll“, dass ein Teil der Jury der Deutschen Film- und Medienbewertung diesen Film vehement abgelehnt habe. Es sei nach Auffassung der Ablehnenden „in unserer Zeit nicht mehr zulässig, einen Film, im Besonderen einen Kinder- und Jugendfilm im Geist der mythisch aufgeladenen und klischeehaft darstellenden Karl-May-„Folklore“ zu realisieren“.

Der in Deutschland lebende US-Indigene Tyrone White kritisierte den Film „Der junge Häuptling Winnetou“ dahingehend, dass Filme wie dieser die Geschichte der indigenen Völker Amerikas trivialisieren würde und erklärte laut „Zeit“ ergänzend: „Das ermöglicht den nichtindigenen Menschen, uns weiterhin als Fantasiefiguren zu betrachten.“

 

Ich habe erst einmal deftig schlucken müssen. Zugegeben, die Bücher von Karl May, der im Jahr 1912 starb, kenne ich so gut wie nicht. Ich habe im vorletzten Zeitalter „Der Schatz im Silbersee“ ganz gelesen, habe mich an „Winnetou I“ und „Winnetou II“ vergeblich versucht, wohl weil ich die Filme zu dem Zeitpunkt schon zu gut kannte, um mit den erheblich abweichenden Personen und der Handlung der Romane (was insbesondere Winnetou II betrifft) zurecht zu kommen. Die Filmreihe, die in den Sechzigerjahren gedreht wurde und auf den Büchern oder Motiven daraus basiert, kenne ich dafür umso besser.

Gerade, was die Western-Geschichten betrifft, die als „Winnetou“-Filme zwischen 1962 und 1965 einen regelrechten Hype auslösten, wird immer deutlich gemacht, dass es Weiße sind, die den Ureinwohnern ihr Land streitig machen, die ihnen nach dem Leben trachten, sie als minderwertig betrachten und Unfrieden stiften, weil sie davon profitieren können.

Sowohl Weiße als auch Indigene werden differenziert dargestellt. Es gibt – wie Drehbuchautor Harald G. Petersson Leutnant Robert Merril sagen lässt – bei allen Völkern und Rassen Rechtschaffene und Böse. Die Farbe der Haut spielt dabei keine Rolle. Es gibt gute und böse Weiße. Es gibt gute und böse Indigene. Doch während bei den bösen Weißen die Bösartigkeit auf Gier nach Macht, Land und Gold beruht, ist die Bösartigkeit bei den Indigenen in der Regel auf üble Erfahrungen mit Weißen zurückzuführen, weniger auf reinem eigenen Vernichtungswillen.

Während im US-Western die US Kavallerie die letzte Rettung für die bedrängten Helden ist, sind es in den Karl-May-Western fast immer Indigene, die den Helden zu Hilfe kommen. In „Winnetou II“ und in „Old Surehand“ darf die US Kavallerie mithelfen, die wesentliche Rettungsarbeit machen aber die Indigenen. Einzig in „Winnetou III“ ist es die Kavallerie, die gerade noch rechtzeitig eintrifft, um die weißen Banditen und die durch den (von Weißen ausgelösten) Alkoholismus ihres Häuptlings fehlgeleiteten Jicarillas daran zu hindern, die Mescalero-Apachen und ihre weißen Freunde auszulöschen. Auch in den Orient- und Mexiko-Filmen sind es – abgesehen von „Der Schut“ – indigene Krieger, die den bedrohten Helden zu Hilfe kommen und dabei der jeweiligen Kolonialmacht einen Strich durch die Rechnung machen. Einzig in „Der Schut“ sind es gesetzestreue türkische Soldaten, Vertreter der Besatzungsmacht, die helfend eingreifen. Zwischen 1962 und 1968 wurden insgesamt 17 Filme dieser Reihe produziert – und nur in einem einzigen sind es allein Weiße, die die Retter sind. Das soll rassistisch sein?

Ja, es ist richtig, dass es weiße Europäer waren, die die indigene Bevölkerung Amerikas nahezu ausgerottet haben, die ihnen bis ins 20. Jahrhundert Bürgerrechte verwehrten, die jeden Friedensvertrag mit den Indigenen gebrochen haben, kaum dass die Tinte darauf trocken war. Aber auch unter dem Aspekt, dass Karl May seinerzeit behauptete, alles, was er geschrieben habe, habe er persönlich erlebt, ist doch klar, dass es Fantasie war und keine historisch genaue Dokumentation tatsächlicher Ereignisse. Karl May kannte die USA nicht, bevor er seine Geschichten um Winnetou und Old Shatterhand schrieb. Er kannte alles, was sich jenseits des Atlantiks abspielte, nur aus den Berichten Anderer.

Bekannt ist aber auch, dass Karl Mays Romane jedenfalls in Deutschland dazu geführt haben, dass Indianer hierzulande nicht grundsätzlich als böse eingestuft wurden, was in amerikanischen Western – mindestens vor der Produktion der Karl-May-Filmreihe – gang und gäbe war. Wenn durch Karl Mays Bücher ein differenzierendes Bild indigener Völker entstanden ist, ist das für seine von Nationalismus und Kolonialismus geprägte Zeit mehr als nur erstaunlich.

Was die Kritik der taz in Sachen Frauenfeindlichkeit und Deutschtümelei betrifft: Leute, euch ist klar, wann das geschrieben wurde? Karl May wurde 1842 geboren und starb 1912, also noch vor dem Ersten Weltkrieg. Wollte man die deutschsprachige Literatur dieser Zeit aus den Bibliotheken verbannen, die deutschtümelt oder frauenfeindlich scheint, bliebe wohl nicht viel übrig. Das käme übrigens rabiater Zensur gleich, die gerade linksorientierte Wesen ablehnen (oder gilt etwa nur für die linke Literatur, dass sie nicht zensiert werden darf?).

Unter den negativen Kritiken bezüglich des Films „Der junge Häuptling Winnetou“ fand sich auch eine von Elmar Krekeler, der sogar meint, „der Film nötige Erwachsene dazu, den Kindern das Phänomen Karl May zu erklären und sie davon abzuhalten, die Bücher zu lesen, weil sie halt nicht sehr gut geschrieben sind und Karl May ein ziemlich übler Fantast war.“ Bedeutet: Herr Krekeler ist dabei, den Eltern zu sagen, was ihre Kinder lesen dürfen und was nicht. Sind wir wirklich schon wieder so weit, dass Einzelne bestimmen, wer was lesen darf und auch noch den Erziehungsberechtigten Vorschriften machen wollen, was ihre Kinder zu lesen haben?

Was weiße Europäer als Darsteller von Indigenen betrifft: Man kann sich darüber streiten, ob es in der Gegenwart noch angemessen ist, Weiße in Indianerkostüme zu stecken, wenn indigene Darstellende zur Verfügung stehen. Kennt jemand in Deutschland lebende US-Indigene, die Winnetou, Nscho-tschi, Intschu-tschuna, Ribanna, Tah-sah-tunga & Co. spielen würden? Dann bitte Nachricht an jegliche Produktionsgesellschaft in diesem Lande!

Für die Zeit zwischen 1939 und den späten Sechzigern des 20. Jahrhunderts dürfte die seinerzeitige Existenz indigener Darsteller auszuschließen sein, zumal Tyrone White selbst anführt, dass es noch zu der Zeit, als die Winnetou-Welle durch Deutschland rollte, illegal war, sich als Native American zu bezeichnen. Ginge es nach Tyrone White, dürfte es überhaupt keine fiktionalen Filme geben, in denen US-Indigene erscheinen. Würde man diese Forderung auf alle Kulturen ausweiten, gäbe es weder Film noch Theater oder Belletristik, weder Fernsehserien noch Musicals oder Opern. Die Fiktion würde aufhören zu existieren. Fiktion bedarf der Fantasie, klar. Aber nicht nur die Fiktion bedarf der Fantasie; jegliche Erfindung braucht Fantasie. Stirbt die Fantasie, gibt es auch keine Erfindungen mehr.

Diese so genannte „kulturelle Zueignung“, die als Ausbund rassistischer Gesinnung angeführt wird, würde letztlich bedeuten, dass ohne zur Verfügung stehende Darsteller der jeweiligen Ethnie eine Produktion unzulässig wäre.

Pierre Brice, Gojko Mitic und Alexander Klaws sind (bzw. war) Europäer, Erol Sander, der Winnetou auf der Freilichtbühne in Bad Segeberg auch schon gespielt hat, ist gebürtiger Türke, also Europäer oder Vorderasiate.

Pierre Brice kannte weder Karl May geschweige denn Winnetou, bevor er diese Rolle spielte, aber er hat sich ab diesem Zeitpunkt für die Kultur der nordamerikanischen Indigenen sehr interessiert und sich gegen eine satirische Bearbeitung des Stoffes öffentlich zur Wehr gesetzt.

Gojko Mitic war in der DDR der Indianer vom Dienst, wo schon aus politischen Gründen US-Amerikaner (auch Nachfahren der Ureinwohner) nicht willkommen waren. Er hat in den dort gedrehten Western mitgespielt, in denen ausschließlich Weiße die Fieslinge waren und es – nach meinem Kenntnisstand – keine positiv dargestellten Weißen gab. Auch diese Filme wären „kulturelle Zueignung“, weil keine echten US-Indigenen mitspielten. Von Kritik bezüglich Rassismus oder kultureller Zueignung an diesen Filmen habe ich bisher aber noch nichts gehört. Sollte das etwa daran liegen, dass sie in einem sozialistischen Staat produziert wurden?

 

Vor ebenfalls nicht allzu langer Zeit bekam die britische Sängerin Adele die volle Ladung Rassismus-Vorwürfe wegen „kultureller Zueignung“ ab, weil sie sich eine Frisur hatte machen lassen, die bei einigen afrikanischen Völkern eine traditionelle Haartracht ist. Was sind dann blond gefärbte Haare bei Menschen, die offensichtlich afrikanische oder asiatische Wurzeln haben? Dort gibt es keine natürlichen blonden Haare. Gefärbt, weil sie es schön finden? Wahrscheinlich; aber Adele hatte sich die Frisur auch machen lassen, weil sie sie schön fand, nicht, weil sie eine nicht vorhandene afrikanische Herkunft vorgaukeln wollte.

Im Übrigen wäre dann jegliche Übernahme einer fremden Mode eine „kulturelle Zueignung“. Ich glaube nicht, dass die Pariser Modemacher Leuten, die als Nichtfranzosen ihre Produkte kaufen, den Vorwurf „kultureller Zueignung“ machen würden, im Gegenteil. Es käme wohl auch kein Franzose auf die Idee, den Verkauf von Baskenmützen außerhalb von Frankreich zu verbieten, so wenig wie sich Bayern darüber aufregen, wenn in den USA Krachlederne zum dortigen Oktoberfest getragen werden.

Bestes Beispiel: Billy Mo, Afroamerikaner, der als Besatzungssoldat nach Deutschland kam und hier nach seiner Entlassung mit bayerischer Tracht und Trompete Musikkarriere machte. Würden jene, die Adele wegen ihrer Frisur diesen Vorwurf auch gegenüber Billy Mo erheben, weil er sich in eine Tracht geworfen hat, die nicht seinem Herkunftsland entsprach?

Die Keule „kulturelle Zueignung“ wird inzwischen selbst Musikern um die Ohren gehauen, die als Nichtschwarze Musikstücke spielen, die von Menschen mit afrikanischen Wurzeln geschrieben wurden.

Letztendlich wäre nur noch das aufführungs-, darstellungs- und produktionsfähig, was im eigenen Kulturkreis entsteht – und wehe, es wird auch nur ansatzweise etwas aus einem fremden Kulturkreis verwendet! Was für eine traurige Welt wäre es, würde man sich daran halten.

 

Rassismus-Vorwürfe wurden auch gegen die Produzenten der Amazon-Serie „Carnival Row“ erhoben – weil in der ersten Staffel keine Asiaten unter den Darstellenden waren. Es sei ja gut, dass Schwarze mitspielten und auch bedeutende Rollen hätten, aber es sei völlig unverständlich, dass Asiaten nicht berücksichtigt seien. In der zweiten Staffel waren dann auch Asiaten dabei, wenn auch mehr im Hintergrund.

Solche Vorwürfe haben zur Folge, dass Produktionen dann so bemüht divers ausfallen, dass von der ursprünglichen Anlage einer Romanvorlage kaum etwas übrig bleibt. Schönes Beispiel: Die Neuverfilmung von „Tod auf dem Nil“.

Ja, es geht immer noch darum, dass eine Millionenerbin von ihrem Mann und dessen Geliebter umgebracht wird, aber auch alle anderen Passagiere des Schiffs – abgesehen von Detektiv Poirot selbst – zu dieser Millionenerbin eine konfliktreiche Beziehung haben und zunächst alle ein Mordmotiv haben. Es spielt auch immer noch in den Dreißigerjahren auf einem Nildampfer.

Da wird aus der weißen Schriftstellerin, die sich mit dem späteren Mordopfer wegen schlüpfriger Passagen in einem ihrer Bücher zofft und deren ebenso weißer Tochter eine schwarze Nachtclubsängerin, zu der der Detektiv sich am Ende hingezogen fühlt. Die knarzige Perlenfreundin Schuyler, die ihre Begleiterin wie Dreck behandelt und von ihr deftiges Kontra bekommt, wird zur lesbischen Geliebten dieser Begleiterin. Ich weiß nicht, was Agatha Christie dazu sagen würde, würde sie noch leben.

Fehlt eigentlich nur noch, dass der Verlag nun eine Revision der Bücher von Agatha Christie vornehmen würde, um die Personen zu diversifizieren und eventuellen Rassismus daraus auszumerzen. So was gibt’s nicht? Weit gefehlt! Bücher von Ottfried Preußler und Astrid Lindgren wurden bereits „korrigiert“, weil sie heute als rassistisch aufgefasste Begriffe enthielten. Dass diese Bücher zu einer Zeit geschrieben wurden, als die betreffenden Begriffe noch als wertfreie Bezeichnungen galten, blieb dabei unberücksichtigt. Ob man sich eines Tages wohl auch die Grimm’schen Märchen vorknöpft und sie von Königen, Prinzen und Prinzessinnen „befreit“, weil die von den Grimms beschriebenen Monarchien absolute sind, die undemokratisch sind?

 

Anfang 2019, also noch vor Corona, wurde in einem Hamburger Kindergarten den Kindern verboten (jawohl: verboten!), sich als Indianer, Cowboys Chinese, Prinzessin, Pirat oder Ritter zu verkleiden, weil sie sich damit „Stereotypen“ bedienen würden, die ihnen ein falsches Bild des jeweiligen Volkes oder der Stellung vermitteln würden. Stattdessen sollten sie sich als Brot, Gemüse, Insekt o. ä. verkleiden. Verkleidung als Indianer oder Chinese lief dabei unter „kultureller Zueignung“, Cowboy, Prinzessin, Pirat, Ritter wurde unter „Stereotyp“ abgehandelt.

Als ob Fee, Ork oder sonstige Fantasiewesen nicht ebenfalls etwas Stereotypisches an sich hätten … Bezüglich der Indianer berief man sich auf Beschwerden der American Natives, dass die Kostüme nicht den traditionellen Gewändern entsprächen und nicht genügend differenziert würde, dass es bei fünfhundert Nationen auch diverse kulturelle Unterschiede gebe.

Ja, das ist gewiss so. Schließlich gibt es bei den europäischen Völkern auch gewaltige kulturelle Unterschiede. Aber um das zu erfahren, muss man sich erst einmal für das betreffende Volk interessieren. Dieses Interesse wird von vornherein abgewürgt, wenn die Verkleidung in eine solche Gestalt schlicht verboten wird. Ein Verbot erzeugt ein Tabu. Tabus führen zu Desinteresse. Desinteresse ist nur allzu häufig der Grund für Unkenntnis. Unkenntnis mündet gern in Ablehnung. Ablehnung führt zu Ausgrenzung. Das kann nun wirklich nicht im Interesse indigener Völker sein.

Man kann nur schützen, was man kennt. Das gilt für die Natur im Allgemeinen wie für menschliche Kulturen im Besonderen. Wer sich als Indianer, Chinese o. ä. verkleiden will, interessiert sich. Wer sich interessiert, wird mehr Informationen haben wollen. Mit mehr Information wächst auch die Kenntnis um tatsächliche Kleidung und Kultur. Kenntnis erhöht den Respekt vor einer fremden Kultur. Lernen ist nicht nur lesen, sehen und hören, sondern ganz besonders für Kinder buchstäblich das Begreifen. Anfassen. Fühlen. Geht aber ohne Kostüm schlecht.

 

Der Clou ist aber, – nach Aussage des deutschen Sängers Jan Delay – dass die Frage, ob etwas rassistisch sei oder nicht, allein in der Sphäre dessen liegen soll, der sich rassistisch beleidigt fühlt. Ganz gleich, ob die Aussage auch rassistisch – also abwertend – gemeint war.

Aha.

Das ist dann der Freifahrtschein für jeden Hinterhofrabauken, der Streit sucht und sich vom Blick eines harmlosen Passanten so provoziert fühlt, dass er ihn zusammenschlägt, wenn er sich auf die Frage: „Was guckst du so?“, nicht umgehend auf die andere Straßenseite beamt.

Ist nicht vergleichbar? Oh, doch!

Denn in beiden Fällen liegt es nur am „Beleidigten“ ob etwas beleidigend war oder nicht. Genau genommen würde nicht einmal eine richterliche Entscheidung die Frage Beleidigung ja oder nein? klären, wenn es allein am Empfinden des „Beleidigten“ liegt ob er/sie dies als beleidigend ansieht. Unser Recht basiert aber auf Gesetzen, die das Parlament erlässt, nicht auf dem Empfinden des Einzelnen. Insofern kann es nicht sein, dass es bei der Frage rassistische Beleidigung allein im Empfinden dessen liegen soll, der sich rassistisch beleidigt fühlt.

Andererseits gibt es nämlich noch die, die aktive Politiker oder andere Menschen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, mit wüsten Beschimpfungen belegen und mit dem Hinweis auf Meinungsfreiheit auch noch das Recht zugesprochen bekommen, damit fortzufahren, weil sie es ja nicht so gemeint haben. Da liegt die Beleidigung dann nämlich nicht im Empfinden der beleidigten Person, sondern beim Aussprechenden bzw. Schreibenden. Das heißt nichts Anderes, als dass da mit zweierlei Maß gemessen werden soll – und das, wo Gleichstellung doch das Ziel ist!

Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir Europäer und – mal wieder – wir Deutschen übers Ziel hinausschießen und nur uns selbst in die Pflicht nehmen wollen, um bloß keinem auf die Füße zu treten.

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